Gehasster Sohn - Geliebter Zögling - Robert Volek - E-Book

Gehasster Sohn - Geliebter Zögling E-Book

Robert Volek

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Beschreibung

Gehasster Sohn - Geliebter Zögling Abrechnung mit der Mutter, die Robert immer gehasst hatte, ja noch immer hasst. Abrechnung mit dem System, der 20 jährigen Heimerziehung. Abrechnung mit der Zeit nach Heimentlassung und der Behördenwillkür. Robert hatte in den 20 Jahren Heimaufenthalt, in Heimen der Gemeinde Wien, nichts anderes kennengelernt, als Drill, Missbrauch, sexuellen Missbrauch, Folter und eisernen Gehorsam. Er wurde gezwungen, seine natürliche und kindliche Entfaltung zu unterdrücken und so zu leben, wie die schwarze Pädagogik es vorgeschrieben hat. Sein Wille wurde in den Heimen gewaltsam gebrochen. Die "Schwarzen Pädagogen und Psychologen" hielten in ihrem Gutachten fest, dass Robert "misshandlungsgefährdet" sei. Damit haben sie Robert zum Freiwild für Erziehungskräfte und Lehrer erklärt. In vier Teilen und einem Gedanken danach versucht Robert seine schreckliche Vergangenheit aufzuarbeiten und mit ihr abzurechnen.

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Weißt eh warum?

Dieses Buch ist meiner lieben Gattin,

Elfriede Volek gewidmet.

„Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder.“

Julius Tandler, 1869 bis 1936 Stadtrat für Wohlfahrts- und Gesundheitswesen

Ich hatte in meiner Kindheit den Palast ersehnt. Für mich

gab es nur Kerkermauern.

Den Palast in meinem Leben gab mir meine liebe Elfriede.

Danke, liebe Elfi

Robert Wolfgang Volek

Wien, 4. Juli 2016

Hochzeitstag

Ich sitze vor meinem PC und lese Beiträge und Themen aus meinem Forum durch, bilde mir Meinungen, entgegne oder befürworte die Themen und Beiträge. Da war doch noch etwas? In meinem Hinterkopf hatte ich etwas gespeichert, was ich nicht vergessen sollte. Was war das nur? Gedankenversunken gehe ich in die Küche. Weibi kocht gerade für sich ein paar Griessnockerln in einer Suppe. Ich betrachte mein Weibi und schmunzle, als sie mich ansieht.

„Ja, Weibi …“, denke ich mir, „Weibi hat die scheiß Krankheit, Gott sei Dank, so halbwegs im Griff. Sie kann wieder essen, sie ist fröhlicher …“ Noch immer nachdenkend und mein Weibi betrachtend, studiere ich weiter: Was will mir da nicht einfallen?

Ich brühe mir einen Kaffee und Erinnerungen werden wach, wie ich Weibi kennengelernt habe, wie wir die Wohnung wechselten, wie unsere Kinder in die Schule gingen, wie sie spielten, wie wir Ausflüge machten, wie wir reiten gingen, wie Freunde von den Kindern bis in die Nacht mit uns Erfahrungen austauschten, wie die Kinder heranwuchsen, selber Kinder bekommen haben. Ja! Ich liebe meine Kinder und Enkelkinder … Ich setze mich zum Schreibtisch und betrachte den Bildschirm meines PCs.

Verflixt, mir will nicht einfallen, was in meinem Hinterkopf abgespeichert war. Ich sehe mir die Fotos der Familie im Wohnzimmer an, schlürfe von meinem Kaffee einen genüsslichen Schluck und wippe mit dem Sessel, die Mundwinkel leicht Richtung Ohren, während meine Erinnerungen wie im Kino ablaufen.

Ein neues Bild in meinen Gedanken: Heimerinnerungen werden wach. Warum will mich meine Erzeugerin nicht? Mein Bruder hat unsere Erzeugerin – „Frau Mama“, wie Richard seit Jahren zu sagen pflegt – schon Jahrzehnte früher abgeschrieben als ich. Die Prügel und sexuellen Missbräuche im Heim laufen wie ein Film in meinem Kopf ab. Ich spüre das Kopfpolster in meinem Gesicht. Sehe meinen Kopf in der WC-Muschel, wie das Rauschen in meinen Ohren nur mehr blubberte, als der Erzieher auf mich – während er den Kopf unter das Wasser hielt – eingeredet hat, spüre den Zatopek auf den Fußsohlen und Handflächen, spüre, wie meine Füße zittern, als ich in Schranz-Hocke an der Wand lehne. Ich sehe, wie mich Erzieher Nawurth sexuell missbraucht. Wie ich mich zu wehren versuche und dafür bestraft werde. Ich habe große Atemnot, als ich das Kopfpolster im Gesicht spüre. Mir rinnt es kalt über meinen Rücken. Ich sehe mich im Polizeikommissariat Penzing, die Niederschrift übers Verdreschen durch Erzieher Roeth unterschreiben. Sehe, wie mich der Politiker Pruml wieder und wieder missbraucht.

