Gärten und ihre Gäste -  - E-Book

Gärten und ihre Gäste E-Book

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  • Herausgeber: UVK
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Gärten und Parks sind Trendsetter der Zukunft Als Orte der Entschleunigung, als Gegenwelten der Ruhe und Sinnhaftigkeit sind Gärten und Parks die neuen alten Sehnsuchtsorte gestresster Städter:innen. Trotz dieser ungebrochenen Faszinationskraft hat die deutschsprachige Tourismusforschung das Thema der Gartenreise bisher meist stiefmütterlich behandelt. Hier leistet der vorliegende Sammelband wichtige Grundlagenforschung: Das Phänomen wird als Form des Slow Tourism erstmals interdisziplinär und umfassend beleuchtet. In den 25 interdisziplinären Beiträgen rückt der Garten dabei nicht nur als Ort der Entspannung in den Blick, sondern interessiert ferner in seiner touristischen, ökonomischen und nicht zuletzt gesellschaftlichen Dimension: Wie lassen sich etwa Bewahrung und zeitgemäße Nutzung historischer Parks zusammendenken? Wie wird der Gartentourismus zur Triebkraft in der Wertschöpfungskette einer Region? Diese und weitere Fragen diskutiert der Band anschaulich und sucht in Form von Anwendungsbeispielen stets den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Praxis.

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Seitenzahl: 679

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Christian Antz / Steffen Wittkowske

Gärten und ihre Gäste

Analysen, Fakten, Trends

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: © AllesSuper21 | iStock

Autorenfoto Christian Antz: © Elke Breuer

Autorenfoto Steffen Wittkowske: © Universität Vechta, Pressestelle

Icon Kapitelende: © djvstock | iStock

 

 

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783739880211

 

© UVK Verlag 2022— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

 

 

 

Prof. Dr. Christian Antz ist Professor am Deutschen Institut für Tourismusforschung an der Fachhochschule Westküste in Heide.

 

Prof. Dr. Steffen Wittkowske lehrt Didaktik des Sachunterrichts an der Universität Vechta.

 

ISBN 978-3-7398-3021-6 (Print)

ISBN 978-3-7398-0506-1 (ePub)

Inhalt

Geleitwort von Wolfgang Sobotka – Zu gesellschaftlicher und touristischer Zukunft des Themas GartenVorwort der HerausgeberGärten und Parks im Wandel – Vom Paradiesgarten Eden über die Renaissancegärten bis zum IP-Gardening 4.01 Garten Eden und biblischer pairi daeza2 Gärten als grüne Paradiese3 Die klösterliche Gartenkultur4 Gärten als Statussymbol: Die höfische Gartenkultur5 Ausdruck von Macht: Barock- und Rokoko-Gärten6 Industrielle Revolution revolutioniert auch die Gärten7 Gärten für das Volk statt für die Herrscher8 Literaten und Philosophen beflügeln die Gartenkultur9 Gärten – Keimzelle der Freiraum- und Landschaftsgestaltung10 Die heutigen urbanen Gärten11 Gärten und Parkanlagen im Spiegel gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung12 Stadtentwicklung – Stadtluft macht frei und ist teuer13 Die veränderte Gesellschaft: Demografie und Soziodemografie14 Neue Arbeitswelt, Digitalisierung, Wandel tradierter Werte15 Wertfaktor Garten und ParkGärten als Modelle der Nachhaltigkeit1 Einleitung2 Nutzung und Übernutzung des Landes3 Alternativen der Nutzung eines Gartens4 Der formale Garten5 Der formale Garten als Ziel6 Natur und NachhaltigkeitGrünräume, Gärten und Gesundheit – Eine Partnerschaft zwischen Mensch und Garten in unendlichen Facetten1 Die Ansprüche der Medizin orientieren sich am veränderbaren Naturverständnis der Gesellschaft2 Natur, Grün, Grünräume und Gärten bewirken Wohlbefinden3 Grün und Klima – Bedeutung für die Gesundheit4 Gesundheitsprävention durch Grünräume und Gärten4.1 Gesund leben oder krank werden – Städte und Arbeitsarchitektur entscheidend4.2 Die Gewissheit nimmt zu: Verbesserung der Gesundheit durch Grünräume und Gärten5 Gärten und Gärtnern als individualisierte Flucht aus gesellschaftlichen und ökonomischen Zwängen6 Grün und Gärten im Umfeld von Krankheitsrisiko und Krankheit6.1 Naturerfahrung (‚Resonanzräume‘) und Gärten auch im Krankenhaus. Heilende Krankenhausarchitektur als eine Determinante von Therapie und Rekonvaleszenz6.2 Krankheit und Wahrnehmung der Umwelt6.3 Hotspots benötigen eine heilende Krankenhaus- und Landschaftsarchitektur6.4 Qualität der Umgebung und des Grüns für Krankheitsbewältigung, medizinische Betreuung sowie für den Heilungs- und Genesungsprozess6.5 Vorteile für die Akteurinnen und Akteure der Gesundheitsberufe und für den Genesungsverlauf der Patientinnen und Patienten6.6 Anforderung an Gärten für spezifische Therapieeinheiten6.7 Modellprojekte7 Fazit: Bedarf für neue Sichtweisen in Politik und MedizinDie Zukunft von Gärten für die Menschen von morgen – Von Nutzung, Gestaltung und Übernutzung historischer Parks1 Zur historischen Dimension von Nutzungsschäden2 Zum Stand der Forschung3 Zur Methodik der Untersuchung4 Zu einigen Untersuchungsergebnissen4.1 Befragung der Gartenverwaltungen4.2 Befragung der Nutzerinnen und Nutzer5 Strategien zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nutzungsschäden6 Öffentlichkeitsarbeit7 Parkaufsicht, Parkordnung8 Parkpflege9 Schutz-, Rück- und Umbaumaßnahmen10 Produktprofilierung11 FazitGarten und Kulinarik – Parks als Nahrungsquelle und Restaurantinspiration1 Die Gärten der Klöster2 Die Nutz- und Lustgärten3 Der Garten und das Bier4 Der Garten in der Laubenkolonie5 Die neue Lust auf Grün6 Vom eigenen Garten auf den Teller7 FazitSchulgärten: Orte zum Leben und Lernen1 Mehr als eine Einleitung: Schule neu denken2 Schulgärten haben Geschichte3 Schulgärten bieten Zukunft: Vom Umgehen mit Natur4 Beim Gärtnern der Natur begegnen4.1 Sozialkompetenz4.2 Selbstkompetenz4.3 Methodenkompetenz5 Wege, die zu gehen es sich lohnt: Der gute SchulgartenHistorische Gärten als Lernorte – Bildungs- und Vermittlungsangebote für Gartendenkmale1 Einführung2 Wie entstehen Bildungsinhalte für historische Gärten?2.1 Konkrete Bildungsthemen für historische Gärten am Beispiel der ehemaligen Benediktinerabtei Seligenstadt2.2 Welche Beispiele aus der Arbeit rund um historische Gärten stiften Zukunft?2.3 ‚Gesundheitliche Nebenwirkungen‘2.4 Welche Formate von Vermittlung und Partizipation sind im Sinne gemeinsamer Zukunftsprojekte erfolgversprechend?3 Wie gelingt es, die nötigen Strukturen zu schaffen?3.1 Partnerschaften für Bildung und Vermittlung in historischen Gärten4 FazitVon Immerblühern und Einjährigen – Der Gartenbuchmarkt im Wandel des Kundeninteresses1 Die Faszination Gartenbuch2 Wie funktioniert ein BestsellerJahr3 Wird das Gartenbuch digital?4 FazitGartenakademien in Deutschland – Mehr Freude und Erfolg im Garten durch Bildung1 Gartenwissen – früher von Generation zu Generation2 Über 200 Jahre Gartenberatung: Ernährungssicherung und Volksgesundheit3 Supermärkte lassen Gärten unmodern erscheinen4 Gartenakademien entstehen5 Beratungsaufgaben werden komplexer6 Gartenakademien in Deutschland6.1 Gartenakademie Baden-Württemberg e. V.6.2 Bayerische Gartenakademie6.3 Hessische Gartenakademie6.4 Niedersächsische Gartenakademie6.5 Gartenakademie Rheinland-Pfalz6.6 Saarländische Gartenakademie6.7 Sächsische Gartenakademie6.8 gARTenakademie Sachsen-Anhalt e. V.6.9 GartenAkademie ThüringenNetzwerk Garten & Mensch – Bürgerschaftliches Engagement für Gärten, Parks und Plätze1 Ein Förderprojekt für kulturelles Grün2 Regionaltagungen2.1 Die 4 Ks – Kompetenzen, Kosten, Kommunikation und Kooperation2.2 Es beginnt in Berlin2.3 Auftakt auf Hamburgs größtem Friedhof2.4 Rheinischer ‚Rededrang’2.5 Tagen am Englischen Garten2.6 Skyline von ‚Mainhattan’2.7 Konzentration in Heidelberg2.8 Vollversammlung in Markkleeberg2.9 Gartenregion Hannover3 Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur e. V.3.1 Auf den Spuren von Albert Kahn3.2 Vier Anerkennungen3.3 Drei Preise4 AusblickGärten als Teil der Baukultur – Die Rolle des Grüns für Klima, Lebensqualität und Urbanität der Stadt1 Zur Einführung2 Grünflächen für ein verträgliches Stadtklima3 Lebensqualität und Gesundheit4 Bauhistorische Bedeutung5 Baukulturelle Instrumente der StadtentwicklungVon der Sortimentsschau zur integrierten Stadtentwicklung – Bundesgartenschauen (BUGA) und Internationale Gartenausstellungen (IGA) als Impulsgeber1 Worüber definiert sich eine Bundesgartenschau?2 Dekaden der Entwicklung3 Wiederaufbau deutscher Städte4 Sanierung des Parkbestandes in den 1970er-Jahren5 Nutzwert für die Bevölkerung6 Mit BUGA und IGA entstehen Naherholungsgebiete7 Nachhaltigkeit und Ökologie bestimmen die 1990er-Jahre8 Integrierte Stadt- und Regionalentwicklung9 Die Peripherie der Metropolen gewinnt mit grünen Quartieren10 Mut zum Experiment: Dezentrale Gartenschauen11 Werfen wir einen Blick in die fernere ZukunftDie grüne Stadt – Über die Bedeutung öffentlicher und privater Grün- und Freiflächen in Kommunen 1 Zur Einordnung2 Situation in Deutschland3 Integrierte Stadtentwicklung4 Bürgerwünsche pro Grün5 Grün in der Stadt ist multifunktional6 Stadtnatur – ein weites Feld7 Städtische Freiräume qualifizieren8 Privater vs. öffentlicher Raum9 Rettet den Vorgarten!10 Grüne Firmengelände11 Gemeinsame Aufgabe12 Zukunft Grüne StadtDie Grün Berlin Gruppe – Ein interdisziplinäres grünes Managementmodell für die Metropole Berlin1 Unternehmensstruktur und Organisation2 Ziele und Aufgaben3 Unternehmenskennzahlen4 Spezifische Herausforderungen und Kompetenzen5 Methoden der Projektentwicklung am Beispiel nachhaltiger touristischer Projekte5.1 Projektentwicklung Spreepark Berlin6 Bedeutungszuwachs des öffentlichen urbanen Raums7 Strategische PartnerschaftenLandesgartenschauen – Zwischen Spaßveranstaltung, Stadtentwicklung und Gesellschaftsrelevanz1 Angebot2 Nachfrage3 Zielsetzungen und Effekte4 Perspektiven und ZukunftsaussichtenGartenträume Sachsen-Anhalt – Ein Landesnetzwerk historischer Gärten als touristisches Produkt1 Einleitung2 Die Entwicklung des touristischen Produkts Gartenträume Sachsen-Anhalt2.1 Markenbildung2.2 Netzwerkbildung2.3 Produktentwicklung2.4 Kommunikationspolitik2.5 Qualitätsmanagement3 Besuchermanagement4 Binnenmarketing5 Fazit: Ein Landesnetzwerk historischer Gärten als touristisches ProduktDIE GARTEN TULLN – Das niederösterreichische Konzept einer nachhaltigen Gartenschau für die Gäste von morgen1 Die Grundidee – Natur im Garten2 DIE GARTEN TULLN Gesellschaft3 Das Tullner Feld – Standort für eine besondere Gartenschau4 Die Gartenschau5 Die Gärten6 Verschiedene Angebote für Besucherinnen und Besucher7 Das Bildungsangebot8 Die Gäste von MorgenVom Einzelgarten zum europäischen Austausch – Das rheinländische Schloss Dyck und sein breites Netzwerk1 Der Weg vom Englischen Landschaftsgarten des Fürsten Joseph zum Zentrum für Gartenkunst und Landschaftskultur der Stiftung Schloss Dyck1.1 Der englische Landschaftsgarten von Fürst Joseph und Fürstin Constance1.2 Vom Park der Fürstin Cecilie zur Gründung der Stiftung Schloss Dyck1.3 Instandsetzung und Erweiterungen zur Landesgartenschau 20021.4 Entwicklung des Besucherbetriebs der Stiftung Schloss Dyck2 Das Europäische Gartennetzwerk EGHN2.1 Ausgangssituation der Stiftung Schloss Dyck für die Gründung eines Netzwerkes2.2 Grundlagen für ein Europäisches Gartennetzwerk2.3 Aufbau des European Garden Heritage Network (EGHN)2.4 Projekte des Europäischen Gartennetzwerkes2.5 Die Verleihung des Europäischen Gartenpreises2.6 Ein Netzwerk für Betreibende und Besuchende von Parks und GärtenGärten der Welt in Berlin – Eine Geschichte vom Bewahren, Entwickeln und Verändern1 Wie alles begann2 Chinesische Bautradition trifft auf deutsche Bauvorschrift3 Japanische Kultur – ganz anders als erwartet4 Eine kleine Insel mit großer Bedeutung: Garten der drei Harmonien5 Dialog der Kulturen wiederbeleben6 Fernöstliche Herausforderung – Gartenteil aus Korea7 Was ist ein ‚deutscher Garten’?8 Landschaftsarchitektonisches Erbe9 Bewahren zum Entwickeln und zum VerändernGärten als Imagefaktor – Das Beispiel der Herrenhäuser Gärten1 Gartentourismus in Großstädten – Gradmesser für ihr Image?2 Höher, schneller, weiter3 Hannover – Großstadt im Grünen4 Das Beispiel Herrenhäuser Gärten5 Die Gärten als touristische Destination6 Herrenhausen in der Pandemie7 Netze spinnen und auswerfen8 Imagefaktor als ÜberlebensversicherungOffene Gärten – Neue Wege im Tourismus1 Zur Einführung2 Einhegung – Entdeckung der Kultur2.1 Sehnsucht nach dem Paradies2.2 Entwicklungen im Innern2.3 Kultivierung des Privaten2.4 Gärtnern als patriotische Pflicht2.5 Würde und Menschsein3 Einladung und Mitgestaltung3.1 Repräsentation und Illusion3.2 Offene Gärten als Weg zu sich selbst3.3 Integration, Provokation und Desiderat4 Einladung zur DiskussionDie Gartenbesucherinnen und -besucher – Motive und Erfahrungen im 18. und 19. Jahrhundert1 Gartenbesucher ist nicht gleich Gartenbesucher2 Öffnung herrschaftlicher Gärten3 Das Verhalten der Besucherinnen und Besucher sowie ihre Reglementierung4 Einschränkungen für Besucherinnen und Besucher5 Herrschaftliche Gartenbesucherinnen und Gartenbesucher6 Schriftliche Äußerungen von Gartenbesucherinnen und Gartenbesuchern7 Gärtner als FachbesucherGartentourismus – Was sagt die Marktforschung?1 Gartentourismus in der Marktforschung2 Interessentenpotenzial3 Profile von Interessierenden sowie Touristinnen und Touristen4 Reiseziele5 Potenziale zur Verknüpfung mit anderen Themen6 FazitGartenreisen in der Gruppe – Die Entwicklung von Angebot sowie Kundinnen und Kunden im Wandel1 Gärtnern als Gruppenreise-Motiv1.1 Gartenkultur als Reise- und Freizeitmotiv1.2 Gartenleidenschaft und Reiselust1.3 Wir-Gefühl1.4 Nachfragende und ihre Motive1.5 Gartenreisende in der Gruppe1.6 Destinationen für Gartenreisegruppen1.7 Gartenreisen vs. Gartentourismus2 Gartenreisetypen und Angebote2.1 Ausflüglerinnen und Ausflügler2.2 Land- und Leute-Entdeckende2.3 Studienreisende2.4 Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtner2.5 Gartenbegeisterte, sogenannte Gartenenthusiastinnen und Gartenenthusiasten3 Authentischer und nachhaltiger Tourismus3.1 Die Zukunft der Gartenreisen3.2 Epilog – das Reisen neu erfindenSlow Tourism und Gartenreisen – Über die neue Sehnsucht nach Langsamkeit, Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit1 Zur Einführung2 Modernisierung und Globalisierung zwischen Fast und Slow Society3 Turnaround zu Slow Society und Slow Economy4 Slow Tourism und Slow Mobility als Reisetrend der Zukunft5 Slow Food als Initialzünder zwischen Regionalität und Genusskultur6 Gärten und Parks als Wachstumsmarkt der Sinnlichkeit7 Gartenreisen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland8 Perspektiven von Gartenreisen im Slow TourismBeiträgerinnen und BeiträgerAbbildungsnachweiseTabellennachweise

