Galway Girl Gesamtausgabe - Tanja Bern - E-Book
SONDERANGEBOT

Galway Girl Gesamtausgabe E-Book

Tanja Bern

0,0
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Gesamtausgabe der beliebten Galway Girl Reihe. Sínead sitzt in Galway plötzlich auf der Straße, als sie ihre Verlobung mit dem Manager Thomas Dillon löst. Niemand, auch sie selbst nicht, versteht wirklich, warum sie in der Beziehung so unglücklich war. Sie muss wieder bei ihrer chaotischen Familie einziehen und wird abrupt mit ihrem alten Leben konfrontiert. Ihr bester Freund Ethan ist da ein Lichtblick in all den Veränderungen und sie willigt spontan ein, ihn auf eine abenteuerliche Reise zu begleiten, die beide durch halb Irland führt. Langsam findet Sínead wieder zu sich selbst und erkennt den wahren Grund für das Ende ihrer Beziehung mit Thomas.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 904

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kurzbeschreibung:

Tanja Bern

Galway Girl Gesamtausgabe

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2021 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2021 by Tanja Bern

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Ashera.

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon.

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-405-9

www.instagram.com

www.facebook.com

www.edelelements.de

Inhalt

Winterreise – Galway Girl 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Frühlingserwachen - Galway Girl 2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Sommerglück – Galway Girl 3

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Herbstleuchten – Galway Girl 4

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Epilog

Kurzbeschreibung:

Sínead sitzt in Galway plötzlich auf der Straße, als sie ihre Verlobung mit dem Manager Thomas Dillon löst. Niemand, auch sie selbst nicht, versteht wirklich, warum sie in der Beziehung so unglücklich war. Sie muss wieder bei ihrer chaotischen Familie einziehen und wird abrupt mit ihrem alten Leben konfrontiert. Ihr bester Freund Ethan ist da ein Lichtblick in all den Veränderungen und sie willigt spontan ein, ihn auf eine abenteuerliche Reise zu begleiten, die beide durch halb Irland führt. Langsam findet Sínead wieder zu sich selbst und erkennt den wahren Grund für das Ende ihrer Beziehung mit Thomas.

Über die Autorin:

Tanja Bern ist dem Ruhrgebiet immer treu geblieben, obwohl sie seit vielen Jahren eine besondere Liebe für Irland hegt. Auf der Grünen Insel wurde damals etwas in ihr erweckt, das immer noch eine Quelle der Inspiration für die Autorin ist. Heute lebt sie mit ihrer Familie und zwei Katzen in einem Stadtteil Gelsenkirchens. Tanja Bern ist ein sehr intuitiver Mensch, der gerne mystische Bücher liest, sich um Tiere kümmert oder ihre Ruhe im Yoga sucht. Schreiben ist ihre große Leidenschaft, und wenn sich ihre Figuren dann noch verlieben, versinkt sie nur zu gerne in ihren Geschichten.

Tanja Bern

Winterreise 

Galway Girl 1

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Tanja Bern

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Lektorat und Korrektorat: Tatjana Weichel

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-262-8

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

- 1 -

Wir rennen über die Wildblumenwiese, die Blüten und Gräser streichen uns um die Beine. Unser Lachen hallt über die sonnige Lichtung, und die Luft riecht nach Sommer. Meine Welt scheint völlig in Ordnung zu sein. Intakt. Als könne mich nichts erschüttern.

Mit geschlossenen Augen stehe ich in der Küche, träume vor mich hin und flüchte für einen Augenblick vor …

Ja, vor was eigentlich?

Dieser eine Tag meiner Kindheit ist so wunderschön gewesen. Wenn ich mich an solche Momente erinnere, wird alles ein bisschen leichter für mich.

„Sínead, hörst du mir überhaupt zu?“

Ich blinzle und bin abrupt wieder in der Wirklichkeit. Thomas steht mit genervtem Gesichtsausdruck vor mir.

„Ehrlich gesagt ...“

„Hast du nicht zugehört, schon klar. Ist ja nichts Neues.“ Er seufzt, dreht sich weg und verlässt die Küche wieder.

Irritiert folge ich ihm ins Wohnzimmer. „Ich war kurz in Gedanken. Was wolltest du denn?“

„Du hast also wirklich gar nichts mitbekommen? In welchen Sphären hast du geschwebt?“ Sein Tonfall ist hart. Ich spüre, dass er seine Wut mühsam unterdrückt.

„Tut mir leid.“

„Was? Dass du mir nicht zugehört hast? Oder dass du mich seit Wochen wie einen nervigen Bruder behandelst?“

„Bitte was?“

„Schon gut“, murmelt er und wendet sich ab.

Ich bin für einen Moment sprachlos, fange mich aber rasch wieder und gehe ihm nach. „Du machst es dir zu leicht, Thomas.“

„Ach ja?“

Wieder einmal wird mir bewusst, wie unglücklich ich mich in seiner Gegenwart fühle. Ich kann nicht sagen, warum sich dieser Schatten jedes Mal auf mich legt, wenn eine Beziehung ernst wird. Aber diese Dunkelheit ist immer da. Auch jetzt.

Thomas nähert sich mir, fährt sich durch sein kurzes Haar. „Wir sollten nicht streiten“, beschwichtigt er und nimmt meine Hand. Sachte schüttelt er den Kopf, als verstehe er uns nicht mehr. „Es war heute ein ziemlich übler Arbeitstag in der Firma. Tut mir leid, ich habe überreagiert.“

„Nein, hast du nicht“, widerspreche ich leise.

Er gibt sich zufrieden mit meiner Antwort, haucht mir einen Kuss auf den Mund und geht zurück in die Küche. Ich höre, wie er sich einen Kaffee macht, die Geräusche sind mir wohlvertraut.

Ich gehe ihm nach, beobachte ihn und fühle – nichts. So sollte es nicht sein! Wir sind verlobt, seit über einem Jahr, wir wollen den Rest unseres Lebens miteinander verbringen.

Aber Thomas scheint unseren Zwist vergessen zu haben, oder er verdrängt ihn. Ich glaube, er will es nicht sehen. Denn nun redet er von seinem Arbeitstag und beschwert sich über einen vorlauten Kunden.

„Thomas“, unterbreche ich ihn. Er verstummt. Langsam gehe ich auf ihn zu. „Etwas stimmt nicht.“

Kaffeeduft breitet sich aus und erfüllt den Raum.

„Was meinst du, Sínead?“

„Wir … wir sind beide nicht glücklich.“

Thomas stellt seine volle Tasse auf die Anrichte. „Wie meinst du das? Und sprich nicht für mich!“

Betroffen senke ich den Kopf. Mein Schweigen sagt ihm mehr als tausend Worte.

„Sínead, wir sind verlobt!“

„Aber wie soll es noch werden, wenn schon der Beginn nur aus Streitigkeiten besteht?“

„Was willst du mir sagen, Sínead?“

Mir wird die Tragweite dieser Unterhaltung bewusst, und ich bekomme Angst. Bin ich dabei, unser Leben zu zerstören?

Thomas baut sich vor mir auf. Er überragt mich um eine Kopflänge. „Willst du mich noch heiraten oder nicht?“

Ich zögere. Mein Herz klopft auf einmal so heftig, dass es mir unangenehm ist. In meinen Magen bohrt sich ein Gefühl, und mir wird übel.

Nein, ich will Thomas nicht heiraten.

Die Erkenntnis treibt mir die Tränen in die Augen. Ich kann ihn nicht mehr ansehen und senke den Blick. Wie soll ich ihm das erklären?

„Dann geh, Sínead.“

„Was?“, frage ich heiser.

„Ich gehe davon aus, dass dein Schweigen ein Nein bedeutet. Deshalb: geh.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

Sein Gesicht bleibt unbewegt, jegliche Regung unterdrückt er. „Sínead, wenn du der Meinung bist, wir beide verplempern hier unsere Zeit, dann pack bitte deine Sachen und geh.“ Thomas atmet tief durch. „Oder bleibe, aber dann liebe und heirate mich aus tiefstem Herzen.“

Fassungslos sehe ich ihn an. Er wendet sich von mir ab, zieht sich seine Jacke an.

„Ich gehe jetzt in Jeffs Bar. Mach, was du für richtig hältst. Ich werde ja sehen, ob du noch da bist oder nicht, wenn ich wiederkomme.“

Seine letzten Worte versetzen mich in Wut. „Das ist es also? So einfach lässt du mich gehen? Du startest noch nicht einmal den Versuch, um mich zu kämpfen?“

„Kämpfst du denn um mich?“

Ich antworte nicht, starre ihn nur betroffen an.

Er nimmt seinen Wohnungsschlüssel vom Haken, geht aus der Haustür und zieht sie hinter sich zu.

*

Ich beuge mich zurück, um der Schaukel Schwung zu geben. Obwohl die rostigen Metallstreben knarren, erfüllt mich das Wiegen mit einem Zauber, der mich für den Moment in die Vergangenheit zurückkatapultiert.

Ich bin auf dem alten Spielplatz, an den sich kaum jemand erinnert, da er schon lange verfallen ist. Ich bin wieder acht Jahre alt und schaukle mit Ethan um die Wette. Meine Locken werden vom Wind zerzaust, und ich versuche, den Zipfel des Flusses zu sehen. Ich muss nur hoch genug kommen …

Feine Schneeflocken tanzen mir um die Nase, und eine eisige Bö trifft mich. Dieses Jahr ist der Winter in Irland alles andere als mild.