Ich komme mir vor, als wäre ich ein „Sexobjekt“ für warme Brüder. Ich weiß noch immer nicht, an was ich erinnert werden sollte. Ich hätte es mir aufschreiben sollen … Ich beginne zu studieren … denke an DAS „Erlebnis“ schlechthin: Elfi windet sich vor Schmerzen … kalter Schweiß … farbloses Gesicht … hilfesuchende Augen … krampfartige Schmerzen … fester Griff um meine Unterarme … Magendurchbruch … Notoperation … Chemo-Therapie … Haarausfall … Mir wird etwas schwindlig, aber ich brauche meine ganze Kraft für mein Weibi … Nein, ich darf jetzt nicht schwach werden … Elfi braucht mich doch noch …

Meine geliebte Elfi ist nicht mehr die „alte Puppe“, die ich bisher kannte und mit der ich verheiratet bin. Viele Veränderungen in unserem Leben sind durch diese scheiß Krankheit plötzlich aufgetaucht, als wollten sie sagen: „Wir sind jetzt da und bleiben eine Zeit zwischen euch!“

Jetzt ist es um mich geschehen und der Tränenfluss ist nicht mehr aufzuhalten: „Ach Elfi, warum ist dir diese verdammte Krankheit zugestoßen? Warum gerade dir?“

Ich starre Löcher in die Luft. In mir ist alles leer. Ich wische mir meine Wangen ab. Die Tasten des Keyboards sind verschwommen. „Was will mir verflixt nicht und nicht einfallen …“ Ich grüble noch immer weiter.

Ich sehe auf den Monitor meines Computers. Mein Blick schweift in die rechte untere Ecke des Bildschirms: „01. 07. 2012, 22:30 Uhr.“ Ich stelle mir vor, was in Zukunft sein wird. Mit Weibi, mit unseren Kindern, mit uns allen. Ich mag gar nicht dran denken.

Wie vom Blitz getroffen, fällt es mir ein: „Was! So lange sind wir beide schon verheiratet? Ich rechne innerlich nach. 3. Juli 1984. Genau! Weibi und ich sind in zwei Tagen, 28 Jahre lang verheiratet.“ Noch in meine Gedanken versunken gehe ich zu Elfi in die Küche. Gebe ihr einen Kuss. Sie sieht mich an und lächelt. Sie hat verstanden. „Ja, der 3. Juli ist unser 28. Hochzeitstag.“

Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Gib einem Menschen die Macht, dann lernst du ihn kennen

Heimerfahrungen

Dokumente der Willkür

Zentralkinderheim

Pflegefamilie

Eisenbahn

Am Himmel

Schloss Altenberg

Ich töte dich

„Brav“ sein

Besuch

Nasse Aussprache

Altenberger Wasserspiele

Altenberger Mädchen

Schloss Wilhelminenberg

Penisspiele

Dr. Stein im Hause Wilhelminenberg

Natürliche Vergleiche

Hunger

Parksanatorium Hütteldorf

Gruppe 2

Harmonium

Ingeborg K.

Kuhaugen

Hilfserzieher mit Matura

Friseur Bliba

Erstkommunion

Ekzem

Restaurant Stephan

Fußbäder

WC-Papier zum Lesen

Unterhosenkontrolle

Sauschädel

Baumgartner-Bad

Sardinenbuben

Öl für die Haut

Eva Maria

Frühdienst

Milchhaut

Dürre

Brief

Jacobus

Gsched sei (Gescheit sein)

Frau Frenk

Abszess

Schwester Anna

Hüpfende Hände

Ausgang

Portierloge

Speiübel

Taschenmesser

Postkarte

Rituale im Heilpädagogischen Kinderheim Hütteldorf

Anita

Zatopek, Erziehungshilfe Nawurth

Hauptschule

Ybbs Persenbeug

Religion

Strafe stehen

Oide Drecksau

Kopfwäsche

Wiener Fenstersturz

„Weißt eh, warum?“

Erziehungsmethoden in Hütteldorf und in der Sonderschule der Stadt Wien

Gruppe 12

Einvernahme

Quiz

Streicheleinheiten

Hysterie

Du Aas!

Schwester Hilde

Peniskontrolle

Didi Heisla

Gitsch (Krankenzimmer)

Strafe sitzen

Helli

24 Uhr Geisterstunde?

Gelbsucht

Brackmos schwarze Messe

Küchenbrand

Puppe

Vor der Wand stehen

Pistole

Dipl. Ing. H. Durst

Maria und der Dornenwald

Robert und Robert

Weihnachten 1965

Neujahr 1966

Firmung

Teil 2

Austritt aus dem Kinderheim

Tante Hella

Geldgier

Eifersucht

Hysterie-Anfall

Lehrlingsheim Hadersdorf/Weidlingau (HaWei)

Vorgeschichte

Ein abartiger Mensch

Franz Streithansl

Fachlehrer Gud

Ladung in die Schule

Blut-Stockerl

Lohnerlag

Myrthengasse

Auhof-Mädchen

Heimordnung

Sperma

Prein an der Rax

A g´führiger Schnee

Payerbach/Reichenau

ÖGB

Hauch mich an

Nasenbein gebrochen

Kommissariat Penzing

Lehrstellenwechsel

Skiurlaub

Hohe Tauern

Ski-Foahrn

Happy-Birthday

Volek darf das Heim verlassen

Teil 3

Gesellenheim

SPÖ und ÖGB

Einberufung

Bundesheer

Winter

Wache schieben

Befohlener Rapport

Mil-HuSta (Militär-Hunde-Staffel)

Mutsch

Weibi

Lainzer Tiergarten

Kahlenberg

Wer weiß, ob das Kind lebend auf die Welt kommt

Babsi

Angst ums Leben

Familienzuwachs

23 Jahre bei den Wiener Verkehrsbetrieben

Teil 4

Vergangenheitsbewältigung

Mutterliebe, was ist das?