Geleitwort von Wolfgang Sobotka

Zu gesellschaftlicher und touristischer Zukunft des Themas Garten

 

Ich gratulieren dem Autorenteam zu diesem Buch, in dem sie ein wichtiges Thema aufgreifen: die touristische Bedeutung von Gärten. Aber unsere Gärten haben nicht nur eine Bedeutung für den Tourismus, sondern auch für die Gesellschaft, für unsere Lebensqualität und für unsere Werte. Wir haben in Europa große Herausforderungen zu meistern. Einerseits hat uns die Pandemie den Garten einmal mehr als einen Wohlfühlort nähergebracht. Andererseits stellen der Klimawandel, die demographischen Entwicklungen und die Digitalisierung besondere Anforderungen an die Menschen und die Gesellschaft. Aber nicht nur das. Wir stehen vor dem Problem, dass das Erfahrungswissen zur Gestaltung und Pflege von Gärten verloren gegangen ist. Als wir in den 1990er-Jahren Kindern die Frage stellten, woher denn die Tomaten kommen, bekamen wir als Antwort: „Aus dem Supermarkt.“ Diese Antwort führte uns vor Augen, wie weit wir uns von der Natur wegbewegt hatten. Erfahrungswissen wird in den Familien nicht mehr weitergegeben. Da wir Gärten als Möglichkeit zur Wiedererlangung und Verstärkung des Naturverständnisses in allen Altersgruppen sehen, haben wir in Niederösterreich 1999 die Aktion „Natur im Garten“ gegründet, die sich inzwischen zu einer europäischen Bewegung entwickelt hat. Ziel von „Natur im Garten“ ist es, den Menschen das Verständnis für die Natur und das Erfahrungswissen zum Arbeiten mit dem Kreislauf der Natur zurückzugeben, nach dem Motto: „Gesund halten, was uns gesund hält.“ Voraussetzung für das Arbeiten mit der Natur sind folgende Kernkriterien, die bis heute gelten: Gärtnern ohne chemisch-synthetische Pestizide und Düngemittel sowie Torf. Mit „Natur im Garten“ wird die Vielfalt im eigenen Garten und in öffentlichen Grünräumen gefördert und auf diese Weise werden neue Räume für die Förderung bzw. Erhaltung der Biodiversität geschaffen.

Mit dem Thema ‚Garten‘ können wir Menschen die Ökologie und die Verantwortung für die Schöpfung näherbringen. Denn nur wovon ich selbst überzeugt bin, davon kann ich andere überzeugen. Dann braucht es keine Verbote, die Widerstand auslösen, und keinen erhobenen Zeigefinger. Hier können wir motivierend wichtige Themen als Gesellschaftsthema verankern. Natur muss man begreifen und erfahren, um sie gestalten zu können. Der Garten ist somit von entscheidender Bedeutung und bietet optimale Bedingungen, um Eigenverantwortung zu entwickeln und zu fördern. Der Garten eröffnet zudem die Möglichkeit, das, was um uns herum passiert, zu verstehen. Die Arbeit im Garten hilft auch, einen Ausgleich zwischen Anspannung und Entspannung zu finden. Hier können wir uns wieder erden und neue Kraft tanken. So hält uns der Garten gesund.

Heute ist Gärtnern längst kein Trend mehr, sondern eine Grundhaltung. Gerade in Zeiten des Klimawandels gibt es besonders im Garten viele Möglichkeiten, das Kleinklima in der eigenen Umgebung positiv zu beeinflussen – ob mit einem schattenspendenden Baum oder durch die Begrünung des Dachs. In Zeiten des Klimawandels mit zunehmenden Hitze- und Trockenperioden sowie Starkregenereignissen ist der ökologische Beitrag von Grünräumen in Gemeinden und Städten unverzichtbar und Teil der Lösung. Sie dienen als Kohlenstoffsenker, Wasserspeicher, biologische Klimaanlagen und reinigen die Luft. Insbesondere das Mikroklima in der Umgebung von Gebäuden wird durch die richtige Gestaltung der grünen Infrastruktur positiv beeinflusst. Es kann jeder einen positiven Beitrag leisten zum Klimaschutz, zur CO2-Reduktion sowie CO2-neutral im eigenen Garten arbeiten.

