Für die Versöhnung neuen Wissens und alter Weisheit in der Seelenheilkunde - August Thalhamer - E-Book

Für die Versöhnung neuen Wissens und alter Weisheit in der Seelenheilkunde E-Book

August Thalhamer

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Beschreibung

Manches kann man als Wissenschafter im privaten Kreis, aber nicht öffentlich sagen, weil man sonst bloßgestellt würde. Der Mainstream verlangt wissenschaftliche Erklärungen und Beweise. Dabei haben Erkenntniskritik und Wissenschaftstheorie längst aufgezeigt, dass das naturwissenschaftliche Weltbild auch nur ein Denkrahmen von vielen ist. Was wissenschaftlich nicht erforscht ist, wird abgewertet. August Thalhamers Buch spannt einen Bogen von uralten erprobten Heilmethoden bis hin zu den Erkenntnissen der modernen Psychotherapie. Es enthält Argumente von verschiedensten Seiten, die deutlich machen, dass die materialistische und positivistische Sicht des Menschen zu kurz greift. Anlass für das Buch war eine neue Richtlinie des Gesundheitsministeriums. Es zwingt Psychotherapeuten unter Androhung des Berufsverbots, in ihren Aussendungen zu verheimlichen, wenn sie auch transpersonale Verfahren, zum Beispiel schamanische Heilarbeit, anwenden, weil diese nicht wissenschaftlich seien. Dabei, so Thalhamer, sollte ein Kunde oder Patient wissen, dass er es mit einem Psychotherapeuten zu tun hat, der auch spirituelle Methoden schätzt. Manche kommen genau aus diesem Grund zu ihm, andere genau aus diesem Grund nicht.

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Seitenzahl: 322

Veröffentlichungsjahr: 2016

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August Thalhamer

Für die Versöhnung neuen Wissens und alter Weisheit in der Seelenheilkunde

Streitschrift gegen die Reduktion des Menschseins auf naturwissenschaftlich erfassbare Materie. Mit besonderer Berücksichtigung schamanischer Heiltradition

ENNSTHALER VERLAG STEYR

Erklärung

Die in diesem Buch angeführten Vorstellungen, Vorschläge und Therapiemethoden sind nicht als Ersatz für eine professionelle medizinische oder therapeutische Behandlung gedacht. Jede Anwendung der in diesem Buch angeführten Ratschläge geschieht nach alleinigem Gutdünken des Lesers. Autoren, Verlag, Berater, Vertreiber, Händler und alle anderen Personen, die mit diesem Buch in Zusammenhang stehen, können weder Haftung noch Verantwortung für eventuelle Folgen übernehmen, die direkt oder indirekt aus den in diesem Buch gegebenen Informationen resultieren oder resultieren sollten.

www.ennsthaler.at

ISBN 978-3-7095-0052-1

August Thalhamer · Für die Versöhnung

neuen Wissens und alter Weisheit in der Seelenheilkunde

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2015 by Ennsthaler Verlag, Steyr

Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich

Umschlaggestaltung: Thomas Traxl

E-Book-Herstellung: www.zeilenwert.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Erklärung

Vorwort

1.Einführung

2.»Ideologie ist Ordnung auf Kosten des Weiterdenkens.« (Friedrich Dürrenmatt)

3.Was sagen dazu die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie?

4.Die zweite große Erkenntnisquelle: Intuition – die Weisheit des Unbewussten

5.Schamanische Weltsicht und Heilpraxis

6.Westliche Psychotherapie und traditionelle Heilverfahren haben trotz Unterschieden viele Gemeinsamkeiten

7.Paradigmenwechsel: Wissen und Weisheit

8.Ist Spiritualität wissenschaftlich erforschbar?

9.Selbstaufklärung der Aufklärung?

10.Zeichen der Hoffnung

Kurzfassung der Hauptargumente gegen den Reduktionismus der »Richtlinie zur Frage der Abgrenzung der Psychotherapie von esoterischen, spirituellen und religiösen Methoden«

Nachwort von Ao. Univ.-Prof. Dr. med. Wolfgang Marktl, Präsident der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin

Literaturverzeichnis

Über den Autor

Weiters im Ennsthaler Verlag erschienen

Erklärung

Der Anlass für dieses Buch: Das österreichische Gesundheitsministerium zwingt Psychotherapeuten zur Täuschung der PatientInnen. Nach einer neuen Richtlinie müssen PsychotherapeutInnen in ihren Aussendungen verheimlichen, wenn sie auch transpersonale Verfahren, z.B. schamanische Heilarbeit, anwenden, weil diese »nicht wissenschaftlich« sei.

Die erklärte Absicht des Gesundheitsministeriums war gut: Man wollte »wahrheitswidrige, fachfremde, irreführende oder marktschreierische Werbung« unterbinden und erstellte dazu die Richtlinie für PsychotherapeutInnen über das Verhalten in der Öffentlichkeit (Werberichtlinie) vom 14.12.2010: http://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/7/0/5/CH1002/CMS1415709133783/werberichtlinie.pdf

Und in der Richtlinie für PsychotherapeutInnen zur Frage der Abgrenzung der Psychotherapie von esoterischen, spirituellen und religiösen Methoden vom 17.6.2014: http://www.bmg.gv.at/​cms/​home/​attachments/​7/​0/​5/​CH1002/​CMS1415709133783/​richtlinieabgrenzungesoterik.pdf sollte Psychotherapie abgegrenzt werden von fragwürdigen esoterischen Angeboten. Auch sollte unterbunden werden, dass PsychotherapeutInnen ihre Vertrauensstellung missbrauchen, indem sie gegen den Willen ihrer PatientInnen persönliche Weltanschauungen in die Therapie einbringen. Wer eine Psychotherapie sucht, soll auch eine bekommen.

Leider wurde man diesen berechtigten Anliegen nicht gerecht.

Soviel Technik und Wissenschaft in die Psychotherapieeingehen mögen, irgendwie und letzten Endes basiert sie weniger auf Technik als auf Kunst und weniger auf Wissenschaft als auf Weisheit.

(Viktor E. FRANKL)

Vorwort

Warum ich diese Streitschrift verfasst habe: Ich will mich nicht damit abfinden, dass ich am Ende meines Arbeitslebens – ich bin 72 und war immer begeisterter Psychotherapeut – nun Zeitzeuge der Zerstörung einer so hilfreichen Heilmethode werden soll! Denn was bleibt über, wenn nur noch das Mess- und Zählbare als Psychotherapie gelten soll, die hohen Schnittmengen mit transpersonalen Heilmethoden, die unberechenbare Kunst zu therapieren und die schwer fassbare Intuition – die in der ganzen Geschichte der Menschheit als spirituelle Fähigkeit galt, als »unwissenschaftlich« abgetan und verachtet wird?

Man hat den Eindruck, als sähen die VerfasserInnen der Richtlinie ihre Mission darin, die Fackel der Vernunft und Aufklärung in die dunkle Welt von Unwissenheit und Aberglauben zu tragen. Darum wollen sie auch nicht ihre tumben KollegInnen in die Diskussion mit einbeziehen, sondern bevorzugen ausschließlich elitäre Geheimverhandlungen. – Distanz, das wissen wir aus der Sozialpsychologie, ist für Machtausübung wesentlich. Ob bewusst oder unbewusst, nehmen die Autoren in der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Wissenschaftsauffassungen Partei für den Materialismus, Neopositivismus und Rationalismus.

