Geheimes Wissen - Lyall Watson - E-Book

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Lyall Watson

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Beschreibung

In seiner »Naturgeschichte des Übernatürlichen« versucht der englische Biologe Lyall Watson vor dem Hintergrund sogenannter okkulter Phänomene die Grenzen menschlichen Wissens abzustecken und seine These zu belegen, daß das Übernatürliche zu der aus Gewußtem und Ungewußtem bestehenden »Übernatur« gehört. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Lyall Watson

Geheimes Wissen

Das Natürliche des Übernatürlichen

Aus dem Englischen von Joachim A. Frank

FISCHER Digital

Inhalt

»Das Schönste, was wir [...]EinleitungVorbemerkungTeil I Der Kosmos1. Kapitel: Gesetz und Ordnung des KosmosDie ErdeDer MondDie SonneAndere Faktoren2. Kapitel: Mensch und KosmosMensch und MondMensch und SonneDie PlanetenDie Astrologie3. Kapitel: Die Physik des LebensDie LebensfelderGehirnwellenResonanzBiophysikTeil II Die Materie4. Kapitel: Der Geist ist stärker als die MateriePsychokineseDie WillenskraftDie AuraPoltergeister5. Kapitel: Materie und MagieGedankenfotografieSehen ohne AugenPsychometrieAlchimieTeil III Der Geist6. Kapitel: Zeichen des GeistesDie HanddeutungGraphologiePhysiognomikPhrenologie7. Kapitel: TranszendenzHypnoseAutosuggestionTräumeHalluzinationen8. Kapitel: Der kosmische GeistTelepathieIntuitionHellsehenZaubereiTeil IV Zeit9. Kapitel: Neue DimensionenZeitPräkognitionGeisterExobiologieSchlußfolgerungLiteraturverzeichnisAnhang zum LiteraturverzeichnisNamen- und Sachregister

»Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.«

 

ALBERT EINSTEIN,

Wie ich die Welt sehe, 1930.

Einleitung

Die Wissenschaft kennt keine absoluten Wahrheiten mehr. Selbst die Physik, deren Gesetze einst unangefochten galten, mußte sich der Schmach eines Unsicherheitsprinzips beugen. In diesem Klima des Unglaubens haben wir begonnen, sogar an den fundamentalen Lehrsätzen zu zweifeln, und die alte Unterscheidung zwischen natürlich und übernatürlich hat jede Bedeutung verloren.

Ich finde das ungeheuer erregend. Die Vorstellung, daß die Wissenschaft ein Puzzle mit einer begrenzten Anzahl von Teilen sei, die eines Tages alle säuberlich ineinandergefügt daliegen würden, hat für mich nie etwas Verlockendes gehabt. Die Erfahrung lehrt, daß die Dinge keineswegs so sind. Jede neue Verbesserung des Mikroskops enthüllt weitere winzige Einzelheiten an Gebilden, die man zuvor für unteilbar hielt. Jedes neue, stärker vergrößernde Teleskop fügt Tausende von Galaxien einer Liste hinzu, die bereits so lang ist, daß sie nur noch für den Mathematiker sinnvoll und faßbar ist. Sogar das Studium von, wie man früher glaubte, einfachen Verhaltensweisen geht ins Endlose.

Vor fünfzig Jahren gaben sich die Zoologen noch mit der Beobachtung zufrieden, daß Fledermäuse Nachtfalter fangen. Dann entdeckte man, daß sie Laute ausstoßen, die für das menschliche Ohr unhörbar sind, und ihre Beute durch das Echo ausfindig machen. Nun zeigt es sich, daß die Falter nicht nur eine schallschluckende Isolierung besitzen, sondern auch Ohren, die so gebaut sind, daß sie einen herannahenden Sender empfangen können. Um diesen Vorsprung wieder aufzuholen, gewöhnten sich die Fledermäuse eine unregelmäßige Flugbahn an, durch die die Falter verwirrt wurden, bis sie ihrerseits ein Ultraschall-Störgerät entwickelten. Aber die Fledermäuse fangen noch immer Falter, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Forschung die nächste Entwicklung in diesem ständig sich ausweitenden Drama der Natur entdecken wird.

Die Wissenschaft hat auch im günstigsten Falle verschwommene Ränder, Grenzen, die noch im dunkeln liegen und sich ohne Übergang in gänzlich unerklärliche Bereiche hinein erstrecken. In den Randzonen, zwischen den Vorgängen, die wir noch als normal begreifen, und dem, was völlig paranormal ist und sich jeglicher Erklärung entzieht, gibt es eine Reihe von halbnormalen Phänomenen. Zwischen der Natur und dem Übernatürlichen spielen sich zahllose Dinge ab, die ich in ihrer Gesamtheit als Übernatur bezeichnen möchte, und von solchen Zwischendingen handelt dieses Buch.

Ich habe im Laufe einer recht umfassenden Ausbildung in den meisten Wissenschaften, die vom Leben handeln, viele Augenblicke erlebt, in denen der Lehrplan vor etwas Seltsamem haltmachte und vorzugeben versuchte, es sei da nichts gewesen. Diese unerledigten Probleme haben mich immer beunruhigt, und sie sammelten sich an, bis ich mich gezwungen sah, meinen Weg zurückzugehen, um einige davon wieder aufzunehmen und zu versuchen, sie zu meinen übrigen Erfahrungen in Beziehung zu setzen. In ihrer Gesamtheit betrachtet, ergeben sie allmählich etwas Sinnvolles, aber ich muß betonen, daß ich noch ganz am Anfang stehe und noch keine abgeschlossene Untersuchung vorlegen kann. Ich finde mich damit ab, daß meine Synthese so weit über die Grenzen der geltenden Praxis hinausgeht, daß viele Wissenschaftler sie entschieden ablehnen werden, während sie andererseits nicht annähernd weit genug geht, um jene zufriedenzustellen, die an alles Okkulte glauben. Doch eben dazu sind Brücken da: Ich hoffe, es kann zu einer Art Begegnung in der Mitte kommen.

Das Übernatürliche wird gewöhnlich definiert als das durch die bekannten Naturkräfte nicht Erklärbare. Die Übernatur kennt keine Grenzen. Zu oft sehen wir nur, was wir zu sehen erwarten: Unser Weltbild wird eingeengt durch die Scheuklappen unserer beschränkten Erfahrung. Doch so muß es nicht sein. Die Übernatur ist eine Natur, in der alle Aromen noch unversehrt vorhanden sind und darauf warten, gekostet zu werden. Ich biete sie an als logische Erweiterung des gegenwärtigen Wissens, als Lösung einiger der Probleme, mit denen die herkömmliche Wissenschaft nicht fertigwerden kann, und als Analgetikum für den Menschen unserer Zeit.

Ich hoffe aber, es wird sich zeigen, daß sie mehr als das ist. Wenige Aspekte des menschlichen Verhaltens sind so beständig wie das Bedürfnis, an Unsichtbares zu glauben, und als Biologe kann ich nicht annehmen, daß das reiner Zufall sein sollte. Dieser Glaube oder das Seltsame, an das er sich so beharrlich heftet, muß einen echten Erhaltungswert haben, und ich glaube, wir nähern uns rasch einer Situation, in der dieser Wert offenkundig sein wird. Je mehr der Mensch die Hilfsquellen der Welt aufbraucht, desto mehr wird er sich auf seine eigenen verlassen müssen. Viele davon sind im Augenblick noch im Okkulten verborgen. Dieses Wort bedeutet nichts anderes als »geheimes Wissen«, und es umschreibt sehr gut etwas, was wir schon immer gewußt, aber vor uns selbst verborgen haben.

Diese Naturgeschichte des Übernatürlichen soll die bekannten fünf Sinne in Bereiche hinein verlängern, in denen andere insgeheim am Werk waren. Sie ist ein Versuch, die Gesamtheit der Natur, das Bekannte wie das Unbekannte, im Leib der Übernatur zusammenzufügen und zu zeigen, daß von allen Fähigkeiten, die wir besitzen, zu diesem Zeitpunkt keine wichtiger ist als ein staunender Sinn für das Wunderbare.

 

Dr. phil. Lyall WatsonIos, Griechenland, 1971

Vorbemerkung

Der im größten Teil dieses Buches behandelte Stoff ist so umstritten, daß ich es für notwendig erachtete, ausführliche Hinweise auf alle meine Informationsquellen anzuführen. Sie erscheinen im Text als eingeklammerte Zahlen, die in der Bibliographie nachzuschlagen sind. In den meisten Fällen handelt es sich um Artikel in angesehenen Zeitschriften, und wo ich keine Gelegenheit hatte, die Befunde selbst zu überprüfen, mußte ich mich darauf verlassen, daß die meisten Redakteure das Material Sachverständigen vorlegen, bevor sie es endgültig zur Veröffentlichung annehmen. Wo immer es mir möglich war, habe ich die Originalquellen konsultiert, was sich im höchsten Grade bezahlt gemacht hat. So hieß es beispielsweise in einem Artikel, der im März 1965 unter dem Titel »Sehen ohne Augen als Schwindel entlarvt« im Scientific American erschien, daß Rosa Kuleschowa eine Betrügerin sei und daß es »nach Ansicht derer, die sich auf mentalistische Akte verstehen, leicht sei zu gucken«. Seither sind einige Bücher erschienen, in denen das ganze Phänomen unter Berufung auf diesen Artikel als Schwindel abgetan wurde, aber das Studium der ursprünglichen Untersuchungen zeigt, daß die Kuleschowa, obwohl sie einmal im Laufe einer öffentlichen Vorführung bei einem sehr plumpen Betrug ertappt wurde, eine Gabe besitzt, über die man billigerweise nicht einfach mit einem Achselzucken hinweggehen kann. Ich bekenne gern, daß ich mich in vielen Punkten ganz auf Zeitschriften wie das Journal of the Society for Psychical Research und das Journal of Parapsychology verlassen habe. Sie setzen in bezug auf Gelehrsamkeit und Objektivität ebenso hohe Maßstäbe wie alle anderen akademischen Publikationen.

