Wie schleichendes Gift - Christine, Dr. phil. Merzeder - E-Book

Wie schleichendes Gift E-Book

Christine, Dr. phil. Merzeder

4,5

Beschreibung

Christine Merzeders Buch ist eine praktische Überlebenshilfe für Betroffene, die auf ihrer eigenen Missbrauchserfahrung, dem Erleben Hunderter anderer Frauen und Männer sowie ihren Erfahrungen mit dem Narcissistic Abuse Recovery Program (NARP) basiert. Die überarbeitete Neuauflage des Buches wird erweitert um einen Gastbeitrag des Bildungswissenschaftlers Josef Christian Aigner zum Thema Gewaltprävention in der Erziehung von Jungen – denn die Entwicklung zum Narzissten beginnt in der Kindheit. Auch männlichen Betroffenen wird in einem neuen Kapitel Raum gegeben. Zwar werden besonders häufig Frauen Narzissmus-Opfer, doch auch der Anteil an betroffenen Männern ist hoch. Hier ist das Thema noch schambesetzter als bei Frauen, da psychisch oder körperlich misshandelte Männer überwiegend Misstrauen, Abwertung und Desinteresse erfahren. Nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch von Frauen. "Weichei" ist da noch der harmloseste Begriff, sind doch Männer fast immer die Täter und Männer "toxisch männlich". Diese Vorurteile müssen angegangen werden, womit diese Auflage den Anfang macht. Christine Merzeders hochaktuelles Buch bietet den Betroffenen beiderlei Geschlechts Auswege aus narzisstischem Missbrauch, denn eine Beziehung, die einen der beteiligten Partner zerstört, ist potenziell lebensbedrohlich. Die Botschaft ist: Wir haben Besseres verdient!

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Christine Merzeder

WIESCHLEICHENDESGIFT

NarzisstischenMissbrauchin Beziehungenüberlebenund heilen

Für meine tapferen und starkenVorbilder Renate Apollonia und Svenja …und für Max & Alexander

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Aktualisierte, erweiterte eBook Neuausgabe

© 2023 Scorpio Verlag in Europa Verlage GmbH, München

© 2015 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich

Konzept und Idee für den Umschlag: Gerhard Merzeder, Mark Grünberger

Texte und Konzept in Zusammenarbeit mit Barbara Rusch, München

Satz: Margarita Maiseyeva

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95803-550-8

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

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INHALT

EINMAL HÖLLE UND ZURÜCK

Die Folgen des Missbrauchs heilen

Den Missbrauch erkennen

Überstehen, überwinden, aufblühen

EINFÜHRUNG: DIE STIMME DER ECHO

Die Opfer stehen im Schatten

Männer als Täter – und Betroffene

Es kann jeden treffen

DAS UNTERSCHÄTZTE DRAMA

Prolog: Von Pfauen und Hennen

Der Narzisst in uns

Negativer Narzissmus – der giftige Stoff, aus dem Narzissten sind

Die Ursachen

Opfer – Täter – Opfer

Extrem und bösartig

Und die (Selbst-)Liebe?

ERSTER AKT: BOY MEETS GIRL

Ich bin so schön

Ein Traum – oder?

Wider besseres Wissen

Zur Liebe »gebombt«

Sesam öffne dich, und zwar schnell!

ZWEITER AKT: ERSTER ÄRGER IM PARADIES

Die Fassade bröckelt

Du sollst nicht aufhören zu bewundern …

… und du sollst nicht kritisieren

Unverständig, unverständlich – Kommunikation I

Auf unsicherem Untergrund

Er liebt mich, sie liebt mich nicht …

DRITTER AKT: HERR HYDE, FRAU FURIE UND ANDERE ÜBERRASCHUNGEN

Wer bist du?

Wer mehrmals lügt, dem glaubt man doch

Unverständig, unverständlich – Kommunikation II

Mir schwirrt der Kopf!

Die Wut

Den Gewaltkreislauf durchbrechen

Betrug und Verrat

VIERTER AKT: IM BLINDFLUG

Narzisst und Co.

