Geh nicht am Glück vorbei, Sybill - Christel Förster - E-Book

Geh nicht am Glück vorbei, Sybill E-Book

Christel Förster

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Sehr langsam stieg Sybill von Bernsdorf die beiden Treppen zu ihrer Wohnung hinauf. Ein langer anstrengender Nachtdienst lag hinter ihr. Schlafen, dachte sie. Ich möchte einen ganzen Tag lang schlafen. Es war so ruhig im Hause, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Sybill gab sich alle Mühe, diese Stille nicht zu stören. Ein Lächeln verzog ihre Mundwinkel, als sie ihre Wohnungstür erreichte und vorsichtig aufschloß. Sie wußte, hinter dieser Tür schlief jemand, der es auf den Tod nicht ausstehen konnte, unsanft geweckt zu werden. Aber ob sanft oder unsanft, geweckt werden mußte der junge Herr. Es war gleich sieben, und auf dem Gymnasium ging es pünktlich zu. Sybill zog den Mantel aus, hängte ihn an den Kleiderhaken und schüttelte den Kopf, als sie einen Trenchcoat entdeckte, der schief über den Haken geworfen war. »Dieser Bursche«, murmelte sie. »Ob er es jemals lernen wird, Ordnung zu halten?« Sie war weit davon entfernt, wirklich böse zu sein. Im Gegenteil, auf die halbe Stunde, die ihr nun bevorstand, hatte sie sich die ganze Nacht gefreut. Sie strich sich das Haar zurecht und schob eine nur angelehnte Tür auf. Auf Zehenspitzen schlich sie durch das Zimmer und schob die dunklen Fenstervorhänge mit einem Ruck auseinander. Grelles Licht flutete ins Zimmer, und ein vorwitziger Sonnenstrahl traf einen jungen Schläfer mitten ins Gesicht. Der zog die Nase kraus, drehte sich auf die andere Seite und steckte den Kopf tief unter die Bettdecke.

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Fürstenkrone – 144–

Geh nicht am Glück vorbei, Sybill

Eine Mutter zwischen Pflicht und Liebe …

Christel Förster

Sehr langsam stieg Sybill von Bernsdorf die beiden Treppen zu ihrer Wohnung hinauf. Ein langer anstrengender Nachtdienst lag hinter ihr. Schlafen, dachte sie. Ich möchte einen ganzen Tag lang schlafen.

Es war so ruhig im Hause, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Sybill gab sich alle Mühe, diese Stille nicht zu stören. Ein Lächeln verzog ihre Mundwinkel, als sie ihre Wohnungstür erreichte und vorsichtig aufschloß. Sie wußte, hinter dieser Tür schlief jemand, der es auf den Tod nicht ausstehen konnte, unsanft geweckt zu werden.

Aber ob sanft oder unsanft, geweckt werden mußte der junge Herr. Es war gleich sieben, und auf dem Gymnasium ging es pünktlich zu.

Sybill zog den Mantel aus, hängte ihn an den Kleiderhaken und schüttelte den Kopf, als sie einen Trenchcoat entdeckte, der schief über den Haken geworfen war.

»Dieser Bursche«, murmelte sie. »Ob er es jemals lernen wird, Ordnung zu halten?«

Sie war weit davon entfernt, wirklich böse zu sein. Im Gegenteil, auf die halbe Stunde, die ihr nun bevorstand, hatte sie sich die ganze Nacht gefreut. Sie strich sich das Haar zurecht und schob eine nur angelehnte Tür auf. Auf Zehenspitzen schlich sie durch das Zimmer und schob die dunklen Fenstervorhänge mit einem Ruck auseinander. Grelles Licht flutete ins Zimmer, und ein vorwitziger Sonnenstrahl traf einen jungen Schläfer mitten ins Gesicht. Der zog die Nase kraus, drehte sich auf die andere Seite und steckte den Kopf tief unter die Bettdecke. Schmunzelnd beobachtete ihn Sybill.

»He, mein Freund!« rief sie ihm zu. »Aus ist’s mit der Schlaferei! In fünf Minuten möchte ich die Brause hören.«

»Barbarin!« schimpfte er. »Hat man denn niemals Ruhe vor dir? Ach, warum sind die Nächte so kurz und die Tage so entsetzlich lang?«

»Bong! Es ist genau zwanzig Minuten nach sieben, Herr von Bernsdorf.«

»Also dann nichts wie ’ran an die Krippe.«

Er schlüpfte in sein Sporthemd, nahm Sybills Hand und zog sie mit.

