Gegen Krebs - Harald zur Hausen - E-Book

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Harald zur Hausen

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Beschreibung

Harald zur Hausen ist Nobelpreisträger für Medizin. Er erzählt spannend und unterhaltsam aus seiner persönlichen Sicht, wie ihn eine Idee, die Fachkollegen über Jahre abgelehnt hatten, zum Nobelpreis führte, weshalb er trotz aller Widerstände so lange daran festhielt und wie er seine Theorie schließlich beweisen konnte. Er schildert die Folgen des Nobelpreises für sein Leben, berichtet von den stürmischen Ereignissen rund um die Nobelpreisverleihung und von einer Untersuchung durch die schwedische Staatsanwaltschaft. Zugleich bringt er Klarheit in verzerrte wissenschaftliche Fakten. Kaum ein Wissenschaftler hat sich so vehement gegen jede Kritik dafür eingesetzt, Viren als Auslöser für Krebs ernst zu nehmen und zu erforschen, einen preiswerten Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs herzustellen und weltweit konsequent Impfprogramme, insbesondere für Kinder, durchzusetzen. Vervollständigt wird die Geschichte, die Harald zur Hausen gemeinsam mit Katja Reuter aufgeschrieben hat, durch aufschlussreiche und amüsante Einblicke von Kollegen aus mehreren Jahrzehnten.

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Seitenzahl: 372

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Harald zur Hausen

Katja Reuter

Gegen Krebs

Die Geschichte einer provokativen Idee

Inhaltsverzeichnis

Motto

Vorwort von Harald zur Hausen

Vorwort von Katja Reuter

Nachricht vom Nobel-Komitee

Lehrjahre in Amerika

Labor in den Slums

Krebs und Viren: Stand der Dinge

Philadelphia’s Chromosom

Ohne Experimente keine Erkenntnis

Ein unerwarteter Fund

Einer Idee auf der Spur

Mein eigener Herr

Die falsche Spur

Mit dem Rücken zur Wand

Der Wert der Ungewissheit

Afrika – auf der Suche nach Forschungsmaterial

Der genetische Schlüssel

Herausforderung und Erfolg

Der Durchbruch

Der Zeitraffer-Effekt

Ein schwerer Gang

Von der Wissenschaft zum Impfstoff

Doppelleben – Wissenschaftler und Manager

Kontraste der Kulturen

Verschenkte Jahre

Der Nobelpreis und seine Folgen

Dunkle Wolken über der Nobelpreisverleihung

Nachspiel und Aufklärung

Anhang

Wegmarken der Forschung

Fachwortglossar

Kurzbiographien

Danksagung

Professor Dr. Harald zur Hausen

Preise und Auszeichnungen

Bildnachweis

Für alle Wissenschaftler,

die originelle Ideen verfolgen,

und jene,

die dazu ermutigen.

Vorwort von Harald zur Hausen

In diesem Buch erzähle ich gemeinsam mit Katja Reuter eine Entdeckungsgeschichte. Es ist die Geschichte von einer Idee, die zu einem wesentlichen Projekt meines Lebens wurde. Diese Idee überfiel mich nicht als Geistesblitz, sondern war eher das Ergebnis sorgfältiger und verhältnismäßig langfristiger Überlegungen. Ende der 1960er Jahre kam mir der Gedanke, dass Mitglieder einer bestimmten Virusfamilie, der Papillomviren, beim Gebärmutterhalskrebs – weltweit betrachtet immer noch die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen – eine Rolle spielen könnten. Das war damals eher eine unpopuläre Idee, und es kostete meine Mitarbeiter und mich viele Jahre Forschungsarbeit, bis wir die Richtigkeit dieser Idee beweisen konnten.

In dieser Zeit plagten zumindest einige meiner Mitarbeiter Zweifel, ob wir uns wirklich das richtige Thema ausgesucht hatten. Dabei waren es wohl vor allem die spärlichen positiven Hinweise, die uns aufzeigten, dass wir trotz des einen oder anderen Irrtums auf dem richtigen Weg waren. Mich plagten diese Zweifel weniger, ich verspürte vielmehr eine große Ungeduld, dass wir nicht rascher vorankamen. Nur mit Ausdauer und Durchhaltevermögen gelang es uns schließlich, unser Ziel zu erreichen.

In all diesen Jahren stand der Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen, Viren und anderen Infektionen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Um diesen Zusammenhang zu belegen, untersuchten wir nicht nur Papillomviren, sondern auch zahlreiche andere Virus- und Krebsarten. In diesem Buch konzentrieren wir uns jedoch auf die Geschichte um Papillomviren und Gebärmutterhalskrebs, die letztlich zum Nobelpreis führte.

Wir haben dieses Buch für naturwissenschaftlich und biographisch interessierte Leser geschrieben, die sich für die Motive und Herausforderungen von Wissenschaftlern in ihrem Arbeitsalltag, aber auch für die weniger glanzvollen Seiten der Forschung, die oft im Dunkeln bleiben, interessieren. Dies Buch ist für jene, die verstehen wollen, warum der Weg von einer Idee zum handfesten Beweis einer Theorie und – in diesem Fall – zu einer Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs Ausdauer und Hartnäckigkeit erfordert.

Unsere Herausforderung bestand darin, notwendige wissenschaftliche Hintergründe zu erklären und gleichzeitig eine Geschichte zu schreiben, die für den interessierten Laien verständlich und unterhaltsam ist. Unsere fachlich vorgebildeten Leser bitten wir daher um Nachsicht, sollten ihnen die wissenschaftlichen Informationen an einigen Stellen zu vereinfacht erscheinen. Laien bitten wir darum, von Fall zu Fall im Glossar Fachbegriffe nachzuschlagen.

Allerdings ist dieses Buch kein Geschichtswerk. Es erhebt nicht den Anspruch, vollständig zu sein und alle Wissenschaftler, wissenschaftlichen Beiträge und Sichtweisen jener Zeit zu berücksichtigen, die auf die eine oder andere Weise mit dieser Geschichte verbunden sind und anderen womöglich erwähnenswert erscheinen mögen. Diejenigen Forscherkollegen, auf die das zutrifft, bitten wir um Verständnis. Es sind nicht nur einige Mitarbeiter und Kollegen, die in diesem Band nicht ausführlich genug oder – soweit sie an anderen Forschungsthemen gearbeitet haben – gar nicht erwähnt werden, sondern auch die Mitglieder meiner Familie, die hier nicht zu Wort kommen. Ich habe mich bemüht, persönliche Aspekte, soweit möglich, nicht einzubeziehen. Dies kann nicht ganz für meine Frau, Ethel-Michele de Villiers, gelten, die früher als Mitarbeiterin, später als Abteilungsleiterin im Deutschen Krebsforschungszentrum und Professorin an der Universität Heidelberg an einer Reihe der hier geschilderten Aktivitäten wesentlichen Anteil hatte.

Mein persönlicher Dank gilt hier auch in besonderer Weise meiner Mitautorin Katja Reuter. Ohne ihren Enthusiasmus, ihren Arbeitseinsatz, ihre Geduld mit den Korrekturen erster Entwürfe, ohne ihre zahllosen Mahnungen, die bei mir und vielen anderen, die Beiträge geliefert haben, eingingen, wäre dieses Buch nicht zustande gekommen.

Da es sich vorrangig um meine persönlichen Erinnerungen handelt, liegt es darüber hinaus in der Natur der Sache, dass einige Kollegen die hier beschriebenen Ereignisse womöglich anders wahrgenommen haben und geschildert hätten. Wir haben den Versuch unternommen, hier und da auch Kollegen zu Wort kommen zu lassen und ihre Sicht auf die Dinge zu schildern, um die Darstellung der Ereignisse zumindest im Ansatz zu vervollständigen. Inwieweit uns das gelungen ist, werden unsere Leser entscheiden.