Seufzend halte ich die Schaukel an und knöpfe mir den Kragen meiner Jacke zu. Schritte lassen mich aufmerksam werden. Rasch wische ich mir die Tränenspuren fort und schaue hinter mich. Ethan kommt die Anhöhe hinauf.

Natürlich. Ethan kennt diesen geheimen Ort genauso gut wie ich – unseren Ort.

„War klar, dass du mich findest.“ Ich gebe der Schaukel wieder einen Schubs und lehne mich zurück. Vor und zurück.

„Deine Mum sagte mir, dass du bei Thomas ausgezogen bist.“ Ethan wirft mir einen ernsten Blick zu. „Mit all deinem Hab und Gut.“

„Was nicht besonders viel ist, wie ich jetzt weiß.“

Er setzt sich, wie so oft, auf den flachen Felsen vor mir. Die zweite Schaukel gibt es leider nicht mehr. Sein braunes Haar ist kurz und doch vom Wind zerzaust, der Dreitagebart, der so typisch für ihn ist, kommt mir ungewöhnlich lang vor.

„Was ist los, Sínead?“

Abrupt stoppe ich die Schaukel. „Ich bin wieder Single“, sage ich leise.

Ich versuche, in seinem Gesicht eine Regung zu lesen, aber Ethan ist ein Meister darin, seine wahren Gedanken nicht preiszugeben.

Mein Smartphone klingelt, wie schon fünfmal zuvor. Dazu gesellen sich in kurzen Abständen mehrere Kurznachrichten.

„Willst du nicht rangehen?“

Ich schüttle den Kopf, nehme einen tiefen Atemzug. „Ich habe unsere Beziehung angezweifelt, und er stellte mich vor die Wahl.“ Ich stocke, mir sitzt ein Kloß im Hals, der mich am Weiterreden hindert.

„Vor welche Wahl?“, fragt Ethan schlicht.

Ich blinzle die aufkeimenden Tränen fort und begegne seinem Blick. „Heiraten oder gehen.“

Nun zeigt sich Überraschung in seinem Gesicht.

„Deshalb bin ich … na ja …“

„Gegangen.“

„Ja.“

Erneut ertönt mein Handyklingelton, den ich ignoriere.

„Trotzdem ruft er immer wieder an?“

„Telefonterror trifft es wohl eher. Thomas hat geschrieben, er hätte das nicht ernst gemeint. Angeblich wollte er mich nur aufrütteln. Ich glaube, er sucht mich.“ Mir huscht ein Lächeln übers Gesicht. „Aber unseren alten Spielplatz kennt er nicht.“

Ethan antwortet nicht, betrachtet nur still die Umgebung. Auch ich sehe mich um.

Himbeersträucher überwuchern den Weg zu den Häusern. Um das Dickicht zu überwinden, müssen wir auf die Eiche klettern, deren Eichel Ethan und ich eingepflanzt haben, als wir sechs waren. Der Baum ist über zwanzig Jahre alt. Auf den kahlen, knorrigen Ästen verfangen sich feine Schneeflocken.

Ich stehe auf und geh die Anhöhe hinauf. Ethan folgt mir wortlos.

Die Wolken hängen so tief, sie scheinen den Boden berühren zu wollen. Dunst schleicht über die Wiese, die nur von einer Trockenmauer begrenzt ist. Ansonsten sehe ich die Häuser Galways, die sich eng aneinanderschmiegen. Von hier oben kann ich ein Stück weit dem Lauf des Flusses folgen, der vom Lough Corrib bis in die Galway Bay mündet. Der See und das Meer sind untrennbar durch den kürzesten Fluss Europas miteinander verbunden.

Als Ethan meine Hand nimmt, spüre ich unsere Verbindung. Er ist mein bester Freund und etwas Besonderes. Egal, wer an meiner Seite ist, wen ich küsse, neben wem ich aufwache. Die Welt wird ein bisschen heller, wenn Ethan anruft, auf mich zukommt, mit mir lacht. Ich kann einfach nichts dafür, es war schon immer so.

„Warum bist du gegangen, Sínead?“, fragt Ethan leise, ohne mich anzusehen.

„Ich … ich war unglücklich. Die Vorstellung, mit Thomas ein Leben lang zusammenzubleiben … kam mir so falsch vor.“ Ich suche seinen Blick, und er schaut mir in die Augen. „Ich hatte gar nicht vor, Schluss zu machen. Ich wollte mit ihm darüber reden, aber er …“

„Stellte dich vor die Wahl.“

„Vielleicht war das ja gut so. Als er einfach aus der Wohnung ging, mich aufgelöst stehen ließ, da wusste ich, mein Platz ist woanders, nicht bei ihm.“

Wieder klingelt das Handy.

„Magst du nicht doch mal rangehen?“

Ich schüttle stur den Kopf und schalte das Gerät aus. „Höchstwahrscheinlich wird er nachher bei meinen Eltern aufkreuzen.“

„Du hättest auch zu mir flüchten können.“

Ich lache leise. „Du wohnst in einer winzigen Wohnung, mit einem Einzelbett, und hast nicht mal eine Couch.“

„Ich habe zwei sehr gemütliche Sessel.“

„Thomas hasst dich. Du weißt, wie eifersüchtig er auf dich ist.“

„Oh ja, das weiß ich. Aber deswegen hättest du bei mir ganz sicher deine Ruhe vor ihm. Falls du das möchtest.“

Ethan lebt in dieser kleinen Wohnung, weil er sich scheut, in sein Elternhaus zu ziehen. Seine Mutter ist schon länger tot, aber der Verlust seines Vaters ist noch zu frisch.

„Thomas würde die falschen Schlüsse ziehen, wenn ich bei dir unterkäme.“

„Du ziehst also wieder in dein altes Kinderzimmer.“

„Es bleibt mir vorerst nichts anderes übrig.“ Ich fahre mir durch die hellbraunen Haare. „Das heißt also: herzlich willkommen im Chaos.“

„So schlimm sind sie nicht.“

„Ach nein?“, erwidere ich amüsiert. „Meine Mum ist die größte Tratschtante Irlands, ich habe einen Hippie als Dad, und meine Schwester hat jede Woche eine andere Haarfarbe. Nicht zu vergessen meinen kleinen Bruder, der den Mann fürs Leben sucht und von einem Desaster ins nächste rasselt.“

„Wusstest du, dass Fergus mich mal gefragt hat, ob ich bi bin?“

„Was? Ist nicht dein Ernst!“

„Doch. Ist aber schon zwei Jahre her“, antwortet Ethan mit einem Schmunzeln.

Mein Bruder hat sich für Ethan interessiert? Wie kommt er nur darauf, dass mein bester Freund Männern zugeneigt sein könnte? Ich werfe Ethan einen Seitenblick zu, doch der scheint mit den Gedanken schon woanders zu sein.

Die Flocken gehen in Schneeregen über, auf der Böschung wird es ungemütlich. Wir flüchten bis zu unserer Eiche, wo wir uns notdürftig unterstellen. Ich bemerke, dass Ethan meinem Blick ausweicht.

„Erwägst du denn, zu Thomas zurückzugehen? Trotz allem?“, will er plötzlich wissen.

Ich seufze leise. „Ich habe überlegt, ob ich noch einen Versuch wage. Immerhin sind wir vier Jahre zusammen gewesen. Aber ich bin ehrlich. Ich hätte lieber eine Auszeit.“

„Das kann ich gut verstehen.“

„Und was ist mit dir?“, wechsle ich bewusst das Thema, weil ich diesem grad sehr gerne ausweichen will. „Wen hast du dieses Mal an der Angel? Immer noch die hübsche Megan?“, frage ich betont flapsig, obwohl in mir ein komisches Gefühl aufkeimt, das ich nicht recht einordnen kann.

„Nein, die geht schon seit Wochen ihre eigenen Wege.“

„Wieso weiß ich das nicht?“

„War nicht wichtig.“

Ethan ist ein Mann, der nur schwer alleine bleiben kann. Dennoch hält er es nie sehr lange mit einer Frau aus.

„Vielleicht solltest du es doch mal mit Fergus versuchen.“

Für einen Wimpernschlag sieht er mich entsetzt an, dann schnauft er belustigt. „Sicher nicht. Ich stehe nicht so auf Jungs.“ Aber dann wird er ernst. „Sínead, ich werde bald für eine Weile nicht zu Hause sein.“ Er sagt das mit einem seltsamen Unterton, und irgendwie zwickt mich das direkt.

„Wo gehst du denn hin?“

„Ich muss für Sylvie eine Tour ausprobieren. Sie will im Sommer mal was Abenteuerliches anbieten, weil da wohl öfter nach gefragt wird.“

Sylvie Tenner ist Ethans Chefin und arbeitet in der Touristikbranche. Ich frage mich, was diese Frau nun wieder ausheckt. Sie hat die wildesten Ideen, und Ethan muss als Reiseleiter austesten, ob ihre Pläne überhaupt Sinn machen. Er arbeitet in Galway in einer Travel Agency, die mit ausländischen Reisebüros kooperiert.

