Geburtstage sind noch lange kein Grund, älter zu werden - Janna Hagedorn - E-Book

Geburtstage sind noch lange kein Grund, älter zu werden E-Book

Janna Hagedorn

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Beschreibung

Weiblich, Vintage, Wow! Ab 40 lebt man seine Träume Zu keinem Zeitpunkt driften die Lebensentwürfe von Frauen so stark auseinander wie »um die 40«: ein Alter, in dem nicht mehr alles möglich ist, aber noch vieles, in dem Sinnkrise und Neubeginn nur eine schlaflose Nacht auseinanderliegen. Janna Hagedorn hat sich umgeschaut und neben ihr noch jede Menge gut gelaunter Vintageladies gefunden, die sich auf dem sonnigen Hochplateau des Lebens viel wohler fühlen als im dunklen Mittelalter. In spannenden Interviews, nahbaren Porträts und zahlreichen persönlichen Geschichten erzählt Janna Hagedorn aus ihrem und aus dem Leben anderer Frauen, die lieber nach vorn schauen als nostalgisch zurück, die beruflich nochmal durchstarten, die Familie neu definieren und die überhaupt kein Problem damit haben, absolut gar nichts zu optimieren. Dies ist ein Buch für alle Frauen, die genauso denken. Herrlich launig und selbstironisch geschrieben.

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Seitenzahl: 276

Veröffentlichungsjahr: 2019

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INHALT

STATT EINES VORWORTES

Hase in seiner Sauce oder: warum vierzig werden heute ganz anders schmeckt als früher

KAPITEL 1Frau sein: vom Glück, in die Jahre zu kommen

KAPITEL 2Partnerin sein: Updates für alte Lieben, neue Leichtigkeit für Solisten

KAPITEL 3Tochter sein, Mutter sein: die liebe Familie

KAPITEL 4Miteinander sein: die anderen und ich

KAPITEL 5Berufstätig sein: von Erntezeiten und Wechseljahren

KAPITEL 6Unterwegs sein: unbekümmert tanzen, schöner shoppen, entspannter reisen

KAPITEL 7Am Ziel sein: vom Hier, vom Jetzt und vom Demnächst

KAPITEL 8Herausgefordert sein: Wege durchs wilde Krisistan

STATT EINES NACHWORTES

Vintage 2.0 – da geht was. Und da kommt was.

Anmerkungen

STATT EINES VORWORTES

Hase in seiner Sauce oder: Warum vierzig werden heute ganz anders schmeckt als frÜher

Am Morgen meines vierzigsten Geburtstages musste ich früh raus. Der Grund dafür war damals gerade zwei Jahre alt geworden, hielt Ausschlafen für überschätzt und fünf Uhr morgens für den perfekten Zeitpunkt, um ein Buch anzuschauen. Natürlich nicht allein. In dem Buch waren hässliche Tiermamas in bunten Blusen abgebildet, die ihren ebenfalls ästhetisch bedenklichen Nachwuchs im Einkaufswagen durch den Supermarkt schoben oder mit ihm auf dem Spielplatz Karussell fuhren.

Mein kleiner Sohn deutete begeistert auf jedes Gefährt auf den Pappseiten, rief dabei »Tassi!«, und ich verzichtete darauf, ihn zu belehren, dass nicht jedes Ding mit Rädern ein Auto und nicht jedes Auto ein Taxi war. Das Leben wird schon früh genug kompliziert. Während ich dort auf dem Wohnzimmersofa kauerte, halb gerührt und halb gestresst, dachte ich mit einem Funken von Neid an meine Mutter und ihren Vierzigsten.

Die hatte mit Sicherheit nicht morgens um fünf Bilderbuchseiten umklappen müssen, denn lesen konnte ich da schon längst. Damals bekam man Kinder eher mit Mitte zwanzig als mit Mitte dreißig. Nachmittags gab es gepflegten Geburtstagskaffee mit Hausmusik im Familienkreis, abends ging man in ein schickes Lokal im Schwarzwald und speiste mehrere Gänge. Ein Gericht mit dem poetischen Namen »Hase in seiner Sauce« ging für Jahre in den familiären Sprachgebrauch ein, und mein Onkel hielt eine launige Rückblicksrede. Denn darüber waren sich alle einig: Mit vierzig sind die entscheidenden Lebensweichen gestellt. Danach konnte man bestenfalls noch altersmilde werden.

Heute ist vierzig werden eine ganz andere Hausnummer. Poetisch ausgedrückt: andere Hasen in ganz anderen Saucen. Und das merkt man nicht nur an den höchst unterschiedlichen Party-Locations, an denen ich in den letzten Jahren auf die Vier angestoßen habe: Beim Bring-a-bottle-Picknick am Hamburger Elbstrand mit anschließendem Zug über den Kiez, bei einer Dinnerparty in München mit Gesprächen über Hausbau und Poolbeleuchtung, im Partykeller eines geerbten Eigenheims im Vorort. Ich selbst feierte in einer Mietküche in Altona, mit Catering zwar, aber der Wein kam vom Supermarkt. Halb bürgerlich, halb berufsjugendlich.

Es gibt eben keinen Zeitpunkt, an dem die Lebensentwürfe von uns Frauen so stark auseinanderdriften wie mittendrin. Ein Alter, in dem wir Farbe bekennen: Karriere, Kinder oder keines von beidem, Lebensabschnittspartner oder Jugendliebe mit silbernem Beziehungsjubiläum. Ein Alter, in dem tatsächlich nicht mehr alles möglich ist, aber noch vieles, in dem frühe Sinnkrisen und später Neubeginn häufig nur ein paar schlaflose Nächte auseinanderliegen.

