Gegengift - Christine, Dr. phil. Merzeder - E-Book

Beschreibung

Narzisstischer Missbrauch ist eine Form der emotionalen Gewalt, die sich genauso katastrophal auswirken kann wie körperliche Gewalt. Für die Opfer ist er auch deshalb so schwerwiegend und Bitter, weil Außenstehende den Missbrauch meist nicht erkennen. Viele Opfer können selbst kaum verstehen, dass und wie sie missbraucht werden, da die Täter höchst geschickt darin sind, dem Opfer alle Verantwortung für sein Leid zuzuschieben. In "Gegengift" unterstützt Bestsellerautorin Christine Merzeder Betroffene und ihr Umfeld, indem sie gängige narzisstische Strategien offenlegt: von "Love Bombing", wo das Gegenüber scheinbar mit Liebe überschüttet wird, in Wahrheit aber isoliert und abhängig gemacht werden soll, über Mobbing und Stalking bis hin zu extremer psychischer oder auch körperlicher Gewalt. Anschaulich beleuchtet sie narzisstischen Missbrauch in sozialen Beziehungen – sei es in Paarbeziehungen, in der Familie oder im Beruf. Die Leser erfahren zudem, wie und wo man Hilfe findet und was die besten Methoden sind, um spezifische Missbrauchsformen zu beenden.

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Christine Merzeder

GEGENGIFT

NARZISSTISCHENMISSBRAUCH ÜBERWINDENKonkrete Hilfen fürden Alltag

Wichtiger Hinweis

Die Informationen und Ratschläge in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt von der Autorin und dem Verlag erarbeitet und geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Alle Leserinnen und Leser sind daher aufgefordert, selbst zu entscheiden, ob und inwieweit sie die Anregungen in diesem Buch umsetzen wollen. Eine Haftung der Autorin und des Verlags für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Dieses Buch enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte der Scorpio Verlag keinen Einfluss hat. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Haftung übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft, rechtswidrige Inhalte waren nicht erkennbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Links umgehend entfernen.

eBook-Ausgabe 2018

© 2018 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Konzept und Idee für den Umschlag: Gerhard Merzeder, Mark Grünberger

Texte und Konzept in Zusammenarbeit mit Barbara Rusch, München

Satz: Danai Afrati & Robert Gigler, München

Konvertierung: Bookwire

ePub: 978-3-95803-194-4

ePdf: 978-3-95803-195-1

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.scorpio-verlag.de

Für Max

Inhalt

Vorwort von Prof. Dr. med. Reinhard Haller

Einleitung

Anfälligkeit für NarzisstInnen

Ängste

Ärztinnen und Ärzte

Aufklärung

Bagatellisierung

Bauchgefühl

Co-Abhängigkeit

Coming Home – zu sich kommen

Depression

EDEN

Empathie

Finanzen und materieller Besitz

Forgiveness – sich selbst vergeben

Frauenhäuser

Gaslighting

Gesundheit

Gewalt

Grauer Fels (Gray Rock)

Heilung

Hilfe von Behörden und Institutionen

Hoffnung

Ideale PartnerInnen

Kinder

Kollusion

Kommunikation

Konflikte und Konfliktlösung

Kontakt nach der Trennung

Love Bombing

Lügen

Macht

Manipulation

Männer

Mediation

Mobbing

NARP – Narcissistic Abuse Recovery Program

Narzissmus – Ursachen

Narzissmus – verschiedene Ausprägungen

Narzisstischer Missbrauch in Beziehungen

Narzisstische Zufuhr

Neue Partnerschaft

Onlineforen

Opferrolle

Polizei

Prozesse und Klagen

Ratgeberliteratur

Rechtfertigen

Ressourcen

Scham

Schuldgefühle

Selbstaufgabe

Selbstfürsorge

Selbsthilfegruppen und Onlineforen

Selbstverantwortung

Selbstwertgefühl

Sexualität

Sozialämter

Soziale Isolation

Stalking

Stress

Suchterkrankungen

Suizid

TherapeutInnen und Ärztinnen und Ärzte

Therapie – NarzistInnen

Therapie – von narzisstischem Missbrauch Betroffene

Trauma und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Trennung – emotionale und körperliche Belastungen

Trennung – praktisches Vorgehen

Umfeld

Verletzungen, seelische

Vertrauen und Vertrauensbruch

Verzweiflung überwinden

Wut und Aggression

Dank

Vorwort von Prof. Dr. med. Reinhard Haller

Unsere Gesellschaft ist narzisstisch geworden. Dies zeigt sich in den großen politischen Entwicklungen und sozialen Strömungen, in Wirtschaft und Religionen, in Verhaltensweisen der Gruppen und zwischenmenschlichen Begegnungen, in Partnerschaft und Berufswelt, in Selbstbild und Eigendarstellung. Narzissmus als eine zum menschlichen Wesen gehörende Persönlichkeitseigenschaft hat es zwar immer gegeben. Über Jahrhunderte galten narzisstische Haltungen jedoch als Sünde, waren im Volk verpönt und nur den Mächtigen, Reichen und Schönen vorbehalten. Später wurden egozentrisches Empfinden und Agieren, basierend auf einer Publikation Sigmund Freuds aus dem Jahr 1912, zu einer psychischen Krankheit – der narzisstischen Persönlichkeitsstörung – erklärt. Heute hat sich der Narzissmus als gesellschaftliches Ideal etabliert. Die Menschen bekennen sich zu ihrer narzisstischen Einstellung, zentrieren sich auf Eigeninteressen oder persönliche Strebungen und wollen in erster Linie sich selbst verwirklichen.