Zurück auf Null

Unverständig, unverständlich – Kommunikation III

Ich bin allein

Ein neuer Tanz beginnt

FÜNFTER AKT: ON UND OFF

Ich saug dich auf

Du gehörst zu mir …

Weggeworfen

DAS ANTI-DRAMA: DIE VERGIFTUNG HEILEN – UND ERSTARKEN

Vergiftet und abhängig

Auf Entzug

Bis in die kleinste Zelle – körperliche Reaktionen bei narzisstischem Missbrauch

Die Sucht der Sehnsucht

Den Zellen helfen – Reserven auffüllen

DER WEG IN DIE STÄRKE

Die Situation verstehen

Die Heilung in die eigene Hand nehmen

Sich für die Heilung entscheiden

Wege suchen und Hilfe annehmen

Das Trauma verarbeiten

Erste Schritte in die Freiheit

DAS NARCISSISTIC ABUSE RECOVERY PROGRAMM (NARP)

Die Stufen des NARP

Ein Schlussgedanke

Danksagungen

Anhang

EINMAL HÖLLE UND ZURÜCK

Die Psychologie lehrt uns, dass jeder Mensch narzisstische Züge besitzt: Wir alle sind bis zu einem gewissen Grad selbstbezogen und überschätzen unsere eigene Wichtigkeit, sind eitel und stellen uns in einem möglichst günstigen Licht dar. Wir streben nach Erfolg und Anerkennung und stechen auch mal gerne aus der Masse hervor. Im rechten Maß ausgeprägt, sind unsere narzisstischen Züge mit dafür verantwortlich, dass wir ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln. Als »positive Narzisstinnen oder Narzissten« können wir uns mit uns selbst wohlfühlen, die eigenen Fähigkeiten anerkennen, aber auch unsere Grenzen akzeptieren. Es gelingt uns, Ablehnung zu ertragen, Kritik zu verarbeiten und Rückschläge zu überwinden. Und nicht zuletzt ist ein bejahendes Selbstwertgefühl eine wichtige Voraussetzung, um mit anderen Menschen Beziehungen aufzubauen, die für beide Seiten befriedigend sind, sei es in einer Partnerschaft, in der Familie, in Freundes- oder Kollegenkreis.

Menschen mit sehr ausgeprägten narzisstischen Zügen bis hin zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind hingegen vollkommen auf sich selbst fokussiert. Ihr Selbstgefühl und ihr Selbstwertgefühl sind jedoch zutiefst gestört. Solche »negativen Narzissten« oder »negativen Narzisstinnen« entwickeln keine Beziehungen, die wir als funktionierende Partnerschaften mit einem mehr oder minder ausgeglichenen »Konto« aus Geben und Nehmen bezeichnen würden. Sie sind nicht für andere Menschen da, sondern benutzen sie als Energiequelle, um die eigene innere Leere aufzufüllen. Sie stärken ihr Ego durch »narzisstische Zufuhr«, so der Fachbegriff, die sie in all ihren Facetten von ihrem Umfeld erhalten: Anerkennung, Lob, Bewunderung, Respekt, Sex, materielle Vorteile – aber auch Angst und Unterwerfung und damit einhergehend Kontrolle und Machtgefühle. Narzissten, wie negative Narzisstinnen und Narzissten im allgemeinen Sprachgebrauch und im Folgenden teils auch in diesem Buch verkürzt genannt werden, werten sich selbst auf, indem sie ihr Gegenüber manipulieren, emotional ausbeuten und abwerten. Sie begehen narzisstischen Missbrauch.

Wer diese Form des Missbrauchs nicht selbst oder in seinem persönlichen Umfeld erlebt hat, vermag sich seine Mechanismen und verheerenden Auswirkungen kaum vorzustellen. Außenstehende können nur schwer nachvollziehen, wie Menschen in den Bann von negativen Narzisstinnen und Narzissten geraten, wie ihr Denken und Fühlen nur noch auf den narzisstischen Partner ausgerichtet ist, wie ihre Wahrnehmung und Eigenwahrnehmung manipuliert und ihr Selbstbewusstsein so zerstört werden, dass sie sich nur noch als ein »Nichts« fühlen. Die Betroffenen wissen nicht, dass sie eine gestörte Persönlichkeit, ja einen Feind als Gegenüber haben, dem sie nach der romantischen Anfangsphase einer Beziehung nie mehr etwas recht machen können. Sie erschöpfen sich zusehends über die Jahre. Narzisstischer Missbrauch kann daher den Weg in die Katastrophe bedeuten, zu seelischem Leid und chronischen Krankheiten, zu Suchterkrankungen und in einem letzten verzweifelten Schritt sogar zum Suizid führen.