„Und wo wird es dich hinführen?“

„Runter nach Kerry und weiter in den Osten, den Abschluss der Tour muss ich noch austüfteln. Sylvies Vorstellungen sind mir etwas zu … na ja … chaotisch.“

„Na, das ist ja nichts Neues.“

Es hat aufgehört zu regnen, also schlendern wir über die verwilderte Wiese, klettern über einen verfallenen Zaun und laufen durch einen Hinterhof voller Gerümpel, um zurück zum Fluss zu kommen. Wir überqueren die Brücke des Corrib und sind nach einigen Minuten in der mir so vertrauten Gegend.

Mum und Dad wohnen direkt auf einer der kleineren Einkaufsstraßen von Galway. Ihr Souvenirgeschäft befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes aus grauem Backstein, welches sich eng an die anderen Reihenhäuser schmiegt. Die Fensterläden und die Tür hat Dad karminrot angestrichen. Damit wir auch gesehen werden, hat er damals meiner Mum erklärt, die entsetzt von der knalligen Farbe war. Seitdem fügt sich mein altes Zuhause – nein, mein aktuelles Zuhause – viel besser in die Umgebung ein, denn die Fassadenfarben der Nachbarn reichen von Giftgrün bis hin zu Violett oder Hellblau. Nicht zu vergessen das Haus der O’Riordans, die ihre zitronengelbe Wand mit einer Efeuzeichnung verziert haben.

Vor dem Haus meiner Eltern werde ich von unserem lockeren Gespräch wieder in die Wirklichkeit gerissen, denn ich höre Thomas’ Stimme aus dem gekippten Küchenfenster im ersten Stock. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Was soll ich ihm sagen?

„Ich glaube, es ist besser, wenn ich gehe“, sagt Ethan leise.

„Okay“, flüstere ich.

Ich zwinge mich, Ethan nicht nachzuschauen, schließe die Eingangstür auf und gehe in den Flur. Der Duft nach irischem Apfelkuchen weht mir entgegen, und für einen Moment überkommt mich Wehmut. Meine Familie mag chaotisch sein, aber es sind die liebenswertesten Menschen auf der Welt.

- 2 -

Ich steige die Treppe hinauf, und mit jedem Schritt werde ich langsamer. Es widerstrebt mir, Thomas schon heute gegenüberzutreten. Mit Unbehagen bleibe ich auf den Stufen stehen und überlege, was ich ihm sagen soll.

Die Wohnungstür wird aufgerissen, und ich dränge mich instinktiv nah ans Geländer.

„Sorry, bin spät dran!“ Meine Schwester Maeve wirft mir ein verschmitztes Lächeln zu, während sie an mir vorbeistürmt.

„Coole Haarfarbe“, rufe ich ihr hinterher. Ich warte einen Moment und lächle sie an, als sie noch einmal durch das Geländer zu mir hochlugt.

„Ja? Gefällt es dir?“ Sie zupft an ihrem fliederfarbenen, kurzen Schopf.

„Ist viel besser als das Pink.“

„Mum findet es furchtbar, aber Daddy ist begeistert.“

„Das wundert mich jetzt nicht. Aber nun geh, sonst kommst du zu spät. Bandprobe, oder?“

Maeve nickt, salutiert wie ein Soldat und huscht hinaus.

Ich bin wieder allein und sehe auf die Tür, die nur angelehnt ist. Gitarrenklänge hallen dumpf zu mir herunter. Ich höre Thomas auflachen. Mum hat ihn wohl aufgeheitert, vielleicht auch Hoffnungen in Bezug auf mich gemacht.

Mit einem tiefen Atemzug schließe ich die Augen und horche in mich hinein. Was will ich? Wie möchte ich mein zukünftiges Leben verbringen? Und vor allem, soll Thomas ein Teil davon sein?

In mir formt sich ein klares Nein, stattdessen geistert Ethan in meinen Gedanken herum. Ethan?

Ich schüttle den Kopf und vertreibe die inneren Bilder, reiße mich zusammen und gehe schließlich nach oben in die Wohnung. Meine Jacke hänge ich an einen freien Garderobenhaken und schlüpfe aus meinen Winterstiefeln. Noch hat mich niemand bemerkt, deshalb gehe ich zu meinem Vater ins Wohnzimmer.

„Hey Dad.“

Er hält in seinem Gitarrenspiel inne und sieht zu mir auf, streicht sich mit der rechten Hand das lange, zottelige Haar hinters Ohr. Ich setze mich zu ihm auf die Couch.

„Weißt du, dass Thomas überall nach dir gesucht hat?“

Ich zucke mit den Schultern und lehne mich zurück. Meine Finger streichen über den abgewetzten Stoff des Sofas. Es fühlt sich vertraut an.

„Was ist passiert, Kleines?“

„Thomas hat mich vor die Wahl gestellt. Ihn zu heiraten oder zu gehen, wenn ich nicht sicher bin,“ antworte ich leise.

Dad brauche ich nichts weiter zu erklären. Er legt seufzend den Arm um mich, und seine Wärme hüllt mich direkt ein. Für einen Moment genieße ich seine Nähe und seinen stillen Trost.

„Ich fürchte, ich muss da jetzt mal was klären.“

„Ja, da kommst du wohl nicht drum herum.“

Zurück in dem kleinen Korridor, der alle Zimmer miteinander verbindet, werfe ich einen Blick in den Spiegel. Meine braunen Locken stehen durch die Feuchtigkeit in alle Richtungen ab, und ich bändige sie mit einem Zopfband. Rasch wische ich die Spuren zerlaufener Wimperntusche fort. Thomas soll nicht sehen, dass ich geweint habe.

„Sínead.“

Ich fahre herum.

Thomas steht in der Küchentür, sieht mich entgeistert an. „Ich habe dich überall gesucht!“

„Warum?“, bringe ich nur hervor.

„Warum? Sínead! Was ich gesagt habe, sollte dich nur aufrütteln. Ich konnte doch nicht ahnen, dass du …“

„… dass ich genau das tue, was du wolltest?“, unterbreche ich ihn.

Er fixiert mich mit prüfendem Blick. „Lass uns reden, ja?“

„Ist nicht schon alles gesagt?“

Meine Worte lassen ihn die Stirn runzeln. „Ich glaube, hier ist nicht der geeignete Ort dafür. Lass uns einen Tee trinken gehen“, antwortet er schließlich.

Schweigend laufen wir die Quay Lane zu einem urwüchsigen Tearoom hoch, den ich sehr mag. In meiner Jugendzeit haben Ethan und ich hier viele Nachmittage verbracht, gelacht, geredet und von unserer Zukunft geträumt.

Die Türglocke erklingt, als wir das Cupán tae betreten. Wir suchen uns einen der hinteren Tische aus, und plötzlich bin ich mir in einer Sache sicher: Thomas gehört nicht zu meinem zukünftigen Leben.

Selbstsicher winkt er die Bedienung heran, wir bestellen Tee, und während wir warten, dass der andere das Gespräch wieder aufnimmt, schweigt Thomas, und ich sehe mich um.

Die antike Holztheke wirkt wie aus einer anderen Zeit, darauf stehen Kuchen und Kekse. Die Wand dahinter wird von einem riesigen Regal beherrscht, in dem all die wunderbaren Teesorten lagern. Für einen Augenblick vergesse ich den Grund unseres Hierseins und genieße den Pfefferminzduft, der mit einem Hauch Himbeere den Raum erfüllt.

Als man uns den Tee bringt, streiche ich nervös die weiße Tischdecke glatt, gieße mir den schon fertigen Früchtetee aus dem Kännchen in die verzierte Porzellantasse.

Thomas ahmt es mir nach, pustet in die Tasse, nimmt einen Schluck. Dann eröffnet er endlich das Gespräch. „Also, wollen wir mal nicht um den heißen Brei reden. Wie ich schon sagte, sollten dich meine Worte nur irgendwie aufwecken.“ Er lächelt milde. „Damit du weißt, was du an mir hast.“

Soll das ein Scherz sein?

„Ich habe natürlich nicht vor, mich von dir zu trennen“, fährt er mit seinem Monolog fort. „Bitte versteh das nicht falsch. Wir sollten aber darüber reden, was in letzter Zeit mit dir los ist.“ Dann sieht er mich abwartend an.

Ich versuche, das Zittern meiner Hände zu unterdrücken, nehme einen Schluck Tee, suche Worte. „Ich bin unglücklich, Thomas. Du drehst alles so, wie es dir gerade passt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob du mich oder meine Wünsche auf irgendeine Art ernst nimmst. Du bestimmst lieber über mich.“

„Das ist doch gar nicht wahr! Außerdem bin ich hier und höre mir an, was du zu sagen hast.“

„Und ich bin gegangen, weil du mich vor die Wahl gestellt hast.“

„Ich sagte dir doch schon, dass ich das nur gesagt …“

„Aber du hast es gesagt, und ich habe reagiert.“

„Es tut mir leid, Sínead.“ Er streckt die Hand aus, will mir über die Wange streichen.

„Nicht!“, sage ich und weiche seiner Berührung aus.