Es kann ihnen aber nicht gelingen, uns spirituelle Psychotherapeuten als ein kleines Grüppchen von Exzentrikern abzutun. Deshalb bringt diese Streitschrift Argumente von verschiedensten Seiten, die deutlich machen – egal, ob man es philosophisch, erkenntniskritisch, wissenschaftstheoretisch, konstruktivistisch, religiös oder spirituell, z.B. schamanisch, auffasst, – dass die materialistische und positivistische Sicht des Menschen zu kurz greift. (Der Positivismus ist eine philosophische Richtung, die nur Aussagen gelten lässt, die auf »positiven«, d. i. faktischen, Befunden der Mathematik, der Logik oder von Experimenten beruhen. Alles Transzendente wird ausgeschlossen. Er geht zurück auf Auguste Comte, † 1857).

Alle durch Kapitälchen hervorgehobenen Namen verweisen auf das Literaturverzeichnis im Anhang. Internetadressen bzw. Links sind manchen Zitaten direkt angefügt.

Ich hoffe, die Fülle an Zitaten erschlägt Sie nicht, sondern macht Ihnen Lust, sich näher mit einzelnen Themen zu befassen. Einiges dazu finden Sie auch in meinem Buch »Der Heilungsweg des Schamanen – im Lichte westlicher Psychotherapie und christlicher Überlieferung«, das 2014, aktualisiert und erweitert, bei Ennsthaler in Steyr neu aufgelegt wurde (Erstauflage 2007).

August Thalhamer

Linz, am 1. Juli 2015

Und diejenigen,

die tanzend gesehen wurden,

wurden von denen für verrückt gehalten,

die die Musik nicht hören konnten.

(Friedrich NIETZSCHE)

1. Einführung

Die ursprüngliche Absicht war gut: Man wollte Psychotherapie abgrenzen gegen fragwürdige esoterische Angebote. Wer möchte schon mit Scientologen und Seelenverkäufern in einen Topf geworfen werden? Aber man hat es nicht so formuliert, sondern pauschal und undifferenziert jede Form von religiöser oder spiritueller Behandlung ausgegrenzt.

Es gibt in Österreich viele Psychologen und Psychotherapeuten, die außer westlichen Psychotherapierichtungen auch spirituelle und transpersonale Methoden in der Behandlung ihrer PatientInnen anwenden, z.B. Holotropes Atmen, Psychosynthese, Initiatische Therapie, Meditation und achtsamkeitsbasierte Verfahren, Silva Mind Control, Enneagramm-Arbeit, Breema, Energiearbeit, Cranio-Sacral-Therapie und ähnliche Formen der Körperarbeit sowie Tanztherapie, Yoga, Tai Chi und Chi Gong, schamanische Heilarbeit, Handauflegen, Reiki, Kinesiologie, Touch for Health, Strömen etc. Ich veranstalte beispielsweise außer psychotherapeutischen, auch schamanische und christliche Heilseminare und Meditationswochen in der Wüste.

Jeder im westlichen Kulturkreis sozialisierte Mensch, der sich mit Spiritualität befasst, muss sich – schon um innere Konflikte zu vermeiden – mit der Frage auseinandersetzen, wie die erstaunlichen spirituellen Erfahrungen und Heilwirkungen mit Aufklärung und Rationalität in Einklang gebracht werden könnten, auch, wie moderne Psychologie und Psychotherapie mit transpersonalen Erfahrungen zusammenpassen könnten: Wie seriös mit dieser Vielfalt von Sichtweisen umgehen, ohne sie reduktionistisch der Rationalität zu unterwerfen?

William James († 1910), C. G. Jung († 1961), Jean Gebser († 1973) oder Stanislav Grof und viele andere waren bestrebt, Antworten zu finden. Internationale Konferenzen, wie z.B. in Tucson/​Arizona, die sich seit Jahren um eine wissenschaftlich-integrative Erforschung von Bewusstseinsphänomenen bemühen, werden zunehmend beachtet und tragen wesentlich zur Bildung von interdisziplinären Forschungsvorhaben auf diesem Gebiet bei.

Bedauerlicherweise haben sich die Autoren der Richtlinie augenscheinlich noch nicht mit diesem wissenschaftlichen Forschungsgebiet befasst oder ignorieren es, sonst würden sie nicht weiter auf einer klaren Trennung von Wissenschaft und Spiritualität bestehen können. Sie wissen anscheinend nichts von den therapeutischen Möglichkeiten seriöser spiritueller Therapie und dass im Vergleich dazu PsychotherapeutInnen, die die transbiografischen Quellen der Psychopathologie nicht anerkennen, nur oberflächliche und bruchstückhafte Modelle der Psyche vertreten.

Obwohl z.B. dem Schamanismus seit 1980 von der Weltgesundheitsorganisation in der Behandlung von psychosomatischen Krankheiten dieselbe Bedeutung zuerkannt wird wie der westlichen Medizin und eine WHO-Studie (1979) ausweist, dass die Therapieerfolge in Ländern der Dritten Welt bei Schizophrenien sogar besser sind als in Westeuropa, darf ein Psychotherapeut in Österreich laut »Richtlinie« des Gesundheitsministeriums spirituelle Heilformen zwar praktizieren, muss das aber auf seiner Website verschweigen und es auf einer eigenen zweiten Website versteckt anbieten, die er nicht einmal mit der ersten verlinken darf. Dass die WHO die Regierungen auffordert, schamanische Heilverfahren zu erforschen und in die nationalen Gesundheitssysteme zu integrieren, wird in Österreich ignoriert.

Man muss sogar geheim halten, dass man darüber forscht oder entsprechende Fortbildungen hält. So ist man gezwungen, bei der Bekanntgabe seiner Angebote die InteressentInnen hinters Licht zu führen und muss so tun, als ob man nur Psychotherapeut wäre und nicht auch komplementäre Heilmethoden anwendete. Und umgekehrt: Auf der spirituellen Homepage darf der Psychotherapeut nicht erwähnen, einer zu sein, und muss so tun, als hätte er nicht studiert und würde westliche Wissenschaft geringschätzen.

Viele meiner KollegInnen und ich finden genau diesen Zwang zur Intransparenz ethisch problematisch, es stellt unsere Vertrauenswürdigkeit in Frage. Gerade das ist kein verantwortungsvoller Umgang, wie er unserem Berufskodex, unseren Aufklärungs- und besonderen Sorgfaltspflichten entsprechen würde.

Als die Juristin des Ministeriums betonte, wie wichtig es für einen Patienten sei, zu wissen, mit wem man es zu tun und mit welchen Verfahren man zu rechnen habe, konnte ich ihr nur vollinhaltlich zustimmen. Aber genau das verhindert ja die Richtlinie. Gerade im Sinne von Offenheit und Transparenz, sollte ein potentieller Kunde oder Patient wissen, dass er es hier mit einem Psychotherapeuten zu tun hat, der auch spirituelle Verfahren schätzt und anbietet. Manche kommen genau aus diesem Grund zu ihm, andere genau aus diesem Grund nicht. Und das ist gut so (vgl. Katharina Prammer: »Glaube und Spiritualität bei theologischen Psychotherapeuten«, Diplomarbeit an der Theologischen Fakultät der Universität Wien, 2005).