Mit der digitalen Revolution um die Jahrtausendwende, die den Einzelnen zum Herrscher über das große Netz gemacht hat, wurde der Narzissmus gleichsam demokratisiert. Dies ist nichts Schlechtes, allerdings sollte es um den gesunden Narzissmus und um die Frage des rechten Maßes gehen. Tatsächlich hat der moderne Mensch allen Grund, sich befreit, selbstsicher und einzigartig zu fühlen. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es so viel Wohlstand für alle, noch nie eröffneten sich jedem Einzelnen solche Möglichkeiten. Die Menschen wollen in erster Linie sich selbst behaupten und verwirklichen. Sie stellen die individuellen Ansprüche ganz in den Vordergrund, setzen ihre eigenen Bedürfnisse mehr oder weniger rücksichtslos durch und sind ganz auf die Ego-AG zentriert. Ganz nach dem Motto: »Jeder ist sich selbst der Nächste, nur ich bin mir am nächsten.«

Nun ist Narzissmus mit hohem Eigenwert und Selbstvertrauen, mit Durchsetzungs- und Überzeugungsfähigkeit, ja mit Anspruchsdenken und fordernder Haltung nichts Schlechtes. Hätten wir diese ichbezogenen Züge nicht, müssten wir dauernd mit Minderwertigkeitsgefühlen und neurotischen Versagensängsten kämpfen. Probleme entstehen erst bei zu hoher Dosis, wenn die Egozentrik den Blick einengt und die Eigensüchtigkeit zur Unfreiheit führt, wenn ein Einfühlen in die Bedürfnisse anderer immer schwerer möglich wird, wenn das Selbstbewusstsein aus der Entwertung anderer geschöpft wird. Zu viel Narzissmus führt unweigerlich zur emotionalen Kälte und sozialen Entsolidarisierung, zu Kränkungen und seelischen Verletzungen, letztlich zur Isolation, ja zum Absturz des Narzissten.

Entscheidend ist immer die Leidensgrenze, also die Frage, ob durch narzisstisches Agieren jemand zu Schaden kommt. Die Mitmenschen, welche die häufigen Entwertungen nicht mehr ertragen, oder die Narzissten selbst, weil es im Lauf der Jahre einsam um sie wird.

Daher wundert es nicht, wenn narzisstisches Verhalten des Partners heute als einer der häufigsten Scheidungsgründe gilt. Gelebter Narzissmus fordert Opfer, er führt zu Gekränktheit, ohnmächtiger Wut, zu Angstzuständen und Depressionen, zu Sucht und zu Abhängigkeit in vielerlei Hinsicht. Auch in der Berufs- und Arbeitswelt richten narzisstische Entwertungen der Mitarbeiter, in narzisstischer Selbstherrlichkeit getroffene Fehlentscheidungen oder die Teamunfähigkeit narzisstischer Vorgesetzter enormen Schaden an. Mag narzisstisches Verhalten mit großem Selbstbewusstsein, mit starkem Durchsetzungsvermögen und Begeisterungsfähigkeit lange Zeit ein Karriereförderer sein, so erweist es sich mehr und mehr als Hindernis für die Entwicklung von Unternehmen und Betrieb. Niemand hält beleidigende Vorgesetzte, nichtempathische Kollegen und ein narzisstisch-kaltes Betriebsklima auf Dauer aus. Und was ist denn Mobbing anderes als narzisstisches Kränken mit System?

An dieser Stelle setzt der Ratgeber von Christine Merzeder an. Sie unternimmt nicht den meist ohnehin aussichtslosen Versuch, narzisstische Persönlichkeiten zu heilen. Vielmehr richtet sie sich an die Opfer narzisstischen Missbrauchs. Sie will den Menschen ein Rüstzeug an die Hand geben, wie man in einer narzisstisch gewordenen Gesellschaft zurechtkommt, wie man mit den immer zahlreicher werdenden Narzissten konstruktiv umgehen kann und wie man narzisstische Konfrontationen möglichst unbeschadet übersteht. Angesprochen werden somit in erster Linie all jene, die unter narzisstischen Mitmenschen leiden, aber auch deren Bezugspersonen und – so bleibt zu hoffen – die potenziellen Verursacher.

In konsequenter Weiterentwicklung ihres Bestsellers Wie schleichendes Gift hat die Autorin nun wirksame »Gegengifte« entwickelt. Diese sollen den Lesern helfen, narzisstische Strategien zu erkennen und aufzudecken, sich aus narzisstischen Abhängigkeiten zu befreien, narzisstische Verletzungen zu überwinden und so die narzisstisch gewordene Welt wieder ein Stück weit empathischer, achtsamer und menschlicher zu machen.

Einleitung

Mein Buch Wie schleichendes Gift erschien im Juli 2015 und ist mittlerweile bereits in der sechsten Auflage erhältlich. Dieser Erfolg bereitet mir große Freude, zeigt aber auch, wie wichtig das Thema für die Betroffenen ist. Das Buch zu schreiben war damals keine Therapie für mich. Diese hatte ich zu jener Zeit bereits hinter mir, und mein Leben sah wieder vielversprechend aus. Heute bin ich ein glücklicher Mensch, der fest mit beiden Beinen im Leben steht und dieses genießen kann.