Thomas zieht die Hand zurück, er wirkt verwirrt und verletzt. An seinem Gesichtsausdruck sehe ich, dass er nun endlich den Ernst der Lage begreift. „Du hast zu Hause gefordert, dass ich um dich kämpfe!“

„Und du bist in die Bar gegangen, Thomas. Mit den Worten, dass du ja sehen wirst, ob ich noch da sein werde.“

Er schnauft unwillig auf. „Das wirfst du mir vor? Du hast indirekt unsere Verlobung gelöst, indem du geschwiegen hast!“

„Ganz genau.“

„Wie, ganz genau? Was meinst du damit?“

„Dass ich die Verlobung gelöst habe“, antworte ich leise.

„Du … löst die Verlobung?“, wiederholt er fassungslos.

Mein Herz beginnt zu rasen, ich kämpfe darum, die Tränen zurückzuhalten. Mein Gefühl jedoch beharrt darauf, dass ich das Richtige tue. „Ja …“

Thomas starrt mich an, ich zwinge mich dazu, seinem Blick standzuhalten. Er steht so hastig auf, dass der Stuhl über den Boden schleift und ein lautes Quietschgeräusch macht. Ohne ein weiteres Wort verlässt er das Cupán tae, und ich bleibe aufgelöst zurück.

Ist meine Entscheidung richtig? Es fällt mir schwer, das zu beurteilen. Ich weiß aber, dass die Beziehung mich todunglücklich gemacht hat, und das ging so weit, dass ich seinen Heiratsantrag nur angenommen habe, weil ich mich nicht getraut habe, nein zu sagen.

Trotzdem trifft mich dieses harsche Ende unserer Beziehung. Ich senke den Kopf, versuche zu vertuschen, dass ich meine Tränen nicht aufhalten kann. Es sind zum Glück noch nicht viele Gäste in dem Teehaus, das ich eigentlich so liebe. Ob ich hier je wieder reingehen kann, ohne an diesen furchtbaren Tag zu denken?

Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Jemand stellt mir einen Teller hin, von dem einer der speziellen Cupán tae-Scones verführerisch duftet.

Verdutzt blicke ich auf. Die Besitzerin des Cafés lächelt mich an. „Geht aufs Haus.“

Ich kann nur ein leises Danke hauchen, weil ich direkt einen Kloß im Hals habe.

Die Süßigkeit schenkt mir ein bisschen Trost. Diese Scones werden in Tee getränkt und sind für mich das Leckerste, was in Galway zu finden ist. Das Gebäck ist schon aufgeschnitten, mit Butter und Himbeermarmelade bestrichen. Schlagsahne steht in einem Töpfchen auf dem Teller, und ich nehme auch davon.

Ich wünschte, Ethan wäre hier. Aber ich will ihn nicht behelligen, also kämpfe ich mit meiner Fassung.

Im Radio erklingen die ersten Töne von Ed Sheerans „Galway Girl“, und ich lächle traurig. Ich liebe dieses Lied. Es lässt etwas in mir erklingen, denn früher hat Ethan mich so genannt.

Ich reiße mich zusammen, esse meinen Scone auf und gehe zur Theke. Dort bestehe ich darauf, zumindest die beiden Tees zu bezahlen.

Wind kommt auf und weht einige Papierschnipsel vor mir her. Ein bestimmter Duft steigt mir in die Nase. Ich rieche den Charakter des Hafens: Fisch, Algen und ein Hauch der Schiffsausdünstungen. Ein schneller Blick zum Himmel bestätigt meine Ahnung. Lebt man hier, lernt man, dass der Regen nicht lange auf sich warten lässt, wenn sich die Gerüche der Stadt intensivieren.

Ich biege in die Einkaufsstraße ein, höre eine irische Fiddle und weiß sofort, dass es Fergus’ Spiel ist. Noch sehe ich meinen Bruder nicht, erspähe ihn dann aber unweit unseres Souvenirshops. Als er mich sieht, hält er inne und lässt die Fiddle sinken.

„Du gehst mit Thomas und kommst alleine zurück? Das ist nicht gut. Alles in Ordnung?“

Ich küsse ihn auf die Wange. „Ja, alles gut. Komm lieber rein, es wird regnen.“

Fergus seufzt ergeben auf. „Ich muss noch durchhalten. Dahinten kommt eine Touristengruppe, und ich brauch unbedingt ein bisschen Geld fürs Wochenende.“ Er zwinkert mir zu und setzt das Instrument wieder an. Die ersten Töne von „Down by the Sally Gardens“ erklingen. Ich weiß, dass er das Lied nicht gerne spielt, bei den Urlaubern kommt es jedoch jedes Mal gut an.

Die ersten Tropfen fallen vom Himmel, und ich ziehe seinen offenen Koffer unter unser Vordach. Er folgt mir, ohne innezuhalten, spielt kunstvoll und fehlerfrei. Fergus lockt die Touristen zu sich, sie hören mit versonnenen Gesichtern zu, einige spannen ihre Regenschirme auf.

Ich gehe in den Laden zu Mum, die mich argwöhnisch ansieht. Sie hat mir heute freigegeben, aber um mich abzulenken, werde ich ihre Schicht übernehmen. Sie setzt an, etwas zu sagen, doch ich schüttle den Kopf. Nicht jetzt!

Sie akzeptiert es mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Der Regenguss lässt die Urlauber in unserem Laden Schutz suchen. Fergus zwinkert Mum verschwörerisch zu, während er den Song zu Ende spielt, und flüchtet dann ebenfalls zu uns ins Geschäft. Fast liebevoll legt er seine Fiddle zurück in den Koffer.

Die Fremden nutzen die Zeit, um unseren keltischen Schmuck, die Pullover aus irischer Wolle und all die Figuren anzuschauen. Ethan und ich haben uns früher immer ausgemalt, was geschähe, wenn all die Feen und Kobolde aus Kunststein lebendig werden würden. Wahrscheinlich hätten sie den ganzen Laden in ihrem Übermut verwüstet.

Fergus geht zu Mum an die Kasse und zeigt unauffällig auf die Gruppe, die er zu uns gelotst hat. Mit einem Augenrollen steckt sie ihm einen Schein zu, und ich muss mir ein Auflachen verkneifen. Was habe ich nur für einen gerissenen Bruder. Mum fällt immer wieder darauf rein.

Ich gehe zu den Bildern mit irischen Landschaften, richte sie so aus, dass sie sofort gesehen werden, ordne die Shamrock-Shirts nach Größen, kontrolliere die Tassen und Teller, auf denen irische Symbole aufgedruckt sind. Manchmal gehen einige von ihnen kaputt, und ich muss sie aussortieren.

Eine ältere Frau nähert sich mir, lächelt scheu. „Hast du Tasse mit Harfe?“, fragt sie in gebrochenem Englisch.

Zielsicher greife ich hinter die Schaf-Tassen und zeige ihr eine, auf deren Keramik in Smaragdgrün und Gelb wunderschöne Verzierungen sind. In der Mitte thront die keltische Harfe.

Mit einem verzückten Ausruf nimmt sie das Souvenir entgegen und bedankt sich überschwänglich.

Ich sehe ihr nach. Manchmal wünsche ich mir, Galway durch die verliebten Augen der Urlauber zu sehen. Für sie scheint die Stadt ein Ort voller Zauber zu sein.

*

Am späten Nachmittag fahre ich, um Ruhe zu finden, mit dem Fahrrad nach Salthill, um mich mit Ethan zu treffen. Im Sommer bei schönem Wetter ist der Sandstrand immer gut besucht. Jetzt im Dezember ist es der Ort, der mich mit Frieden erfüllt. Badetouristen gibt es nicht.

Der sonst so weiße Sand schimmert grau vor Feuchtigkeit. Seetang liegt am Ufer, wird vom Wasser hin- und herbewegt. Mutton Island versinkt fast im Nebel, wie eine Geisterinsel, die nur manchmal schemenhaft zu sehen ist. Der Freizeitpark Leisureland mit seinen Hotels und Pubs liegt weiter im Westen. Ich entferne mich von den Häusern und gehe bis zu den Wellenbrechern Richtung South Park. Es sind Felsen, die man zum Schutz gegen stürmischen Seegang in Richtung Atlantik aufgeschichtet hat. Möwen nutzen den Ort im Meer als Ruheplatz, Muscheln haften fest an dem glitschigen Gestein.

Ich laufe ein Stück über die asphaltierte Promenade bis zu einer kleinen Treppe, die zum Strand hinunterführt. Mich zieht es direkt ans Wasser.

Die Brandung ist heute wild und ungezähmt. Wellen schäumen an die Küste, die Gischt benetzt mein Gesicht. Möwen kreisen über mir, ihre Rufe hallen wie ferne Stimmen über den Strand.

Ich liebe die reduzierten Geräusche von Salthill im Winter.

Ich ziehe meine Schuhe aus, kremple mir die Hosenbeine auf und wate in die Wellen. Das Wasser befeuchtet trotzdem meinen Jeanssaum, aber das ist mir egal. Krebse huschen davon, als ich einen der Felsen hochklettere.

Ethan kommt den Strand herauf und hat Whiskey dabei. Ich muss lachen.

„Nach deiner Nachricht habe ich gedacht, das könntest du gebrauchen“, sagt er verschmitzt und hebt die Flasche mit der honigfarbenen Flüssigkeit an.

„Du weißt einfach immer am besten, was mir guttut.“

Ich rücke ein Stück zur Seite, damit er neben mir auf meinem Lieblingsfelsen Platz nehmen kann. Bevor er sich setzt, nimmt er den geschulterten Rucksack ab.

