Geheimnis einer Zofe - C. L. Potter - E-Book
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Geheimnis einer Zofe E-Book

C. L. Potter

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Beschreibung

Kann Maud ihre Vergangenheit hinter sich lassen? Südengland, Winter 1912. Es kommt Lady Christabel vor wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk: Ihre Lieblingsautorin Winifred Ruteledge besucht das Herrenhaus Carrack Manor. Lady Christabel gelingt es, für sich und Maud eine Einladung dorthin zu erhalten. Doch ihr Glück währt nicht lange. Lavendelfarbene Briefe, in denen dunkle Geheimnisse angedeutet werden, vergiften die Atmosphäre im Herrenhaus. Bevor Maud und Lady Christabel herausfinden können, wer die Schreiben verfasst hat, geschieht ein Mord. Als der Inspector von Scotland Yard ihr sehr deutlich sagt, wie wenig er von Amateurdetektiven hält, fühlt Lady Christabel sich herausgefordert. Pech nur, dass sie sich nicht auf Maud verlassen kann, denn die Zofe muss sich ihrer Vergangenheit stellen. Der neue Fall droht, das Team aus Lady und Zofe zu entzweien.

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Ein Fall für Maud & Lady Christabel

Geheimnis einer Zofe

C. L. Potter

Inhalt

Das Buch & Die Autorin

Figuren

Carrack Manor

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Nachwort: Fakten und Fiktion

Danke!

Weitere Bücher von Christiane Lind

Impressum

Copyright © 2020, AIKA Consulting GmbH, alle Rechte vorbehalten.

Berliner Straße 52, 34292 Ahnatal

www.cl-potter.de

Originalausgabe Oktober 2020

Buchcoverdesign: Marie-Katharina Becker, www.wolkenart.com unter Verwendung von Bildmaterial von © shutterstock

Lektorat: Katrin Rodeit, www.julia-rodeit.de

Erstes Korrektorat: Claudia Heinen, www.sks-heinen.de

Zweites Korrektorat: Regina Merkel

E-Book und Satz: Marie-Katharina Becker, www.wolkenart.com

Vertrieb: Tolino

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung bedarf der ausdrücklichen Zustimmung der Autorin.

Für die Links zu Webseiten Dritter übernehme ich keine Haftung, da ich mir diese nicht zu eigen mache, sondern lediglich auf sie verweise, mit Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung.

Personen und Handlung sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die im Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

Das Buch & Die Autorin

Das Buch

Südengland, Winter 1912. Es kommt Lady Christabel vor wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk: Ihre Lieblingsautorin Winifred Ruteledge besucht das Herrenhaus Carrack Manor. Lady Christabel gelingt es, für sich und Maud eine Einladung dorthin zu erhalten. Doch ihr Glück währt nicht lange. Lavendelblaue Briefe, in denen dunkle Geheimnisse angedeutet werden, vergiften die Atmosphäre im Herrenhaus. Bevor Maud und Lady Christabel herausfinden können, wer die Schreiben verfasst hat, geschieht ein Mord.

Als der Inspector von Scotland Yard ihr deutlich zu verstehen gibt, wie wenig er von Amateurdetektiven hält, fordert das Lady Christabel heraus. Pech nur, dass sie sich nicht auf Maud verlassen kann, denn die Zofe muss sich ihrer Vergangenheit stellen.

Die Autorin

C. L. Potter ist das Pseudonym von Christiane Lind, unter dem sie Landhauskrimis schreibt. Seitdem Christiane das erste Mal nach Südengland reiste, ist sie Herrenhäusern und deren Geheimnissen verfallen.

Figuren

Lentune Hall

Maud Gulliver, Zofe

Christabel Mowgray, Ladyschaft von Maud

Upstairs

Rosalind Mowgray, Countess of Waldeford, Christabels Mutter

Alastair Mowgray, Earl of Waldeford, Christabels Vater

Dahlia Mowgray, Christabels Schwester

Basil Mowgray, Christabels Bruder

Lavinia Mowgray, Christabels unverheiratete Tante

Downstairs

Harold Rowe, Butler

Jessamine Eggerton, Hausdame

Nellie Cramton, Köchin

Rupert Kendall, Chauffeur

Harold Knight, Lakai

Gladys Bannerman, Hausmädchen

Enid Gillinham, Hausmädchen

Lucy-Anne Buxton, Küchenhilfe

Carrack Manor

Upstairs

Clifford Montgomery, Viscount of Hillmere

Gwendolen Montgomery, Viscountess of Hillmere

Edna Blackmore, Viscountess of Covenbrough

Winifred Ruteledge, Schriftstellerin

Gerald Warren, Verleger

Hedley Sinclair, Earl of Allenmere

Downstairs

William Fitzwilliam, Butler und Kammerdiener

Hilda Terrell, Köchin und Hausdame

Timothy Vaughan, Lakai, Chauffeur und Kutscher

Ruby Hodge, Hausmädchen und Zofe

Polly Linfield, Küchenmädchen

Adeline Spranklin, Gesellschafterin von Lady Blackmore

Catriona Gallach, Schottin in Manchester

Finlay Gallach, Schotte in Manchester

Charles Norman, Inspector der Metropolitan Police (Scotland Yard)

Leslie Fudge, Constable

Kapitel Eins

Manchester, drei Jahre zuvor

Obwohl es noch nicht einmal Teezeit war, zeigte der Himmel über Manchester ein düsteres Grau, als wäre die Sonne für immer verschwunden. Feiner Nieselregen sammelte sich auf Catrionas Hut und tropfte ihr in den Nacken. Gedankenverloren wischte sie die Nässe mit der Hand beiseite.

