Winterreise - Tanja Bern - E-Book

Winterreise E-Book

Tanja Bern

3,0

Beschreibung

Der erste Teil der Galway-Girl-Reihe! Sínead sitzt in Galway plötzlich auf der Straße, als sie ihre Verlobung mit dem Manager Thomas Dillon löst. Niemand, auch sie selbst nicht, versteht wirklich, warum sie in der Beziehung so unglücklich war. Sie muss wieder bei ihrer chaotischen Familie einziehen und wird abrupt mit ihrem alten Leben konfrontiert. Ihr bester Freund Ethan ist da ein Lichtblick in all den Veränderungen und sie willigt spontan ein, ihn auf eine abenteuerliche Reise zu begleiten, die beide durch halb Irland führt. Langsam findet Sínead wieder zu sich selbst und erkennt den wahren Grund für das Ende ihrer Beziehung mit Thomas. Teil 1 der Galway-Girl-Reihe!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 222

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,0 (1 Bewertung)
0
0
1
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kurzbeschreibung:

Sínead sitzt in Galway plötzlich auf der Straße, als sie ihre Verlobung mit dem Manager Thomas Dillon löst. Niemand, auch sie selbst nicht, versteht wirklich, warum sie in der Beziehung so unglücklich war. Sie muss wieder bei ihrer chaotischen Familie einziehen und wird abrupt mit ihrem alten Leben konfrontiert. Ihr bester Freund Ethan ist da ein Lichtblick in all den Veränderungen und sie willigt spontan ein, ihn auf eine abenteuerliche Reise zu begleiten, die beide durch halb Irland führt. Langsam findet Sínead wieder zu sich selbst und erkennt den wahren Grund für das Ende ihrer Beziehung mit Thomas.

Über die Autorin:

Tanja Bern ist dem Ruhrgebiet immer treu geblieben, obwohl sie seit vielen Jahren eine besondere Liebe für Irland hegt. Auf der Grünen Insel wurde damals etwas in ihr erweckt, das immer noch eine Quelle der Inspiration für die Autorin ist. Heute lebt sie mit ihrer Familie und zwei Katzen in einem Stadtteil Gelsenkirchens. Tanja Bern ist ein sehr intuitiver Mensch, der gerne mystische Bücher liest, sich um Tiere kümmert oder ihre Ruhe im Yoga sucht. Schreiben ist ihre große Leidenschaft, und wenn sich ihre Figuren dann noch verlieben, versinkt sie nur zu gerne in ihren Geschichten.

Tanja Bern

Winterreise 

Galway Girl 1

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Tanja Bern

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Lektorat und Korrektorat: Tatjana Weichel

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-262-8

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

- 1 -

Wir rennen über die Wildblumenwiese, die Blüten und Gräser streichen uns um die Beine. Unser Lachen hallt über die sonnige Lichtung, und die Luft riecht nach Sommer. Meine Welt scheint völlig in Ordnung zu sein. Intakt. Als könne mich nichts erschüttern.

Mit geschlossenen Augen stehe ich in der Küche, träume vor mich hin und flüchte für einen Augenblick vor …

Ja, vor was eigentlich?

Dieser eine Tag meiner Kindheit ist so wunderschön gewesen. Wenn ich mich an solche Momente erinnere, wird alles ein bisschen leichter für mich.

„Sínead, hörst du mir überhaupt zu?“

Ich blinzle und bin abrupt wieder in der Wirklichkeit. Thomas steht mit genervtem Gesichtsausdruck vor mir.

„Ehrlich gesagt ...“

„Hast du nicht zugehört, schon klar. Ist ja nichts Neues.“ Er seufzt, dreht sich weg und verlässt die Küche wieder.

Irritiert folge ich ihm ins Wohnzimmer. „Ich war kurz in Gedanken. Was wolltest du denn?“

„Du hast also wirklich gar nichts mitbekommen? In welchen Sphären hast du geschwebt?“ Sein Tonfall ist hart. Ich spüre, dass er seine Wut mühsam unterdrückt.

„Tut mir leid.“

„Was? Dass du mir nicht zugehört hast? Oder dass du mich seit Wochen wie einen nervigen Bruder behandelst?“

„Bitte was?“

„Schon gut“, murmelt er und wendet sich ab.