Welch ungeheure destruktive Kraft diese Form des Missbrauchs entfesselt, habe ich in meiner zwölf Jahre langen Ehe mit einem extremen Narzissten am eigenen Leib erfahren. An dieser Verbindung wäre ich beinahe zugrunde gegangen. Durch den dauerhaften Missbrauch hatte ich psychisch enormen Schaden genommen, der sich schließlich auch in einem körperlichen Zusammenbruch manifestierte. Ich verspürte große seelische und körperliche Schmerzen und magerte stark ab, war wie gelähmt und stand unter Schock. Ich fühlte mich wie auf automatische Selbstzerstörung programmiert und fand gleichsam den Knopf zum Abschalten nicht. Nachdem ich jahrelang unter permanentem seelischem Stress gestanden hatte, emotional manipuliert und entwertet worden war, mich selbst immer wieder infrage gestellt und ständig härter um das Gelingen der Beziehung gerungen hatte, litt ich unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Mein Ehemann hatte mich seelisch so erschöpft, dass ich akut suizidgefährdet war und diese schwere Krise nur dank der Hilfe meiner Familie und guter Freunde durchstand.

DIE FOLGEN DES MISSBRAUCHS HEILEN

Durch den narzisstischen Missbrauch in meiner Ehe war ich bis in meine Grundfesten erschüttert, und in dieser leidvollen Erfahrung halfen mir weder empfohlene Psychopharmaka noch das Therapieangebot von Psychologen. Ich besaß aber noch genügend (Über-)Lebenswillen, um nach einem Ausweg aus dieser hoffnungslos anmutenden Lage zu suchen. Meine persönliche Rettung fand ich in der einfühlsamen Begleitung durch einen Psychiater, der einfach im Hier und Jetzt für mich da war, der meine Annahmen und Gedanken in einen neuen Kontext stellte und mir bestätigte, dass ich dringend Hilfe brauchte. Er war auch offen genug, mich darin zu unterstützen, Rettung in einem Heilverfahren der Australierin Melanie Tonia Evans zu suchen und zu finden. Heute bin ich dank der Hilfe meines Umfelds, des Beistands meines Psychiaters und Melanies Therapie vollständig von den Folgen meines Missbrauchs geheilt. Tatsächlich habe ich in ein Leben zurückgefunden, in dem ich mehr Glück, Zufriedenheit und Freude verspüren kann als je zuvor, weil ich gelernt habe, mich selbst und meine Bedürfnisse auf eine positive Weise ernst zu nehmen. Dafür bin ich allen Beteiligten zutiefst dankbar.

Das Narcissistic Abuse Recovery Program

Eine große, entscheidende Rolle bei meinem Weg zurück ins Leben spielte zweifellos Melanie Tonia Evans’ Narcissistic Abuse Recovery Program (Programm zur Genesung von narzisstischem Missbrauch, NARP). Melanie hatte jahrelang als intuitive Heilerin gearbeitet, was sie jedoch nicht davor schützte, zweimal durch einen jeweils anderen narzisstischen Lebenspartner schwer missbraucht zu werden. Die Folgen waren katastrophal und hätten sie beinahe das Leben gekostet: Sie litt an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, war aufgrund einer extremen Agoraphobie nicht mehr in der Lage, sich im Freien aufzuhalten, und konnte wegen wiederkehrender Panikattacken kein auch nur annähernd »normales« Leben führen.

Auf der Basis dieser Erfahrungen und der ihr vertrauten Heilmethoden entwickelte sie das NARP, mit dessen Hilfe es ihr gelang, vollständig zu genesen. Melanies Heilmethode werde ich in diesem Buch noch detailliert vorstellen, weshalb ich an dieser Stelle nur kurz darauf eingehen möchte. Das Verfahren besteht aus sprachlich geführten Visualisierungen, in deren Verlauf man Kontakt mit allen Körperzellen aufnimmt, in denen die Traumata des narzisstischen Missbrauchs gespeichert sind. Auf diese Weise wird es einem möglich, diese zu lösen und durch Licht und Energie zu ersetzen. Die tiefgreifende, langfristige Wirksamkeit dieser Therapie ruht auf drei Säulen: schonungslose Ehrlichkeit ohne Schuldzuweisungen, glasklare Selbsteinsicht und die Unterstützung durch ein Online-Forum mit Tausenden betroffenen Mitgliedern.