Wo kein Hinweis erscheint, sind die Gedankengänge meine eigenen.

Teil I Der Kosmos

»Ich kann nicht glauben,daß Gott mit dem Kosmoswürfelt.«

 

ALBERT EINSTEIN

im Londoner Observer, 5. April 1964

Es gibt ein Leben auf der Erde – ein einziges Leben, das jedes Tier und jede Pflanze auf unserem Planeten umfaßt. Die Zeit hat es in mehrere Millionen Teile aufgespalten, doch jeder ist ein wesentlicher Bestandteil des Ganzen. Eine Rose ist eine Rose, aber sie ist auch ein Rotkehlchen und ein Kaninchen. Wir sind alle ein Fleisch, aus demselben Schmelztiegel hervorgegangen.

Zweiundneunzig chemische Elemente kommen in der Natur vor, aber die gleiche kleine Auswahl von nur sechzehn bildet die Grundlage der gesamten lebenden Materie. Als eines dieser sechzehn Elemente spielt der Kohlenstoff eine zentrale Rolle, denn er vermag komplizierte Ketten und Ringe zu bilden, aus denen sich zahllose Verbindungen zusammensetzen. Doch von den Tausenden möglicher Kombinationen sind wiederum nur zwanzig Aminosäuren als Bauteile für alle Proteine ausersehen. Und was das Bedeutsamste ist: Diese Proteine werden immer an der richtigen Stelle und im richtigen Augenblick durch eine geordnete Abfolge von Vorgängen gebildet, die von einem in nur vier Molekülen, den Nukleinsäurebasen, enthaltenen Code gesteuert werden. Dabei ist es gleichgültig, ob aus dem Protein eine Bakterie oder ein baktrisches Kamel werden soll. Die Instruktionen für alle Arten von Leben sind in der gleichen einfachen Sprache niedergeschrieben.

Für alle Lebensvorgänge gilt der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, daß der natürliche Zustand der Materie das Chaos ist und daß alle Dinge die Neigung haben, zu zerfallen und in Unordnung und Regellosigkeit zu enden. Lebende Systeme bestehen aus hochorganisierter Materie; sie schaffen Ordnung aus Unordnung, aber das bedeutet einen ständigen Kampf gegen den Prozeß der Auflösung. Die Ordnung wird aufrechterhalten durch eine Energiezufuhr von außen, die das System am Leben erhält. Biochemische Systeme tauschen daher ununterbrochen Materie mit ihrer Umgebung aus, sie sind offene thermodynamische Vorgänge im Gegensatz zu der geschlossenen thermostatischen Struktur gewöhnlicher chemischer Reaktionen.

Das ist das Geheimnis des Lebens. Es bedeutet, daß eine fortwährende Kommunikation nicht nur zwischen den Lebewesen und ihrer Umgebung, sondern auch zwischen allen Wesen, die in dieser Umgebung leben, stattfindet. Ein kompliziertes Netzwerk von Wechselbeziehungen vereint alle Lebensformen zu einem großen, sich selbst erhaltenden System. Jeder Teil ist mit jedem anderen Teil verwandt, und wir alle sind Teil des Ganzen, Teil der Übernatur.

Ich will in diesem ersten Abschnitt untersuchen, wie unser Lebenssystem auf die eine oder andere Weise von seiner Umgebung beeinflußt wird.

1. Kapitel: Gesetz und Ordnung des Kosmos

Das Chaos kommt. Es ist vorgezeichnet in den Gesetzen der Thermodynamik. Sich selbst überlassen, geht alles in immer größere Unordnung über, und der letzte, natürliche Zustand der Dinge ist die völlig zufällige Verteilung der Materie. Jede Ordnung, auch etwas so Einfaches wie die Anordnung der Atome im Molekül, ist unnatürlich und kommt nur zustande durch zufällige Begegnungen, die den allgemeinen Trend umkehren. Die Wahrscheinlichkeit solcher Begegnungen ist, statistisch gesehen, verschwindend gering, und im höchsten Grade unwahrscheinlich ist die weitere Verbindung von Molekülen zu etwas so Hochorganisiertem wie einem lebenden Organismus. Das Leben ist etwas Außergewöhnliches und Vernunftwidriges.

Um fortdauern zu können, ist das Leben auf die Beibehaltung eines labilen Zustandes angewiesen. Es läßt sich mit einem Fahrzeug vergleichen, das nur durch ständige Reparaturen und mit Hilfe unerschöpflicher Ersatzteilreserven in Betrieb gehalten werden kann. Das Leben zieht seine Bestandteile aus der Umwelt. Aus der vorüberströmenden Unmenge chaotischer Wahrscheinlichkeit siebt es nur die besonderen Unwahrscheinlichkeiten aus, die kleinen Ordnungsteilchen aus dem allgemeinen Wirrwarr. Manche verwendet es zur Erzeugung von Energie durch den Zerstörungsprozeß der Verdauung, anderen entnimmt es die zum fortwährenden Überleben nötigen Informationen. Das ist das Schwerste: Ordnung aus Unordnung zu gewinnen, die Umweltaspekte, die nützliche Informationen enthalten, von jenen zu unterscheiden, die lediglich am allgemeinen Zerfall beteiligt sind. Das Leben meistert diese Schwierigkeit durch einen ausgeprägten Sinn für das Unvereinbare.

Der Kosmos ist ein Tollhaus lärmender Verwirrung. Alles, was er umschließt, wird unaufhörlich bombardiert von Millionen von gegensätzlichen elektromagnetischen und akustischen Schwingungen. Das Leben schützt sich gegen diesen Tumult durch den Gebrauch von Sinnesorganen, die wie schmale Schlitze wirken und nur die Frequenzen eines sehr beschränkten Bereichs durchlassen. Manchmal sind auch diese noch zu zahlreich, und daher ist als zusätzliche Sperre das Nervensystem vorgesehen, das die aufgenommenen Reize filtert und »nützliche Information« von »belanglosem Lärm« trennt. Ein Beispiel: Wird eine Katze einem ununterbrochenen elektronischen Ticken ausgesetzt, so achtet und reagiert sie zunächst auf den Reiz, aber bald gewöhnt sie sich an das Geräusch, und zuletzt ignoriert sie es völlig. (87) Eine in den vom inneren Ohr zum Gehirn führenden Hörnerv eingesetzte Elektrode zeigt an, daß der Nerv nach einer Weile aufhört, Informationen über das Ticken an das Gehirn weiterzuleiten. Der regelmäßige Reiz ist als belanglose Geräuschkulisse eingestuft und als Informationsquelle verworfen worden. Sobald er jedoch aussetzt, stellt die Katze die Ohren auf und nimmt dieses neue, mit dem vorausgegangenen unvereinbare Phänomen zur Kenntnis. Ähnlich reagieren Seeleute: Sie erwachen plötzlich aus tiefstem Schlaf, wenn der Lärm der Maschinen ihres Schiffes die Tonhöhe wechselt oder ganz aufhört.

Wir alle besitzen diese Fähigkeit, uns auf bestimmte Reize zu konzentrieren und andere zu ignorieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die »Cocktailparty-Konzentration«, die es uns ermöglicht, uns auf den Klang der Stimme einer einzigen Person unter vielen anderen einzustellen, die mehr oder weniger alle dasselbe sagen. (235) Und sogar im Schlaf sprechen wir, wie Aufzeichnungen der Gehirnströme zeigen, auf unseren eigenen Namen stärker an als auf irgendeinen anderen. Das sind erlernte Reaktionen, aber jede Art von Leben sichtet in derselben Weise das Umweltchaos und konzentriert sich ausschließlich auf die unwahrscheinlichen, in der vorherrschenden Unordnung verborgenen geordneten Vorgänge.

Lebende Organismen wählen Information aus ihrer Umgebung aus, verarbeiten sie nach einem bestimmten Programm (in diesem Falle nach einem, das die bestmöglichen Überlebenschancen gewährleistet) und stellen als Ergebnis eine Ordnung her (die ihrerseits wiederum Rohmaterial und Information für andere Lebewesen darstellt). Eben das aber ist eine genaue Beschreibung der Arbeitsweise eines Computers, und es kann daher nicht überraschen, daß die jüngste Entwicklung auf dem Gebiet der Computersysteme ein besseres Verständnis des Lebens mit sich gebracht hat. Computer arbeiten auf der Basis der programmierten Information, und diese wird eingegeben im Einklang mit einer Theorie, die in der Information eine Funktion der Unwahrscheinlichkeit sieht und besagt: »Je unwahrscheinlicher ein Vorgang, desto mehr Information vermittelt er.« (41) Auf unseren Vergleich des Lebens mit einem Fahrzeug angewandt, bedeutet das, daß wir das unwahrscheinliche Klappern in einem neuen Auto zwangsläufig hören müssen, während wir das ungleich wahrscheinlichere Klappern in einem alten Auto kaum noch wahrnehmen. Das Geräusch mag das gleiche sein, aber vom Fahrersitz eines alten Autos aus vernommen, ist es ein Umgebungsbestandteil, der sehr wenig nützliche Information vermittelt, denn in einem System, in dem bereits alles zur Auflösung neigt, ist ein weiteres Symptom der Unordnung keineswegs unwahrscheinlich oder von unterscheidender Bedeutung.

Ein einzelnes helles Licht in einer mondlosen Nacht in der Wüste ist sehr auffällig und offensichtlich wert, untersucht zu werden, aber auch von anderen Lichtern umgeben, kann es unsere Aufmerksamkeit erregen, wenn es an- und ausgeht oder die Farbe wechselt. Auf unserem Planeten durch den Weltraum eilend, sind wir ständig kosmischen Kräften ausgesetzt. Die meisten sind mehr oder minder konstant und machen kaum Eindruck auf uns; bewußt achten wir auf sie ebensowenig wie auf die Schwerkraft, die uns auf unserem Gefährt festhält. Nur wenn kosmische Kräfte sich ändern oder fluktuieren wie blinkende Lampen, fallen sie auf und nehmen einen Informations- und Signalwert an. Viele dieser Veränderungen sind zyklisch; sie treten in mehr oder weniger regelmäßigen Intervallen immer wieder auf, so daß das Leben Zeit hat, eine besondere Empfindlichkeit für diese Veränderungen und eine Reaktion auf die durch sie vermittelten Informationen zu entwickeln.