Dabei haben wir Frauen mit den Geburtsjahren zwischen 1970 und 1980 allen Grund, zufrieden zu sein. Keine Frauengeneration in Deutschland hatte so gute Startchancen. In der Bonner Republik wuchsen wir auf in einer Zeit des Wohlstandes, der Zweitwagen und Zweiturlaube. Behütet von verständnisvollen Eltern, für die es genauso wenig ein Problem war, wenn wechselnde Teenager-Freunde zum Übernachten blieben, wie wenn das Studienfach zweimal gewechselt wurde. Politisch erwachsen geworden in einer Zeit, in der Frauen auf Ministerposten und in Chefpositionen keine exotische Ausnahme mehr waren. Eine Generation Fun, die ihre Mädchenzimmer mit neuen Heldinnen tapezierte: erst mit Pippi-Langstrumpf-Postern, später mit Starschnitten der jungen Madonna, die ihren BH nicht verbrannte, sondern lieber über der Spitzencorsage trug. Und trotzdem alles andere als ein männerdominiertes Weibchen war. Bei unseren Altersgenossinnen in der DDR damals war zwar alles ein bisschen anders, dafür war weibliche Gleichberechtigung so selbstverständlich wie Pioniergruß und Westfernsehen. Und stonewashed Jeans, die liebten wir grenzüberschreitend. Auch wenn es später zum urbanen Mythos wurde, die wären nur im Osten getragen worden. Ich weiß es besser, ich war dabei.

Bei allen Unterschieden zwischen Ost und West, Land und Stadt: Ein solcher Background ist ein Vitamincocktail fürs Selbstbewusstsein. In Umfragen bejaht die Mehrheit unserer Altersgruppe Aussagen wie »Ich weiß genau, was ich will« und sogar »Ich möchte nicht noch einmal zwanzig sein«. Wozu auch? Denn selbst wenn Vierzigjährige selten die großen Hollywood-Filmrollen bekommen oder als Werbegesichter für Kosmetikmarken gecastet werden – auch hier gibt es zunehmend Ausnahmen! –, insgesamt sind wir doch smarter und meistens auch attraktiver als forty-somethings vor dreißig, vierzig Jahren. Für die begann spätestens mit dem runden Geburtstag die Zeit der praktischen Kurzhaarfrisuren, der Twinsets oder der figurfreundlichen Schlabber-Outfits. Wer heute vierzig ist, muss dagegen nicht auf Lady-Look umsteigen, wenn das Girlie-Outfit mit Stiefeln und Häkelmütze viel besser zum Typ passt. Apropos Stilikone: Madame Macron war gerade vierzig, als sie ihren späteren Ehemann in der Theater-AG ihrer Schule kennenlernte, und zum It-Girl der Nation wurde sie erst zwanzig Jahre danach.

Schluss mit Lust ist übrigens auch nicht: Bei einer Scheidung sind Frauen im Schnitt 43 Jahre alt, und das Kapitel Liebe ist für sie keinesfalls abgeschlossen. Eher beginnt ein neues, aufregenderes. Wer frisch verliebt ist, hat in jedem Alter aufregenden Sex – ob mit 25, 45 oder 65.

Patchwork statt vorgezeichneter Wege – das gilt nicht nur für die Liebe, sondern auch für die Arbeitswelt. Etwa jede dritte Vierzig- bis Fünfzigjährige hat Abitur, jede fünfte einen Hochschulabschluss – noch eine Generation früher lag der Frauenanteil in beiden Kategorien weit unter zehn Prozent. Damit ist der traditionelle Weg – kurze Ausbildung, Heirat, Kinder, nebenbei ein bisschen Buchhaltung für den Gatten, später das Ehrenamt in der Kirchengemeinde – heute für die Mehrheit passé. Statt klassischer Rollenteilung – Vollzeit-Ernährer und Hausfrau – stehen beide Geschlechter vor ähnlichen Herausforderungen: gute Jobs, Aufstiegschancen, aber zugleich schwindende Sicherheit. Abwechselnd Festanstellung, befristete Jobs und freiberufliches Vor-sich-hin-Wursteln. Wechselnde Wohnorte, wechselnde Positionen. So finden wir uns an unserem runden Geburtstag in den unterschiedlichsten Lebensphasen und -umgebungen wieder: als Hausbesitzerin oder WG-Bewohnerin, im Chefbüro oder am Praktikantenschreibtisch. So richtig ruhig schlafen kann man dabei nicht immer. Andererseits: Ist das nicht auch viel spannender als die vorhersehbaren Lebensläufe der Vergangenheit?

Die schöne Medaille hat natürlich auch eine Kehrseite: Heute vierzig bis vierzig plus zu sein, ist zwar anregend – aber auch anstrengend. Denn so unterschiedlich wir leben, ein Dilemma teilen wir alle: Aufgewachsen mit dem Versprechen unendlicher Möglichkeiten, müssen wir irgendwann einsehen, dass wir eben doch nicht alle gleichzeitig verwirklichen können. Was wir mit Ende zwanzig als Vielfalt empfunden haben, verwandelt sich häufig zehn Jahre später in Druck. Gestylt im Nachtleben, gestählt im Studio. Als Babymanagerin, die das späte Wunschkind zwischen Früh-Englisch und Säuglingsmassage hin- und herkarrt, als Gartenbesitzerin, die sich halbe Nächte in Online-Foren um die Ohren schlägt, um den besten Dünger für ihre Staudenbeete und Saatgut für alte Apfelsorten aufzutreiben. Um sich und den anderen zu beweisen: Schau, mein Weg war der richtige. Das stresst.