Das Narcissistic Abuse Recovery Program kann seit 2007 über Melanies Website – auf Englisch – gebucht werden. Seither hat es bereits Tausenden Betroffenen geholfen, die Folgen ihres narzisstischen Missbrauchs zu überwinden. Mittlerweile ist das 10-Schritte-Programm als Buch auch auf Deutsch erhältlich – ebenfalls im Scorpio Verlag unter dem treffenden Titel »Endlich frei!«.

Wer heilt, hat recht

Das Narcissistic Abuse Recovery Program stellt jedoch nur eine – wenngleich in meinem und in vielen anderen Fällen fantastisch wirksame – Methode dar, die schlimmen Folgen narzisstischen Missbrauchs zu überwinden. Tatsächlich reiht sich das NARP ein in eine Vielzahl von seit Langem bewährten Therapieformen, die bei der Überwindung und Bewältigung von Traumata auf das enge Zusammenspiel von Psyche und Körper eingehen und/oder meditative Elemente aufweisen. Hilfreiche Erkenntnisse darüber, wie unsere Prägungen, Einstellungen, Glaubenssätze und Gedanken unsere Körperstrukturen positiv wie negativ beeinflussen können, liefert unter anderem die Epigenetik.

Dieser Wissenschaftszweig beschäftigt sich damit, ob und wie die Umwelt unser Erbgut im Lauf eines Lebens beeinflusst, welche Rolle dabei Krankheiten, physische und psychische Traumata spielen – und ob wir auch einschneidende Erfahrungen beispielsweise aus Kriegs- und Hungerzeiten durch unsere Gene weitergeben. Wenn ich also an dieser Stelle etwas empfehlen kann, dann einzig die Regel, dass es hinsichtlich der besten Therapie keine Regel gibt. Alles, was hilft, ist gut und richtig!

DEN MISSBRAUCH ERKENNEN

Nachdem ich im Jahr 2012 meinen, wie ich erst dann herausfand, untreuen, pornografiesüchtigen, kaltherzigen Ehemann Hals über Kopf – und keinen Tag zu früh – verlassen hatte, suchte ich verzweifelt nach einer Erklärung für meinen katastrophalen psychischen und körperlichen Zustand. Als ich während einer meiner zahllosen Internetsuchen schließlich auf Melanies Programm stieß, verstand ich zum ersten Mal, was mit mir geschehen war: Ich litt unter den Folgen schweren narzisstischen Missbrauchs – ein psychologisches Phänomen, von dem ich bis dato keine Ahnung gehabt hatte, dass es überhaupt existiert. Doch schon allein das Wissen, dass es einen Grund für mein Leiden gab und ich mit meinen schlimmen Erfahrungen keinen Einzelfall darstellte, linderte meine seelische Not, gab mir Trost und brachte mir Hoffnung.

Mein Bruder bot mir in dieser schweren Zeit Zuflucht und Sicherheit, erlaubte mir jedoch kein Selbstmitleid. Als Fotograf für Hochglanzmagazine und Kunstexperte bewegt er sich beruflich in einer »narzisstisch anfälligen« Szene und kommt häufig mit Menschen zusammen, die Ähnliches wie ich erlebt haben. Kaum war ich wieder auf den Beinen, forderte er mich deshalb eindringlich dazu auf, über narzisstischen Missbrauch aufzuklären, ihn aus der Innenansicht einer Betroffenen zu schildern und anderen Opfern durch die Darstellung meiner Heilung Hoffnung zu vermitteln.

Sein beharrliches Mahnen gab somit den Anstoß, dieses Buch zu schreiben. Zuallererst wende ich mich damit natürlich an andere Betroffene, die sich häufig in einer ähnlich qualvollen Lage wie ich vor wenigen Jahren befinden: Sie leiden, weil sie von ihrem narzisstischen Partner oder ihrer Partnerin auf vielfältige Weise missbraucht wurden, doch wissen sie nicht, dass ihr Unglück und Schmerz eine benennbare Ursache haben. Möglicherweise sind sie seelisch und körperlich am Boden, haben den Glauben an sich und die Welt aufgegeben und nicht nur scheinbar ihren Verstand, sondern auch ganz real ihr materielles Vermögen verloren. Doch vielleicht – und dies hoffe ich ganz fest – können sie in dieser dunklen Phase von meinen Erfahrungen profitieren. Denn eines habe ich sicher gelernt: Sobald man die Gründe für seinen desolaten Zustand kennt, hat man den ersten Meilenstein auf dem Weg zur Heilung erreicht.

