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In dem sich ständig verändernden Umfeld werden unsere Zukunftsvisionen ebenso dynamisch sein wie die Welt, in der wir leben. Die Kunst wird darin bestehen, sich nicht von der Welle des Neuen überrollen zu lassen, sondern zu lernen, auf ihr zu surfen, während wir gleichzeitig ein Auge auf den Horizont richten. Zukünftige Erhebungsmethoden sollen wie ein sensibles Resonanzfeld fungieren, das individuelle und gesellschaftliche Schwingungen aufnimmt, interpretiert und in ein vollständigeres Bild der menschlichen Erfahrung übersetzt. Sie erlauben uns, den Menschen nicht nur zu verstehen, sondern auch mit ihm in einen Dialog zu treten, der sinnstiftende Zukunftsszenarien offenbart und zum Handeln inspiriert.
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Liebe Leser,
seit mehr als zwei Jahrzehnten begleitet mich das Repertory Grid Umfrageverfahren auf einer faszinierenden Reise durch Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Unternehmen.
Ich wurde oft gefragt, warum ich die Software repgrid entwickelt habe und mich die Arbeit damit so gefangen nimmt? Die Antwort liegt in der analytischen Wirkungskraft und den mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten, die dieses Instrument bietet. Es ist mein Schlüssel zu verborgenen Räumen, mein Kompass in der Welt des strategischen Denkens. Viele Projekte, die unter meiner Hand mithilfe des Grids Formen annahmen, bleiben unerzählt – Geheimnisse, die ihre strategische Kraft im Schatten wirken lassen, oft weil ich ein sogenanntes »Non Discloser Agreement« unterschreiben musste. Doch die Erfahrungen, die ich bisher sammeln durfte, sind von unschätzbarem Wert. In jedem Projekt haben die Ergebnisse, die das Repertory Grid offenbarte bahnbrechende Erkenntnisse enthüllt. Jedes Mal trat zutage, was zuvor ungedacht war. Wie ein Puzzle, das sich unter den Augen der Betrachtenden zusammensetzt, so bildet sich das Gesamtbild aus den vielen einzelnen Meinungen.
In »futurelytics« gebe ich einen Einblick in mein Gedankenmodell, welches dem repgrid zugrunde liegt. Ich vereine die »systemische Perspektive« mit der »Resonanztheorie« und der »Psychologie der persönlichen Konstrukte« zu einem holistischen Ansatz; dem »Resonanzökonomie-Modell«. Die Verbindung dieser drei Denkräume scheint mir nicht nur sinnvoll, sondern notwendig, um die Tiefe und Vielschichtigkeit menschlicher Erfahrungen zu erforschen und zu verstehen. Das repgrid dient dann als Schlüsselwerkzeug, das diese Theorien in eine praktische Anwendung überführt. Es erlaubt uns, die Resonanz zwischen dem Individuum und seiner Umwelt zu erfassen, sowie die komplexen Muster, die unser Verhalten lenken, zu entwirren. So gestalten wir ein narratives Gewebe, das uns nicht nur im Hier und Jetzt verwurzelt, sondern auch dazu inspiriert, mit Zuversicht und Neugier die noch nicht betretenen Wege der Zukunft zu beschreiten.
In einer Ära, in der große Datenmengen und künstliche Intelligenz zunehmend an Einfluss gewinnen, stoßen wir auf Grenzen: Diese technologischen Riesen ringen mit der Feinheit der menschlichen Meinungsbildung und verharren oft in einer Analyse der Vergangenheit, gestützt auf vorhandene Textmengen. Ich habe selbst Methoden der künstlichen Intelligenz entwickelt, allerdings nicht als textanalytisches Werkzeug. Vielmehr dient die KI in repgrid als eine Art intelligenter Assistent, der die Umsetzung von Befragungen ohne Interviewer unterstützt. Diese Unterstützung ist feinfühlig gestaltet – sie ist nicht darauf ausgelegt, die menschliche Intuition und Interpretation zu ersetzen, sondern diese auszulösen.
Es bleibt also festzuhalten: Während KI und Big Data mächtige Werkzeuge sind, können sie die reiche Textur der menschlichen Perspektive, die im Jetzt wurzelt, nur rudimentär erfassen. Repgrid hingegen ermöglicht es uns, nicht nur ein Spiegelbild der Vergangenheit zu betrachten, sondern auch eine Karte für die Zukunft zu zeichnen, gestaltet durch die echten, rohen, unverarbeiteten Gedanken und Gefühle der Menschen, die es beschreibt.