»Es wird schon gut gehen.« Finlay ergriff Catrionas Hand und drückte sie fest. »Nur noch diese beiden und wir können nach Hause zurückkehren.«

Traurigkeit und Freude mischten sich bei seinen Worten, sodass sie nur nicken konnte. Jeder Versuch, etwas zu antworten, hätte zu Tränen geführt. »Nach Hause« – das sagte sich so leicht. Für sie würde es nie wieder Glück und ein Heim geben, nicht nachdem ihre kleine Glenys für immer von ihr gegangen war.

Finlay versuchte, beruhigend zu lächeln, aber seine schmalen Lippen schienen dazu nicht mehr fähig zu sein. Catriona erschrak, wie stark die Trauer sich in seinem geliebten Gesicht eingegraben hatte. Zwischen den eng stehenden grünen Augen zeigte sich eine scharfe Falte, die ihn älter aussehen ließ als die knapp dreißig Jahre, die er zählte. In das struppige Braun seiner Haare hatte sich in den letzten Monaten Grau eingeschlichen. Sie hob die Hand, um seine eingefallene Wange zu streicheln, aber er schüttelte den Kopf.

Genau wie Catriona ertrug Finlay nichts, was weich und liebevoll war. Gemeinsam hatten sie sich eine Aufgabe gesucht, bei der sie hart sein mussten. Nur so konnten sie ihre Traurigkeit überwinden und weiterleben.

»Geh«, wisperte sie. »Niemand darf uns zusammen sehen.«

Er nickte und drehte sich um. Sie nahm sich die Zeit, seiner hochgewachsenen, hageren Gestalt nachzusehen, bis er um die nächste Straßenecke verschwand.

Ich kann das tun. Es ist nicht das erste Mal, sprach sie sich Mut zu, aber sie schauderte, denn heute war es anders. Dieses Mal hatte man Finlay und sie gerufen. Noch immer war Catriona nicht vollends davon überzeugt, dass sie nicht einem perfiden Trick aufsitzen würden. Doch selbst wenn es so sein sollte, es war ihr gleichgültig. Nichts war mehr wirklich von Bedeutung.

Nachdem sie tief eingeatmet und die Tränen abgewischt hatte, ging sie auf das elegante Haus zu. Von außen sah es mit seinen roten Backsteinen und den beiden Erkern aus wie die anderen gutbürgerlichen Häuser in der Straße. Niemand würde vermuten, was sich in seinem Inneren abspielte.

Ohne zu zögern, öffnete sie das schmiedeeiserne Tor und ging mit festen Schritten auf die Haustür zu. Dort angekommen, richtete sie ihren Hut, strich noch einmal den Regen aus Gesicht und Nacken und klingelte. Vielleicht lag es an dem, was sie erwartete, aber der Butler, der Catriona die Tür öffnete, erschien ihr düster und bedrohlich.

»Sie wünschen, Mylady?« Dunkle Augen unter grauen Brauen musterten sie, als wüssten sie von Catrionas Geheimnis. Noch konnte sie zurück, aber seit Glenys’ Tod hatte sie die Furcht verloren.

»Ich habe eine Einladung.« Sie kramte in ihrer Tasche, wo sie eben noch den kurzen Brief gesehen hatte. Sollte sie ihn etwa verloren haben? »Einen Moment, bitte.«

Dort, da entdeckte sie endlich das vermaledeite Stück Papier. Unter Aufbietung ihres gesamten Mutes gelang es ihr, dem Butler den Brief zu überreichen, ohne dass ihre Hände flatterten wie ein gefangener Spatz.

»Willkommen.« Ein Lächeln huschte über das hagere Gesicht, um sofort wieder zu verschwinden. Der Butler trat zur Seite, um Catriona einzulassen. »Gehen Sie geradeaus in den Salon. Er ist nicht zu verfehlen.«

Täuschte sie sich oder schwang da ein Hauch Verachtung im Tonfall mit?

»Danke«, sagte Catriona dennoch und ging wie magisch angezogen weiter. Der Geruch verbrannten Salbeis zeigte ihr, dass sie sich im richtigen Haus befand. Einmal tief Luft holen, den Rücken strecken und hineingehen.