Im Heim geboren

Dr. Lindt (Name geändert)

O, du mein „Österreich“

Erfahrungen mit dem Büro des Bürgermeisters

Volksanwaltschaft

Jugendamtsakt der MA 11

Kurier

Gedanken „danach“

Misshandlungsgefährdet

Führungsbericht (Original)

Heilpädagogik

Obdachlos

Geld regiert die Welt

Leere Worte

Die Stadtregierung

Verein

Scheißegal

Vergangenheitsbewältigung ist nicht gesellschaftsfähig

Gedanken zum Missbrauch

Schlussgedanken

Teil 1

Gib einem Menschen die Macht, dann lernst du ihn kennen

Heimerfahrungen

Robert war von Anfang an ein ungeliebtes Kind – seine Mutter wollte ihn nicht. Er wurde im Zentralkinderheim Station „Zufluchtsstätte für obdachlose Mütter“ geboren. Und wurde seiner Kindheit, seiner Unschuld und seiner Jugend beraubt. Mehr als zwei Jahrzehnte seines Lebens verbrachte er bei Pflegeeltern oder in Heimen. Hier ist die Chronologie seiner „Wohnorte“, wobei er drei Wochen vor seiner Geburt schon im „Heim“ war:

Zentralkinderheim Wien: 1.3.1951 bis 14.9.1953

Pflegefamilie: 14.9.1953 bis 26.4.1954

Am Himmel – bei den Klosterschwestern vom Armen Kinde Jesus: 26.4.1954 bis 7.1.1955

Zentralkinderheim Wien: 7.1.1955 bis 5.7.1955

Am Himmel – bei den Klosterschwestern vom Armen Kinde Jesus: 5.7.1955 bis 31.8.1957

Heim der Wiener Volkshilfe in Schloss Altenberg bei Greifenstein: 31.8.1957 bis 2.12.1957

Pflegefamilie: 2.12.1957 bis 4.1.1958

Heim der Wiener Volkshilfe in Schloss Altenberg bei Greifenstein: 4.1.1958 bis 17.11.1958

Schloss Wilhelminenberg: 17.11.1958 bis 14.7.1959

Heilpädagogisches Kinderheim in Hütteldorf: 14.7.1959 bis 31.7.1966

Zu Hause bei der Kindesmutter: 31.7.1966 bis 11.8.1966

Lehrlingsheim Hadersdorf – Weidlingau: 11.8.1966 bis 7.10.1968

Lehrlingsheim Augarten: 7.10.1968 bis 24.8.1969

Gesellenheim Zohmanngasse: 24.8.1969 bis 4.1.1971

Privatfoto: Erzeugerin mit Robert, ca. zwei Wochen alt.

Dokumente der Willkür

Mit Vollendung des 20. Lebensjahres wurde Robert Volek von der Gemeinde Wien aus der Fürsorgeerziehung entlassen und ist seither sein eigener Herr. Trotz aller Grausamkeiten, die ihm angetan wurden, hat er hin und wieder auch ein Quäntchen Glück gehabt – und so hat er überlebt.

Im Buch wurden Aktenauszüge in Stil und Grammatik, sowie Rechtschreibung so belassen, wie sie im Original-Jugendamts-Akt geschrieben wurden.

Auszug aus dem Mündelakt (wörtlich): „Die KM (Kindesmutter, Anm.d. A.) hat zu ihren Kindern nie eine herzliche Bindung. Ihre Kinder waren ihr immer im Weg. Ihre Ablehnung den eigenen Kindern gegenüber erscheint fast unnatürlich. Sie scheint die Söhne, deren Väter sie seinerzeit verließen, zu hassen. Sie spricht von den Kindern haßerfüllt.“

Robert ist einer, der sich nicht mehr über den Tisch ziehen lässt, mit Paragraphen und bürokratischen Tricks und lässt sich nicht mehr abschasseln. Seine Kindheit und Jugendzeit haben ihn zu einem Kämpfer gemacht. Er lässt sich nichts mehr gefallen. Monatelang hat er darum gekämpft, Einblick in seine Heimakten zu erhalten. Mit immer neuen Ausflüchten wurde er von der MA 11, Amt für Jugend und Familie, abgewimmelt. Bis es ihm zu bunt wurde und er mithilfe eines Kurier-Journalisten an die Öffentlichkeit ging. Wenige Tage später lagen seine Akten auf dem Tisch.

In dem weit über 700 Seiten umfassenden Jugendamtsakt steht nichts von all dem, was ihm angetan wurde – es sind Dokumente der Willkür, des Vertuschens und der bürokratischen Herrschaft eines Systems, das von der Gemeinde Wien gebilligt wurde, als schwarze Pädagogik Geschichte schrieb. Was Robert Volek widerfahren ist, kann er nur selbst erzählen. So wurde er in diesem Mündelakt als „Psychopath“ mit sehr „niedrigem IQ, der sein Wissensdefizit nie aufholen wird“, von Dr. Pecko und Dr. Kuszen begutachtet. „Er ist misshandlungsgefährdet.“

Privatfoto Richard Volek

Zentralkinderheim

Robert war mehr als zwei Jahre alt. Er war unter die Höhensonne gelegt worden. Mit Schutzbrille und einer Windel bekleidet, auf dem Boden auf einer Decke liegend. Er hatte keine Freude daran, sich bestrahlen zu lassen und war deswegen quängelig und schlecht aufgelegt.

