Geflüchtet - Vertrieben - Angekommen - Anneliese Panzer - E-Book

Geflüchtet - Vertrieben - Angekommen E-Book

Anneliese Panzer

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Beschreibung

Am Ende des Zweiten Weltkriegs sitzen viele Erinnerungen noch tief. Die damals 10jährige Anneliese hat durch Flucht und Vertreibung alles verloren. Nun muss sich ihre Familie in Hessen ein neues Zuhause aufbauen. Ihre Erlebnisse und ihren Neuanfang in den Jahren bis 1952 beschreibt die Autorin rückblickend frisch und froh, aber auch nachdenklich und sorgenvoll. Ihr Resümee und Lebensmotto lautet: Niemals aufgeben!

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1949 Eine neue Heimat

Vielleicht ein Zuhause

Der kleine Umzug

Ein neuer Schulweg

Vergessen fällt schwer

Erinnerungen

Ein neues Zuhause als Vertriebene und Flüchtlinge

Fremde Soldaten

Die großen Ferien 1949

Endlich Arbeit für meinen Vater

Die Schule

Wie man zum Dieb werden kann

Neuigkeiten für mich aus der Schule

Herbstgeschichten

Der reiche Kornbauer

Der Antrag

Weihnachten 1950

Großmutters Besuch

Nötige Kleidung

Eine Jacke aus Amerika

Das neue Jahr

Ein Kleid für die Schule

Schöne Aussichten

Erinnerungen die zu Träumen werden

Eine neue Nachricht

Trauriger Bericht über unschuldig Gefangene

Umgezogen

Hochzeit auf dem Bauernhof

Ein Trauertag

Endlich eine gute Nachricht

Ein Todgeweihter erinnert sich

Eine neue Zeit beginnt

Der Umzug

Vorwort

Mit einem Übermaß an Blut und Tränen endete im Mai 1945 nach über fünfeinhalb Jahren der Zweite Weltkrieg. Erst die Flucht, dann die Vertreibung aus den Heimatländern des deutschen Ostens haben nicht nur Erwachsene, sondern auch unzählige Kinder durchstehen müssen. Meine Erlebnisse sind also kein Einzelschicksal. So habe ich diesen Rückblick in einem ersten Buch “Ich war fünf und hatte das leben noch vor mir“ verfasst, das erstmals 1999 erschien.

Nun möchte ich den Lesern in einer Fortsetzung erzählen, wie wir uns als Vertriebene, nach einem schmerzhaften Verlust der Heimat wieder eine neue Zuhause aufbauen durften. Das war nicht einfach. Die Opferbereitschaft für uns Vertriebene und Flüchtlinge war in vielen Orten sehr zögerlich. Zumal die Häuser und Wohnungen der meist bäuerlichen Bevölkerung in Westdeutschland damals auch nicht immer groß waren. Viele böse Gerüchte über Flüchtlinge verbreiteten sich schon vorweg und hatten längst die Einwohner wie eine dunkle Wolke erreicht. Man traute den Neuankömmlingen nicht so ganz.

Wie bei einem Viehaustrieb wurden alle Deutschen aus den Ostgebieten mit schier endlosen Zügen in das klein gewordene und vielfach zerbombte Rest-Deutschland gepresst. Hab und Gut blieben zurück. Es war eine grausame Abrechnung der Alliierten nach dem verlorenen Krieg.

Deutschland wurde geteilt. Vermutlich fand hier die größte Völkerwanderung und Zwangsumsiedlung des letzten Jahrhunderts im mitteleuropäischen Raum statt.

Jetzt waren wir heimatlos und hatten nur unser nacktes Leben gerettet. Mein Vater war nach einigen Jahren fast unversehrt aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Das war für uns als Familie das größte Geschenk.

Ein jeder berichtet auf seine Weise, und Erinnerungen sind stets von Subjektivität gekennzeichnet. Dies sind Erinnerungen einer verlorenen Kindheit, die einem Scherbenhaufen gleicht und bedrohliche Folgen für das weitere Leben hatte.

Die Nachkriegszeit der Jahre 1945 bis 1949, mit all den schmerzlichen Entbehrungen, hat ganz Deutschland durchleben müssen. Dennoch war das Heimweh nach der verlorenen Heimat immer zugegen und machte uns alle sprachlos.

Mit vielen anderen kämpften wir nun für den Anschluss in ein besseres Leben.

Anneliese Panzer im April 2021

1949 Eine neue Heimat

In Hessen, inmitten von Feldern und Wiesen, liegt ein Bauernhof mit einer kleinen Mühle. Sagenhaft verträumt präsentiert sich das große Einzelgehöft den Vorüberreisenden. Ein Fluss zieht sich wie ein Silberstreif durch die grün bewaldete Hügellandschaft, teilt sich kurz vor dem Gehöft und entsendet einen Seitenarm zur Mühle. Hastig plätschert das angestaute Wasser über ein großes hölzernes Mühlrad. Das alte Mühlrad, rundum von dichten Moosen bewachsen, bewegt sich schwerfällig, aber auch sehr gewaltig. Unter lautem Getöse hält es ein ganzes Triebwerk in Bewegung, das im Inneren der Mühle selbst die härtesten Körner zu Mehl werden lässt. Schwerfällig bewegt sich das hölzerne Rad.

Sprudelnd gluckert das Wasser aus einer tiefen Mulde unterhalb des Wasserrads weiter und rauscht gemächlich als kleiner Nebenfluss an einer lang gezogenen Hauswand vorbei. Große und kleine Fische tummeln sich im glasklaren Wasser. Die Mittagssonne dringt mit ihren hellen Strahlen durch die dichten, hellgrün-silbrigen Blätter der Pappeln und zeichnet auf dem dahinfließenden Wasser immer wieder neue Bilder. Licht und Schatten malen heimatliche, längst vergangene Eindrücke auf den leicht gekräuselten Wellen des Mühlenbachs.

Das rege Leben auf dem Bauernhof ist nicht zu überhören. Ein mit Säcken schwer beladener Wagen, der von zwei Kühen gezogen wird, biegt in die Hofeinfahrt ein. Eine Durchfahrt wie bei einer Burg ist der einzige Weg, der zum Hofeingang führt. Fährt man hindurch, gelangt man in einen geschützten Innenhof.

Die prall gefüllten Säcke mit Roggen und Weizen auf dem Wagen sind für die Mühle bestimmt. Der Bauer, der seine Kühe vorne an der Deichsel führt, versucht, sie mit einem lauten „brr“ zum Stehen zu bringen. Der Müller wartet schon auf der Ladefläche darauf, dem Bauern beim Abladen der schweren Säcke zu helfen. Er ist rundum mit weißem Mehl bedeckt. Selbst sein Gesicht ist weiß eingepudert. So sehr stäubt es im Inneren der Mühle. Ein feiner weißer Nebel durchzieht die vielen Etagen der Mühle.

