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In 46 Kurzgeschichten erzählen Menschen, von denen die Bibel berichtet, ihre eigene und auch eigenwillige Sicht der Geschehnisse, lassen uns an ihren Gedanken und ihren wahren Absichten teilhaben. Und was sie offenbaren, stimmt längst nicht immer mit dem überein, was wir in der Bibel lesen.
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Eckhard Lange
Gegen den Strich - was so noch nicht geschrieben steht
Menschen aus der Bibel erzählen ihre eigene Geschichte
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Inhaltsverzeichnis
Titel
DAS UNVERMEIDLICHE VORWORT
ADAM (1. Mose 3)
EVA (1. Mose 2+3; 1.Timotheus 2, 12-15)
KAIN (1. Mose 4, 1 – 11)
NOAH (1. Mose 6-8)
SARAH (1. Mose 18)
ISMAEL (1. Mose 16, 1-4 und 21, 8-21)
ABRAHAM (1. Mose 22)
ISAAK
ESAU
JAKOB
LEA (1.Mose 29-30)
THAMAR (1. Mose 38)
JOSEPH (1.Mose 39)
BENJAMIN (1. Mose 43-45)
MIRJAM (2. Mose 15, 20-21)
RAHAB (Jos. 2)
SAUL
DAVID (1.Samuel 17)
ABIGAIL (1. Samuel 25)
ABISAG VON SUNEM (1. Kön. 1-2)
AHAB (I) (1. Könige 16, 29-33; 28, 17-40; 19,1-3)
AHAB (II) (1. Könige 21)
VASTHI (Esther Kap. 1)
JONA (Jona 4)
ZACHARIAS (Lukas 1, 5-25. 39-45. 57-68)
MARIA (Matth. 12, 46-50)
NIKODEMUS (Johannes 3)
DIE FRAU AM JAKOBSBRUNNEN (Johannes 4, 1-29)
HERODIAS (Matthäus 14, 1-12)
SALOME (Markus 6, 17 -29)
DER JÜNGLING VON NAIN (Lukas 7, 11-17)
MARIA AUS BETHANIEN (Lukas 10, 38-42)
DER NAMENLOSE JÜNGLING (Matthäus 19, 16-22)
PETRUS (Markus 14)
HANNAS (Johannes 18, 12f)
KAIPHAS (Johannes 11, 46-53)
BARABBAS (Lukas 23)
PILATUS (I) (Markus 15, 1-5)
PILATUS (II) (Matthäus 27, 1-26)
SIMON VON KYRENE (Markus 15,21)
JUDAS (Matthäus 26 + Johannes 13, 21-30)
JOSEF VON ARIMATHIA (Matthäus 27, 57-60)
SIMON MAGUS (Apostelgeschichte 8, 5-25)
LYDIA (Apostelgeschichte 16, 11ff)
JAKOBUS (Galater 2, 9-16)
ONESIMUS (Brief an Philemon)
Impressum neobooks
Die Bibel, auf die sich die folgenden "Selbstzeugnisse" beziehen, ist ein interessantes Buch, das vor allem Glauben bezeugen und Glauben wecken will. Darum ist die Bibel aber oft auch ein "glattgebügeltes" Buch. Generationen von frommen Menschen, von Priestern und Theologen jeglicher Couleur, haben daran gearbeitet, haben die Geschichten durchaus auch kritisch gelesen und auf den eigenen Glauben hin dann neu und vielleicht auch anders erzählt. Das alles hat seinen Sinn und ist wohl auch notwendig, denn nichts ist zeitlos - außer Gott. Aber es reizt deshalb auch, das so Erzählte einmal "gegen den Strich" zu bürsten und zu schauen, was dabei alles herauskommt. Vielleicht sogar neue Wahrheiten, auf jeden Fall aber die Anregung, selbst Fragen zu stellen.
Die Bibel ist Dichtung, Literatur, sogar Weltliteratur - und das nicht wegen der unerreichten Höhe ihrer "Auflagen", sondern wegen des meisterhaften Zusammenspiels von Formen und Inhalten, von Stil und Aussage. Das flößt Ehrfurcht ein, aber eben darum reizt es zugleich, auch diese Anfragen und Hinterfragungen im eigenen Stil zu Papier zu bringen. Ob das damit schon ein wenig Dichtung, ein bißchen Literatur ist, müssen die Leser entscheiden - wenn es denn welche gibt. Und ich hoffe, sie sagen dann jedenfalls "laudanda est voluntas". Den ersten Teil des Zitats übergehe ich lieber. Ein bißchen Stolz muß bleiben.