Viel Vergnügen wünscht

Ihr

Vorwort von Katja Reuter

«Er wird dir nichts Persönliches von sich preisgeben», warnten mich Kollegen, als ich im Winter 2007 erstmals von der Idee erzählte, Harald zur Hausen in einem Porträt darzustellen. Er war dafür bekannt, Privates für sich zu behalten. Eine Einladung zu einem Radiointerview hatte er zum Beispiel nur deshalb abgelehnt, weil er um die Angabe seiner Lieblingsmusikstücke gebeten worden war, die während der Sendung eingespielt werden sollten.

Als ich dann in seinem Büro saß und fragte, ob er mir ein Interview geben würde, in dem es nicht nur um seine Forschung gehen sollte, sondern auch darum, wie er zu dem Wissenschaftler geworden ist, der er heute ist, und was ihn dazu bewogen hat, auch gegen Widerstände über Jahre an seiner Idee festzuhalten, überraschte er mich: «Sie dürfen mich alles fragen», sagte er. «Ich bin jetzt 72Jahre alt und in einem Alter, wo man die Dinge nicht mehr so eng sieht. Ich kann meine Geschichte getrost erzählen.» Eine Geschichte, die bis zum Nobelpreis führte, was wir jedoch zu jener Zeit noch nicht wussten.

Bei unserer ersten Begegnung war ich aufgeregt und sehr darauf bedacht, mir erst einmal ein Bild von Harald zur Hausen zu machen. Seine ruhige, zurückhaltende Art mochte ich sofort an ihm. Eine der größten Herausforderungen beim Schreiben dieser Geschichte bestand für mich darin, Harald zur Hausens schlichte und sachliche, auf Fakten konzentrierte Betrachtungsweise mit den Anforderungen des Verlags nach «nicht zu viel Wissenschaft» in Einklang zu bringen. Werner Henle, einer seiner ehemaligen Chefs, schrieb 1986: «Es ist Harald zur Hausens Markenzeichen, nicht ein einziges überflüssiges Wort zu verwenden und jeden Punkt klar zu fokussieren.» Es geht Harald zur Hausen vor allem um die Sache. Selbst wenn er Anekdoten aus seinem Leben erzählt, führt ihn das meist zurück zu dem Thema, das ihn am meisten bewegt: die Krebsforschung, die bisherigen Ergebnisse und was noch zu tun ist. Ein Großteil seines Denkens und Fühlens kreist um die Forschung.

Für mich ist diese Geschichte vor allem deshalb so außergewöhnlich, weil Harald zur Hausen nicht nur von den Errungenschaften berichtet, sondern auch die Schwierigkeiten schildert und erzählt, wie er mit den Hindernissen umgegangen ist. Sein Berufsweg, so wird dabei deutlich, verlief keineswegs so geradlinig, wie es vielleicht auf den ersten Blick den Anschein hat.

Mich interessierte dabei besonders die Frage, was Wissenschaftler wie Harald zur Hausen ausmacht, die durch originelle Denkweisen die gängige Lehrmeinung eines Fachgebiets herausfordern und an ihrer Hypothese festhalten, bis sie diese bewiesen haben. Ist das Mut oder Besessenheit, Risikobereitschaft oder gar Streitlust? Die eigenen Ideen gegen Widerstände zu vertreten und weiterzuverfolgen, ist immer eine Herausforderung, ob man Wissenschaftler ist oder nicht. Harald zur Hausens Geschichte hat mir verdeutlicht, dass das Vertrauen in die eigenen Ideen und Entscheidungen grundlegend ist und dass man sich, so gut es geht, von dem, was andere möglicherweise über einen denken oder sagen, distanzieren muss, um seinen eigenen Weg zu gehen.

Diese Geschichte erinnert aber auch daran, dass Freiraum und Unterstützung für originelle, scheinbar richtungslose Ideen unersetzlich sind, denn – so sehr wir uns auch bemühen – zukünftig möglicherweise wertvolle Entdeckungen der Grundlagenforschung entziehen sich der besten Planung. Heute ist Forschung stärker als je zuvor in der Pflicht, zum Allgemeinwohl der Bevölkerung beizutragen, denn die Anzahl konkreter Verbesserungen auf der Grundlage von Forschungsergebnissen ist nicht im gleichen Maß gestiegen wie das zunehmende Wissen über grundlegende Prinzipien von Krankheitsprozessen. Translationale Forschung heißt daher die derzeitige Forderung: die Umwandlung von Erkenntnissen der Grundlagenforschung in klinische Studien beim Menschen hin zu konkreten Verbesserungen zum Wohle des Menschen. Die Geschichte um Harald zur Hausens Idee und Papillomviren verdeutlicht einige der Hindernisse, die Wissenschaftler bei diesem Transfer umschiffen müssen. Gleichzeitig zeigt sie aber auch, dass er möglich ist.

Das Schwerste an Ideen, so heißt es nicht umsonst, ist nicht, sie zu haben, sondern zu erkennen, ob sie gut sind, und sie umzusetzen. Für mich persönlich ist es wichtig, dass die Geschichten dazu auch erzählt werden.

Nachricht vom Nobel-Komitee

In der Nacht nach der Mitteilung, ich würde den Nobelpreis erhalten, schlief ich unruhig. Erinnerungen an den Tag beherrschten meine Gedanken.

Kurz vor elf Uhr morgens, am 6.Oktober 2008, hatte das Telefon im meinem Büro im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) geklingelt. Als ich eine Stimme mit schwedischem Akzent hörte, war mir sofort klar, worum es hier gehen würde, zumal ich auf der Fahrt zum Institut durch die Radiomeldungen daran erinnert worden war, dass an diesem Tag der Nobelpreisträger für Medizin 2008 verkündet werden würde. Irgendwie hatte ich doch im Stillen darauf gehofft, dass es mich «erwischen» könnte.

«Dr. zur Hausen», sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, «this is Hans Jörnvall from the Nobel Foundation. I have good news for you. You will be the Nobel-Laureate for Physiology or Medicine 2008.Congratulations!» Einen Moment lang wusste ich nichts zu sagen, bevor ich reagieren konnte und mich für die gute Nachricht bedankte. Das Komitee der Nobel-Stiftung hatte entschieden, den Nobelpreis für Medizin 2008 hälftig den französischen Aids-Forschern Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier und mir zu verleihen. Barré-Sinoussi und Luc Montagnier bekamen den Preis als Auszeichnung für die Identifizierung des HI-Virus, des Auslösers der Immunschwächekrankheit Aids.

Mir war in den späten 1960er Jahren die Idee gekommen, dass Warzenviren, auch Papillomviren genannt, Gebärmutterhalskrebs auslösen können, mit der ich allerdings keine offenen Türen einrannte, ganz im Gegenteil. Ich brauchte mehr als zehn Jahre, um die Richtigkeit dieser Idee zu beweisen, was letztlich mit Unterstützung vieler talentierter Mitarbeiter gelang.

Natürlich verspürte ich eine gewisse Aufregung, die ich aber rasch kontrollieren konnte. Hans Jörnvall bat mich, vor Ablauf der nächsten Dreiviertelstunde mit niemandem darüber zu sprechen, denn offiziell sollten die Namen der Preisträger erst um halb zwölf in Stockholm verkündet werden.