Ich sagte, daß das Leben durch Zufall entsteht und daß die Wahrscheinlichkeit seines Entstehens und Fortbestehens außerordentlich gering ist. Noch unwahrscheinlicher ist, daß sich dieses Leben in der verhältnismäßig kurzen Zeit seiner Existenz auf unserem Planeten in über eine Million deutlich zu unterscheidender Erscheinungsformen auffächern konnte, die zudem nur die Spitze einer ungeheuren Pyramide von Erfolgen und Fehlschlägen bilden. Die Annahme, dies sei allein durch Zufall geschehen, übersteigt wohl alles, was selbst ein auf die mechanistische Betrachtungsweise eingeschworener Biologe zu glauben bereit ist. Der Genetiker Waddington meint, ebensogut könnte man »Ziegel auf einen Haufen werfen« in der Hoffnung, sie würden sich »von selbst zu einem bewohnbaren Haus ordnen«. (334) Ich für meine Person glaube, daß der Zufall in diesem Entwicklungsprozeß zwar eine große Rolle spielte, daß sein Wirken aber beeinflußt wurde durch ein Informationssystem, das halb verborgen im kosmischen Chaos enthalten ist.

Der Kosmos selbst ist systemlos – ein Durcheinander zufälliger, ungeordneter Vorgänge. Grey Walter, der Entdecker mehrerer grundlegender rhythmischer Gehirnvorgänge, sagt treffend, das wesentlichste Merkmal eines Systems sei, daß man es »im Gedächtnis behalten und mit einem anderen System vergleichen kann. Dadurch unterscheidet es sich von zufälligen Vorgängen oder vom Chaos. Denn der Begriff Zufälligkeit … impliziert, daß sich die Unordnung jeglichem Vergleich entzieht; man kann sich nicht an ein Chaos erinnern oder ein Chaos mit einem anderen vergleichen; dieses Wort hat keine Mehrzahl«. (335) Das Leben schafft Systeme aus systemloser Unordnung, aber ich behaupte, daß das Leben selbst durch ein System geschaffen wurde und daß dieses kosmischen Kräften innewohnt, denen das Leben ausgesetzt war und noch ist. Aus solchen Umwelteinflüssen erklärt sich zum größten Teil die Übernatur.

Die Erde

Kosmische Kräfte treten in Zyklen in Erscheinung, auf die das Leben zu reagieren lernt. Die stärksten Reaktionen werden naturgemäß von den kürzesten Zyklen ausgelöst, d.h. von solchen, die in einer gegebenen Zeitspanne die meisten Veränderungen bewirken. Die elementarsten und bekanntesten aller Veränderungen, denen das Leben unterworfen ist, sind jene, die durch die Drehung unserer Erde um ihre Achse zustande kommen.

Wir leben auf einer unregelmäßig geformten Kugel, die nicht nur an den Polen leicht abgeplattet ist, sondern auch ein wenig die Gestalt einer Birne hat, deren dickeren Teil die südliche Erdhalbkugel bildet. Die Kugel dreht sich von West nach Ost mit einer Geschwindigkeit von rund 1600 km/h, und mit mehr als dem Sechzigfachen dieser Geschwindigkeit läuft sie um die Sonne, aber beide Bewegungen werden von ihrer unregelmäßigen Gestalt beeinflußt. Die Zeit, die die Erde für eine vollständige Rotation benötigt, ist nicht nur in sich selbst veränderlich, sondern auch abhängig von dem Himmelskörper, der als Bezugspunkt für die Bestimmung einer vollständigen Umdrehung benutzt wird. Wählen wir als Festpunkt die Sonne, so dauert eine Erdumdrehung, d.h. ein Sonnentag, 24,0 Stunden. Der Mondtag hat dagegen 24,8 Stunden, und messen wir unsere Rotation an einem der fernen Fixsterne, so erhalten wir einen Sterntag von 23,9 Stunden. Der Einfachheit halber legen wir unserem Kalender den mittleren Sonnentag zugrunde, d.h. das aus der Länge aller Sonnentage des ganzen Jahres errechnete Mittel, doch das ist eine rein willkürliche Entscheidung, und auf das Leben selbst scheinen alle drei Zyklen einzuwirken.

Wir sagen, der »Tag« habe 24 Stunden, zugleich aber teilen wir diese Zeitspanne noch einmal in »Tag« und »Nacht« ein. Diese Begriffsverwirrung führt zu einer tatsächlichen Verwirrung hinsichtlich der biologischen Rollen von Tag und Nacht, aber letzten Endes hängt alles Leben auf unserer Erde von der Sonne ab, so daß sich das Problem insofern vereinfacht, als wir nur die Anwesenheit oder Abwesenheit des Sonnenlichts zu berücksichtigen haben. Eine der traumatischsten Veränderungen, die das Leben erfahren kann, ist das plötzliche, unerwartete Verschwinden der Sonne. Die seltenen totalen Sonnenfinsternisse lösen bei allen Lebewesen Bestürzung aus. Ich habe gesehen, wie ein Adler senkrecht aus dem Himmel fiel, um in einer Baumkrone Zuflucht zu suchen, und wie eine Horde futtersuchender Paviane blitzschnell in die Verteidigungsstellung ging, die diese Affen sonst nur beim Nahen eines Raubtiers einnehmen. Weder der Adler noch die Paviane wußten, wie sie dieser neuen, ungewohnten Drohung begegnen sollten. Nur der Mensch weiß, wann er die nächste Verdeckung der Sonne durch unseren Mond zu erwarten hat, aber alle Lebewesen sind eingestellt auf das tägliche Verlöschen des Sonnenlichts als Folge der Drehung unseres eigenen Planeten.

Hell und Dunkel wechseln einander mit einer Regelmäßigkeit ab, die dem Leben eine elementare Information vermittelt. Diese Regelmäßigkeit wird Tagesrhythmus genannt, aber die Länge des Zyklus, die relative Dauer von hell und dunkel und die Reaktionen der Organismen auf das Licht oder das Fehlen von Licht sind Schwankungen unterworfen. Daher wurde 1960 von Franz Halberg, einem Physiologen der University of Minnesota, ein neuer, weniger irreführender Ausdruck geprägt. Halberg setzte aus den lateinischen Wurzeln circa und dies das Wort zirkadian mit der Bedeutung »ungefähr einen Tag dauernd« zusammen. (132) Und durch die Erdrotation bedingte zirkadiane Rhythmen wirken auf das Leben aller Entwicklungsstufen ein.

Auf der niedrigsten Stufe finden wir eine Gruppe von Organismen, die sowohl der Botaniker als auch der Zoologe für sich beansprucht. Es handelt sich um winzige einzellige Lebewesen, die mit Hilfe von Chlorophyll Nahrung aus Sonnenlicht aufbauen wie die Pflanzen; daneben besitzen sie jedoch eine lange, peitschenförmige Geißel, die sie mit schlängelnden Bewegungen wie Tiere vorwärts treibt. Im Dunkeln geben sie die pflanzlichen Methoden der Nahrungserzeugung auf und nehmen nach bester tierischer Tradition kleine Partikeln fertiger Nahrung auf. Typisch für diese Gruppe ist die Euglena gracilis, die wie ein winziger grüner Tropfen aussieht und in seichten Süßwasserpfützen lebt. An einem Ende ihres dünnen, elastischen Körpers, nahe der Geißel, befindet sich ein kleiner Augenfleck aus dunklem Pigment, der jedoch selbst nicht auf Licht reagiert, sondern nur das eigentliche lichtempfindliche Granulum am Ansatz der Geißel verdeckt. Wenn der Augenfleck dieses »Auge« zudeckt, geschieht nichts. Fällt aber Licht auf das Granulum, so löst es eine Bewegung der Geißel aus, die die Euglena mit etwa zwölf Schlägen je Sekunde in Spiralen ins Licht hinaustreibt.

Im Sonnenlicht kommt die Euglena wieder zur Ruhe, indem sie sich so stellt, daß das Granulum vom Augenfleck verdeckt wird. Die Euglena folgt der Bewegung der Sonne, aber allmählich stumpft ihre Empfindlichkeit ab, und ihre Bewegungen werden gegen Ende des Tages zu immer langsamer. Wenn sie sich den ganzen Tag bewegte und jedem vereinzelten Sonnenstrahl nachjagte, würde sie ihre Energie ebenso rasch verbrauchen, wie sie sie erzeugen kann, und für andere Tätigkeiten oder für das Überleben in der Nacht keine Reserven mehr besitzen. Die Euglena hat also nicht nur eine lebenswichtige Reaktion auf Veränderungen in der Umwelt erworben, sondern auch gelernt, gemäß der Information zu handeln, die ihr durch die Regelmäßigkeit dieser Umweltveränderungen vermittelt wird. Sie hat einen Mechanismus entwickelt, der ihre Bewegungen reguliert, so daß sie sich optimal verhält: sie bewegt sich schnell, wenn Bewegung geboten, und wird langsamer, wenn diese nicht mehr so wichtig ist. Daß diese Regulierung »eingebaut« ist, wurde dadurch bewiesen, daß sie auch in einer Population von Euglenen wirksam blieb, die in ständiger Dunkelheit gehalten wurde. Trotz völligen Lichtmangels wurden alle Individuen täglich zur gleichen Stunde aktiv und lichtempfindlich, nämlich wenn die Sonne, die sie nicht wahrnehmen konnten, aufging, und sie wurden unempfindlich, sobald das Licht außerhalb des Laboratoriums zu verlöschen begann. (250) Da sie keine Nahrung aus Sonnenlicht aufbauen konnten, gingen sie dazu über, Partikeln aus ihrer Umgebung aufzunehmen, aber auch das nur während der Tagesstunden, obwohl die Nahrung zu allen Zeiten verfügbar war. Das bedeutet, daß auch die einzellige Euglena einem exakten zirkadianen Rhythmus gehorcht.