Ich will ein Loblied auf die Schlange singen!
Erkenntnis hat sie gebracht,
das Wissen um Gut und um Böse.
Was wäre Adam, der Mensch,
ohne die Frucht, die sie ihm empfahl?
Wann wurde das Tier zum Menschen
im Laufe der Evolution,
wann dieser aufrechtgehende Allesfresser
zu einem Ebenbild des Höchsten?
Wann unterschied sich die Krone der Schöpfung
von allen Geschöpfen umher?
Wo ist mein Platz in der Kette des Lebens,
wo wollt ihr Adam verorten?
Ich will es euch sagen:
Nicht durch den lebendigen Odem,
den der Schöpfer mir gab -
den haben sie alle,
die andern Geschöpfe.
Gefühle kennen auch Hund und Hase,
Geräte schuf sich auch der Schimpanse,
lernen kann selbst der Regenwurm.
Zum Menschsein reicht das alles nicht.
Intelligenz ist nicht sein Vorrecht
und auch nicht die Seele,
Produkt vielleicht nur
aus Nervenzellen und -bahnen.
Was den Menschen erst menschlich macht,
was mich Adam werden ließ,
ist dieses allein:
Daß er Böses tut und weiß,
es ist böse.
Grausam sind Tiere auch,
töten und quälen andere Kreatur.
Aber daß dies böse ist,
wissen sie nicht.
Das weiß nur Adam, der Mensch.
Und er allein empfindet Freude dabei,
obwohl er es weiß -
oder auch, weil er es weiß.
Ja, ich preise dich, Gott,
daß du die Schlange erschufst,
klüger als alle Tiere des Feldes,
und, wie ich glaube,
allein zu dem Zweck geschaffen,
daß sie die Frucht uns empfahl,
gewachsen am Baum der Erkenntnis.
Du hättest uns nicht vertreiben müssen
aus deinem Garten,
denn den Baum des Lebens
begehre ich nicht.
Daß Mühsal und Schmerz unser Dasein bestimmen,
will ich gerne ertragen.
Daran reifen wir nur und wachsen.
Aber es tröstet, daß dies alles
nicht ewig dauert,
daß im Tod wir versinken
und daß Schmerzen und Mühsal enden
und auch die Bosheit ihre Zeit hat
und mit uns hinsinkt ins Grab.
Nein, dieses Leben würde uns nur
zur unerträglichen Last,
wenn es ewig währte,
wenn die Jahre verfließen
und die Bosheit sich anhäuft unendlich.
Denn wir kennen nicht nur das Böse,
wir wissen ja auch, was gut ist.
Bewußt ist uns Menschen,
uns Menschen allein,
was der Schöpfung nützt.
Wir kennen ihr Ziel,
den Plan ihres Schöpfers.
Wir kennen den Auftrag,
nach ihm zu handeln,
das Gute in Güte zu verwandeln
und die Güte des Schöpfers
zum Guten werden zu lassen
für all seine Schöpfung
durch unser Tun.
Und wir erkennen doch,
wie vergeblich das ist,
weil wir das Böse kennen und tun.
Nicht das Wissen um das Böse
ist unser Verhängnis,
sondern zu wissen,
was gut ist,
bringt uns Verzweiflung,
macht uns die Freiheit zur Last,
zerstört uns das Leben.
Darum ist es Gnade,
daß wir nicht ewig sind,
sondern sterblich.
Ewig zu leben
angesichts des Guten,
das uns nirgends gelingt,
wäre eine Strafe,
nicht zu ertragen.
Darum preise ich auch den Tod,
Gottes gnädige Gabe
für alle Geschöpfe,
auch für mich,
Adam, den Menschen,
denn er erlöst uns
von aller Erkenntnis,
die uns Freiheit schenkte
und zugleich auch versklavte.
Im Tod ist Vergessen,
ist die Rückkehr zur Erde,
aus der wir genommen,
ist auch Rückkehr zur Unschuld,
wie sie war einst am Anfang.
Doch das Leben dazwischen -
was wäre es ohne das Wissen,
was gut ist, was böse?
Nicht menschlich würde ich es nennen,
nur kreatürlicher Traum,
nur tierisches Dasein.