Nachdem ich aufgelegt hatte, wählte ich ohne Zögern die Nummer meiner Frau Ethel-Michele. Sie saß im Flugzeug nach Buenos Aires, wo sie eine Begutachtung für die Weltgesundheitsorganisation durchführen wollte. Ich konnte sie gerade noch erreichen, während die Maschine zur Startbahn rollte, um ihr zu sagen, was für mich selbst noch ein ungewohnter Gedanke war. Als eine Stewardess drohte, ihr das Telefon aus der Hand zu nehmen, erklärte ihr meine Frau, ihr Mann hätte ihr soeben mitgeteilt, dass er den Nobelpreis erhalten würde. Die Stewardess reagierte liebenswürdig und sagte: «Gut, dann habe ich hier nichts gesehen.»

Ich hatte noch eine gute halbe Stunde bis zur offiziellen Bekanntgabe. Der Nobelpreis verändert das Leben, das ahnte ich. In einigen Minuten würde das auch für mein Leben gelten. Das Telefon klingelte erneut. Es war mein Bruder Manfred. Jetzt wusste ich, dass Ethel-Michele ebenso wie ich das Embargo gebrochen hatte. In kurzen Abständen meldeten sich jetzt auch alle anderen Verwandten.

Dann schlug die Uhr halb zwölf, und für den Rest des Tages befand ich mich in einer Art Ausnahmezustand, so als würde mir mein Leben nicht mehr gehören. Ich wurde mit Gratulationswünschen und Interviewanfragen überschüttet. Zu einer spontan organisierten Feier kam eine überwältigende Zahl von Mitarbeitern des Deutschen Krebsforschungszentrums. Eine junge Frau hielt lange meine Hand und sagte bewegt: «Es ist das erste Mal, dass ich einem Nobelpreisträger die Hand schütteln darf.»

«Spüren Sie auch den Unterschied?», erwiderte ich etwas trocken.

Dennoch waren es sicher diese Momente – einige Mitarbeiter gratulierten mir zum Teil mit Tränen in den Augen–, die mich mehr als vieles andere rührten.

Viele Reporter fragten mich an diesem Tag, ob sich mein Leben durch den Nobelpreis verändern würde. Obwohl ich wusste, dass der Preis das eigene Leben für eine gewisse Zeit regelrecht auf den Kopf stellt, erklärte ich, dass ich beabsichtige, so schnell wie möglich wieder zum «Normalzustand» zurückzukehren. Meine Antwort fand ungläubige Blicke und erwies sich dann auch als Trugschluss. Innerhalb weniger Tage trafen Tausende von Gratulations-Briefen und -E-Mails aus aller Welt ein, die ich selbst mit einer mir vom DKFZ-Vorstand genehmigten zweiten Sekretärin nicht alle beantworten konnte. Einige Reaktionen waren durchaus überraschend, zum Beispiel ein Anruf der Bischofskonferenz, mit der Frage, welcher Konfession ich denn angehöre. Als ich der Sekretärin erklärte, ich hätte gar keine Konfession, war sie offensichtlich irritiert und beendete rasch das Telefonat.

In den Wochen vor der Nobelpreisverleihung nahm ich unter anderem eine Einladung der marokkanischen Prinzessin Lalla Salma für meine Frau und mich zu einer Veranstaltung über Papillomviren und Gebärmutterhalskrebs an. Während dieses Aufenthalts lud uns die Prinzessin, eine sehr charmante und sprachgewandte Frau, auch zu einem Essen in ihr Palais ein. In einer Art Wintergarten wurde uns ein köstliches arabisches Essen mit einer Vielzahl von Gängen serviert. Als Tischnachbar der Prinzessin hatte ich ausgiebig Gelegenheit, mich mit ihr zu unterhalten, wobei sie sich vor allem für die Krebsbekämpfung und die dazu nötige Aufklärung der Bevölkerung interessierte.

Kurz darauf flog ich nach Bangkok, Thailand. Princess Chulabhorn hatte mich bereits Anfang des Jahres zu einer Besichtigung des neugegründeten Krebsspitals und einem Abendessen in ihr Palais eingeladen. In Bangkok war ich seit zwei Jahren Beirats-Mitglied der Nationalen Forschungseinrichtungen. Ich wurde mit Jubel empfangen. Junge Damen der Administration überreichten mir ein Bild, das mich auf einer früheren Schiffsreise bei Phuket zeigte, signiert mit den Unterschriften und Glückwünschen der meisten Mitglieder der Verwaltung.

Am nächsten Tag besichtigte ich das neueingerichtete Hospital der Prinzessin, ein modernes Krankenhaus, vor allem für Krebspatienten, mit großzügiger technischer Ausstattung. Mir zeigte dieser Besuch, welchen Wert Thailand auf eine erstklassige medizinische Versorgung legt, auch wenn ich hier nur einen kleinen Ausschnitt der Aktivitäten zu Gesicht bekam.

Während meines Bangkok-Aufenthalts spitzte sich die politische Situation in Thailand zu: Gegner der dem früheren Ministerpräsidenten Thaksin wohlgesinnten Regierung forderten lautstark deren Absetzung – offenkundig mit unverhohlener Unterstützung des Militärs. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, besetzten sie sowohl den nationalen wie auch den internationalen Flughafen und blockierten den gesamten Flugverkehr. Auch einen Tag vor meiner geplanten Rückreise hatte sich die Lage noch immer nicht entspannt. Solch eine Verzögerung hätte mich sonst vielleicht nicht so in Aufregung versetzt, aber für mich stand die Teilnahme an der Nobelpreisverleihung auf dem Spiel, die kurz darauf in Stockholm stattfinden würde. Ich hatte keine Ahnung, wie lange die Blockade noch anhalten würde. Mit einem flauen Gefühl im Magen ging ich zum Abendessen in das Palais der Prinzessin.

Prinzessin Chulabhorn hatte etwa 20Würdenträger thailändischer Universitäten und Forschungseinrichtungen eingeladen. Als wir uns an die festlich geschmückte Tafel setzten, nahm die Prinzessin ohne Vorwarnung ein Mobiltelefon aus ihrer Handtasche und telefonierte für die nächsten 20Minuten, ohne dass ich als ihr Tischnachbar auch nur ein Wort verstand. Zugegeben, ich fand ihr Verhalten ziemlich ungewöhnlich und fragte mich, ob das Telefonieren am Tisch in Thailand ebenso unhöflich ist wie in Deutschland. Alle warteten wir in der Zwischenzeit auf die Beendigung des Telefongesprächs, ohne die aufgetischten Speisen dabei auch nur anzurühren.

Plötzlich legte Prinzessin Chulabhorn auf, wandte sich zu mir und sagte: «It is settled». (Es ist geregelt). Sie erklärte mir, dass sie mit ihrem Bruder, dem Kronprinzen, gesprochen habe und er mich am nächsten Tag gemeinsam mit dem dänischen Thronfolgerpaar nach Singapur fliegen würde. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich bedankte mich überschwänglich und genoss erleichtert den Rest des Abends.

Begleitet von einer Militäreskorte kam ich am nächsten Tag auf dem Militärflughafen an. Hier waren zwar weder der Kronprinz noch das dänische Thronfolgerpaar anwesend, dafür aber der dänische Außenminister mit Frau und Entourage, ein deutscher General, der im Auftrag der deutschen Regierung in Kambodscha die Munitions- und Minenvernichtung überwachte, und die Frau des thailändischen Militärattachées in Singapur. Das Flugzeug des Königs war eine üppig ausgestattete Boeing 737, mit der uns Offiziere der Luftwaffe nach Singapur flogen. Bereits in Bangkok hatte ich einen anschließenden Flug von Singapur nach Frankfurt reserviert, sodass ich zur großen Erleichterung meiner Frau, Kinder und Geschwister noch rechtzeitig nach Deutschland zurückkehrte.