Es geht um mehr als nur die Summe seiner Teile – es geht um den Kern unserer individuellen Konstrukte, der unser Verständnis von der Welt prägt. Die Idealvorstellungen, die in repgrid abgefragt werden, sind mehr als nur Antworten; sie sind der Resonanzraum unserer kollektiven Intuition, ein Fingerzeig auf das, was kommen mag. Hier endet die Herrschaft der Algorithmen und beginnt das Reich der persönlichen Konstrukte, wo jede Stimme gezählt, jedes Detail gewürdigt wird. Für mich bedeutet Trendforschung, dass jede Perspektive wie eine eigene Frequenz wirkt, die zur Gesamtheit des Klangs beiträgt.
Nehmen Sie »futurelytics« als Einladung, mit einem Augenzwinkern und offenen Armen das Unerwartete zu begrüßen, in der stetigen Hoffnung, dass die Zukunft, während sie uns vielleicht herausfordert, uns letztlich harmonisch empfängt. In einer Welt, in der morgen schon heute ist, kann es leicht passieren, dass wir im Meer der Digitalität das Ufer aus dem Blick verlieren.
Ich lade Sie ein, mit mir auf eine Entdeckungsreise zu gehen. Eine Reise, auf der wir lernen, auf die sanfte Brise der Veränderung zu achten – und auf jene feinen Böen, die ihre Kraft in unseren Wünschen und Antrieben entwickeln, die, wenn man beides zu deuten weiß, zu Wegweisern durch die Riffe der Zukunft werden können. Mit den richtigen Werkzeugen – und einer Prise digitalen Scharfsinns – können wir lernen, die Muster der Veränderung zu erkennen und uns darauf einstellen, bevor sie zu Orkanen werden, die uns hinwegfegen. Wir können lernen, auf die Geschichten zu achten, die uns die Menschen um uns herum erzählen, denn in ihnen finden wir Hinweise auf das Kommende.
An dieser Stelle möchte ich drei Menschen, sowie einer künstlichen Intelligenz danken, deren Begleitung dieses Buch erst möglich gemacht haben: Mein Dank gilt Ekbert Schröder, dessen weit gefächertes Wissen und die Fähigkeit, mich mit gezielten Informationen zu versorgen, dieses Buch bereichert haben. Ebenso bin ich Annette Marlene Edzards zu großem Dank verpflichtet, deren kritische Auseinandersetzung mit »futurelytics« mich zeitweise an den Rand des Wahnsinns getrieben hat, jedoch damit meine Aufmerksamkeit fürs Wesentliche schuf. Vielen Dank für das finale Korrektorat des Buchblocks an Layla Alhasaui.
Zu guter Letzt danke ich ChatGPT von OpenAI für die allzeit verfügbare intel-ligente Unterstützung bei Formulierungen, Recherchen und Korrekturen1.
Während des fine tunings hat uns das Eiscafé Italia tagelang den leckersten Cappuccino kredenzt, mit spontanen EM-Spielübertragungen für Stimmung gesorgt und uns mit lebensnahen Diskussionen bei Stange gehalten. Danke dafür!
Mit herzlichen Grüßen in die Gegenwart,
Matthias Rosenberger
1 Alles von ChatGPT musste von mir gründlich geprüft und überarbeitet werden.
I Hart am Wind
Vergangene Zukunft
Wettervorhersage: Stürmisch
Im Hier & Jetzt leben
Nochniedagewesenes
Exkurs VUKA-Welt
Kennzahlen im Bauch
II Massenmotive
Resonanz schlägt Beschleunigung
Das Wesen des Gruppenmotivs
Hysterese statt Hysterie
Kooperative Resonanz
III Wirtschaft im Wegbruch
Total Global
Marktverwirrung
Der Zufall enttarnt den Irrtum
Verpennt, verpasst, versäumt
IV Unternehmen im Umbruch
Institution als Beruhigungsmittel
Komplexität statt Geborgenheit
Survival of the Fittest
Eine Frage der Loyalität
Mittendrin statt nur dabei
Gleich und Gleich gesellt sich gern
Pseudolösung Netzwerkanalyse
Patchwork-Kultur
Wertschätzen statt Schwert wetzen
V Gesellschaft im Aufbruch
Krisen, Protagonisten und Dialog
Extrem Extremistisch
Politik-Studie: Ideale Kanzlerschaft
Bildung neu gedacht
Mindset Filterblasen
KI und Medien
VI Zukunft gestalten
Erst messen, dann sägen
Resonanz im Dreiklang
Tiefenanalyse mit repgrid
Neue Offenheit
VII Maschinenmotive
Architektur des Bewusstseins
Der Tsunami kommt noch
VIII Digitale Psychologie
Neues Design der Psychologie
Research & Creation
Literatur
»Der Mensch antizipiert Ereignisse, indem er ihre Wiederholungen konstruiert« • George A. Kelly, 1955
Während ich die Welt um mich herum beobachte, kristallisiert sich eine Erkenntnis heraus: Die Vergangenheit mag ein wertvoller Lehrmeister sein. Als Ratgeber für die Zukunft erweist sie sich oft wie ein Navi, das stets »berechne Route« murmelt aber den Weg nicht findet.