Gärten haben eine langjährige Geschichte und sind unser kulturelles Erbe. Deshalb ist es so wichtig, auch bestehende historische Parkanlagen zu erhalten und zeitgemäß zu nutzen. Gemeinden gestalten den öffentlichen Raum, erhalten Bäume, weil sie wissen, dass Grünflächen Lebensqualität bedeuten und wichtiger Aufenthaltsraum für die Bevölkerung sind. Das wussten auch schon die großen Gartenplaner und -künstler des 19. Jahrhunderts wie der berühmte Peter Joseph Lenné. Gärten sind Spiegel sozialer und politischer Entwicklungen und Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Epochen. Durch Revitalisierung alter Gartenanlagen in peripher gelegenen Regionen werden Arbeitsplätze geschaffen und die Wertschöpfung in die Region gebracht. Es sind viele Berufsgruppen, die von Gartenanlagen profitieren: Gartenplanerinnen und -planer, Gartenbau, Staudengärtnereien, Baumschulen, Busunternehmerinnen und -unternehmer für Gartenreisen, Gastronomie und Hotellerie. Die Gärten für Besucherinnen und Besucher sind die Wirtschaftspartner in der Region und Impulsgeber für den Tourismus. Nicht zu vergessen: Gartentourismus ist nachhaltiger Tourismus! Für die Menschen ist es interessant, beim Besuch von Gärten jenen Persönlichkeiten nachzuspüren, die hinter den Gartenkonzepten stehen. Europa verfügt über eine Geschichte vielfältiger Gestaltung nutzergerechter Gärten aus den unterschiedlichen Perioden. Besonders der Besuch von Privatgärten bietet die Möglichkeit, mit den Gartenbesitzerinnen und -besitzern ins Gespräch zu kommen und sich inspirieren zu lassen, die eigene Wahrnehmung zu ändern. Die Gäste genießen die positive Gegenwelt und tauchen ein in den Kosmos naturnaher Gärten und deren unschätzbarem Wert.

Wien, zu Ostern 2022

Wolfgang Sobotka

Präsident des Österreichischen Nationalrats und Gründer von „Natur im Garten“ in Niederösterreich

Vorwort der Herausgeber

Zum ersten Mal wird im deutschsprachigen Raum der Versuch unternommen, das Thema ‚Gartenreisen‘ aus interdisziplinärer Perspektive und in vielfältigen Facetten zu betrachten. Dabei werden einerseits die zu bereisenden Gärten in den Mittelpunkt gerückt, kleine und große, historische und neue, ephemere und bleibende, im deutschsprachigen und europäischen Kontext sowie in historischer wie zukünftiger Ausrichtung. Andererseits zielt die Betrachtung nicht nur auf die Einzigartigkeit, den Schutz, das Kultur- und Naturgut ‚Garten‘, sondern gleichwertig werden die sich verändernden und sich entwickelnden Bedürfnisse, die Interessen und die Veränderungen bei den Besucherinnen und Besuchern in den Blick genommen. Und dabei interessiert nicht so sehr eine abstrakte Objekt-Subjekt-Korrelation, sondern die Besucherin und der Besucher als emotionales Wesen: „Gärten und ihre Gäste“.

Gärten haben im Deutschlandtourismus immer ein stiefmütterliches Dasein gefristet, wurden als nettes Beiwerk im Rahmen des Kulturtourismus gerne mitgenommen und mitvermarktet. Im Vergleich zu England und Frankreich, wo Gartenbesuch mit gleichzeitigem Gartengenuss eine lange und feste Tradition hat, findet sich das Gartenreisen in Deutschland gerade erst im Aufbruch. Die Tourismusbranche sollte sich ihres Gartenpotentials bewusst sein, denn im letzten Jahrzehnt zieht neben der gesellschaftlichen auch die touristische Affinität der Kundinnen und Kunden für Gärten und Parks gerade im Zusammenhang mit einer breit ausgerichteten Sinnsuche an. Über alle Alters-, Generations- oder Geschlechtsklassen hinweg interessieren sich in ganz Deutschland ungefähr 50 % der Bevölkerung für einen Besuch in Gärten und Parks – ein sensationell hoher Anteil, wenn man bedenkt, dass sich nur 30 % für die Besichtigung von Denkmalen begeistern können. Neben der ästhetischen und kunstgeschichtlichen Bedeutung bietet gestaltetes Grün denn auch einen noch größeren Mehrwert als Kultur. Dieser reicht von Gesundheit über Aktivtourismus bis zu Entspannung und Genuss. Wenn sich Jugendliche in den österreichischen Bundesgärten nur dem Chillen hingeben wollen, so sind sie doch eine große und v. a. nachwachsende Zielgruppe und außerdem in guter Gesellschaft mit den angelsächsischen Kundengruppen älterer Generationen.

In der globalen und virtuellen Welt werden Gärten zudem zur Antipode oder Alternative des iPads. Während das eine nur noch zart mit den Fingerspitzen berührt wird, bedarf das andere ganzen Körpereinsatzes. Mit den Händen in die Erde greifen, ganz haptisch, sinnlich und sinnvoll seine Freizeit gestalten, den Knopf an Rechner und Kopf ausschalten, einfach nur vor sich hin harken, all dies wird zur Gegenwelt des Workaholics am Beginn des 21. Jahrhunderts. Während Ältere, deren Kinder mittlerweile aus dem Haus sind, ganze Gartenlandschaften gestalten, hat sich daneben mittlerweile eine breite Klientel von jungen Leuten dem Thema ‚Garten‘ zugewandt. Ob Urban Gardening auf einer kleinen Balkonfläche, neue Datschenkultur, Gemeinschaftsgarten oder Guerilla Gardening, eine bisher kaum beachtete Klientel von unter 30-Jährigen wandelt sich zu Gartenenthusiastinnen und -enthusiasten. Gleichzeitig überschwemmen Gartenbücher zu jeglichen, auch noch so abseitigen Themen seit Jahren den Markt; auch der weiterwachsende Erfolg von Garten- und Landzeitschriften in dem insgesamt schwierigen Zeitschriftenmarkt ist den Zukunftsforscherinnen und -forschern mitunter ein Rätsel.

So füllt der vorliegende Sammelband mit 25 interdisziplinären Beiträgen zur Gartenaffinität eine Lücke in der garten- wie tourismuswissenschaftlichen Forschung. Allen Autorinnen und Autoren ist für ihren spezifischen Zugang und ihren Beitrag zum Gesamtkontext der Gartenreisen herzlich zu danken. Pandemiebedingt hat sich die Fertigstellung des Sammelbandes verzögert; auch eine begleitende Ringvorlesung konnte nicht stattfinden. Als Netzwerker ist es uns dennoch geglückt, bundesweite Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis in diesem Sammelband zu Wort kommen zu lassen. Am Ende ist damit auch ein länder- und hochschulübergreifendes Kooperationsprojekt der Fachhochschule Westküste in Heide und der Universität in Vechta entstanden.

Der Hartnäckigkeit meines Freundes und Kollegen Christian Antz, dem ich schon seit langem verbunden bin, ist es zu verdanken, dass das Werk nicht ins Stocken geraten und nun zu einem schönen Abschluss gekommen ist. Gemeinsam legen wir nun ein Buch vor, das eine Mischung aus grundlegenden und stärker praxisorientierten Beiträgen darstellt. Ein ganz großer Dank gilt allen Autorinnen und Autoren für ihre Mitwirkung, aber auch für ihre Geduld und Bereitschaft zur Überarbeitung von Manuskripten. Ein Buch in der vorliegenden Form benötigt viele denkende Köpfe und helfende Hände. Wir danken insbesondere Skrollan Stine Möller und Alina Schankin für den Kontakt zu den Autorinnen und Autoren sowie für sämtliche Unterstützung bei der Erstellung und Überarbeitung des Manuskripts. Dem Wissenschaftsverlag UVK in München, insbesondere Rainer Berger, sei zum Abschluss herzlich gedankt für das immer offene Entgegenkommen beim Thema ‚Gartenreisen‘.

 

Heide/Magdeburg und Vechta/Radebeul, zu Ostern 2022

 

 

Prof. Dr. Christian Antz

Deutsches Institut für Tourismusforschung an der Fachhochschule Westküste in Heide

Prof. Dr. Steffen Wittkowske

Professur für Didaktik des Sachunterrichts an der Universität Vechta

Gärten und Parks im Wandel

Vom Paradiesgarten Eden über die Renaissancegärten bis zum IP-Gardening 4.0
Klaus Neumann

1Garten Eden und biblischer pairi daeza

Gärten gibt es auf der Welt, seit die Menschen sesshaft wurden. Die Keimzelle jeder Kultur ist der Garten. Gärten haben sich im Laufe der Epochen verändert. Fast alle Schöpfungsgeschichten beginnen damit, dass Gott, nachdem er den Menschen schuf, einen Garten anlegte. Dieser Garten wird relativ genau beschrieben. Er liegt im Osten, im Land Eden, hat allerlei Bäume, verlockend anzusehen mit schmackhaften Früchten. (Luther Bibel 1545, 1 Mose 1,29–30)

Die Beschreibung des Garten Eden nimmt in der Bibel einen großen Stellenwert ein. All unsere Paradiesvorstellungen laufen auf diesen Garten hinaus: Der erste Ort, den Gott auf Erden schuf, war ein Garten und das menschliche Leben begann in einem Garten. Mehr noch: Der erste Ort, wo Gott sichtbar und ansprechbar war, war ein Garten, das Paradies. Mit der ‚Urbarmachung‘ eines Stück Land beginnt Kultur, die Kultivierung. Das lateinische Wort colere, abgeleitet von cultura, bedeutet ‚pflegen‘ und ‚ernten‘. Es ist bezeichnend, dass Gott für den Menschen einen Obstgarten anlegt, den es entsprechend zu pflegen und zu kultivieren galt und in dem geerntet werden konnte. Der heute gebräuchliche Name für all jene von Menschen angelegten und bewirtschafteten Flächen ‚Garten‘ leitet sich ab vom Wort Gerte. Damit wurden das urbar gemachte Land und die angebauten Pflanzen geschützt. Ein solch geschützter Ort gibt Geborgenheit – in Zeiten überwiegender Wildnis und rauer Natur besonders wichtig. Dieser erste Garten, der biblische Garten Eden, das Paradies aus der Schöpfungsgeschichte, ist das Urbild eines fruchtbaren, den Menschen ernährenden Raumes, in dem er sich geborgen fühlt. Paradies, abgeleitet aus dem arabischen pairi daeza, bedeutet umfriedeter Garten (vgl. Jepsen 2000).