Am 5.Dezember 2008 kam ich dann gemeinsam mit Ethel-Michele und ihrer Schwester Ingrid in Stockholm-Arlanda an. Direkt am Ausstieg des Flugzeugs erwarteten uns Kristina Mattisson, eine der Sekretärinnen des Auswärtigen Amts in Stockholm, die uns als Begleitung für die Zeit in Schweden zugeteilt war, und Hans Jörnvall, die uns in einem eleganten Volvo-Pullman zum VIP-Eingang des Flughafens brachten. Vorbei an Bäumen aus Kunstblumen gingen wir zum VIP-Warteraum, wo wir Tee tranken, während unsere Pässe überprüft und unser Gepäck durch den Zoll gebracht wurden. Schließlich chauffierte uns ein Fahrer der Nobel-Stiftung zum Grand Hôtel, einem alten Prachtbau, vis-à-vis dem Königsschloss.

Im Hotel war man auf den Empfang der Nobelpreisträger eingestellt. Wir wurden überaus liebenswürdig vom Personal und den Damen an der Rezeption begrüßt. Keine Spur von Hektik oder Aufregung, wie ich sie in den vergangenen Wochen erlebt hatte. Aber schließlich wiederholte sich dieses Schauspiel für die Hotelangestellten auch jedes Jahr.

Im Hotelzimmer fanden wir etliche Einladungen und offizielle Anleitungen, was in den nächsten Tagen auf dem Programm stand, wo wir erscheinen sollten und welche Garderobe wir dafür brauchten.

Ethel-Michele und ihre Schwester Ingrid beschlossen, die Geschäfte in der Nähe des Hotels zu erkunden. Ich hatte eine Verabredung mit dem Reporter Carl-Olof Börjeson vom Journal Santé und traf mich mit ihm in der Lobby des Hotels. Über eine Stunde stellte er mir die üblichen Interviewfragen, die ich in den vergangenen Wochen mehr als hundertmal beantwortet hatte.

Als ich ins Zimmer zurückkam, waren Ethel-Michele und Ingrid noch unterwegs. So nutzte ich die Zeit, mich auf meine Rede beim Nobel-Bankett vorzubereiten. Luc Montagnier war in der Vorbereitungsphase der Nobelpreisverleihung anscheinend schwierig zu erreichen gewesen, woraufhin das Nobelkomitee mich gebeten hatte, eine kurze Dankesrede für unseren Nobelpreis zu halten. Ich dachte an Hanna, meine dreijährige Enkeltochter, wie sie geweint hat, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Großvater den Nobelpreis bekommen würde. Mit Tränen in den Augen hatte sie erklärt, sie wolle diesen Preis auch haben. Als ich später einem Kollegen davon erzählte, meinte dieser nachdenklich, meine Enkelin habe wohl vielen Forschern aus dem Herzen gesprochen, allerdings mit dem Unterschied, dass Wissenschaftler üblicherweise nicht in der Öffentlichkeit weinen und diesen Wunsch nur allzu ungern zugeben.

Meine Rede sollte nicht länger als etwa fünf Minuten dauern und in geeigneter Weise den Dank der drei Preisträger zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig wollte ich aber auch etwas Persönliches einflechten. Ich dachte darüber nach, wie alles angefangen hatte, und stellte fest, dass es gar nicht so leicht war, den Beginn dieser Entdeckungsgeschichte auf eine einzige Begebenheit festzulegen. Ernsthaft hatte ich damals, als alles mit einer Idee begann, nicht daran gedacht, dass daraus eine Entdeckungsgeschichte entspringen würde, die eines Tages den Nobelpreis erhalten würde.

Lehrjahre in Amerika

Labor in den Slums

Zweifelsohne ereignete sich die erste schicksalhafte Wendung für mich, als ich 1965 im Düsseldorfer Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene arbeitete und von einem Brief aus Philadelphia erfuhr. Ich hatte Medizin studiert und war nach meiner Zeit als Medizinalassistent voller Hoffnung gewesen, im Düsseldorfer Institut endlich wissenschaftlich arbeiten zu können. Ich wollte Probleme aufdecken, die etwas mit Krebs zu tun haben, und gab mir alle Mühe zu lernen, wie man Zellen künstlich in Kulturbehältern vermehrt. Ich dachte mir, wenn ich dazu erst einmal in der Lage wäre, müsste ich die Zellen nur noch mit bestimmten Viren infizieren und könnte dann herausfinden, ob sich Zellen nach einer Virusinfektion zu Krebszellen verändern.

Meine etwas unglückliche erste Wahl fiel auf Pockenimpfviren (Vaccinia-Virus), in der Hoffnung, diese Viren würden Brüche im Erbgut der Zellen auslösen. Zwar genoss ich die Freiheit, eher unbeaufsichtigt meinen Ideen nachgehen zu können, andererseits hätte mich die wohlwollende Kritik eines erfahrenen Wissenschaftlers sicher vor einigen Irrtümern und wilden Spekulationen bewahrt. Ging ich gelegentlich mit meinen wissenschaftlichen Plänen zu Walter Kikuth, dem Institutsleiter, um mich von ihm beraten zu lassen, dann hörte er geduldig zu und endete immer mit der gleichen Bemerkung: «Nöch, das klingt ja janz juut und interessant, machen See’s mal.» Vielleicht hielt er sich bei diesen Gelegenheiten für einen Förderer junger Wissenschaftler, denn ernsthafte Kritik kam von ihm nie.

[Bild vergrößern]

1965 im Düsseldorfer Institut bei einer Feier anlässlich der Geburt meines Sohnes Jan Dirk

Wir saßen gerade beim Mittag, als ich hörte, unser Chef habe einen Brief von Werner Henle aus Philadelphia erhalten. Henle suche nach geeigneten deutschen Mitarbeitern für sein Forschungsprogramm. Der Name Henle war mir geläufig – nicht nur weil sein Großvater, Jakob Henle, in jedem Medizinbuch zu finden war – er hatte die Henle’sche Schleife der Nierenkanälchen entdeckt. Auch Werner Henle war mir ein Begriff. In der Vorkriegszeit war er wegen seiner jüdischen Familienwurzeln der Diskriminierung ausgesetzt und daraufhin mit seiner Frau in die USA emigriert. Ich wollte diesen Brief unbedingt lesen. Allerdings hatte mein Kollege Adalbert Lange, dem Kikuth diesen Brief überlassen hatte, ihn bereits weggeworfen, weil sich nach seiner Meinung sowieso niemand dafür interessieren würde. Ich lief zurück zum Labor und durchsuchte die Papierkörbe, die nach Adalberts Beschreibung in Frage kamen. Glücklicherweise fand ich den Brief und schrieb noch am gleichen Tag an Werner Henle.

In seiner Antwort, auf die ich ungeduldig wartete, schrieb Werner Henle mir, er und seine Frau Gertrude würden im Sommer nach Heidelberg reisen, und wir sollten uns dort am 8.Juni treffen. Von diesem Moment an waren meine Tage in Düsseldorf gezählt.