Allein die Erkenntnis -
ob geraubt im Frevel
oder geschenkt durch die Schlange
im Auftrag des Schöpfers -
allein die Erkenntnis
machte Adam zum Menschen,
zum Ebenbild Gottes,
ein wenig niedriger nur
als seine gewaltigen Engel.
Warum schiebt ihr nur mir alle Schuld zu,
macht nur mich zur Urheberin
von Verdammnis und Sünde?
Was habe ich denn getan?
Und was haben die andern getan -
die Schlange und Adam, der Mann,
und - ja, auch ER, der lebensspendende Schöpfer?
Ich will mich nicht entschuldigen, nein,
ich stehe dazu, was ich tat.
Aber ich fordere Gerechtigkeit ein
für das Weib und das Weibliche.
Allein schon dieses merkwürdige Bild
von der Frau aus der Rippe des Mannes!
Daß es bloß Fantasie ist,
das wißt ihr modernen Menschen seit langem.
Aber was soll sie bedeuten?
Macht sie die Frau zum bloßen Produkt
aus männlichem Sein?
Setzt sie die Rangfolge fest,
die der Frau auf ewig die zweite,
die nachgeordnete Stellung nur zuspricht?
Oder steckt eine andre Absicht dahinter?
Warum denn braucht Adam mich,
die andre und doch die gleiche?
Weil er einsam ist, ja mehr:
weil er hilflos ist alleine.
Und das in jeder Beziehung:
Es mangelt ihm an der Partnerschaft,
denn er braucht das Gespräch.
Reden kann er auch mit den Tieren,
die Gott ihm anbot als seine Gefährten,
und sie antworten auch auf ihre Weise.
Aber sie führen seine Gedanken nicht fort,
sie setzen ihm nichts entgegen,
an dem er sich reiben könnte,
womit er sich auseinandersetzen müßte.
Denn es ist der Widerspruch,
der das Denken erst denkbar macht,
es ist, so wird ein Späterer es einmal sagen,
allein die Antithese, die erst die Synthese schafft:
das Weiterführende, Neue, die höhere Erkenntnis.
Daß Mann und Frau streiten, ist also nichts Böses,
ist keine Niedertracht von diesem und jener,
kein Aufgebot von Verachtung und Haß -
es ist das Zusammenspiel zweier Welten,
die erst im Einswerden Fortschritt erbringen.
Aber auch sonst ist der Mensch hilflos,
wenn er für sich ist:
Adams Kraft allein mag den Acker bezwingen,
die Herde bewachen vor Feinden und Raubzeug.
Aber die Kräfte der Kräuter erkennt er nicht,
die heilende Hand, das tröstende Wort -
sie sind ihm meistens verschlossen.
Doch nur wo sich beides vereint,
wird das Leben in Fülle ermöglicht.
Ich will nicht das eine dem Manne zuordnen
und das andre dem Weibe -
auch Eva kann pflügen und jagen,
kann Häuser bauen und Mauern errichten,
und auch Adam mag lernen,
welch geheime Kräfte diese Welt ihm bereithält.
Das Zusammenspiel ist es auch hier,
das das Leben erst lebenswert macht.
Und - das Zusammenspiel ihrer Körper,
der Drang, sich zu lieben,
das Verschmelzen von Same und Ei -
das erst macht das Leben zum Leben.
Nein, hilflos wäre Adam, der Mensch,
ohne die andre - Eva, das Leben.
So sind wir geschaffen, beide, einander zu helfen,
zusammen nur können wir menschlich erst sein.
Und so haben wir beide, jeder in freier Entscheidung,
die Frucht gegessen von jenem Wunderbaum,
der im Garten Gottes stand.
Warum haben sie allein mir die Schuld zugeschoben,
die Priester und Theologen, all diese Männer,
die glaubten, das Geheimnis zu wissen?
Ich will es euch sagen:
Ich war die erste, die aß.
Ich war es allein, die diese Entscheidung traf,
die den Baum mit anderen Augen ansah,
die Früchte prüfte, ihre Qualität bestimmte,
ihre Schönheit erkannte.
Erst weil ich so entschied,
nahm auch Adam Teil am Geschehen.
Können Männer das nicht ertragen,
daß die Frau voranging, urteilte, wählte,
daß sie allein etwas Neues begann?
Es ist ihr Stolz, den das verletzte,
ihre Eitelkeit, die das verbot.