Ich bin für einen Moment sprachlos, fange mich aber rasch wieder und gehe ihm nach. „Du machst es dir zu leicht, Thomas.“

„Ach ja?“

Wieder einmal wird mir bewusst, wie unglücklich ich mich in seiner Gegenwart fühle. Ich kann nicht sagen, warum sich dieser Schatten jedes Mal auf mich legt, wenn eine Beziehung ernst wird. Aber diese Dunkelheit ist immer da. Auch jetzt.

Thomas nähert sich mir, fährt sich durch sein kurzes Haar. „Wir sollten nicht streiten“, beschwichtigt er und nimmt meine Hand. Sachte schüttelt er den Kopf, als verstehe er uns nicht mehr. „Es war heute ein ziemlich übler Arbeitstag in der Firma. Tut mir leid, ich habe überreagiert.“

„Nein, hast du nicht“, widerspreche ich leise.

Er gibt sich zufrieden mit meiner Antwort, haucht mir einen Kuss auf den Mund und geht zurück in die Küche. Ich höre, wie er sich einen Kaffee macht, die Geräusche sind mir wohlvertraut.

Ich gehe ihm nach, beobachte ihn und fühle – nichts. So sollte es nicht sein! Wir sind verlobt, seit über einem Jahr, wir wollen den Rest unseres Lebens miteinander verbringen.

Aber Thomas scheint unseren Zwist vergessen zu haben, oder er verdrängt ihn. Ich glaube, er will es nicht sehen. Denn nun redet er von seinem Arbeitstag und beschwert sich über einen vorlauten Kunden.

„Thomas“, unterbreche ich ihn. Er verstummt. Langsam gehe ich auf ihn zu. „Etwas stimmt nicht.“

Kaffeeduft breitet sich aus und erfüllt den Raum.

„Was meinst du, Sínead?“

„Wir … wir sind beide nicht glücklich.“

Thomas stellt seine volle Tasse auf die Anrichte. „Wie meinst du das? Und sprich nicht für mich!“

Betroffen senke ich den Kopf. Mein Schweigen sagt ihm mehr als tausend Worte.

„Sínead, wir sind verlobt!“

„Aber wie soll es noch werden, wenn schon der Beginn nur aus Streitigkeiten besteht?“

„Was willst du mir sagen, Sínead?“

Mir wird die Tragweite dieser Unterhaltung bewusst, und ich bekomme Angst. Bin ich dabei, unser Leben zu zerstören?

Thomas baut sich vor mir auf. Er überragt mich um eine Kopflänge. „Willst du mich noch heiraten oder nicht?“

Ich zögere. Mein Herz klopft auf einmal so heftig, dass es mir unangenehm ist. In meinen Magen bohrt sich ein Gefühl, und mir wird übel.

Nein, ich will Thomas nicht heiraten.

Die Erkenntnis treibt mir die Tränen in die Augen. Ich kann ihn nicht mehr ansehen und senke den Blick. Wie soll ich ihm das erklären?

„Dann geh, Sínead.“

„Was?“, frage ich heiser.

„Ich gehe davon aus, dass dein Schweigen ein Nein bedeutet. Deshalb: geh.“

„Das ist nicht dein Ernst.“

Sein Gesicht bleibt unbewegt, jegliche Regung unterdrückt er. „Sínead, wenn du der Meinung bist, wir beide verplempern hier unsere Zeit, dann pack bitte deine Sachen und geh.“ Thomas atmet tief durch. „Oder bleibe, aber dann liebe und heirate mich aus tiefstem Herzen.“

Fassungslos sehe ich ihn an. Er wendet sich von mir ab, zieht sich seine Jacke an.

„Ich gehe jetzt in Jeffs Bar. Mach, was du für richtig hältst. Ich werde ja sehen, ob du noch da bist oder nicht, wenn ich wiederkomme.“

Seine letzten Worte versetzen mich in Wut. „Das ist es also? So einfach lässt du mich gehen? Du startest noch nicht einmal den Versuch, um mich zu kämpfen?“

„Kämpfst du denn um mich?“

Ich antworte nicht, starre ihn nur betroffen an.

Er nimmt seinen Wohnungsschlüssel vom Haken, geht aus der Haustür und zieht sie hinter sich zu.

