Geheimnisvolles Sylt - Ben Bertram - E-Book
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Geheimnisvolles Sylt E-Book

Ben Bertram

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Beschreibung

Auf Sylt war ich zu einem anderen Menschen geworden. Natürlich war dieser Satz Schwachsinn. Doch bei mir passte er, da man mich hier als Jannik kannte. Mein altes Ich war zusammen mit meiner Vergangenheit in Hamburg geblieben, und ich fühlte mich damit sauwohl. Schnell hatte ich gelernt, dass ich Verpflichtungen ausschließlich mir gegenüber haben musste. Es tat gut, in den Tag hineinzuleben und endlich frei von Sorgen und irgendwelchen Scheinwelten zu sein. Klar fehlte mir die Musik. Mein Musikerleben hingegen nicht. Doch leider gab es auch hier Schattenseiten. Ein Serienmörder trieb seit Jahren auf der Insel sein Unwesen. Vier Frauen waren bereits verschwunden, und ich hatte die Vermutung, dass dieser Kerl im ausgebauten Dachboden unserer Wohngemeinschaft lebte. Doch das war längst nicht alles. Ich glaubte sogar, sein nächstes Opfer zu kennen. War Lea in Gefahr? Gemeinsam mit Hanna wollte ich versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen. Natürlich für Lea, aber auch für Rosa. Der schwarzhaarige Lockenkopf hatte es mir angetan. Auch wenn wir uns eigentlich noch gar nicht kannten …

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Inhaltsverzeichnis

~ Durcheinander ~

~ Und wieder Chopin ~

~ Hinter dem Aber ~

~ Ungefährer Masterplan ~

~ Mein Doppelleben ~

~ Fahrt durch die Dünen ~

~ Kaffee hilft ~

~ Hannas Ferienhaus ~

~ Fast wie Einbrecher ~

~ Herzrasen ~

~ Und jetzt? ~

~ Typisch Frau ~

~ Oke ohne Cleo ~

~ Verbrecher & Räuber ~

~ Männergespräch ~

~ Fühlen ~

~ Herzschlag ~

~ Unheimliche Stille ~

~ Rosarotes Einhorn ~

~ Sehr kurz! ~

~ Damals ~

~ Schreck in den Gliedern ~

~ Blutverschmiert ~

~ Notfallkoffer ~

~ Weitere Planungen ~

~ Viele Fragen ~

~ Duftmarke ~

~ Kurze Luftblase ~

~ Karte des Grauens ~

~ Das Zeitungsarchiv ~

~ Blitzeis ~

~ Plötzlich Enkel ~

~ Grelle Lichter ~

~ Gedankenverloren ~

Heimathafen Sylt

Geheimnisvolles Sylt -

(Band 3)

Von Ben Bertram

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors!

Im Buch vorkommende Personen und die Handlung dieser Geschichten sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Text Copyright © Ben Bertram, 2020

Impressum:

Text:

Ben Bertram

Stellauer Straße 30 B

25563 Wrist

E-Mail: [email protected]

Covergestaltung:

Ben Bertram

Motivbild:

© Ben Bertram

Foto:

Elina Bartel

Korrektorat / Lektorat:

M. Dress

~ Durcheinander ~

Ich stand an Hannas Eingangstür und hatte inzwischen zum zweiten Mal die Klingel gedrückt. Meine Beine zitterten vor Aufregung, da ich nicht wusste, ob ich in diesem Moment das Richtige tat.

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, jetzt in der Westerländer Polizeiwache zu stehen und den Beamten von meiner Ahnung, die fast schon ein Wissen war, zu erzählen?

Hätte ich nicht den Polizisten alles erzählen müssen? Davon, dass Bennet in seinem Zimmer eine Wand besaß, die voller Fotos und Berichten von verschwundenen Frauen war. Von der Wand, die eine Art Reiseplan durch die bisher vier bekannten Verbrechen auf Sylt war?

Der Typ aus unserer Wohngemeinschaft hatte den kompletten Hergang der vier vermissten Frauen genauestens festgehalten. Hatte an dieser makabren Wand die Verbrechen dokumentiert und war bestimmt noch stolz darauf, als Serienmörder, zumindest als Serienverbrecher, bisher nicht entlarvt worden zu sein.

Diese Wand, man könnte sie fast als Ahnengalerie bezeichnen, spiegelte die Verbrechen seiner Vergangenheit. Doch nicht nur das!

Auf ihr befand sich bereits ein Bild des vermutlich nächsten Opfers. Die Frau, die genau in sein Beuteschema passte, war ebenfalls schon auf der Wand des Schreckens verewigt und ahnte nichts davon, bald zu einem Quintett aus vermissten Frauen zu gehören.

Und was tat ich? Ich stand vor Hannas Tür, anstatt mein Wissen zu offenbaren und diese Frau, die zugleich noch eine Freundin meines dunkelhaarigen Lockenkopfes war, zu retten.

„Fuck!“, rief ich und drückte im selben Augenblick erneut die Klingel, anstatt mich endlich auf den Weg zur Polizei zu machen.

Erneut kehrten bereits gesprochene Worte in meinen Kopf zurück.

Rosa, mach jetzt. Ich habe doch eine Verabredung, und wir sind schon spät dran!

Genau diese Sätze hatte die Frau vorhin gesagt, als ich in Hannas Rhododendron Schutz gesucht hatte, um nicht entdeckt zu werden.

„Warum bin ich vorhin so feige gewesen? Ich hätte aus meinem Versteck kommen und sie warnen müssen. Wenn ihr jetzt etwas zustößt, bin ich schuld daran.“ Erneut sprach ich zu mir und spürte, wie ich immer hilfloser wurde.