Darum mußte es falsch sein und Sünde, was Eva tat.
Darum war sie auf ewig schuldig,
weil ein Experiment nicht gelang,
das doch beide wollten.
Nur so blieb der Mann Gott näher, war weniger sündig,
war Mitläufer nur, nie der eigentlich Böse.
Das sollte allein meine Rolle sein - die große Sünderin,
die Verführerin, die den andern hineinzog ins Elend,
die ihn trennte von Gott.
Ja, ich hab es getan,
habe die Frucht gepflückt und gegessen.
Aber ich - ich tat es bewußt,
ich habe - der Schlange sei Dank -
die Konsequenzen gekannt, bedacht und geprüft.
Und ich habe entschieden, das Wagnis zu wagen.
Der Mann aber aß nur, weil ich es ihm gab,
gehorsam und willig und ohne zu denken.
Mit Gott will ich streiten,
ob es unrecht war oder nicht,
ob Vertrauen wichtiger war als Erkennnen,
ob Gehorsam sich für die Menschheit gehörte.
Nur ihm will ich mich beugen,
wenn er mein Tun verdammt.
Aber das Urteil der Männer ist wertlos, ist feige.
Warum hat Adam nicht Nein gesagt,
wo ich ihm die Wahl ließ?
Warum hat er nicht verzichtet,
wo ich mir nahm, was ich wollte?
Warum hat er nur nachgeäfft,
statt selbst zu entscheiden?
Nein - seine Rolle war kläglich
in diesem Spiel um die Macht.
Und das wissen die Männer!
Darum will ich stolz sein auf meine Rolle.
Eva war ich - die erste,
die selbstbewußt war und entschied,
auch wenn es falsch war nach göttlichem Urteil,
und als Mirjam empfing ich das Heil,
um diese Welt wieder zu heilen.
Und auch da - so jedenfalls
behaupten es ja diese Männer,
tat ich es allein, ohne sie - ohne Josef,
den Adam von damals.
Nur der Geist Gottes war mit mir,
so wie er einst schwebte über der Urflut.
Denn ich bin Leben, und in Gottes Auftrag
schenke ich Leben den Männern, den Frauen.
Adam aber ist Erde, und das ist schon alles.
Darum auch will ich nicht schweigen in der Gemeinde,
will ich aufstehn und lehren.
Denn Adam ist gleichfalls der Verführung erlegen,
ist nicht besser als Eva,
ist nicht als erster gemacht,
sondern ist nichts ohne mich.
Nur da, wo wir gemeinsam reden und handeln,
redet und handelt der Mensch,
sind wir Geschöpfe nach göttlichem Willen,
männlich und weiblich
und beide nach seinem Bilde.
Ich habe ihn erschlagen. Na und?
Warum ist es denn so verwerflich,
den Bruder zu töten –
nur weil wir die gleichen Eltern haben?
Wäre es ein Freund gewesen, einer,
der meinem Herzen nahestand,
dann könntet ihr mit Recht mein Tun verwerfen.
Doch was ist schon ein Bruder?
Es ist einer, der dir stets im Wege steht,
mit dem du alles teilen musst –
Spielzeug, Essen, selbst die Liebe noch,
die dir die beiden Eltern schulden.
Er war doch immerzu bereit,
dir alles das zu stehlen,
allein kraft der Behauptung,
er hätte gleiches Blut wie du.
Stets stand er mir im Wege!
„Nimm Rücksicht, Kain. Er ist dein Bruder.“
„Paß auf ihn auf, er ist der Kleine,
du trägst Verantwortung für ihn.“
„Laß ihm den Vortritt, siehst du nicht,
wie unbeholfen er noch ist,
wie zart und ganz auf deine Liebe angewiesen?“
Wie ich das alles haßte – dieses Sorgen,
Behüten, Dulden, Rücksichtnehmen!
Und wie ich bald ihn selber haßte,
der stets an meinem Rockschoß hing:
„Wo gehst du hin? Nimm mich doch mit!“
„Gib mir den Ball, mit dem du spielst!“
„Schenk mir den Stock, den du dir schnitzt.“
„Ich will das haben, was du hast!“
Ja, alles wollte er für sich allein,
nur weil es einmal mir gehörte.
Und dann, zuletzt, da wollte er
auch Gottes Liebe ganz für sich.
Was war denn so bemerkenswert daran,
daß ER, der Himmlische, sein Opfer vorzog?