*

Ich beuge mich zurück, um der Schaukel Schwung zu geben. Obwohl die rostigen Metallstreben knarren, erfüllt mich das Wiegen mit einem Zauber, der mich für den Moment in die Vergangenheit zurückkatapultiert.

Ich bin auf dem alten Spielplatz, an den sich kaum jemand erinnert, da er schon lange verfallen ist. Ich bin wieder acht Jahre alt und schaukle mit Ethan um die Wette. Meine Locken werden vom Wind zerzaust, und ich versuche, den Zipfel des Flusses zu sehen. Ich muss nur hoch genug kommen …

Feine Schneeflocken tanzen mir um die Nase, und eine eisige Bö trifft mich. Dieses Jahr ist der Winter in Irland alles andere als mild.

Seufzend halte ich die Schaukel an und knöpfe mir den Kragen meiner Jacke zu. Schritte lassen mich aufmerksam werden. Rasch wische ich mir die Tränenspuren fort und schaue hinter mich. Ethan kommt die Anhöhe hinauf.

Natürlich. Ethan kennt diesen geheimen Ort genauso gut wie ich – unseren Ort.

„War klar, dass du mich findest.“ Ich gebe der Schaukel wieder einen Schubs und lehne mich zurück. Vor und zurück.

„Deine Mum sagte mir, dass du bei Thomas ausgezogen bist.“ Ethan wirft mir einen ernsten Blick zu. „Mit all deinem Hab und Gut.“

„Was nicht besonders viel ist, wie ich jetzt weiß.“

Er setzt sich, wie so oft, auf den flachen Felsen vor mir. Die zweite Schaukel gibt es leider nicht mehr. Sein braunes Haar ist kurz und doch vom Wind zerzaust, der Dreitagebart, der so typisch für ihn ist, kommt mir ungewöhnlich lang vor.

„Was ist los, Sínead?“

Abrupt stoppe ich die Schaukel. „Ich bin wieder Single“, sage ich leise.

Ich versuche, in seinem Gesicht eine Regung zu lesen, aber Ethan ist ein Meister darin, seine wahren Gedanken nicht preiszugeben.

Mein Smartphone klingelt, wie schon fünfmal zuvor. Dazu gesellen sich in kurzen Abständen mehrere Kurznachrichten.

„Willst du nicht rangehen?“

Ich schüttle den Kopf, nehme einen tiefen Atemzug. „Ich habe unsere Beziehung angezweifelt, und er stellte mich vor die Wahl.“ Ich stocke, mir sitzt ein Kloß im Hals, der mich am Weiterreden hindert.

„Vor welche Wahl?“, fragt Ethan schlicht.

Ich blinzle die aufkeimenden Tränen fort und begegne seinem Blick. „Heiraten oder gehen.“

Nun zeigt sich Überraschung in seinem Gesicht.

„Deshalb bin ich … na ja …“

„Gegangen.“

„Ja.“

Erneut ertönt mein Handyklingelton, den ich ignoriere.

„Trotzdem ruft er immer wieder an?“

„Telefonterror trifft es wohl eher. Thomas hat geschrieben, er hätte das nicht ernst gemeint. Angeblich wollte er mich nur aufrütteln. Ich glaube, er sucht mich.“ Mir huscht ein Lächeln übers Gesicht. „Aber unseren alten Spielplatz kennt er nicht.“

Ethan antwortet nicht, betrachtet nur still die Umgebung. Auch ich sehe mich um.

Himbeersträucher überwuchern den Weg zu den Häusern. Um das Dickicht zu überwinden, müssen wir auf die Eiche klettern, deren Eichel Ethan und ich eingepflanzt haben, als wir sechs waren. Der Baum ist über zwanzig Jahre alt. Auf den kahlen, knorrigen Ästen verfangen sich feine Schneeflocken.

Ich stehe auf und geh die Anhöhe hinauf. Ethan folgt mir wortlos.

Die Wolken hängen so tief, sie scheinen den Boden berühren zu wollen. Dunst schleicht über die Wiese, die nur von einer Trockenmauer begrenzt ist. Ansonsten sehe ich die Häuser Galways, die sich eng aneinanderschmiegen. Von hier oben kann ich ein Stück weit dem Lauf des Flusses folgen, der vom Lough Corrib bis in die Galway Bay mündet. Der See und das Meer sind untrennbar durch den kürzesten Fluss Europas miteinander verbunden.