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen

aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.

Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes

ohne Leitung eines anderen zu bedienen.

(Immanuel KANT)

So gesehen, widerspricht ausgerechnet diese Richtlinie der Aufklärung, weil sie die Mündigkeit derer nicht würdigt, auf einer Homepage das für sie beste Angebot zu wählen und weil deren Verfasser in ihrem Tunnelblick auf esoterische Fehlentwicklungen und in ihrer pauschalen Abwertung ausgerechnet auch die spirituellen Richtungen ausgrenzen, welche dezidiert die Patienten lehren, sich auf ihre innere Stimme zu verlassen (das ist die Bedeutung des Wortes »Esoterik«).

Zu Recht bekämpft Kant 1784 in seiner »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?«: »Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen.« – Das macht ja für mich die Richtlinie, möchte man ergänzen.

»Schon eine Studie aus den siebziger Jahren mit Heilern aus verschiedenen Kulturen, Schamanen und Psychotherapeuten zeigte, dass für einenerfolgreichen Beratungs- und Heilungsprozess ein gemeinsames Weltbild zwischen Behandler und Ratsuchendem entscheidend ist. Da dieser unspezifische psychotherapeutische Wirkfaktor allgemein anerkannt ist und insbesondere durch amerikanische Studien belegt ist, liege es nahe, dass jeder Therapeut die menschenbildabhängigen Voraussetzungen seiner Behandlung reflektiert und dokumentiert. Diese zusätzliche Information für den Klienten könne seine Therapeutenwahl positiv beeinflussen, da ein ähnliches Weltbild von Psychotherapeut und Klient die Behandlung vereinfache«, schreibt Ulrike HUNDT (2007) über die Arbeitsweise ganzheitlicher Psychotherapeuten in »Spirituelle Wirkprinzipien in der Psychotherapie«.

Hundt bezieht sich dabei auch auf die Arbeiten von Jerome D. FRANK (1987) »Die Heiler – Über psychotherapeutische Wirkungsweisen vom Schamanismus bis zu den modernen Therapien« und »Contemporary Psychoanalysis and Religion: Transference and Transcendence« von James W. JONES (1994).

Eine zweite sehr ernstzunehmende Begründung für die Richtlinie liegt darin, man will verhindern oder wenigstens eindämmen, dass spirituelle Psychotherapeuten die therapeutische Beziehung ausnützen und missbrauchen, um ihren PatientInnen die eigene Weltanschauung aufzudrängen, denen sich diese aufgrund ihrer Abhängigkeit während der Therapie und/​oder ihrer psychischen Störung schwer entziehen können.

Richard P. SLOAN (2008) schreibt in seinem Buch »Blind Faith: The Unholy Alliance of Religion and Medicine« gegen Intelligent-Design-Aktivisten und militante Abtreibungsgegner und kritisiert zu Recht Indoktrinationen wie diese: »The surgeon ›asks‹ if it’s ›okay‹ to say a prayer when patients are gowned and on the gurney ready to go into surgery. Put yourself in the patient’s position. Would you feel free to say no to a physician dressed in surgical scrubs who is about to have your medical future in his hands, who is about to take a scalpel to your body? He could simply pray for his patients and do so in private.«

Auch darauf geht Hundt ein und warnt vor Manipulation und der Gefahr eines Missbrauchs der religiösen oder spirituellen Überlegenheit des Therapeuten aufgrund seiner Doppelrolle. Diese Gefahr besteht nicht, wenn der Psychotherapeut respektvoll ist und eine ökumenische Haltung hat, wohl aber, wenn er eine bestimmte Konfession vertritt oder – fundamentalistisch – ausschließlich eine spirituelle Tradition für richtig findet und diese den PatientInnen aufs Aug’ drücken will. Die in den Richtlinien der American Psychological Association geforderte multikulturelle Offenheit und Kompetenz müsse auch den religiösen Bereich einschließen, fordern RICHARDS/​BEGIN (1997) in »A spiritual strategy for counseling and psychotherapy«.

Auch wir spirituellen Psychotherapeuten wollen uns von fundamentalistischen religiösen oder spirituellen Strömungen mit ihrem Absolutheitsanspruch abgrenzen, die wir in ihrer Engstirnigkeit genauso ablehnen, wie den materialistischen Fundamentalismus der Richtlinie.

»In den Beschwerde- und Ethikstellen der Landesverbände des ÖBVP mehren sich in den letzten Jahren die Beschwerden und Anfragen von PatientInnen, die sich einem direkten, öfter aber einem subtilen Druck durch PsychotherapeutInnen ausgesetzt fühlen, spirituellen oder esoterischen Glaubensinhalten zu folgen«, schreibt Susanne FREI (2012) in den News des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie und will dies durch eine klare Abgrenzung verhindern.

Leider kann aber auch dieses wichtige Ziel durch Richtlinien nicht erreicht werden, denn, die das bisher taten, werden es auch weiterhin tun, und es bleibt wohl keine andere Möglichkeit, als Beschwerden in jedem einzelnen Fall zu überprüfen und aufzugreifen. Aber wieso sollte alleine durch die Bekanntgabe spiritueller Angebote ein Patient zu einer religiösen Weltanschauung gedrängt werden, wie die Befürworter der Richtlinie behaupten?

Die Alternative wäre eine Generalverdächtigung jedes Psychotherapeuten, der auch spirituelle, religiöse oder esoterische Heilverfahren anbietet. – Und genau dies macht die Richtlinie. Noch dazu mit der höchst fragwürdigen Begründung der Wissenschaftlichkeit (s. dazu Kap. 3 über Wissenschaftstheorie). – Mit Kanonen auf Spatzen schießen?

Frei outet sich und ihre KollegInnen darüber hinaus in dem Text als VertreterInnen einer materialistischen Psychotherapie, wenn sie z.B. schreibt: »Wir hoffen, dass der Esoterikboom und der zur Zeit sehr moderne Trend, sich mit spirituellen Zusatzangeboten auf dem Psychotherapiemarkt zu positionieren, wieder abnehmen und einem sachlichen wissenschaftlichen Diskurs über diese Themen innerhalb der KollegInnenschaft Platz machen.«

Sie merken nicht, dass sie dabei die hohe Schnittmenge psychotherapeutischer und spiritueller Verfahren außer Acht lassen (s. Kap. 6), und dass genau dieser Diskurs nicht stattfindet, vielmehr sogar unterbunden wird: Z. B. werden wissenschaftliche Arbeiten, die eine von ihrer dogmatischen Lehrmeinung abweichende Position vertreten, vom Psychotherapie-Forum des ÖBVP gar nicht angenommen. Und das Ministerium verbietet sich (auch in einem Mail an mich vom 17.4.2015) ausdrücklich »eine breite und fachübergreifende Diskussion der Richtlinie«, weil das bei Richtlinien nie gemacht würde. Man möchte anfügen: Das kennt man ihnen auch oft an.