Aus der eigenen leidvollen Erfahrung durch die Ehe mit einem narzisstischen Partner war ich damals hoch motiviert, anderen Menschen in ähnlichen Situationen mit meinem Buch zu helfen, und bin es heute noch. Die starke Nachfrage, die teils heftigen Diskussionen um die darin dargestellte Problematik und das bestätigende Feedback von vielen Leserinnen und Lesern zeigten mir, dass ich damit nicht nur einen Nerv getroffen hatte, sondern tatsächlich Hilfe leisten konnte. Die meisten Betroffenen empfanden es als ungemein erleichternd, dass sie nicht »verrückt« sind, sondern ihr Leiden bekannt ist und einen Namen hat: narzisstischer Missbrauch. Es war für sie zudem ein starker Trost, zu erfahren, dass auch anderen Opfern von Narzisstinnen und Narzissten Ähnliches wie ihnen widerfahren ist.

Täglich stehen Frauen und Männer an der gleichen Stelle wie ich im Jahr 2012, als meine Welt buchstäblich vor meinen Augen in Trümmer fiel. Damals musste ich lernen, die Verantwortung für meine Heilung zu übernehmen, und einsehen, dass mir dies niemand abnehmen konnte. Es ist möglich, die »Vergiftung« des narzisstischen Missbrauchs zu überwinden und ihre verheerenden Folgen zu heilen – für viele Betroffene ist dies die stärkste, tröstlichste und wichtigste Botschaft, die sie aus Wie schleichendes Gift für sich zogen. Das erfuhr und erfahre ich fast täglich durch zahlreiche Rückmeldungen und bei vielen persönlichen Begegnungen. Durch diese Kontakte wurde mir jedoch auch immer wieder klar, dass man auf dem Weg zur Genesung nur allzu leicht die Orientierung, seinen Mut, seine letzte Kraft verlieren kann. Deshalb habe ich nun gleichsam konkrete Wegweiser zu vielen wichtigen Zielen zusammengestellt. Dieses Buch will als Nachschlagewerk dienen. Unter alphabetisch sortierten Stichworten – von »Anfälligkeit« bis »Verletzungen« – kommen hier die unterschiedlichsten Aspekte zur Sprache: Aufklärung über Narzissmus und narzisstischen Missbrauch, Prävention und Verteidigung, Vorgehen bei der Trennung, Schutz der Kinder – und Heilung.

Die Begriffserklärungen bieten detaillierte Informationen und konkrete Tipps, die auf meinen eigenen Erfahrungen sowie denjenigen von zahllosen anderen Betroffenen und von Fachleuten basieren. Die hier präsentierten Informationen, Fallbeispiele und Ratschläge habe ich so umfassend wie möglich und nach bestem Wissen zusammengestellt. Doch jede Lebenssituation ist einzigartig, und so lassen sie sich nicht immer eins zu eins für die Lage von Betroffenen umsetzen. Lassen Sie sich deshalb, wann immer möglich, von einfühlsamen, kompetenten und vor allem über die Thematik aufgeklärten Fachleuten helfen. Auf dem Weg aus dem narzisstischen Missbrauch in ein zufriedenes, erfülltes, glückliches Leben sind sie unersetzlich.

Als ich einer Freundin, die meine Geschichte gut kennt, von diesem neuen Projekt erzählte, rief sie spontan aus: »Also, auf in die Waffenkammer!« Damit traf sie den Nagel auf den Kopf. Mit diesem Buch möchte ich Betroffene auf ihrem Weg aus dem narzisstischen Missbrauch und seinen Folgen hin zu (innerem) Frieden wirksam »bewaffnen«. Oder um beim Bild der »toxischen Beziehung« zu bleiben: Eine Vergiftung überwindet und heilt man am besten mit Gegengift. Ein solches Gegengift möchte ich Betroffenen auf diese Weise an die Hand geben. Denn unser Leben ist zu kostbar, um es auch nur für einen einzigen weiteren Tag von einem zerstörerischen Menschen dominieren zu lassen.

Anfälligkeit für NarzisstInnen

Wie konnte das geschehen? Warum haben meine Alarmglocken nicht geschrillt? Wieso habe ich diesen Menschen in mein Leben gelassen? War ich blind? Naiv? Und: Könnte mir das auch passieren? Kann ich mich vor NarzisstInnen schützen, und wenn ja, wie?

Wer → narzisstischen Missbrauch erlitten hat oder Menschen kennt, die davon betroffen sind, wird sich unweigerlich diese Fragen stellen, immer und immer wieder. Hier gilt es, sich ganz klar bewusst zu machen: Niemand ist davor gefeit, sich auf NarzisstInnen einzulassen und letztendlich emotional, geistig und physisch missbraucht zu werden. Es kann immer Situationen geben, in denen man trotz aller Lebenserfahrung und Menschenkenntnis Gefahr läuft, sich dem oder der Falschen zu öffnen. NarzisstInnen sind meisterhaft darin, andere zu manipulieren, sei es durch → Love Bombing, durch ihre Kommunikationsstrategien oder durch andere Formen der → Manipulation.