Als Ethan meine Hand nimmt, spüre ich unsere Verbindung. Er ist mein bester Freund und etwas Besonderes. Egal, wer an meiner Seite ist, wen ich küsse, neben wem ich aufwache. Die Welt wird ein bisschen heller, wenn Ethan anruft, auf mich zukommt, mit mir lacht. Ich kann einfach nichts dafür, es war schon immer so.

„Warum bist du gegangen, Sínead?“, fragt Ethan leise, ohne mich anzusehen.

„Ich … ich war unglücklich. Die Vorstellung, mit Thomas ein Leben lang zusammenzubleiben … kam mir so falsch vor.“ Ich suche seinen Blick, und er schaut mir in die Augen. „Ich hatte gar nicht vor, Schluss zu machen. Ich wollte mit ihm darüber reden, aber er …“

„Stellte dich vor die Wahl.“

„Vielleicht war das ja gut so. Als er einfach aus der Wohnung ging, mich aufgelöst stehen ließ, da wusste ich, mein Platz ist woanders, nicht bei ihm.“

Wieder klingelt das Handy.

„Magst du nicht doch mal rangehen?“

Ich schüttle stur den Kopf und schalte das Gerät aus. „Höchstwahrscheinlich wird er nachher bei meinen Eltern aufkreuzen.“

„Du hättest auch zu mir flüchten können.“

Ich lache leise. „Du wohnst in einer winzigen Wohnung, mit einem Einzelbett, und hast nicht mal eine Couch.“

„Ich habe zwei sehr gemütliche Sessel.“

„Thomas hasst dich. Du weißt, wie eifersüchtig er auf dich ist.“

„Oh ja, das weiß ich. Aber deswegen hättest du bei mir ganz sicher deine Ruhe vor ihm. Falls du das möchtest.“

Ethan lebt in dieser kleinen Wohnung, weil er sich scheut, in sein Elternhaus zu ziehen. Seine Mutter ist schon länger tot, aber der Verlust seines Vaters ist noch zu frisch.

„Thomas würde die falschen Schlüsse ziehen, wenn ich bei dir unterkäme.“

„Du ziehst also wieder in dein altes Kinderzimmer.“

„Es bleibt mir vorerst nichts anderes übrig.“ Ich fahre mir durch die hellbraunen Haare. „Das heißt also: herzlich willkommen im Chaos.“

„So schlimm sind sie nicht.“

„Ach nein?“, erwidere ich amüsiert. „Meine Mum ist die größte Tratschtante Irlands, ich habe einen Hippie als Dad, und meine Schwester hat jede Woche eine andere Haarfarbe. Nicht zu vergessen meinen kleinen Bruder, der den Mann fürs Leben sucht und von einem Desaster ins nächste rasselt.“

„Wusstest du, dass Fergus mich mal gefragt hat, ob ich bi bin?“

„Was? Ist nicht dein Ernst!“

„Doch. Ist aber schon zwei Jahre her“, antwortet Ethan mit einem Schmunzeln.

Mein Bruder hat sich für Ethan interessiert? Wie kommt er nur darauf, dass mein bester Freund Männern zugeneigt sein könnte? Ich werfe Ethan einen Seitenblick zu, doch der scheint mit den Gedanken schon woanders zu sein.

Die Flocken gehen in Schneeregen über, auf der Böschung wird es ungemütlich. Wir flüchten bis zu unserer Eiche, wo wir uns notdürftig unterstellen. Ich bemerke, dass Ethan meinem Blick ausweicht.

„Erwägst du denn, zu Thomas zurückzugehen? Trotz allem?“, will er plötzlich wissen.

Ich seufze leise. „Ich habe überlegt, ob ich noch einen Versuch wage. Immerhin sind wir vier Jahre zusammen gewesen. Aber ich bin ehrlich. Ich hätte lieber eine Auszeit.“

„Das kann ich gut verstehen.“

„Und was ist mit dir?“, wechsle ich bewusst das Thema, weil ich diesem grad sehr gerne ausweichen will. „Wen hast du dieses Mal an der Angel? Immer noch die hübsche Megan?“, frage ich betont flapsig, obwohl in mir ein komisches Gefühl aufkeimt, das ich nicht recht einordnen kann.