Wir befinden uns in einer Ära, die gleichermaßen fasziniert, uns stolpern lässt und Stirnrunzeln schenkt. Die Erlebnisse und Erfahrungen, die wir auf unserem Lebensweg sammeln, flechten unser Persönlichkeitsmuster, das uns zu dem macht, wer wir heute sind. Sie färben unseren Blick auf die Welt und lenken die Vorstellungen, die wir von der Zukunft haben. Bei jeder Entscheidung, die wir fällen, lauschen wir dem Gemurmel unserer Vergangenheit, den Echos, während wir gleichzeitig versuchen, die Geheimnisse von morgen zu erkunden – und uns fragen, ob das Orakel von Delphi wohl auf LinkedIn zu finden ist.
Dieses Dilemma ist ein Zeugnis unserer persönlichen Entwicklung und ein Spiegelbild der kollektiven menschlichen Sehnsucht, die Zukunft vorherzusehen. Schon immer leiten wir die Echos der Vergangenheit in den Zukunftsraum. In der Regel statten wir diesen Raum mit vergangenen Erfahrungen aus und diktieren ihm die Grenzen unserer Vorstellungswelt.
Wir verharren in einer Pseudo-Sicherheit und im Stillstand, indem wir uns ausschließlich die Vergangenheit als Informationsquelle für Zukunftsvorstellungen verfügbar machen.
Ohne diktierten Zukunftsraum, öffnen wir uns erst für die Vielfalt an Zukunftsmöglichkeiten. Dieser Möglichkeitsraum erfährt durch einen multiperspektiven Input, durch die Hinzunahme höchstmöglicher Meinungsvielfalt, einen enormen Schub für Innovationen und nachhaltige Stabilisierung der Lebensqualität aller Menschen. Diese Haltung erfordert nicht nur ein tiefes Verständnis der historischen Kontinuität, sondern auch die Fähigkeit, sich den Ungewissheiten zu stellen, die diese Zukunft birgt, und damit kreativ und innovativ umzugehen.
In einer Art, die uns daran erinnert, dass die größten Entdeckungen oft in den ruhigen Momenten des Nachdenkens gemacht werden, brachte der amerikanische Psychologe George A. Kelly, ein Pionier der konstruktivistischen Psychologie, die Welt zum Staunen. Zusammen mit seinen Studenten verfasste er ganz im Stillen, am Campus der Ohio State University, sein Lebenswerk: »The Personal Construct Psychology« (s. Kelly 1955). In diesem Werk formulierte er erstmalig sein Postulat: »A person’s processes are psychologically channelized by the way in which he anticipates events« (Kelly 1991: 32). Das bedeutet, dass die Art, wie eine Person denkt und handelt, stark davon beeinflusst wird, wie sie zukünftige Ereignisse vorhersieht oder erwartet. Kellys Theorie besagt, dass unsere persönlichen Konstrukte, also die individuellen Vorstellungen und Interpretationen, die wir von der Welt haben, unsere Wahrnehmung und unser Verhalten lenken. Wenn eine Person also erwartet, dass etwas auf eine bestimmte Weise geschehen wird, werden ihre Gedanken und Handlungen dazu neigen, sich in eine Richtung zu bewegen, die mit dieser Erwartung übereinstimmt.
Mit dieser Erkenntnis eröffnete Kelly ein völlig neues Verständnis der menschlichen Persönlichkeit. Er bereicherte die Psychologie um die Vorstellung, dass unsere persönliche Weltanschauung nicht nur auf unseren individuellen Erfahrungen fußt, sondern auch darauf, wie wir durch sie zukünftige Ereignisse vorwegnehmen. Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens ein dichtes Geflecht aus neuronalen Verbindungen. Dieses Netz ist das Fundament unserer Persönlichkeit, der Stoff, aus dem unsere individuellen Geschichten gewebt sind, und bildet das, was wir unser »Ich« nennen.
Diese Netzwerke funktionieren wie unsere ganz persönlichen Entscheidungshelfer. Sie geben uns die Fähigkeit, die Welt um uns herum zu benennen und einzuordnen, und auch zu verstehen. Wie ein unsichtbarer Berater arbeiten sie im Hintergrund und formen dabei unaufhörlich unsere »Intuition«2 – jene tiefe, innere Stimme, die uns leitet, bevor wir überhaupt in Worte fassen können, was wir fühlen oder denken.
»Es ist schwierig, Vorhersagen zu treffen, vor allem über die Zukunft.« • Mark Twain