Die Erfahrung zeigt, dass psychisch stabile Menschen, die sich gut abgrenzen können, NarzisstInnen eher als »taube Nüsse« erkennen und ihnen deshalb aus gutem Grund aus dem Weg gehen. Aber: Niemand ist immer gleich stark und stabil. Wir alle hegen Selbstzweifel und tragen → Verletzungen in uns, die NarzisstInnen dank ihrer kognitiven → Empathie für sich als Türöffner nutzen können, um in unser Leben einzudringen.

Dies gilt insbesondere, wenn man gerade eine schwierige Zeit durchlebt oder erlebt hat, sei es durch Probleme in der Familie, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, Veränderungen in der Lebenssituation. Gerade wenn eine Beziehung in die Brüche geht oder gerade in die Brüche gegangen ist, ist man sehr anfällig für narzisstische Strategien, allem voran für Love Bombing, das unser verletztes Ego durch gezielte → narzisstische Zufuhr streichelt.

Erheblich gefährdet sind darüber hinaus häufig Menschen, die narzisstischen Missbrauch in der Familie erlitten haben und deren daraus entstandene Wunden noch nicht geheilt sind. Dies gilt auch für Betroffene, die eine narzisstisch-missbräuchliche Beziehung hinter sich haben. Tief verletzt und noch immer von der Vorstellung des → idealen Partners oder der idealen Partnerin geleitet, sind sie leichte Beute für NarzisstInnen.

FALLBEISPIEL

Nach dem Ende meiner Beziehung war ich längere Zeit allein gewesen. Eigentlich war ich schon vor der Trennung allein gewesen, denn viel abgespielt hatte sich mit meinem Ex schon während der Beziehung nicht mehr – auf keiner Ebene. Auf einer Geschäftsreise lernte ich B. kennen, der mich nach allen Regeln der Kunst umgarnte. Ich war ein wenig amüsiert, weil ich ihm eigentlich nicht glaubte, doch zugleich fühlte ich mich auch ziemlich geschmeichelt. Und ich gab zum ersten Mal nach der Trennung vor mir selbst zu, dass ich mich sehr einsam und auch gar nicht mehr als Frau fühlte. Ich ließ mich auf B. ein, und wir begannen eine angebliche Fernbeziehung, die für mich immer wichtiger wurde. Soweit es ging, richtete ich mein Leben nach unseren Treffen aus – bis er mich ohne Vorwarnung »abschoss« und den Kontakt ohne Erklärung abbrach. Tatsächlich war ich nur eine von vielen Eroberungen gewesen, die er neben seiner festen Beziehung pflegte. Ich war am Boden zerstört und schämte mich für meine Naivität. Es dauerte einige Zeit, bis ich danach wieder etwas Selbstbewusstsein aufgebaut hatte.

Was tun?

Der beste Schutz vor NarzisstInnen ist ein stabiles → Selbstwertgefühl. Für NarzisstInnen sind autonome, selbstbewusste Menschen, die sich abgrenzen und Nein sagen können, in der Regel als mögliche Opfer uninteressant. Pflegen oder entwickeln Sie also Ihr Selbstwertgefühl. Wenn Sie dazu → Hilfe brauchen, zögern Sie nicht, sie in Anspruch zu nehmen und ggf. eine → Therapie zu machen. Kurzzeittherapien sind oft besonders hilfreich und effektiv.

Setzen Sie sich mit Ihren tief verborgenen seelischen Verletzungen und negativen Überzeugungen auseinander, die Sie seit frühester Kindheit in sich angesammelt haben. Solche inneren Skripte und Selbstzweifel tragen wir alle in unterschiedlichem Maß in uns. Wir haben sie so tief verinnerlicht, dass wir sie nie infrage stellen, sondern uns unbewusst von ihnen steuern lassen. Auch wer (scheinbar) stabil und erfolgreich mit beiden Beinen im Leben steht, kann solche negativen Überzeugungen in sich tragen und deshalb für das Love Bombing und andere manipulative Strategien narzisstischer Menschen anfällig sein.

Informieren Sie sich über Narzissmus und narzisstischen Missbrauch. So gewappnet fällt es Ihnen leichter, narzisstische Warnzeichen (Red Flags) zu entdecken, wenn Sie einen Menschen kennenlernen, den Sie in Ihr Leben einlassen möchten. Achten Sie auf Ihr → Bauchgefühl und pflegen Sie allgemein ein gesundes Misstrauen. Und, so platt es auch klingen mag, glauben Sie nicht alles, was man Ihnen erzählt. Widerstehen Sie bewusst der Versuchung, sich von charismatischen Menschen in ihren Bann ziehen zu lassen. Versuchen Sie neutral zu bleiben.

Seien Sie besonders vorsichtig, wenn Sie sich in einer Krisensituation befinden. Gerade in solchen Lebensstationen ist man besonders dünnhäutig, verletzlich und anfällig dafür, auf NarzisstInnen hereinzufallen.

Achten Sie auch auf mögliche ablehnende, warnende Reaktionen von guten Freundinnen und Freunden oder Ihnen nahestehenden Familienmitgliedern sowie von anderen, die die besagte Person schon vor Ihnen kannten. Manchmal erkennen Außenstehende deutlicher als die Betroffenen selbst, dass mit dem neuen Menschen in deren Leben etwas nicht in Ordnung ist. Denken Sie auch daran, dass NarzisstInnen aufgrund ihrer zwiespältigen Natur – glatte charmante Oberfläche und wütende innere Leere – häufig heftige, gegensätzliche Reaktionen in ihrem Umfeld hervorrufen. Werden Sie misstrauisch, wenn ein Mensch die einen vollkommen bezaubert und andere zugleich regelrecht abstößt.