Das ultraviolette Licht leuchtete unerbittlich auf Roberts zarte Haut und hatte einen höhen-sonne-artigen Geruch. Es blendete seine Augen, wenn Robert den Augenschutz zur Seite schob. Nur widerwillig ließ Robert alles über sich ergehen, was die Tanten in Weiß mit ihm machten.

Er spielte mit einer Plastik-Rassel, die er mit seinen kleinen Händchen abtasten konnte und eifrig mit seiner Zunge abschmeckte. Ja, dieses Spielzeug wollte Robert. Er tastete die Rassel weiterhin ab. So schön glatt war die Rassel. Sein Körper wurde öfters von einer in einen weißen Arbeitsmantel gekleideten Tante eingecremt, damit seine zarte Haut ein wenig vor den UV-Strahlen geschützt wurde. Knarr-Quietsch – die Tür ging auf und Robert wurde von seiner qualvollen Höhensonne befreit. Wie war er froh, nicht mehr auf dem Boden liegen zu müssen. Er wurde in einen anderen Raum gebracht, wo seine Mutter auf ihn wartete. Luftballons in Rot und Blau ragten sich sanft bewegend zur Decke und schienen von Robert geführt werden zu wollen. Er griff nach beiden Fäden. – „Nein, nicht Robert!“ – „Nein, loslassen!“, ermahnte ihn seine Mutter. „Der blaue gehört Richard.“ – Richard? – „Wer ist Richard? Den kenne ich nicht.“ Robert wusste mit dem Namen nichts anzufangen. Vielleicht ist das ein Mädchen? „Mutti, wer ist Richard?“ „Du hast einen kleinen Bruder, der Richard heißt.“ – „Ist Richard ein Mädchen oder ein Bub?“ Gerne wollte er mit einem Buben spielen, die Mädchen spielten doch nur mit Puppen. Seine Mutter gab ihm auf die Frage keine Antwort. Das interessierte Robert auch weniger. Aber Richard? Ja, Richard ist ein schöner Name, stellte Robert fest. „Ich will Richard sehen!“, dachte er sich, während sein Blick vom roten zum blauen Luftballon schweifte und beide Ballons an der Schnur leicht hin und her schwebten.

Robert hat sich mit dem abgefunden, dass der blaue eben Richard gehört und der rote ihm selber. „Wann darf ich Richard sehen?“ „Das weiß ich nicht.“, hörte Robert von seiner Mutter.

Der rote Luftballon schwebte leise zur Decke. Robert stellte sich seinen kleinen Bruder bildlich vor, als er eingeschlafen war. „Kann ich mit Richard auch spielen?“

Pflegefamilie

Robert war zu einer Pflegefamilie gekommen, als er mehr als drei Jahre alt geworden war. Er verstand sich mit der Pflegeschwester sehr gut, nur auf den Hansi, Sohn der Familie, war er nicht so gut zu sprechen. Hansi sekkierte immer den Dackel. Und Waldi bellte ihn immer an. Das wollte Robert schon gar nicht und geriet mit dem Sohn der Pflegeeltern immer in Streit. Er hatte auf dem Diwan gelegen, während Waldi ihn im Kabinett besucht hatte. Den Dackel hatte Robert sehr geliebt. Er schlief auch bei Robert, kuschelte sich an ihn oder verschwand unter der Decke, um einen langen, leicht knurrenden Seufzer loszulassen, wenn er eingeschlafen war. Er machte dem Hund auch immer die Küchentüre auf, wenn dieser Wasser trinken wollte. In der Früh wurde Robert einmal von einem ihm nicht bekannten Kläffen und Hilferufen geweckt. „Wau! Wau! Knurr!“ – „Hilfe! Waldi will mich beißen!“ Robert eilte in die Küche und sah, wie der Dackel sich durch die Unterhose in den Po vom Hansi verbissen hatte. Zitternd vor Angst rannte Robert aus der Küche, legte sich wieder ins Bett und deckte sich bis zu den Haaren zu, sodass ihn der Dackel nicht sehen konnte. Der Dackel war ins Kabinett gekommen, bellte Robert weiter an, damit der die Decke vom Kopf nehmen und den Hund ansehen solle. Der kleine Hund wedelte mit seinem Schwanz, bellte weiter und hüpfte zu ihm ins Bett, als sei nichts geschehen.

Eisenbahn

Roberts sehnlichster Wunsch war eine Eisenbahn aus Blech, eine zum Aufziehen. Seine Mutti hatte ihm versprochen, ihn zum Jahreswechsel zu besuchen. „Bringt sie vom Christkind die ersehnte Eisenbahn mit?“ fragte Robert sich insgeheim. Der Sohn der Pflegefamilie hatte ein Motorrad aus Blech bekommen. Auch zum Aufziehen. Wie oft hatte doch Robert den Hans neidvoll beim Spielen beobachten müssen! Ratternd fuhr das Motorrad im Kreis, bis die Feder keine Kraft zum Fahren mehr hatte und das Motorrad zum Stehen kam.