Halt, das passte nicht zu ihrer Rolle. Also blieb sie stehen, ließ die Schultern nach vorne fallen und senkte den Kopf. Mit schlurfenden Schritten betrat sie den Raum und murmelte: »Guten Tag.«

»Herzlich willkommen, Mrs Donegal.« Der Mann, der sie begrüßte, war auffallend gut aussehend: Ein dunkler Typ mit markanten Gesichtszügen und einem verwegenen Blick in den blauen Augen. »Ich bin Reverend Sempell. Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. Wir können Ihnen gewiss helfen.«

»Danke«, flüsterte sie und hielt den Blick weiter gesenkt. »Ich … Sie sind meine letzte Hoffnung.«

»Kommen Sie. Ich führe Sie zu Ihrem Platz.«

Nachdem sie auf dem unbequemen Lehnstuhl Platz genommen hatte, sah Catriona sich unter halb gesenkten Lidern um. Vor ihr stand eine schwarze Kerze in einer Kreidezeichnung eines magischen Symbols. Vor allen Menschen, außer ihr noch sechs Personen, befanden sich Kerzen in diesen Zeichen. Sie drehte den Kopf, um die anderen Gäste zu mustern: Ihr gegenüber saßen der vorgebliche Reverend, flankiert von zweien seiner Leute: Der eine trug einen braunen Anzug, der andere eine Uniform.

Links neben Catriona saß eine alte Dame, in deren Gesicht das Leben und die Trauer tiefe Spuren hinterlassen hatten; auf der anderen Seite die hochaufgeschossene Gestalt einer jüngeren Frau, die einmal laut aufschluchzte.

Doch Catriona konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die Frau in Schwarz am Kopfende des Tisches, deren Gesicht hinter einem Gazeschleier nur schemenhaft zu erkennen war. Schmale Hände mit Sommersprossen ragten aus den spitzenbesetzten Ärmeln des Kleides. Sie hielt den Kopf gesenkt und leicht schräg, als lauschte sie auf Stimmen, die nur sie wahrnehmen konnte.

»Lassen Sie uns beginnen.« Kaum hatte der Reverend den Satz beendet, flackerten die Kerzen in einem Luftzug, obwohl alle Fenster geschlossen waren. »Bitte ergreifen Sie einander bei den Händen. Um Ihrer unsterblichen Seelen willen flehe ich Sie an, den Kreis während der Sitzung nicht zu durchbrechen. Haben Sie mich verstanden?«

»Ja«, murmelte Catriona, ebenso wie alle anderen am Tisch. Der Reverend musterte sie aus dunklen Augen so intensiv, dass sie fürchtete, er würde ihre wahre Absicht erkennen. Sie wagte ein schüchternes Lächeln, das er mit einem Kopfnicken beantwortete.

»Sobald Mrs Modesty den Kontakt zu ihrem spirituellen Führer aufgenommen hat, bitte ich um absolute Ruhe.«

Forschend sah Catriona sich um. Zu ihrer Überraschung hatte der Spiritist alle anderen Gäste in seinen Bann gezogen. Sie starrten ihn an und schienen jedes Wort in sich aufzusaugen. Wie verzweifelt die armen Menschen sein mussten. Nur zu gut erinnerte Catriona sich an Zeiten, in denen sie ebenso untröstlich gewesen war und alles getan hätte, nur um Glenys wiederzusehen.

»Bitte, verehrte Mrs Modesty, lüften Sie den Schleier zwischen den Welten.« Die Stimme des Reverends klang so volltönend, dass Catriona ihn sich gut auf einer Kanzel vorstellen konnte. »Helfen Sie uns, mit den lieben Verblichenen in Kontakt zu treten.«

Das Medium nickte und legte den schwarzen Gazeschleier ab. Die Brust der Frau hob und senkte sich. Langsam öffnete Mystic Modesty, eine Dame von wohl Mitte dreißig, mit Sorgenfalten auf der Stirn und tiefen Furchen um den vollen Mund, die Augen. Nun wusste Catriona, dass sie die Richtige war. Diese hellbraunen Augen verrieten, wer sich hinter dem schwarzen Gazeschleier und der geschickten Schminke, die sie älter aussehen ließ, verbarg.

»Ich bitte Sie«, bat das Medium mit einer überraschend dunklen Stimme, »platzieren Sie das Bild des geliebten Verstorbenen und Ihr Andenken an ihn vor sich, damit sich mein spiritueller Führer im Geisterreich daran orientieren kann.«

Wie kann sie das sagen, ohne in Lachen auszubrechen? Wie können alle hier daran glauben, dass diese Frau ihnen helfen kann? Merkt denn niemand außer mir, was für ein böses Spiel hier getrieben wird?