Persönlicher Kommentar

Menschen, die narzisstischen Missbrauch erleben oder erlebt haben, quälen sich immer auch mit der Frage, warum gerade sie einem Menschen so verfallen konnten. Wichtig ist, dass man sich nicht schuldig fühlt, sondern sich mit den Verletzungen auseinandersetzt, die es der narzisstischen Person ermöglicht haben, Macht über einen zu erlangen. Und denken Sie immer daran: Es kann jeden treffen. Viele Betroffene, die ich kenne, waren selbstbewusste, beliebte, beruflich erfolgreiche Menschen, die einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, Lebenserfahrung und Menschenkenntnis besaßen. Dennoch konnten sie die Warnzeichen nicht deuten und ließen die narzisstische Person in ihr Leben hinein.

Und noch etwas: Setzen Sie die Latte bei neuen Beziehungen hoch: Verletzungen, »Heruntermachen«, Unehrlichkeiten dürfen keinen Platz haben. Eine Freundin sagte mir einmal: »Lieber keinen Partner als einen, der mir ständig Energie absaugt. Ich habe Besseres verdient!«

Ängste

Ob in Beziehungen, in Familien oder im Beruf: Ängste spielen im Umgang mit narzisstischen Personen eine wichtige Rolle. Wie Selbstzweifel und → Verletzungen machen sie uns → anfällig für NarzisstInnen und → narzisstischen Missbrauch – und sie können Betroffene daran hindern, den Weg aus einer Beziehung mit einer narzisstischen Person zu finden.

So ist die Angst vor der Einsamkeit ein Türöffner für NarzisstInnen, der es ihnen erleichtert, in das Leben anderer einzutreten, Menschen emotional an sich zu binden, zu manipulieren und zu kontrollieren. Darüber hinaus ist sie ein starker Grund, warum Betroffene in missbräuchlichen Beziehungen bleiben. Die Angst, von der Person, von der man emotional abhängig ist, verlassen zu werden, kann alles andere überlagern. Oft ist sie stärker als der Leidensdruck, der sich durch den narzisstischen Missbrauch aufbaut.

Hinzu kommt häufig die Angst vor den Leiden der → Trennung. Einen Vorgeschmack davon erhalten Betroffene, wenn ihr narzisstisches Gegenüber das → Love Bombing stoppt und sie emotional sozusagen im Regen stehen lässt. Um eine Trennung, auch wenn sie von den Betroffenen noch so gewünscht wird, durchzuziehen, zu überstehen und Heilung zu finden, ist es wichtig, sich mit den eigenen seelischen Verletzungen auseinanderzusetzen. Dies kann ebenso Angst machen wie die Vorstellung, das Leben ohne den narzisstischen Partner, die narzisstische Partnerin führen zu müssen. Wie soll man das schaffen? Diese Angst kann eine unüberwindbar scheinende Hürde auf dem Weg aus dem Missbrauch darstellen. Nicht selten gilt die Sorge aber auch den NarzisstInnen: Er kommt nicht ohne mich zurecht! Niemals kann ich sie alleinlassen, sie wird untergehen!

Diese Ängste können Betroffenen allen Lebensmut rauben und sie daran hindern, Abstand zu finden, sich zu schützen, auf das eigene Wohl zu achten und sich zu lösen. Hinzu kommen konkrete Ängste, die es ihnen erschweren oder gar unmöglich erscheinen lassen, eine Beziehung zu beenden: die Angst vor dem → finanziellen Ruin oder die Angst, die → Kinder zu verlieren, das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder gar das Sorgerecht entzogen zu bekommen.

Auch ganz konkrete, handfeste Bedrohungen lösen möglicherweise lähmende Angst aus: Es ist die Angst vor der narzisstischen → Wut. Eine berechtigte Angst, die man gerade während der Trennungsphase unbedingt ernst nehmen sollte. Denn auch NarzisstInnen haben Ängste. Aufgrund ihres labilen Selbstwertgefühls haben sie Angst vor Nähe und zugleich Angst, verlassen zu werden. Bei Trennungen, die sie nicht »autorisiert« haben – die also nicht von ihnen ausgehen –, haben sie Angst, ihre narzisstische Zufuhr, die Kontrolle und ihre Machtposition über den anderen zu verlieren. Verlassen zu werden, empfinden sie als einen massiven Angriff, der ihr ganzes grandioses Ego erschüttert. Deshalb können sie in solchen Situationen extrem gekränkt, wütend und rachsüchtig reagieren. Eine gütliche, einvernehmliche Trennung ist in solchen Fällen kaum möglich. Stattdessen muss man mit allem rechnen: mit Wutausbrüchen, → Stalking, → Gewalt, Schmutzkampagnen, endlosen → Prozessen und einem gnadenlosen Kampf um die Kinder.