Roberts Mutti war dann wirklich gekommen, er freute sich sehr über diesen Besuch, denn er hatte seine Mutti mehrere Monate nicht gesehen. Sie hatte auch ein Geschenk vom Christkind mitgebracht. War das die heiß ersehnte Eisenbahn? – Neugierig, mit zitternder Hand zerriss Robert das Geschenkpapier, betrachtete das Spielzeug und begann bitterlich zu weinen. „Das ist keine Eisenbahn vom Christkind.“ Er schluchzte. „Ich will eine Eisenbahn zum Aufziehen!“ Und die Tränen rollten über seine kleinen Backen …

„Wenn du nicht zufrieden bist, dann werde ich wieder gehen!“ Und Roberts Mutter stand auf, um ihn zu verlassen. Ja, sie war ohne sich zu verabschieden einfach verschwunden.

Die Pflegeeltern hatten Robert eine „Goldmünze“ als Trostpflaster gegeben. Robert saß vorm Schwarz-Weiß-Fernseher und schaute sich gerade den Kasperl an. Die Münze hielt er ganz fest in der Hand. Die durfte ihm niemand wegnehmen. Robert lachte hellauf, als Kasperl mit einem Stock auf den Kopf des Krokodils einschlug, fieberte mit dem Geschehen im Fernseher mit und passte dabei gut auf, dass seine Münze nicht runterfiel. Er hielt die Münze noch fester in seinen kleinen Händen. Seine Hände waren feucht geworden – da öffnete Robert seine kleinen Hände und sah das Malheur, das durch die Schokoladen-Münze verursacht worden war: Robert hatte die geschmolzene Schokolade in der Hand und das vermeintliche Gold war zusammengeknüllt und lag mitten in der geschmolzenen Schokolade.

Am Himmel

Robert war mittlerweile fast vier Jahre alt. Er war nun im Kinderheim „Am Himmel“ im 19. Bezirk untergebracht worden. Nur vage erinnert er sich an diesen Aufenthalt. Dass sein Bruder Richard immer einen Ausschlag hatte, stimmte Robert sehr traurig, da er seinen Bruder sehr liebte.

Richard hatte auf der Stirne, in der Armbeuge und in der Leistengegend sowie in den Kniekehlen stets mit dem Ausschlag zu kämpfen und wurde auch medizinisch betreut.

Jeden Moment wollte Robert mit seinem kleinen Bruder verbringen. Die Klosterschwestern verweigerten eine solche natürliche Bindung zu seinem Bruder aus unerklärlichen Gründen. Robert war etwa drei Jahre im Kinderheim „Am Himmel“. Dann wurde er schulmündig und nach Schloss Altenberg gebracht.

Privatfoto: […] Die Km erscheint an die Kdr. gebunden, stimmt der Freigabe zur Adoption nicht zu.

Schloss Altenberg

Vom „Himmel“ wurde er mit einem VW-Bus ins Kinderheim Schloss Altenberg gefahren. Für ihn war das Schloss voller Geheimnisse. Der Hausarbeiter spielte mit den Buben Fußball. Er donnerte den Fußball über das Dach hinaus, sodass Robert verwundert dem Ball nachsah und sein Mund vor Staunen offenblieb. Er kam in die Gruppe von Tante Adele.

Die Mitzöglinge hänselten Robert oft, weil er einnässte. „Bettnässer!“, hatten sie ihn gerufen. „Schwimm nicht so weit hinaus!“ Robert fand es widerlich, wenn ihn die Buben deswegen beschimpften. Aus diesem Grund war es auch öfters zu Streitereien mit ihnen gekommen. Nur Tante Adele interessierte es weniger, warum die Kinder zankten. Ihr war die Ruhe in der Gruppe viel wichtiger, als zu ergründen, warum gestritten wurde …

Foto Richard Volek: Schloss Altenberg ca. 1955

Ich töte dich

Die erste Gewalttat erlebte Robert im Privatheim der Wiener Volkshilfe in Altenberg bei Greifenstein. Er war sieben Jahre alt und besuchte die zweite Volksschulklasse.

Die Gruppe war am Nachmittag ins Freie spielen gegangen, während Robert in der Spiegelhalle Strafe schreiben musste. „Er war wieder in der Klasse aufgefallen und hat den Unterricht gestört“, hatte die Lehrerin Tollmann Tante Adele mitgeteilt. Während Robert zum Schreiben anfangen wollte, kam ein älterer Zögling zu ihm. Robert erkannte Werner. Dieser hatte seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben, als wolle er drinnen etwas suchen. Er sprach Robert an: „Weißt du, was du gemacht hast?“ – „Nein! Was habe ich gemacht?“ Robert wusste nicht, dass er etwas Unerlaubtes gemacht hätte. „Du nimmst meinen in den Mund, sonst dresche ich dich grün und blau und sage Tante Adele, dass du mir etwas gestohlen hast.“ Werner war fest entschlossen, seinen sexuellen Trieb an Robert auszuleben. „Was habe ich gestohlen? Hää?“ Robert schlug zornig auf den älteren Zögling ein und verpasste ihm einen Schlag aufs Auge. Werner wehrte sich, drehte Roberts Arm auf den Rücken und warf den schmächtigen Körper zu Boden. Dann schlug er mit Händen und Füßen auf Robert ein. „Du nimmst meinen jetzt in den Mund, sonst werde ich dich so verdreschen, bis du tot bist.“ Er schnappte Robert, zerrte ihn ins WC, tauchte Roberts Kopf in die WC-Muschel ein und ließ Wasser in die Muschel fließen. Robert hörte nur mehr ein Rauschen und Blubbern in seinem Ohr, in die Nase floss Wasser ein. Robert glaubte zu ertrinken und strampelte wild. Er schnappte nach Luft, während er um sein Leben bangte. „Los, nimm ihn in den Mund!“ Robert atmete schnell, als Werner Roberts Kopf aus der Muschel zog. Werner öffnete seine Hose und nahm sein Geschlechtsteil raus. Robert hatte Angst und nahm ihn in den Mund. Er würgte, während ihm der ältere Zögling sein steifes Glied in den Mund schob. Ihm graute vor dem Mitzögling. Der Ältere urinierte in Roberts Mund. Als Robert erbrochen hatte, ließ er von ihm ab. „Wenn du jemanden davon erzählst, dann bringe ich dich um. Ich töte dich!“ Drohend hatte er Robert mit erhobener Faust gedeutet, ja niemandem etwas zu erzählen.