Unser Wissen über die Entwicklung mehrzelliger Organismen aus den ersten Einzellern ist sehr begrenzt, weil es nur wenige fossile Spuren gibt, aber es darf als wahrscheinlich angenommen werden, daß alles pflanzliche und tierische Leben aus etwas entstanden ist, das der Euglena ähnelte. Im Laufe der Evolution machten Zellen, die spezielle Funktionen in höheren Organismen zu erfüllen hatten, große Veränderungen durch, aber die meisten bewahrten sich etwas von ihrer ursprünglichen Unabhängigkeit. Auch der Mensch hat Zellen, die seinen Körper verlassen und – auf dem Wege zu einem zu befruchtenden Ei – selbständig leben und sich bewegen können. Nimmt man eine Zelle aus der Wurzel einer Pflanze, etwa einer Karotte, so läßt sie sich in einer Nährlösung am Leben erhalten, mehr noch: es kann aus ihr wieder eine vollständige neue Pflanze entstehen. (310) Wir betrachten jeden lebenden Organismus als Einheit und vergessen nur zu leicht, daß er eine aus lauter Einzelzellen zusammengesetzte, komplizierte Gesellschaft ist und daß jeder Bestandteil sehr viel mit allen anderen Zellen gemein hat, und zwar nicht nur mit den Zellen desselben Individuums, sondern mit denen aller Organismen, die je gelebt haben. Alexander Pope erkannte, daß »alle nur Teile sind eines gewaltigen Ganzen, dessen Leib die Natur ist …«. (251)

Zirkadiane Rhythmen sind bei einfachen einzelligen Organismen ohne Hormone und Nervensysteme nachweisbar. Bei hochorganisierten, vielzelligen Formen, die über diese Vorteile verfügen, treten sie in komplizierteren Systemen auf und reagieren auf subtilere Umweltreize.

Von allen Spezies, die wir zum Dienst in unseren Laboratorien einberufen haben, trugen nur wenige so viel zu unserer Kenntnis des Lebens bei wie die Taufliege Drosophila. Die Gattung umfaßt mehr als tausend Arten, aber der beliebteste »Rekrut« ist seit jeher die Drosophila melanogaster. Diese Fliege ist mit ausgebreiteten Flügeln nicht größer als ein »V« in dieser Schrift, aber Morgan entdeckte 1909, daß die Zellen ihrer Speicheldrüsen riesige Chromosomen enthalten, und bald scharten sich die Genetiker um dieses kleine Insekt. Heute hat beinahe jede Universität der Welt ihre Taufliegenkultur, und es ist daher nicht verwunderlich, daß die Biologen für ihre Versuche wieder die Drosophila zu Hilfe riefen, als sie die natürlichen Rhythmen zu studieren begannen. Die Ergebnisse waren faszinierend.

Kleine Tiere haben im Verhältnis zu ihrer Körpermasse eine große Oberfläche. Wenn sie, wie die Taufliege, auf dem Lande leben, laufen sie Gefahr, durch ihre gesamte Körperoberfläche Wasser zu verlieren. Sie müssen daher irgendeine Methode entwickeln, um die Körperflüssigkeit zurückzuhalten. Die meisten Insekten lösen dieses Problem, indem sie sich mit einem zähen, wächsernen Hautpanzer umhüllen, der die Austrocknung verhindert. Die erwachsene Drosophila ist auf diese Weise geschützt, aber wenn sich die Fliegen entpuppen, sind ihre Körper noch weich, und die fein zusammengefalteten, empfindlichen Flügel können sich nur ausdehnen und versteifen, wenn genügend Feuchtigkeit vorhanden ist. Die Fliegen schlüpfen daher alle im Morgengrauen aus, wenn die Luft kühl ist und einen hohen Feuchtigkeitsgehalt hat. Unter natürlichen Bedingungen nimmt die Puppe vermutlich Licht und Temperatur wahr, und das Schlüpfen kann zum richtigen Zeitpunkt erfolgen, aber nötig sind diese Anhaltspunkte nicht.

Colin Pittendrigh von der Universität Princeton stellte eine Reihe von Experimenten an, die zeigen, wie gut die Drosophila selbst auf die geringfügigste Information reagiert. (248) Er bewahrte Taufliegeneier bei gleichbleibender Temperatur und Feuchtigkeit in völliger Dunkelheit auf. Die Larven krochen aus, wuchsen und verpuppten sich. In den Puppenwiegen fand eine normale Entwicklung statt, und die erwachsenen Fliegen schlüpften schließlich aus. Das geschah jedoch völlig willkürlich und ohne jegliche Bindung an ein zirkadianes Muster. Pittendrigh wiederholte das Experiment mit anderen Eiern, aber diesmal setzte er die Larven eine tausendstel Sekunde lang Licht aus, indem er – ein einziges Mal nur – eine elektronische Blitzlichtlampe aufflammen ließ. Zu keinem anderen Zeitpunkt ihrer Entwicklung bekamen sie Licht zu sehen, aber trotzdem schlüpften nun alle Fliegen gleichzeitig aus.

Die inneren Rhythmen der sich entwickelnden Insekten wurden durch ein unglaublich kurzes Signal synchronisiert und waren auch noch mehrere Tage nach dem Stimulus synchron. Pittendrigh wies nach, daß es sich um einen zirkadianen Rhythmus handelte, indem er die Larven ein wenig länger dem Licht aussetzte. Die fertigen Insekten schlüpften daraufhin alle gemeinsam zu einem Zeitpunkt aus, der dem Sonnenaufgang entsprach, wenn man das Verlöschen des Lichts dem Sonnenuntergang an einem der vorausgegangenen Abende gleichsetzte. Mit anderen Worten, die Fliegen begannen zu »zählen«, als es dunkel wurde. Aus diesen Versuchen läßt sich offenbar ableiten, daß dieser Rhythmus der Drosophila angeboren ist und daß die Fliege nur eines geringfügigen Anstoßes bedarf, damit der Zyklus in Gang gesetzt wird und bis zum Ende abläuft. Was mich besonders beeindruckt, ist die Tatsache, daß die Fliege ja nur ein einziges Mal in ihrem Leben die Puppenwiege verläßt; sie hat also keine Gelegenheit, das Schlüpfen zu lernen und zu üben, und dennoch hält sie sich an einen 24-Stunden-Plan. Dieser natürliche Rhythmus muß instinktiv sein, er ist offenbar in das Gedächtnis der Zellen des Insekts eingeprägt und wartet nur darauf, durch die Umgebung eingestellt zu werden, um eine Reihe von Verhaltensweisen in perfekter zeitlicher Abstimmung hervorzubringen.

Diese Uhr könnte in den Zellen selbst untergebracht sein, aber Janet Harker von der Universität Cambridge zeigte, daß die Koordination zwischen den Zellen durch chemische Botenstoffe erzielt wird, die Zeitsignale weitergeben. (135) Küchenschaben haben im allgemeinen eine schlechte Presse, aber sie sind ausgezeichnete Versuchstiere. Die gemeine Art Periplaneta americana beginnt sich täglich kurz nach Einbruch der Dunkelheit zu regen und geht dann ohne Unterbrechung fünf oder sechs Stunden lang der Futtersuche nach. Schneidet man einer Schabe den Kopf ab, so gehorcht sie nicht mehr diesem zirkadianen Rhythmus. Das ist vielleicht nicht weiter verwunderlich, aber wenn man den Kopf kunstgerecht amputiert und dafür sorgt, daß das Insekt nicht ausblutet, bleibt es noch mehrere Wochen am Leben. Eine kopflose Schabe verhungert schließlich, doch solange sie lebt, kriecht sie ziellos umher.

Janet Harker entdeckte nun, daß sie einer solchen Schabe den Orientierungssinn durch eine Bluttransfusion zurückgeben konnte. Insekten haben sehr rudimentäre Kreislaufsysteme. Das Blut rinnt in der Körperhöhle hin und her und bespült die inneren Organe. Man kann daher einen Blutaustausch zwischen zwei Insekten einfach dadurch herstellen, daß man Löcher in ihre Körperwandungen schneidet und sie mit einem kurzen Glasröhrchen verbindet. Das Problem etwaiger Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Schaben löste Janet Harker durch einen sehr sinnreichen, wenn auch etwas grausig anmutenden Kompromiß: Sie band die Blutspenderin mit dem Bauch nach oben auf den Rücken der kopflosen Schabe und schnitt ihr dann die Beine ab, um zu verhindern, daß sie zappelte und die gespenstische Kombination umwarf. Auf diese Weise zu einer Parabiose (d.h. einem »Nebeneinanderleben«) zusammengepaart, verhielt sich die Schabe mit zwei Körpern und nur einem Kopf und einem Satz von Beinen beinahe ganz normal. Sie zeigte wieder den typischen zirkadianen Rhythmus mit der auf die Periode unmittelbar nach Einbruch der Dunkelheit beschränkten Aktivität. (137) Im Blut der Spenderin war also etwas enthalten, was durch das Glasröhrchen gelangte und den Beinen der desorganisierten, kopflosen Schabe einen Rhythmus mitteilte. Diese Substanz mußte ein Hormon sein, das im Kopf des Insekts produziert wird. Janet Harker nahm der Reihe nach mit allen Kopforganen chirurgische Transplantationen vor und stellte schließlich fest, daß die Botschaft vom subösophagealen Ganglion (einem Nervenknoten unterhalb der Mundwerkzeuge) ausging. Wenn dieses Ganglion einer kopflosen Schabe eingeplanzt wurde, entwickelte sie einen Rhythmus, der mit dem der Spenderin identisch war.