Am liebsten hätte Catriona diese Gedanken laut ausgesprochen, nein, sogar hinausgeschrien, aber das hätte ihren Plan zerstört. Also atmete sie tief ein und griff in ihre Handtasche. Mit zitternden Fingern holte sie das Bild von Glenys hervor. Das Foto ihrer kleinen Tochter, das sie nach deren Tod hatte erstellen lassen. Selbst in ihren traurigsten Momenten hatte sie niemals gedacht, dass Glenys auf dem Bild aussah, wie sich Catriona an sie erinnerte. Die sepiafarbene Fotografie zeigte etwas, was eher wie eine Porzellanpuppe wirkte als wie ihr geliebtes kleines Mädchen.

Nachdem sie das Foto vor sich auf den Tisch gelegt hatte, holte Catriona das vorgebliche Andenken hervor, eine Stoffpuppe, die sie gestern einem Händler in Manchester abgekauft hatte. Sollte Mystic Modesty wahrhaftig mit der Geisterwelt kommunizieren können, würde sie erkennen, dass diese Puppe niemals Glenys gehört hatte. Catriona und Finlay hatten das Spielzeug mit Teeblättern künstlich altern lassen, damit ihr Betrug nicht sofort auffiel. Obwohl Catriona sicher war, dass das Medium ein Scharlatan war, schlug ihr das Herz bis zum Hals, als sie die Puppe vor sich auf den Tisch legte.

»Mein Sohn ist ebenfalls viel zu früh von mir gegangen«, erklang eine erstickte Stimme neben ihr. Catriona wandte den Kopf. Rechts von ihr saß eine zierliche Dame mit eingefallenen Wangen und dunklen Ringen unter den blauen Augen. Anzeichen einer tiefen Trauer, wie Catriona nur zu gut wusste. Sie drückte kurz die Hand der Lady, woraufhin diese sie überrascht ansah.

»Erinnert die Toten«, begann der Reverend zu intonieren. »Erinnert die Toten.«

Die Männer an seiner Seite fielen in den Gesang ein, nach kurzem Zögern begannen auch die Ladys neben Catriona mit dem Singsang, der etwas Hypnotisierendes an sich hatte. Selbst Catriona bewegte die Lippen, ohne jedoch die Worte auszusprechen.

»Ich rufe die spirituelle Welt«, erklang die klare Stimme von Mystic Modesty. Obwohl das Medium leise sprach, konnte Catriona es gut verstehen. »Sucht jemand Eingang, um zu sprechen?«

Die Lady rechts neben Catriona zuckte zusammen und verkrampfte ihre Finger um Catrionas Hand, während die an ihrer linken Seite sich überhaupt nicht regte. Gern hätte sie die Frau beruhigt, aber das war nicht ihr Auftrag.

»Erinnert die Toten! Erinnert die Toten!« Der monotone Gesang wurde leiser und leiser, bis er ganz verstummte. Erneut zog ein Windstoß durchs Zimmer und die Kerzenflammen flackerten. Plötzlich erlosch die vor der Lady mit der Fotografie des kleinen Jungen. Ein hoher Ton erklang, gefolgt vom süßlichen Geruch brennenden Weihrauchs. Ein leises Seufzen kam aus dem Mund des Mediums, es klang seltsam hohl und fern. Obwohl sie Ähnliches schon oft erlebt hatte, zuckte Catriona zusammen.

»Hier ist jemand sehr jung, sehr verwirrt.« Erneut legte Mystic Modesty den Kopf schief und schien zu lauschen. »Ein Knabe, vor Kurzem erst auf die andere Ebene gewechselt.«

»Lawrence«, schluchzte die Lady. »Er ist mir vor drei Wochen genommen worden.«

Auch wenn sie aus anderen Gründen hier war, verspürte Catriona ein tiefes Mitgefühl und drückte erneut die Hand der Frau. Sie kannte deren Verzweiflung nur zu gut und wünschte, sie könnte ihr das Folgende ersparen.

Erneut erklang der geisterhafte Ton, während Mystic Modestys Kopf zur Seite rollte und ihre Augen sich verdrehten, bis nur noch das Weiße in ihnen zu sehen war.

Das Medium zuckte zweimal und setzte sich dann wieder auf. Auf einmal wirkte die Frau schlaksig und unbeholfen wie ein Kind.

»Mama, Mamsy, wo bist du?«, fragte das Medium in einer kindlich hellen Stimme. »Ich vermisse dich.«

Die Lady schluchzte auf. »Mamsy, so hat er mich immer genannt. Lawrence, mein Herz, wie geht es dir?«

Bevor das Medium antworten konnte, tauchte ein geisterhaft schimmerndes Bild eines Knaben über dem Tisch auf. Der Mann in Uniform stieß einen erschreckten Schrei aus und wollte seine Hand aus der des Reverends lösen.

»Unterbrechen Sie niemals den Kreis!«, rief der Reverend mit sich überschlagender Stimme. »Sonst sind wir alle verdammt.«

Das war der Moment, auf den Catriona gewartet hatte. Mit einer ruckartigen Bewegung nestelte sie die Pfeife unter ihrer Bluse hervor und pustete hinein. Der durchdringende Ton wurde von außen mit mehreren Pfiffen gleicher Lautstärke beantwortet.