„Nein, die geht schon seit Wochen ihre eigenen Wege.“

„Wieso weiß ich das nicht?“

„War nicht wichtig.“

Ethan ist ein Mann, der nur schwer alleine bleiben kann. Dennoch hält er es nie sehr lange mit einer Frau aus.

„Vielleicht solltest du es doch mal mit Fergus versuchen.“

Für einen Wimpernschlag sieht er mich entsetzt an, dann schnauft er belustigt. „Sicher nicht. Ich stehe nicht so auf Jungs.“ Aber dann wird er ernst. „Sínead, ich werde bald für eine Weile nicht zu Hause sein.“ Er sagt das mit einem seltsamen Unterton, und irgendwie zwickt mich das direkt.

„Wo gehst du denn hin?“

„Ich muss für Sylvie eine Tour ausprobieren. Sie will im Sommer mal was Abenteuerliches anbieten, weil da wohl öfter nach gefragt wird.“

Sylvie Tenner ist Ethans Chefin und arbeitet in der Touristikbranche. Ich frage mich, was diese Frau nun wieder ausheckt. Sie hat die wildesten Ideen, und Ethan muss als Reiseleiter austesten, ob ihre Pläne überhaupt Sinn machen. Er arbeitet in Galway in einer Travel Agency, die mit ausländischen Reisebüros kooperiert.

„Und wo wird es dich hinführen?“

„Runter nach Kerry und weiter in den Osten, den Abschluss der Tour muss ich noch austüfteln. Sylvies Vorstellungen sind mir etwas zu … na ja … chaotisch.“

„Na, das ist ja nichts Neues.“

Es hat aufgehört zu regnen, also schlendern wir über die verwilderte Wiese, klettern über einen verfallenen Zaun und laufen durch einen Hinterhof voller Gerümpel, um zurück zum Fluss zu kommen. Wir überqueren die Brücke des Corrib und sind nach einigen Minuten in der mir so vertrauten Gegend.

Mum und Dad wohnen direkt auf einer der kleineren Einkaufsstraßen von Galway. Ihr Souvenirgeschäft befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes aus grauem Backstein, welches sich eng an die anderen Reihenhäuser schmiegt. Die Fensterläden und die Tür hat Dad karminrot angestrichen. Damit wir auch gesehen werden, hat er damals meiner Mum erklärt, die entsetzt von der knalligen Farbe war. Seitdem fügt sich mein altes Zuhause – nein, mein aktuelles Zuhause – viel besser in die Umgebung ein, denn die Fassadenfarben der Nachbarn reichen von Giftgrün bis hin zu Violett oder Hellblau. Nicht zu vergessen das Haus der O’Riordans, die ihre zitronengelbe Wand mit einer Efeuzeichnung verziert haben.

Vor dem Haus meiner Eltern werde ich von unserem lockeren Gespräch wieder in die Wirklichkeit gerissen, denn ich höre Thomas’ Stimme aus dem gekippten Küchenfenster im ersten Stock. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Was soll ich ihm sagen?

„Ich glaube, es ist besser, wenn ich gehe“, sagt Ethan leise.

„Okay“, flüstere ich.

Ich zwinge mich, Ethan nicht nachzuschauen, schließe die Eingangstür auf und gehe in den Flur. Der Duft nach irischem Apfelkuchen weht mir entgegen, und für einen Moment überkommt mich Wehmut. Meine Familie mag chaotisch sein, aber es sind die liebenswertesten Menschen auf der Welt.

- 2 -

Ich steige die Treppe hinauf, und mit jedem Schritt werde ich langsamer. Es widerstrebt mir, Thomas schon heute gegenüberzutreten. Mit Unbehagen bleibe ich auf den Stufen stehen und überlege, was ich ihm sagen soll.

Die Wohnungstür wird aufgerissen, und ich dränge mich instinktiv nah ans Geländer.

„Sorry, bin spät dran!“ Meine Schwester Maeve wirft mir ein verschmitztes Lächeln zu, während sie an mir vorbeistürmt.

„Coole Haarfarbe“, rufe ich ihr hinterher. Ich warte einen Moment und lächle sie an, als sie noch einmal durch das Geländer zu mir hochlugt.