Der Garten ist anfangs Lebens- und Existenzgrundlage, reine Ziergärten sind moderner Luxus. Der Garten war und ist aber auch ein traditioneller Ort durchaus asketischer, religiöser und philosophischer Einkehr und ästhetischer Selbstverwirklichung. Blumen- und Obstgärten, Gärten in der Landschaft, Gärten hinter Hecken, aber auch Gärten hinter Mauern. Gärten, die Menschen angelegt haben als Orte des Rückzugs, der Sicherheit, der inneren Einkehr oder schlicht, um in den Qualen ihres Alltags und ihrer Umgebung zu überleben. Ob Mönch oder Millionär, Kaiser, Konkubine oder Häftling – sie alle waren in ihren Gärten ‚gefangen‘, ob freiwillig oder weil sie dazu verurteilt waren. Ob der politische Gefangene Nelson Mandela auf der gefürchteten Gefängnisinsel Robben Island in Südafrika, der Politiker Erich Honecker und der Showmaster Hans Rosenthal, die beide jeweils in einer Kleingartenanlage in Berlin den Krieg überlebten, ob der Apfelpfarrer Aigner im KZ Dachau, Sultan Süleyman der Prächtige und seine Haremsdamen, ob die Häftlinge von Leyhill, die bei der berühmtesten Gartenschau der Welt, der Chelsea Flower Show in London mit ihrem Gartendesign sensationell die Goldmedaille erringen, ob William Beckford, der exzentrische Millionär oder der Gründungskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, der ehemalige EU-Kommissar Van Miert, der bei der Gartenarbeit tödlich verunglückte, oder der Dirigent und Präsident des österreichischen Nationalrates Wolfgang Sobotka – sie alle lebten, überlebten dank des Gartens oder suchten dort Entspannung von den Herausforderungen des politischen Alltags.

2Gärten als grüne Paradiese

Die Geschichte der Gärten als grüne, paradiesische Hotspots für Mensch und Tier, aber auch als Foyer der Bau- und Gartenkunst, erzählt von der immerwährenden Suche des Menschen nach einem Raum der Abgrenzung und Besinnung, der Lebensfreude, des Überschwangs, aber auch nach einer Oase für Sicherheit und Versorgung; nach einer Stätte für Ruhe und Zufriedenheit, für Sicherheit und soziale Kontakte nach individuellem wie gesellschaftlichen Glücks. Immer galt es in den verschiedensten Formen, das jeweils so unterschiedliche Paradies für das Leben nachzubilden oder den blühenden Gefilden des Jenseits vorzugreifen. Den einen bedeutet er optischer Genuss oder kulinarische Nutzung, den anderen unerschöpfliche Vielfalt oder erzwungene Einfalt.

3Die klösterliche Gartenkultur

Nach der Antike blühte in Europa zunächst die klösterliche Gartenkultur auf. Ihre Anfänge gehen zurück auf Benedikt von Nursia, der im Jahr 529 in Süditalien ein Kloster gründete, welches sich später zum Mutterkloster des Benediktinerordens entwickelte. Die von ihm geschaffenen Ordensregeln gelten als Grundlage der späteren Klostergärten. In Kapitel 36 der Benediktinerregeln wurde festgelegt, dass die Sorge für die Kranken vor und über allen anderen Pflichten zu stehen hat. Mit dieser eindeutigen Aufforderung begründete Benedikt indirekt die Klostermedizin und die Klostergärten. In Anwendung dieser Ordensregel wurden Gärten angelegt, die nicht nur für die Ernährung der Mönche Bedeutung hatten, sondern auch für die Versorgung, Betreuung und Behandlung der Kranken geeignet waren. Mönche und Nonnen brachten Pflanzen des Mittelmeergebietes über die Alpen und kultivierten diese in ihren Klostergärten. Später sammelten Pilger und Kreuzfahrer Pflanzen, die ihnen interessant erschienen, und brachten sie in die weltlichen Gärten. In den Klostergärten wurden aber auch Pflanzen aus der heimischen Flora angebaut, um sie als Würzmittel, Lebensmittel oder Zierpflanzen zu nutzen.

Allerdings wurden in den Klöstern nicht nur große Kulturleistungen für den praktischen Gartenbau erbracht, über Jahrhunderte wurde auch wissenschaftlich gearbeitet. Man trug vorhandenes Wissen innerhalb und außerhalb der Klöster zusammen, beschrieb die Pflanzen und ihre Nutzung und gab den Pflanzen – meist aus dem Christentum, der Bibel oder von Heiligen abgeleitete, bis heute gültige Namen. Signifikante Beispiele sind: Alchemilla vulgaris (Muttergottesmantel, Frauenmantel), Bellis perennis (Marienblume), Gladiolus-Hybriden (Zwölf-Apostel-Blume) oder Euphorbia milii (Christusdorn) (vgl. Lukesch 2009). Vor allem die Kräuter- und Heilpflanzengärten pflegte man mit größter Sorgfalt (→ Abb. 1).

Abb. 1:

Klostergarten Frauenchiemsee

Diese klösterlichen Gärten fanden später eine weltliche Verstärkung durch die Universitäten. Im 16. Jahrhundert entstanden die botanischen Gärten, anfangs nach dem Vorbild der Klöster, als Horti Medici. Solange es die Botanik als selbstständige Wissenschaft nicht gab, nahm sich die Medizin des Fachs an. Im Laufe der Zeit blieb es jedoch nicht bei Arzneipflanzen und die heutigen Botanischen Gärten entwickelten sich.

4Gärten als Statussymbol: Die höfische Gartenkultur

Abb. 2:

Garten als Signum politischer und wirtschaftlicher Macht; Schlossgarten Villandry an der Loire

Vom Hochmittelalter an übernahm die höfische Gartenkultur die Führungsrolle. In der Interpretation der Menschen wurde der Garten immer häufiger zum Signum für finanzielle und gesellschaftliche Macht und Überlegenheit. Die Gärten waren für die Regentschaft angelegt und von ihr finanziert, das Volk blieb in der Regel außen vor. Zäune und Hecken waren von jeher die Regel, um dieses Paradies vor dem Rest der Welt zu schützen. Dabei träumten die einen von geometrischer Perfektion und vollkommener Beherrschung der Natur, die anderen vom immergrünen Arzneischrank (→ Abb. 2).

Zunehmend begannen Künstlerinnen und Künstler, sich dieser säkularisierten Paradiesgärten anzunehmen. Die himmlische Assoziation wurde zwar beibehalten, die Blickrichtung aber verschob sich eindrucksvoll vom Jenseits in eine neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Die tradierte Verwurzelung, die Schönheits- und Glücksideale des göttlichen Paradiesgartens verblassten. Sie gerieten allmählich in Vergessenheit, auch wenn die literarische und bildnerische Darstellung sich stets im Gedächtnis der Menschen zu halten versuchte. Der Garten war immer eine Allegorie im Diesseits des Paradieses im Jenseits.

5Ausdruck von Macht: Barock- und Rokoko-Gärten

Abb. 3:

Geometrisch-gekünstelte Pflanzung im Schlossgarten Villandry/Loire

Der Aufbruch hin zu einem neuen Typus von Natur und Garten war nicht aufzuhalten. Die Gärten Eden, die göttlichen pairi daeza wurden besonders in der Gartenkunst des Barocks und Rokokos immer diesseitsbezogener. Die Eingriffe in die Natur, das Formen und Deformieren, das Schneiden und artifiziell figürliche Präsentieren der Natur im Großen und der Pflanzen im Kleinen wurde immer ungehemmter. Sträucher und Bäume wurden, entgegen ihrem natürlichen Habitus und ihrer charakteristischen Standortbedingungen, verfremdet, verformt und zurechtgestutzt. „Im Zeitalter der Absolution musste die Natur stramm in Reih und Glied stehen und salutieren“ (Weiss 1998). Die Gärten, die Gartenarchitekten sowie ihre Auftraggeberinnen und Auftraggeber wurden bei der Gestaltung ihrer Paradiese immer kapriziöser. Farblich und nach Blütezeit streng durchkomponiert, gedrechselt, gezählt, gekünstelt – das war nicht nur die Vorstellung von höchster paradiesischer Lust (→ Abb. 3).

Dahinter steckt – teilweise noch in der Gegenwart erkennbar – die Absicht des Auftraggebers und der Auftraggeberin, des Regenten, zur Selbstdarstellung von Reichtum und Macht über seine Untergebenen und das Volk, wie auch die Macht über die Natur. Das Beharren, die Restauration, der Rückzug in die private Idylle spiegelten sich im Garten wider.

6Industrielle Revolution revolutioniert auch die Gärten

Der fundamentale Wandel der Gesellschaft und damit der fundamentale Wandel von Garten und Natur waren nicht aufzuhalten. Politisches Engagement für Fortschritt und Revolution zeichneten sich auch im Garten ab. Die Industrielle Revolution brachte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts grundlegende wirtschaftliche und politische Veränderungen mit sich. Das Bürgertum erstarkte, der Wirtschaftsliberalismus führte zu ungehemmter wirtschaftlicher Konkurrenz. Zur neuen bürgerlichen Weltanschauung des Liberalismus gehörte das Recht ungehinderter Entfaltung des Individuums. Auch beim Garten im Kleinen und der Natur im Großen standen fundamentale und tiefgreifend nachhaltige Veränderungen an – allerdings zunächst nicht vom Gärtner oder der Gärtnerin initiiert, sondern von Philosophinnen und Philosophen sowie Literatinnen und Literatenwie Friedrich Hegel, der in seinen Werken einen anderen Umgang mit der Natur – eine neue ‚Naturphilosophie‘ – prägte. Es entstand eine neue Auffassung von Bau- und von Naturkultur, basierend auf den Ansätzen der Industriellen Revolution in England. Den an landschaftliche Weite gewöhnten Engländerinnen und Engländer lag die klare Begrenztheit der bis dato üblichen symmetrischen Barockgärten nicht.

7Gärten für das Volk statt für die Herrscher

Die Gesellschaft verabschiedete sich von dem „Garten als moralische Anstalt“ (vgl. Leuschner 2020), dem Schönheitsideal der geometrisch mit Haupt- und Nebenachsen gegliederten, eingezäunten Natur, oftmals mit Treppenanlagen und Wasserkaskaden. Der tradierten erlebten Begrenztheit und dem Formalismus stand der Unendlichkeitsgedanke gegenüber. Gemäß Hermann Fürst von Pückler- Muskau soll ein Park

„nur den Charakter der freyen Natur und der Landschaft haben, die Hand des Menschen also wenig darin sichtbar seyn, und sich nur durch wohlunterhaltene Wege und zweckmäßig verteilte Gebäude bemerklich machen. […] [D]a eine solche Anlage wohl Natur aber auch zum Gebrauch und Vergnügen des Menschen eingerichtete Natur darstellen soll“ (Pückler-Muskau 1977, S. 30 f.).