Nur weil er Fleisch ihm reichte, blutig dampfend,
während ich ihm Früchte darbot,
süß und lieblich schmeckend,
und frischgebackne Brote,
duftend noch und schmackhaft.
Fand nicht Abels Herde bloß ihr Futter,
weil ich sie auf meine Felder ließ?
Sind nicht die Milch, das Fett der Böcke,
im Grunde Früchte meiner Arbeit?
Und doch hab ich es zugelassen,
gab Brot und Wein im Tausch für Milch und Käse,
gewährte seiner Herde Zutritt zu den Brunnen,
die meine Knechte mir gegraben hatten,
um damit Ackerfurchen zu bewässern.
Das alles nur, weil er der Bruder war,
und weil die Eltern mich ermahnten.
Doch hat er es mir gedankt?
Er hat sich vorgedrängt mit seinem Opfer,
wie er sich einst beim Vater angebiedert
und bei der Mutter eingeschmeichelt.
Ja, reden konnte er und Süßholz raspeln!
Nun aber raubte er mir auch den Segen,
den Gott, der andre Vater, uns gewährt,
denn er galt ihm allein und seinem Opfertier.
Ich aber und die Früchte meiner Hände –
wir wurden nicht beachtet:
Warum wachsen Abels Herden Jahr für Jahr,
und mir versagt der Himmlische den Regen,
lässt meine Ernte auf dem Halm verdorren?
Warum ruht sein Auge auf dem Bruder, wohlgefällig,
und sein Blick verdüstert sich bei meinem Anblick?
Ja, das ist der größte Schmerz von allem:
Daß mich auch Gott verlassen hat,
mir Einsamkeit und Nacht beschert,
mir seine Gegenwart entzieht.
Ich hasse Abel – ja! Ich neide ihm
den Segen, der auf seinen Herden ruht;
ich neide ihm den Gott,
der seine Opfer annimmt, meine nicht.
Doch nicht darum erhob ich meine Hand,
um mit dem Bruderblut den Acker mir zu düngen.
Nein, es sollte laut zum Himmel schreien!
Wenn schon mein Opfer dort nicht zählt,
das Blut des Bruders wird das Opfer sein,
das ER, der Himmlische, nicht übersehen kann.
Und wenn er mich nicht lieben kann,
dann werde ich ihm seinen Liebling nehmen,
dann wird mein Haß die Antwort sein,
und mit dem Bruder werde ich ihn selber töten –
den Gott, der mich verlassen hat.
Ich werde mich an seine Stelle setzen,
damit die Dunkelheit in meiner Seele weicht,
werde mich selbst zum Herrn des Lebens machen,
werde jenem Geist des Bösen dienen,
das Tier in mir von seiner Kette lösen.
Dann wird er endlich zu mir reden müssen –
ER, der allzu lange schon geschwiegen hat.
Mag er mich ruhig nun verfluchen –
er kann zu Abels Blut nicht schweigen,
er muß mir endlich gegenübertreten,
muß Rechenschaft mir geben, mir, dem Menschen,
und wenn es mich das Leben kostet.
Hörst du mich, Gott?
Ich habe ihn getötet, meinen Bruder,
damit du endlich, endlich Antwort gibst!
Ja, ich wurde gerettet,
verschont von den Fluten,
weil ich gehorsam war
und die Arche baute
inmitten des Trocknen.
Verspottet von allen -
denn lächerlich war, was ich tat -
schnitt ich die Hölzer fachgerecht zu,
bog Spanten und Kiel,
hämmerte Planken darauf,
kalfaterte sie mit Werg und mit Pech,
brachte Decksbohlen auf
mit Luken und Mast,
baute Kammern hinein
und füllte sie mit Vorrat.
Doch glaubt nicht, was gesagt wird!
Nie hätte ich die Menge der Tiere
in meiner Nußschale
versammeln können.
Auch kannte ich kaum alle Arten,
die der Mensch sich gezähmt hat,
zu schweigen von allem,
was in Wald und Steppe,
in Gebirg und in Wüsten
sich tummelt.
Meine Familie zu retten,
das war mein Ziel,
und mitzunehmen, was wir brauchten
an Saatgut und Zuchtvieh.
Schon so wurde es eng in der Arche.
Glaubt auch das nicht,
daß der ganze Erdkreis
damals versank in den Fluten.