Nach dem Abladen stellt er die vollen Säcke auf eine Waage, und mit Block und Bleistift wird das Gewicht notiert. Nun schleppen sie die Kornsäcke auf ihren Schultern in den obersten Stock der Mühle. Die dumpfen Schritte über die ausgetretenen Holzstufen, die bis zum dritten Stock führen, sind auch draußen nicht zu überhören. Endlich sind sie oben angekommen. Ihr schwerer Atem und das fortwährende Husten zeugen von der großen Last, die sie tragen. Jetzt werden die Säcke, die noch auf ihren Schultern liegen, vorsichtig geöffnet. Langsam rieseln die frischen Körner in einen großen Trichter, und unter lautem Getöse, Rütteln und Schütteln werden sie zunächst gereinigt. Denn bevor aus diesen Körnern weißes Mehl wird, müssen sie gründlich von allem Dreck befreit werden. Was da nicht alles zum Vorschein kommt: Jede Menge Steine, vermischt mit Ähren und viel Spreu. Alles wirbelt durcheinander, bis sich endlich das Nützliche vom Schlechten trennt. Immer wieder hält der Müller seine Hand unter die fließenden Körner. Nur so kann er feststellen, ob man nun die Körner zu Mehl verarbeiten kann.

Die Mühle ist das höchste Gebäude des Bauernhofes. Sie bildet sogleich den Abschluss des vorgebauten Wohnhauses. Ihr gegenüber liegen die Stallungen für die Pferde, Kühe und Schweine. Eine lange Scheune schließt sich an, die für den Futtervorrat der Tiere gedacht ist. Die roten Ziegeldächer leuchten von Weitem. Hervor sticht daraus der Name des alten Eigentümers, der mit weniger hellen Ziegeln ins Dach eingeschrieben wurde.

Vielleicht ein Zuhause

Wie im Traum kam es mir vor, dass wir – meine Eltern, mein Bruder und ich – hier wohnen durften. Eine kleine Wohnung hatte man uns zugeteilt. Sie war schon lange nicht mehr bewohnt. Damals auf der Flucht war es in dem zerbombten Haus so kalt, aber wir wurden wenigstens nicht nass. Das war hier ganz anders.“

Als wir uns so fragend weiter die kleinen Räume ansahen, die bisher als Rumpelkammern genutzt wurden, stand plötzlich der Besitzer dieser Mühle vor uns.

„Wenn Sie diese Wohnräume haben wollen“, dabei schaute er meine Eltern an und mit einem Augenzwinkern zu uns, „dann werde ich jemanden damit beauftragen, alle Gegenstände, die hier in den Räumen sind, herauszuholen. Aber Sie können es sich noch überlegen. Die Wohnung kostet für Sie nichts. Das soll eine kleine Hilfe sein, damit sie erst mal hier nach einem verlorenen Krieg einen Anfang mit ihrer Familie bekommen.“

Meine Eltern waren zu Tränen gerührt. „Wir nehmen die Wohnung“, gaben sie dem Besitzer zu verstehen.

Am nächsten Tag half mein Vater beim Ausräumen der beiden Zimmer. Zwei Bettgestelle und ein kleiner Kleiderschrank standen schon in dem Raum. Im ganzen Haus suchte man nach Matratzen für die Betten, Decken und Kissen.

Schließlich wurde auch noch ein altes Bett aus braunem Holz für uns Kinder dicht unter dem Fenster in der Küche aufgestellt. Aber da wollte meine Mutter noch die Wände abwaschen. Unsere Mutter wurde einmal richtig fröhlich. Als dann auch noch der kleine Herd hereingetragen und das lange Rohr in den Schornstein gedrückt wurde, der kleine Küchenschrank und der Tisch mit den vier Stühlen dazugestellt wurde, fiel sie meinem Vater um den Hals.

„Jetzt sind wir für uns!“, rief sie laut in den Raum.

Wenig später kam einer der Helfer mit einem gefüllten Korb herein. „Sie wollen doch auch kochen, oder?“, fragte der Helfer und wandte sich an meine Mutter. „Für den Anfang wird es wohl reichen.“ Und dann nahm er einen Gegenstand nach dem anderen aus dem Korb: Kochtöpfe, Schüsseln, Teller und Tassen, dazu Besteck und sogar einige Kochlöffel. Jetzt waren nicht wir alle überaus glücklich. Wie eine Schleife, die man um ein Geschenk bindet, so umschloss uns dieses Glück mit großer Hoffnung auf eine neue Zukunft.

Der alte Besitzer der Struthmühle , der „geliehene Großvater“ Ludwig Seibert

Der kleine Umzug

Nun zogen wir mit unseren wenigen Habseligkeiten, die noch bei unserer Tante standen, ein. Ein Rucksack und eine große Tasche, mehr war es nicht. Aber unsere Tante staunte nicht schlecht. Denn mit so einem schnellen Umzug hatte sie nicht gerechnet. Auch unsere Großmutter schaute uns alle der Reihe nach fragend an. Ich glaube, sie wäre zu gerne mitgegangen. Gerne hätten wir sie mitgenommen, aber unsere neue Wohnung war zu klein. Wo sollte unsere Großmutter denn auch schlafen?

„Wir sind ja auch nicht weit weg“, sagte ich ihr und tröstete sie mit einer Umarmung. „Wir können uns immer gegenseitig besuchen. Drei Kilometer sind keine große Entfernung.“

Eine kurze Verabschiedung folgte und dann eilten wir längs der Straße zu unserer neuen Wohnung. Als ich mich nochmals umschaute, stand meine Großmutter immer noch an der Haustür und sah uns nach. Ein heller Sommertag war es, der noch lange nicht zu Ende war. Überall sah man Leute auf dem Feld und in ihren Gärten. Kühe und Pferde zogen hochbeladene Heuwagen durch die Straßen. Schwalben flogen im Tiefflug kreischend über Wiesen. Alles flimmerte im hellen Sonnenlicht. Und wir zogen glücklich und hoffnungsvoll in unsere erste Wohnung, die uns ganz alleine gehörte.

Ein neuer Schulweg

Ich machte mir Sorgen, wie lang jetzt mein neuer Schulweg sein würde, ganz alleine mit meinem Bruder, und dann gab es immer die amerikanischen Soldaten, die singend an uns vorbeifuhren. Solange sie noch sangen, brauchten wir uns nicht zu fürchten, dachte ich mir. Aber weil wir jetzt nur zu zweit waren, hatten wir plötzlich wieder Angst, wenn wir Soldaten sahen. Bösartige Soldaten hatten wir ja im Krieg zur Genüge kennengelernt. Aber das hier waren keine Feinde. Mein Bruder fürchtete sich besonders. Einmal hatte er sich sogar dicht an der Straße im Graben versteckt. Ein Glück, sie haben ihn nicht gesehen.

In aller Frühe zogen wir nun gemeinsam die basaltgraue Straße entlang. Rechts und links standen Apfelbäume im grünen Laub mit vielen Früchten. Jetzt waren sie noch klein. Aber in einigen Wochen könnte man sie pflücken und essen. Es gab auf diesem Weg so viel zu sehen. Aber wir mussten uns beeilen, sonst würden wir zu spät kommen.

Viele Kinder tummelten sich im großen Flur des Schulgebäudes. Lehrer teilten Flüchtlingskinder in unterschiedliche Klassenräume auf. Dazu zählten wir auch. Hier ging es nicht mehr nach Alter, sondern es sollte geprüft werden, in welche Klasse man den einzelnen Schüler unterbringen konnte und ob sein Schulwissen der jeweiligen Klasse entsprach. Ein ohrenbetäubendes Rufen und Schreien verbreitete sich und drang auch nach draußen. Endlich wurde es still. Alle Schüler waren nun in den entsprechenden Klassenräumen untergebracht.