So wurde bei der Schabe das Zentrum lokalisiert, das auf den natürlichen Zyklus von hell und dunkel reagiert, und es zeigte sich, daß es sogar verpflanzt werden kann. Das ist eine außerordentlich wichtige Erkenntnis, aber Janet Harker entdeckte im Laufe ihrer weiteren Versuche etwas noch viel Interessanteres. (136) Sie hielt eine Gruppe Schaben unter normalen Bedingungen und führte für eine zweite Gruppe einen umgekehrten Zeitplan ein, indem sie die ganze Nacht das Licht brennen ließ und den Raum bei Tage abdunkelte. Die Tiere der zweiten Gruppe stellten sich bald auf diese neue Situation um und wurden während der künstlichen Nacht aktiv, so daß ihre Rhythmen mit denen der Kontrollgruppe nicht mehr übereinstimmten. Wenn man nun ein subösophageales Ganglion von einem Individuum der einen Gruppe auf ein kopfloses Insekt der anderen Gruppe übertrug, zwang es dem Empfänger jedesmal seinen eigenen Rhythmus auf. Behielt aber die empfangende Schabe zusätzlich noch ihren eigenen »Schrittmacher«, so kam es augenblicklich zu Störungen. Das zweite Ganglion erwies sich als eine tödliche Waffe. Das Insekt hatte nun zwei Zeitmesser, die zwei völlig verschiedene Signale aussandten, und wurde dadurch in schwere Unruhe versetzt. Sein Verhalten war vollständig desorganisiert, es entwickelte bald akute Streß-Symptome wie bösartige Geschwülste im Verdauungstrakt und ging ein.

Der Fall demonstriert auf überzeugende Weise die Bedeutung der natürlichen Zyklen. Bringt man den Rhythmus der Schabe durcheinander, so tötet man sie. Das Leben hält einen, wie es scheint, uralten Takt ein, der hauptsächlich durch die Rotation unseres eigenen Planeten bestimmt wird: Die Sonne wird durch sie ein- und ausgeschaltet wie eine riesige kosmische Lampe.

Das Leben entstand in der urzeitlichen Brühe durch die Einwirkung des Sonnenlichts auf einfache Moleküle. Es wäre, wenn wir unsere Kenntnisse auf dem Gebiet der Biochemie ein wenig überdehnen, eben noch möglich, sich eine Situation vorzustellen, in der Leben ohne Licht entsteht, aber es ist schwer zu begreifen, wie es fortbestehen sollte, sobald einmal die gesamte verfügbare Nahrung verbraucht wäre. Lichtwellen übertragen sowohl Energie als auch Information. Es ist kein Zufall, daß die im sichtbaren Licht enthaltene Energiemenge genau der für die meisten chemischen Reaktionen benötigten Energie entspricht. Die elektromagnetische Strahlung umfaßt eine weite Skala möglicher Frequenzen, aber sowohl das Sonnenlicht als auch das Leben ist auf denselben kleinen Ausschnitt dieses Spektrums beschränkt, und es hält schwer, der Schlußfolgerung auszuweichen, daß eines direkt vom andern abhängt.

Als sich auf der Erde verschiedene Lebensformen entwickelten, befanden sich jene im Vorteil, die imstande waren, ihre Umgebung mit den Sinnen zu erfassen und den aufgenommenen Informationen entsprechend zu handeln. Da das Licht große Entfernungen zurücklegt, ist es wahrscheinlich die beste verfügbare Informationsquelle, und von allen kosmischen Kräften läßt es sich auch am leichtesten sinnlich wahrnehmen. Der tägliche Wechsel zwischen hell und dunkel liefert Information über die Drehung der Erde um ihre Achse, und die sich von Tag zu Tag ändernde relative Dauer der hellen und dunklen Zeitabschnitte läßt die Bewegung der Erde um die Sonne erkennen.

Die Achse der rotierenden Erde steht nicht senkrecht, sondern ist gegen die Erdbahn geneigt, so daß der Planet der Sonne bei seinem Umlauf jeden Tag ein etwas anderes Gesicht zuwendet. Zweimal im Jahr fallen die Sonnenstrahlen senkrecht auf den Äquator, und überall auf der Erde dauern Tag und Nacht je zwölf Stunden. Zu allen anderen Zeiten ist entweder der Nordpol oder der Südpol stärker dem Zentralgestirn zugeneigt, und die Tage und Nächte sind in den verschiedenen Breiten ungleich lang. Der regelmäßige Wechsel dieser Beziehungen versorgt die lebenden Organismen mit Informationen, die es ihnen gestatten, sich im zirkadianen Rhythmus noch einem Jahreszyklus von Veränderungen anzupassen. Diese Sensibilität ist der sogenannte zirkannuelle (»etwa ein Jahr dauernde«) Rhythmus.

Er wurde beinahe rein zufällig von Kenneth Fisher bei seinen an der Universität Toronto durchgeführten Untersuchungen am goldbraunen Ziesel (Citellus lateralis) entdeckt. (244) Fisher hielt diese kleinen, in großen Höhen lebenden Nagetiere bei einer konstanten Temperatur von 0 Grad Celsius in einem fensterlosen Raum, der täglich zwölf Stunden beleuchtet wurde. Er stellte fest, daß die Tiere gesund und munter waren und eine Körpertemperatur von 37 Grad hatten. Im Oktober sank ihre Temperatur auf 1 Grad, und die Ziesel hielten ihren üblichen Winterschlaf. Alle wachten, obwohl sich Raumtemperatur und Beleuchtung nicht änderten, im April wieder auf, waren den ganzen Sommer über aktiv und verfielen im Herbst wieder in den Ruhezustand. Bei einem zweiten Versuch erhöhte Fisher die konstante Raumtemperatur auf 35 Grad. Es zeigte sich, daß das warm genug war, um die Ziesel am Einschlafen zu hindern, aber sie nahmen trotzdem im Herbst zu und verloren im Laufe des Winters wieder an Gewicht, so als hielten sie tatsächlich Winterschlaf.

Die Empfänglichkeit für einen Jahresrhythmus bietet offensichtliche Vorteile. Sie hilft dem Organismus, jahreszeitlich bedingte Umweltveränderungen vorauszusagen und die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Einem Vogel, der den Winter unter den konstanten Bedingungen der Tropen verbringt, kann dieser Sinn sagen, wann es Zeit ist, zum Nisten in den Norden zurückzukehren. Ein Säugetier, das im Winter im Norden bleibt, weiß dank seinem Sinn für jahreszeitliche Veränderungen, wann es Vorräte anlegen muß. Beide, der Vogel und das Säugetier, sind koordiniert durch den Photoperiodismus – das Empfindungsvermögen für die tägliche relative Dauer von hell und dunkel.

Die winzigen blaßgrünen Blattläuse (Aphididen), die den ganzen Sommer lang ihre Rüssel in die Pflanzen bohren und die Säfte saugen, vermehren sich an den langen Tagen ohne Begattung durch jungfräuliche Stammütter. (191) Sobald sie aber mit dem Nahen des Herbstes weniger als vierzehn Stunden Tageslicht haben, gehen sie zur sexuellen Fortpflanzung über und legen Eier, die den Winter überdauern. Viele andere Tiere ändern nicht ihre Gewohnheiten, sondern ihr Aussehen und legen ein Winterkleid an. Das im Sommer stumpfbraune Wiesel erscheint im Winter in einem leuchtend weißen Fell, das im Schnee als Tarnung dient. Wird ein Wiesel im Herbst künstlichem Licht ausgesetzt, das den Tag verlängert, so entwickelt es kein Tarnkleid. Wie die Blattlaus kann es nur an den kürzer werdenden Tagen erkennen, daß der Winter naht.

Sichtbares Sonnenlicht wirkt auch auf die unbelebte Materie ein, indem es ihre Moleküle in Bewegung versetzt und Wärme produziert. Die Temperatur ist nichts anderes als das Maß der Energie, die ein Molekül durch die Bewegung entwickelt. Bei hohen Temperaturen haben die Moleküle mehr Energie, sie bewegen sich schneller und stoßen häufiger zusammen. Daher beschleunigt eine Temperaturerhöhung das Tempo der meisten chemischen Reaktionen – weshalb man bei Experimenten den Bunsenbrenner verwendet, um die Reaktion rasch in Gang zu setzen. Biochemische Reaktionen werden in gleicher Weise beeinflußt, und solange die Hitze nicht so groß wird, daß sie zerstörend wirkt, gilt: Je höher die Temperatur, desto rascher der Stoffwechsel. Lebende Organismen haben daher allein schon dank ihrer physiologischen Struktur eine angeborene Empfindlichkeit für Temperaturveränderungen, und da diese Veränderungen durch das Sonnenlicht ausgelöst werden, unterliegen sie dem gleichen 24-Stunden-Zyklus wie der Photoperiodismus. Hans Kalmus von der Londoner Universität konnte feststellen, daß Heuschrecken täglich in der Morgendämmerung schlüpften, wenn die Eier bei einer Temperatur von 22 Grad Celsius gehalten wurden, während sie bei 11 Grad nur jeden dritten Tag bei Sonnenaufgang schlüpften. (170)

Die meisten Kaltblüter sind völlig den Temperaturschwankungen ausgeliefert, die das Tempo ihres Lebens bestimmen. Bei Säugetieren und Vögeln dagegen hängt die Körperwärme oft von der Betätigung ab. Mäuse erreichen eine maximale Temperatur, wenn sie – etwa um Mitternacht – am regsamsten sind, und sie sind am kühlsten in der Mittagshitze, die in die Mitte ihrer Ruheperiode fällt. (18) Ihre Körpertemperatur folgt daher einem 24-Stunden-Zyklus, obwohl dieser nicht durch die Umgebungstemperatur vorgezeichnet ist. Manche Parasiten machen sich dieses Phänomen zunutze und stellen ihre Uhr nach den Zyklen ihrer Wirte.