Diese Maxime ist bis heute beeindruckend erkennbar in den in dieser Epoche entstandenen Parkanlagen, z. B. im von Peter Joseph Lenné gestalteten Landschaftspark Glienicke, im von Fürst von Pückler-Muskau gestalteten Landschaftspark Branitz (→ Abb. 4) oder im Berliner Volkspark Friedrichshain (vgl. Hinz 1989). Dies war der erste kommunale Park Berlins und damit das erste städtische Grün, das nicht vom Königshaus oder Adel und ausschließlich für das Volk geschaffen wurde.

Abb. 4:

Branitzer Landschaftspark, Blick vom Kugelberg über den Schilfsee auf das Branitzer Schloss

8Literaten und Philosophen beflügeln die Gartenkultur

Diese neue Auffassung von Park und Landschaft bedeutet, geistesgeschichtlich betrachtet, nicht Formzerfall und Verwilderung. Es ist eine neue Interpretation von Natur und Garten, eine Weiterentwicklung und eine bis dato nicht gekannte Symbiose der Baukunst mit der Gartenbaukunst. Neue seelische Quellen sprudelten und gewannen für das Geistesleben der Völker neue Bedeutung: für Malerei, Musik, Dichtung und Philosophie. Goethe, Schiller, Kant, E. T. A. Hoffmann, Beethoven, Mozart, Zelter, Schinkel – alles Zeitgenossen dieser Epoche – sind in ihrer jeweiligen Kunst- und Kulturgattung beseelt von einem Aufbruch. Sie wirken und agieren individuell und gemeinschaftlich, sie bewirken eine neue Auffassung von Kunst und Kultur.

Populär gemacht und in die Gesellschaft getragen wird die veränderte Auffassung von Kultur und Natur zunächst von Literaten wie Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803), Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und Friedrich Schiller (1759–1805). Goethe bezieht eine klare Position zum neuen Umgang mit Natur und Garten. Er gibt sich nicht mit der damals geläufigen Wirkungsästhetik einer genuin deutschen Gartenkunst zufrieden, die sich sowohl der englischen wie der französischen Tradition verpflichtet. Er sucht eine neue Auffassung von ‚Schönheit‘. „Er bricht mit dem Vokabular der sentimentalen Gartenkunst. Er verabschiedet sich von den wirkungsästhetischen Regularien sentimentaler Gartenkunst“ (Groß 2005). „Auf Zierrat, auf überflüssige Allegorien – auf all diese nichtssagenden Formen und Gestaltungselemente, die nichts zur Natur der Sache beitragen, sei zu verzichten“ (Groß 2005). ‚Verzicht‘ – die fundierte Maxime Goethes. Er reklamierte den Genius des Ortes als Basis jeder Gestaltung. Es ist die Suche nach der natürlichen Einheit als Ganzes, dem ‚Ganzheitlichen‘.

Auch Goethes Zeitgenosse und geistiger Mitstreiter Friedrich Schiller distanziert sich von den barocken Gestaltungsprinzipien. Er setzt diesem Ansatz seine Idee vom ‚Organischen‘ entgegen, denn einem Garten, der die Natur determiniert, kann er nichts abgewinnen. Schiller verlangt nach dem Ideal der Freiheit und nach der Einbettung desselben in die sinnliche Wirklichkeit des Gartens (vgl. Groß-Lobkowicz 2012).

Diese kritische Reflexion, Schillers Suche zum Organischen ebenso wie Goethes Veto zum tradierten Schönheitsverständnis prägten Zeitgenossen, Baukunst und Gartenkunst. Sie brachte Goethe mit dem preußischen Baumeister Karl Friedrich Schinkel zusammen, mit dem er im Juli 1816 eine erste Begegnung in Weimar hatte. Goethes Kritik, der von ihm geforderte, gleichermaßen mit Rousseau im Einklang stehende Imperativ „Zurück zur Natur“ war es auch, der Gartengestalter wie Lenné und Pückler-Muskau begeisterte. Seine Kritik am sentimentalen Garten blieb wegweisend für die neuen Garten- und Parkgestaltungen, eine neue Epoche der Bau- und Gartenkunst. Es ist die Geburtsstunde einer neuen Auffassung von Natur und Garten, Freiraum- und Landschaftsgestaltung mit bis dato nicht bekannten Nutzungsoptionen für das Volk. Das Paradies sollte wieder mehr von Gottes Natur und Gottes Hand als von Menschenhand gestaltet werden. Gottes freie Natur, das vom Schöpfer geschaffene Paradies, der Garten Eden, kam wieder in Mode.

Im Geiste dieser neuen Garten- und Naturdominanz entsteht Ende des 19. Jahrhunderts in Anlehnung an die universitären botanischen Gärten ein neuer Gartentypus: der biologische Schulgarten, auch deutscher biologischer Schulgarten genannt, welcher auf der Internationalen Gartenbauausstellung in Dresden im Jahr 1896 vorgestellt wird. Er ist als Lehr- und Beobachtungsgarten angelegt. Ein weiteres Relikt dieser Epoche sind die heutigen Kleingärten, die ursprünglich Schrebergärten genannt wurden.

9Gärten – Keimzelle der Freiraum- und Landschaftsgestaltung

Die Anfänge dieser Interpretation von Natur und Garten sind zugleich die Anfänge einer genuin europäischen Garten- und Landschaftsgestaltung mit der Auseinandersetzung von urbanen Grün- und Freiräumen im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen, neuen Stadtstrukturen und dem Umgang mit sozialen wie ethischen-moralischen Werten. Prägend sind:

für die Gartenkultur und Gartenarchitektur bedeutende Gartenkünstler und Landschaftsgestalter wie Peter Joseph Lenné (1789–1866), Hermann Ludwig Heinrich Graf von Pückler-Muskau (1785–1871) und Friedrich Ludwig von Sckell (1750–1823),

für die enge Symbiose von Gebäuden und Gärten, von Stadt- und Grünentwicklung, von Architektur und Bauen Persönlichkeiten wie der preußische Baumeister, Architekt und Stadtplaner Karl Friedrich Schinkel (1781–1841),

für das Verständnis ökologischer Zusammenhänge und die Erfassung wissenschaftlicher Erkenntnisse beim Planen und Bauen die Forschungsreisenden und Wissenschaftler Friedrich Wilhelm (1767–1835) und Heinrich Alexander von Humboldt (1769–1859),

das unabdingbare Erfordernis zu Aus-, Fort- und Weiterbildung bei der Bau- und Gartenkultur durch Persönlichkeiten wie den hohen Ministerialbeamten und Mitglied des Staatsrats Christian Peter Wilhelm Beuth (1781–1853).

10Die heutigen urbanen Gärten

Prachtvolle Kleinode zur Präsentation von Garten und Gartenkunst im Ambiente ehemals fürstlicher Guts- und Schlossparks prägen die urbane Gegenwart ebenso wie allerorts zu genießende Ensembles öffentlicher Garten-, Parkanlagen und Stadtplätze. Öffentliche Oasen, die heute für Fitness oder für multikulturelle Familienfeste genutzt werden (→ Abb. 5), gehören zur urbanen Lebensqualität in gleichem Maße wie das naturhafte Ökotop auf ehemaligen Gleisanlagen (→ Abb. 6) – oder die gärtnerische Präsentation anderer Lebens- und Religionskulturen, z. B. in japanischen (→ Abb. 7) oder chinesischen Gärten. Das alles zeigt die Vielfalt der Gärten, jener damals wie heute so behutsamen Paradiese pairi daeza.

Abb. 5:

Familienfest im Tiergarten Berlin

 

Abb. 6:

Park am Gleisdreieck Berlin

Abb. 7:

Japanischer Garten, Bad Langensalza

Ein beeindruckendes raumplanerisch-kulturelles Erbe zur ebenso nachhaltigen ökologischen wie kulturell anspruchsvollen Entwicklung ganzer Stadt- und Landschaftsräume und Regionen, um mit den Mitteln der gestalteten Natur ein ‚Gesamtkunstwerk‘ Stadt- und Kulturlandschaft zu schaffen. Heute vielfach geachtete und geschützte Bestandteile von Weltkulturerbe, Garten- und oder Baudenkmalen; immer naturale Schmuckstücke der Eigentümerinnen und Eigentümer sowie Nutzerinnen und Nutzer, ob nun im Privaten, in Stadt oder Region. Dieses grüne Natur- und Kulturguterbe des Gestern stellt heute eine besondere Qualität für Stadt und Land von morgen dar.

11Gärten und Parkanlagen im Spiegel gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung

Bei der Analyse der Entstehung langfristiger (Struktur-)Zyklen – auch von Park- und Gartenanlagen – stößt man auf den Ökonomen Nikolai Kondratieff (1892–1938). Er beobachtete langfristige Wirtschaftsschwankungen in Zyklen von 40 bis 60 Jahren und entwickelte in den 1920er-Jahren die ‚Theorie der langen Wellen‘: die sogenannten Kondratieffzyklen (Kondratieff 2013). Ausgangspunkt für die ‚langen Wellen‘ sind Paradigmenwechsel1 und damit verbundene innovationsinduzierte Investitionen.2 Kondratieff postulierte, dass die grundlegenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen (und damit auch die städtebaulichen) Entwicklungen immer durch produktivfördernde Basisinnovationen initiiert werden und die wirtschaftlichen Entwicklungen in den Industriestaaten in Konjunkturzyklen bzw. langen Wellen erfolgt. In diesem Verständnis zur Korrelation gesellschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung werden fünf entscheidende Zyklen (Wellen) identifiziert (→ Tab. 1).

Die Basisinnovationen sind es, die einer stagnierenden Wirtschaft immer wieder zu neuem Wachstum verhelfen. In Folge solcher Expansionsinnovationen entstehen – quasi im ‚Huckepack-Verfahren‘ – grundlegende Wandlungsprozesse in der Gesellschaft. Für Stadt und Raum ebenso wie für den Umgang mit Natur und Garten. Diese Entwicklungen manifestieren sich sowohl im Negativen durch soziale Ungleichheit, Umwelt- und Naturzerstörung und Ressourcenverbrauch als auch im Positiven in neuen sozialen wie ökologischen Werten- und Nutzungsstrukturen oder Partizipationsprozessen. Korreliert man die Genese der Garten- und Parkanlagen mit diesen jeweiligen Zyklen, wird ein Verständnis für den tiefgreifenden Paradigmenwechsel im Umgang mit den grünen Werten Garten und Park vermittelt. Diese Betrachtungsweise ist bedeutsam, weil sie zu einem grundlegend anderen Blick mit anderen Wertigkeiten und anderen Lösungsansätzen im Umgang mit Grün- und Freiflächen führen kann.