Ich saß dicht am Fenster und sah manchmal heimlich nach draußen. Das war aber nicht erlaubt. Man durfte sich bloß nicht erwischen lassen, sonst wurde man in die hinterste Reihe versetzt. Das wollte ich auf keinen Fall. Wenn der Lehrer hereinkam, dann standen wir alle auf, und er grüßte uns mit „Guten Morgen“ und wir erwiderten den Gruß. Dann sagt er: „Setzen!“

Er war ein kleiner Mann, und es fehlte ihm schon ein Teil seiner Haare. Das konnte man gut erkennen, wenn er etwas für uns an die Tafel schrieb. Bestimmt war er auch Soldat genau wie mein Vater. Jetzt durfte er wieder Lehrer sein und uns helfen, damit wir den schulischen Anschluss nicht verpassten. Er hatte ein Herz für Kinder. Das konnte man erkennen. Er nahm unsere Fragen sehr genau und gab uns dann auch die Antwort darauf.

Eiligst packten wir unsere Hefte, in die unsere Hausaufgaben aufgeschrieben waren, und die Schreibutensilien aus unserer Schultasche und legten alles auf unseren Schultisch. Prüfend schaute der Lehrer jedes Heft durch und machte mit seinem Stift unter das Geschriebene einen kleinen Haken. Das sollte heißen, er habe es gesehen. Es gab auch Schüler, die ihre Hausaufgaben vergessen hatten. Wenn es öfter vorkam, dann erhielten die Eltern einen Brief.

Es hatte lange gedauert, bis man bei den vielen Flüchtlingskindern herausgefunden hatte, in welche Klasse sie wirklich gehörten. Dazu zählte auch ich. Bei meinem Bruder gab es keine Fragen, aber bei mir war man sich nicht so ganz sicher. Ich war ja schon zehn Jahre alt und noch nie lange in eine Schule gegangen. Meine Großmutter hatte mich damals im Schreiben, Lesen und Rechnen unterrichtet. Eine sehr bescheidene Lehrweise. Sie hat sich mit mir wirklich Mühe gegeben. Dann kamen für mich zwei Jahre Krankheit mit anschließender Erholung. Wie froh war ich, als ich endlich zur Schule gehen konnte. Ein ständiger Wechsel war bei mir angebracht, einmal in der einen Klasse, dann wieder in einer anderen. Das war für mich sehr schwer. Aber für die Lehrer war es ja auch nicht einfach. Viele Lehrer mühten sich sehr, den Schülern behilflich zu sein.

Zum Glück hatte man mich nicht in die erste Klasse gesteckt. Die Erstklässler hatten ja noch eine Schiefertafel, an der an einem langen Band ein feuchter Schwamm zum Reinigen und ein kleiner Lappen zum Trocknen der Tafel hingen.

Nach langem Zögern der Lehrer kam ich dann endlich in die dritte Klasse. Um auch den richtigen Anschluss zu bekommen, erhielt ich für zu Hause fast immer eine Extraaufgabe. Ich wurde immer sicherer und mein Klassenlehrer sparte nicht an Lob und ermutigenden Zusprüchen.

Vergessen fällt schwer

Immer wieder musste ich meiner Tante erzählen, was wir auf der Flucht erlebt hatten und was uns in Danzig Schreckliches passiert war.

„Ich höre von euch nur noch solche Geschichten. Denk doch mal an was Schönes! Jetzt ist kein Krieg mehr, es fallen auch keine Bomben und es gibt auch hier keine Russen und Polen, die euch erschießen wollen. Zwar fahren viele amerikanische Soldaten mit ihren Lkws durch unseren Ort, aber sie tun uns nichts. Da musst du keine Angst haben. Sie verteilen Lebensmittel und schützen uns vor Angreifern, die uns Angst machen wollen. Die dürfen nämlich unser kleines Deutschland nicht betreten.“

Dann drehte sie sich von mir weg und eilte die Treppe hinunter. Ich schaute ihr nach. Komisch, warum blieb sie nicht noch und beruhigte mich? Sie hätte doch sehen können, dass ich weinte. Wieder stand ich mit meinen Kriegserlebnissen allein da. Plötzlich trat meine Großmutter hinter mich und berührte vorsichtig meinen Arm.

„Komm“, sagte sie, „du musst nicht traurig sein.“ Dann nahm sie mich an die Hand und zog mich in ihre Stube. „Weißt du, wir müssen unsere Kriegserlebnisse vielleicht doch besser für uns behalten. Du siehst, wie sich schon deine Tante über deine Kriegsgeschichten ärgert. Sie hat jetzt andere Sorgen, die ihr wichtiger sind als unsere Geschichten.“

Langsam öffnete sich leise die Zimmertüre und eine andere Flüchtlingsfrau erschien im Türrahmen. Ihr freundliches, rundes Gesicht schaute aus einem bunten Kopftuch heraus. Auch sie hat Ähnliches erlebt.

Sie reichte mir durch die halb geöffnete Tür einen dicken Pfannkuchen und sagte ganz freundlich: „Den sollst du haben und ihn schnell aufessen. Deine Oma bekommt auch gleich einen.“ Dann verschwand sie wieder.

Meine Großmutter lächelte mir zu und sagte in einem tröstenden Ton: „Siehst du, jetzt sieht die Welt schon wieder anders aus. Nun iss mal den Pfannkuchen eiligst auf und dann lauf ganz schnell nach Hause.“

Erinnerungen

Ich weiß auch gar nicht, was in mich gefahren war. Manchmal – und das fiel mir selbst schon auf – versuchte ich sogar, meinen Lehrern auf dem Schulhof meine grausamen Erlebnisse aus dem Krieg zu erzählen. Aufmerksame Zuhörer waren sie schon, vermutlich fehlte ihnen aber die Zeit, darauf zu antworten. So versuchte ich für mich, nach und nach meine Erinnerungen aus dem Krieg für mich zu behalten.

Meine Tante setzte sich weiter für uns alle ein. Auch als wir schon lange nicht mehr bei ihr wohnten, hat sie sich immer noch bemüht, nach uns zu sehen.

Über ihren täglichen Einsatz habe ich nachgedacht. Oft saß sie am Abend noch ziemlich lange in der Küche und hoffte vermutlich auf eine Veränderung. Der matte Schein einer kleinen Lampe drang nach außen in den Flur und verriet sie. Beklagt hat sie sich nicht. Sie hat es uns auch nicht gezeigt, dass es ihr mit uns zu viel sei. Ihre schön eingerichtete Wohnung glich am Abend immer einem Feldlager. Denn für jeden einen Schlafplatz zu schaffen, war für sie jedes Mal eine große Herausforderung, und das auf lange Zeit. Vor allen Dingen die täglichen Mahlzeiten für so viele Personen zuzubereiten, war sie ein enorm großer Einsatz. Es gab ja fast keine Lebensmittel zu kaufen. Manchmal wurden kleinen Rationen Lebensmittel an alle Bewohner des Ortes verteilt. Meine Mutter fühlte sich oft zu schwach. Es gab im Umkreis keine Arbeit. Auch unsere Großmutter konnte wegen ihres Alters kaum einen häuslichen Beitrag leisten. So wurden wir Kinder aufgefordert, kleine Arbeiten im Haushalt unserer Tante zu verrichten. Die Küche auszukehren, das Geschirr abzuwaschen oder Brennholz holen. Meine beiden Cousins halfen meinem Bruder und mir bei den Schularbeiten. Für sie eine mühevolle Arbeit, um uns in die Welt des Lesens, Schreibens und Rechnens einzubinden. Der Erfolg blieb auch nicht aus.