»Prächtig!« lobte er, als er den hübsch gedeckten Tisch betrachtete. »Du bist doch eine Perle, Mutti.«

Übermütig küßte er sie auf beide Wangen. Mit der gespreizten Hand fuhr sie ihm durch das dichte wellige Haar.

»Mein kleiner Michael«, flüsterte sie zärtlich und lachte, als er sich reckte und sie so beinahe um Haupteslänge überragte.

»Dieses ›klein‹ war nur bildlich gemeint«, erklärte sie und schob ihm seinen Stuhl zurecht. »Selbst wenn du ein Riese wirst, bleibst du für mich der kleine Junge.«

Sybill lächelte und begleitete ihren großen Sohn bis zur Wohnungstür. Er nickte gehorsam, als sie ihn wie immer ermahnte brav zu sein. Sein Schritt war längst verhallt, als sie nachdenklich ins Wohnzimmer zurückging. Sie räumte den Tisch ab, spülte das Geschirr und war mit ihren Gedanken weit fort. Michaels Worte hatten eine Erinnerung heraufbeschworen, die sie nicht losließ.

»Immerhin bist du eine Frau von Bernsdorf.« War es ein Wunder, daß der Junge aufbegehrte? Es war kein beneidenswertes Leben, das sie führten. Immer nur zwischen Tür und Angel trafen sie zusammen. Michael war viel allein, und das seit Jahr und Tag, solange er überhaupt denken konnte. Gewiß, er beklagte sich nicht darüber, aber immer deutlicher spürte sie, daß er darunter litt. All seine Freunde waren Söhne reicher Eltern und wurden umsorgt und behütet. Ihnen war selbstverständlich, was für Michael immer nur ein Traum bleiben würde. Es half nicht viel, daß sie unermüdlich arbeitete und alles tat, dem Jungen Kummer und Sorgen fernzuhalten. In seinem Alter begann man eben nachzudenken, und der Weg vom Nichtverstehen können zur Bitterkeit war nicht sehr weit.

»Du bist schließlich eine Frau von Bernsdorf«, hatte er gesagt, und das bedeutete: »Unsere Armut ist ein Unrecht an mir.«

Sybill wußte, wie recht er hatte. Wohl tausendmal hatte sie sich gefragt: War es richtig, was ich damals tat? Durfte ich meinen Stolz und meine Liebe über meine Vernunft setzen? Michael wäre jetzt reich, er hätte alles, was sich ein Bub nur wünschen kann. Ich habe versucht, ihm viel zu geben, aber nahm ich ihm nicht weitaus mehr?

Damals! Wie weit lag das alles zurück, und wie greifbar nahe stand es jetzt vor ihr, dieses grauenvolle, furchtbare Damals.

Sybill lag auf ihrem Bett und hielt die Augen fest geschlossen. Bild reihte sich an Bild. Sie erlebte noch einmal, was damals geschah.

Noch sehr lange lag Sybill an diesem Morgen wach.

Habe ich recht getan damals? hatte sie sich gefragt. Habe ich Michael mehr genommen als gegeben?

Sie wußte es jetzt. Nein und tausendmal nein! Immer wieder würde sie nur so entscheiden.

»Er gehört mir, mir ganz allein«, flüsterte sie. »Aber achtgeben muß ich auf ihn, sonst wächst er mir wirklich über den Kopf und nimmt statt des kleinen Fingers die ganze Hand.«

Ein zärtliches Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als sie endlich den längst verdienten Schlaf fand.

*

»Mutti! Herrgott, Mutti, so werd’ doch endlich wach!«

Michaels Ruf riß Sybill aus dem Schlaf. Verstört blickte sie den Jungen an. »Was ist denn? Ich habe mich doch eben erst hingelegt.«

»Eben ist gut«, spöttelte er. »Es ist beinahe vier Uhr, und mein ­Magen dreht sich wie ein Karussell.«

»Ui-je, da habe ich aber ordentlich danebengetippt. Dann bist du ja schon lange zu Hause.«

»Das macht ja nichts, aber jetzt solltest du wirklich aufstehen. Ich habe hundert Neuigkeiten.«

»Mehr nicht?« neckte sie. »In fünf Minuten bin ich drüben bei dir.«

Sie war es, aber ihre Müdigkeit schien nicht überwunden. Mit der einen Hand zog sie einen Stuhl zurecht, und mit der anderen schob sie sich das Haar aus der Stirn und seufzte.