»Was? Wie?« Der Reverend starrte sie aus großen Augen an. »Wie kann das sein?«

»Sie sind nicht der Einzige mit Tricks.« Catriona erhob sich so schnell, dass ihre falsche Hand in der ihrer Nachbarin zurückblieb, was bei dieser zu einem durchdringenden Kreischen führte. Nun sprangen alle auf.

Der Reverend, das Medium und ihre Spießgesellen versuchten, die Tür zu erreichen, doch dort warteten bereits Finlay und uniformierte Polizisten auf sie, um sie in Gewahrsam zu nehmen. Catriona eilte zu den hohen Fenstern und zog die Vorhänge auf, sodass jeder den Butler sehen konnte, der eine Trompete in der Hand hielt, mit der er die geisterhaften Töne fabriziert hatte. Das graue Licht des Nachmittags entlarvte auch den Stock, an dessen Ende das Bild des toten Jungen über dem Tisch schwebte.

»Es … es war alles nur ein Trick«, flüsterte dessen Mutter. Ihre Hände verkrampften sich um die Fotografie. »Sie hat nicht mit meinem Lawrence gesprochen?«

»Es tut mir unendlich leid.« Catriona tätschelte ihr sanft den Rücken. »Nachdem meine Tochter gestorben war, habe ich auch Hilfe bei Geistersehern gesucht.«

Sie schwieg und musste sich sammeln bei der Erinnerung an die Verzweiflung und Trauer, die sie damals dazu gebracht hatte, einen Scharlatan nach dem nächsten aufzusuchen.

»Niemals hat mir jemand helfen können, aber ich habe begonnen, die Lügner und Betrüger zu hassen.« Ihre Stimme wurde hart. »Seitdem verfolge ich sie und entlarve sie mit aller Kraft.«

»Dann werde ich Lawrence nie wiedersehen?«

»Wenn Sie an ein Leben nach dem Tod glauben, wartet Ihr kleiner Junge auf Sie. Aber fallen Sie nicht mehr auf Medien und spiritistische Sitzungen herein.«

Die Lady musterte sie durchdringend und Catriona erkannte, dass sie ihr nicht glaubte, sondern weiter nach einer Möglichkeit suchen würde, den Tod zu überwinden.

»Catriona, komm.« Auf leisen Sohlen war Finlay neben sie getreten. Er wirkte erschöpft und müde, so wie sie sich fühlte. »Unsere Arbeit hier ist getan. Lass uns nach Hause fahren.«

Kapitel Zwei

Obwohl sich im Westen dunkle Wolken ballten, ein Zeichen drohenden Regens, ließ sich Christabel nicht davon abhalten, den Tag mit einem Ausritt zu beginnen. Seitdem Maud und sie von Blackwell Castle zurückgekehrt waren, hatte Christabel keinen morgendlichen Ritt versäumt. Sie würde es weder ihrer Zofe noch sich selbst eingestehen, aber durch die wilden Galoppaden versuchte sie, die Erinnerung an die Geschehnisse abzuschütteln.

Christabel fröstelte trotz ihrer wattierten Jacke, als sie aus der Haustür trat und sich auf den Weg zu den Ställen begab. Ein eisiger Wind trieb Blätter vor sich her, bis sie auf dem Kiesweg liegen blieben. So früh am Morgen wirkte es, als wäre sie allein auf Lentune Hall. Sicher, im Haus waren die Dienstboten bereits eifrig dabei, das Frühstück vorzubereiten und die Zimmer zu säubern, aber Ställe und Garten waren ruhig und friedlich. Das liebte Christabel an ihren Ausritten.

Außerdem – und das erschien ihr den Preis des überaus frühen Aufstehens wert – hatte sie durch ihre Ausritte eine Ausrede, warum sie nicht mit den anderen Mitgliedern ihrer Familie frühstückte. Christabel saß viel lieber auf dem Rücken eines edlen Vollblüters als sich die Lobpreisungen ihrer Schwester Dahlia über den Verlobten anhören zu müssen. Wenn man Dahlia glaubte, stand der Earl of Runchhaven kurz davor, übers Wasser gehen zu können.

Schlimmer noch als Dahlias Lobhudeleien waren für Christabel jedoch die Blicke ihrer Mutter zu ertragen. Lady Rosalind Mowgray war viel zu vornehm, als dass sie ausgesprochen hätte, wie enttäuscht sie darüber war, dass ihre älteste Tochter immer noch unverheiratet war. Glücklicherweise weilten sie nicht mehr in London, was es Christabel ersparte, jeden Nachmittag zu einer anderen Familie zu Besuch getrieben zu werden – alles in der vergeblichen Hoffnung, dort den passenden Gemahl für sie zu finden.