Dies alles bleiben meine Erinnerungen eines kurzen Aufenthalts bei unserer Tante und Großmutter.

Ein neues Zuhause als Vertriebene und Flüchtlinge

Aber dann bekamen wir eine eigene Wohnung in der alten Mühle abseits des Wohnortes und waren überaus glücklich. Jetzt mussten wir lernen, für uns zu sorgen.

„Wir sind ja Flüchtlinge aus dem Osten und konnten nur unser nacktes Leben retten“, sagte oft unsere Mutter, wenn sie jemand fragte. „Jetzt müssen wir den Ortsansässigen erst mal beweisen, dass wir ihnen nichts wegnehmen wollen“, ergänzte sie noch mit gesenktem Kopf.

Unsere Mutter bemühte sich, uns bei den Schularbeiten zu helfen. Auch mein Vater schaute fast jeden Abend unsere Schulaufgaben an. Er interessierte sich besonders dafür, welche ideologische Richtung in der Schule vorgegeben wurde. Manchmal erzählte er uns am Abend Geschichten über den verlorenen Krieg und warum wir ihn überhaupt angefangen haben.

„Aber wir sind ja zum Schweigen verurteilt worden“, ergänzte er dann. Er schien viel zu wissen, und deshalb versuchte ich, im Schulunterricht etwas von den Berichten meines Vaters wiederzugeben, nicht immer gerade zur Freude meines Lehrers.

Trotzdem bemerkte ich in der Schule, dass Kinder in meinem Alter viel mehr wussten als ich. In Polen gab es für deutsche Kinder keine Schule und in eine polnische Schule sollten wir nicht gehen. Da hat unsere Großmutter versucht, uns wenigstens das Wichtigste für den Anfang beizubringen. Aber wie es nun aussah, war mein Wissen doch sehr mager. In meiner Verzweiflung war ich dann zu meiner Großmutter geeilt.

Vorsichtig schlich ich mich auf Zehenspitzen den Gang entlang, machte ihre Türe nur einen Spalt breit auf und schaute nach, ob sie auf ihrem Stuhl eingeschlafen war oder in der Bibel las. Da wollte sie nicht gestört werden. Doch sie hatte mich bemerkt. Sie war ja nicht schwerhörig.

„Komm nur rein!“, rief sie mir dann zu. „Setzt dich hier hin“, forderte sie mich auf und zog einen Stuhl, der etwas abseits von ihr stand, zu sich heran. Nun saß ich ganz dicht neben ihr und sie fragte mich: „Na was gibt es denn?“ Dabei schaute sie mich dabei prüfend über ihre Brille hinweg an.

Da erzählte ich ihr von meiner Klasse, wie viele Kinder wir waren und was man alles lernen musste. Einige Flüchtlingskinder – und zu denen zählte ich auch – wurden immer von einer Klasse zur anderen geschickt. Einmal war es für mich kinderleicht und ein andermal fiel es mir schwer, alles richtig zu verstehen. Plötzlich fing ich an zu weinen.

„Aber, aber, nun wein nicht gleich, du wirst es schon schaffen. Lernen ist auch schwere Arbeit. Schreib dir alles auf, was du nicht verstanden hast, und frag deine Eltern oder deinen Lehrer. Aber du kannst auch zu mir kommen. Du schaffst das schon“, wiederholte meine Großmutter. „Du weißt doch, niemals aufgeben. Es kommen auch wieder Zeiten, wo es dir leichtfallen wird, glaub mir.“ Sie nahm meine Hand und hielt sie eine Weile fest. Ein kleines warmes Siegel für ihren Zuspruch sollte es sein.

Dann eilte ich die Haustreppe hinunter.

Fremde Soldaten

Wenn nur nicht die vielen Amerikaner gewesen wären. Sie fuhren mit ihren lauten Jeeps und manchmal auch mit großen Lkws an uns vorbei. Entlegene Häuser waren oft ihr Ziel. Sie durchsuchten alle Räume und sogar Stall und Scheunen. Aber sie waren auch so schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren. Manchmal warfen sie meinem Bruder und mir einen Kaugummi zu.

„Na, das ist doch mal was“, sagte mein Bruder. „Wenn das so weitergeht, dann werden wir die Kaugummi-Sprache auch bald verstehen.“ Dabei lachte er kräftig.

So ein Neuanfang ist schon was Besonderes. Vor allen Dingen verblassten die immerwährenden Erinnerungen, die Todesängste und Albträume, die uns oft wie ein Schatten begleiteten.

Es gab auch tröstliche Augenblicke.

Wenn am Abend die Kühe gemolken wurden, durften mein Bruder und ich erst mal eine große Tasse von der frisch gemolkenen Milch trinken. Sie war noch warm. Anschließend hatten wir dann einen richtigen weißen Milchbart. Und dann bekamen wir als Familie auch noch einen Liter Milch für das nächste Frühstück. Eine Helferin brachte uns einen Eimer Kartoffeln und manchmal sogar für jeden ein Ei aus dem Hühnerstall. Der alte Mühlenbesitzer schaute auch immer nach uns und sorgte dafür, dass wir nicht hungern mussten. Das würde hier wohl nicht passieren. Einen kleinen Eimer mit Weizenmehl stellte er uns oft vor die Zimmertüre. Manchmal lag auch in Papier eingewickelt Schweineschmalz auf dem Mehleimer. Und so ging es die ganze Zeit weiter. Eine sichtbare Hilfe, die vergessen ließ und uns alle fröhlich stimmte.

„Es gibt eine Hoffnung“, sagte mein Vater. „Nein, wir werden nicht aufgeben“, fügte er hinzu. Und dann faltete er seine Hände zum Gebet. „Ja, Gott sorgt für uns“, sprach er leise vor sich hin.

Meine Mutter saß still auf dem Stuhl, der dicht am Fenster stand. Sie sagte kein Wort, aber sie war auch bewegt. Das konnte man sehr gut erkennen. Es fehlten ihr vermutlich die passenden Worte.

So ging ein glücklicher Sommertag für uns alle zu Ende.

Im Stall war es ruhig geworden. Die Schweine waren satt. Sie lagen alle auf der Seite und schnarchten vor sich hin. Die Kühe kauten immer noch. Es sah fast so aus, als hätten sie einen Kaugummi im Maul. Die Pferde standen angebunden in ihren Boxen und schliefen im Stehen. Selbst die Hühner hatten sich ins Hühnerhaus und auf den Heuboden zurückgezogen. Sie waren auch die Ersten, die den neuen Morgen begrüßten.