Die Malariaparasiten dringen in die roten Blutkörperchen ein und vermehren sich dort ungeschlechtlich, bis die Zellen dem Druck nicht mehr standhalten und platzen. Die Nachkommen werden frei und suchen sich andere Blutkörperchen aus, in denen sich derselbe Vorgang wiederholt. Wäre daran immer nur ein Parasit beteiligt, so würde der Wirt kaum eine Wirkung zu spüren bekommen, was aber tatsächlich geschieht, ist, daß sich alle im Körper anwesenden Malariazellen zu genau dem gleichen Zeitpunkt vermehren, und dieser gleichzeitige Angriff ruft die klassischen Symptome der Malaria hervor: Kurz nach Mittag beginnt der Kranke zu frösteln und zu zittern, obwohl sich seine Haut heiß anfühlt. Kopf- und Rückenschmerzen und Erbrechen folgen und nehmen während des Nachmittags an Heftigkeit zu, bis die Körpertemperatur bei Sonnenuntergang jäh ansteigt und 42 Grad erreichen kann, während der Kranke kräftig schwitzt. Biologisch gesehen, ist es für einen Parasiten unrentabel, seinen Wirt zu töten, aber die Plasmodien, wie die Malariaerreger genannt werden, gehen dieses Risiko ein, denn es ist für ihr eigenes Überleben erforderlich, daß sie noch mit einer anderen Art von Wirt in Berührung kommen. Der Mensch dient ihnen nur in der ungeschlechtlichen Entwicklungsphase als Herberge. In den geschlechtlichen Phasen benötigen sie als spezifisches Milieu den Magen des Weibchens einer bestimmten Stechmückengattung. Um dorthin zu gelangen, müssen sie von diesem Insekt mit dem Blut aufgesogen werden, wenn es einen Menschen sticht. Dieser komplexe Vorgang erfordert eine sehr genaue zeitliche Abstimmung, aber das Fieber sorgt dafür, daß alles nach Plan verläuft. Die Parasiten werden im Blut des Menschen aktiv und erreichen ihre geschlechtliche Reife; sie rufen Fieber hervor, die Körpertemperatur des Menschen steigt, er beginnt zu schwitzen, und der Schweiß zieht die Stechmücken an – unmittelbar nach Einbruch der Dunkelheit, wenn sie am aktivsten sind.

Nur wenig oder gar kein Licht dringt von außen zu den Blutgefäßen des Wirtes durch, in denen die Parasiten leben. Ihre Umgebung hat daher keine ausgeprägte Photoperiode, aber sie können den Höhepunkt ihres Zyklus in der Abenddämmerung dadurch erreichen, daß sie sich dem Temperaturrhythmus ihres Wirtes anpassen. Der Mensch ist am aktivsten während der Tagesstunden, seine Körpertemperatur richtet sich nach seiner Aktivität, die Parasiten richten sich nach seiner Temperatur. Bei Nachtarbeitern ist dieses Schema umgekehrt. Sie erleiden ihre Fieberanfälle am Morgen, die Parasiten werden verwirrt und kommen mit ihren zweiten Wirten, den Stechmücken, nicht zusammen. (141)

Wie Parasiten ihre Uhr nach der Temperatur ihres Wirtes stellen, so können alle Lebensformen die Zeit messen, indem sie sich nach den Temperaturschwankungen unseres gemeinsamen Wirtes, nämlich unseres Planeten, richten.

Die Ausdehnung der Photoperiodenforschung auf Taufliegen und Küchenschaben hat deutlich gezeigt, daß diese beiden Arten auf etwas reagieren, was man Thermoperiodismus nennen könnte. In ständiger Dunkelheit schlüpfen Fliegen kurz nachdem der Temperaturzyklus seinen tiefsten Punkt erreicht hat, was draußen in der Natur kurz vor Anbruch der Morgendämmerung der Fall ist. Die Temperaturschwankung kann daher als Zeitsignal wirken, ja mehr noch: sie könnte sogar für das Überleben unbedingt erforderlich sein. Ein amerikanischer Botaniker stellte fest, daß die Blätter von Tomatenpflanzen Schaden nehmen und zuletzt eingehen, wenn man sie ununterbrochen der gleichen Wärme und Beleuchtung aussetzt, während sie gesund bleiben, wenn die Temperatur in einem 24-Stunden-Zyklus verändert wird. (150) Es spielt dabei praktisch keine Rolle, ob die Temperatur erhöht oder gesenkt wird, sondern es zeigte sich, daß alle regelmäßigen Schwankungen zwischen 10 und 30 Grad Celsius gleichermaßen wirksam sind.

So beginnen wir, uns Stück für Stück ein Bild davon zu machen, wie physiologische Rhythmen auf Umweltreize reagieren. Das Leben ist durch einen zirkadianen Rhythmus an die Erdrotation und durch einen Jahresrhythmus an die Position der Erde im Weltraum angepaßt. Manchmal greifen diese Tages- und Jahreszyklen ineinander, und es entsteht eine hohe Sensibilität, die einen Organismus auf jede Nuance in seiner Umgebung reagieren läßt. So muß es auch sein. Als Parasiten auf der Haut unseres Planeten können wir nur wirklich erfolgreich bestehen, wenn wir uns seines Pulsschlags bewußt werden und lernen, unser Leben nach dem Rhythmus seines tiefen, ruhigen Atems auszurichten.

Unser Wirt ist jedoch nicht allein. Die Erde wird ihrerseits von den galaktischen Winden der Veränderung angeweht, und sie ist Kräften ausgesetzt, die aus einer noch weiteren Umgebung auf sie einwirken. Diese Kräfte dringen unvermeidlich zu uns durch, und das Leben auf der Erde tanzt nach dem Rhythmus anderer Körper. Am lautesten vernehmen wir selbstverständlich die Taktschläge unseres nächsten Nachbarn.

Der Mond

Als Isaac Newton mit dreiundzwanzig Jahren in Cambridge studierte, wurde er durch die Beulenpest, die 1665 im größten Teil Englands den »Schwarzen Tod« aussäte, von seiner Universität vertrieben. Während seiner erzwungenen Ferien auf dem Lande sah er eines Tages einen kugelrunden Apfel auf die Erde fallen, und nach seinen eigenen Worten »begann (er) sich vorzustellen, daß sich die Schwerkraft bis zur Kugel des Mondes erstreckte«. Diese Gedanken führten schließlich zu seiner allgemeinen Gravitationstheo rie, derzufolge jedes Materieteilchen im Universum jedes andere Materieteilchen anzieht, wobei die Kraft der Anziehung von ihren Massen und von ihrer Entfernung abhängt. Die Erde zieht den Mond stark genug an, um ihn in einer Umlaufbahn zu halten, und der Mond ist groß genug und nahe genug, um beharrlich am Mantel der Erde zu zerren. Das Wasser auf der Erdoberfläche verhält sich wie ein lose anliegendes Kleidungsstück: Es kann vom Körper, das heißt von der Erde, weggezogen werden, und es fällt zurück, sobald sich diese wieder vom Mond abwendet. Der Mond umkreist die Erde einmal in 27,3 Tagen, und seine Eigenrotation ist so bemessen, daß er dabei der Erde immer dasselbe Gesicht zuwendet, während sich die Erde ihrem Begleiter im Laufe von 24,8 Stunden von allen Seiten zeigt. Das bedeutet, daß sich alle Gewässer der Erde dem Mond entgegenheben, so daß – täglich um 48 Minuten später – an allen in dieser Richtung liegenden Küsten Flut entsteht.

Jeder Wassertropfen in den Ozeanen ist dieser Kraft unterworfen, und jedem Meereslebewesen, gleich ob Tier oder Pflanze, wird der Rhythmus bewußt. Für die Bewohner der Meeresränder hängt von diesem Bewußtsein das Überleben ab. Ein sehr kleiner Plattwurm, beispielsweise, ist eine Partnerschaft mit einer Grünalge eingegangen, und sooft Ebbe eintritt, muß er aus dem Sand auftauchen, um sein Grün der Sonne auszusetzen. Rachel Carson nahm einige dieser Tiere in das Laboratorium mit und beschrieb ihre Anpassung an den Gezeitenrhythmus in der ihr eigenen poetischen Sprache: »Zweimal täglich kriecht die Convoluta aus dem Sand auf dem Grunde des Aquariums ins Licht der Sonne. Und zweimal täglich versinkt sie wieder im Boden. Ohne ein Gehirn oder das, was wir Gedächtnis nennen würden, und ohne auch nur irgendeine wirklich klare Wahrnehmung lebt die Convoluta ihr Leben an diesem fremden Ort zu Ende und erinnert sich mit jeder Faser ihres kleinen grünen Körpers an den Gezeitenrhythmus der fernen See.« (66)

Dasselbe gilt für jedes an die Gezeiten gebundene Tier, das man in Meeresnähe in ein Laboratorium bringt. Aus praktischen Gründen werden die meisten meeresbiologischen Forschungsstationen an einer Küste errichtet, aber zum Glück für die Wissenschaft lebt und arbeitet ein Forscher, der sich unermüdlich mit den natürlichen Rhythmen beschäftigt, mehr als 1200 km von der See entfernt in Evanston, Illinois. Frank Brown begann 1954 mit Austern zu arbeiten. Er stellte fest, daß sie einen stark ausgeprägten Gezeitenrhythmus hatten und ihre Schalen bei Flut öffneten, um zu fressen, und bei Niedrigwasser schlossen, um sich vor Verletzungen und vor dem Austrocknen zu schützen. Diesen strengen Rhythmus behielten sie auch in Labortanks bei. Brown beschloß daher, einige Exemplare nach Hause mitzunehmen, um sie gründlicher zu studieren. Evanston ist ein Vorort von Chicago am Ufer des Michigansees, aber auch dort erinnerten sich die Austern noch an den Gezeitenrhythmus ihrer Heimat im Long-Island-Sund in Connecticut. Zwei Wochen lang verlief alles völlig regelmäßig, aber am 15. Tag beobachtete Brown eine Verschiebung im Rhythmus. Die Austern öffneten und schlossen sich nicht mehr in Übereinstimmung mit der Flut, die an ihre ferne Heimatküste spülte, und es sah so aus, als wäre das Experiment mißglückt, aber das Faszinierende war, daß sich das Verhalten sämtlicher Mollusken in der gleichen Weise geändert hatte und daß die Tiere den gleichen Takt hielten. Brown errechnete die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Rhythmus und bekam heraus, daß sich die Austern nun in genau dem Augenblick öffneten, in dem die Flut Evanston erreicht haben würde – wenn die Stadt an der Atlantikküste läge und nicht 177 m über dem Meeresspiegel am Ufer eines großen Sees. (42)