Denn wenn wir uns schon zu Entscheidungen durchringen, dann müssen wir sie auch ständig vor uns selbst rechtfertigen. Und liegen trotzdem manchmal nachts wach und zweifeln. Ich habe mich als Social-Media-Managerin selbstständig gemacht – aber hätte ich nicht lieber als Naturforscherin nach Patagonien gehen sollen? Hätte ich als kinderloser Single vielleicht doch das spannendere Liebesleben? Und warum, zum Kuckuck, habe ich mich für Neu-Hinterschnuddelfitz statt für New York entschieden? Unsere Mütter hatten es da leichter: Wer 1980 seinen vierzigsten Geburtstag mit Mann und zwei vorpubertären Kindern im Reihenendhaus feierte, haderte kaum mit seinem Schicksal – bei den Nachbarn sah es ja genauso aus. Und bei sämtlichen Cousinen, Kolleginnen und Schwägerinnen.

Bei so viel Selbstbefragung und Sinnsuche ist es kein Wunder, dass so viele von uns in Yogakurse und Meditationsseminare strömen. Mantras singen gegen den Multioptionsstress. Eigentlich eine sehr gesunde Reaktion. Doch selbst das kann in neuen Druck ausarten: Statt heilsamer Entspannung ist nämlich Gelassenheit wieder ein neues Ziel, das es nun auch noch zu erreichen gilt. Nach dem Motto: Entspann dich! Sofort! Verdammt noch mal! Sieh gefälligst super aus – aber bitte so, als hättest du dir nur rasch was übergeworfen. Und als sei dein Makeup nicht raffinierter Nude-Look, sondern als kämst du morgens immer so aus dem Bett. Am besten, du postest dein Selfie gleich unter dem entsprechenden Hashtag im Netz. Ganz zwanglos.

An diesem Punkt, aber auch wirklich nur an diesem, können wir uns eben doch etwas von unseren Müttern abschauen. Denn die konnten eines besser, was uns heute so schwerfällt: loslassen. Ohne dabei auch noch perfekt aussehen zu wollen. Es wäre schön, wenn wir uns guten Gewissens auch mal auf unseren Lorbeeren ausruhen dürften. Abends in der Jogginghose von 1992 durch Netflix-Serien zappen, auch wenn unserem Liebsten dann auffällt, dass unser Bauch nicht mehr so aussieht wie der von Angelina Jolie, die drei Kinder geboren hat, und wir vielleicht gar keins. So what? Ernst nehmen, wenn unsere Mütter uns mahnen: Mädelchen, wie schaffst du das alles, gönn dir doch mal eine Pause!

Uns verzeihen, wenn wir immer wieder unter unserer eigenen Messlatte durchrutschen: weil wir für das Abendessen mit Freunden eben doch das Tiefkühlbaguette auftauen, statt selbst Brot zu backen, wofür die Zeit einfach nicht reicht. Oder unsere Kinder nach einem langen Tag genervt anblaffen, statt uns verständnisvoll auf deren Augenhöhe zu begeben. Es wäre schön, wir würden uns selbst nicht mehr gar so viel abverlangen, uns ein klein bisschen weniger ernst nehmen und schon gar nicht jedem perfekt bearbeiteten Bild auf Instagram glauben.

Was seit meinem Vierzigsten passiert ist? Vieles – und so gut wie nur Gutes. Mit das Beste ist: Mein Sohn will keine Pappbilderbücher mehr anschauen, sondern schreibt lieber seine eigenen Geschichten. Meine Tochter hat ihren ersten Freund, mit dem sie händchenhaltend auf dem Hochbett sitzt, YouTubern auf dem Tablet zuschaut und Lakritz futtert – die perfekte Beziehung, wenn man zwölf Jahre alt ist. Meine Jobbeschreibung und meine Auftraggeber habe ich mehrfach gewechselt, dafür bin ich in der Liebe beim Alten geblieben – und der Alte bei seiner Alten, also bei mir. Ich finde: Das ist deutlich besser als umgekehrt.

Natürlich weiß ich, dass ich vom Leben reich beschenkt bin. Weil ich gesund bin, geborgen, weil ich gemocht werde, hohe Bücherregale im Wohnzimmer stehen habe und mir gelegentlich eine Portion Mezze leisten kann oder, wenn’s denn sein muss, auch eine vegane Hawaii-Bowl. Andere Frauen meines Alters haben anders zu kämpfen: mit Schicksalsschlägen, Krisen, Krankheiten. Und dennoch. Wenn ich mich so umschaue, sehe ich jede Menge gut gelaunter, kraftvoller Vintage-Ladys, die bei all ihrer Unterschiedlichkeit niemals auf die Idee kämen, wegen einer zusätzlichen Kerze auf dem Geburtstagskuchen in Tränen auszubrechen. Weil sie das Älterwerden mehr als Geschenk betrachten denn als Verlust und lieber nach vorne schauen als immer nur nostalgisch zurück. Weil gerade die Vierziger, nicht mehr ganz jung und noch nicht richtig alt, in vielerlei Hinsicht eine perfekte Zeit sind: um Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, eine neue Leichtigkeit zu finden, neue Lieben, neue Berufungen.

Um noch mal durchzustarten – wohin auch immer.

Um endlich anzukommen – auch bei sich selbst.

Für alle Frauen, die genauso denken: Willkommen auf der Hochebene des Lebens! Das ist euer Buch.