Hinter der Mühle plätscherte der Mühlengraben ruhig vor sich hin. Glasklar war das Wasser. Vereinzelt sah man kleine Fische, die ruhig im Wasser standen. Aber wenn sich über dem Wasser etwas bewegte, verschwanden sie unter großen Steinen.

Ich saß oft am Mühlengraben und lauschte in die abendliche Stille. Nichts rührte sich. Selbst das Mühlrad, das sich den ganzen Tag bewegte, stand still. Wildenten flogen plötzlich auf, durchbrachen die abendliche Stille, es folgte leises Geschnatter. Man konnte die kleinen Entenküken beobachten, wie sie emsig gründelten und wie Perlenschnüre der Entenmutter folgten. Die gelben Blüten, die aus dem Schilf ragten, schmückten den Rand des Flusses. Ein friedlicher Abend breitete sich über das Gehöft mit der hoch aufragenden Mühle aus. Es war Zeit, ins Bett zu gehen. Ich wunderte mich, dass meine Eltern mich noch nicht gerufen hatten. Mein Bruder war sicher schon in tiefe Träume versunken.

Die großen Ferien 1949

Sommerferien hatten sich angekündigt und das auf eine lange Zeit. Das wollte mir gar nicht gefallen. Gerade als ich den Anschluss in der Schule so einigermaßen gefunden hatte, war schon wieder Pause angesagt. Mein Bruder freute sich. Denn jetzt konnte er mal so richtig spielen und musste keine Schularbeiten erledigen.

Meine Eltern sorgten sich wieder, weil es immer noch keine Arbeit für meinen Vater gab. Die wenigen Arbeiter auf dem Bauernhof waren erst vor Kurzem eingestellt worden. Und die konnten nun nicht wieder, nur weil wir hier waren, nach Hause geschickt werden. Das verstand mein Vater. Also musste weitergesucht werden.

Ein altes rostiges Fahrrad hatte mein Vater von jemandem bekommen. Darüber hat er sich gefreut. Nun stand er draußen, stellte das rostige Fahrrad auf den Kopf und wusch es erst mal mit lauwarmem Seifenwasser tüchtig ab. Mit Schmirgelpapier wurden alle hartnäckigen Roststellen abgeschliffen und anschließend wurde alles mit einem trockenen Lappen fein säuberlich abgeputzt.

Der alte Mühlenbesitzer saß auf der Bank und hatte ihm schon eine Weile zugesehen. Er hielt eine kleine Ölkanne in seiner Hand, und als mein Vater aufschaute, reichte er sie ihm.

„Hier, das brauchen Sie unbedingt“, sagte der alte Mühlenbesitzer und reichte sie ihm immer noch hin. Die Fahrradkette bewegte sich nur langsam. Mit jedem Tropfen Öl drehte sie sich tatsächlich leichter. „Sehen Sie, Öl hat dieses alte Fahrrad nötig“, sagte er und zeigte ihm noch andere Stellen, die behandelt werden sollten.

Mein Vater musste lachen und erklärte dem alten Mühlenbesitzer, dass er so ein altes Fahrrad noch nicht einmal zu Hause besessen hatte.

„Aber egal“, sagte mein Vater dem alten Herrn, „Hauptsache, man kann sich damit fortbewegen.“ Er drehte immer schneller an den Pedalen.

Fahrradschläuche und die dazu passenden Mäntel hatte er sich bei einem ehemaligen Händler im Ort besorgt, aber nicht kostenlos, dafür musste er für den Händler einen langen Tag Holz aus dem Wald holen. Als nun die Bereifung ebenfalls angebracht war, drehte mein Vater das Fahrrad herum, setzte sich darauf und fuhr einige Runden auf dem Hof. Als er vom Fahrrad abstieg, stellte er fest, dass der Sattel trotz Säuberung abgefärbt hatte. Was nun? Eine Haushälterin, die im Haus und Garten gut Bescheid wusste, suchte einen festen Stoff, der für den Sattel passen könnte. Meine Mutter schnitt ihn formgerecht zu und spannte ihn mit einem Gummizug unter dem Sattel fest. Mein Vater musste lachen und mein Bruder meinte, dass er jetzt auf einem kleinen Sofa sitzen würde.

„Pass nur auf, dass er nicht nass wird, sonst bekommst du einen nassen Po“, sagte meine Mutter und lachte dabei.

Am nächsten Tag setzte sich mein Vater auf sein Fahrrad und radelte los, um Arbeit zu finden. Den ganzen Tag war er unterwegs. Es fing schon an, dämmerig zu werden, als er merkte, dass er schon weit außerhalb des Ortes auf einer ziemlich einsamen Straße unterwegs war. Da sah er hinter hohen Bäumen versteckt einen großen Bauernhof.

„Das war meine letzte Möglichkeit, nachzufragen, ob auf dem Hof noch ein Knecht gebraucht wird“, erzählte er uns am Abend. Gespannt hörten wir zu. „Was meint ihr, ich habe die Stelle und kann sogar morgen schon anfangen“, berichtete er uns in einem fröhlichen Ton.

„Was wird er dir denn als Lohn geben?“, wollte meine Mutter wissen und fasste ihn vertrauensvoll fest am Arm.

„Das werde ich morgen mit ihm regeln“, antwortete er meiner Mutter.

Unsere Fenster waren zum Innenhof ausgerichtet. So manch ein beladener Wagen fuhr an unserem Fenster vorbei. Es war ein Kommen und Gehen. Selbst wenn auf unserem Hof Pferde aus- und eingespannt oder Kühe oder Schweine aus dem Stall geholt wurden, konnten mein Bruder und ich es beobachten. Auch wie die Ställe ausgemistet wurden und der noch dampfende Mist mit einer Schubkarre auf den Misthaufen gefahren wurde, der sich mitten auf dem Hof befand, konnten wir beobachten. Oft mussten wir dann ganz schnell unsere Fenster schließen. Der beißende Geruch drang durch alle Ritzen.

Ein grün gestrichenes Plumpsklo befand sich genau gegenüber von unserem Fenster. Oben in der Türe war ein Herz ausgesägt. Toilettenpapier hing in kurzen Papierfetzen aus Zeitungspapier an einem rostigen Nagel. Bei Dunkelheit und stürmischem Wetter traute sich so schnell keiner, das besagte Häuschen aufzusuchen.

Wir hatten ja Ferien. Jetzt wurde jeder Winkel und jedes Versteck auf dem Hof erforscht. Mein Bruder und ich fanden es hier schön. Das Wichtigste war, wir brauchten uns vor niemandem zu fürchten, auch wenn der Bauernhof mit der großen Mühle so ganz alleine mitten in Landschaft stand und von Wald und Wiesen umschlossen war. Da hätte uns manch ein Räuber in der Nacht überraschen können. An die fremden Soldaten hatten wir uns schon gewöhnt. Auch wenn sie öfter mit ihrem Jeep hastig mit Vollgas auf unseren Hof fuhren, bewaffnet heraussprangen und alle Räume, Stallungen und die große Scheune durchsuchten. Meine Mutter musste ich dann anschließend suchen, weil sie sich immer noch fürchtete und sich deshalb versteckte. Mein Bruder und ich wussten ja, wo sie sich immer aufhielt, und sagten ihr Bescheid, wenn die Amerikaner weg waren.