FALLBEISPIEL

Als meine Ehe in die Brüche gegangen war, war ich so ausgehungert nach Liebe und Zuwendung, dass ich mich Hals über Kopf in eine neue Beziehung stürzte. Ich fühlte mich schwach und liebte deswegen die Stärke meines neuen Mannes, der mir sagte, wo es langging. Irgendwann bestimmte er mein ganzes Leben und schrieb mir all meine Aktivitäten vor. Dadurch gewann er nach und nach Kontrolle über mich. Und während ich in unserer Beziehung immer kleiner und schwächer wurde, wurde er immer dominanter. Er genoss es, wenn ich mich ohne ihn hilflos fühlte. Meine Abhängigkeit und seine Macht über mich waren für ihn die perfekte narzisstische Zufuhr. Mit der Zeit entwickelte ich immer stärkere Ängste. Ich fürchtete mich, andere Menschen zu treffen, die Wohnung zu verlassen oder auch nur die kleinste Entscheidung selbstständig zu fällen. Ich hatte Angst, mein Leben nicht mehr ohne ihn leben zu können. Über ein Onlineforum fand ich schließlich Menschen, die Ähnliches erlebt hatten. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich verstanden und nicht mehr allein. Seitdem versuche ich mir mehr Freiräume zu schaffen. Ich spüre, dass ich sehr viel mehr Kraft in mir habe, als ich gedacht habe, und mein Selbstbewusstsein wächst. Mittlerweile traue ich mich sogar, über eine Trennung nachzudenken.

Was tun?

Ängste können lähmen und sind oft keine guten Ratgeber. Um Ängste zu überwinden, hilft oft nur professionelle Unterstützung durch TherapeutInnen. Dabei ist es wichtig, das eigene → Selbstwertgefühl zu stärken und sich mit den eigenen seelischen Verletzungen auseinanderzusetzen.

Die Trennung von einer narzisstischen Person kann emotional und körperlich schwer belastend sein. Suchen Sie sich in dieser schwierigen Phase jede mögliche → Hilfe. Wichtig ist zudem, dass Sie Ihre → Selbstfürsorge ernst nehmen und gut auf Ihre körperliche → Gesundheit achten. Halten Sie sich so weit wie möglich an die Regel, jeden → Kontakt mit der narzisstischen Person zu meiden.

Die Angst vor finanziellem Ruin überwindet man am besten, indem man sich bestmöglich beraten und unterstützen lässt. Im Idealfall hat man sich natürlich auch in der Beziehung seine finanzielle Unabhängigkeit bewahrt, sodass man gesichert ist. Wenn Sie jedoch, wie es häufig vorkommt, nicht finanziell abgesichert sind, suchen Sie sich einen guten juristischen Beistand, um Ihre Ansprüche durchzusetzen. Im Fall einer Notlage erhalten Sie vom Staat finanzielle Unterstützung zur Existenzsicherung über die Sozialämter. Informationen dazu finden Sie gewöhnlich auf den Internetportalen oder den Auskunftstellen Ihrer Heimatgemeinde.

Wenn Sie Angst haben, bei einer Trennung Ihre Kinder zu verlieren, sollten Sie jede Hilfe in Anspruch nehmen, die sich Ihnen bietet. Die Möglichkeiten, dies zu verhindern, sind weitaus umfangreicher, als Sie vielleicht vermuten. Informieren Sie sich gründlich und lassen Sie sich – am besten schon, bevor Sie den entscheidenden Schritt tun – juristisch und psychologisch von Profis beraten. AnsprechpartnerInnen sind Anwältinnen und Anwälte, TherapeutInnen und natürlich die Fachkräfte für Sozialarbeit in den Sozialzentren und Jugendämtern. Wer seine Rechte und Möglichkeiten kennt und sich als proaktiven Elternteil um das Wohl seiner Kinder bemüht, dessen Angst wird geringer, weil er für Eventualitäten gerüstet ist und seine Aussichten auf Erfolg steigert.

Wenn Sie Angst vor körperlicher Gewalt haben oder bereits Opfer von Gewalt wurden, sollten Sie so schnell wie möglich bei offiziellen Stellen Hilfe suchen – bei der Polizei, sozialen Beratungsstellen oder Einrichtungen von Opferhilfen, aber auch bei Ärztinnen und Ärzten und TherapeutInnen. Denn Sie sind in Gefahr, und niemand kann voraussagen, ob die Misshandlungen nicht noch eskalieren. Es ist wichtig, dass Sie – und gegebenenfalls Ihre Kinder – Schutz finden.

Und die Angst, dass der narzisstische Partner, die narzisstische Partnerin nicht ohne einen leben kann? In der Regel ist sie völlig unbegründet!

Persönlicher Kommentar

Angst lähmt! Etwas tun, befreit! Machen Sie den ersten Schritt!

Weiterführende Informationen

Christiane Gelitz: »Ängste überwinden. Die vier besten Strategien«, In: Spektrum der Wissenschaft, Ratgeber vom 19.2.2014, https://www.spektrum.de/ratgeber/aengste-ueberwinden-die-vier-besten-strategien/1223732

Hans Morschitzky und Sigrid Sator: Die zehn Gesichter der Angst. Ein Selbsthilfe-Programm in 7 Schritten, München 2015.

Fritz Riemann: Grundformen der Angst, 41. Aufl. München 2013.