Robert wischte sein Erbrochenes weg und trocknete seinen nassen Körper. Er hängte die nasse Wäsche über den Heizkörper. Tante Adele hatte Robert beim Säubern beobachtet und wunderte sich, dass Robert nasse Wäsche anhatte. „Hast wieder gepritscht? Wie oft soll ich dir sagen, du sollst nicht mit dem Wasser spielen!“ Robert nahm die Schelte in Kauf. Er hatte Angst vorm Sterben.

Mit einem Achselzucken deutete er an, dass es ihm egal sei, was Tante Adele zu sagen hatte. „Wo ist deine Strafe?“ Adele suchte die Strafarbeit und hielt das Papier in der Hand. „Was, du hast erst angefangen zu schreiben? Was ist los mit dir?“ Robert zuckte abermals mit seinen Schultern. „Aber jetzt schnell!“, mahnte Adele ihn. „Frau Tollmann will morgen deine Strafarbeit haben!“ Robert setzte sich zum Tisch und begann weiterzuschreiben: „Ich soll den Unterricht nicht stören. Ich soll den Unterricht nicht stören …“ 50-mal musste er diesen Satz schreiben. Robert war zornig, da er gegen den Stärkeren nichts auszurichten vermochte. Er war das erste Mal von einem Menschen gedemütigt worden. Und er hatte Angst, dass er getötet werden könnte. In der Nacht war dieses Erlebnis in Erinnerung gerufen worden. Robert träumte, dass ihn der ältere Zögling umbringen wollte. Im Traum rannte er aus dem Heim in den Wald und versteckte sich. Er wollte nicht mehr ins Heim zurück.

„Brav“ sein

Robert war selten brav. Was bedeutete dieser Ausdruck für Robert? Er hatte keine Ahnung, so sagte er schon von sich aus, wenn ihn jemand fragte, ob er brav sei: „Nein, ich bin nicht brav!“, da er dies oft genug von Tante Adele gehört hatte. Und es machte ihn sogar ein wenig stolz, nicht brav zu sein.

„Frau Tollmann hat auch menschliche Züge“, stellte Robert fest. Sie hatte sich um Robert Sorgen gemacht, als er erkrankt war. Mit fast 40 Grad Fieber lag er im Schlafzimmer, neben dem Klassenzimmer. Sie öffnete leise die Tür und hielt eine Birne in der Hand. „Na, Robert, welches Obst halte ich da in der Hand?“ – „Eine Birne, Frau Lehrerin.“ – „Sehr brav! Ja! Robert, du darfst die Birne behalten.“ Sie drückte die gelbrote, saftige Birne in seine Hand und er verschlang sie schmatzend. Jetzt wusste Robert, dass er brav war, hatte Frau Tollmann es doch eben gesagt …

Besuch

Im Sommer 1958 waren weniger Kinder im Heim. Viele machten Urlaub bei den Eltern. Robert war mit ein paar Mitzöglingen im Heim geblieben. Sie spielten im Tagraum. Nur Robert durfte in der Säulenhalle bei Tante Adele sein. Adele mahnte Robert, nicht immer mit seinen Kameraden zu streiten … „Deine Mutter wird dich heute abholen. Du hast Ausgang!“, teilte Adele Robert die Neuigkeit mit. War das eine Freude! Roberts Mutter hatte sich angekündigt! Robert war aufgeregt und zitterte am ganzen Körper vor Freude. Endlich war er mit seiner Mutti zusammen. Sein Herz schlug spürbar, bis in den Kopf hinein. „Dibum–dibum“

Robert saß in der Säulenhalle und wartete auf SEINE Mutti. Tante Adele hatte mit Robert Halma gespielt, als die Eingangstüre geöffnet wurde und Roberts Erzeugerin keuchend vor ihm stand. Sie und ihr „Freund“, ein gewisser „Onkel“ Karl, waren mit den Rädern von Wien nach Altenberg gefahren. Robert schnellte vom Sessel hoch und wollte seine Mutter umarmen und mit ihr kuscheln. „Moment!“ – Robert hielt inne. „Nicht so schnell!“

Was ist los? fragte er sich insgeheim. – „Erst will ich wissen, ob du auch brav warst.“ – Robert war doch sicher brav, auch wenn er immer sagte, dass er nicht brav sei. Fragend erhob Robert seinen Kopf und suchte eine Bestätigung des „Brav-Seins“ bei seiner Erzieherin, Tante Adele. „Ich war doch brav?“ – „Nein! Robert war nicht brav, Frau Volek.“ Und weiter: „Robert fällt immer unangenehm auf“, wusste Tante Adele besser Bescheid. „Er streitet immer mit den Buben. Und er wird die zweite Klasse wiederholen müssen! – Geh bitte in den Tagraum. Ich will mit deiner Mutter ALLEINE sprechen.“ Robert gehorchte widerwillig. Er wollte endlich mit seiner Mutti zusammen sein. Mit SEINER geliebten Mutter wollte er das Heimleben für eine Zeit vergessen können.