Ein schöner warmer Sommertag ließ alles in einem neuen Licht erstrahlen. Da hielt sich auch niemand im Haus auf. Alle, die hier auf dem Hof arbeiteten, waren emsig beschäftigt.

Schweine wurden hinter der Scheune auf eine schattige Wiese getrieben. Dort wühlten und gruben sie mit ihren Rüsseln die Wiese breitflächig um und grunzten so vor sich hin. Ab und zu quiekten sie auch.

Der einzige Fluss, der hier weit und breit zu sehen ist, schlängelt sich wie ein schillernder Silberstreifen durch die Landschaft. Am heutigen Sommertag sah er so friedlich aus.

„Und doch kann er sich zur Zeit der Schneeschmelze oder bei großem Unwetter in einen reißenden Strom verwandeln und alle naheliegenden Wiesen überfluten!“, erzählten uns die Leute, die auf dem Hof arbeiteten. Die hohen Pappeln am Mühlengraben, die nahe am Haus standen, schützten das Haus vor den brennenden Sonnenstrahlen. Ihre Wurzeln waren tief mit dem Erdreich verbunden. Und ihre schillernden Blätter raschelten leise im Wind. Der Sturm hatte da keine Macht, sie aus dem Erdreich zu reißen.

Nicht weit vom Wohnhaus entfernt befand sich ein Garten, in dem ein Bienenhaus stand. Grün bewachsen, kaum zu sehen, aber das gleichmäßige Summen von zahlreichen Bienen war nicht zu überhören. Und über dem grauen Gartenzaun ranken bunte Blumen empor und schmücken den Garten.

Endlich Arbeit für meinen Vater

Wie gut, dass mein Vater Arbeit bei einem Bauern gefunden hatte. Schon längst war er mit seinem reparierten Fahrrad unterwegs. Eine Stunde brauchte er, um dahin zu kommen. Nun würde er nicht jeden Tag nach Hause kommen, spätestens aber am Wochenende. Dann würde er uns erzählen, wie es ihm gefiel und ob ihm die Arbeit bei dem Bauern auch Freude machte. Er kam ja auch vom Bauernhof und kannte sich deshalb auch gut aus.

Aber jetzt hatte meine Mutter auch Sorgen. Es fehlte ihr an Geld, um Nahrungsmittel für uns zu kaufen und neue Kleidung für die Schule. Bisher hatten wir immer noch etwas an Nahrungsmitteln von dem alten Müller und den Angestellten erhalten, aber meine Mutter meinte, dass das nicht so weitergehen könnte. Wir müssten uns selbst mal umsehen und nachfragen. Vielleicht würde uns jemand einen Hinweis geben. Wir waren ja auch nicht die Einzigen, meinte meine Mutter, die auf der Suche nach Essbarem und Arbeit waren.

Einkaufsläden waren schon da, aber die Regale waren fast immer leer. Wenn man sich nicht sehr früh vor die Ladeneingangstür stellte und wartete, bis geöffnet wurde, dann gab es nichts mehr. Aber uns fehlte es an Geld, um etwas zu kaufen. Zudem waren die Läden nur selten geöffnet.

„Alles Probleme“, rief meine Mutter und schaute meinen Bruder und mich an. „Ja, so sieht das jetzt aus“, sagte sie noch und putze sich dabei ihre Nase. Man konnte ihr richtig ansehen, wie traurig sie war.

Ich erinnerte meine Mutter an das, was unsere Oma immer zu so einer ausweglosen Lage sagte: „Jetzt falten wir erst mal unsere Hände und bitten Gott, dass er uns hilft.“

„Ach ja“, gab mein Bruder zur Antwort, „du meinst, wenn wir Gott darum bitten, dann fällt sofort was vom Himmel?“

Über seine Äußerung wurde ich richtig wütend. Am liebsten hätte ich ihm einen Tritt verpassen mögen.

„Was für eine Meinung hast du denn auf einmal? Haben wir jetzt nicht allen Grund, Gott danke zu sagen, dass wir hier friedlich wohnen dürfen? Du hast wohl vergessen, wie es uns vor ein paar Jahren noch ergangen ist. Nein, das stimmt, es fällt nichts vom Himmel, aber unsere Einstellung zu unserer Not kann sich ändern, mein Brüderchen. Ich mache es jedenfalls wie unsere Oma, ich bete und warte auf eine Antwort mit neuen Gedanken, so wie wir es immer getan haben, als wir noch auf der Flucht waren. Da ging es uns wirklich sehr dreckig. Ach, was hatten wir da für eine Angst! Da war kein Mensch, der uns beistehen konnte. Die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen, sie waren alle unterwegs. Aber Gott hatte auf alle gesehen und sie nicht aus den Augen gelassen. Und wie geht es uns jetzt?“, frage ich meinem Bruder.

„Na ja, das kann man so oder so sehen“, flocht mein Bruder ein.

„Nun hört mal mit eurem Geschwätz auf“, mischte sich meine Mutter laut ein. „Ich muss nachdenken“, ergänzte sie leise. „Ich hab‘ eine Idee. Ich werde mich erkundigen, ob es für uns Flüchtlinge eine Hilfe gibt.“

Am nächsten sommerlichen Morgen machte sie sich in aller Frühe auf den Weg zur Stadtverwaltung. Dort gab es einen bestimmten Raum, wo man seine Anliegen vortragen konnte.

Überraschend erfuhr sie, dass jede Flüchtlingsfamilie monatlich eine kleine finanzielle Zuwendung von der Gemeinde erhielt. Und da sie sich noch nichts abgeholt hatte, erhielt sie eine Nachzahlung. Mit dieser frohen Botschaft kam sie nach Hause. Welch eine Freude!

„Na siehst du, was habe ich gesagt? Es stimmt schon, was ich dir gestern berichtet habe. Aber du wolltest ja nicht glauben, dass Gott Gebete erhört. Nun siehst du es selber. Ja, natürlich anders, als wir es uns immer vorstellen“, versuchte ich, meinem Bruder in einem überzeugenden lauten Ton zu erklären.

„Ist ja schon gut. Ich sehe das nur als Zufall an“, gab mein Bruder mir mit einer abweisenden Handbewegung zu verstehen.

„Wie wird das erst meinen Vater erfreuen“, kam mir in den Sinn. Denn er hatte sich schon die ganze Zeit um uns Sorgen gemacht, weil er seine Familie nicht richtig versorgen konnte.

Ein kleiner Lichtblick wurde sichtbar. Hoffentlich würde seine Arbeit bei dem Bauern auch belohnt. Wir hatten auch schon gehört, dass so manch ein Arbeiter auf dem Land für seine Jahresarbeit keinen Lohn erhielt.

Am Wochenende kam mein Vater nach Hause und berichtete uns von seiner Arbeit. Eigentlich eine schöne Arbeit, aber der Bauer teilte ihm eines Tages mit, dass er ihm keinen Lohn geben könnte, wie mein Vater sich erhoffte. Er würde ja bei ihm essen und schlafen, das wäre der Lohn für seine Arbeit. Dann habe sich der Bauer vor meinen Vater gestellt und ihm in einem lauten Ton gesagt: „Ich bekomme von Ihnen die 40 Mark, die Sie von der Gemeinde erhalten. Die gehören mir. Das nennt man Lastenausgleich.“ Dabei schaute er meinen Vater mit ernster Miene an und wollte gehen.