KAPITEL 1

Frau sein: Vom GlÜck, in die Jahre zu kommen

Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu optimieren

Vierzig ist das optimale Alter. Ein sonniges Hochplateau, das wir entspannt entlangbummeln können und dabei die Aussicht genießen. Weil wir mehr wissen und mehr können als mit dreißig oder gar mit zwanzig. Weil wir nicht mehr um jeden Preis cool sein müssen. Weil wir uns nichts mehr aufschwatzen lassen, was wir früher oder später, kürzer oder länger bereuen: proportionsverzerrende Hosenlängen, pseudo-coole Haarschnitte oder gar peinliche Steißbeintattoos.

Eigentlich sollten wir alt genug sein, auch sonst auf Überflüssiges zu verzichten. Zum Beispiel auf jenen unseligen Zeitvertreib, der auf Neudeutsch »Selbstoptimierung« heißt. Denn nicht nur unser Geist ist jetzt in den besten Jahren, auch unser Körper: schön, weil er Lebensspuren trägt, stark, weil er schon einiges ausgehalten hat, und bei den meisten von uns gottlob auch noch ziemlich zuverlässig. Eigentlich wissen wir das auch. Wäre da nicht diese fatale Zeit im Jahr, in der wir diese Weisheit über Bord werfen.

Mal passiert das im Februar, mal im März, und es kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Oder das »Chill mal!« aus dem Mund eines 15-Jährigen. Da klappe ich dann eines Morgens meinen Laptop auf, schau mal nach, was meine Freundinnen und Altersgenossinnen gerade so treiben, und möchte mein elektronisches Fenster zur Welt am liebsten sofort wieder schließen. Denn kaum ist Aschermittwoch vorbei, beginnt er wieder: der alljährliche Masochismus-Marathon. Also known as: sieben Wochen ohne. Besser gesagt: OHNE. In Großbuchstaben. Hauptgesprächsthema: Und, was machst du so – nicht? Auf alles wird verzichtet – nur nicht auf den Verzicht. Und auch nicht auf die leise Hoffnung, man könne es ganz nebenbei noch mal zum Top-Beachbody bringen. Wie schade.

Hilfe: Deutschland sucht den Super-Faster!

Es sind nämlich nicht nur das Weinchen am Abend, der Merguez-Teller zu Mittag, die Schoki oder die Zigarette zwischendurch, die mal eine Weile weggelassen werden. Nein: Es darf ein bisschen mehr »ohne« sein. Wie an der Dönerbude: alles mit scharf. Kein Fleisch, kein Alkohol, kein Weißmehl, keine schlechten Nachrichten. Alles andere ist Fasten für Warmduscher. Nur digitale Abstinenz gehört nicht auf den Speiseplan, dann könnte man ja sein Stehvermögen nicht täglich mit seinen 587 besten Freundinnen teilen.

»Haben Sie noch Sex, oder spielen Sie schon Golf?«, fragte man früher Männer und Frauen an der Schwelle zwischen »echt nicht mehr jung« und »offiziell mittelalt«. Total Nullerjahre. Heute muss es heißen: Verzichtest du noch auf Laktose oder schon auf Gluten? Man sieht das nicht nur zur Fastenzeit. Aber dann besonders.

Ich glaube, an dieser ursprünglich guten Idee kann man ganz gut ablesen, was viele Menschen – vor allem weibliche – speziell ab dem vierzigsten Geburtstag umtreibt. Dabei ist der Ansatz ja gut: Alltagsgewohnheiten hinterfragen (vor allem ungesunde), sich eine Zeit lang stärker aufs Wesentliche konzentrieren, freiwillig Versuchungen auslassen in einer konsumorientierten Welt, so wie es ja auch der tiefere spirituelle Sinn der Sache ist. Nur irgendwann hat sich diese Absicht ins Gegenteil verwandelt. Statt fröhlich etwas fallen zu lassen und zu sehen, was das Downshifting mit uns macht, treten wir gleich ein in die nächste Staffel von »Deutschland sucht den Super-Faster«. Da müssen alle mit, ob sie wollen oder nicht. Ist nicht mal so schwer, eigentlich. Schließlich bekommt man in der Zeit ohnehin kaum einen Prosecco angeboten, oder gar ein Schnitzel.

Alles außer grünen Smoothies

Damit das klar ist: Ich habe keinerlei Probleme mit gesunder Ernährung (außer mit grünen Smoothies), mit Sport (vor allem solange ich nicht mitmachen muss) und Mantra-Singen (wenn dazu kein Harmonium quäkt). Schwierig wird es, wenn das Eigen-Tuning irgendwann zur beherrschenden Lebensaufgabe wird. 52 Wochen im Jahr. Wenn Ernährungsgewohnheiten oder Trainingsprogramme zur Ersatzreligion werden. Plötzlich nur noch Low-Carb oder Clean Eating, antrainieren gegen die Schwerkraft oder sogar anoperieren. Ist ja heute alles minimalinvasiv und unblutig: Fadenlifting, Mikrodermabrasion, Mikroneedling. Kann man machen. Tut mir aber immer ein bisschen leid. Herumschrauben an einem Oldtimer, bis er fast aussieht wie ein Sportflitzer. Aber halt immer nur fast. Ist ja was dran am Lieblingsspruch meiner Großmutter: »Von hinten Lyzeum, von vorne Museum.« Warum fällt es oft so schwer, sich locker zu machen? Dabei könnte doch alles so schön sein …

Der bessere Weg: verzichten auf den Verzicht

Ich sehe das so: Mein Körper – mittelgroß, mittelschwer, mittelattraktiv – ist eine Wundertüte. Und das seit mittlerweile 49 Jahren. Nicht mehr lang also, dann feiern wir goldene Hochzeit. Eine Zweckverbindung – wir können nun mal nicht ohne einander leben –, aber liebevoller denn je. Das ist eine schlechte Nachricht für die Entwickler von Zehn-Kilo-in-drei-Tagen-Apps, und es disqualifiziert mich auch für Hardcore-Fasten. Mir selbst könnte es nicht besser damit gehen.