„Was hast du noch mitgebracht, Ethan?“

„Unter anderem zwei Gläser. Wir werden den guten Whiskey nicht aus der Flasche trinken.“ Triumphierend holt er zwei kleine Wassergläser hervor und schraubt die Flasche auf, um uns einzugießen.

Ich nehme mein Glas und schwenke die Flüssigkeit hin und her, fröstle aufgrund einer kalten Bö.

„Darf ich auf unser neu gewonnenes Single-Leben anstoßen? Oder käme das jetzt blöd?“

Ich antworte nicht, sondern proste ihm zu. Unsere Gläser klirren aneinander, und ich nehme einen vorsichtigen Schluck. Der Whiskey rinnt brennend meine Kehle herunter und schenkt mir wohlige Wärme.

Wir schauen schweigend aufs Meer, nippen an unserem Alkohol, und das erste Mal an diesem Tag fühle ich wieder inneren Frieden.

„Wie geht es dir, Sínead?“, fragt er dann leise.

„Ach, ich weiß es selbst nicht. Alles fühlt sich seltsam an.“

Ich sehe, dass ihm etwas auf dem Herzen liegt. Sein Daumen streicht immer wieder über das Glas, mit der Sohle seiner Trekkingschuhe schleift er über den Fels, und ab und zu zupft er an seinem Stoppelbart.

„Was willst du mich fragen, Ethan?“

Verdutzt begegnet er meinem Blick. „Verdammt, du kennst mich gut.“ Er lacht leise. „Komm mit mir auf die Tour.“

„Auf Sylvies Abenteuer-Tour?“

„Du würdest mal was anderes sehen, auf andere Gedanken kommen. Warst du in den letzten Jahren überhaupt mal raus aus Galway?“

„Nicht wirklich.“

„Dann komm mit. Deine Mum gibt dir bestimmt ein paar Tage frei, … wenn ich sie nett frage.“

Belustigt schnaufe ich auf. Aber er hat recht. Ethan wickelt Mum mit Leichtigkeit um den Finger.

Ich stelle mir vor, wie wir tagelang auf Entdeckungstour sind, uns womöglich ein Zimmer teilen. Der Gedanke lässt mein Herz höherschlagen. Vorfreude flammt in mir auf. Allerdings mischt sich auch eine unbestimmte Angst dazwischen, die ich nicht verstehe.

Oder die ich nicht verstehen will.

„Sínead?“

Ich nehme noch einen großen Schluck Whiskey, vertreibe damit die negativen Gefühle. „Ich überlege es mir.“

In dem Moment bricht sich eine Welle nah an dem Felsen und schwappt über unsere Beine. Ich schnappe erschrocken nach Luft, denn das Wasser ist eisig. Ethan flucht leise.

Aber dann grinst er. „Sogar das Meer will dir einen Schubs geben“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

„Sehr witzig“, grummle ich.

Der Zauber des Ortes ist für den Augenblick vorbei, mir wird binnen Sekunden eiskalt. Wir stehen auf und klettern zurück auf den Strand, meine Jeans trieft vor Nässe. Ihm merkt man nichts an, er ist hartgesottener als ich.

Ethan sieht mit einem prüfenden Blick zu mir rüber. „Komm, ich fahr dich nach Hause.“

„Und mein Fahrrad?“

„Das kriege ich hinten in den Wagen rein.“

„Okay.“

Auf dem Weg zum Land Rover zittere ich wie Espenlaub. „Und du bist dir wirklich sicher, dass ich auf deiner Tour nicht erfriere?“

Ethan hängt mir seine Jacke um die Schultern. „Nicht, wenn ich bei dir bin.“

- 3 -

Meine Eltern haben, warum auch immer, mein altes Zimmer nicht verändert. Die Jalousien habe ich heute Nacht offengelassen, damit der Mondschein das Zimmer erhellt. So liege ich in meinem Jugendbett und starre auf das Mobile, das sich im Luftzug des Fensters sachte bewegt.

Es fühlt sich zwar seltsam und ungewohnt an, dass Thomas nicht neben mir liegt und leise schnarcht, aber andererseits ist es für mich eine pure Erleichterung.

Ich seufze, lausche auf die Stimme meiner Schwester, die so spät am Abend noch telefoniert. Aber sie ist achtzehn, und ich erinnere mich noch gut an meine heimlichen Telefonate in der Nacht. Das Haus kommt mir hellhöriger vor als früher. Sogar Fergus‘ Husten nehme ich wahr. Ob der Schussel sich wieder an seiner Cola verschluckt hat? Er ist zwar dreiundzwanzig, wird aber für mich immer mein kleiner Bruder sein.

Ich muss an unsere Katze Lucy denken. Die Kleine ist schon seit Jahren tot, aber hier in meinem alten Zimmer ist sie mir wieder nah. Ihr bevorzugter Schlafplatz war an meinem Fußende. Dort schlief sie auch mit fast zwanzig Jahren für immer ein. Für einen Augenblick spüre ich wieder ihre tretelnden Pfötchen auf meinen Füßen. Überrascht fühle ich Tränen auf meinen Wangen. Durch meine Brust zieht sich ein Schmerz, den ich glaubte, längst überwunden zu haben.

Damals hätte ich gerne wieder eine Katze gehabt, aber Mum wollte keine Haustiere mehr, und Thomas kann mit Tieren überhaupt nichts anfangen.

Ich schließe die Lider, flüchte mich in meinen geheimen Mädchentraum, lasse die Bilder vor meinem inneren Auge entstehen.

Ich trete aus dem Haus, sehe hügelige Wiesen, auf denen Nebel schwebt. Schemenhaft erkenne ich einige Pferde. Eine schwarze Katze streicht mir um die Beine und maunzt leise.

In meiner Nähe steht ein alter Baum. Er erinnert mich an unsere Eiche auf dem Spielplatz. Eine breite Schaukel ist an einem dicken Ast befestigt, schwingt im Wind leicht hin und her. Hinter mir öffnet sich die Tür. Ethan kommt heraus.

Ich blinzle, runzle die Stirn.

Ethan?

Aber natürlich. Ohne ihn könnte ich mir ein Leben gar nicht vorstellen. Er ist mein Vertrauter und mein bester Freund.

Ich lasse dem Traum seinen Lauf.

Ethan kommt aus der Tür. Mein Herzschlag beginnt schneller und intensiver zu pochen, als er mich von hinten umarmt.

Früher hat er so etwas öfter getan.

Die Pferde grasen, die Katze springt auf einen Holzstapel, leichter Regen setzt ein. Aber es ist nur ein kurzer Schauer. Ethan und ich bleiben draußen stehen, geschützt unter dem Vordach. Er dreht mich zu sich herum, und sein Blick nimmt mich gefangen. Plötzlich erfüllt mich nur ein einziger Wunsch. Ihm näher zu kommen, seine Lippen nur einmal zu berühren.

Ich richte mich abrupt auf, vertreibe die Bilder. Was denke ich denn da? Ethan ist mein bester Freund!

Was hat die Trennung von Thomas bloß in mir ausgelöst? Ich reibe mir über mein Gesicht.

Mein Handy gibt ein leises Pling von sich. Ethan.

Hast du es dir schon überlegt? Kommst du mit?

Es ist verlockend, doch ich zögere immer noch. Würde es womöglich etwas zwischen uns ändern?

Du drängelst.

Es dauert eine Weile, bis er antwortet.

Du kannst nicht für immer und ewig in Galway festsitzen, Sínead. Komm mit mir!

Kein humorvoller Spruch? Verwundert starre ich auf die Nachricht. Er meint es ernst. Es geht ihm nicht um irgendeine Begleitung. Ethan will mich dabeihaben.

Diese Erkenntnis und das intensive Gefühl von vorhin lassen mich ratlos zurück. Ich überlege fieberhaft, was ich ihm sagen könnte. Kurzerhand wähle ich seine Nummer, und er nimmt das Gespräch sofort an.

„Ethan, ich muss erst mit Mum sprechen.“

„Das sind doch Ausflüchte.“

„Ertappt.“

„Worum geht es wirklich?“

„Das … das kann ich noch nicht sagen.“

Kurze Stille, ein Räuspern. „Hast du einen anderen und dich deshalb von Thomas getrennt?“

„Was? Nein! Wie kommst du denn auf sowas?“

„Weiß nicht. Sieht dir nicht ähnlich, dass du mir so ausweichst.“

„Reden wir morgen erstmal mit Mum, okay?“

„Sie wird nichts dagegen haben. Es ist doch keine Saison. Außerdem hast du wirklich lange nicht frei gehabt. Hat Thomas eigentlich nie was dazu gesagt?“

Ich seufze. „Er arbeitet doch selber nur. Eben ein echter Workaholic.“

„Dir sieht das aber nicht ähnlich.“

Auf einmal keimt leichte Wut in mir auf. Ich will nicht, dass er mir Vorhaltungen macht. „Lass mich doch einfach erstmal zur Ruhe kommen!“

Ich höre Ethan atmen, er schweigt.

Mein schroffer Tonfall tut mir sofort leid. „Entschuldige, Ethan.“

„Schon gut. Ich will dich doch gar nicht drängen. Aber ich glaube wirklich, du brauchst mal Abstand von all dem. Melde dich einfach. Zwei Tage bin ich noch in Galway.“

„Okay, danke.“

„Schlaf gut, und träum von deinem Ponyhof.“

Er ist der Einzige, dem ich davon erzählt habe, nicht einmal Mum und Dad wissen davon.