Rüdiger Vaas: »Angst«, In: Spektrum der Wissenschaft, Lexikon der Neurowissenschaft, www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/angst/641

Ärztinnen und Ärzte

siehe TherapeutInnen und Ärztinnen und Ärzte

Aufklärung

Als psychologischer Begriff und als Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung rückt Narzissmus zunehmend in den Fokus des allgemeinen Interesses. So ist in den letzten Jahren unter anderem eine ganze Reihe von populären Sachbüchern und → Ratgebern erschienen, auch Dokumentarfilme wurden gedreht. Sogar in TV-Krimis werden mittlerweile eindeutig narzisstische Charaktere dargestellt. Und nicht zuletzt wird immer mehr auch öffentlich erörtert, ob und inwieweit bestimmte Personen in Machtpositionen, sei es in der Politik, in der Wirtschaft oder auch in der Kunst und der Unterhaltungsindustrie, narzisstische Züge aufweisen.

Im Mittelpunkt dieser Diskussionen stehen vorrangig die typischen Eigenschaften und Verhaltensmuster von NarzisstInnen, ihre psychische Struktur und → Therapien, die möglicherweise für sie geeignet sind. Vermehrt wird zudem darauf eingegangen, welche Auswirkungen narzisstisch veranlagte Menschen in Organisationen, im öffentlichen Leben und in ihrem persönlichen → Umfeld haben. Mittlerweile werden in diesem Zusammenhang auch die Stimmen der Betroffenen von → narzisstischem Missbrauch vernommen, wenngleich diese im Vergleich zur lauten Debatte über NarzisstInnen noch immer sehr leise tönen.

Deshalb ist es wichtig, dass noch mehr über narzisstischen Missbrauch und seine Folgen für die Opfer informiert wird. Aufklärung ist zuerst einmal für die Betroffenen selbst von größter Bedeutung. Denn wenn sie ihre Situation erkennen und ihr Leiden verstehen, ist die Grundvoraussetzung geschaffen, um → Heilung zu finden.

Doch auch das Umfeld der Betroffenen braucht diese Informationen, um das nötige Verständnis aufzubringen und geeignete Hilfe leisten zu können. Dies gilt für Familie und Freundeskreis ebenso wie für Ärztinnen und Ärzte und → TherapeutInnen, JuristInnen, SozialarbeiterInnen, MediatorInnen und MitarbeiterInnen bei Behörden. Ebenfalls wünschenswert ist eine Sensibilisierung für das Thema bei der Polizei, die dann ins Spiel kommt, wenn der psychische Missbrauch von physischer Gewalt begleitet wird. Aber auch Personalfachleute und Betriebsrätinnen und -räte sollten über narzisstisches Vorgehen Bescheid wissen, um beispielsweise → Mobbingopfern besser beistehen zu können.

FALLBEISPIEL

Meine Schwester heiratete einen Mann, den wir, wenn wir ehrlich waren, eigentlich nicht besonders mochten. Er war furchtbar aufgeblasen und hatte einen enormen Dünkel gegenüber den »ungebildeten kleinen Leuten«. Doch ehrlich gesagt war er selbst nur eine kleine Leuchte, und hinter seinem Rücken machten wir uns darüber ein wenig lustig. Innerhalb der Familie hielten wir uns bedeckt. Er war mein Schwager, und deshalb akzeptierten wir ihn, meiner Schwester zuliebe. Irgendwann verbot er ihr, mit mir in Kontakt zu bleiben, weil ich mich angeblich unverschämt ihm gegenüber verhalten hätte. Ich war tief getroffen, dass meine Schwester sich auf diesen Unsinn einließ und tatsächlich jahrelang nicht mehr mit mir sprach. Doch nur einen Tag nach seinem Tod rief sie mich an. Es war klar, dass sie Verbindung zu mir suchte. Ich konnte das Ganze nicht verstehen, bis ich durch eine Freundin mehr über Narzissten erfuhr. Dann passte alles: eingebildet, ohne → Empathie und grausam seinen → Kindern gegenüber, unangenehmer Vorgesetzter … Meine Schwester wurde ständig von ihm kritisiert und für dumm erklärt, war durch ihn → sozial isoliert und dennoch emotional total abhängig von ihm. Ich war froh, den Grund für unser damaliges Zerwürfnis endlich zu verstehen.

Was tun?

Informieren Sie sich in Büchern und Zeitschriften, über Dokumentarfilme, in Blogs und auf Webseiten. Für Betroffene gibt es zudem → Selbsthilfegruppen und Onlineforen, in denen sie sich austauschen können. Viele empfinden dies als eine große Hilfe. Klären Sie auch Ihr → Umfeld über Ihre Situation auf und suchen Sie sich Personen, die Ihnen professionell in diesem Rahmen helfen können und sollen. Nur so können Sie die Unterstützung erhalten, die Sie brauchen und die Ihnen zusteht.

Persönlicher Kommentar

Auch wenn es so aussehen mag – Sie sind nicht allein mit Ihrem Problem. Der erste, entscheidende Schritt zur Heilung ist oft, dass man erkennt und sich erklären kann, was mit einem geschehen ist.