Mein Vater erzählte uns, dass er ihn an den Schultern gefasst und ihn dann zornig angeschrien habe. „Wo waren Sie denn während des Krieges? Und was haben Sie während des Krieges die ganze Zeit getan? Standen Sie auch an der Front und haben Deutschland verteidigt? Oder haben Sie es sich hier gemütlich gemacht?“ Schließlich habe er den Bauern am Kragen gepackt, ihn weiter prüfend angeschaut und, so laut er konnte, geschrien: „Wenn Sie das noch einmal von mir fordern, dann können Sie Ihre Arbeit alleine fortsetzen.“ Dann habe es wohl eine kurze Pause gegeben. Schließlich habe Vater ihn gefragt: „Also, was ist? Sie lassen mich weiterarbeiten und geben mir den versprochenen Lohn oder ich gehe jetzt sofort.“

So wie mein Vater diesen Vorfall berichtete, war der Bauer sehr erschrocken und versuchte, ihn zu beruhigen, indem er im gemäßigten Ton seine Forderung zurücknahm. Ein halbes Brot und einen halben Liter Milch brachte er von nun an für uns am Wochenende mit. Mein Bruder meinte dann immer: „Hoffentlich hat er sich beim Lohnausteilen nicht verzählt!“

So eilte mein Vater Woche für Woche zu dem Bauern, um für ihn die Ernte einzufahren. Manchmal pfiff er ein altes Soldatenlied so vor sich hin und lächelte dabei. Er hatte auf einmal Zeit, sich mit uns zu unterhalten. Und er wollte plötzlich auch wissen, wie es uns in der Schule gefiel. Das fiel mir besonders auf. Auch saß er nicht mehr so traurig und nachdenklich am Tisch. Als meine Mutter ihm erzählte, dass wir jetzt jeden Monat einen kleinen Geldbetrag von der Gemeinde erhielten, war er sehr überrascht und schaute uns alle mit großen Augen an. Und von der Nachzahlung berichtete sie ihm auch gleich. Da konnte er seine Freude nicht mehr zurückhalten und kämpfte mit den Tränen.

Mit dieser Nachricht ging ein Sommertag langsam zu Ende und eine friedliche Abendstimmung breitete sich über unseren Bauernhof aus. „Es wird alles gut“, dachte ich mir. Oma hatte recht, wenn sie sagte: „Ein Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“

Im Sommer gab es auch hier auf dem Bauernhof viel zu tun. Meine Mutter bot an, mitzuhelfen. Zuerst mal wurde das Heu eingefahren, das noch auf der Wiese zusammengerecht werden musste. Sofort war sie dabei, und wir Kinder durften den anderen Arbeitern auch helfen. Mein Bruder und ich standen unsicher herum und schauten zu, wie die anderen es machten. Plötzlich stand eine Frau vor uns, reichte uns beiden je einen Holzrechen und zeigte uns, wie man ihn hält und wie man das gemähte Gras wendet und beiseite recht. Die Sonne sollte es trocknen. Deshalb wurde es immer wieder gewendet. Wir fuchtelten mit unseren Rechen ziemlich ungeschickt herum. Damit wir nicht noch jemand verletzten, stellte man uns hinten an. Eine ältere Frau war immer in unserer Nähe. Sie passte auf, dass wir keine Dummheiten machten, denn wir könnten uns streiten und uns womöglich noch verletzen. Das war bei uns schon möglich.

Die Wirtschafterin für Haus und Garten kam auf meine Mutter zu und fragte sie, ob sie für alle einen Gemüseeintopf kochen könnte. Die Zutaten würden schon in der Küche bereitliegen. Das ließ sich meine Mutter nicht zweimal sagen und eilte nach Hause. Kochen war schon immer ihre Leidenschaft gewesen. Sie freute sich besonders, dass man sie als Fremde und dazu auch noch als Flüchtlingsfrau beauftragte, für alle Arbeiter zu kochen.

Der alte Mühlenbesitzer saß vor dem Haus auf der Bank, die unter dem Fenster stand. Er war zu alt, um noch mitzuhelfen.

„Nanu, Sie sind ja schon wieder da“, begrüßte er meine Mutter.

Sie erzählte ihm, dass sie heute für alle Leute ein Mittagessen kochen sollte.

„Das ist aber eine sehr gute Idee“, antwortete der alte Mühlenbesitzer meiner Mutter. „Auf das Essen freue ich mich jetzt schon. Wenn Sie noch was brauchen, dann lassen Sie es mich wissen. Ich hol alles herbei!“, rief er ihr noch zu und lachte dabei laut. Nachdenklich kratzte er mit seinem Spazierstock zwischen den Pflastersteinen herum.

Die Küche hatte zwei Eingänge. Einmal gelangte man in die Küche, wenn man durch den Hausflur rechts in die große Stube ging. Aber man konnte auch rechts um das Haus gehen und am Ende des Giebels dicht am Mühlengraben ebenfalls in die Küche gelangen. Meine Mutter hatte den Hauseingang gewählt. Sie wollte so schnell wie möglich das Essen für die Arbeiter zubereiten. Eine kräftige Suppe sollte es geben. Das war zwar schön gesagt, aber schwerzutun. Denn als sie die einzelnen Zutaten sah, kam sie ins Grübeln. „Das kann keine gute Mahlzeit werden“, dachte sie sich. „Wo sind das Fleisch und die Knochen für die Suppe?“ Eiligst ging sie zum alten Mühlenbesitzer und fragte ihn, wo das Eingeweckte zu finden wäre. Er ging mit ihr in den untersten Keller und zeigte ihr die spärlichen Vorräte. Sie fand ein großes Glas mit eingewecktem Suppenfleisch. Der alte Mühlenbauer meinte, dass man das Glas jetzt nicht nehmen dürfe.

„Aber wozu ist es dann gedacht?“, wollte sie wissen. Das konnte er ihr auch nicht sagen. Sie nahm das große Glas mit dem Eingeweckten und eilte in die Küche zurück. „Halt, halt, das dürfen Sie nicht nehmen! Das gibt großen Ärger!“, rief er meiner Mutter noch nach, aber sie wollte es nicht hören. Sie stand vor dem Herd und dachte nach. Sobald sie Feuer in dem Herd gemacht hatte, schnippelte und kochte sie alles in einem großen Topf. Dabei schaute sie immer auf die Uhr. Sie würden bald kommen und großen Hunger haben, dann musste das Essen auf dem Tisch stehen. Die kleinen Stücke Rauchwurst und dicke Brotscheiben standen schon für jeden auf dem Tisch in der großen Stube bereit.

„Ein Glück, dass die noch keine Katze entdeckt hat“, dachte meine Mutter.

Wenn sie nach den anfänglichen Vorlagen gekocht hätte, dann wäre alles eine dünne Wassersuppe geworden. Und so beschloss sie, auch noch die Wurststücke in kleine Würfel zu schneiden, sie mit vielen Zwiebeln in der Pfanne zu rösten und sie über die fertige Suppe zu streuen. Für die Arbeiter musste immer ein kräftiges Essen bereitstehen. „Dann kommen sie auch wieder, wenn sie gerufen werden“, würde sie der Haushälterin sagen.