Und sie merken nicht, dass sie in ihrem Übereifer genau das tun, was sie den spirituellen Therapeuten vorwerfen, nämlich ihre Weltanschauung ungefragt allen anderen aufzuzwingen. Genau das tut nämlich die Richtlinie. Die Autoren machen ihre privaten Auffassungen zur Richtlinie und können KollegInnen anderer Weltsicht sogar mit Berufsverbot bedrohen.

Ich frage viel mehr danach,

was ist nützlich für meine Klienten.

Ich will ihnen keine Ordnung aufdrängen,

sondern Möglichkeiten und Alternativen des

Denkens und Handelns anbieten.

(Gunthard WEBER)

Zudem höre ich, dass ein erklecklicher Anteil der Beschwerden von einer Frau aus der Steiermark kommt, die – angeblich nach schlechten Erfahrungen ihrer Schwester – systematisch Aussendungen und Homepages von Psychotherapeuten und Institutionen nach spirituellen Angeboten durchsucht und diese dann anzeigt. Kann man QuerulantInnen von echten Betroffenen nicht unterscheiden?

Auch ich selbst erhielt eine geharnischte Mahnung des Präsidiums des Bundesverbandes für Psychotherapie (das wir gewählt haben und bezahlen, um unsere Interessen zu vertreten!) bezüglich einer Fortbildung für Psychologen in Graz mit dem Titel »Wo sich Schamanismus und Psychologie treffen« (meinem Forschungsgebiet) – wegen »Irreführung der KonsumentInnen«, »irreführender Geschäftspraktiken«, »Nichteinhaltung einer klaren Trennung von Esoterik, religiösen, spirituellen Angeboten und Ihren psychotherapeutischen Angeboten«, unter Androhung der »Austragung aus der PsychotherapeutInnenliste des BMG«.

Als Brückenbauer gerät man häufig zwischen alle Stühle: So wurde von reaktionären kirchlichen Kreisen (vergeblich) versucht, mich aus kirchlichen Bildungshäusern fernzuhalten, IdeologInnen aus der Psychologen- und Psychotherapeutenszene, die sich noch dazu »wissenschaftlich« geben, wollen nun sogar die Forschung unterbinden und gelegentlich treffe ich SchamanInnen, die schamanische Heilbehandlungen für die einzig wirksamen und seriösen halten und Psychotherapie geringschätzen. Wie man sieht: Engstirnigkeit ist kein Privateigentum derer, die nur die Ratio gelten lassen wollen.

Ich habe keine besondere Begabung,

sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.

(Albert EINSTEIN, Brief 1952)

Hartmut MEESMANN (2015) in »Das verzauberte Leben – Spirituelle Menschen und das ›Mehr‹ des Alltags – eine Herausforderung für Theologie und Glauben«:

»Auch die Kirchen sind gegenüber dem Megatrend Spiritualität eher misstrauisch. Nicht nur, weil sie – durchaus zu Recht – die Gefahr des narzisstischen Um-sich-selbst-Kreisens sehen, sondern auch, weil sie spüren, dass die Menschen sich der kirchlichen Kontrolle längst entzogen haben, weil und indem sie eigene religiöse Wege gehen. Umgekehrt hat der Begriff ›Spiritualität‹auch deshalb heute Konjunktur, weil Religion in ihrer institutionalisierten Form inzwischen vielfach negativ gesehen wird: als Ausdruck dogmatischer und hierarchischer Bevormundung, noch dazu mit einer antiemanzipatorischen Stoßrichtung. Spiritualität verdrängt zunehmend die Religion.«

Friedrich INGWERSEN (2015), der Leiter der Fachklinik für Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik in Bad Zwischenahn, schreibt in »Über den Umgang mit ›Spiritualität‹ in der Psychotherapie«:

»Vielen Menschen scheint jetzt die Unterwerfung unter ein dogmatisches System – zum Beispiel eine traditionelle Religion – eine gute Lösung zu bieten. Bei solchen modernen Menschen, die eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, ist dies in der Regel keine Option. Für diese Menschen bietet inmitten ihrer Hoffnungslosigkeit eine ›säkularisierte spirituelle Haltung‹ Chancen auf eine Stressreduktion im Jetzt und Auswege in die Zukunft.«

Allerdings gibt es erfreulicherweise auch in den Kirchen Bewegung und die alte Devise »Hände falten, Gosch’n halten« wird vom Kirchenvolk wie von Theologen zunehmend als antiquiert angesehen, selbst vom jetzigen Papst Franziskus, wenn er aufmüpfige US-Nonnen für ihre engagierte Glaubensverkündigung lobt oder (s. Arntz, 2013) in einem Gespräch mit der Leitung des Verbandes aller Frauen- und Männerorden in Lateinamerika und der Karibik diese rehabilitierte und aufforderte: »Ihr werdet Fehler machen, Ihr werdet anderen auf die Füße treten. Das passiert. Vielleicht wird sogar ein Brief der Glaubenskongregation bei Euch eintreffen, in dem es heißt, dass Ihr dies oder jenes gesagt hättet. … Macht Euch darüber keine Sorgen. Erklärt, wo Ihr meint erklären zu müssen, aber macht weiter. … Macht die Türen auf!«

»Mit dem Bekenntnis zur Religionsfreiheit hat die katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil die Schwarz-Weiß-Logik aufgegeben und ihre Haltung der Intoleranz als Irrweg bezeichnet. Die Weigerung, solche religionspolitischen Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen, ist gefährlich. Sie ebnet dem gewaltversessenen Fundamentalismus den Weg. Den Intellektuellen unter den ›Österreicherinnen und Österreichern ohne Bekenntnis‹ würde ein ›Update‹ ihres Wissens in Sachen Religion guttun.«, schreibt der katholische Theologe Józef NIEWIADOMSKI (2015) in seinem Kommentar »Religionskritik: Unterscheiden statt polemisieren«. – Am ungeniertesten wertet man ab, was man gar nicht kennt.

Bei einem Denker sollte man nicht fragen: welchen Standpunkt nimmt er ein, sondern: wie viele Standpunkte nimmt er ein? Mit anderen Worten: hat er einen geräumigen Denkapparat oder leidet er an Platzmangel, das heißt: an einem System.

(Egon FRIEDELL)

»Eine empirische Psychologie der Spiritualität«, schreibt Anton A. BUCHER (2014), »steht vor einer grundsätzlichen Schwierigkeit: sowohl von spirituellen Menschen als auch von akademischen Psychologen ernst genommen zu werden.« Denn Widerstand gibt es von beiden Seiten.

Dass in einer demokratischen Gesellschaft ein Beirat in Geheimverhandlungen ohne jede öffentliche Auseinandersetzung, z.B. im Psychologen- und im Psychotherapeutenverband, über die Köpfe hunderter PsychotherapeutInnen und tausender KlientInnen hinweg Richtlinien erlassen kann, zu deren Einhaltung jede/​r gezwungen wird – sogar mit Androhung hoher Strafen und der Streichung aus der Therapeutenliste, ist unglaublich.