Meine angejahrten 68 Durchschnittskilo präsentieren mir alle paar Jahre etwas Neues, und sie speichern ihre ganz eigenen Erinnerungen. Ich kann noch immer nachempfinden, wie sich Wachstumsschmerzen anfühlten – dabei sind die schon über dreißig Jahre her. Und ich werde nie vergessen, wie ich vor Jahren an einem Gepäckband am Flughafen stand, während einer beruflichen Reise, und plötzlich die ersten Bewegungen meines ersten Kindes spürte. Diffus noch, als stiegen zarte Luftbläschen aus einer Sprudelflasche auf. Auch wenn das Kind von damals längst ein Teenager-Mädchen ist, das zwischen Wohn- und Kinderzimmer Smartphone-Nachrichten verschickt und so gut wie jede meiner Bemerkungen mit einem ironischen »Nice!« kommentiert.

Älter werden ist nichts als ein weiteres Glied in dieser Kette von Körpererfahrungen: öfter mal was Neues. Auch wenn das nicht immer nur schön ist. Seit Jahren habe ich meine Hüftknochen nicht mehr gesehen, ich hoffe, es geht ihnen gut. Das kann einen schon melancholisch stimmen. Aber auch nicht sehr.

Herzlich willkommen, Nasenfalte!

Letzte Woche war wieder so ein Moment, vor dem Badezimmerspiegel im Büro. Plötzlich bemerkte ich, dass etwas anders war in meinem Gesicht. Dass die Haut unter meiner Nase eine Querfalte warf, wenn ich lächelte. Die war da vorher nicht. Abends demonstrierte ich meine Neuerwerbung zu Hause, und mein Mann war amüsiert: »Schau lieber zu Hause in den Spiegel, der ist schlechter beleuchtet!« Dabei machte die Falte mich eher neugierig: Körper, alter Freund, was hast du noch für Tricks auf Lager?

Ich war mal jünger, dünner und faltenfreier, klar. Das waren wir alle mal. Aber ausgerechnet damals war das anders mit meinem Körper und mir. Ein ewiger Kampf, ein ewiger Krampf. Da blickte ich in den Spiegel, als stünde ich vor dem Türsteher eines hippen Berliner Clubs. Bin ich schön? Mein innerer Berghain-Mann rollte ironisch mit den Augen: Ernsthaft? Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier reinlasse!

Ich dachte damals, ich muss mich nur genügend bemühen, dann geht irgendwann die Tür auf. Und dahinter spielt das wahre Leben. Weil schönere Menschen das Anrecht haben auf größere Gefühle, Leidenschaft, Drama. Weil sie sogar dann besser aussehen, wenn sie am Küchentisch weinen.

Aber Beauty ist ein Biest, Schönheit ist relativ. Egal wie man sich bemüht, irgendwo ist immer jemand mit einem strafferen Bauch und längeren Beinen, mit mehr Haar und größeren Augen. Daneben ich. Hübscher Mund, hässliche Füße. So weit, so normal. Keine Frau, die Blicke auf sich zieht, wenn sie den Raum betritt. Ein Rennen, das ich nicht gewinnen konnte. Ich musste tatsächlich fast vierzig werden oder sogar ein bisschen drüber, um zu begreifen: Es war eine gigantische Verschwendung. Ich hatte vergeblich versucht, mich fremden Bildern anzupassen.

Was nicht passt, wird passend gemacht – auch Körperbilder

Je älter ich werde, desto mehr mache ich mir die Bilder passend. Das ist eine große Freiheit, so als hätte ich einmal in einem muffigen Raum alle Fenster geöffnet. Ich lasse meine Haare an der Luft trocknen und gehe nur noch zum Laufen, Nordic Walking und Co, wenn ich Lust habe. Mein Schminktäschchen habe ich behalten. Aber das angestrengte Schaulaufen anderer betrachte ich seither, wie ich manchmal Model-Castingshows verfolge: als seltsames Spiel, bei dem ich weder mitspielen muss noch will. Weil ich – und wir alle doch! – in vier Jahrzehnten Leben so viel angesammelt haben, was uns definiert und bedeutend haltbarer ist als ein glatter Oberschenkel. Egal ob berufliche Erfahrung und Selbsterkenntnis oder Familie und die Fähigkeit, einen Hausbau zu überleben, ohne es sich mit sämtlichen Handwerkern zu verderben. Oder eine beliebige Kombination aus alldem.

Letztlich sind wir doch alle gleich, egal welches Los uns die Gen-Lotterie zuteilt, ob wir eher früher oder eher später die Nase vorn haben: Wir enden als alte Frauen, mit dünnem Haar und hängender Haut. Irgendwann ist die längste Partynacht vorbei und der Club zu. Wäre es nicht schön, wenn wir dann in der Morgensonne lachend am Kantstein sitzen, Nasenfalten vergleichen und so richtig einen losmachen? Platz dafür ist ja genug. Und Älterwerden in erster Linie eins: eine große Freiheit.

Eines der wenigen Facebook-Memes, das ich je geteilt habe, war übrigens die Zeichnung einer runden Frau im Bikini mit der Bildunterschrift: »How to get a beach body: 1.) Have a body, 2.) Go to the beach.«

Mehr Po wagen: warum mich Umkleidekabinen nicht mehr zum Weinen bringen

Diese große Freiheit begegnet mir nicht nur vor dem Badezimmerspiegel, auch in Umkleidekabinen. Dabei war dieser Moment früher mein ganz persönlicher Horrorfilm. Mittlerweile fühle ich mich dort eher wie ein Kind im Spielzeugladen. Das liegt nicht an meinem Körper, sondern an meinem Kopf: Ich frage einfach nicht mehr, was ich für eine Hose tun kann – sondern, frei nach Guido Maria Kretschmer, was die Hose für mich tun kann.