Wie (überlebens-)wichtig zudem die Erkenntnis ist, dass auch andere unter den gleichen Nöten leiden, erfahre ich zudem fast täglich in Selbsthilfegruppen und Internetforen, in denen sich Betroffene austauschen. Für die meisten ist es ein wichtiger, kraftspendender Trost, zu wissen, dass sie kein Einzelfall sind – und dass sie in ihrem Leid Verständnis und Unterstützung erfahren.

Ob in der Familie zwischen Eltern und Kindern, zwischen Liebespartnern, im Beruf, im Freundeskreis: Beziehungen mit narzisstischen Menschen sind wie schleichendes Gift, das seine Opfer langsam zerstört. Damit die Betroffenen ihre Situation wiedererkennen, versuche ich diese so deutlich wie möglich anhand der Entwicklung einer Paarbeziehung mit einem narzisstischen Partner oder einer narzisstischen Partnerin darzustellen. Dabei schreibe ich zwar an manchen Stellen nur von »dem Narzissten«, doch dies der Einfachheit halber und um den Lesefluss nicht zu behindern. Gemeint sind in allgemeinen Beschreibungen natürlich immer narzisstische Menschen – negative Narzisstinnen und Narzissten.

Damit Betroffene darüber hinaus das angemessene Verständnis und die dringend benötigte Hilfe erlangen, möchte ich aber auch alle ansprechen und aufklären, die Opfern narzisstischen Missbrauchs im privaten Umfeld oder im Rahmen ihres Berufes begegnen. Hierzu zählen sicherlich Psychologinnen und Psychologen, Ärztinnen und Ärzte und die ganze Palette der im weitesten Sinne im medizinischen und therapeutischen Bereich Tätigen, Beschäftigte in sozialen Berufen wie Mitarbeiterinnen in Frauenhäusern, Angehörige der Polizei, Seelsorgende, aber beispielsweise auch Mediatorinnen und Mediatoren sowie Anwältinnen und Anwälte, Richterinnen und Richter im Familienrecht oder Personalverantwortliche in Firmen und Behörden.

Zudem richte ich mich selbstverständlich an alle, die sich für Psychologie im Allgemeinen, für die psychischen Folgen von wie auch immer geartetem Missbrauch oder das Phänomen des Narzissmus im Speziellen interessieren. Und da die beste Therapie noch immer die Prävention ist, möchte ich mit meinem Buch nicht zuletzt auch dazu beitragen, dass Sie, meine Leserinnen und Leser, narzisstische Menschen anhand ihrer typischen Verhaltensweisen erkennen, die einem immer gleichen, leicht variierten Grundmuster folgen. So gerüstet, können Sie, wie es Betroffene mit durchaus humorvollem Augenzwinkern raten, den Narcdar (Narzissmusradar) ausfahren, wann immer Sie neue Freundschaften schließen oder Partnerschaften eingehen. Oder im Beruf den Narc-Decoder anwerfen, um all die Narzissten in Ihrem Umfeld zu erkennen, auch wenn diese nur ein paar Sätze von sich gegeben haben.

ÜBERSTEHEN, ÜBERWINDEN, AUFBLÜHEN

Es ist mir wichtig, mit Wie schleichendes Gift Opfern von narzisstischem Missbrauch eine Stimme zu verleihen, aber auch Auswege aus ihrer Situation aufzuzeigen. Dazu haben mir viele Betroffene persönlich, in Selbsthilfegruppen oder über Internetforen ihre Geschichten erzählt, die ich so wiedergebe, dass sie darin nicht erkannt werden. So ist es denn keine Übertreibung, wenn ich dieses Buch auch als eine Überlebenshilfe bezeichne, die auf den Erfahrungen und dem Wissen von Hunderten Überlebenden basiert. All diesen Frauen und Männern, die sich mir gegenüber öffneten, danke ich zutiefst für ihren Mut und ihr Vertrauen. Sie alle wissen, wer gemeint ist, und freuen sich hoffentlich mit mir, dass narzisstischer Missbrauch und seine verheerenden Folgen endlich zu einem öffentlich diskutierten Thema werden – und zwar aus der Sicht der Opfer.