Sie können ja ohneweiters bei ihren Auffassungen bleiben – es gibt auch Argumente, die für ihre Position sprechen –, aber warum müssen sie die gesamte Psychotherapie in Österreich in das enge reduktionistische Korsett zwängen? Statt einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung die rechtliche Keule? Lieber diktieren statt diskutieren? Wo bleibt die Stärke unserer westlichen Kultur, Unerklärliches zu erforschen und verblüffende Erfahrungen wissenschaftlich zu untersuchen? Denn Unwissenheit oder mangelnde Kenntnis ist doch die Ausgangslage und Triebfeder jeder Wissenschaft.

Nicht, dass man sich nicht einfühlen könnte: Das Festhalten an dem Bekannten gibt einem Sicherheit und die Angst vor Neuem gehört zu Fritz Riemanns Grundformen der Angst. Wie lange dauerte der Widerstand des damaligen wissenschaftlichen Mainstreams gegen die Entdeckung des Umlaufs der Erde um die Sonne! – Ich halte den Vergleich nicht für übertrieben.

Das Leben gehört den Lebendigen an,

und wer lebt, muß auf Wechsel gefaßt sein.

(GOETHE, »Wilhelm Meisters Wanderjahre«)

Die Zielsetzung der Richtlinie ist, wie behauptet wird, eine klare Trennung der Disziplinen zu erreichen und eine Verwechslung der Methoden hintanzuhalten. Mir ist aber keine einzige Aussendung oder Homepage eines Psychotherapeuten bekannt, der spirituelle Heilverfahren als psychotherapeutische ausgegeben hätte.

Skurril, entlarvend und regelrecht amüsant sind manche Begründungen, die für die Wichtigkeit der Ausgrenzungs-Richtlinie gebracht werden. Einer der strengen Befürworter schrieb mir: »Wenn ein Patient über seine Schuldgefühle spricht und ein katholischer Psychotherapeut (mit Priesterweihe) sagt ihm: dann beichten Sie jetzt bei mir und Ihre Schuld ist Ihnen vergeben – das wäre aus meiner Sicht nicht korrekt und keine Psychotherapie mehr – da gehört therapeutische Abstinenz gepflogen … Ich finde es unpassend, wenn ein Psychotherapeut innerhalb einer Psychotherapie Massagetechniken anbietet oder Handauflegungsrituale anbietet – das ist nicht Psychotherapie!« Ja, wer behauptet denn das? Ich arbeite schon über vierzig Jahre als Psychotherapeut und habe noch nie gehört, dass komplementäre Heilmethoden dem Patienten gegenüber als Psychotherapie ausgegeben worden wären.

Genau diese Pauschalverdächtigung und dieses umfassende Misstrauen nervt so an dieser Richtlinie und ihren VertreterInnen. Als hätten wir spirituellen Therapeuten keine Ahnung von seriösem psychotherapeutischen Vorgehen und wollten unseren Klienten unsere privaten Ansichten aufzwingen. Man wünscht sich nichts sehnlicher, als von diesen Kleingeistern in Ruhe gelassen zu werden. Denn es ist beleidigend, dass wir wie Sekten-Werber behandelt werden.

Offensichtlich geht es, wie UTSCH/​BONELLI/​PFEIFER (2014) aufzeigen, um die viele Jahrzehnte dauernde und längst überholte Tabuisierung »des Glaubens und Hoffens, der religiösen Überzeugungen und spirituellen Praxis in der Psychotherapie«.

Es geht um einen Kulturkampf. Ginge es tatsächlich um Abgrenzung von unseriösen esoterischen Angeboten und der Beeinflussung von Patienten gegen ihren Willen, hätte man das auch dementsprechend formulieren können. Aber die pauschale und undifferenzierte Ausgrenzung zeigt auf, dass es den Verfassern dieser Richtlinie – wie Susanne Frei ja offen zugibt (s. o.) – um einen Kulturkampf (Materialismus und Positivismus gegen Spiritualität und Religion) geht –, noch dazu mit der Begründung der fehlenden Wissenschaftlichkeit, was jeden, der sich mit Wissenschaftstheorie befasst, verwundert, weshalb sich die AutorInnen nicht genauer mit der Materie auseinandergesetzt haben (s. Kap. 3 über Wissenschaftstheorien).

Die Richtlinie ist ähnlich ausgerichtet wie die Pauschalabwertung von Johannes FISCHLER (2013), die schon im Buchtitel zum Ausdruck kommt: »New Cage: Esoterik 2.0. Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt«. Er verwendet Auswüchse und Karikaturen von Esoterik, die auch wir äußerst bedenklich finden und bekämpfen; zugleich stellt er Spiritualität insgesamt als weltabgewandt und geldgierig hin. Meine Beurteilung als Psychologe und spiritueller Lehrer: Es ist ein wichtiges Buch gegen den um sich greifenden Wildwuchs in der esoterischen Szene, dabei ohne die notwendige Würdigung der spirituellen Dimension des Menschen, der vielen seriösen religiösen und spirituellen Richtungen und jener Fakten, die wir nicht erklären können.

Dabei gibt es z.B. eine Kultgefährdungsskala von Isaac BONEWITS (1989), veröffentlicht in seinem Buch »Real Magic: An Introductory Treatise on the Basic Principles of Yellow Magic«, auf der, auf einer Skala bis 10, z.B. bei Scientologen ein Wert von 8,7 gemessen wurde, wohingegen der Neopaganismus mit 2,1 als ungefährlich eingestuft wurde.

Es ist angemessen, dass sich die Psychologie und Psychotherapie von Scharlatanen aus der Esoterikszene abgrenzen wollen. Aber kann oder will man seriöse und psychotherapeutisch höchst wirksame Spiritualität nicht unterscheiden, z.B. von Scientologen, die abhängig machen, und anderen, denen es offensichtlich tatsächlich vor allem ums Geld geht? Es müsste doch möglich sein, eine Richtlinie zu formulieren, die sich von unseriösen Angeboten abgrenzt, ohne pauschal jede spirituelle Behandlung – mit der fragwürdigen Begründung der »Unwissenschaftlichkeit« – auf eine zweite Website zu verbannen.

Dabei wäre es höchst sinnvoll, wie Michael UTSCH fordert, »Glaube, Religion und Spiritualität in ihren krankmachenden und gesundheitsförderlichen Auswirkungen besser zu verstehen und professioneller in psychosoziale Beratung und Psychotherapie einzubinden«, wozu die Autoren von »Psychotherapie und Spiritualität« einen wichtigen Beitrag leisten.

Das Bedürfnis nach Ausgrenzung hat in der Wissenschaft Geschichte (s. ZANKL, 2010).