An einem schönen Sommertag traf ich die Henles 1965 im Heidelberger Europäischen Hof. Kaum hatte ich mich gesetzt, plauderte Gertrude Henle auf mich ein. Sie erzählte mir begeistert vom Epstein-Barr-Virus, das vor kurzem entdeckt worden war. Anscheinend ließ es sich in Zellen des Burkitt-Tumors nachweisen, was wohl besonders aufregend war. Damit sei ihrer Meinung nach dieses Virus die heißeste Spur seit langem für die Verbindung zwischen Viren und Krebs beim Menschen. Ich nickte eifrig. Noch nie hatte ich von diesem Virus gehört oder gelesen, geschweige denn von diesem Tumor, doch fand ich ihre Schilderungen faszinierend. Sobald ich zurück im Labor sein würde, wollte ich herausfinden, wovon sie eigentlich redete. Die Henles erklärten mir weiter, sie würden mich über eine NCI-Förderung finanzieren. So froh ich darüber auch war, konnte ich mir auf diese Abkürzung keinen Reim machen. Offenkundig entsprach ich den Erwartungen der Henles, und so vereinbarten wir, dass ich zum Jahresbeginn 1966 in Philadelphia anfangen würde.

Ich verließ Düsseldorf nicht ohne Wehmut. Freunde, Bekannte und auch meine Kollegen würde ich bestimmt vermissen. Nach dem morgendlichen Arbeiten im Labor hatten Wilfried Mohrmann, Friedrich Pott und ich oft gemeinsam Mittag gegessen, dann Kaffee getrunken und nach unserer Rückkehr ins Institut eine halbe Stunde Skat gespielt. Damals nahmen wir uns dafür noch Zeit.

Der Flug am 29.Dezember 1965 nach Philadelphia war mein erster Flug überhaupt. Werner Henle hatte mir das Geld für das Flugticket vorgestreckt. Er war sehr sparsam, soweit es seine deutschen Mitarbeiter betraf. Von meinem Jahresgehalt, das 8500Dollar betrug, musste ich die 1000Dollar Flugkosten über die nächsten zehn Monate zurückzahlen.

Nach einer Zwischenlandung in Boston dauerte die Zollabfertigung in Philadelphia länger, als ich erwartet hatte. Ich war müde und hatte nicht bemerkt, dass das Flugzeug gut eine Stunde zu früh in Philadelphia gelandet war. Es war ausgemacht, dass mich Jeanie Knickerbocker, die bei Werner Henle als technische Assistentin arbeitete, und seine Sekretärin, Beverly Thompson, vom Flughafen abholen und in mein vorläufiges Quartier, den Drexelbrook Club in Upper Darby, bringen. Nachdem ich die Zollkontrollstelle passiert hatte, erwartete mich jedoch niemand. Über 20Minuten stand ich im Flughafen herum – mir war noch immer nicht aufgefallen, dass ich zu früh dran war. Ich entschloss mich zu handeln und ging zum Yellow-Cab-Taxistand. Ich wusste nicht recht, wie ich es anfangen sollte, als ich vor dem Taxifahrer stand. Mit den wenigen englischen Worten, die ich kannte, bat ich ihn, mich nach Upper Darby zum Drexelbrook Club zu bringen. Zu meiner Bestürzung verstand er mich ebenso wenig wie ich ihn. Auch meine weiteren Erklärungsversuche halfen nicht. Plötzlich trat ein zweiter Fahrer auf mich zu und fragte mich in fließendem Deutsch, wohin ich wolle. Verblüfft wiederholte ich, was ich glaubte, bereits in Englisch gesagt zu haben, und befand mich wenige Minuten später auf dem Weg nach Drexelbrook.

Auf der Fahrt zum Club fiel mir der schlichte Stil der Häuser auf. Die Fenster waren noch mit Weihnachtslichtern geschmückt, einige davon in grellem Lila, was ich eher geschmacklos fand. Sie sind mir in den Folgejahren nie wieder derart aufgefallen. Im Club angekommen, wurden mir gleich erneut meine Sprachschwierigkeiten bewusst, die selbst eine primitive Unterhaltung in Englisch nicht erlaubten. Ich versuchte mich vorzustellen. Zum meinem Glück war ich vorangemeldet, und so genügte wahrscheinlich mein Name als «Schlüsselwort». Der Club diente offensichtlich der Nachbarschaft als Refugium. Er war alles andere als ein übliches Hotel. Abends trafen sich die Anwohner hier auf einen Feierabendtrunk. Sogar eine kleine Eisbahn zum Schlittschuhlaufen war angelegt, die rege genutzt wurde und unüberhörbar für Stimmung und Lärm sorgte. Dennoch fühlte ich mich hier wohl und war froh, gut untergekommen zu sein. Jeanie Knickerbocker kam noch am Abend in den Drexelbrook Club und vergewisserte sich, dass ich dort auch angekommen war. Mit etwas Mühe verstand ich, dass beide Damen noch mit Verspätung am Flughafen eingetroffen wären. Ich merkte, dass ihr die ganze Sache unangenehm war, und versuchte ihr zu signalisieren, dass es mir gutging und der Fall für mich damit erledigt war.

Am Abend rief mich Werner Henle an. Er begrüßte mich auf Englisch. Ich verstand kaum, was er sagte, und versuchte erst gar nicht, auf Englisch zu antworten. Als er merkte, dass ich ihm nur wenig folgen konnte, wechselte er rasch ins Deutsche, hieß mich willkommen und lud mich ein, den Silvesterabend gemeinsam mit ihm und Gertrude bei Freunden zu verbringen. Die Gastgeber waren Angus Graham und seine Frau, beide Kanadier. Angus forschte damals im Wistar Institute in Philadelphia über Reoviren. Um die 30Gäste unterhielten sich angeregt. Doch ich konnte nicht sagen, unter was für Leuten ich mich befand. Trotz der gutgemeinten Versuche einiger Gäste, sich mir mit ein paar freundlichen Worten vorzustellen, verstand ich nur wenig. Bis auf ein Lächeln konnte ich kaum etwas erwidern, und so gaben sie es bald frustriert auf, dem Deutschen einige Wortfetzen entlocken zu wollen.

Werner und Gertrude Henle plauderten angeregt mit anderen Gästen, und so hätte meine Langeweile und Isolation an diesem Abend nicht überboten werden können, wäre da nicht Fred Jensen gewesen, ein gut deutsch sprechender gebürtiger Tschechoslowake. Er kam immer mal wieder zu mir und erzählte mir von seinen Erlebnissen als amerikanischer Soldat in Deutschland. Fred arbeitete auch im Wistar Institute und hatte zwar nicht als Abschluss seiner Ausbildung promoviert wie fast alle anderen Wissenschaftler im dortigen Institut, doch genoss er – wie aus seinen Erzählungen hervorging – offensichtlich deutliches Ansehen bei seinem Chef, Hilary Koprowski. Er fragte mich nach der Situation der Wissenschaftler und Fördermöglichkeiten in Deutschland. Ich berichtete ihm über meine bisherigen Erfahrungen, die sicherlich noch relativ dürftig waren. Er verglich die Situation mit der in den USA, wobei wir beide zu dem Schluss kamen, dass Wissenschaftler in den USA wohl bessere Bedingungen hätten.

Vor der Reise in die Vereinigten Staaten hatte ich mir einen neuen Volkswagen mit amerikanischer Grundausstattung gekauft. Solche Wagen sollten sich bei späterer Rückkehr nach Deutschland wieder gut verkaufen lassen. Außerdem waren Volkswagen in Deutschland deutlich billiger als in den Staaten. Ich hatte das Auto zum Verladen nach Rotterdam gefahren und gehofft, der Wagen würde unmittelbar nach meiner Ankunft in Philadelphia eintreffen. Wie sich herausstellte, ging mein Plan nicht auf. Der Wagen befand sich noch immer in Rotterdam und war aus unerfindlichen Gründen noch nicht verladen worden. Glücklicherweise hatte mich die Sekretärin von Werner Henle darüber informiert. Vorerst musste ich also ohne Auto auskommen.