„Robert?“, klang eine ihm vertraute Stimme in seinen Ohren. „Robert? Komm mal her!“ – „Ja, Mutti?“ Sie saß beim Tisch, neben ihr stand Tante Adele. Geordnet und in einer Reihe nebeneinandergeschlichtet waren Süßigkeiten und ein kleines Spielzeug vor ihr auf dem Tisch ausgebreitet worden.

Sie sah ihren Sohn sehr streng an. „Sieh mal, das und das und das habe ich dir gebracht!“ Sie deutete auf die Waren vor ihr und hob jedes Stück in die Höhe. Da hatte sie eine Banane, ein Päckchen Manner-Schnitten, Bensdorp-Schokolade und Plastikspielzeug für ihren Sohn mitgenommen. „Nachdem du schlimm warst, wie mir Tante Adele mitgeteilt hat, bekommst du nichts davon.“ Sie hielt ihre geöffnete Handtasche unter die Tischkante und streifte die mitgebrachten Sachen hinein. „Servus, baba!“ – Sie stand auf und eilte schnellen Schrittes zur Eingangstüre ins Freie hinaus, zu „Onkel“ Karl. „Und brav sein!“ Weg war sie …

Robert fasste es nicht und dicke Tränen flossen ihm über die Wangen. Seine Mutti kam nicht mehr zurück. Seine Mutti hatte ihn nicht lieb.

„Ihre Kinder waren ihr immer im Wege. Ihre Ablehnung den eigenen Kindern gegenüber erscheint fast unnatürlich. Sie scheint ihre Söhne, deren Väter sie seinerzeit verließen, zu hassen. Sie spricht von den Kindern haßerfüllt…“

Das Jugendamt wollte sie überzeugen, dass es für ihn besser wäre, wenn er zur Adoption freigegeben werde. Die Reaktion der Mutter konnte Robert später im Mündelakt nachlesen:

„Die Km (Kindesmutter) gebärdet sich derart auffällig, daß man annehmen muß, daß sie jederzeit einen epileptischen Anfall bekommen würde. Ihr Gesicht verfärbt sich grün und blau und ihre Ausdrucksweise widerspricht der höflichen Etikette des guten Benehmens. Ihre Stimme beginnt zu beben. Sie verließ zornig und aufgeregt das Büro mit eiligen Schritten und schlug hinter sich die Tür zu. Robert wird ins KH Schloss Altenberg transferiert.

Einige Seiten weiter steht geschrieben:

„Das mj. Kind hängt sehr an seiner Mutter. Robert wollte immer auf den Schoß der KM sitzen. Die KM stieß ihren Sohn, bei jedem Versuch, auf den Schoß zu gelangen, zur Seite. Das ha Jugendamt empfiehlt von Besuchstagen der Mutter abzusehen, da die KM ihren Sohn nicht liebt.“

Nasse Aussprache

In einem Klassenzimmer wurden von Frau Tollmann ca. 35 Kinder betreut. Alle vier Volksschulklassen waren in einem Raum, rechts in der Ecke von der Säulenhalle, in Bankreihen hintereinander aufgeteilt. Jede Klasse hatte Aufgaben zu machen, die in Ruhe gelöst werden mussten. Eine Klasse wurde von Frau Tollmann mündlich unterrichtet. Robert war fad. Was sollte er machen? Er hatte überhaupt nichts von dem verstanden, was die Lehrerin von ihm wollte. Die anderen Kinder hatten ihre Nase in die Aufgaben gesteckt, Robert begann zu singen. „Robert, ist jetzt Schluss? Du sollst ruhig sein und deine Aufgabe machen“, schalt ihn Frau Tollmann. Sie eilte zu Robert. „Was hast du bis jetzt gemacht?“ Die Tröpfchen ihrer feuchten Aussprache bekam Robert voll in seinem Gesicht zu spüren. „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ – „Du bist ein Depp.“ – Es regnete aus Fr. Tollmanns Mund. „Hast wieder nicht aufgepasst?“ – „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ – „Komm mit, ich zeige dir, was du machen sollst.“ Sie schnappte Robert mit festem Griff am linken Ohr und zerrte ihn in das Schlafzimmer neben der Klasse. Ritsch, ratsch drehte sich der Schlüssel im Schloss und Robert war eingesperrt.

Altenberger Wasserspiele

Das Schlafzimmer war verschlossen und Robert konnte nicht aus dem Zimmer. Robert wollte gar nicht nachdenken, warum er eingesperrt wurde. Er setzte sich auf ein Bett, sah sich im Raum um. Kahle Wände strahlten ihm entgegen. Er ging im Zimmer auf und ab, sah zum Fenster hinaus. Er konnte Blumen unter dem Fenster wahrnehmen, welche der Hausarbeiter gesetzt hatte. Wenn da nur der Druck in der Blase nicht wäre. Die Beine zusammengepresst, die Hand vor dem Wasserventil, suchte er eine Stelle, wo er hinpinkeln könnte. Er fand kein „stilles Örtchen“.