Kondratieffzyklen

1. Kondratieff

2. Kondratieff

3. Kondratieff

4. Kondratieff

5. Kondratieff

Zeitepoche

ca. 1780–1830

ca. 1830–1880

ca. 1880–1930

ca. 1930–1960/70

ca. 1960/70–2010

Basisinnovtion,

Erfindung

 

Dampfmaschine,

mechanischer

Webstuhl,

Kohle und Stahlproduktion

Eisenbahn,

Bessemerstahl,

Straßenbahn,

Dampfschifffahrt

Elektrizität,

Chemie,

Telegrafie

Automobil,

Luftfahrt,

Petrochemie,

Pharmazie

Telekommunikation,

Mikroelektronik,

Nuklearenergie,

Digitalisierung

Aktionsfeld

Industrielle Produktions­verfahren,

vorrangig nationaler Handel und Gewerbe

Massentransport,

Überwindung von Handelsschranken,

Baukultur-Gründerzeit

Massenproduktion,

Telekommunikation,

Schwermaschinen

Transnationale individuelle

Mobilität,

Elektronik,

Automatisierung

Globalisierung,

Biotechnologie,

Ökologie,

Umweltschutz,

Dienstleistung

Dominanz,

Charakteristik von

Garten und Park

 

Repräsentationsaspekt

Gärten der wirtschaftlichen, religiösen und politischen Regenten, vorwiegend private Nutzung

Raum- und Gliederungsaspekt

Funktional und räumlich gliedernde Elemente des beginnenden Städtewachstums mittels Alleen, Grüngürteln und Stadtplätzen sowie großräumiger Landschaftsraum­gestaltung

Sozialer Aspekt

Gärten und Parks zur ‚sozialen‘ Befriedung, meist öffentlich zugängliche Anlagen wie Volksparks, Stadtgärten, Kleingärten, Schul- und Krankenhausgärten

Versorgungs- und

Sicherheitsaspekt

Haus-, Klein-, Stadt- und Schrebergärten zur individuellen und gemeinschaftlichen Lebensmittelversorgung in Kriegs- und Nachkriegszeit,

zentrale Elemente,

Aufbauphase mit deutlichen Richtwertvorgaben, z. B. Wohnumfeld, Spiel- und Sportanlagen, Gartenschauen

Schutzaspekt

Basierend auf den Erkenntnissen des Club of Rome wächst das Erfordernis zu Umwelt- und Naturschutz,

wichtige Funktionen für Klima, Arten und Biotop,

zentrale Elemente für rechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gemäß NatSchG3, FFH4, UVP5

Tab. 1:

‚Theorie der langen Wellen‘ (Kondratieffzyklen) mit Typologie von Gärten und Parks

Der 1. Zyklus: Die Repräsentationsgärten im französischen und englischen Gartenstil als Ausdruck königlicher, fürstlicher und politischer Regenten. Garten- und Parkanlagen im öffentlichen Stadtraum waren nicht existent. Prägend ist der Repräsentationsaspekt von Garten und Park.

 

Der 2. Zyklus: Es ist der Einzug der Gärten und Parkanlagen als raumstrukturelles und gliederndes Element in der Stadt und Siedlungsentwicklung durch Baumreihen, Alleen, Grünzüge, städtische Gartenplätze und die durchgrünte Stadt. Die Alleen wurden meistens aus militärischen Gründen angelegt, damit die Soldaten eine bessere Orientierung und einen besseren Schutz hatten.

 

Der 3. Zyklus: Gärten und Parkanlagen mit vorwiegend sozialer Funktion. Mobilität und neue Arbeitsplätze im beginnenden Städtewachstum bringen erhebliche soziale Ungleichgewichte mit sich. Neu geschaffene Volksparks, Kleingärten und Spielanlagen sollen bei der rasanten wirtschaftlichen und baulichen Expansion der Städte die hygienischen und sozialen Lebensbedingungen verbessern. Parkanlagen und Kleingärten entstehen auch, um den sozialen Frieden zu gewährleisten.

 

 

Der 5. Zyklus: Als Konsequenzen eines wachsenden Flächenverbrauchs und eines neu entstehenden Umweltbewusstseins, initiiert z. B. durch den Club of Rome und eine aufkommende, auch politische Ökologiebewegung (Partei Die Grünen6), stehen ökologische Belange wie Artenschutz für Tiere und Pflanzen, Klima- und Luftschneisen, nachhaltige Wasserbewirtschaftung und städtische Biotop- und Brachflächen im Vordergrund. Zudem entwickeln sich Gärten- und Parkanlagen zum elementaren Bestandteil der gesetzlich verankerten Eingriffs- und Ausgleichsregelungen mit Kompensationserfordernissen aus nationaler wie internationaler Naturschutzgesetzgebung, europäischer Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) und Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Neben den grundlegenden räumlich-ästhetischen und nutzungsbedingten Erfordernissen an Garten und Park bekommt der (Natur-)Schutzaspekt eine immer wichtiger werdende Bedeutung.

 

Der 6. Zyklus: Garten- und Park, vom Kosten zum Wertfaktor.

Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist geprägt von tiefgreifenden Veränderungen in allen Sphären des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Noch vor wenigen Jahren dominierten Szenarien von schrumpfenden Städten mit Leerstand, von degressivem Bevölkerungswachstum und einem Überangebot an Grünflächen, insbesondere in Bereichen des wohnungsgebundenen Stadt- und Siedlungsgrüns. So verkündete das brandenburgische Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung im März 2009 den Abriss weiterer Wohnungen in Brandenburg und die erforderliche Neuordnung von städtischem Grün; die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Berlin analysierte als Basis der zukünftigen Stadtentwicklung im Flächennutzungsplan 1999 eine Stagnation der Einwohnerentwicklung und einen insgesamt niedrigeren Wohnungsbedarf als ursprünglich angenommen. Diese vorrangig degressiven Entwicklungsszenarien sind der Erkenntnis einer globalisierten, technisierten und digitalen Epoche mit signifikanten gesellschaftlichen Veränderungen gewichen.

 

Einerseits fragen ganz Verwegene, ob überhaupt noch urbanes Grün, Garten- und Parkanlagen benötigt werden (vgl. Guratzsch 2015), oder machen sich Sorgen, dass es zu viele Garten- und Parkanlagen gibt, und warnen vor „einer Überdosis“ (Bratens 2015). Zunehmend werden bundessweit auch Forderungen laut, Grünflächen, Garten- und Parkanlagen, insbesondere Kleingärten und Friedhofsüberhangflächen, zu bebauen (vgl. Berliner Baukammer 2019).

Andererseits lancieren Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik sowie zahlreiche, insbesondere junge, umweltbewusste Menschen die Forderung nach mehr Grün, nach mehr Natur (vgl. BMI 2020; BMUB 2017). Ob Klimawandel, Verlust der Biodiversität, mangelnde Flächen oder Angebote für Naturerlebnis, Freizeit und Erholung – insbesondere in urbanen Verdichtungsgebieten etabliert sich immer intensiver die Sehnsucht und der Bedarf nach mehr Natur, Garten und Park. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: ① Ein Garten ist für viele das Gegenmodell zur aktuellen Politik. Hier gibt es keinen Wachstumsstreit. Wachstum ist prinzipiell gut; was zu viel ist und den Nachbarn stört, wird mit der Heckenschere gestutzt oder entfernt. Während die politische Welt oft nur die Wahl zwischen einer schlechten oder einer noch schlechteren Lösung hat (siehe die Diskussionen zum Brexit7), kennt der Garten das Gefühl der Machtlosigkeit nicht. Es ist die Flucht in Garten und Park, die Suche nach dem individuellen pairi daeza. Und die hat oft – wie in der Geschichte der Garten- und Parkentwicklung – viel mit Politik zu tun (Reimers 2010). ② Die technisierte, digitalisierte und virtuell oftmals weitgehend anonymisierte Lebens-, Arbeits- und Naturumwelt führt förmlich zur Suche, oftmals zu einer Sucht nach realer Natur. Der Stadtsoziologe und Zukunftsforscher Peter Wippermann stellt fest:

„Sie waren als Kind bereits in der Dominikanischen Republik, als Jugendliche mit Freunden in New York, sie kennen die Ferne aus dem weltweiten Gewebe und den globalen sozialen Netzwerken. Aber: die Idee, dass wir die Exotik der Nähe plötzlich als ‚aufregend empfinden‘, dass wir irgendwo ankommen wollen, dass wir ‚Heimat‘ haben wollen, ist etwas, was mit Globalisierung und mit der virtuellen Welt des Internet zu tun hat. Aus Sucht nach ‚weiter, schneller, höher, billiger‘ erwächst langsam aber sicher die Gegenbewegung: gesünder, qualitätsvoller, innere Entschleunigung, soziale Kommunikation und Naturnähe bilden hier das Vokabular“ (Wippermann 2013).

12Stadtentwicklung – Stadtluft macht frei und ist teuer

Mit dem neuen Jahrtausend ist das Zeitalter der Städte angebrochen. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten. Die vergangenen hundert Jahre waren von einem beachtlichen Bevölkerungswachstum geprägt: Lebten im Jahr 1900 noch 1,6 Milliarden Menschen auf der Erde, waren es 1966 bereits 3,4 Milliarden, 1980 schon 4,4 Milliarden und 6 Milliarden Menschen im Jahr 1999. Im Jahr 2011 wurde die 7-Milliarde-Grenze erreicht. Ab Mitte des Jahrhunderts wird sich die Weltbevölkerung vermutlich auf fast 10 Milliarden Menschen erhöhen (→ Tab. 2).

 

Weltbevölkerung

Menschen, die in Städten oder in städtischem Umfeld leben

1960

3,03 Mrd.

ca. 30 %

1970

3,69 Mrd.

ca. 35 %

1980

4,45 Mrd.

38,6 %

2005

6,42 Mrd.

49 %

2010

6,92 Mrd.

< 50 %

2015

7,36 Mrd.

54,8 %

2050

9,55 Mrd.

66,3 %

Tab. 2:

Entwicklung der Weltbevölkerung und der Menschen, die in Städten leben

Das Wissenschaftsformat Planet Wissen titulierte kurz und knapp: „Die Städte – die radikalste Umgestaltung der Erde“. Fast alle Städte gelten (noch) als verheißungsvolle Orte des guten Lebens, als Orte der Kultur-, als Arbeits-, Wohn- oder Wirtschaftszentren. Sie üben eine immer größere Anziehungskraft aus. Der mittelalterliche Rechtsgrundsatz „Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag“ umschreibt die Anfänge der heutigen weltweiten Urbanisierung. Städte wurden immer beliebter, denn alle Bewohnerinnen und Bewohner waren freie Bürgerinnen und Bürger. Mit jeder Urbanisierung verstärken sich die Umwelt- und Verkehrsprobleme. Gleichzeitig wächst der Druck auf Wohnraum, Infrastruktur und Arbeitsplätze. Aber auch die Erfordernisse für ein gesundes Lebensumfeld mit entsprechenden Frei- und Erholungsangeboten, für gutes Klima, saubere Luft und lebensnotwendige Biodiversität – alles unabdingbar verbunden mit Garten und Park, Grün- und Freiflächen.