Als der junge Meteorologie Alfred Wegener 1912 seine Theorie der Kontinentaldrift vorstellte, waren die Reaktionen: »Phantasiegebilde, bloße Gedankenspielerei, völliger Blödsinn«. Erst ein halbes Jahrhundert später fand sein Modell allgemeine Anerkennung. Ähnliche Beispiele gibt es viele, auch in der Medizin, wo z.B. Ignaz Philipp Semmelweis († 1865) erleben musste, dass seine Hygienevorschriften zu seinen Lebzeiten als »spekulativer Unfug« abgelehnt wurden, weil sie als mit den damals geltenden Theorien über Krankheitsursachen unvereinbar angesehen wurden. Ähnlich ging man gegen Wilhelm Reich († 1957) vor, der das gerichtliche Verbot der Verwendung seiner Orgon-Akkumulatoren missachtete, da es sich um eine wissenschaftliche Frage handle, die nicht von einem Gericht zu klären sei, deshalb in Haft kam, wo er auch starb, und dessen Bücher in den USA verbrannt wurden, wenn in ihnen das Wort »Orgon« vorkam.

Das Außerordentliche geschieht nicht

auf glattem, gewöhnlichem Wege.

(GOETHE, »Wahlverwandtschaften«)

Bis in die 1970er-Jahre hatten in Österreich die Ärzte das Monopol auf Psychotherapie. Obwohl – abgesehen von den wenigen, die zugleich Psychoanalytiker waren – keiner eine entsprechende Ausbildung hatte! Wohingegen sich ausgebildete Psychotherapeuten nicht als solche bezeichnen durften, da sie sonst geklagt wurden, was auch tatsächlich passierte. In der Folge versuchten universitär ausgebildete Psychologen vergeblich das Monopol auf ihren Berufsstand auszuweiten und nicht-akademische Psychotherapeuten auszuschließen. Woraufhin das wohl weltweit beste Psychotherapiegesetz verabschiedet wurde, das sowohl viele Psychotherapierichtungen akzeptierte als auch Nichtakademikern Zutritt gewährte.

Es ist schon verständlich, dass die Psychotherapie – nach wie vor argwöhnisch beäugt von anderen Mitbewerbern auf dem Gesundheitsmarkt – vor allem von manchen Ärzten und ihren Vertretungen, wie auch weiterhin von manchen Psychologen und ihrer Standesvertretung, nicht als unseriöse esoterische Disziplin abgewertet werden will, noch dazu, wo es in Österreich noch immer keinen Gesamtvertrag mit den Krankenkassen gibt. Auf der anderen Seite drängen Lebens- und Sozialberater und Energetiker auf den Markt, von denen man sich ganz besonders als »wissenschaftlich« abgrenzen will.

So versucht man, mit den genannten Richtlinien das Monopol gegen alle anderen psychotherapeutisch höchst wirksamen Methoden abzusichern, indem man sie mit fragwürdigen esoterischen Praktiken in einen Topf wirft. Dennoch wäre es ein Verrat an der Psychotherapie und ihrem Wesen, sollten wir uns dem neopositivistischen Druck beugen und alle naturwissenschaftlich schwer fassbaren spirituellen Elemente entfernen, umbenennen oder ausgrenzen müssen.

Und das, obwohl (weil?), nach Ezard Ernst, etwa zwei Drittel der Bevölkerung, in Abwendung von doktrinären Lehren und dem Regelwerk akademischer Heilverfahren, zusätzlich oder teilweise primär alternative Möglichkeiten nutzen.

»Was den Menschen an Möglichkeiten ausmacht, ist jedoch mehr als die doktrinal gefestigten Institutionen ihnen zutrauen«, ist nicht nur für Eckhart R. STRAUBE (2005) selbstverständlich, der sich in »Heilsamer Zauber – Psychologie eines neuen Trends« aus der Sicht eines Klinischen und Religions-Psychologen mit Heilmethoden außerhalb des kirchlichen, medizinischen und psychologischen Spektrums befasst:

›Charme‹ bedeutete ursprünglich ›bezaubern‹

bzw. ›Gesang, Spruch, Zauberformel‹.

»Bezaubernd« ist aber kein Wort, das westliche Medizin adäquat kennzeichnete. Auch nicht, wenn vielleicht einzelne PsychoanalytikerInnen oder VerhaltenstherapeutInnen Probleme auf rein rationaler Ebene auflösen wollten. Da fühlte sich der Hilfesuchende um Dimensionen verkürzt und nicht in seiner Ganzheit angenommen. Der Ethnologe Andreas OBRECHT (1999) spricht von der »rituellen Vereinsamung des Menschen«. Der Schriftsteller Martin WALSER drückte es 1988 so aus: »Ich bin an den Sonntag gebunden/​wie an eine Melodie,/​ich habe keine andere gefunden,/​ich glaube nichts und ich knie.«

Selbst der unerschütterliche Vertreter der Aufklärung, namentlich der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, Jürgen HABERMAS (2007) konstatierte »ein Bewusstsein von dem, was fehlt« in seinem Beitrag »Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft«. Er beginnt den Text mit einer Erinnerung an die Totenfeier des Agnostikers Max Frisch, der zwar jedes Glaubensbekenntnis verweigert hatte, aber doch – wenn auch »ohne Amen« – in einer Kirche aufgebahrt werden wollte. Ohne Religion fehle etwas. Die aufgeklärte Moderne habe kein angemessenes Äquivalent.

Hängt die fanatische Abgrenzung in der Richtlinie – nach dem gruppendynamischen Muster der Selbstaufwertung durch Abwertung der anderen – auch damit zusammen, dass die Psychotherapie selbst, wie z.B. Soziologie und Theologie, nicht von allen als Wissenschaft anerkannt wird? (s. z.B. PERREZ, 1972: »Ist die Psychoanalyse eine Wissenschaft?«)

Der Kern- und Atomphysiker Helmut Paul über Psychotherapie in einem Mail an den Autor vom 8.8.2014:

»Für mich bedeutet naturwissenschaftliche Forschung jedenfalls über die methodische Suche nach neuen Erkenntnissen sowie ihre systematische Dokumentation und Veröffentlichung in Form von wissenschaftlichen Arbeiten hinaus die Verwendung interpersonell wiederholbarer Experimente.

Wenn eine psychotherapeutische Methode bei jedem Klienten/​Therapeuten ganz andere Ergebnisse bringt, kann man sie wohl kaum als ›wissenschaftlich belegt‹ bezeichnen … Für den Klienten ist natürlich die Empathie des Therapeuten wichtig, aber nicht die Wissenschaftlichkeit seiner Methode.«

Es ist erstaunlich, dass die PsychoanalytikerInnen im Psychotherapiebeirat – sich jeder Diskussion verweigernd – offensichtlich noch an dem veralteten mechanistisch-materialistischen Menschenbild festhalten, das Sigmund Freud die längste Zeit vertreten hatte. Der selbstkritische Analytiker Wolfgang SCHMIDBAUER (1985) schreibt dazu in seinem Beitrag »Der Psychoanalytiker und das Irrationale«: »Unter den Wissenschaftlern ist der Analytiker vielleicht der einzige, der zum Irrationalen eine berufliche Beziehung pflegt. Er verbannt es nicht aus seinen Überlegungen zugunsten eines Ideals rationaler Wiederholbarkeit seiner Ergebnisse. Diese Haltung ist erst allmählich im Lauf der Entwicklung der Analyse entstanden.«

Und er betont, dass Begriffe wie »Neurose« oder »Therapie« ad absurdum geführt werden, »wenn sie durch ihre positivistische Versachlichung ein Wissen und eine feste Gestalt vortäuschen, die sie gar nicht haben … Die Analyse ist keine medizinische Technik, die zu voraussagbaren Ergebnissen führt. Gerade das macht sie vertrauenswürdig, denn mit Techniken, die zu voraussagbaren Ergebnissen führen, haben wir bereits wirklich unheimliche Erfolge in der Zerstörung dieses Planeten erzielt.«

Um den Wissenschaftsbegriff in der Psychotherapie toben auch in Deutschland heftige Auseinandersetzungen, weil sich, wie in Österreich, die Rationalisten durchgesetzt haben, sodass für die Zulassung und Anerkennung eines Psychotherapieverfahrens das Kriterium »wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren« in das Psychotherapeuten-Gesetz aufgenommen wurde.