Auf irgendeine Weise hatten die Austern wahrgenommen, daß sie 1200 km weiter nach Westen gebracht worden waren, und sie waren imstande, ihren Gezeitenplan zu berechnen und zu korrigieren. Brown vermutete zunächst, daß ihnen der spätere Sonnenauf- und -untergang den nötigen Anhaltspunkt geliefert haben könnte, aber es zeigte sich, daß dasselbe Phänomen eintrat, wenn die Austern von dem Augenblick an, in dem man sie aus dem Meer fischte, in dunklen Behältern gehalten wurden. Nun gibt es zwar in der Nähe von Chicago keine Meeresgezeiten, aber wir vergessen nur zu leicht, daß die Anziehungskraft des Mondes nicht nur auf die Ozeane wirkt, sondern auch auf viel kleinere Gewässer. Das Hughes Aircraft Laboratory in Kalifornien hat einen »Neigungsmesser« entwickelt, der so empfindlich ist, daß er die Mondgezeiten in einer Teetasse anzeigt. (165) Der Mond zerrt außerdem auch an der Lufthülle der Erde und ruft täglich regelmäßige atmosphärische Gezeiten hervor. Brown verglich den neuen Rhythmus seiner Austern mit den Bewegungen des Mondes und beobachtete, daß sich die meisten öffneten, wenn der Mond genau über Evanston stand. Damit war der erste wissenschaftliche Beweis dafür geliefert, daß auch ein Organismus, der fern von den Meeresgezeiten lebt, durch die Bewegungen des Mondes beeinflußt werden kann.

Diese Mondrhythmen decken sich genau genug mit der Länge des Sonnentages, um noch in die Klassifikation zirkadian – »etwa einen Tag dauernd« – aufgenommen zu werden, aber der Mond schafft auch noch einen anderen Rhythmus mit einer Periode von etwa einem Monat. Wir sehen den Mond, weil er Sonnenlicht reflektiert, und wieviel wir jeweils von ihm sehen, hängt von seiner Stellung im Verhältnis zur Sonne und zu uns selbst ab. Die bekannten Mondphasen folgen einem Zyklus, der ein wenig länger ist als die Umlaufzeit des Mondes: Von Vollmond zu Vollmond vergehen 29,5 Tage. Zweimal im Laufe dieses Zyklus stehen Sonne und Mond auf einer Linie mit der Erde. Ihre Anziehungskräfte addieren sich und bewirken höhere Fluten als sonst. Diese »Springfluten« treten auf bei Vollmond und dann wieder, wenn wir den ersten schmalen Rand des Neumonds sehen. Und zweimal im Monat, jeweils bei Halbmond, d.h. im ersten und im letzten Viertel, wenn die Anziehungskräfte der beiden Himmelskörper gegeneinander wirken, beobachten wir erheblich schwächere Wasserbewegungen, die sogenannten »Nippfluten«.

Meereslebewesen werden von diesen Zyklen stark beeinflußt. Der Kalifornische Ährenfisch, Leuresthes tenuis, hat sich dem Mond so genau angepaßt, daß sein Leben von der Präzision seiner Reaktion abhängt. Ich kann es nicht besser beschreiben als Rachel Carson: »In den Monaten März bis August erscheinen die Ährenfische kurz nach dem Vollmond in der Brandung der Küsten Kaliforniens. Die Flut steigt an bis zum Hochwasser, staut sich, zögert, beginnt zurückzuebben. Auf den Wellen des fallenden Wassers kommen die Fische herein. Ihre Körper gleißen im Mondlicht, während sie auf den Wellenkämmen an den Strand getragen werden, dann liegen sie einen eben noch wahrnehmbaren Augenblick lang im nassen Sand, und schon schnellen sie sich in den Strudel der nächsten Welle und werden wieder in die See hinausgetragen.« (66)

Während dieses kurzen Augenblicks an Land legen die Ährenfische ihre Eier in den nassen Sand, wo sie zwei Wochen lang ungestört liegen bleiben, denn erst bei der nächsten Springflut wird das Wasser wieder einen so hohen Stand erreichen. Wenn dann die See zurückkehrt, haben die Larven ihre Entwicklung beendet, und sie warten nur auf die kühle Berührung des Wassers, um aus den Eiern zu schlüpfen und in der Brandung davonzuschwimmen.

Ein anderer auf den Mondrhythmus eingestellter Meeresbewohner ist der Palolowurm, Eunice viridis, eine abgeplattete, haarige Version des Regenwurms, die den größten Teil ihrer Zeit damit zubringt, in den Spalten der Korallenriffe des südlichen Pazifik nach Futter zu suchen. (74) Dieser Wurm ist bei seiner Fortpflanzung selbst nicht anwesend. Die Männchen sammeln das Sperma; die Weibchen die Eier im letzten Abschnitt ihres Körpers, der mit einem Augenfleck hinaufgeschickt wird, wo sich die Geschlechtssegmente der anonymen Eltern paaren. Die Würmer begegnen einander nie selbst, aber das Stelldichein ihrer Hinterenden wird vom Mond arrangiert. In der Morgendämmerung des Tages, an dem der Mond alljährlich im November sein letztes Viertel erreicht, stoßen alle Würmer ihre Hinterenden ab, und um die Riffe von Samoa und Fidschi rötet sich das Meer von den spermatragenden Segmenten. Die Bewohner der Inseln reagieren auf dasselbe Zeitsignal und sammeln sich in ganzen Kanuflotten über den Korallenriffen, um das »große Aufsteigen« zu feiern und die in solcher Fülle angebotene Delikatesse aufzufischen.

Die auffälligsten Beispiele einer Lunarperiodizität liefern Tiere, die im Meer leben, wo der Mond große Wasserbewegungen auslöst, aber es gibt Anhaltspunkte dafür, daß nicht so sehr der Gezeitenwechsel, sondern vielmehr das Mondlicht selbst als Signal dient. Das Licht des Mondes ist dreihunderttausendmal schwächer als das der Sonne, aber dennoch gibt es Lebewesen, die sogar noch durch mehrere Meter Seewasser hindurch auf diesen schwachen kosmischen Reiz reagieren. An der Universität Freiburg arbeitet man mit dem Vielborster Platynereis dumerilii, der etwa im letzten Mondviertel an die Meeresoberfläche ausschwärmt. (140) Diese Würmer verlieren ihren Rhythmus und schwärmen in allen Mondphasen, wenn man sie im Laboratorium ununterbrochener Beleuchtung aussetzt. Wird jedoch das übliche helle Licht in nur zwei Nächten des Monats durch ein anderes Licht ersetzt, das heller als der Mond, aber immer noch sechstausendmal weniger hell als die Sonne ist, so nehmen die Würmer die Helligkeitssteigerung wahr, deuten sie als den Vollmond und schwärmen genau eine Woche später. Wenn sie zum Zeitpunkt des Experiments physiologisch nicht auf Fortpflanzung eingestellt sind, warten sie 35 Tage bis zur gleichen Mondphase im darauffolgenden Monat. Das bedeutet, daß der Mond draußen in der Natur in allen Nächten außer zweien von Wolken verdeckt sein könnte – die Würmer wären immer noch imstande, ihre Uhr nach ihm zu stellen. Und selbst wenn der Mond im Monat des Schwärmens Nacht für Nacht vollständig verborgen wäre, würden sich die Würmer an den vorausgegangenen Monat erinnern und nach dem damals aufgenommenen Signal die Zeit für ihr Rendezvous an der Wasseroberfläche bestimmen.

Aber auch Landtiere werden vom Mond beeinflußt. Erwachsene Eintagsfliegen leben oft nur wenige Stunden. In dieser kurzen Zeit müssen sie einen Partner finden, sich paaren und die Eier ins Wasser abstoßen. Im gemäßigten Klima reagieren diese Insekten auf Veränderungen des Lichts und der Temperatur. Sie steigen alle zur selben Zeit in ungeheurer Zahl auf und tanzen an einigen warmen Maiabenden in zarten Schleiern über stillen Teichen. In den Tropen ist das Klima jedoch so konstant, daß Licht und Temperatur nicht als Signale in Frage kommen. Die Eintagsfliegen müssen einen anderen Zeitmesser und einen anderen Monat wählen. Der Viktoriasee in Afrika liegt auf dem Äquator, aber er hat dennoch eine sehr erfolgreiche Art von Eintagsfliegen, die Povilla adusta, die das Problem der Zeitbestimmung in der Weise löst, daß sie nur bei Vollmond aufsteigt. (138)

Die an den Ufern des Sees lebenden Luo sagen, es werde regnen, wenn sie die Eintagsfliegen schwärmen sehen, und sie könnten recht haben, denn wir sind eben dabei zu entdecken, daß sich hinter solchen abergläubischen Vorstellungen oft Wahrheiten oder Halbwahrheiten verbergen und daß ihnen alte und manchmal völlig richtige Beobachtungen zugrunde liegen.