Robert öffnete das Fenster, sah hinaus zu den Blumen unterhalb des Fensters. Schnell öffnete er seine Hose und hatte schon die erste Blume mit gezieltem Strahl getroffen. Eine, zwei und drei Blumen. Robert fühlte sich als Scharfschütze, wenn die Blumen unter dem Wasserdruck nachgaben.

Patsch – „Autsch!“ Robert hielt sich die Backe. Er sah blitzende Sterne. Eine zweite Ohrfeige folgte. „Aua!“ Robert hatte den Eindringling nicht aufsperren gehört, während er die „Altenberger Wasserspiele“ dirigiert hatte. Der Hausarbeiter hatte Robert heimlich beobachtet und war ins Zimmer geschlichen.

Als Dank für diese „Wasserspiele“ hatte Robert noch stundenlang im versperrten Zimmer ausharren müssen.

Altenberger Mädchen

Im Schloss Altenberg durfte Robert, nachdem er sich mit seinen männlichen Mitzöglingen nicht vertragen hatte, einen Stock höher bei den Mädchen übernachten. Na, das waren für Robert neue Eindrücke, wie die Mädchen sich um den kleinen Robert kümmerten, wie sie die Bettwäsche heimlich gewaschen hatten, die er eingenässt hatte. Das Frühstück wurde von den Mädchen hergerichtet. Robert genoss es sichtlich, von den Mädchen verwöhnt zu werden. Er wurde gebadet, bemuttert und umsorgt. Das machte IHN glücklich, endlich so geliebt zu werden. Auch diese Zeit verging. Robert wurde wieder einmal in ein anderes Heim transferiert. Warum er immer in ein anderes Heim kam, wusste er nicht.

Schloss Wilhelminenberg

Auf seiner nächsten Leidensstation – im Schloss Wilhelminenberg im 16. Bezirk, Savoyen Straße, wo in den 50er-Jahren auch Buben untergebracht waren, erinnerte sich Robert an folgendes Erlebnis: „In Einserreihe aufstellen und Zahnbürste vorzeigen!“, hatte die Schwester den Zöglingen befohlen, die vor dem Duschraum gestanden hatten.

Jeder Zögling musste das Zahnpulver, welches auf die Zahnbürste gestreut wurde, balancieren, ohne dass das Pulver auf den Fußboden fiel. War trotz des Balanceaktes das Pulver auf den Boden gefallen, mussten der Unglücksrabe seine Zahnbürste nass machen und vom Fußboden das Zahnpulver wieder auf die Borsten drücken.

Penisspiele

Die Erzieherin widmete sich besonders den Geschlechtsteilen der Buben. Sie saß im Baderaum auf einem hölzernen Stockerl (Schemel). Beim Duschen beobachtete sie die Buben. Jeder Zögling musste zur Schwester, die seinen Penis mit der Hand bearbeitet, bis er steif wurde. Dann lachte sie freundlich, und bemerkte so nebenbei: “Da schau der Kleine wird auch mal groß. Sie hatte großes Interesse an Roberts Vorhautreinigung und spielte mit seinem Geschlechtsteil so lange – rauf und runter – bis ihm das Bändchen zur Vorhaut eingerissen war. Seifenschaum und Wasser verursachten starkes Brennen. Robert begann zu schreien und zu weinen. „Stell dich nicht so an. Geh unter die Dusche und wasch dir deinen Pimmel!“, ermahnte ihn die Erzieherin

Privatfoto Richard Volek: Schloss Wilhelminenberg

Dr. Stein im Hause Wilhelminenberg

Ärztlich wurden die Kinder von Dr. Stein, einem etwas dunkelhäutigen Mann mit rabenschwarzem Haar, betreut. Diesen Mann konnte Robert gut leiden. „Volek, komm mit mir!“, sagte Dr. Stein. Robert folgte ihm und entgegnete: „Was mache ich bei dir?“ – „Das heißt SIE! Falls du das nicht weißt. Man spricht Erwachsene nicht per DU an!“, sagte der Psychologe. – Komisch, er darf mich DUZEN und ich muss ihn mit SIE ansprechen. Robert verstand die Erwachsenen nicht. Ab jetzt mochte er den jungen Arzt nicht mehr. Ein kleines Zimmer, möbliert mit seinem Schreibtisch, einem kleinen Tisch mit zwei Sesseln, einem gläsernen Medikamentenschrank, daneben stand eine Waage, auf der man das Gewicht mit der Hand auf der Schiene in eine Einkerbung verschieben konnte, und ein kleiner Spieltisch mit einem Kindersessel gehörte ebenso zu seinem Bereich, wo er Kinder untersuchte und Gutachten erstellte. Robert durfte sich zum kleinen Spieltisch setzen. „Du darfst dir ein Spielzeug aussuchen und damit spielen!“, sagte Dr. Stein und deutete mit seiner Hand zur Spielkiste neben dem Spieltisch. Robert wurde von Dr. Stein beobachtet, konnte er aus dem Augenwinkel erkennen.