Meines Erachtens, sollte eine Therapiemethode allerdings schon klinisch erprobbar und erprobt und ihre Heilwirkung signifikant überzufällig feststellbar sein. Und so sollten in gewissem Ausmaß auch zutreffende Prognosen gemacht werden können. Umso unverständlicher ist, dass die Effizienzüberprüfung spiritueller Heilverfahren aus ideologischen Gründen oft verunmöglicht wird (s. Kap. 2).

Allerdings erschwert ein Aspekt die wissenschaftliche Erforschung (siehe ausführlicher dazu das Kap. 8): Ähnlich wie in der psychotherapeutischen Arbeit, z.B. mit Träumen oder Bildern, kommt es auch in der spirituellen Heilarbeit immer wieder vor, dass weder der Behandler noch der Patient versteht, wie die Visionen zu deuten sind. Das Unbewusste hat aber offensichtlich verstanden, wenn anschließend die Symptome verschwinden. Ich gehe davon aus, dass mein Verstand schon mitkommen wird, wenn es für die Problemlösung von Bedeutung ist.

Das ist für uns naturwissenschaftlich Erzogene natürlich ärgerlich, die wir doch gewohnt sind, hinter jeden Stein zu schauen und allen Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Das ist ja unsere Stärke. Bescheidenerweise muss man allerdings eingestehen, dass wir bislang nur einen winzigen Teil der Wirklichkeit erklären können. Und es scheint, gerade das Wesentliche entzieht sich unserem intellektuellen Verstehen, was in der mystischen Tradition ohnehin selbstverständlich ist.

Vertrauen ist eine Oase im Herzen,

die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.

(Khalil GIBRAN)

Viele psychotherapeutische wie auch schamanische Phänomene können naturwissenschaftlich noch nicht erklärt werden, möglicherweise wird das auch nie gelingen. Der Experimentalphysiker Anton Zeilinger, der v. a. durch seine Experimente der Teleportation weltbekannt wurde, sagte kürzlich in einem ORF-Fernsehinterview: »Es ist nicht immer alles rein logisch erklärbar. Muss es auch nicht. Die Frage ist nur: funktioniert es?«

Jeder Fachkundige kennt die Wirkungen spiritueller Heilverfahren, die teilweise empirisch bereits gut belegt sind. Vielleicht ist die Wirkung ohnehin das einzige, was man messen kann. Die Erklärungen (auch die schamanischen) sind viel unsicherer. Es ist seriöser, die eigene Nomenklatur und das dazugehörige Gedankengebäude sowie die Wirklichkeitskonstruktionen anderer zu respektieren – und sie allesamt kritisch zu bezweifeln. Was sicherlich eine gewisse Demut verlangt.

Mich nerven die vielen »Wissenden«, genauer Besserwisser, – sowohl auf materialistischer wie auf esoterischer Seite. Da sind mir die Skeptiker lieber, die sich nicht sicher, aber genau aus diesem Grund offen sind und forschen – und nicht auf vorschnelle Erklärungen hereinfallen.

Wohingegen sich ein eingefleischter Dogmatiker erst gar nicht mit dem befasst, was nicht in seinen Denkrahmen passt, und wenn doch, nur Forschungsergebnisse gelten lässt, die seiner Erwartungshaltung entsprechen, und alles, was da nicht reinpasst, als Zufall bezeichnet und es nicht ernst nimmt, damit er seine bisherige Auffassung nicht revidieren muss.

Aber wie oft mussten in der Wissenschaftsgeschichte Hypothesen und Theorien verworfen werden, deren man sich ganz sicher gewesen war! Das führte den Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper († 1994) zur Feststellung, dass man sich bei einem Experiment oder einer empirischen Untersuchung nur sicher sein kann, wenn die Hypothese falsifiziert bzw. widerlegt wurde.

»It is our hypothesis that adopting such a disconfirming, scientific approach to practice will result in expertise gains among therapists«, schrieben kürzlich TRACEY/​WAMPOLD/​LICHTENBERG/​GOODYEAR (2014) im »American Psychologist«. – Vielleicht. All unser Wissen ist Vermutungswissen, erklärt Popper, von dem sich später herausstellen kann, dass es falsch oder fehlerhaft war.

Der Konstruktivismus geht noch darüber hinaus. Z. B. Francisco Varela (in: »Die Gewissheit der Ungewissheit« von Bernhard PÖRKSEN, 2008):

»Die Falsifikation erscheint nicht mehr als das zentrale Anliegen der wissenschaftlichen Arbeit. Es entsteht ein Panorama der Koexistenz, ein dialogischer Raum in der Welt und in der Wissenschaft; man kann mit Freude und Spaß die Fülle möglicher Existenzformen und die verschiedenen Auffassungen und Annahmen vergleichen, Ideen entwickeln, sich austauschen, debattieren. Die absolute Realität diktiert uns in meinen Augen nicht ihre Gesetze, denen wir dann zu gehorchen haben.«

Es gibt keinen

und es wird nie einen Menschen geben,

der etwas mit Bestimmtheit weiß.

(XENOPHANES)

»Evidence-based Medicine« – heute immer wieder als schlagendes Argument verwendet – bedeutet »auf empirische Belege gestützte Heilkunde«. Die einfache Übertragung ins Deutsche suggeriert fälschlicherweise »Offensichtlichkeit«. Im Englischen bedeutet es bloß, dass es Ergebnisse gibt, die auf einen Kausalzusammenhang zwischen Hypothese und experimentellem oder empirischem Ergebnis hinweisen (s. dazu Heinrich Weßlings Theorie der klinischen Evidenz).

Aber auch das Prinzip der Kausalität ist nicht in Stein gemeißelt: »Denn für mich steht zweifelsfrei fest, dass in der Quantenwelt die Kausalität tatsächlich verschwindet.«, sagt der bekannte Physiker Anton Zeilinger (zit. nach STAMPF, 2005) und fährt fort: »Das Verrückte ist, dass zwischen den verschränkten Photonen keinerlei Informationen ausgetauscht werden. Richtig vorstellen kann auch ich mir nicht, was bei diesem Vorgang jenseits von Zeit und Raum vor sich geht«. Aus quantenphysikalischer Sicht, basiert das gesamte materielle Universum auf Informationen.