„Ich war gerade dabei.“

„Wie war das Wetter?“

„Es regnete natürlich.“

Er lacht leise. „Wusstest du eigentlich, dass es in Kerry Palmen gibt?“

„Palmen? Wie auf Mallorca?“

„Ja, sie stehen zwischen Rhododendronbüschen.“

„Dann scheint in Kerry auch mal die Sonne?“

„Im Winter bin ich mir da nicht so sicher.“

„Ich muss also mitkommen, um das nachzuprüfen?“

„Ja, … vielleicht.“

„Ich überleg’s mir.“

„Gut, dann schlaf jetzt, Galway Girl.“

„Du auch, Adventure Man.“

Unsere geheimen Superheldennamen werden wir wohl nie ganz loswerden, denke ich schmunzelnd.

„Ich bin immer noch dafür, dass wir uns Kostüme überlegen sollten“, sagt er vergnügt.

Ich lache leise auf.

„Wirst du denn jetzt schlafen können, Sínead?“

„Ja, ich überlege mir eine coole Rüstung für dich und schlaf dann bestimmt ein.“

„Ist sicher besser als Schafe zählen.“

„Obwohl wir davon ja wirklich genug für schlaflose Nächte haben.“

„Nun aber gute Nacht. Es ist schon spät.“

Ich schaue auf die Uhr. Mitternacht ist längst vorbei. „Oh je, du hast recht. Hast du morgen frei?“

„Nicht wirklich, ich muss an den Tourplänen arbeiten.“

„Okay. Gute Nacht, Ethan.“

„Sehen wir uns morgen?“

Fast hätte ich einen Tee im Cupán tae vorgeschlagen, denke jedoch an das Gespräch mit Thomas und sage nur „Ja, gern.“

„Dann bis morgen. Ich komm einfach ins Geschäft. Und jetzt besser keine Träumereien mehr. Schlaf!“

„Du aber auch!“

„Wir werden sehen.“

Ich sehe förmlich sein verschmitztes Lächeln vor mir. Eine wohlige Wärme erfüllt mich.

Schließlich beenden wir das Gespräch wirklich, und ich lege mich wieder hin.

„Also wieder die Adventure Man-Rüstung“, murmle ich und senke die Lider.

Schlaf bekomme ich in dieser ersten Nacht nur teilweise. Die Gedanken toben in mir. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. Erst in den frühen Morgenstunden falle ich in einen leichten Schlummer und erschrecke regelrecht, als mein Radiowecker anspringt.

Ich stöhne auf, fühle mich erschöpft und lethargisch. Mir fällt es schwer, die Augen zu öffnen. Mit dem rechten Arm beschatte ich sie vor dem einfallenden Sonnenlicht.

Halt. Moment. Sonnenlicht?

In den letzten Wochen hat es wirklich viel geregnet, der Himmel war stetig von Wolken verdeckt.

Das Wetter weckt meine Lebensgeister, und ich krabble aus dem Bett, taumle verschlafen zum Fenster und öffne es. Die Einkaufsstraße unter mir glänzt vor Feuchtigkeit. Die Pfützen sind gefroren, auf den Autoscheiben liegt eine Eisschicht. Ich atme die kalte Luft ein und genieße darin die Nuance des Meeres, die man trotz der Kälte wahrnimmt.

Seufzend sperre ich aber schnell den Winter wieder aus, es ist eisig. Müde reibe ich mir über die Augen. Als ich in die Küche gehen will, um mir Frühstück zu machen, huscht meine Schwester an mir vorbei. Sie stoppt, sieht mich an und läuft zurück in ihr Zimmer.

„Du musst doch bestimmt einige von deinen Sachen waschen. Kannst du meine bitte mitwaschen?“ Sie drückt mir ein Bündel Wäsche in die Hand. „Danke!“

Ich bin so verblüfft, dass ich dastehe und ihr nur hinterhersehe. Ehe ich etwas sagen kann, poltert sie die Stufen herunter und verschwindet aus der Haustür.

„Maeve!“, rufe ich wütend, aber natürlich viel zu spät.

„Was ist denn, Sínead?“, antwortet stattdessen meine Mum aus der Küche.

„Ach nichts“, murmle ich und erwäge, meiner Schwester den Wäschehaufen vor die Zimmertür zu legen, entscheide mich aber dagegen. Murrend tapse ich in den Keller und stelle fest, dass sie die Wäsche nicht mal geordnet hat. Ich verteile sie in Mums Sortierkörbe und wasche zumindest schon mal die dunkle Wäsche mit Maeves stinkenden Socken.

Oben in der Wohnung ernte ich von Mum einen misstrauischen Blick. „Du wäscht am frühen Morgen, noch vor deinem ersten Kaffee, die Wäsche? Was hast du angestellt?“

„Nicht meine Wäsche. Maeve hat mich ausgetrickst.“

Mum schüttelt mit dem Kopf. „Wie früher, mh? Schmeiß ihr die dreckige Wäsche das nächste Mal zurück ins Zimmer.“

Meine kleine Schwester weiß genau, dass ich das nicht übers Herz bringe.

„Komm frühstücken, Sínead. Ich hab dir schon was fertiggemacht.“

„Mum, das musst du doch nicht.“

„Mach ich aber gerne.“

Der Frühstückstisch ist gedeckt. Dad sitzt bereits mit der Irish Times auf seinem Platz und trinkt seinen schwarzen Tee mit Milch, wie jeden Morgen. Ich selbst bevorzuge Instantkaffee zu Toast, Marmelade und Spiegelei. Dad liebt dafür Mums Würstchen.

„Guten Morgen, Dad.“

Er lächelt mich über die Zeitung hinweg an und erwidert meinen Gruß.

„Wo ist Maeve so früh schon hingegangen?“

„Sie hat irgendeinen neuen Job und will nicht drüber reden“, sagt Mum. Ich höre Sorge in ihrer Stimme.

Fergus kommt wie ein Zombie in die Küche geschlurft, greift nach den Cornflakes und verschwindet wieder. Nach kaum zwanzig Sekunden kehrt er zurück, schüttet sich Milch in eine Schüssel, grüßt uns mit unverständlichem Gemurmel und geht erneut hinaus. Ich höre ihn die Treppe zu seinem Zimmer heraufgehen.

„Die Krümel, die er im Bett hinterlässt, kann er heute selber wegsaugen“, kommentiert Mum säuerlich. „Ich bin arbeiten.“

„Er könnte auch mal die ganze Wohnung saugen und nicht den halben Tag im Internet surfen“, sagt Dad abwesend, während er die Zeitung liest. Mir scheint, er sagt das, was Mum hören möchte.

Sie nickt zustimmend. „Oder im Laden helfen.“

Ich lausche den Stimmen meiner Eltern, mische mich aber nicht ein. Es erinnert mich an früher, wo sie ähnliche Dinge über Maeve gesagt haben.

Reden sie so auch über mich, wenn ich nicht da bin?

Ich vermisse plötzlich die Ruhe, die ich in den letzten Jahren morgens hatte. Thomas ging schon immer sehr früh zur Arbeit, und die Wohnung gehörte dann vom Gefühl her mir allein. Ich habe das immer sehr genossen, muss mich nun wieder neu an den morgendlichen Trubel gewöhnen.

„Mum?“

Sie setzt sich an den Tisch und schaut mich an.

Ich weiß, wie viel Zeit sie in ihrem Laden verbringt, deshalb fällt es mir schwer, sie nach Urlaub zu fragen. Aber in der Nacht bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass Ethan recht hat. Ich brauche eine Auszeit.

„Mum, könntest du mir ein paar Tage freigeben? Ethan hat mich gefragt, ob ich ihn auf eine neue Tour begleite.“

„Das hast du doch noch nie gemacht.“

Ich seufze leise. „Ich habe mich zuvor auch noch nie entlobt“, murmle ich mehr zu mir selbst.

Mum legt ihre Hand auf meine. „Erzähl uns doch, was vorgefallen ist.“

„Ich bin einfach nicht glücklich. Es passt überhaupt nicht zwischen uns.“

„Das kann doch nicht alles gewesen sein“, hakt sie nach.

„Reicht das nicht?“, frage ich verwirrt.

„Ach, Kind. Dein Vater und ich haben auch so unsere Differenzen.“

„Haben wir?“ Dad legt die Zeitung vor sich auf den Tisch, wie er es immer macht, wenn es interessant wird. Aber Mum knufft ihn gegen den Oberarm, um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Mum, ich möchte jetzt nicht darüber reden.“

„In Ordnung“, antwortet sie gedehnt und wechselt mit Dad einen vielsagenden Blick. „Wie lange willst du denn weg?“

„Das weiß ich noch gar nicht. Ethan wollte nachher vorbeikommen und mehr über den Auftrag erzählen.“

„Gut, dann werde ich ja erfahren, was ihr vorhabt.“

Ich nicke zustimmend und streiche mir Marmelade auf den Toast.

Das erste Mal fühle ich mich in unserem Souvenirshop fehl am Platz. Mum beobachtet mich, und es kommen kaum Kunden. Sie zieht sich schließlich ins Büro zurück, während ich die Regale entstaube und herumstehe. Ich sortiere die Leprechaun-Figuren, bringe eine Spinne hinaus, stehe wieder herum, warte auf Kunden, warte auf Ethan.