Bagatellisierung

Ach, das waren doch bloß Neckereien! Nein, verletzend waren die Sprüche nicht. Das muss man schon aushalten können. Meine Freunde habe ich schon länger nicht mehr gesehen. Aber die melden sich ja auch nicht, und ich bin immer so müde. Ich schlafe ja auch in letzter Zeit so schlecht. Nein, nein, es geht mir wirklich gut, ich bin nicht niedergedrückt! Ich ziehe mich halt gerne zurück. Ja klar, ich bin schon sehr nervös und unkonzentriert, aber das ist nur eine Phase – und so schlimm ist es auch wieder nicht …

In der Medizin ist es ein bekanntes Phänomen, dass Menschen ihre Erkrankungen und deren Symptome bagatellisieren oder gar vollständig leugnen. Besonders häufig trifft man diese Verhaltensweise bei → Suchtkranken und bei Missbrauchsopfern an. Auch Betroffene von → narzisstischem Missbrauch verharmlosen häufig die → Gewalt, der sie ausgesetzt sind, und die psychischen und körperlichen Folgen, unter denen sie leiden. Dies geschieht in der Regel, wenn sie noch nicht wahrhaben (können), dass sie emotional missbraucht werden oder wurden. Mit der sprichwörtlichen rosaroten Brille auf der Nase spielen sie all die Formen von psychischer Gewalt herunter, die ihre narzisstischen PartnerInnen ausüben: Abwertungen, Beschimpfungen, extreme Kontrolle, → soziale Isolation … Sie reden sich ihre Situation schön, weil sie die Wahrheit als zu schmerzhaft empfinden. Ihre emotionale Abhängigkeit kann so extrem sein, dass sie unendliche → Angst davor haben, verlassen zu werden. Und sie sehnen sich mit allen Fasern nach dem Hochgefühl, das sie im Frühstadium der Beziehung empfanden. Um den Weg zurück in diesen fantastischen Zustand nicht zu gefährden, können sie das Traumbild des vermeintlich → idealen Partners oder der idealen Partnerin (noch) nicht aufgeben. Dazu gehört auch, missbräuchliche Attacken zu bagatellisieren.

Eine herausragende Rolle spielen zudem → Scham- und → Schuldgefühle. Die Betroffenen fühlen sich gedemütigt, schämen sich, Opfer (geworden) zu sein, und hegen Schuldgefühle, dass sie es »so weit haben kommen lassen«. Diese Gefühle können sehr stark und bestimmend sein; besonders ausgeprägt sind sie oft bei → Männern. Emotional missbraucht und/oder körperlich misshandelt zu werden und deswegen psychisch und körperlich zu leiden gilt im traditionellen Rollenbild als unmännliche Schwäche und ist mit starken Schamgefühlen behaftet.

Viele erleben aber auch, dass ihr → Umfeld den narzisstischen Missbrauch und seine Folgen bagatellisiert. Auch hier sind Männer nicht selten besonders stark betroffen. Denn so, wie sie selbst ihr Leiden aufgrund eines traditionellen Rollenverständnisses verharmlosen, wird es oft auch von ihrer Umgebung noch weniger ernst genommen als das von Frauen. So kommt es auch immer wieder vor, dass Ärztinnen und Ärzte bei männlichen Patienten trotz eindeutiger Symptome nicht die richtige Diagnose → Depression stellen. Das Unverständnis für ihre seelischen Nöte ist eine besonders schmerzhafte Erfahrung für die Betroffenen, doch für Außenstehende ist ihre Situation häufig nicht nachvollziehbar. Sie verharmlosen, weil sie nichts oder zu wenig über narzisstischen Missbrauch wissen – und weil sie oft genug selbst → manipuliert werden. Denn in vielen Beziehungen schaffen es die NarzisstInnen, auch die Familie und den Freundeskreis ihrer PartnerInnen zu blenden und zu verführen. Und natürlich gilt das auch im Berufsleben, wenn → Mobber ihre Mobbingopfer isolieren und die KollegInnen auf ihre Seite ziehen.

Außenstehende können deshalb oft nicht nachvollziehen, warum Betroffene in Beziehungen mit NarzisstInnen »verschwinden« und daran festhalten, obwohl die jeweilige Beziehung ihnen ganz offensichtlich schadet. Ab einem gewissen Punkt fühlen sich die Menschen im Umfeld der Betroffenen hilflos und reagieren verärgert. Zuwendung kann an diesem Punkt in Ablehnung umschlagen: Aus »Warum lässt er sich das gefallen?« oder »Warum wehrt sie sich nicht?« wird dann »Geschieht ihm/ihr recht!« und »Kann ja nicht so schlimm sein, sonst würdest du ja etwas ändern!«. Doch genau dies ist für viele Betroffene unendlich schwierig, schmerzhaft und ohne Unterstützung meist unmöglich.

FALLBEISPIEL

Meine Vorgesetzte schaffte es immer wieder, mich total aus der Fassung zu bringen. Ihr Verhalten war absolut unvorhersehbar, und oft überfiel sie mich völlig aus dem Nichts mit überzogener Kritik. Es ging so weit, dass ich Herzrasen und Schweißausbrüche bekam, wenn ich nur an sie dachte. Ich war total verunsichert, mein Selbstbewusstsein war dahin. Das gab ich aber nicht zu, vor allem nicht vor mir selbst. Ganz normal, dachte ich, Arbeit ist nun einmal kein Ponyhof. Stell dich nicht so an! Bist halt ein bisschen nervös. Auf Anraten von Freunden, die das Ganze viel kritischer sahen, wandte ich mich an einen Psychotherapeuten. Schon nach wenigen Sitzungen war mir klar, dass meine Vorgesetzte wohl eine narzisstische Persönlichkeit war und wie sehr ich psychisch unter ihr litt. Damit ging es mir schlagartig besser. Ich wusste nun, mit wem ich es zu tun hatte und wie ich mich schützen konnte. Hätte ich mein Leiden länger bagatellisiert, hätte ich den Job sicher geschmissen oder wäre richtig krank geworden.

Was tun?