Christabel seufzte. Es war nicht so, dass es ihr an Gelegenheiten oder Gentlemen gemangelt hätte. Sie konnte sich nur nicht vorstellen, ein Leben als Ehefrau zu führen. Ein Leben voller Mahlzeiten, Besuche und langweiligen Gesprächen. Nein, sie wollte mehr und anderes. Hätte sie Maud nicht versprochen, das Detektivspielen aufzugeben, hätte Christabel vielleicht eine Detektei aufgemacht. Das fehlte in London gewiss: Weibliche Ermittler, die Frauen in Not beistanden, so wie Maud und sie Lady Althea Haddington geholfen hatten.

Aber leider, leider musste sie ihr Versprechen Maud gegenüber halten, denn ihre Zofe war auf Blackwell Castle die Hauptverdächtige in einem Mordfall gewesen. Auch wenn Christabel verstehen konnte, warum Maud sich weigerte, noch einmal Nachforschungen anzustellen, so vermisste sie den Nervenkitzel, den ihre Detektivarbeit mit sich gebracht hatte.

Der Kies knirschte unter ihren Reitstiefeln, als sie in Gedanken versunken weiterschlenderte. Ihr langes Reitkleid wischte über den Weg und schwang um ihre Beine. Als es in der Hecke neben ihr raschelte, schreckte Christabel zusammen. Doch es war nur ein Vogel, der sich zwischen den Zweigen wohl Schutz vor der Morgenkühle erhoffte.

Warum nur hatte sie Maud ihr Ehrenwort gegeben? Zornig stieß Christabel mit der Stiefelspitze gegen einen Stein. Über Verbrechensaufklärung zu schreiben, erwies sich als nicht annähernd so aufregend, wie eigene Ermittlungen anzustellen. Außerdem hatte »The Strand Magazine« Christabels Geschichte über eine Lady, die das perfekte Verbrechen begangen hatte, abgelehnt. Gewiss saßen dort nur ältere Gentlemen in der Entscheidungsrunde, in deren Weltbild es nicht passte, dass eine Lady ihren Ehemann ermordete – und davonkam.

Nun gut, dann würde Christabel eben eine neue Geschichte schreiben und noch eine und noch eine. So lange, bis sich entweder »The Strand Magazine« ihrer erbarmte oder aber – und der Gedanke raubte ihr schier den Atem – sich ein Verleger fand, dem sie eine Sammlung ihrer Geschichten anbieten konnte.

Als sie sich den Stallungen näherte, war das sanfte Schnauben der Pferde zu hören, die ihre Morgenmahlzeit fraßen. Christabels Herz wurde leichter und sie beschleunigte ihre Schritte. Von der Seite her kam ein Schatten gesprungen und schmiegte sich an ihre Beine.

»Wie geht es dir, meine Hübsche?« Christabel ging in die Knie, um die braun getigerte Katze unterm Kinn zu kraulen. »Bist du immer noch der Schrecken der Stallkatzen?«

Bastet würdigte sie keiner Antwort, sondern humpelte davon.

»Was für ein wunderschöner Morgen, Mylady.« Evan, der Stallbursche, hatte Noble Lady bereits gesattelt. »Sie ist heute ein wenig angespannt, weil sie drei Tage gestanden hat. Aber für Sie ist das gewiss kein Problem.«

Die Rappstute schnaubte und zerrte am Zügel, als wollte sie die Worte des Stallburschen unterstreichen. Nervös scharrte sie mit den Vorderhufen.

»Danke.« Christabel ließ sich von Evan in den Sattel helfen und nahm die Zügel auf. Noble Lady wehrte sich und schlug mit dem Kopf. »Ich werde das Wetter nutzen und bis zum Waldsee reiten.«

»Soll ich Sie begleiten?« Der Stallbursche musterte Reiterin und Pferd aus verengten Augen. »Nicht, dass ich Ihnen nicht vertraue, aber Noble Lady ist heute nicht sie selbst.«

»Nein, ich komme schon mit ihr zurecht.« Christabel wendete die Stute und ritt in Richtung des Waldes. Der Herbst hatte die Blätter rot und gelb gefärbt, die Stürme der vergangenen Tage hatten die Bäume der meisten Blätter entkleidet. Die Luft war kalt und man spürte bereits, dass der Winter Einzug gehalten hatte.

Der Hufschlag, gedämpft durch das hohe Gras auf dem Weg, war das einzige Geräusch, das Christabels Morgenritt begleitete. Die Vögel waren wohl in den Süden gezogen oder hatten sich an diesem kalten Novembermorgen noch nicht aus ihren Nestern gewagt.

»Was für ein großartiger Tag«, jubilierte Christabel und trieb ihre Stute in den Galopp. »Ich bin mir sicher, er wird wunderbar!«

Zwei Stunden später kehrte sie nach Lentune Hall zurück, die Wangen vom kalten Wind gerötet, mit klammen Fingern, aber glücklich. Ganz gleich, wie trüb ihre Stimmung war, sobald sie Zeit auf dem Pferderücken verbrachte, war sie wieder mit sich und der Welt im Einklang. Nachdem sie Noble Lady dem Stallburschen übergeben hatte, kehrte sie ins Haus zurück.