Das vorliegende Buch soll dazu beitragen, dass Leidtragende wie ich den Missbrauch überstehen und Möglichkeiten finden, seine Folgen zu überwinden. Wie schwierig dieser Weg der Heilung ist, weiß ich nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern auch aus meinen Aktivitäten mit anderen Betroffenen in Internetforen und Selbsthilfegruppen. Dort ermutigen Betroffene neu hinzugekommene Mitglieder, helfen ihnen, Klippen auf ihrem Weg der Genesung zu überwinden und vor allem den Glauben an sich selbst wiederzufinden.

Dies ist kein einfacher Weg. Ich kann jedoch nicht genug betonen, dass er auch eine große Chance birgt. Wer ihn beschreitet, stellt sich den seelischen Verletzungen, die er schon vor dem Missbrauch erlitten hatte und die dem narzisstischen Täter oder der Täterin überhaupt erst die ideale Angriffsfläche boten. Wenn man diese tief verborgenen Wunden aufspürt und ihre Heilung zulässt, schafft man sich letztendlich die Grundlage für ein glücklicheres Leben. Dazu gehört unabdingbar, authentischer zu werden, sich endlich als die Person, die man ist, schätzen zu lernen und weiterzuentwickeln.

From survivor to thriver heißt es im Englischen, vom Überlebenden zu einem Menschen, dem es gut geht oder, poetischer ausgedrückt, der regelrecht aufblüht. Für stark leidende Betroffene, die sich fühlen, als wären sie gerade von einem Schnellzug überfahren worden, mag das völlig illusorisch erscheinen. Doch tatsächlich drückt der Leitspruch genau das aus, was sich aus der bedauernswerten Situation eines Missbrauchsopfers heraus erreichen lässt. Oder, wie Melanie Tonia Evans am Anfang meiner Therapie zu mir sagte: »Narzisstischer Missbrauch ist ein Geschenk, das wir anzunehmen lernen müssen.« Dass dies kein zynischer Wahlspruch ist, sondern eine tiefe Wahrheit ausdrückt, verstand ich erst lange Zeit später.

Ein Wort vorweg zur aktuellen Auflage

Seit seinem ersten Erscheinen im Jahr 2015 erfährt Wie schleichendes Gift eine gleichbleibend hohe Nachfrage. Dies zeigt, dass viele andere täglich an der gleichen Stelle stehen wie ich im Jahr 2012 – und weiterhin umfassende Aufklärungsarbeit über narzisstischen Missbrauch notwendig ist. Hierfür soll mein Buch noch lange dienen.

Narzissmus ist bei Menschen sämtlicher Geschlechtsidentitäten verbreitet, gleiches gilt für die Opfer von narzisstischem Missbrauch. Aus meiner Erfahrung mit vielen Betroffenen kann ich sagen, dass Frauen auf ihrem Weg zur Überwindung und Heilung von Missbrauch aus verschiedenen Gründen häufiger Unterstützung annehmen als Männer. Seit der ersten Veröffentlichung von Wie schleichendes Gift kommen jedoch auch zunehmend betroffene Männer vertrauensvoll auf mich zu. Ich möchte an dieser Stelle deshalb noch einmal alle, gleich welchen Geschlechts, die narzisstischen Missbrauch erleben oder erlebt haben, ermutigen, sich Hilfe zu suchen.

Ganz besonders möchte ich Josef Christian Aigner, emeritierter Professor für Psychosoziale Arbeit und Psychoanalytische Pädagogik der Universität Innsbruck, für seinen Beitrag (siehe ab Seite 97) zu dieser Neuausgabe danken. Der international renommierte Experte in der Väter- und Männerforschung zeigt eindrücklich auf, wie körperliche Gewalterfahrungen in Kindheit und Jugend von Generation zu Generation neue Gewalttäter hervorbringen – und wie wichtig es ist, diese Strukturen zu durchbrechen.