Ich hatte die ersten Tage im Institut sehnsüchtig erwartet. An meinem ersten Arbeitstag fuhr ich mit einer Art S-Bahn zur Stadtmitte Philadelphias. Von dort aus verlief mein Weg durch die Slums, vorbei an hohen Häuserblocks. Es waren kaum Fußgänger unterwegs, während sich die Autos auf den Straßen drängten. In der Nähe des Instituts machten die Häuser einen heruntergekommenen Eindruck. Auf den Eingangstreppen saßen vor allem anscheinend arbeitslose ältere Männer. Die Umgebung wirkte trostlos und durchaus etwas abschreckend, sodass ich mich bemühte, so rasch wie möglich das Institut zu erreichen.

Die Virus-Laboratorien entsprachen so gar nicht meinen Erwartungen von einem amerikanischen Laborbetrieb. Von außen wie von innen machten sie einen erstaunlich heruntergekommenen Eindruck. Die Laboratorien waren in einem Gebäude untergebracht, das ursprünglich als Wasserturm genutzt worden war. Beim Umbau hatten die Architekten allerdings weder die Wünsche der Wissenschaftler noch die Rohrleitungen berücksichtigt. Anstatt die Toiletten auf einer Seite des Gebäudes einzurichten, waren sie mal im Nord- und mal im Südflügel untergebracht, mit der Folge, dass sich die Rohre an Decken und Bürowänden entlangschlängelten. Erst nach und nach waren sie abgedeckt worden.

Ich ging in die vierte Etage, wo sich die Laborräume der Henles befanden. Werner und Gertrude Henle saßen in ihrem Büro, einem kleinen Raum mit einem Schreibtisch, einem weiteren Tisch und einer Reihe von Regalen. Überall lagen Stapel von Zeitschriften und Sonderdrucken, und ich staunte auch später immer wieder, wie sich die Henles hier zurechtfinden konnten. Beide empfingen mich überaus freundlich, versuchten es zunächst erneut mit englischer Konversation, doch gaben schnell auf, als sie merkten, dass wir damit nicht weit kamen. Sie zeigten mir die Laborräume und besprachen ihre Pläne für die kommenden Wochen mit mir. Mir wurde rasch klar, dass sie kein Arbeitsprogramm für mich entwickelt hatten. Gertrude Henle redete auch dieses Mal sofort auf mich ein. Sie erklärte, ich solle mich mit dem Epstein-Barr-Virus vertraut machen, und erzählte mir, dass sie gerade dabei seien, an einen wichtigen Beweis zu kommen, dass Burkitt-Tumoren tatsächlich diese Viren enthielten.

Ich hielt es für einen guten Zeitpunkt, den Henles bei dieser Gelegenheit auch von meinen Ideen zu erzählen, dass ich brennend gern neue virologische und molekularbiologische Techniken erlernen wollte, um zu untersuchen, ob und wie Viren das Erbgut von Zellen verändern und aus ihnen dadurch womöglich Krebszellen machen. Werner zeigte durchaus Verständnis für meine Wünsche, wohl in der Hoffnung, dass ich ohnehin bald seiner Richtung folgen würde.

Mit Gertrude war die Situation zunächst schwieriger. Bereits an meinem ersten Arbeitstag übergab sie mir ein Protokoll für mein erstes Experiment. Ich sollte herausfinden, wie viel Trypsin lymphoblastoide Zellen vertragen. Trypsin ist ein Gemisch aus drei Verdauungsenzymen, die im Dünndarm Eiweiße zersetzen. Doch es eignet sich auch hervorragend dazu, im Labor gezüchtete Zellen vom Boden der Kulturschalen zu lösen und weiter zu verteilen, sofern man die Zellen nicht zu lange dem Trypsin aussetzt. Da lymphoblastoide Zellen, wie ich rasch bemerkte, gar nicht mit Trypsin behandelt werden müssen, schien mir diese Arbeit ziemlich überflüssig. Dennoch machte ich mich am nächsten Tag – wenn auch widerwillig – an die Arbeit. Als mir Gertrude noch am selben Tag ein zweites Protokoll für einen weiteren Versuch übergab, begann ich innerlich zu streiken. Sicherlich nicht zu Recht empfand ich, ich hätte hinreichend Erfahrung, um meine Versuchsprotokolle selbst zu verfassen. Ich sträubte mich innerlich dagegen, wie ein technischer Assistent und Erfüllungsgehilfe ihrer Pläne behandelt zu werden, und entschied mich, Gertrudes Protokoll-Entwürfe zwar noch zu sammeln, aber nicht mehr auszuführen. Es dauerte knapp 14Tage, bis sie es merkte. Sie fragte nicht nach, merkte aber, dass ich nicht mehr von mir aus zu ihr kam und natürlich auch nicht über Ergebnisse berichten konnte. Von da an kühlte sich unser Verhältnis spürbar ab. Zu jener Zeit fragte sie Werner wohl häufiger, ob es richtig war, diesen dickköpfigen jungen Deutschen nach Philadelphia zu holen.

Vier Wochen nach meiner Ankunft in Philadelphia traf endlich auch der Volkswagen ein. Der Reservereifen war zwar gestohlen, doch alles andere schien in Ordnung. Von diesem Augenblick an fühlte ich mich deutlich besser. Mit deutschen Nummernschildern fuhr ich die nächsten drei Jahre durch Philadelphia und auf Ferientouren durch die Staaten, ohne dass jemals daran Anstoß genommen wurde.

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Werner und Gertrude Henle im Labor in Philadelphia

Krebs und Viren: Stand der Dinge

Als ich 1966 in Philadelphia ankam, war die Verbindung zwischen Krebs und Virusinfektionen beim Menschen noch immer ungewiss. Es war unklar, ob überhaupt und wie Viren menschliche Zellen in Krebszellen umwandeln könnten. Manchen erschien allein der Gedanke daran abwegig, und Viren waren für sie nicht mehr als eine Spielerei der Natur. Das glaubte auch Sir Frank Macfarlane Burnet, einer der damals bekanntesten Immunologen. Als er die Henles 1959, ein Jahr, bevor er den Nobelpreis erhalten sollte, traf, reagierte er wenig begeistert auf ihre Vorstellungen, wie man herausbekommen könne, was in einer Zelle passieren muss, damit ein Virus daraus eine Krebszelle machen kann. Werner Henle beschreibt diese Begegnung:

Wie üblich, hörte (Macfarlane Burnet) mit geschlossenen Augen zu, sodass man niemals genau wusste, ob er gelangweilt oder bloß müde war oder angestrengt aufpasste. Er sagte uns ohne Umschweife, für ihn wären Viren nur eine Spielerei der Natur, weshalb er sich von der Virologie abwenden und wieder seiner ersten Liebe, der Immunologie, widmen würde. Alle wirklich wichtigen Dinge, die mit Viren möglich seien, wären bereits getan. (…) Später wurde klar, dass sogar die Kristallkugel der Größten unter uns zeitweise außerordentlich getrübt sein kann.

Andererseits häuften sich die Indizien für eine Verbindung zwischen Viren und Krebs bei Tieren. Mittlerweile gab es eine Fülle von Beispielen bei Hühnern, Mäusen, Ratten, Hamstern, Kaninchen und Fröschen, die zeigten, dass Viren die Fähigkeit besitzen, gesunde Zellen zu verändern und verschiedene Arten von Krebs zu erzeugen. Selbst bei Pflanzen war ein Bakterium, Agrobacterium tumefaciens, entdeckt worden, das bei einigen Pflanzenarten krebsähnliche Wucherungen hervorruft. Warum sollte etwas, das für Pflanzen und Tiere gilt, beim Menschen unmöglich sein? Doch was für die einen vielversprechende Anhaltspunkte waren, blieb für andere eine unwahrscheinliche, geradezu fixe Idee.