»Was hast du heute morgen gesagt? Warum sind die Nächte so kurz und die Tage so lang? Ich fürchte, es ist genau umgekehrt, mein Junge. Ich muß wie ein Kitz geschlafen haben.«

»Noch zwei Nächte, und du bist erlöst«, tröstete er. »Aber nun setz dich endlich. Es ist wirklich höchst interessant, was ich zu berichten habe.«

Der Eifer rötete seine Wangen. Wie ein ganz kleiner Bub erschien er Sybill.

»Hast du eine Arbeit zurückbekommen?« fragte sie.

»Arbeit!« Mit lässiger Handbewegung tat er ihre Frage ab. »Wir haben einen Entschluß gefaßt. Wir, das heißt Jürgen, Fred und noch ein paar Kameraden, die du nicht kennst.«

»Wollt ihr alle Flickschuster werden?«

»Aber Mutti! Einen Ausflug wollen wir machen, aber dieses Mal gleich für einige Tage. Mit dem Rad in Gottes freie Natur, ist das nichts?«

»Schon, aber… sagt die Schule ja und amen dazu?«

»Du wirst es nicht glauben, sie tut noch viel mehr. Vier Tage Sonderurlaub, für alle natürlich. Wir sind gesprungen wie junge Böcke. Du erlaubst es doch, nicht wahr? Mutti, ich… ich…«

»Nun mal langsam und schön der Reihe nach. Einen Ausflug mit dem Rad, sagst du, und gleich für ein paar Tage. Ist das nicht gefährlich?«

»Sind wir Babys?« fragte er halb lachend, halb empört.

»Na schön«, ergab sie sich. »Und was wird aus mir in diesen Tagen?«

Michael lachte herzlich und machte einen Vorschlag, den er absolut nicht ernst meinte.

»Lach dir einen Freund an, einen winzig kleinen natürlich nur«, lenkte er ein.

»Sehr großzügig, Herr von Bernsdorf. Gut, ich werde sehen was sich machen läßt. Sprachst du nicht eben vom Hunger? Ich schätze, den sollten wir erst einmal stillen.«

Sie hängte sich in seinen Arm, und gemeinsam betraten sie die kleine Küche. Ehe Michael sich versah, hatte Sybill ihm eine Schürze umgebunden. Auf sein dummes Gesicht hin erklärte sie:

»Das ist auch ein gutes Training, Kaffee mahlen stärkt die Armmuskulatur.«

*

Am Ende eines langen Flures befand sich das Schwesternzimmer. Ein Blick auf die Uhr belehrte Sybill, daß es noch Zeit genug war, sich hier auf den Dienst vorzubereiten. Eine Kollegin unterrichtete sie über die wichtigsten Dinge und hatte es dann sehr eilig, heimzukommen.

»Wenn es etwas Besonderes gibt, wenden Sie sich an Dr. Fehring«, riet sie Sybill noch beim Hinausgehen. »Er ist ein vortrefflicher Arzt. Der Chef tat gut daran, ihn nach hier zu holen.«

»Sicher.« Sybill nickte vor sich hin.

Ob der vortreffliche Arzt weiß, wie sehr er bewundert wird? fragte sie sich. Seltsam, ihr war er wirklich nicht sonderlich aufgefallen.

Vor dem Spiegel schob sie sich das Häubchen zurecht. Dabei glaubte sie, noch einmal die Stimme der Schwester von der Pforte zu hören: »Bei Ihrem Aussehen wüßte ich, was ich täte.«

Sybill schüttelte den Kopf. »Bei meinem Aussehen?« flüsterte sie. »Mein Gott, ich habe einen erwachsenen Sohn. Männer interessieren mich wirklich nicht.«

Um ihre Worte zu bestätigen, nickte sie heftig, aber dennoch wollte ihr der Gedanke an diesen Dr. Fehring nicht aus dem Kopf.

Daß er wirklich gut aussah, bekam sie bestätigt, als sie ihn jetzt zu einer schwerkranken Patientin rufen mußte. Sehr genau beobachtete sie seine Handhabungen und eines gefiel auch ihr: seine unerschütterliche Ruhe und die Sicherheit, die er ausstrahlte.

Die Kranke mußte in den Operationssaal gebracht werden.

»Würden Sie mir assistieren?« fragte Fehring, und Sybill ertappte sich dabei, daß sein prüfender Blick sie verlegen machte. Sie war überzeugt, daß nur das dumme Gerede der Kollegin daran schuld war.

Sie nickte nur und war froh, daß er ihr vorausging, um sich auf den Eingriff vorzubereiten.

Wohl eine Stunde arbeiteten sie zusammen und sprachen kaum miteinander.

Mitternacht war längst vorüber, als die Kranke endlich wieder in ihr Zimmer zurückgebracht werden konnte. Sybill wollte es selbst tun, Fehring aber hielt sie zurück.