Zürich und Innsbruck im Frühjahr 2023,

Christine Merzeder

EINFÜHRUNG:DIE STIMME DER ECHO

In der griechischen Mythologie ist Narziss ein junger Mann, dessen Schönheit Menschen betört und Götter zum Schwärmen bringt. Zu seinem großen Kreis von Bewunderern gehört auch die Bergnymphe Echo. Eines Tages folgt sie heimlich Narziss, der auf einer Jagd seine Gefährten verliert und allein durch einen Wald streift. Bei dieser Gelegenheit gesteht sie dem Angebeteten ihre Liebe, doch Narziss, der niemandem Liebe schenken kann, weil er selbst keine bekommen hat, weist die hübsche Tochter der Erdmutter Gaia grob zurück. Zutiefst verletzt zieht sich Echo in die Wälder zurück und versucht dort in der Einsamkeit ihren Kummer zu überwinden. Aber, so erzählt der römische Dichter Ovid in seiner berühmten Version des tiefgründigen Mythos, ihre »Liebe verbleibt und wächst noch über den Schmerz der Zurückweisung. Sorgen rauben ihr den Schlaf und verzehren ihren vergehenden Körper.« In ihrer seelischen Not magert sie immer weiter ab, bis sie schließlich ganz verschwindet und ihre Knochen zu Felsen versteinern. Von der einst heiteren, lebensfrohen Nymphe verbleibt nur ihre Stimme, die gedämpft als das Echo anderer Stimmen erschallt.

Der legendäre Narziss stand Pate für ein psychologisches Phänomen, das heute unter dem Begriff »Narzissmus« zusammengefasst wird. In seiner schillernden Vielschichtigkeit übt es eine ähnlich große Faszination aus wie sein schöner Namensgeber aus dem antiken Mythos.

In der Psychologie setzt man sich mit den Ursachen, Formen und Folgen des Narzissmus seit nunmehr über einem Jahrhundert auseinander. Seit wenigen Jahren wird die gesteigerte Selbstzentriertheit jedoch auch außerhalb der Fachdiskussion immer mehr als ein brisantes Thema entdeckt. Denn ganz offensichtlich ist der Narzissmus nicht nur auf der individuellen Ebene zwischenmenschlicher Beziehungen von Bedeutung. Vielmehr entwickelt er sich auch zu einem problematischen Charakteristikum moderner »narzisstischer« Gesellschaften. Überspitzt formuliert, wertschätzen diese nicht den sozialkompetenten, einfühlsamen, hilfsbereiten Menschen, sondern erklären den rücksichtslosen egozentrischen Einzelkämpfer zum Ideal.

Selbstzentriert, egoistisch, grandios in der Selbstdarstellung und Selbstüberschätzung, faszinierende Blender und brutale Despoten, extrem ehrgeizig und machtbereit – in einem ersten Impuls sucht man negative Narzisstinnen und Narzissten zu Recht in den oberen Etagen von Politik und Wirtschaft, auf den bunten Seiten der Yellow Press oder in Reality-TV-Sendungen. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt mit großer Wahrscheinlichkeit wohl jeder in seinem Umfeld Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Zügen: Wer kennt ihn nicht, den pompös aufgeblasenen Chef, der seine Ziele ohne Rücksicht auf andere zu erreichen versucht und keinerlei Widerspruch zulässt, die auf den schönen Schein Fixierte mit dem Schrank voller Markenkleidung, die Beziehungen nur eingeht, wenn sie ihr persönlichen Vorteil bringen, oder die überehrgeizigen Eltern, die ihre Kinder nur wahrnehmen, wenn sie ihre hochgesteckten Erwartungen erfüllen? Dies sind nur drei mögliche Beispiele aus einer langen Liste typischer Narzisstinnen und Narzissten, die uns in der ein oder anderen Gestalt begegnen können.

Interessanterweise stehen in der bisherigen populären Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Narzissmus vorrangig die typischen Eigenschaften und Verhaltensmuster von negativen Narzisstinnen und Narzissten im Mittelpunkt. Anschaulich wird deren psychische Struktur beschrieben und ihre mögliche oder auch unmögliche Therapierbarkeit diskutiert. Weitaus weniger Aufmerksamkeit erfahren hingegen meist die Probleme derjenigen, die unter den subtilen Manipulationen, der emotionalen Ausbeutung und der psychischen Gewalt von narzisstischen Menschen leiden. Ketzerisch könnte man vermuten, dass die Darstellung der narzisstischen Täter und Täterinnen vielleicht eine höhere Aufmerksamkeit erregt als die Auseinandersetzung mit ihren Opfern. So gesehen erhalten diejenigen, die etwas zum Thema Narzissmus veröffentlichen, über die Täter eine höhere narzisstische Zufuhr als über die Opfer. Die Betroffenen stehen also nicht nur in ihrer Alltagsrealität im Schatten eines narzisstischen Menschen, sondern werden auch in der Diskussion rund um das Thema Narzissmus stiefmütterlich behandelt. Häufig werden sie gar übersehen. Infolgedessen ist das Bewusstsein über die Formen und die Folgen von narzisstischem Missbrauch bis heute in der Öffentlichkeit gering. Tatsächlich ist das allgemeine Wissen über diese komplexe Problematik weder so weitreichend noch so weitverbreitet, wie es angesichts der dramatischen Auswirkungen erforderlich oder zumindest wünschenswert wäre.