Hier offenbarte sich ein eigenartiges Phänomen, wenn es um Wissenschaft geht. Man könnte annehmen, dass ein wissenschaftliches Ergebnis solche Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg schafft. Doch das war nicht immer der Fall, denn jedes Ergebnis, so logisch es auch sein mag, erlaubt oft unterschiedliche Interpretationen. Sobald es im Widerspruch zur jeweils aktuellen Wissenschaftsmeinung steht, kann das bedeuten, dass es gelegentlich einfach ignoriert wird. So war es den dänischen Forschern Ellermann und Bang ergangen, die 1908 durch zellfreie Extrakte mit einem unbekannten infektiösen Erreger Leukämien unter Hühnern übertragen hatten. Leukämien galten zu dieser Zeit nicht als Krebserkrankungen, sondern eher als Zeichen einer chronischen Entzündung, sodass dieser Befund zunächst wenig Beachtung fand.

Wenige Jahre später, 1911, hatte Peyton Rous in New York da schon mehr Erfolg. Rous waren Bindegewebs-Tumoren bei Hühnern aufgefallen. Ein zellfreies Filtrat aus den Tumoren hatte er auf gesunde Küken übertragen, die zu seiner Überraschung genau den gleichen Tumor entwickelten. Hier gab es keine Zweifel, dass es sich um eine echte Krebsform handelte. Als sich jedoch in den folgenden zwei Jahrzehnten keine weiteren Beispiele für andere Tumoren finden ließen, galt dieser Befund über lange Zeit als biologische Kuriosität und fand wenig Aufmerksamkeit.

Rous wusste nicht, wie und wodurch geschehen war, was er beobachtet hatte, doch es lag für ihn auf der Hand, dass Viren, damals bekannt als contagium fluidum, die er anscheinend aus den Tumoren herausgefiltert hatte, dafür verantwortlich sein mussten.

Nur wenige wollten damals eine Verbindung zwischen Krebs und Viren akzeptieren. Für die meisten war es wahrscheinlicher, dass Rous ein Fehler unterlaufen war und er aus Versehen Krebszellen übertragen hatte.

Für zwei Jahrzehnte war kein spürbarer Fortschritt sichtbar, selbst als der dänische Pathologe Johannes Fibiger 1927 in Kopenhagen für seine Hypothese, ein Wurm würde Magenkrebs auslösen, den Nobelpreis erhielt. Er glaubte, hier einen universellen Krebserreger gefunden zu haben, der beim Menschen entweder eine «größere oder geringere Rolle» spiele.

Angefangen hatte alles mit drei wilden Ratten, bei denen Fibiger Zellgeschwüre und darin Würmer gefunden hatte. Da er in den entarteten Zellen Krebstumoren sah, nannte er den Wurm Spiroptera carcinoma. Doch wie kamen die Würmer in die Ratten? Fibiger studierte alte Berichte und fand eine Verbindung zwischen «seinem» Wurm und Kakerlaken. Er fing mehr als tausend Ratten, ohne auch nur ein einziges Mal «Magenkrebs» zu entdecken, bis er seine Fallen in einer Zuckerfabrik aufstellte. Von 61Ratten wurde er bei 40 fündig. Um seine Theorie zu prüfen, erdachte Fibiger ein – wohlgemerkt etwas gewöhnungsbedürftiges – experimentelles System, bei dem er mit Würmern infizierte Kakerlaken an Mäuse verfütterte und dann wartete, wie viele davon Krebs entwickelten. Die damalige Kritik, er hätte nicht ausreichend Kontrollen untersucht, verhallte. Doch späteren Folgeuntersuchungen hielt seine Entdeckung nicht stand. Das, was er für Krebs gehalten hatte, waren gutartige Zellwucherungen gewesen. Die Kombination aus Wurm und Vitamin-A-Mangel, so stellte sich heraus, kann diese Zellgeschwüre im Magen bewirken. Seine Entdeckung ist heute einer der spektakulärsten, da durch den Nobelpreis höchstprämierten, Wissenschaftsirrtümer, der uns daran erinnert, wie viele Irrwege «die Wissenschaft» mitunter gehen muss, um einer Beobachtung tatsächlich auf den Grund zu gehen. Doch zurück zu unserer Geschichte.

Viren als solche waren fast bis zur Mitte des 20.Jahrhunderts eher ein Konzept. Ihr Aufbau und ihre Funktionsweise waren in den meisten Fällen unbekannt, weshalb es keine wirklichen Hinweise gab, wie Viren zu Krebs beitragen könnten. Klar wurde in dieser Zeit lediglich, dass Viren infektiöse Partikel sind, die sich ohne die Hilfe von Zellen nicht vermehren können. In den 1940er Jahren stellte sich für bestimmte Bakterienviren, sogenannte Bakteriophagen, die ausschließlich Bakterien infizieren, heraus, dass sie ihr genetisches Material in Zellen einschleusen, die sich dadurch unter Umständen verändern. Einigen Forschern erschienen Bakteriophagen daher als ein besonders geeignetes Modell, um Antworten auf fundamentale Fragen der Lebensvorgänge zu finden. Mit ihrer Hilfe wurde die Theorie zur Gewissheit, dass nicht Proteine, sondern Desoxyribonukleinsäure, die DNA, der Wissensspeicher des Lebens sein musste. Von diesen stürmischen Entwicklungen hörte ich während meines Studiums von 1955 bis 1960 jedoch verblüffend wenig. Selbst die Anfang der 1950er Jahre gelungene Aufklärung der Doppelhelix durch Francis Crick und James Watson blieb uns Medizinstudenten im Unterricht verborgen.

Bis 1961 gab es also nicht einen einzigen brauchbaren Anhaltspunkt für Krebserkrankungen beim Menschen, die durch Viren hervorgerufen werden. Doch nun sollte sich das Blatt wenden. Alles begann damit, dass Michael Anthony Epstein, der damals am britischen Bland-Sutton Institute forschte, einen Vortrag von Denis Parsons Burkitt hörte.

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Burkitt-Tumor bei einem afrikanischen Jungen

Denis Burkitt arbeitete in Kampalas Mulago Hospital, in der «Perle Afrikas», wie Uganda damals genannt wurde. Er wurde regelmäßig von der Chirurgischen Abteilung des Middlesex-Hospitals eingeladen, um von seinen exotischen und bizarren Entdeckungen in Afrika zu berichten. Durch Zufall las Epstein die Vortragsankündigung «Der häufigste Krebs bei Kindern im tropischen Afrika – ein bislang unbeachtetes Krankheitsbild» und ging wohl vor allem aus Neugier in den Vortragssaal. Burkitt schilderte, wie er zum ersten Mal einen Jungen mit rätselhaften Schwellungen im Gesicht untersucht hatte. Als er wenig später ein zweites Kind mit ähnlichen Schwellungen entdeckte, ahnte er, dass hinter diesen merkwürdigen Fällen mehr stecken musste. Kuriose Entdeckungen kommen in der Medizingeschichte zwar von Zeit zu Zeit vor, doch diese eigentümliche Koinzidenz kam Burkitt verdächtig vor. Er stellte Nachforschungen an und fand heraus, dass dieser Gesichtstumor bei Kindern in Afrika weit verbreitet ist. Nach dem Vortrag bat Epstein Burkitt, ihm Gewebeproben von diesem Tumor aus Uganda zu schicken. Er wolle prüfen, ob sich darin nicht etwas finden ließe.