„Ja? Gefällt es dir?“ Sie zupft an ihrem fliederfarbenen, kurzen Schopf.

„Ist viel besser als das Pink.“

„Mum findet es furchtbar, aber Daddy ist begeistert.“

„Das wundert mich jetzt nicht. Aber nun geh, sonst kommst du zu spät. Bandprobe, oder?“

Maeve nickt, salutiert wie ein Soldat und huscht hinaus.

Ich bin wieder allein und sehe auf die Tür, die nur angelehnt ist. Gitarrenklänge hallen dumpf zu mir herunter. Ich höre Thomas auflachen. Mum hat ihn wohl aufgeheitert, vielleicht auch Hoffnungen in Bezug auf mich gemacht.

Mit einem tiefen Atemzug schließe ich die Augen und horche in mich hinein. Was will ich? Wie möchte ich mein zukünftiges Leben verbringen? Und vor allem, soll Thomas ein Teil davon sein?

In mir formt sich ein klares Nein, stattdessen geistert Ethan in meinen Gedanken herum. Ethan?

Ich schüttle den Kopf und vertreibe die inneren Bilder, reiße mich zusammen und gehe schließlich nach oben in die Wohnung. Meine Jacke hänge ich an einen freien Garderobenhaken und schlüpfe aus meinen Winterstiefeln. Noch hat mich niemand bemerkt, deshalb gehe ich zu meinem Vater ins Wohnzimmer.

„Hey Dad.“

Er hält in seinem Gitarrenspiel inne und sieht zu mir auf, streicht sich mit der rechten Hand das lange, zottelige Haar hinters Ohr. Ich setze mich zu ihm auf die Couch.

„Weißt du, dass Thomas überall nach dir gesucht hat?“

Ich zucke mit den Schultern und lehne mich zurück. Meine Finger streichen über den abgewetzten Stoff des Sofas. Es fühlt sich vertraut an.

„Was ist passiert, Kleines?“

„Thomas hat mich vor die Wahl gestellt. Ihn zu heiraten oder zu gehen, wenn ich nicht sicher bin,“ antworte ich leise.

Dad brauche ich nichts weiter zu erklären. Er legt seufzend den Arm um mich, und seine Wärme hüllt mich direkt ein. Für einen Moment genieße ich seine Nähe und seinen stillen Trost.

„Ich fürchte, ich muss da jetzt mal was klären.“

„Ja, da kommst du wohl nicht drum herum.“

Zurück in dem kleinen Korridor, der alle Zimmer miteinander verbindet, werfe ich einen Blick in den Spiegel. Meine braunen Locken stehen durch die Feuchtigkeit in alle Richtungen ab, und ich bändige sie mit einem Zopfband. Rasch wische ich die Spuren zerlaufener Wimperntusche fort. Thomas soll nicht sehen, dass ich geweint habe.

„Sínead.“

Ich fahre herum.

Thomas steht in der Küchentür, sieht mich entgeistert an. „Ich habe dich überall gesucht!“

„Warum?“, bringe ich nur hervor.

„Warum? Sínead! Was ich gesagt habe, sollte dich nur aufrütteln. Ich konnte doch nicht ahnen, dass du …“

„… dass ich genau das tue, was du wolltest?“, unterbreche ich ihn.

Er fixiert mich mit prüfendem Blick. „Lass uns reden, ja?“

„Ist nicht schon alles gesagt?“

Meine Worte lassen ihn die Stirn runzeln. „Ich glaube, hier ist nicht der geeignete Ort dafür. Lass uns einen Tee trinken gehen“, antwortet er schließlich.

Schweigend laufen wir die Quay Lane zu einem urwüchsigen Tearoom hoch, den ich sehr mag. In meiner Jugendzeit haben Ethan und ich hier viele Nachmittage verbracht, gelacht, geredet und von unserer Zukunft geträumt.

Die Türglocke erklingt, als wir das Cupán tae betreten. Wir suchen uns einen der hinteren Tische aus, und plötzlich bin ich mir in einer Sache sicher: Thomas gehört nicht zu meinem zukünftigen Leben.

Selbstsicher winkt er die Bedienung heran, wir bestellen Tee, und während wir warten, dass der andere das Gespräch wieder aufnimmt, schweigt Thomas, und ich sehe mich um.