»Mylady, Ihre Post.« Mr Rowe, der Butler auf Lentune Hall, hielt ihr ein Silbertablett mit drei Briefen und dem »The Strand Magazine« entgegen. »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Ritt?«

»Danke.« Christabel nickte ihm zu. Obwohl er schon zwölf Jahre auf Lentune Hall diente, hatte sie sich nicht mit ihm anfreunden können. Möglicherweise lag es daran, dass sie mit Morris Fernside aufgewachsen war und immer noch nicht verwunden hatte, dass der Butler sang- und klanglos verschwunden war.

»Lady Mowgray wünscht, Sie noch vor dem Mittagessen zu sehen.« Mr Rowe neigte seinen Kopf, was Christabel die Gelegenheit gab, zu entdecken, wie sehr die kahle Stelle an seinem Hinterkopf gewachsen war.

Das wird Maud bestimmt freuen. Ob sie es bereits bemerkt hat oder soll ich es ihr mitteilen?

Ihre Zofe führte eine Fehde mit dem Butler und behauptete, Mr Rowe wäre nur so ein Ekel, weil er ein kleiner Kerl mit großer Glatze war. Etwas, an das Christabel immer denken musste, wenn sie den Butler sah. Manchmal hatte sie den Eindruck, Mr Rowe könnte ihr die Gedanken vom Gesicht ablesen. Jedenfalls schaute er sie aus seinen braunen Augen an, als wüsste er, wie wenig sie von ihm hielt.

»Sagen Sie meiner Mutter, ich werde sie in einer halben Stunde aufsuchen. Ich muss mich noch frisch machen und umkleiden.« Warum sagte sie ihm das? Als erfahrener Butler wusste Mr Rowe, dass Christabel ihrer Mutter niemals in Reitkleidung gegenübertreten würde. »Sagen Sie auch Maud Bescheid, dass ich sie brauche.«

»Ich weiß nicht, ob Gulliver …«, als er Mauds Nachnamen aussprach, kräuselten sich seine Lippen verächtlich, »wieder im Haus ist. Sie wollte ins Dorf.«

»Falls Maud …«, Christabel betonte den Vornamen ihrer Zofe und konnte sehen, wie sehr Mr Rowe sich darüber ärgerte, »unterwegs ist, senden Sie mir eines der Hausmädchen, damit es mir beim Umkleiden hilft.«

»Sehr wohl, Mylady.« Der Butler wandte sich um und stolzierte davon. Christabel musste sich das Lachen verkneifen, als sie sich daran erinnerte, wie Maud diesen Gang immer nannte: das Stock-im-Allerwertesten-Gehabe.

Eilig griff sie nach ihrer Post und lief in ihr Zimmer, um vor dem Treffen mit ihrer Mutter wenigstens zu erfahren, wer ihr geschrieben hatte. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog sie ihr Reitkleid aus und ließ es auf dem Boden liegen.

Im Unterrock setzte sie sich an ihren Schreibtisch und öffnete die Umschläge mit ihrem silbernen Brieföffner. Das erste Schreiben war eine Einladung von einer Familie, die einen unverheirateten Sohn hatte. Christabel warf es in den Papierkorb und hoffte, dass ihre Mutter nicht ebenfalls diesen Brief erhalten hatte.

Das zweite Schreiben war von ihrem guten Freund Ernest Pemborough, der mit seiner Verlobten Beryl Banfour nach Venedig gereist war. Selbstverständlich begleitet von einer Anstandsdame, die in diesem Fall Beryls Mutter war. Christabel gruselte sich bei der Vorstellung, mit ihrer Mutter und einem Mann gemeinsam auf Reisen zu gehen. Ernest jedoch schien glücklich zu sein, was sie ihm von Herzen gönnte.

Bevor sie sich die Freude des »The Strand Magazine« gönnte, angelte sie die Einladung aus dem Papierkorb. Selbst wenn sie es nicht in Betracht zog, diese anzunehmen, gebot es die Höflichkeit, eine freundliche Absage zu formulieren. Allerdings schrieb ihr das gute Benehmen nicht vor, sofort zu antworten. Daher legte Christabel den Brief zu den anderen, die auf eine Antwort warteten.

Wo Maud nur blieb? Wenn ihre Zofe nicht bald aus dem Dorf zurückkäme, würde Lady Christabel den Termin mit ihrer Mutter nicht einhalten können – und Lady Rosalind Mowgray war niemand, den man warten ließ. Warum sandte ihr Rowe kein Hausmädchen? Einen Moment überlegte Christabel, ob sie sich ein Kleid aussuchen sollte, aber »The Strand Magazine« war zu verlockend, selbst wenn es ihre Geschichte nicht angenommen hatte.