So wie kürzlich in einer Boutique im Hamburger Schanzenviertel. »Nimm die Jeans lieber in Größe S«, sprach die blonde Verkäuferin und reichte mir eine apricotfarbene Röhre über die Schwingtür. »Aber normalerweise …«, wagte ich Widerspruch. »Glaub mir«, unterbrach sie mich im freundlich-autoritären Ton einer Erzieherin, die den Obstteller herumreicht, »ich weiß, was du brauchst.«

Auf dem Etikett der Hose stand »Please!«, und während ich halb amüsiert und halb irritiert in das Wunderteil mit den schrägen Nähten schlüpfte, dachte ich an früher. An die Zeit, in der ich zwölf, 13, 15 Jahre alt war und die Umkleidekabine der »Young Fashion«-Abteilung im Kaufhaus meiner Heimatstadt am liebsten nur mit Harry-Potter-Unsichtbarkeitsumhang verlassen hätte, hätte es den damals schon gegeben. Nicht dass ich jemals wirklich übergewichtig war – aber das zählte nicht. Es war schlimm genug, nicht ganz so fohlenhaft dünn zu sein wie die Mehrheit meiner Klassenkameradinnen. Vor allem in meinen Augen.

Was man nämlich häufig vergisst: Jahrzehnte ehe sich besorgte Mütter fragten, ob ihre Töchter durch GNTM-Dauerberieselung Essstörungen entwickeln könnten, waren schon wir eine Generation mit handfesten Wahrnehmungsproblemen. Es war nur noch kein Medienthema. Eher ein Schulhofthema. »Entenpopo«, das war noch einer der freundlicheren Spitznamen, die mir nachgerufen wurden. Anderen wären meine frühzeitigen Kurven vielleicht gar nicht aufgefallen, hätte ich nicht ungefragt alle in der großen Pause mit meinen chronischen Diätplänen unterhalten.

Ich will so bleiben, wie ich bin?

»Ich will so bleiben, wie ich bin«, trällerte es Mitte der Achtziger gut gelaunt in Margarine-Werbespots, und aus dem Off tönte gleich darauf ein verheißungsvoll gerauntes »Du darfst!«. Sicherlich war ich nicht die Einzige, die damals jung und beeinflussbar war und diese strenge Stimme aus dem TV verinnerlichte. Die Stimme, die mir sagte, was ich durfte, was nicht – und was das mit meinem Körpergewicht zu tun hatte. Wenn ich nur schlank genug war, so versprach sie, dann durfte ich so einiges: mich wohl fühlen in meiner Haut, kurze Röcke mit blauen Sternchen tragen, vielleicht sogar selbstbewusst genug sein, bei der samstäglichen Teenie-Disco den Jungen, der mir so gut gefiel, anzusprechen.

Zeigte die Digitalanzeige der Badezimmerwaage aber mehr an als 58 oder – Gott bewahre! – sechzig Kilo, dann folgte die Selbstbestrafung auf dem Fuß. Mit »Sieben-Tage-Körnerkur« aus dem Reformhaus und Tanzverbot in eigener Sache.

Wenn ich daran denke, wird mir heute noch schlecht. Nicht nur wegen der Erinnerung an den Geschmack ungewürzten Buchweizens. Ständig und überall rechtfertigte ich mich für meinen Körper, beim Sport vor meinen Freundinnen, beim keuschen Knutschen mit meinem ersten Freund (»Ich hab eigentlich gar kein Bäuchlein, ich hab nur gerade Pizza gegessen«) und sogar vor den Fachverkäuferinnen in der Young-Fashion-Abteilung. Nein, eine Essstörung im engeren Sinne hatte ich nie. Nur dass ich die Jahre von 14 bis zwanzig keinen Abend ins Bett ging, ohne genau aufzählen zu können, was und vor allem wie viel zu viel ich gegessen hatte. Inklusive Kalorienangaben.

Frag nicht, was du für die Hose tun kannst – sondern was sie für dich tut!

Und da stand ich nun in Hamburg, dreißig Jahre später, mit einer Hose in einer absurden Größe vor einem wandhohen Spiegel, nickte der Verkäuferin zu und dachte mir: genau. Nicht mein Job, hier als Doutzen-Kroes-Lookalike hereinzumarschieren – sondern dein Job, Klamotten zu finden, in denen meine kurzen Beine und mein runder Po sich sehen lassen können. Obwohl ich seit damals ein, zwei Kleidergrößen und etwa zehn Kilo zugelegt habe. Denn in der Zwischenzeit hat sich einiges getan. In mir und um mich herum.

Fangen wir mit dem Drumherum an: Es sind einigermaßen gute Zeiten für kurvige Frauen, und davon gibt es nun mal ein paar mehr über vierzig als unter dreißig. Meghan Trainor trällert uns im Autoradio die Ohren voll, wie gern sie ihren Polster-Popo hat, und lässt sich im Musikvideo dazu von entsprechend ausgestatteten Frauen umtanzen. »Body Positivity« lautet das entsprechende buzzword – du bist okay, wie du bist. Wenigstens, na ja, fast. Sogar die ewige Modelmama Heidi Klum hat das gemerkt, lässt schon mal eine etwas normaler gebaute Frau bis zum Ende des roten Teppichs mitmarschieren und eines von zwei Teams nach Diversity-Gesichtspunkten zusammencasten. Hätte mir doch Stefanie Tücking 1985 in Formel Eins auch solche role models präsentiert!