Die antike Holztheke wirkt wie aus einer anderen Zeit, darauf stehen Kuchen und Kekse. Die Wand dahinter wird von einem riesigen Regal beherrscht, in dem all die wunderbaren Teesorten lagern. Für einen Augenblick vergesse ich den Grund unseres Hierseins und genieße den Pfefferminzduft, der mit einem Hauch Himbeere den Raum erfüllt.

Als man uns den Tee bringt, streiche ich nervös die weiße Tischdecke glatt, gieße mir den schon fertigen Früchtetee aus dem Kännchen in die verzierte Porzellantasse.

Thomas ahmt es mir nach, pustet in die Tasse, nimmt einen Schluck. Dann eröffnet er endlich das Gespräch. „Also, wollen wir mal nicht um den heißen Brei reden. Wie ich schon sagte, sollten dich meine Worte nur irgendwie aufwecken.“ Er lächelt milde. „Damit du weißt, was du an mir hast.“

Soll das ein Scherz sein?

„Ich habe natürlich nicht vor, mich von dir zu trennen“, fährt er mit seinem Monolog fort. „Bitte versteh das nicht falsch. Wir sollten aber darüber reden, was in letzter Zeit mit dir los ist.“ Dann sieht er mich abwartend an.

Ich versuche, das Zittern meiner Hände zu unterdrücken, nehme einen Schluck Tee, suche Worte. „Ich bin unglücklich, Thomas. Du drehst alles so, wie es dir gerade passt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob du mich oder meine Wünsche auf irgendeine Art ernst nimmst. Du bestimmst lieber über mich.“

„Das ist doch gar nicht wahr! Außerdem bin ich hier und höre mir an, was du zu sagen hast.“

„Und ich bin gegangen, weil du mich vor die Wahl gestellt hast.“

„Ich sagte dir doch schon, dass ich das nur gesagt …“

„Aber du hast es gesagt, und ich habe reagiert.“

„Es tut mir leid, Sínead.“ Er streckt die Hand aus, will mir über die Wange streichen.

„Nicht!“, sage ich und weiche seiner Berührung aus.

Thomas zieht die Hand zurück, er wirkt verwirrt und verletzt. An seinem Gesichtsausdruck sehe ich, dass er nun endlich den Ernst der Lage begreift. „Du hast zu Hause gefordert, dass ich um dich kämpfe!“

„Und du bist in die Bar gegangen, Thomas. Mit den Worten, dass du ja sehen wirst, ob ich noch da sein werde.“

Er schnauft unwillig auf. „Das wirfst du mir vor? Du hast indirekt unsere Verlobung gelöst, indem du geschwiegen hast!“

„Ganz genau.“

„Wie, ganz genau? Was meinst du damit?“

„Dass ich die Verlobung gelöst habe“, antworte ich leise.

„Du … löst die Verlobung?“, wiederholt er fassungslos.

Mein Herz beginnt zu rasen, ich kämpfe darum, die Tränen zurückzuhalten. Mein Gefühl jedoch beharrt darauf, dass ich das Richtige tue. „Ja …“

Thomas starrt mich an, ich zwinge mich dazu, seinem Blick standzuhalten. Er steht so hastig auf, dass der Stuhl über den Boden schleift und ein lautes Quietschgeräusch macht. Ohne ein weiteres Wort verlässt er das Cupán tae, und ich bleibe aufgelöst zurück.

Ist meine Entscheidung richtig? Es fällt mir schwer, das zu beurteilen. Ich weiß aber, dass die Beziehung mich todunglücklich gemacht hat, und das ging so weit, dass ich seinen Heiratsantrag nur angenommen habe, weil ich mich nicht getraut habe, nein zu sagen.

Trotzdem trifft mich dieses harsche Ende unserer Beziehung. Ich senke den Kopf, versuche zu vertuschen, dass ich meine Tränen nicht aufhalten kann. Es sind zum Glück noch nicht viele Gäste in dem Teehaus, das ich eigentlich so liebe. Ob ich hier je wieder reingehen kann, ohne an diesen furchtbaren Tag zu denken?

Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Jemand stellt mir einen Teller hin, von dem einer der speziellen Cupán tae-Scones verführerisch duftet.