Ein Heuwagen fuhr an der Giebelseite der Scheune zum Abladen vor. Wir Kinder hatten ganz oben Platz genommen und durften uns aber nicht bewegen. Wir könnten sonst abrutschen und auf die Straße stürzen. Mit verschränkten Armen, die wir uns unter den Kopf gelegt hatten, betrachteten wir den blauen Himmel und die kreischenden Schwalben, die über uns dahinflogen. „So hoch sind wir noch nie spazieren gefahren worden“, meinte mein Bruder und schloss die Augen. Der Weg war nicht lang. Jemand half uns, damit wir vom Heuwagen herunterrutschen konnten.

Mit hochrotem Kopf und mutigen Schritten trug meine Mutter das Essen auf den Tisch. Für einen jeden stand ein Teller mit einem Löffel bereit. Nach einer kurzen Wäsche am Hofbrunnen saßen alle an dem großen langen Tisch, dazu auch der alte Mühlenbesitzer und wir Kinder. Still nahm jeder seine Mahlzeit ein. Am Ende war nichts übriggeblieben, und der alte Mühlenbesitzer meinte nur, dass er schon lange nicht mehr so was Gutes gegessen hatte. Die anderen stimmten ihm zu. Nur die Haushälterin zögerte noch ein bisschen. Aber dann sagte sie: „Ja, es war gut.“ Vermutlich war sie mit den Zutaten, die meine Mutter dazugetan hatte, nicht so ganz einverstanden.

Die Heuernte war für uns Kinder das reinste Spielvergnügen. Eigentlich sollten wir das Heu, das ein Greifer nach oben unter die Spitze des Scheunendachs transportierte, richtig unter dem Dach verteilen. Zuerst hatten wir das auch getan und emsig das duftende Heu überall verteilt. Es waren einige Leute mit bei der Arbeit. So fiel es später nicht mal auf, dass wir nicht mehr zu sehen waren. Die Neugier hatte uns gepackt. So balancierten wir über dicke Balken und sprangen von einer Etage auf die andere. Dabei hatten wir richtig Spaß. Es war uns nicht bewusst und wir hatten auch keine Ahnung, dass das für uns gefährlich sein könnte.

Und so kam es, wie es kommen musste: Wir beide schlossen eine Wette ab. Wenn von uns beiden ich zuerst unten war, bekäme ich von meinem Bruder zwei Bonbons, wenn er aber gewann, bekäme er von mir eine Wurstscheibe.

Und schon sausten wir wie der Blitz über mehrere Etagen in die Tiefe, und mit einem lauten Knall sauste ich in die Futterraufe des einen Pferdes, das gerade ausgewechselt worden war. Nicht gerade das rechte Futter für das Pferd! Der Schreck musste so groß gewesen sein, dass es an seiner Kette zerrte und laut wieherte. Mein ganzer Rücken schmerzte und ich konnte mich kaum bewegen. Das Pferd war mir nicht gerade wohlgesonnen. Es legte seine Ohren dicht an und wollte mit seinen Zähnen nach mir schnappen.

Da erschien plötzlich der Bauer im Stall, beruhigte das Pferd und zog mich vorsichtig aus der Raufe. Eine Weile beobachtete er mich, um zu sehen, ob ich mir womöglich was gebrochen hätte. Als er sah, dass mir nichts passiert war, hat er mich verhauen und mich wie ein Huhn nach draußen gescheucht. Der alte Müller saß wie immer auf seiner Bank und sah mich weinend zu sich kommen.

„Ei, Mädchen, was hast du denn gemacht?“, wollte er wissen.

Ich erzählte ihm, was mir passiert war.

Nachdenklich schaute er mich an und hob drohend seine Hand. „Ich will dir mal was sagen: In der Scheune und auch im Stall habt ihr Kinder nichts verloren! Hast du mich verstanden?“ Dabei sah er mich sehr ernst an.

Ich nickte.

Wie aus dem Nichts tauchte meine Mutter auf. Sie hatte das Gejammer von mir gehört. Sie wollte auch wissen, was passiert war. Sie hatte den ganzen Nachmittag in der Küche gearbeitet. Ihr hatte zwar niemand gesagt, dass sie das tun sollte, aber sie hatte gesehen, dass eine gründliche Reinigung nötig war. Jetzt war sie gerade damit fertig geworden und hörte meine Stimme. Und die klang in ihren Ohren nicht gerade fröhlich. Sie schüttelte bei meiner Erzählung nur den Kopf und ging ins Haus zurück. Dann setzte ich mich still neben den alten Müller und wartete auf meinen Bruder.

Am nächsten Tag hatte ich einen grünblauen Rücken. „Na, sei mal zufrieden, dass es nur blaue Flecken sind. Es hätte alles viel schlimmer kommen können“, sagte meine Mutter zu mir.

Der Schrecken, der meinen Bruder und mich so heftig getroffen hatte, war so groß, dass wir am Abend nicht mehr an unsere versprochene Wurstscheibe und die zwei Bonbons gedacht haben.

„Ich hab‘ mich gewundert, weil du auf einmal so schnell verschwunden warst“, sagte mein Bruder und schaute mich dabei fragend an. Ehe ich auf seine Fragen antworten konnte, ging bei uns auf einmal leise die Türe auf und die Haushälterin, die auch die Kühe melkte, kam herein und stellte uns eine Kanne Milch auf den Tisch, dazu vier Eier, die sie gerade aus dem Hühnerstall geholt hatte. Dann ging sie freundlich auf meine Mutter zu und bedankte sich für die Hilfe in der Küche und für das gut geratene Mittagessen. Anschließend bat sie meine Mutter, ob sie vielleicht weiter für einige Zeit das Mittagessen für alle zubereiten würde.

Mutter antwortete ihr: „Sehr gerne würde ich das weiterhin tun, wenn Sie mir die Zutaten dafür bereitstellen würden“.

„Ich werde mich morgen bei Ihnen melden und Ihnen alles zeigen“, gab sie ihr zu verstehen.

Das hat Mutter besonders gefreut. Mit einem Dank hatte sie nicht gerechnet, vielmehr mit einer Rüge. Und nun bat man sie auch noch, das Kochen auf weitere Zeit zu übernehmen. Man konnte ihr ansehen, dass sie mit diesem Auftrag zufrieden war.

So ging auch dieser Tag zu Ende. Als wir zufrieden in unserem Bett lagen, dreht unsere Mutter das matte Licht aus, und die Nacht brachte uns alle tiefen Schlaf.

Das immer wiederkehrende Kikeriki des einzigen Hahns auf dem Hof holte uns schon früh aus dem Schlaf. Von unserem Bett aus konnten wir ihn genau beobachten. Er stand auf dem noch warmen Misthaufen und kratzte mit seinen zwei Hahnenfüßen den Mist auseinander. Dabei fand er Körner und Käfer für sich und seine Hennen. Wenn er was gefunden hatte, dann lockte er so lange, bis eine ganze Reihe Hennen zu ihm flatterte, um das Gefundene aufzupicken. Sein roter Kamm leuchtete heute besonders in der Morgensonne.