Als nicht mein bester Freund, sondern Thomas zur Tür hereinkommt, erschrecke ich. Mit ihm habe ich jetzt nicht gerechnet! Er begrüßt mich sehr neutral, ich erwidere unsicher seinen Gruß.

„Entschuldige, dass ich dich auf der Arbeit störe, aber ich würde gerne den Verlobungsring zurückhaben“, sagt er, ohne eine Emotion zu zeigen.

Der Ring! Ich starre auf meine Hand, wo der schlichte Schmuck mit dem Diamanten noch an meinem Finger glitzert. Ich trage den Ring nun seit über einem Jahr und habe mich so daran gewöhnt, dass ich gar nicht daran gedacht habe, ihn abzulegen. Auch Thomas sieht auf meine Hand, und ich sehe, dass er für einen Augenblick die Fassung verliert.

„Du trägst ihn noch“, erkennt er mit fast tonloser Stimme.

Rasch streife ich den Ring vom Finger und halte Thomas das Schmuckstück hin. Zögerlich greift er danach.

„Ich bekomme keine zweite Chance, oder?“

Ich möchte ihm ausweichen, aber sein Blick hält mich gefangen. Kein Wort bringe ich heraus. Erst als die Kundenklingel an der Tür ertönt, kann ich mich losreißen und schaue zu dem Neuankömmling. Beim Anblick von Ethans vertrauter Gestalt durchströmt mich Erleichterung. Mir huscht ein Lächeln übers Gesicht.

„Ich sehe schon, es ist zwecklos“, platzt es aus Thomas heraus. Er starrt Ethan mit zornigem Gesichtsausdruck an und stürmt aus dem Laden.

Ethan schaut ihm verwirrt hinterher. „Was habe ich getan?“

Ich winke ab, will für den Moment nicht über Thomas’ Verhalten sprechen. Trotzdem frage ich mich, was er in meinem Gesicht ablesen konnte, das ihn auf einmal so in Wut versetzt hat.

„Ist alles in Ordnung, Sínead?“

„Was? Ja, natürlich.“

„Du siehst aus, als hätte dich ein Geist besucht.“

„Ich … na ja … Er kam unangemeldet und hat den Verlobungsring zurückgefordert.“

Ethan guckt völlig verdutzt. „Will er ihn für die nächste Frau noch einmal verschenken?“

„Wohl eher verkaufen.“

„Okay“, erwidert Ethan gedehnt.

„Ich hätte ihm den Ring schon im Cupán tae zurückgeben müssen, aber er stand einfach auf und ging.“ Ich verschweige ihm, dass ich es zudem schlicht vergessen habe. Bewusst wechsle ich das Thema. „Hast du die Tourpläne dabei?“

„Ja, aber du wirst sie nicht zu sehen kriegen, nur deine Mum.“

„Warum darf ich nicht wissen, wo wir hinfahren?“

„Ha! Du kommst also mit?“

„Äh …“ Mist. Erwischt.

Er zieht abwartend die Augenbrauen hoch. Ich mustere ihn, bemerke, dass er sich den Bart gestutzt hat. Er trägt auch ein neues Hemd, zumindest kenne ich es noch nicht. Der oberste Knopf ist wie immer geöffnet.

„Sínead?“

„Oh, ich …“ Kurz presse ich die Lippen aufeinander. „Ja, ich komme mit.“

Ethan strahlt mich an. „Die Tour wird aber eine Überraschung sein.“

„Ich hoffe, ich muss die Autofahrten nicht mit verbundenen Augen hinter mich bringen?“

„Wer sagt was von Autofahrten?“ Er lacht belustigt auf, als mir kurz die Gesichtszüge entgleiten.

„Ethan!“ Ich boxe ihm hart gegen den Oberarm.

Unbeeindruckt grinsend geht er zu Mum und lässt mich ratlos im Geschäftsraum stehen. Er schließt sogar die Tür hinter sich, was unterschwellig Ärger in mir aufkeimen lässt. Ich möchte nicht ausgeschlossen werden! Aber eine Überraschung ist auch nicht so schlecht. Warum tut er das?

Ein älteres Ehepaar kommt in den Laden, und ich seufze ob der Ablenkung. Sie lächeln mich an, ich grüße freundlich. Ihren eigenen Gruß verstehe ich nicht. Deutsch oder Französisch ist es nicht, das hätte ich erkannt. Etwas Skandinavisches? Sie tragen edle, schlichte Kleidung, haben tatsächlich ein bisschen höfisches Gehabe an sich, ihre Hand ist locker bei ihm eingehakt. Die beiden wirken wie ein Königspaar. Ich erwarte fast, dass sie Passanten zuwinken, und insgeheim muss ich über meinen Gedanken schmunzeln.

„Haben Sie auch diese Claddagh-Ringe?“, fragt der Mann in sehr gutem Englisch, aber mit einem starken Akzent.

„In Silber oder Gold?“

„Bitte in Gold.“

Ich führe sie zu dem Schmuckständer, und er bedankt sich. Die beiden tuscheln und flüstern wie ein frisch verliebtes Paar.

Mir hat noch nie jemand einen Claddagh geschenkt.

Diese Erkenntnis versetzt mir einen kleinen Stich ins Herz. Thomas bestand auf einen Ring, der weniger symbolbehaftet ist. Doch ich liebe Schmuck, der etwas aussagt.

Der Ring mit seiner Bedeutung hat hier im County Galway seinen Ursprung und besteht aus zwei Händen, die ein Herz mit einer Krone halten. Liebe, Vertrauen, Treue. Für die meisten bedeutet er genau das, oder eben auch Freundschaft, je nachdem, wofür man ihn verwenden möchte.

Ich umfasse den unter meinem Pullover verborgenen Kettenanhänger, der sich meiner Körperwärme angepasst hat. Ethan hat mir das keltische Kreuz zum achtzehnten Geburtstag geschenkt.

Einige Souvenirs im Laden gestalte ich selbst, und das Kreuz ist mit seinen verschlungenen Ornamenten ein wahrer Fundus an Inspiration. Mich beflügeln die feinen Verzierungen auf ihm.

Mein Blick fällt auf ein Glas, das ich kunstvoll mit keltischen Knoten graviert habe. Hauptsächlich fertige ich solche Einzelstücke, die bei den Touristen immer beliebt sind, sehr zur Freude von Mum.

Doch die Kette besitzt für mich zusätzlich eine Symbolik, die vielen nicht mehr bewusst ist. Sie erschafft eine Verbindung zwischen dem alten Irland mit all seinen Legenden und dem christlichen Glauben.

Worin steckt der wahre Kern?

In beidem?

Mir gefällt die Vorstellung.

Das Ehepaar kommt zur Kasse, sie lächelt glücklich, während er den Ring bezahlt. Einerseits reißen sie mich aus meinen Überlegungen, andererseits geben sie mir Anlass zum Nachdenken.

Hand in Hand verlassen sie das Geschäft, und ich schaue ihnen noch lange nach.

- 4 -

Ich sitze vor meinem gepackten Wander-Rucksack und zweifle an meinem Vorhaben. Mit Unbehagen denke ich an Ethans Worte, die er so sorglos ausgesprochen hat.

Wer sagt was von Autofahrten?

Er hat mir einen Plan gegeben, auf dem genau aufgelistet ist, was ich mitnehmen darf. Dann hat er mir einen Rucksack gegeben.

„Nur diese Tasche, Sínead, mehr nicht.“

Meinen Protest ließ er nicht gelten.

Das ist vor zwei Tagen gewesen, und nun sitze ich mit Herzklopfen am Küchentisch und schlürfe Tee mit Fergus, der fast vor Neugierde platzt.

„Und du hast echt überhaupt keine Ahnung, wo es hingeht?“

„Ich weiß, dass wir in Irland bleiben“, sage ich grummelnd.

Mein Bruder fährt sich durch das rotblonde Haar und verwuschelt seine Locken so sehr, dass ihm alle Haare zu Berge stehen. Ich beuge mich vor und zupfe an seiner Frisur herum.

„Mich würde das wahnsinnig machen.“

„Was glaubst du, warum ich Papas Baldriantee trinke?“

Fergus lacht lauthals auf. „Aber jetzt mal ehrlich. Irgendwie ist das auch romantisch, oder?“

„Es ist Ethan, Brüderchen.“

„Na und? Willst du mir ernsthaft sagen, du hättest noch nie daran gedacht … Na, ja … eben das. Er sieht echt unverschämt gut aus.“

Fast wäre mir herausgerutscht, dass ich von seiner kleinen Schwärmerei weiß, kann mich aber rechtzeitig zurückhalten.

„Er ist mein bester Freund, Fergus.“

„Jaah, ich weiß. Du betonst das nur so oft, dass ich es dir nicht mehr glaube.“

Ich schnappe entrüstet nach Luft, da hupt es draußen.

„Da ist er ja“, sage ich lächelnd und trinke den Tee in einem Schluck aus.

Fergus will mir bei meinem Rucksack helfen, aber ich bin störrisch und wuchte ihn allein auf meine Schultern. Ich brauche einen Moment, um mein Gleichgewicht zu finden.