Verdutzt blicke ich auf. Die Besitzerin des Cafés lächelt mich an. „Geht aufs Haus.“

Ich kann nur ein leises Danke hauchen, weil ich direkt einen Kloß im Hals habe.

Die Süßigkeit schenkt mir ein bisschen Trost. Diese Scones werden in Tee getränkt und sind für mich das Leckerste, was in Galway zu finden ist. Das Gebäck ist schon aufgeschnitten, mit Butter und Himbeermarmelade bestrichen. Schlagsahne steht in einem Töpfchen auf dem Teller, und ich nehme auch davon.

Ich wünschte, Ethan wäre hier. Aber ich will ihn nicht behelligen, also kämpfe ich mit meiner Fassung.

Im Radio erklingen die ersten Töne von Ed Sheerans „Galway Girl“, und ich lächle traurig. Ich liebe dieses Lied. Es lässt etwas in mir erklingen, denn früher hat Ethan mich so genannt.

Ich reiße mich zusammen, esse meinen Scone auf und gehe zur Theke. Dort bestehe ich darauf, zumindest die beiden Tees zu bezahlen.

Wind kommt auf und weht einige Papierschnipsel vor mir her. Ein bestimmter Duft steigt mir in die Nase. Ich rieche den Charakter des Hafens: Fisch, Algen und ein Hauch der Schiffsausdünstungen. Ein schneller Blick zum Himmel bestätigt meine Ahnung. Lebt man hier, lernt man, dass der Regen nicht lange auf sich warten lässt, wenn sich die Gerüche der Stadt intensivieren.

Ich biege in die Einkaufsstraße ein, höre eine irische Fiddle und weiß sofort, dass es Fergus’ Spiel ist. Noch sehe ich meinen Bruder nicht, erspähe ihn dann aber unweit unseres Souvenirshops. Als er mich sieht, hält er inne und lässt die Fiddle sinken.

„Du gehst mit Thomas und kommst alleine zurück? Das ist nicht gut. Alles in Ordnung?“

Ich küsse ihn auf die Wange. „Ja, alles gut. Komm lieber rein, es wird regnen.“

Fergus seufzt ergeben auf. „Ich muss noch durchhalten. Dahinten kommt eine Touristengruppe, und ich brauch unbedingt ein bisschen Geld fürs Wochenende.“ Er zwinkert mir zu und setzt das Instrument wieder an. Die ersten Töne von „Down by the Sally Gardens“ erklingen. Ich weiß, dass er das Lied nicht gerne spielt, bei den Urlaubern kommt es jedoch jedes Mal gut an.

Die ersten Tropfen fallen vom Himmel, und ich ziehe seinen offenen Koffer unter unser Vordach. Er folgt mir, ohne innezuhalten, spielt kunstvoll und fehlerfrei. Fergus lockt die Touristen zu sich, sie hören mit versonnenen Gesichtern zu, einige spannen ihre Regenschirme auf.

Ich gehe in den Laden zu Mum, die mich argwöhnisch ansieht. Sie hat mir heute freigegeben, aber um mich abzulenken, werde ich ihre Schicht übernehmen. Sie setzt an, etwas zu sagen, doch ich schüttle den Kopf. Nicht jetzt!

Sie akzeptiert es mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Der Regenguss lässt die Urlauber in unserem Laden Schutz suchen. Fergus zwinkert Mum verschwörerisch zu, während er den Song zu Ende spielt, und flüchtet dann ebenfalls zu uns ins Geschäft. Fast liebevoll legt er seine Fiddle zurück in den Koffer.

Die Fremden nutzen die Zeit, um unseren keltischen Schmuck, die Pullover aus irischer Wolle und all die Figuren anzuschauen. Ethan und ich haben uns früher immer ausgemalt, was geschähe, wenn all die Feen und Kobolde aus Kunststein lebendig werden würden. Wahrscheinlich hätten sie den ganzen Laden in ihrem Übermut verwüstet.

Fergus geht zu Mum an die Kasse und zeigt unauffällig auf die Gruppe, die er zu uns gelotst hat. Mit einem Augenrollen steckt sie ihm einen Schein zu, und ich muss mir ein Auflachen verkneifen. Was habe ich nur für einen gerissenen Bruder. Mum fällt immer wieder darauf rein.