Allerdings ist in jüngster Zeit ein erster Wandel in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verspüren. So wird beispielsweise in den Medien zunehmend über »toxische« Beziehungen aufgeklärt, in Reportagen, Dokumentationen und sogar in populären TV-Serien narzisstischer Missbrauch thematisiert. Und nicht zuletzt haben sich in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum einige Selbsthilfegruppen von Betroffenen formiert, deren Zahl ständig wächst – und die auch langsam in Politik und Institutionen Gehör finden.

Dennoch herrscht noch immer ein enormer Mangel an Information über narzisstischen Missbrauch, den ich wie so viele andere persönlich Betroffene schmerzhaft erfahren musste. Deshalb gehe ich in diesem Buch einen anderen Weg. Bildlich gesprochen drehe ich den Spiegel des Narziss, um in der Gedankenwelt des antiken Mythos zu verbleiben, und richte ihn auf die unglückliche Echo. Deren Verhalten lässt sich auf verschiedene Weise deuten, erlaubt aber auch folgende Interpretation: Die Bergnymphe verliebt sich in eine Person, die vor emotionaler Nähe flieht und weder sich selbst noch andere lieben kann – der Inbegriff eines Narzissten. In ihrer emotionalen Abhängigkeit von Narziss gefangen, verliert sie sich schließlich selbst so weit, bis sie nur noch als ein letzter, leiser Hauch existiert. Damit zeigt die verletzte Bergnymphe Symptome, wie sie auch die Opfer narzisstischen Missbrauchs aufweisen. In diesem Sinne ist Wie schleichendes Gift das Buch der Echo: Es verleiht all jenen eine Stimme, die im Zusammenleben mit einem Narzissten Leid erfahren und Schaden genommen haben.

DIE OPFER STEHEN IM SCHATTEN

Tatsächlich ist die Zahl der Opfer narzisstischen Missbrauchs weitaus höher, als man annehmen würde, denn auch der Narzissmus in seinen verschiedenen Ausprägungen ist ein sehr viel weiter verbreitetes Phänomen, als man sich gemeinhin vorstellt. Den genauen Anteil von Narzisstinnen und Narzissten in der Bevölkerung können Fachleute nur grob angeben, zwischen ein und mehreren Prozent lauten die Schätzungen. Dies alles zieht erhebliche Konsequenzen nach sich. So gehen Fachleute beispielsweise davon aus, dass bei vielen Suchterkrankungen eine narzisstische Störung zugrunde liegt. Trotzdem wissen Therapeutinnen und Therapeuten oft nur wenig über narzisstische Verhaltensweisen und deren Auswirkungen auf die Personen im Umfeld eines narzisstischen Menschen. Das liegt auch daran, dass Narzisstinnen und Narzissten kaum für klinische Studien zur Verfügung stehen, weil sie sich nur sehr selten in Therapie begeben und in der Regel nicht, um ihren Narzissmus behandeln zu lassen, sondern zum Beispiel eine Suchterkrankung. Ein befreundeter Psychiater drückte es so aus: »Gott und Narzissten sind unfehlbar, und Gott hat keine Therapie nötig.« Darüber hinaus verströmen narzisstische Menschen nicht selten eine gewisse Faszination, der sich auch psychotherapeutische Fachleute bisweilen nicht entziehen können. Die Frage nach den Opfern im Umfeld wird deshalb meist zu selten oder gar nicht gestellt.

Narzisstische Menschen und ihre Opfer können in verschiedensten Konstellationen aufeinandertreffen, sei es in Eltern-Kind-Beziehungen, in Freundschaften, Partnerschaften oder im Beruf. Für Betroffene kann sich in all diesen Konstellationen großes Leid ergeben, und ich hoffe, dass hier noch viel Aufklärung betrieben wird.