So blieben Pflanzen und Tiere
in ausreichender Zahl
erhalten für später,
auch wenn der Regen
gewaltig herabkam;
auch wenn die Flüsse
zum See sich weiteten,
Schlammassen wälzten
und sturzflutend
alles fortrissen,
alles begruben;
auch wenn das Meer
seinen Spiegel hob
und die Küsten vergaß,
sich ergoß in das Land
mit machtvoller Flut.
Aber das alles wußte ich nicht,
als der Auftrag erging,
die Arche zu bauen.
Ja ich vertraute darauf,
daß sinnvoll war, was unsinnig schien.
Gehorsam war ich, kindlich naiv.
So wehrte ich ab, was die anderen sagten,
kopfschüttelnd, lachend,
höhnend und lästernd.
Doch auch ich fragte mich oft,
ob ich wirklich begriffen,
was der EINE befahl.
Sollte ich nicht eher
die Menschen warnen,
ihnen Wege zeigen,
dem Unheil zu entfliehen?
Sollte ich nicht besser
zur Buße rufen,
zur Besserung mahnen,
um abzuwenden,
was ich für unabwendbar hielt?
Und noch heute frage ich mich zweifelnd:
War das mein Auftrag,
mich selbst nur zu retten
statt zum Retter zu werden
für viele?
Denn als das Unglück hereinbrach,
als die Fluten stiegen
und die Menschen angstvoll
aufs Höhere flohen,
um auch dort zu erkennen,
daß nur erneute Flucht
vielleicht Rettung bringt,
als sie fortgerissen wurden,
schreiend,
vergeblich sich klammernd
an alles, was mit ihnen schwamm,
als sie um Hilfe schrien
und verzweifelt
unsere Arche umschwammen,
sich dorthin zu retten versuchten,
während wir,
genauso verzweifelt,
sie zurückstießen in den sicheren Tod -
da erschrak ich zutiefst
über das, was geschah -
mit den anderen
und auch mit mir:
Schuldig fühlte ich mich
am Elend der andren,
nur mit Schuld beladen
würde ich überleben können.
War es das, was der EINE wollte?
Was da geschah, gewaltig und grausam,
entsetzlich und unbarmherzig,
den Söhnen erklärte ich es,
selber nur zweifelnd,
als den Willen des EINEN.
So habe ich ihnen
den Glauben genommen
an einen gütigen Gott,
den ich doch selbst
sie gelehrt hatte.
Wäre es nicht besser gewesen,
von Katastrophe zu reden
und von der Gewalt der Natur,
die über uns kommt ohne Sinn,
ohne Verantwortung,
nicht haftbar zu machen für ihre Folgen,
denen wir ausgeliefert sind,
hilflos,
als den EINEN ins Spiel zu bringen
und ihn so
zum grausamen Rächer zu stempeln,
zum gnadenlos richtenden Herrn,
statt ihn mitfühlend-hilflos
zum bloßen Zuschauer zu machen,
machtlos vielleicht,
aber dafür gütig und liebend?
Denn wenn es Strafe war
für menschliches Fehlen,
warum traf sie nicht auch uns?
Waren wir besser als jene,
die in den Fluten versanken?
Ja, es stimmt:
Ich war fromm gewesen seit meiner Jugend,
doch was will das schon heißen!
Ich habe Lieder gesungen zur Ehre Gottes
und Opfer gebracht dem EINEN.
Aber war ich dabei besser als all die andern?
Auch ich bin an manchem Bettler
gabenlos vorübergegangen,
weil ich mir gerne
sein Gejammer als Lüge erklärte.
Auch ich habe den Vorteil gesucht
beim Verkauf meiner Waren,
und habe mein Weib nicht immer
von Herzen geliebt.
Mag sein, es waren nur läßliche Sünden,
aber schuldlos, gerecht -
das war ich wohl nie.
Warum also wollte der EINE
nur mich bewahren
für einen neuen Beginn?
Wenn es Gnade sein sollte,
dann war sie unrecht und grausam.
Ja, seine Gnade erst
hat mich schuldig gemacht,
hat mich zum Mörder gemacht
an unzähligen Toten.
Nicht einen habe ich herausgezogen
aus den tödlichen Fluten,
verschlossen hielt ich
die rettende Arche,
taub war mein Ohr für die Schreie
der elend und hilflos Ertränkten.
Inmitten meiner Rettung
wurde ich so wie die andern,
wurde mein Herz böse, gnadenlos, kalt.