»Ich denke, daß wir uns eine Pause redlich verdient hätten«, erklärte er, als er an ein Becken trat, um sich die Hände zu waschen. Da sie nicht antwortete und unschlüssig mitten im Raum stehenblieb, fuhr er fort:

»Ob es um diese Zeit hier so etwas wie eine Tasse Kaffee gibt?«

»Ich denke schon. Die Küche ist zwar geschlossen, aber oben im Schwesternzimmer gibt es einen Tauchsieder. Ich werde mich sehr beeilen und Ihnen den Kaffee gleich herunterbringen.«

Er trocknete sich die Hände ab und kam kopfschüttelnd auf sie zu.

»Ich möchte den Kaffee mit Ihnen trinken, schließlich haben wir ihn beide verdient«, sagte er, und als Sybill verwundert zu ihm aufsah, entdeckte sie, daß seine grauen Augen seltsam zu strahlen begonnen hatten.

»Mit mir?« fragte sie ungläubig, und große Verlegenheit spiegelte sich auf ihrem schönen Gesicht. Fehring sah es, und ohne lange zu überlegen, hielt er ihr seine Hand hin.

»Ich denke, wir haben noch etwas nachzuholen.«

Warm und wohlklingend war seine Stimme. Mit festem Druck umspannte er ihre Hand. Sybill ließ sie ihm, obwohl sich ihre Verlegenheit dadurch noch steigerte.

»Nachzuholen?« fragte sie, und es war ihr unmöglich, ihn länger anzusehen.

»Natürlich«, erklärte er. »Man erzählt sich in diesem Hause Wunderdinge von Ihnen, nur ich hatte bisher nicht das Vergnügen, Sie kennenzulernen. In den ersten Tagen meines Hierseins sah ich Sie hin und wieder von weitem. Darf ich Ihnen gestehen, daß ich mich auf diese Nacht, in der wir zum erstenmal zusammen arbeiten würden, gefreut habe?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Wunderdinge«, wiederholte sie. »O nein, ich tu nur meine Pflicht wie alle anderen. Es ist also gar nichts Besonderes, mit mir zu arbeiten.«

»Das ist Ansichtssache«, ließ er ihren Einwand nicht gelten. »Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht.«

»Und was ist nun mit dem Kaffee?« fragte sie, um ihn und vor allem sich selbst abzulenken.

»Ich lasse mich gern überraschen.« Noch einmal sah er ihr tief in die Augen. Da zog sie ihre Hand blitzschnell zurück und erklärte:

»Im Schwesternzimmer ist es zwar recht bescheiden, aber wenn ich Sie einladen darf, bitte.«

Sie ging ihm bis zur Tür voraus, spürte aber sehr genau, daß er sie nicht aus den Augen ließ. Es geschah nicht oft, daß Sybill aus der Fassung geriet, hier aber mußte sie sich redliche Mühe geben, ihre Verwirrung zu verbergen. Mein Gott, wie kam ihr Herz nur dazu, so unruhig zu klopfen? Für einen Mann wie Fehring waren Komplimente gewiß Routine. Mit jeder anderen hätte er genauso gesprochen. Nein, sie mußte sich zusammennehmen. Schließlich war sie kein Backfisch, sondern eine reife Frau, die sich

im Leben und in der Welt auskannte.

Energisch richtete sie sich auf. Auch das entging Fehring nicht.

Sie ist eine wunderbare Frau, dachte er. Ich habe mich nicht geirrt. Es ist schön, mit ihr zusammen zu sein.

Nebeneinander stiegen sie die Treppe hinauf. Sybill war froh, daß er nicht sprach. So konnte sie sich innerlich wappnen, und als sie das Schwesternzimmer erreichten, waren Ruhe und Natürlichkeit zu ihr zurückgekehrt.

»Bitte.« Sie öffnete die Tür und ließ ihn zuerst eintreten. »Einen Augenblick werden Sie sich gedulden müssen. Wenn Sie es sich inzwischen gemütlich machen wollen.«

Sie wies auf die am Fenster stehende Sesselgruppe, trat an einen hohen Schrank heran und entnahm ihm Kanne und Tassen. Während das Wasser kochte, deckte sie den kleinen, runden Tisch, ohne den Oberarzt auch nur ein einziges Mal anzusehen. Er lehnte sich weit zurück, verschränkte die Arme und beobachtete sie.