„Und du mach keine dummen Sachen!“

„Ach, zurzeit habe ich eh keine Dates, aber ich hab mich jetzt bei Tinder angemeldet.“

Stutzig bleibe ich stehen und drehe mich noch einmal zu ihm um. „Tinder? Was ist das?“

„Du kennst Tinder nicht?“

„Bisher bin ich offensichtlich gut ohne ausgekommen.“

„Es ist die Dating App, Sínead.“

„Aha, hoffentlich finden dich da keine Serienkiller oder so.“

„Och, Sínead! Du kannst einem wirklich jeden Spaß verderben.“

Ich lache auf und hauche ihm einen Kuss auf die Wange.

„Soll ich dich nicht auch mal da anmelden?“

„Untersteh dich!“

Bevor er diese unsägliche Idee weiterentwickelt, gehe ich in den Flur, um die Treppe herunterzugehen. Ich schwanke leicht. Das Gewicht des Rucksacks zieht mich nach hinten.

Verdammt! Ich hoffe, Ethan schleppt mich nicht auf eine Abenteuer-Wandertour. Wahrscheinlich würde ich nach einer Stunde wie eine Schildkröte auf dem Rücken liegen und mit den Beinen in der Luft strampeln, weil der Rucksack mich überwältigt hat.

Ethan sieht mit skeptischem Blick, wie ich auf ihn zu torkele. Mit all meiner Kraft wuchte ich den Rucksack vom Rücken und lasse ihn wie einen nassen Sack vor seine Füße fallen. Er weicht zurück, denn ich hätte fast seine Zehen erwischt. Ethan hebt mein Gepäck probeweise an und zieht eine Augenbraue hoch, sieht zu mir runter.

„Du hast gesagt, ich kann den Rucksack vollpacken!“, verteidige ich mich.

„Äh ja, ich vergaß, was das bei euch Frauen bedeutet.“

„Da ist nur das Wichtigste drin!“

„Bestimmt.“

„Wirklich!“

„Ich bezweifle es doch gar nicht.“

Mit einem Ächzen hebt er meinen großen Rucksack an und stellt ihn in den Kofferraum neben seinen, der dagegen aussieht wie ein Täschchen für zwei Tage Wellness-Hotel.

„Ich gebe zu, ich habe ihn ganz schön vollgestopft. Ich dachte, so lange er noch irgendwie zugeht …“

„Wir nehmen erst mal alles mit. Aussortieren können wir auch später noch.“

„Und wo fahren wir jetzt hin?“ will ich wissen und steige in seinen alten Land Rover.

„Nach Süden“, offenbart er mir mit einem verschmitzten Grinsen.

Ich füge mich seiner Geheimnistuerei, lehne mich in den Sitz und schaue aus dem Seitenfenster.

Die Landschaft rauscht an mir vorbei. Zuerst die bunten Häuser und teils schmalen Gassen von Galway, dann Felder und Wiesen. Die Trockenmauern, die so oft als Abgrenzung dienen, verschwimmen vor meinen Augen, Schafe werden zu weißen Punkten.

Ethan fährt auf die Autobahn.

„Das ist ja sehr abenteuerlich.“

„Du bekommst dein Abenteuer, Galway Girl. Aber die Tour startet nicht in Galway.“

Wo führt er mich hin? In den Nationalpark von Killarney oder an die Klippen vom Ring of Kerry?

Nein, das wäre zu offensichtlich. Ethan ist bekannt dafür, Irlands geheime Orte zu finden. Er führt mich zu etwas Besonderem, das spüre ich.

Heimlich beobachte ich ihn von der Seite. Er wirkt selbst ein wenig unruhig, was sehr untypisch für ihn ist. Liegt es an mir? Oder womöglich am Wetter?

Ich schaue auf das digitale Thermometer, es sind drei Grad plus. Regen prasselt gegen die Windschutzscheibe. Auf der Weite des Landes, die man von hier aus überblicken kann, bildet sich Nebel.

Ethan legt leger die rechte Hand auf die Schaltung, wirkt konzentriert, aber nicht besorgt. Trotzdem sehe ich die Anzeichen von Nervosität. Das Trommeln der Finger auf dem Lenkrad, das wiederholte Durchatmen, als wolle er sich beruhigen.

„Ist alles in Ordnung, Ethan?“

Er blinzelt und sieht mich kurz verwirrt an. „Ja, sicher, warum fragst du?“

„Nur so ein Gefühl. Magst du mir nicht endlich sagen, wohin wir fahren?“

„Du siehst es doch nachher. Mach einfach die Augen zu und schlummere ein bisschen. Du wirst beim Autofahren doch sowieso immer müde.“

Er kennt mich viel zu gut, und natürlich behält er recht. Das monotone Rauschen des Motors lässt mich schnell schläfrig werden.

Mit einem Schulterzucken schnappe ich mir seine Jacke vom Rücksitz, knülle sie zusammen und nutze sie als Kopfkissen. Ich sehe noch, wie er lächelnd zu mir hinsieht, dann schließe ich die Augen.

„Sínead?“

Ich schrecke auf und brauche einen Augenblick, um zu realisieren, dass wir parken.

Mein Blick huscht zu Ethan, der mir mit einem Lächeln eine Tasse, die mir wohlvertraut ist, entgegenstreckt. Ich rieche Kaffee.

„Du hast sie noch?“, frage ich überrascht.

„Was denn?“

„Die Tasse.“

Er sieht auf das Gefäß, dann auf mich. „Natürlich.“

Die dunkelgrüne Farbe blättert etwas ab, und am Rand ist ein winziges Stück Keramik abgesprungen. Meine Gravur erkennt man noch gut, sein Vorname mit irischen Verzierungen. Ich habe ihm die Tasse zum vierzehnten Geburtstag geschenkt. Es war meine erste Gravierarbeit.

Mich durchfährt ein nostalgisches Gefühl, das Ethan unterbricht, als er mich anstupst und nach vorne deutet.

Für den Augenblick bin ich sprachlos. Wir stehen mit dem Fahrzeug auf einem Aussichtspunkt. Ich muss aussteigen!

Vor mir breitet sich die Landschaft aus, die ich bisher nur auf einer Leinwand bewundern konnte. Berge umrahmen ein nebelumhülltes Tal. Das Licht tanzt auf den Hängen, je nachdem wie die Wolken vom Wind bewegt werden. Ein breiter Sonnenstrahl durchdringt die Feuchtigkeit der Luft, beleuchtet die drei Seen, die sich in die Senke schmiegen. Eine Bö zerrt an meinem Haar und bringt feinen Regen mit, der seitlich über die Ebene geweht wird.

Ich umklammere die Keramiktasse, und mich durchfährt ein angenehmer Schauer, als die Hitze des Kaffees meine Hände wärmt.

Ethan tritt neben mich und zeigt nach rechts. Eine Rotwildherde grast in der Nähe. Der Hirsch wittert uns, und die Tiere entfernen sich.

„Du hast mich zum Ladies’ View gebracht“, hauche ich überwältigt.

„Du kannst nicht dein Leben lang das Bild in eurem Laden verehren.“ Ethan sucht meinen Blick. „Hast du überhaupt schon mal den Süden gesehen?“

Ich schüttle mit dem Kopf. Es ergab sich nie, und Thomas wollte im Urlaub stets fort von Irland. „Ich war mal in Dublin“, sage ich.

Er holt etwas aus seinem Rucksack. „Komm, wir gehen ein bisschen spazieren. Aber nimm deine Jacke mit.“

Tatsächlich sind die Temperaturen hier sehr abgesackt, es kommt mir empfindlich kalt vor. Ich trinke rasch meinen Kaffee aus, hülle mich in meinen Parka und folge Ethans Beispiel, als er sich eine Mütze überstülpt.

Ich kann nicht sagen, warum mich Mums Bild von diesem Ort immer so beeindruckt, ich hatte stets das Gefühl, diesem Tal im Geiste irgendwie nahe zu sein. Jetzt gerade bin ich wie verzaubert. Vielleicht weil ich nicht erwartet habe, dass jemandem meine Faszination aufgefallen ist.

Ethan führt mich einen kleinen Pfad entlang, und dann setzen wir uns auf einen großen Felsen, wo er mir ein belegtes Brot reicht, das ich gerne annehme. Wir ignorieren das Wetter, und ich beobachte den Nebel, wie er über die Landschaft streift, genieße die wunderschöne Aussicht auf den Upper Lake. Die raue Schönheit dieses Tales lässt einen erkennen, dass in Irland Vieles ursprünglich geblieben ist, fast unberührt, als hätte die Zeit hier keine Bedeutung.

Der Sonnenstrahl verschwindet, die Umgebung verdunkelt sich, nur um dann für einen Augenblick wieder hell zu erstrahlen, weil eine Wolke vom Wind fortgetrieben wird. Die Wiesen auf den Hügeln leuchten auf, und das erste Mal wird mir bewusst, warum man Irland auch die Smaragdinsel nennt.

Ethan stupst mich sachte an und zeigt nach Westen. Ein Regenbogen überspannt die windumtosten Bergrücken.

„Kerry gibt sich wirklich Mühe, dir zu gefallen“, sagt Ethan mit einem Schmunzeln. „Jetzt warte ich nur noch auf den Leprechaun, der den Goldtopf vor dir versteckt.“

„Du weißt, dass man darüber keine Witze macht.“

Er lächelt nur.