Beim Durchblättern blieb ihr Blick kurz an einer Meldung hängen, dann blätterte sie weiter, nur um einen Moment später hektisch nach der Nachricht zu suchen. Ja, sie hatte sich nicht verlesen. Vor Freude stieß sie einen undamenhaften Juchzer aus. Natürlich trat in diesem Moment Maud zur Tür herein.

»Maud! Maud! Maud!« Christabel schwenkte »The Strand Magazine« wie eine Fahne. »Du wirst es nicht glauben.«

»Haben Sie wieder eine Geschichte veröffentlicht?«

»Nicht in dieser Ausgabe.« Einen Moment war Christabel abgelenkt, voller Stolz, dass die Zeitschrift, in der die Sherlock-Holmes-Geschichten erschienen waren, auch etwas von ihr abdruckte. »Nein, viel besser.«

»Besser als eine Veröffentlichung?« Nun hatte sie Mauds Aufmerksamkeit. »Sie haben geerbt?«

»Von wem denn? Es ist doch niemand gestorben.« Christabel schüttelte den Kopf. »Nein, es ist viel unglaublicher.«

Obwohl sie beinahe platzte, die Neuigkeit zu verkünden, presste sie die Lippen zusammen, um die Spannung zu steigern. Aber Maud kannte sie wohl zu gut und fiel nicht darauf herein.

»Ihre Mutter möchte, dass Sie sie heute bei ihren Besuchen begleiten.«

»Maud!« Beinahe hätte Christabel vor Verzweiflung mit dem Fuß aufgestampft, aber das erschien ihr zu kindisch. »Bist du denn überhaupt nicht neugierig?«

»Nun sagen Sie es schon, bevor es Sie umbringt.« Erst nachdem sie die Worte ausgesprochen hatte, erfasste Maud wohl deren Sinn und wurde blass. Noch immer hatte ihre Zofe nicht überwunden, dass sie eine Mordverdächtige gewesen war. »Es hat etwas mit Kriminalgeschichten zu tun, sonst würden Sie nicht mit ›The Strand‹ herumwedeln.«

»Winifred Ruteledge besucht Carrack Manor. Ist das nicht großartig?«

Christabel ging in ihrem Zimmer auf und ab. Am liebsten wäre sie gehüpft vor lauter Freude. Die von ihr hochverehrte Autorin galt als Einsiedlerin, die ihr Domizil an der Riviera so gut wie nie verließ. Und nun wollte die Königin der Spannungsliteratur nicht nur nach England kommen, sondern sogar in ihre Nähe. Egal wie, Christabel musste eine Einladung nach Carrack Manor erhalten. Vor ihrem geistigen Auge sah sie es bereits vor sich, wie Mrs Ruteledge und sie über die besten Gegenspieler für eine gelungene Kriminalgeschichte philosophierten.

»Mylady?« Maud hatte ihre Stimme erhoben, wohl weil Christabel zu sehr in ihrer Fantasiewelt versunken war.

»Du sollst mich nicht Mylady nennen.«

»Wie soll ich Sie stattdessen ansprechen?« Ihre Zofe zuckte mit den Schultern. »Ob ich ›Mylady‹ sage oder ›Lady Christabel‹– macht das wirklich einen Unterschied?«

»Macht es einen, ob ich dich Gulliver oder Maud nenne?«

»Sie haben gewonnen.« Üblicherweise gab Maud niemals so schnell nach. Seit ihrer Rückkehr von Blackwell Castle wirkte die Zofe zerstreut und nervös. Einerseits konnte Christabel das gut verstehen, andererseits hätte sie erwartet, dass Maud sich schneller erholte. Ihre Zofe war ihr immer äußerst robust vorgekommen.

»Wir müssen unbedingt eine Einladung erhalten. Ich muss Mrs Ruteledge kennenlernen.«

»Da werden Sie gewiss nicht die Einzige sein.«

Mauds Worte wirkten wie eine eisige Dusche. Daran hatte Christabel bisher nicht gedacht: Natürlich würden unglaublich viele Kriminalromanleser die Notiz im »The Strand Magazine« lesen und ebenfalls planen, endlich ihre verehrte Autorin zu treffen.

»Dann muss ich eben schneller sein.« Christabel eilte zum Schrank und suchte nach dem passenden Kleid. »Maud, spute dich. Wir müssen eine Einladung für uns ergattern.«

Kapitel Drei

»Soll ich das roséfarbene Kleid mitnehmen?« Lady Christabel trommelte mit ihren langen schlanken Fingern an ihre Wange. »Oder lässt mich das zu mädchenhaft aussehen? Ich will einen guten Eindruck auf Mrs Ruteledge machen.«

»Das Kleid steht Ihnen ausgezeichnet. Das wissen Sie.« Maud war es langsam müde, dabei zuzusehen, wie ihre Ladyschaft ein Kleidungsstück nach dem anderen aus dem Schrank zerrte, damit vor den Spiegel trat und es dann achtlos aufs Bett warf.

---ENDE DER LESEPROBE---