Wir wissen nun, zum Beispiel, daß der Mond im Vorüberwandern an der Erdatmosphäre zerrt, sie zur Seite zieht und wieder zurückfließen läßt wie die Fluten der Ozeane. Unter zurückweichenden Luftfluten bleibt ein Kontinent zwar nie so leer zurück wie ein Strand bei Ebbe, aber die Tiefe des Luftmeeres über uns wechselt ständig, und mit diesem Wechsel steigt und fällt der Luftdruck. Wie bei den Meeresgezeiten werden nicht alle Teile des Planeten im gleichen Maße betroffen. Es gibt Gebiete mit einem besonders hohen oder besonders niedrigen Luftdruck. Sie sind gleichsam Fabriken, in denen in rascher Folge Hochs und Tiefs hergestellt werden, die mit gutem oder schlechtem Wetter geladen sind. Seit der Erfindung der Wettersatelliten ist es möglich, genaue Karten von diesen Störungen anzufertigen und durch die Beobachtung der Bewegungen der Warm- und Kaltfronten Wetterveränderungen schon mehrere Tage im voraus vorherzusagen. Doch obwohl wir diese Informationen besaßen, wurde unsere Aufmerksamkeit erst in jüngster Zeit auf die Rolle gelenkt, die der Mond beim Zustandekommen der Wetterabläufe spielt.

Die Neuigkeit wurde publik gemacht durch zwei kurze Artikel, die im Jahre 1962 in derselben Nummer der Zeitschrift Science auf zwei gegenüberliegenden Seiten erschienen. Die Verfasser dieser Artikel hatten voneinander unabhängig gearbeitet, der eine in den Vereinigten Staaten, der andere in Australien; beide waren zu den gleichen Schlüssen gelangt, und beide hatten aus Angst, sich lächerlich zu machen, gezögert, ihre Entdeckungen zu veröffentlichen. Erst als sie voneinander erfahren und festgestellt hatten, daß ihre Forschungsergebnisse übereinstimmten, traten sie gemeinsam in derselben Zeitschrift an die Öffentlichkeit.

Das amerikanische Team sammelte Daten von 1544 nordamerikanischen Wetterstationen, die in den fünfzig Jahren von 1900 bis 1949 ununterbrochen in Betrieb gewesen waren. Die Wissenschaftler stellten alle Angaben über Niederschläge zusammen und verglichen die Perioden besonders ausgiebiger Regenfälle mit den Mondphasen. Dabei ergab sich ein seltsames Schema, das sie zu dem folgenden Schluß führte: »In Nordamerika ist eine ausgeprägte Neigung zu extremen Niederschlägen um die Mitte der ersten und in der dritten Woche des synodischen Monats zu beobachten.« Mit anderen Worten: Schwere Regenfälle treten häufiger als sonst nach dem Vollmond und nach dem Neumond auf. (36)

In Australien sammelten die Meteorologen Aufzeichnungen von fünfzig Wetterstationen über Niederschläge in den Jahren 1901 bis 1925. Sie stellten fest, daß das gleiche Schema auch für die südliche Erdhalbkugel gilt. (1) In beiden Fällen ist das statistische Material offensichtlich zuverlässig. Es deutet darauf hin, daß der Mond tatsächlich das Wetter beeinflußt. Wir wissen, daß es regnet, wenn in einer Wolke genug Staub-, Salz- oder Eispartikeln vorhanden sind, die dem Wasserdampf als Kondensationskerne dienen, so daß er in Tropfen niederfällt. Man macht sich dieses Prinzip zunutze, wenn man Wolken mit Hilfe von Raketen oder von Flugzeugen aus mit Chemikalien bestäubt, um es an der gewünschten Stelle regnen zu lassen. Eine natürliche Quelle geeigneter Partikeln ist der Meteorstaub, von dem täglich etwa tausend Tonnen auf die Erde niedergehen. (34) Dieser Meteorstaub stellt vielleicht die Verbindung zwischen Mond und Wetter her, denn zwei andere voneinander unabhängige Forschungsteams entdeckten kürzlich, daß die Menge des an den Rändern der Erdatmosphäre eintreffenden Meteorstaubs bei Vollmond und bei Neumond zunimmt. (40)

Der durch seine Austern bekannt gewordene Frank Brown beschäftigt sich seit fünfundzwanzig Jahren mit der Frage, wie das Leben durch ferne Umweltfaktoren beeinflußt werden kann. Anstatt diese Faktoren der Reihe nach zu testen, versucht er, sie allesamt auszuschalten, und eben das gelingt ihm in den meisten Fällen nicht, aber gerade seine Fehlschläge lassen ein erstaunliches Bild von der Empfindlichkeit des Lebens für außerordentlich schwache Reize entstehen. Eines seiner ersten Experimente befaßte sich mit Seetang, Karotten, Kartoffeln, Regenwürmern und Salamandern. Brown interessierte sich für ihre Aktivitätszyklen und verwendete als Maß die Sauerstoffmenge, die jede Pflanze und jedes Tier im Laufe eines Tages verbrauchte. Alle seine Versuchsobjekte hielten deutlich ausgeprägte Rhythmen ein, auch wenn sie, wie die Austern, bei gleichbleibender Temperatur im Dunkeln gehalten wurden. Brown versuchte daraufhin den Einfluß des schwankenden barometrischen Drucks auszuschalten, indem er ein Gerät konstruierte, das alle Luftdruckänderungen ausglich. Seine Instrumente zeigten einen konstanten Druck in der Testkammer an, aber seine Pflanzen und Tiere hielten weiterhin Rhythmen ein, die ihm sagten, daß sie sich der Veränderungen in der Außenwelt noch immer bewußt waren. (43)

Brown verfügt heute über ein umfangreiches Datenmaterial, das dieses Phänomen in einer jeden berechtigten Zweifel ausschließenden Weise demonstriert. Allein seine Untersuchungen an Kartoffeln laufen seit neun Jahren ohne Unterbrechungen und liefern genaue Stoffwechseldaten für über eine Million Stunden »Kartoffelzeit«. (47) Die Knollen »wissen«, ob der Mond gerade über den Horizont heraufsteigt, ob er im Zenit steht oder ob er eben untergeht. Brown sagt, daß sich »die Ähnlichkeit solcher Veränderungen des Stoffwechsels in Übereinstimmung mit der jeweiligen Zeit des Mondtages nur einleuchtend erklären läßt, wenn man annimmt, daß alle auf eine gemeinsame physikalische Fluktuation reagieren, die eine Lunarperiode hat«. Dieser ketzerische Gedanke, daß die »konstanten Bedingungen« (Brown selbst gebraucht diesen Ausdruck nur in Anführungszeichen), auf die in Tausenden von sorgfältigen Laborversuchen verwiesen wird, letzten Endes vielleicht doch nicht so konstant sind, hat einen Sturm von Kritik seitens jener Biologen hervorgerufen, die hartnäckig an der alten Vorstellung festhalten, daß Tiere, die in bezug auf Licht, Temperatur, Feuchtigkeit und Druck unter gleichbleibenden Bedingungen gehalten werden, durch nichts beeinflußt werden könnten. Brown sammelt jedoch weitere Beweise, um zu zeigen, daß es noch andere, subtilere Faktoren gibt, die in Betracht zu ziehen sind.

Ein möglicher Kandidat ist der Magnetismus. Wir wissen, daß das Magnetfeld der Erde leichten Veränderungen unterworfen ist, die sich nach der Stellung von Sonne und Mond richten. Messungen, die von 1916 bis 1957 vorgenommen wurden, zeigen, daß sich das erdmagnetische Feld in direkter Übereinstimmung mit dem Sonnentag, dem Mondtag und dem lunaren Monat stündlich verändert. (190) Sofern also Lebewesen für den Erdmagnetismus empfindlich sind, können sie die Bewegungen sowohl des Mondes als auch der Sonne selbst dann noch verfolgen, wenn sie unter den bewußten »konstanten Bedingungen« im Labor eingekerkert sind, und allem Anschein nach besitzt das Leben diese Empfindlichkeit.

Wenn man aufmerksam die oberen Schichten einer Süßwasserpfütze betrachtet, sieht man beinahe immer eine lebhafte kleine grüne Kugel von der Größe dieses »O« durch das Wasser rollen. Es ist die Kugelalge Volvox, vermutlich der einfachste aller lebenden Organismen. Sie setzt sich aus einer Anzahl von einzelnen Zellen zusammen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen, und ist zweifellos ein direkter und nur geringfügig veränderter Nachkomme der ersten versuchsweisen Vereinigung früher Zellen. Aus diesen Gründen wählte J.D. Palmer, ein Mitarbeiter Frank Browns in Evanston, die Volvox aureus als Versuchsobjekt für ein Experiment mit magnetischen Feldern. (239) Die Volvox, deren Name aus dem lateinischen Wort für »rollend« abgeleitet ist, ist eine photosynthetische Pflanze, jedoch eine, die sich durch die koordinierten Schläge von Geißelzellen an der Oberfläche der Kugel rasch und gut zu bewegen vermag. Palmer brachte seine Algenkolonie in einem kleinen Glasgefäß mit einem langen, engen Hals unter, der nach dem magnetischen Süden wies, und als die kleinen grünen Bälle herausgerollt kamen, notierte er die Richtungen, in die sie sich bewegten. Er registrierte insgesamt 6916Volvox, von denen ein Drittel den Hals unter normalen Bedingungen verließ, ein Drittel, nachdem am Eingang ein Stabmagnet angebracht worden war, der das Erdfeld verstärkte, und ein letztes Drittel nach Anbringung eines Stabmagneten, der im rechten Winkel zum Erdfeld in ostwestlicher Richtung lag. Das Feld des Magneten war dreißigmal stärker als das natürliche, und die Ergebnisse waren völlig eindeutig.

Bei dem nach dem Erdfeld ausgerichteten Magneten wandten sich 43 Prozent mehr Volvox als unter normalen Bedingungen nach Westen, und bei dem quer zum Feld liegenden Magneten kamen weitere 75 Prozent dazu. Das zeigt, daß diese Organismen nicht nur imstande sind, ein Magnetfeld zu entdecken, sondern daß sie auch die Richtung der Kraftlinien dieses Feldes wahrnehmen. Und da die Volvox eine archaische Form ist, darf man annehmen, daß sich diese Empfindlichkeit des Lebens für den Magnetismus sehr weit in die Vergangenheit zurückverfolgen läßt und wahrscheinlich tief verwurzelt ist.