Vielleicht ist es (und war es schon immer) möglich, mit mentalen und spirituellen Methoden diese Ebene zu beeinflussen, wie es z.B. der Biologe und Physiker Ulrich WARNKE (2011) und der Psychologe und Wissenschaftstheoretiker Harald WALACH2 (2011) annehmen? Beide vermuten, dass der Heiler gedanklich einen Zustand herstellt, den er vielleicht auf den Patienten transportieren kann. »Wir wissen einfach noch nicht, ob es eine Grenze gibt, wo die Quanteneffekte aufhören«, gibt Zeilinger zu.

Siehe dazu die Arbeiten des Physikers Hans-Peter DÜRR (2009): »Auch die Wissenschaft spricht nur in Gleichnissen: Die neue Beziehung zwischen Religion und Naturwissenschaften« oder (2010) »Physik und Transzendenz. Die großen Physiker unserer Zeit über ihre Begegnung mit dem Wunderbaren«.

An verschiedenen Unikliniken Deutschlands werden jedenfalls schamanische Heilmethoden bereits wissenschaftlich begleitet und erforscht, viel öfter aber in britischen und US-amerikanischen Spitälern (s. Kap. 9). In Österreich jedoch haben nach wie vor diejenigen das Sagen, die sich – augenscheinlich in Unkenntnis spiritueller Heilverfahren, unbeleckt von den Ergebnissen der Quantenphysik und in Missachtung der Bewusstseinsforschung, der Erkenntniskritik und Wissenschaftstheorie – im Besitz der »Wahrheit« fühlen und noch immer nicht erkennen, dass das naturwissenschaftliche Weltbild auch nur ein Denkrahmen ist; ein dem kirchlichen vergleichbares starres Glaubenssystem, wo alles verachtet wird, was wissenschaftlich noch nicht ausreichend erforscht wurde und wo – was besonders ärgerlich ist – häufig sogar die Forschung behindert wird (s. Kap. 2). Die AutorInnen der Richtlinie haben sich offensichtlich auch nicht mit dem aktuellen Stand der Psychoonkologie und Palliativmedizin auseinandergesetzt.

Dabei empfiehlt schon Lucius Annaeus SENECA († 65n.Chr.):

Die Lektüre ist aber für mich, wie ich glaube, unbedingt

notwendig: Erstens, um mich nicht mit mir allein begnügen zu

müssen, zweitens, um mit den Erkenntnissen anderer bekannt zu werden,

drittens, damit ich mir über das, was sie herausgefunden haben, ein Urteil

bilden und über die noch zu lösenden Fragen nachdenken kann.

Aber sie schmoren lieber im eigenen Saft. Eine öffentliche Diskussion des Themas wurde vom Ministerium ausdrücklich abgelehnt; mit der Begründung, dass das eben so geregelt sei und schon immer so war. – Das mag ja legal sein, aber ist es auch legitim? Sie sind offensichtlich gewohnt, ungestört bestimmen zu können, und beklagten sich über die zahlreichen kritischen Mails von KollegInnen und betroffenen KlientInnen. Man bleibt lieber bei Geheimverhandlungen, deren Ergebnisse dann diktiert werden. Dabei hätte eine interdisziplinäre, öffentliche Auseinandersetzung, vor allem mit spirituellen Lehrern und WissenschafterInnen, die sich seit Jahren mit dem Thema befassen, die Qualität der Richtlinie erheblich verbessert und den Verfassern einigen Ärger erspart, zumal deren grundsätzliche Absichten auch von uns geteilt werden.

Birgit und Andreas HELLER (2013) beklagen in »Spiritualität und Spiritual Care« eine von der Erfahrung entkoppelte Wissenschaft sowie eine falsch verstandene Professionalisierung und propagieren die Wiederentdeckung des ganzen Menschen:

»Unter dem Stich- und Suchwort Spiritual Care bündelt und entfaltet sich eine existenzielle Auseinandersetzung, die jenseits von Schmerztherapie und Symptomkontrolle Sinn und Bedeutung des Todes für das menschliche Leben thematisiert. Spiritual Care, die Sorge für den religiös-spirituellen Leitfaden des Lebens, beschränkt sich keineswegs auf die Sterbephase, sondern ist auch im Fall von Krankheit und anderen kritischen Lebenssituationen bedeutsam.«

»Wo ist Gott im Leiden?«, fragt Monika RENZ (2014) in ihrem Buch »Hoffnung und Gnade: Erfahrung von Transzendenz in Leid und Krankheit – Spiritual Care«:

»Diese Frage wurde spätestens seit der Aufklärung zum Stein des Anstoßes und zum Fels des Atheismus … Nirgendwo klaffen die Worte Hoffnung und Gnade so weit auseinander wie in Leid und Krankheit. Der Sinn des gesamten Lebens wird jetzt auf den Prüfstand gestellt. Umgekehrt finden nirgendwo die beiden Worte so nahe zusammen wie genau hier, denn das Unfassbare einer Gotteserfahrung – hier auch spirituelle Erfahrung oder Transzendenzerfahrung genannt – bricht ein ins Dunkel von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung …«

So werde ausgerechnet in einer schweren Zeit die Kluft zwischen Irdischem und Transzendentem überbrückt.

Über die Erfahrungen bei ihren empirischen Studien schreibt Renz: »Die Häufigkeit sich ereignender Transzendenzerfahrungen in diesem Projekt war auch für uns Ärzte, Pflegende und Therapeuten überraschend … Das Spirituelle ereignet sich genau im Leid, wo das Ich mit seinen Konzepten und Bewältigungsstrategien am Ende ist.« Die Psychologin, Psychotherapeutin und Leiterin der Psychoonkologie im Kantonsspital St. Gallen bietet in diesem Buch einen Leitfaden für den Umgang mit Leidenden, auch mit dem »vermissten und gefundenen Gott« und gibt Einblick, in welcher Bandbreite sich das Transzendente dem Menschen unseres Kulturkreises kundtut und was es zu bewirken vermag.

Natürlich mag man einwenden: Dann, wenn es den Menschen schlecht geht, beginnen sie zu beten und sich an einen imaginären Strohhalm zu halten. Das Gegenargument ist, dass man in den üblichen Zeiten in unserer schnelllebigen Kultur mit dem täglichen Stress so mit Aufgaben eingedeckt ist, dass die spirituelle Dimension, die in irgendeiner Form jeder Mensch hat, gar nicht wahrgenommen werden kann. Dazu braucht es Stille, Natur- oder Kunsterlebnisse, bezaubernde Begegnungen, Liebeserlebnisse, existentiell berührende – beglückende, aber auch schmerzliche – Erfahrungen, in denen man sozusagen mit dem Wesen des Seins in Kontakt kommt.

Anton A. BUCHER (2014) berichtet über eine Studie von Belschner und Galuska über »Empirie spiritueller Krisen«:

»Mehrheitlich deuteten die Befragten die Krisen als existenzielle Wendepunkte, ausgelöst durch das Gefühl, es könne im Leben, das zur Sackgasse geworden war, so nicht weiter gehen … In ihrer Bedrängnis suchten die meisten (68%) Psychotherapeuten auf, die aber zu mehr als der Hälfte nicht erkannten, dass das eigentliche Problem spiritueller Natur war, und falsche Diagnosen stellten …«