Jedoch ist die Flächenverfügbarkeit der limitierende Faktor jeder Ansiedlung. Dieses immer knapper werdende Gut ‚(Grundstücks-)Fläche‘ wird immer wertvoller. Der Druck hin zur rentablen Verwertung steigt permanent. Im wirtschaftlichen Bereich äußern sich Werte in Form von Preisen: Wer etwas wertschätzt, ist bereit, dafür einen Preis zu entrichten. Für den städtischen Garten und Park versagt dieser Mechanismus. Der Wert des städtischen Grüns schlägt sich nicht in Preisen nieder. Es entsteht ein externer Nutzen, frei nach dem Motto: „Der eine (die Kommune) zahlt für die Investitions- und Unterhaltungskosten von Garten und Park – der andere (Wohnungseigentümer und -eigentümerin, Investor und Investorin) zahlt die Rendite.“ Das in kommunalem Marketing oder privater Werbung angepriesene Wohnen am Park, das Apartment am Stadtgarten, das Büro im Grünen markiert den Wert grüner urbaner Wohn- und Arbeitsquartiere und die damit verbundene Wertschöpfung für den Bauherrn und die Bauherrin, den Investor und die Investorin oder den Eigentümer und die Eigentümerin. Man leistet sich etwas und man zahlt indirekt durch Steuern dafür. Das Hauptproblem besteht darin, dass die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten einer Fläche wirtschaftlich nicht gleichwertig sind. Während sich mit intensiven Nutzungsmöglichkeiten durch Bebauung oder Gewerbeflächen geldmäßige Erträge erwirtschaften lassen, ist dies für die extensive Nutzungsmöglichkeit einer Parkanlage nicht gegeben. Eine Preisexplosion dieses immer knapper werdenden Guts ‚Bauland-Fläche‘ ist die Folge. In Deutschland sind die Durchschnittspreise für Bauland von 1997 bis 2006 um über 80 % gestiegen (von 65 €/m² auf 120 €/m²). In Berlin haben sich nach Angaben des regierenden Bürgermeisters von Februar 2020 in den vergangen fünf Jahren (2015–2020) die Preise verzehnfacht. Nach Mitteilung des ehemaligen Münchner Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel haben sich die Münchener Baulandpreise in sieben Jahren verdreifacht. Nutzen und Rendite mit Bauland sind klar zu erkennen und zu kalkulieren. Nutzen und Erträge von ‚Grün‘ zeigen sich nicht direkt im Finanz- und Haushaltsbudget. In der Rechnungslegung von Kommunen, Handel, Industrie oder im Immobiliensektor erscheinen nur die Kosten für Pflege und Unterhaltung. Somit erhöht sich der Druck auf den Grünraum, weil sich die intensiveren (d. h. geldmarktwerten) Nutzungen als die wirtschaftlicheren Alternativen darstellen und die Aufwendungen für den nicht geldmarktwerten Nutzen des Grüns als zu hoch und häufig unrentabel eingestuft werden.

Während für die elementare Hardware des Grüns wie Bäume, Sträucher sowie Rasen monetäre Wertermittlungsverfahren Bedeutung haben (z. B. Ermittlung eines Baumschadens infolge einer Kfz-Beschädigung), entzieht sich die kulturelle, raumbedeutsame, nutzungsorientierte und ökologische Wertigkeit solchen merkantilen Bewertungsmechanismen. Die Wertdarstellung des Grüns lässt sich daher vorwiegend vom Argumentationsfeld wohlfahrtsökonomischer Zielsetzungen leiten, die besonders dann zum überzeugenden Argument wird, wenn neben geringen eigenen Haushaltsmitteln externe Fördermittel greifbar sind. Ansonsten gilt das Grün der Stadt primär als Kostenfaktor. Man ist sich der Opportunitätskosten der alternativen Nutzung des Bodens bewusst, bindet jedoch kaum die Erholungs-, Schutz-, und Optionsfunktion oder den Existenz- und Vermächtniswert des Grünraums in fiskalpolitische Entscheidungen ein.

13Die veränderte Gesellschaft: Demografie und Soziodemografie

Im Bereich der Bundesrepublik lebten 2013 ca. 49,2 Millionen Menschen im Erwerbsalter. Im Jahr 2030 wird die Zahl auf ca. 44 Millionen sinken, für 2060 wird die Zahl der Erwerbstätigen auf etwa 38 Millionen Menschen prognostiziert, sofern der Wanderungssaldo von rund 500.000 Menschen im Jahr 2014 stufenweise bis 2021 auf 200.000 sinkt und danach konstant bleibt. Dennoch: Selbst ein jährlicher Wanderungssaldo von 300.000 Personen kann die Schrumpfung der Bevölkerung im Erwerbsalter nicht aufhalten.

„Die Alterung der Bevölkerung in Deutschland wird sich trotz hoher Nettozuwanderung und gestiegener Geburtenzahlen weiter verstärken. In den nächsten 20 Jahren sind durch den aktuellen Altersaufbau ein Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter und ein Anstieg der Seniorenzahl vorgezeichnet“, so die amtliche Mitteilung des Statistischen Bundesamtes (2019).

Aus dieser Entwicklung sind zwei Konsequenzen zu ziehen: ① Weniger Menschen müssen für immer mehr und immer älter werdende Menschen die Altersversorgung sichern. ② Nach Schlussfolgerung des Statistischen Bundesamtes werden jährlich mindestens 400.000 Zuwandererinnen und Zuwanderer benötigt, um den Folgen dieser degressiven Bevölkerungsentwicklung entgegenzuwirken. Bereits 2035 werden somit in Deutschland ca. acht Millionen Migrantinnen und Migranten mehr leben als heute. Deutschland ist das größte Ziel der neuen Völkerwanderung. Eine Analyse zu Projektionen der Vereinten Nationen (UN) zur Weltbevölkerung liest sich wie folgt: „Europa stirbt aus, Afrika entscheidet die Zukunft“ (Ehrenstein 2013). Umfassende Einwanderungs- und Eingliederungsstrategien sind somit unabdingbar. Wenn in diesem Kontext des gesellschaftlichen Wandels mit einer globalen Migrationsentwicklung und einer neuen multiethnischen Gesellschaft über Schöpfung, Natur und Garten nachgedacht wird, gilt es zu verstehen, dass die so dringend benötigten Menschen eine völlig andere Genese, ein anderes Alter, eine andere Religion, eine andere Heimat und damit andere Sitten und Gebräuche auch im Umgang und im Nutzen mit Garten und Park mitbringen werden. Somit werden der tradierte Wertekodex und die aktuellen Regularien im Umgang mit der Natur und dem urbanen Grün zu hinterfragen sein. Die Adaptionen an neue multikulturelle Gesellschaftsstrukturen werden manch tradierte Verordnungen und Satzungen mit Nutzungsge- und verboten im Kleingartenwesen, vielfältige Vorgaben in öffentlichen Garten- und Parkanalagen oder manch althergebrachte Friedhofs- und Bestattungsordnung betreffen. Diese neue Gesellschaft wird neue Wertigkeiten, Ansprüche und Erwartungshaltungen und ihren eigenen Wertekodex nicht nur im Umgang mit Stadt, Wohnen und Einkaufen mit sich bringen, sondern auch in der Aneignung, und dem Nutzungs- und Schönheitsideal ihrer Herkunft. Zwar werden immer wieder Stimmen gegen diese Veränderungsprozesse, insbesondere im Kleingartenwesen, laut (z. B. „Kleingartenanlage will keine Migranten“, Kneist 2016). Dennoch ist mittlerweile durch zahlreiche nationale wie regionale Studien bekundet, dass das Kleingartenwesen zu den wichtigsten Elementen einer Integrationsarbeit zählt (vgl. Krause 2009).

14Neue Arbeitswelt, Digitalisierung, Wandel tradierter Werte

Die Entstehung neuer sozialer und technischer Dominaten führt neben veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen zu grundsätzlich neuen Umweltbedingungen. Die Ausbreitung von multimedialen Kommunikationsdiensten in Wirtschaft und privaten Haushalten mit Telearbeit, Teleshopping, Telekonferenzen und virtuellen Internetwelten prägt die Lebens- und Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Die Pflege per Roboter, die Hochzeitsnacht mit dem Rechner sind heute in Japan ebenso Realität wie das virtuelle Begräbnis in Skandinavien oder die weitgehend digitalisierten und virtuell gemanagten Grün- und Parkanlagen der future smart-city 4.0, z. B. in Santander (vgl. Neumann 2017). Der Münchner Stadtdirektor Stefan Reiß-Schmidt postuliert im Rahmen der „Perspektive München 2030“, die bevorstehenden Veränderungen werden zu einer Virtualisierung der Stadt und zu einer weiteren Mediatisierung der Öffentlichkeit führen. Dies werde einerseits eine dramatische Natur-Entfremdung mit sich bringen – und im Gegenzug eine immer größere Sehnsucht nach Natur entstehen lassen. Im urbanen freien grünen Raum werde sich das damit verbundene Prinzip Hoffnung der Stadtbewohner von morgen vorrangig widerspiegeln.

Die dramatischen Veränderungen der Arbeitsgesellschaft führen außerdem dazu, dass das klassische Vollzeit-Erwerbsarbeitsverhältnis für immer mehr Menschen eher zur Ausnahme während ihres Berufslebens werden wird. Neue Formen der sinnstiftenden Beschäftigung, der selbständigen Dienstleistungsarbeit und neue Systeme der Mindestversorgung und der Honorierung gesellschaftlich nützlicher ehrenamtlicher Betätigung werden auch zu anderen Anforderungen an den öffentlichen Raum führen. Signifikante Auswirkungen dieser Entwicklung: die Übernahme von Verantwortung vieler Bürgerinnen und Bürger für Garten und Park. Ob Urban Gardening, Bürgerpflegaktionen, Patenschaften oder Bürgerstiftungen für Garten und Parkanlagen – die Bereitschaft und das Interesse der neuen Gesellschaft zur bzw. an der Übernahme von Verantwortung im Bereich der urbanen Natur ist eine prägende Realität der Gegenwart. Im Kontext solch signifikanter Entwicklungen einer neuen Gartenkultur haben sich auch Friedensgärten, interkulturelle Gärten und ‚Mundraub-Gärten‘ als neue Gartentypologien entwickelt.