Mein Körper: perfektes Fortbewegungsmittel für meinen Kopf

Ich bin also in super Gesellschaft – und mit mir eine ganze Reihe von forty-somethings, die altersbedingt nicht mehr in Hotpants passen (von Madonna reden wir hier ausnahmsweise nicht).

Aber viel wichtiger als die gesellschaftliche Rücken-, pardon, Popo-Deckung ist, was in all den Jahren in meinem Inneren passiert ist. Ich mag meinen Körper heute lieber als 1985. Nicht weil er objektiv schöner wäre – ist er nicht. Sondern weil ich ihn mittlerweile schätzen gelernt habe. Als erstaunlich zuverlässiges Vehikel, das mich durch Lust und Leid steuert, das Babys genährt hat und Berge bestiegen. Als Mittelklasse-Gebrauchtwagen, der es gut mit mir meint, auch wenn er erste Abnutzungsspuren zeigt, auch wenn ich ihn nicht immer nach Scheckheft gepflegt habe. Eine Normalo-Kutsche, die aber meinen kostbarsten Besitz durchs Leben kutschiert, nämlich meinen Kopf.

Ich habe die Please-Jeans übrigens tatsächlich gekauft. Auf Drängen der Verkäuferin in S. »Die sind so geschnitten«, ermutigte sie mich, »wenn du die in M nimmst, sitzt die nach der ersten Wäsche nicht mehr knackig.« An der Kasse fragte ich dann doch noch nach dem Geheimnis der Blitzdiät-Hose: Was tun denn wohl Frauen, die sonst Größe S tragen – so richtig in echt? »Für die gibt es XS und XXS.« Das also ist der Trick: funktioniert wie bei Kondomen, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Denn während die meisten Männer niemals eine Nummer kleiner tragen würden als L, fühlen sich erwachsene Frauen unendlich geschmeichelt, wenn sie ihre knapp siebzig Kilo in Teenager-Größen verpacken. Ziemlich durchsichtige Sache. Gefreut hat’s mich trotzdem.

Gefühlte Schönheit: So denken Sie sich attraktiv

Schönheit liegt nicht nur im Auge des Betrachters – aber auch. Wussten Sie, dass Laune die Wahrnehmung verändert und Zufriedenheit mit dem Alter steigt? Verblüffende Fakten aus der Attraktivitätsforschung:

•Das eigene Schönheitsempfinden strahlt nach außen ab – so wie die gleiche Landschaft bei gutem Wetter einladender wirkt als an einem Regentag. »Wenn Sie sich unattraktiv finden, überprüfen Sie Ihre Stimmung«, sagt der Attraktivitätsforscher Ulrich Renz. »Es könnte sein, dass Sie im Spiegel gar nicht Ihr Gesicht sehen, sondern Ihre Gefühle.«

•Glückliche Frauen schminken sich messbar häufiger als unglückliche. Das wiederum wirkt auf die Umwelt attraktiv: Mit entsprechendem Make-up werden die gleichen Gesichter von Testpersonen um ein bis zwei Schulnoten höher bewertet als ungeschminkt. Also: je glücklicher, desto schöner – je schöner, desto glücklicher. Übrigens: Mit »schminken« ist hier nicht notwendigerweise die Smokey-Eyes-plus-Kussmund-Variante gemeint. Aber insgesamt scheint es einen Zusammenhang zu geben zwischen dem Willen, sich selbst ein bisschen Alltagsglanz zu verleihen, und dem eigenen Selbstbewusstsein.

•Je mehr der äußere Glanz schwindet, umso mehr steigt die persönliche Zufriedenheit mit dem, was man hat. Laut einer US-Studie hadern vor allem junge Mädchen mit ihrem Äußeren, während die Mehrheit der über Sechzigjährigen zufrieden ist.

•Männer betrachten ihr Äußeres weniger kritisch als Frauen und auch nicht losgelöst vom Rest ihrer Person. Wenn ein Mann vor einem Date vorm Badezimmerspiegel einen Pickel entdeckt, quittiert er’s mit einem Achselzucken: Egal, Hauptsache, ich kann die Frau zum Lachen bringen, und einen beeindruckenden Job hab ich auch.

•Wie attraktiv sich jemand selbst findet und wie attraktiv er von anderen wahrgenommen wird, steht in einem geringen statistischen Zusammenhang. Denn das Bild, das wir von uns selbst haben, hat mehr Facetten als das, was wir im Spiegel sehen. Vielleicht hat die pummelige Brillenträgerin als Kind so viele Komplimente von ihrem verliebten Vater bekommen, dass sie gar nicht auf die Idee kommt, sie könnte nicht hübsch sein. Und ihre beste Freundin hat schon früh so viele Dämpfer für ihr Selbstbewusstsein erfahren, dass sie trotz Traummaßen und Powerlocken an sich zweifelt.

Ballast abwerfen: warum die Wechseljahre eine Chance sind, sich von Unwesentlichem zu befreien

Kein Witz über forty-something-Frauen und das Thema Wechseljahre: Auch wenn es die meisten Frauen erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts spürbar betrifft, in unserem Hormonhaushalt ist schon vorher einiges im Umbruch. Und das macht einiges mit uns – nicht nur, dass wir uns endlich das Geld für Tampons sparen können. Brigitte Hieronimus, Biografie- und Wechseljahre-Beraterin aus Borken (Westfalen) hat in ihrer Praxis fast täglich mit forty-something-Frauen zu tun: In den Gesprächen geht es um die körperlichen, vor allem aber um die seelischen Herausforderungen rund um die Menopause.