»Eine kleine Zauberin sind Sie auf jeden Fall«, stellte er fest, als der Kaffee in der Kanne dampfte. Da sie nicht antwortete, fuhr er fort:

»Wollen Sie sich nicht endlich auch setzen?«

Sie tat, was er wollte, griff nach der Kanne und schenkte ihm ein.

»Ein oder zwei Stück?« fragte sie, als sie nach der Zuckerdose griff.

»Drei, bitte«, antwortete er und freute sich, daß es ihm endlich gelang, ihren Blick auf sich zu ziehen.

»Ob das gesund ist?« fragte sie im Ton einer Gouvernante, lachte aber dazu und brach damit endgültig den Bann.

»Köstlich ist es auf jeden Fall.« Er nahm den ersten Schluck und nickte anerkennend. »Wunderbar. Gibt es Meisterschaften im Kaffeekochen?«

»Ich weiß nicht.« Wieder lachte Sybill, und als er nach der Ursache ihrer Heiterkeit forschte, gab sie ihm ehrlich Auskunft:

»Man hat mir heute gesagt, welch vortrefflicher Arzt Sie seien. Gehört das Schmeicheln dazu?«

»Ich habe nicht geschmeichelt. Ihr Kaffee ist wirklich gut, davon versteh ich etwas. Ich habe mir zum Beispiel meine Pensionswirtinnen immer danach ausgesucht.«

»Oh, ich hoffe, dies soll kein Test sein. Ich habe keine Zimmer zu vermieten, aber ich nehme an, Sie sind in diesem Hause gut untergebracht.«

»Ich bin zufrieden«, gab er zu. »Wissen Sie, ich bin ein Mensch, der sich mit neuen Dingen nicht gut abzufinden weiß. Ich habe mich bemüht, es niemanden merken zu lassen, aber als ich vor einer Woche herkam, war mir gar nicht sehr rosig zumute.«

»Sie kamen also nicht gern?« fragte sie interessiert.

»Ehrlich gesagt, nein. Ich habe bisher von Kliniken nicht sonderlich viel gehalten. Ich lebte auf dem Land, wissen Sie, und fand es dort großartig. Wenn es einem gut geht, sieht man immer nur ungern ein, daß man hin und wieder auch mal etwas dazu zu lernen hat.«

»Dann ist also Ihr Hiersein nur eine Stippvisite?« fragte sie.

»O nein, erst einmal habe ich hübsch brav auszuhalten. Aber ich denke, es wird mir nicht schwerfallen. Die Arbeit hier ist interessant, die Menschen sind freundlich und nett, die Schwestern ganz besonders. Habe ich schon wieder geschmeichelt?« fragte er, als er ihr Schmunzeln wahrnahm. Irgendwie kam er ihr wie ein Lausbub vor, aber es gefiel Sybill, daß er so frei heraus sprach.

»Es geht. Ich werde das Kompliment zurückgeben, wenn es recht ist«, bot sie sich an.

»Oh nein, das wäre mir gar nicht recht«, widersprach er. »Ich möchte mir Anerkennung durch Taten verdienen.«

»Wäre ich Wahrsagerin, würde ich sagen, es wird Ihnen gelingen«, versuchte sie ihm Mut zu machen, obwohl sie wußte, daß er eine solche Hilfe weiß Gott nicht gebrauchte. Aber es machte ihr Spaß, in solch neckendem Ton mit ihm zu sprechen. Und auch Fehring beglückte dieses Beisammensein mit Sybill über alle Maßen. Sie gerieten ins Plaudern, und Sybill erkannte mehr und mehr, daß dieser Dr. Fehring ein großartiger Mensch war. Vorwärtskommen und Erfolg waren ihm nicht in den Schoß gefallen. Jahre harter Arbeit lagen hinter ihm, und es war sicher, daß er genau wußte, was er wollte. Aber trotz seiner männlichen Stärke hatte er sich eine ordentliche Portion Jugend und Unbekümmertsein erhalten. Beinahe übermütig klang es, als er das Gespräch von sich ablenkte und sie geradeheraus fragte:

»Sagen Sie, Schwester Sybill, werden Sie häufig abends hierherbegleitet?«

»Begleitet?« Sie verstand ihn nicht sofort.

»Ja. Sie wurden doch begleitet, sehr liebevoll sogar, wie mir

schien.«

»Ach so!« Sie lachte hellauf, sah ihn dann spitzbübisch von der Seite an und meinte: »Ich wußte gar nicht, daß man mich beobachtet.«

»Ein reiner Zufall, aber… nun ja, ich hab vom ersten Tag meines Hierseins an ein wenig auf Sie achtgegeben.«

»Und warum, bitte?« wollte sie wissen und war für einen Augenblick ganz ernst.