Ist es das, was wir lernen sollten,
wir, das Menschengeschlecht?
Auch der scheinbar so Fromme
ist verstrickt in die Schuld,
ja, erst sein Frommsein
macht ihn schuldiger noch
als die andern.
Und dem gnädig Geretteten
wird keine Rettung zuteil,
sondern Schuld aufgehäuft,
unverzeihliche, untragbare Schuld.
Ich habe dem EINEN Opfer gebracht,
damit die Söhne, die Frau ihm Dank sagen konnten,
aber mein Herz schrie vor Verzweiflung
über mich selbst und auch über IHN.
Hätte ich doch nie
diese Arche gebaut,
wäre ich doch ungehorsam geworden
dieses eine Mal,
und wäre ich so untergegangen in der Flut -
ich hätte es angenommen als Strafe,
oder als unerforschlichen Willen,
als freie Tat eines freien Gottes,
der mir nicht Rechenschaft schuldet.
Aber wie soll ich dieses Leben annehmen,
jetzt, da alles vorüber,
jetzt, da meine Schuld unermeßlich geworden
und mein Glaube grundlos und haltlos,
jetzt, da mir nichts geblieben
als Verzweiflung und Furcht?
Ich sehe den bunten Bogen am Himmel,
die Brücke hinüber in eine andere Welt,
die Brücke zu IHM.
Wie gern möchte ich sie betreten,
möchte mich bergen in SEINER Güte,
wie ich es vorher doch konnte -
aber sie wird mich nicht tragen.
Ich weiß es.
Ja, ich habe gelacht,
als die Männer es sagten.
Was verstehen schon Männer
von solchen Dingen!
Doch es war nicht Spott,
nicht das Wissen der Frauen,
das sie Mitleid empfinden läßt
für männliche Dummheit -
es war nur eins:
jene große Bitterkeit im Herzen,
weil das Ersehnte nur Sehnsucht noch war,
das Erbetene unerfüllt blieb für immer.
Ein böses Lachen war es,
ich weiß es,
haßerfüllt gegen alle und alles.
Vielleicht kennt ihr das ja:
Gescheitert schon längst die Hoffnung,
und die Tage dehnen sich endlos,
in denen nichts mehr geschehen wird.
Verdrängt alles Sehnen,
tief verschlossen im Dunklen der Seele,
damit das Dasein nicht unerträglich wird
und das Leben zur Qual.
Vergessen die Wünsche von früher,
weil sie unerfüllt blieben
und bleiben werden in Zukunft.
Es ist wie der Tod:
Er gibt nichts heraus, wo er genommen,
unerbittlich ist die Grenze, die er zieht.
Nur wenn du dich beugst
und seine Macht achtest,
kannst du leben bleiben.
Ja, ich habe gelacht,
um an der Bitterkeit nicht zu ersticken,
denn plötzlich war wieder da,
was verdrängt und vergessen,
die Trauer, der Schmerz,
die vergebliche Hoffnung,
die Tränen der Nacht
und die Gebete,
die niemand erhörte.
Ich habe gelacht,
und erschrak doch selbst
über das Gelächter in mir,
so unendlich trostlos klang es,
verzweifelt und bitter.
Und als die Männer
mich darauf verwiesen,
als sie das Lachen
mir zum Vorwurf machten -
was verstanden sie schon
von den Wünschen einer Frau -
da wollte ich es ungeschehen machen,
denn ich fürchtete mich:
nicht vor ihnen,
aber vor mir selber.
Mein ganzes Leben trat mir vor Augen,
alle die Kränkungen, die ich erfahren
an der Seite des Mannes,
der auserwählt war von IHM,
dem Jenseitigen, Lebensspendenden,
der allein mir das Leben vorenthielt,
ihm verwehrt hat zu wachsen
in mir als der Mutter.
Wenn seinem Samen bestimmt war,
zahlreich zu werden wie die Sterne am Himmel,
warum verschloß er dann meinen Schoß,
verwehrte den Sohn mir
und gewährte ihn gnädig der Magd?
Hatte ich nicht einzig um seinetwillen
das alles erduldet, getragen -
all diese Kränkungen hingenommen,
die meine Seele verletzten?
So war es schon an jenem Tag,
als wir aufbrachen ins Ungewisse,
weil Abraham gerufen wurde.
Mich aber hat niemand gefragt.
Selbstverständlich war es allen,