Jetzt mal ehrlich, Frau Hieronimus: Was kommt da auf uns zu – und wie kommen wir da heil wieder raus?

Ihre Tätigkeitsbezeichnung ist nicht alltäglich: Sie arbeiten als Wechseljahre-Beraterin. Wie kommt man denn zu diesem Beruf?

Das hat mit meiner persönlichen Geschichte zu tun. Ich kam schon mit 46 in die Menopause …

… also in die Wechseljahre …

Sehen Sie, da fängt das Missverständnis schon an. Als Menopause bezeichnet man den Zeitpunkt, zu dem eine Frau ein Jahr lang durchgehend keine Regelblutung mehr gehabt hat. Die Wechseljahre dauern viel länger, denn die hormonelle Umstellung beginnt etwa fünf bis sieben Jahre zuvor und dauert auch nach Ausbleiben der Blutung noch mal genauso lange an. Aber Ihre Frage überrascht mich nicht, wir wissen tatsächlich zu wenig über die Vorgänge in unserem Körper und ihre Auswirkungen auf seelische und physische Gesundheit.

Wer sind Ihre Klientinnen, wer sucht Ihre Beratung?

Häufig sind das Frauen, die einen Vortrag von mir gehört haben und besser verstehen wollen, was in dieser Zeit mit ihnen passiert, auf allen Ebenen. Oft sind sie überrascht, wenn sie verstehen, dass die Wechseljahre gar nicht die einzige große hormonelle Umstellung im Leben einer Frau sind: Zum ersten Mal passiert das in der Pubertät, später im Leben vieler Frauen, wenn sie schwanger werden.

Ähnlich wie in der Pubertät sind körperliche Veränderungen in den Wechseljahren oft sichtbar: Frauen haben Gewichtsprobleme, klagen über trockene Haut, Pickel oder Haarausfall.

Ja, das sind typische äußere Anzeichen. Vor allem die Gewichtszunahme beschäftigt viele Frauen sehr – meiner Ansicht nach zu sehr. Denn man kann davon ausgehen, dass es sich dabei um einen natürlichen Schutzmechanismus handelt: Frauen in dem Alter brauchen ein paar Kilo mehr, um gesund zu bleiben! Erst mit siebzig ändert sich der Stoffwechsel wieder, dann beginnt biologisch eine neue Phase.

Wahrscheinlich ist der große Unterschied zur Pubertät der: Während bei jungen Mädchen die Zeichen auf Zukunft, auf Erwachsenwerden stehen und mit dem Versprechen von kommender Lust und Liebe einhergehen, empfinden Frauen die Wechseljahre eher als Abstieg: Jetzt wirst du alt, unfruchtbar, unattraktiv …

Ja, dieses Gefühl: Jetzt bin ich nicht mehr schön, jetzt werde ich nicht mehr gesehen, das ist sehr verbreitet. Viele Frauen arbeiten sich deshalb so sehr an den paar Kilos mehr an Po und Hüften ab, weil sie es schwer ertragen, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, sich Fragen stellen zu müssen: Wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus, jenseits von Attraktivität und meiner Rolle als Partnerin, als Mutter?

Für manche Frauen ist das Eintreten der Wechseljahre auch ein endgültiger Abschied von einem Kinderwunsch – anders als bei Männern im vergleichbaren Alter ist damit biologisch einfach Schluss.

Ja, und viele merken erst jetzt, dass eine tiefe Enttäuschung in ihnen sitzt. Dass sie sich der Trauer und dem Abschiedsprozess stellen müssen. Unerfüllte Wünsche gehören zum menschlichen Leben, man kann sie akzeptieren und integrieren lernen – schwierig wird es eher, wenn Frauen sie sich nicht eingestehen und abwehren. Das setzt Seele und Körper unter Stress, das kann krank machen. Es hilft stattdessen, sich zu fragen: Wo kann ich auf geistiger Ebene fruchtbar sein, was kann ich schaffen und geben? Übrigens gilt das nicht nur für Frauen ohne Kinder, auch für Mütter. Wenn die Fürsorge für andere nicht mehr so gefragt ist, beginnt im besten Fall die Zeit der Selbstfürsorge: Ich habe mich lang genug um andere gekümmert, jetzt bin ich dran!

Wechseljahre sind also nicht nur körperlich, sondern auch psychisch herausfordernd?

Nicht allen Frauen bereitet diese Phase Probleme, manche fühlen sich aufgehoben in einem stabilen, liebevollen Umfeld. Aber viele neigen auch zu Stimmungsschwankungen, zu anscheinend grundloser Melancholie. Fragt man sie: »Was stimmt denn nicht in deinem Leben?«, dann finden sie jedoch meistens sofort eine Antwort. Das kann die Partnerschaft sein, die lieblos vor sich hindümpelt, das kann ein inneres Vakuum sein nach der Familienphase, wenn Kinder eigener Wege gehen und Aufgaben fehlen, die einen begeistern. Oder Überforderung, wenn zum Beispiel eigene Kinder noch klein sind und die eigenen Eltern schon Hilfe im Alltag brauchen. Es geht in diesem Moment noch gar nicht darum, die perfekte Lösung für sich zu finden, sondern Bilanz zu ziehen: Was ist es, das mich gerade herunterzieht und hemmt? Die Jahre zwischen Anfang und Ende vierzig sind die Zeit, in der alles auf dem Prüfstand steht. Man wird gleichzeitig reizbarer und offener für Neues.

Woran liegt das?