Auch die Sichtbarmachung einer aktuellen Verantwortungsübernahme gegenüber Natur und Umwelt, manifest im Gartentypus ‚Klimagarten‘ oder ‚Naturgarten‘, spiegelt die veränderte Auffassung von Garten und Park wider. Gezeigt werden soll, dass es auch anders geht. Mit ortstypischen Wildblumen, Wildsträuchern, Blumenwiesen und Kräuterrasen, mit Totholzbeeten, lebenden Zäunen, Trockenmauern und Lesesteinhaufen lassen sich Gärten und öffentliche Parkanlagen in Erlebensräume verwandeln, in denen Mensch und Tier gleichermaßen zu Hause sind. In diesem Geist erfasst die neue Garten- und Parkgestaltung vielfältige Gartenanlagen von Schulhöfen, Kindergärten, Hausgärten, Friedhöfen, Firmengärten bis zum Naturerlebnispark und Naturgarten (→ Abb. 8).

Konträr zu dieser Hinwendung mit mehr Natur im Garten sind in den letzten Jahren zwei bemerkenswerte Entwicklungen nahezu unbemerkt stetig gewachsen. Besonders markant ist eine höchst fragwürdige Zunahme der ‚Versteinerung der Gärten‘ festzustellen (→ Abb. 9).

Abb. 8:

Naturgartenanlage, Privatgarten in Delémont, Canton du Jura, Trockenmauern mit lokalem Jurakalk und mit standortheimischen Arten

Abb. 9:

Modetrend ‚Versteinerte Gärten‘

Abb. 10:

IP-Garten „Jeder Mensch verdient seinen eigenen Garten“ – Online gärtnern und real genießen

Diese prägen zunehmend sowohl den privaten als auch den öffentlichen Raum, d. h. Vorgärten, Straßenraumbegrünung, Areale bei öffentlichen Gebäuden. Diese „Gärten des Grauens“, so der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in einer Mitteilung vom 25.12.2019, sind großflächig mit Steinen bedeckte, asphaltierte und versiegelte Gartenflächen, in welcher Pflanzen nicht oder nur in geringer Zahl vorkommen. Begründet werden diese ‚versteinerten Paradiese‘ fast immer mit der (falschen) Hoffnung auf wesentlich geringeren Pflegeaufwand infolge des demokratischen Wandels, d. h., älter werdende Nutzerinnen und Nutzer können oder wollen ihren Garten nicht mehr in erforderlichem Umfang pflegen. Auch die globalisierte und mobilere Arbeitswelt mit häufig wechselnden Tätigkeitsbereichen und einem damit fehlenden Bezug zum eigenen Garten oder die Pflegekosteneinsparungen im kommunalen Haushalt werden als Grund für diese neue Auffassung von Natur und Garten benannt. Dieser „Trend mit vielen Fragezeichen – Schottergärten und Steinwüsten statt Artenvielfalt“ (SWR-Fernsehen, Landesschau Rheinland-Pfalz 2019) hat mittlerweile ein solches Ausmaß angenommen, dass zahlreiche Länder und Kommunen eine Vorgartenpflicht mit Begrünung gesetzlich verankert haben, um solche Versiegelungstendenzen zu unterbinden, z. B. die Städte Dortmund, Kaiserlautern und Xanten.

Wie sehr die Dualität einerseits die Suche nach mehr Natur und andererseits die Empathie nach mehr technisierter, virtueller Digitalisierung, insbesondere junger Menschen, prägt, wird an den deutlichen Wachstumsraten des E-Gardening bzw. des IP-Gardening deutlich. Immer mehr Menschen wollen mehr Bezug zu Natur und Garten, gesunde Nahrungsmittel, regional, sozial und klimaschonend und ohne synthetische Dünger, Pestizide und Plastikverpackungen. Die Realisierung dieser Natursehnsucht kann mittlerweile im Online-IP-Garten erfolgen. Mit dem Slogan „Jeder Mensch verdient seinen eigenen Garten“ soll eine digitale Brücke zwischen Kundin bzw. Kunde und dem Garten gebaut werden und der Garten ins Wohnzimmer gebracht werden (→ Abb. 10). Es ist eine neue Interpretation von Natur, Garten und Park für eine neue Zeit und eine neue Generation.

Abb. 11:

‚CardioWalk‘, Gesundheitsparcours im Stadtpark Ascona

Ergänzt werden diese neuen Wertigkeiten von Garten und Natur durch ein stetig wachsendes Bewusstsein der Menschen bezüglich Gesundheit, Wellness, Fitness, Entspannung und Entschleunigung als Gegenpol zu einer immer technisierter werdenden Arbeitswelt. Immer häufiger entwickeln sich in diesem Kontext Gärten und Parks zu naturalen Gesundheitszentren mit unterschiedlichsten Angeboten für Gesundheit und Wellness, ob in Form einer erklärenden Pflanzenauswahl, unterschiedlichster Bodenbeläge für Muskel- und Gelenkübungen mittels Venenpfad, eines Cardio-Gesundheitswalk-Parcours im Stadtpark oder als Entschleunigungsmotivatoren (→ Abb. 11).

Die Vielzahl und der Umfang der Veränderungsprozesse in nahezu allen Bereichen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Gegenwart werden im Sinne der Theorie der langen Wellen (Kondratieffzyklen) als ein neuer Zyklus, eine neue Welle definiert: Erlebnis und Sicherheit, Sich-Wohl-Fühlen, die reale Naturwelt als Gegenstück zur virtuellen Technikwelt. Natur als Bestandteil eines neuen Lebensgefühls erfassen, so die Charakteristik des neuen, 6. Zyklus (→ Abb. 12).

Abb. 12:

Die ‚langen Wellen‘, der 6. Kondratieffzyklus

Diese 6. Welle wird umschrieben mit Biotechnologie, Gesundheit & Umwelt, Health-Wellness-Fitness und tiefgreifendem demografischem und Wertewandel. Eric Händeler beschreibt diese als die „Psychosoziale, Ganzheitliche“ und erläutert:

„Der sechste Kondratieff-Zyklus wird sich vom derzeitigen technologischen Informationsmarkt deutlich unterscheiden. Künftig geht es nicht mehr vorrangig um die Informationsströme zwischen Mensch und Technik, sondern um die Informationsströme zwischen und innerhalb von Menschen“ (Händeler 2012).

Die Garten- und Parkanlagen im öffentlichen Raum befinden sich in einem Paradigmenwechsel. Nicht mehr Repräsentations-, Versorgungs- oder Kostenaspekte stehen im Vordergrund, sondern neue Nutzungs- und Qualitätsaspekte, neue Einsichten zum Verhältnis Mensch, Natur und Stadt. Sie lassen die Garten- und Parkanlagen zu einem urbanen Wertfaktor, zum weichen Standortfaktor werden für das Lebens- und Arbeitsumfeld, für Stadtmarketing, Tourismus ebenso wie für die Akquisition und die Standortpräferenz im Wettstreit von Regionen, Städten und Kommunen.

In diesem Kontext entstehen sowohl grundsätzlich neue Garten- und Parktypologien wie auch neue Gartenorte. Signifikant sind die unterirdischen Gärten in New York und vertikale Gärten als Bestandteile neuer Cityarchitektur, die neu geschaffenen Garten- und Parkanlagen auf extra angelegten künstlichen Inseln oder die neuen Gärten auf ehemaligen Gleisanlagen wie der Park am Gleisdreieck in Berlin oder auf der ehemaligen U-Bahntrasse in New York (→ Abb. 13).

Abb. 13:

Die 2,3 km lange Parkanlage High Line Park in New York, auf 1980 stillgelegter Hochbahn der West Side Linie

15Wertfaktor Garten und Park

Der Hintergrund einer Natur-, Garten- und Parkentwicklung mit Initialfunktion zu über 200 Jahren grüner Stadtentwicklung, weitgehend unter dem Obligo von Staat und Kommune, stellt für die Stadt- und Gesellschaftsentwicklung des 21. Jahrhunderts eine gewaltige Herausforderung dar. Wo im 19. Jahrhundert für Garten und Park die Sehnsucht des Herrschers nach Präsentation und Repräsentation vorherrschte, im 20. Jahrhundert der Fokus auf dem Nachkriegswiederaufbau und dem Zusammenwachsen beider deutscher Staaten lag, steht nun im Rahmen der Spielregeln einer gesellschaftlichen Demokratie im globalen Wettstreit von Städten und Regionen die Identifizierung der Einwohnerinnen und Einwohner sowie Besucherinnen und Besucher im Mittelpunkt. Damit wird das Grün der Stadt, werden Gärten und Parkanlagen zu einem neuen naturalen Wertfaktor – ein Wert, der nicht jeder und jedem und nicht schnell in seiner Wertigkeit einsichtig ist. Aber Nachhaltigkeit im Umgang mit dem Grün bedeutet eben keine kurzfristige Rendite.

In einer Epoche, in der in allerkürzester Zeit nahezu jedes Ziel auf der Welt kostengünstig zu erreichen ist, gibt es so gut wie keine unerreichbaren Ziele mehr. Wir können überall hinfahren, leben, arbeiten oder Urlaub machen. Nahezu alle Ziele stehen einem offen, weltweit. Es wird also nicht mehr darauf ankommen, ob wir überall hinfahren können. Entscheidend ist, ob es sich lohnt, dort anzukommen. Und dazu wird die Natur, werden Gärten und Parks als entscheidender Faktor für Lebens- und Umweltqualität immer wichtiger.

Literaturhinweise

 

Bartens, W. (2015): Natur auf Rezept. Online: www.sueddeutsche.de/wissen/umweltmedizin-natur-auf-rezept-1.2438082?reduced=true, letzter Zugriff: 08.05.2020.

Berliner Baukammer (2019): Platz für 200.000 Wohnungen. Baukammer fordert mehr Bebauung von Kleingartenflächen. Online: www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/wohnungen-statt-kleingaerten-in-berlin-baukammer-fordert-mehr-wohnungsbau-auf-schrebergarten-flaechen-li.35753, letzter Zugriff: 08.05.2020.

Berliner Senat (2019): Parks in Berlin im Straftaten-Ranking. Wo die Polizei am häufigsten ausrücken muss – und wo gar nicht. Diebstahl, Drogenhandel, Sexualdelikte. Zahlen zur Kriminalität in den Parks der Hauptstadt. Online: www.tagesspiegel.de/berlin/parks-in-berlin-im-straftaten-ranking-wo-die-polizei-am-haeufigsten-ausruecken-muss-und-wo-gar-nicht/25291224.html, letzter Zugriff: 08.05.2020.

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI); Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2019): Geliebtes Grün, gelebtes Grün. Ist Identifikation im Stadtgrün planbar? Bonn.