Zwei Jahre lang experimentierte Epstein vergeblich. Keine der gängigen Methoden zum Nachweis von Viren erbrachte brauchbare Resultate. In den Gewebeproben war nicht die Spur eines Virus. Auch die Analyse der Biopsien im Elektronenmikroskop hatte nichts ergeben, was für Epstein besonders enttäuschend gewesen war, da er genau wusste, wozu diese Technik fähig ist.

An einem Freitag im Dezember 1963 ereignete sich schließlich etwas, das außerhalb Epsteins Kontrolle lag und ihm dennoch die Lösung des Problems bescherte. Ein Flugzeug, das Tumorgewebeproben aus Uganda geladen hatte, wurde wegen Nebel nach Manchester umgeleitet. Wie üblich waren die Biopsien in einer Lösung transportiert worden, die aber an diesem Tag – anders als sonst – auffallend trüb war. Epstein glaubte nicht mehr daran, dass mit diesen Proben noch etwas anzufangen war. Dennoch nahm er einen Tropfen der Lösung im Lichtmikroskop in Augenschein und war verblüfft. Einige Tumorzellen hatten sich während der Reise vom Rand der Gewebestücke gelöst und schwammen in der Flüssigkeit. Diese Zellen vermehrten sich ohne große Schwierigkeiten im Reagenzglas, wodurch Epstein die Gelegenheit bekam, sie einzeln im Mikroskop zu untersuchen. Das verborgene Virus könnte immerhin auf diese Weise in Erscheinung treten. Und genauso war es auch: In den Tumorzellen, die er einige Zeit im Labor gezüchtet hatte, fand Epstein elektronenmikroskopisch virusähnliche Strukturen, die ihn auf Anhieb an Herpesviren erinnerten.

Die Bilder gingen durch die Fachpresse, doch bezweifelten viele, es mit einem wahrhaftigen Tumorvirus zu tun zu haben.

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Michael Anthony Epstein

Zur damaligen Zeit verfügten nur wenige Institute über Elektronenmikroskope, und so misstrauten viele Wissenschaftler der Aussagekraft elektronenmikroskopischer Darstellungen. Darüber hinaus stand der Beweis noch aus, ob es sich bei den Viruspartikeln nicht doch um bereits bekannte Viren der Herpesgruppe wie Windpockenviren handelte, denn die «Neuentdeckung» sah ihnen ähnlich.

Es liegt wohl eine gewisse Ironie darin, dass Epstein das unbekannte Virus in den Burkitt-Tumorzellen ohne Elektronenmikroskop nicht entdeckt hätte und er dennoch, gerade weil seine Beweisführung auf elektronenmikroskopischen Aufnahmen fußte, die Anforderungen für den Nachweis eines neuen Virustyps nicht erfüllt hatte. Epstein war es gelungen, im Inneren der Zellen die nötige Auflösung zu erreichen, um Virusstrukturen sichtbar zu machen, was mit einem einfachen Lichtmikroskop nicht gelungen wäre. Mikroskopische Aufnahmen spielten, seit es Mikroskope gibt, bei Entdeckungen von Kleinstlebewesen eine Schlüsselrolle, bei Viren hingegen konnten sie keine schlüssige Antwort auf die Frage geben, welcher Virus-Typ hier vorliegt.

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Herpes-simplex-Virus (Der Ausschnitt links unten stellt eine Vergrößerung dar)

Doch selbst für diejenigen, die nichts an den mikroskopischen Aufnahmen auszusetzen hatten, waren die Ergebnisse nicht besonders aufregend, denn keines der bekannten Herpesviren galt als potenziell krebserregend. Was auch immer Epstein in den Tumorzellen entdeckt hatte, es konnte auch einfach nur ein harmloser Passagier sein. Rückblickend lässt sich jedoch feststellen, dass Epstein das Verdienst zukommt, das erste Tumorvirus des Menschen entdeckt und sichtbar gemacht zu haben.

Wie schon gesagt, hat in der Wissenschaft nur Bestand, was sich von anderen Forschern ebenfalls beweisen lässt. Epstein brauchte also eine zweite, unabhängige Einschätzung aus einem anderen Labor. Nachdem es ihm nicht gelungen war, zwei der damals führenden britischen Virologen für das Thema zu beigeistern, wandte er sich an Klaus Hummeler im Labor der Henles. Hummeler hatte das Jahr zuvor bei Epstein in London verbracht, um die Kunst der Elektronenmikroskopie zu erlernen. Die Flaschen mit Burkitt-Lymphom-Zellen schwenkend, lief Hummeler geradewegs zu den Henles ins Labor und fragte, was mit den Zellen geschehen solle. So hatten die Henles ihre Chance bekommen, das Epstein-Barr-Virus zu erforschen – ein Projekt, mit dem sie schon länger geliebäugelt hatten.

Als ich 1966 bei den Henles anfing, war also keineswegs klar, ob überhaupt und auf welche Weise Viren, insbesondere das Epstein-Barr-Virus, normale Zellen des Menschen in Krebszellen verwandeln.

Was jedoch viel wichtiger war: Die Zeit der hochgezogenen Augenbrauen schien vorüber – der Startschuss für die weltweite Suche nach Tumorviren beim Menschen war nun offenkundig gefallen. Noch dazu erhielt Peyton Rous, mittlerweile ein gealterter Pionier der Krebsforschung, in ebendiesem Jahr 1966 als späte Anerkennung und Genugtuung für seine Arbeiten in New York den Nobelpreis für Medizin.

Alles deutete darauf hin, wie es der schwedische Forscher George Klein anlässlich der Nobelpreisverleihung formulierte, «dass sich das Krebsvirus nicht wie ein kleiner Junge verhält, der den Heuschober anzündet und dann einfach davonläuft», sondern sich in die Zelle einschmuggelt und einen Weg gefunden hat, darin auszuharren.

Philadelphia’s Chromosom

Nicht einmal vier Monate nach meiner Ankunft schickten mich die Henles zu einem Krebskongress nach Denver. Sie waren wohl zu der Überzeugung gekommen, dass es für mich gut sei, an einem internationalen Kongress teilzunehmen und dies auch meinen Englischkenntnissen zugutekommen würde.

Ich wohnte in einem für meine Verhältnisse unvorstellbar großen Hotelzimmer für 15Dollar pro Nacht. Soweit ich anhand des Programms verstand, behandelte dieser Kongress verschiedene Themen der Krebsforschung und therapeutische Ansätze. Als ich jedoch am ersten Tag im Vortragssaal saß, verstand ich nicht viel von dem, was besprochen wurde. Besonders schwer machten es mir die Kollegen aus den Südstaaten mit ihren für mich völlig unverständlichen Akzenten. Trotz alledem war ich voller Begeisterung. Ich glaubte zu spüren, wie viele Möglichkeiten die Krebsforschung noch bot. Ich besuchte so viele Vorträge wie möglich und glaubte am zweiten Kongresstag, schon mehr zu verstehen. Es wurde auch über Chromosomenveränderungen bei Krebserkrankungen gesprochen – ein Bereich, der mich besonders interessierte. Die Namen einiger Redner kannte ich bereits von Fachartikeln. Zum ersten Mal befand ich mich unter denen, die über grundlegende Fragen dieses Fachgebiets nachdachten und mir vielleicht entscheidende Anregungen geben konnten.