„Fuck!“ Noch einmal sprach ich das Wort aus. Mein Mitbewohner Bennet hatte freie Bahn. Er war zwar nicht als Bennet unterwegs, sondern als der Kellner, der sich während seiner Arbeitszeit seine Opfer auswählte. Dieser Typ war widerlich, er hatte die verschwundenen Frauen in meiner Gegenwart als tote Tanten bezeichnet und sich auch noch darüber amüsiert.

Tote Tanten war eine dermaßen abwertende Bezeichnung, dass ich ihm schon damals direkt die Fresse hätte polieren müssen. Leider hatte ich es nicht getan.

Bennet, wenn er denn wirklich so hieß, führte ein Doppelleben, und ich Arschloch hatte noch immer nichts dagegen unternommen.

Dabei besaß ich sogar ein Beweisvideo auf meinem Handy. Ich hatte ihn dabei gefilmt, wie er meinem Lockenkopf und ihrer Freundin bei einer Autopanne behilflich war.

Auch er hatte während der Autopanne heimlich Fotos gemacht. Ich wusste es, da ich diese auf Bennets Dachboden entdeckt hatte.

Ja, die Mädels waren definitiv in Gefahr und was tat ich? Ich stand vor der verkackten Hauseingangstür einer alten Dame und ließ es zu, dass ein Verbrechen stattfinden konnte.

„Fuck“, rief ich ein weiteres Mal, und zwar sehr laut. Dann wandte ich mich von Hannas Haustür ab, da mir noch immer nicht geöffnet wurde.

„Das ist ja mal eine ausgefallene Begrüßung.“ Wie lange Hanna bereits hinter mir stand, wusste ich nicht. Sie war wahrscheinlich im Garten gewesen. Nachdem ich mich umgedreht hatte, sahen wir uns an.

„Ist alles gut bei dir? Du siehst ja schrecklich mitgenommen aus.“ Hanna sprach aus, wie ich mich fühlte.

„Ich muss etwas unternehmen“, entgegnete ich und begriff nicht, dass mein Gegenüber nichts mit diesem Satz anfangen konnte. Wie auch? Immerhin hatte die nette ältere Dame keinen Schimmer davon, was ich wusste und worüber ich noch kein Wort verloren hatte.

„Etwas unternehmen? Wie meinst du das?“

„Die fünfte Frau“, flüsterte ich und wusste nicht, weshalb ich meine normale Tonlage verlassen hatte.

„Ist das ein Klavierstück?“, fragte Hanna und sah mich irritiert an.

„Nein, ein Verbrechen“, gab ich zur Antwort und bemerkte nicht, dass ich in Hannas Augen lediglich wirres Zeugs von mir gab.

„Komm mal mit, Jannik. Vielleicht solltest du mir alles ganz in Ruhe bei einem Kaffee erklären. Denk dran, ich bin eine alte Schachtel und begreife nicht immer alles sofort. Oder willst du lieber einen Karl-Heinz?“

„Kaffee“, antwortete ich und verbesserte mich sofort: „Ich meine, dass ich lieber einen Kaffee anstatt Tee möchte.“

„Wir gehen über die Terrasse. Ich habe nämlich keinen Schlüssel dabei.“ Ohne auf meine Reaktion zu warten, machte sich Hanna auf den Weg.

Nachdem wir die Terrasse überquert hatten, gingen wir in den Wintergarten, wo mir direkt ein Sitzplatz zugeteilt wurde. Ja, heute wurde ich nicht darum gebeten, mich zu setzen. Hannas Blick und ihre energischen Gesten ließen mir keine andere Wahl.

Während ich gedankenversunken Platz nahm, verschwand Hanna in die Küche, um uns einen Pott Kaffee zuzubereiten.

„Der wird dir guttun“, sagte Hanna und holte mich mit diesen Worten in die Realität zurück.

„Danke, lieb von dir“, gab ich zur Antwort und nippte direkt am Heißgetränk.

„Fuck, ist der heiß“, gab ich zum besten und ärgerte mich darüber, mir die Lippe verbrannt zu haben.

„Er kommt direkt aus der Maschine“, sprach Hanna und verkniff sich ihr Lachen. „Aber jetzt mal los, was ist los mit dir? Du redest etwas wirr, benutzt ständig dieses F-Wort und siehst heute echt beschissen aus. Also, falls ich das so sagen darf.“

„Es wird etwas Schlimmes geschehen, und ich bin auf dem Weg zur Polizei. Weißt du, Hanna, die vier Frauen sind fast fünf Frauen, und die Mädels sind in Gefahr. Bennet schlägt als Kellner zu und will die Nächste zur toten Tante machen. Seine Wand hat es mir verraten, und die Ränder habe ich auch zusammengelegt und so den Ort der Autopanne entdeckt. Wäre ich nur nicht in der Hecke geblieben, dann hätte ich es verhindern können.“ Nach meinen wirren Worten atmete ich zunächst tief durch, pustete anschließend die restliche Luft aus meinen Lungen und ließ mich erleichtert gegen die Rückenlehne meines Sessels fallen.

Ich war froh, Hanna alles erzählt zu haben und wunderte mich darüber, dass sie mich einfach nur fragend ansah und nichts dazu sagte.

Hatte sie die Gefahr etwa nicht erkannt? War sie nicht in der Lage, die Brisanz des Momentes zu verstehen?

~ Und wieder Chopin ~

Ich war noch immer am Überlegen, ob meine Gastgeberin die schlimme Lage des Augenblicks tatsächlich nicht erfasst hatte.

Ihr fragender Blick war stur auf mich gerichtet, ihre Lippen waren verschlossen, und die Daumen drehten sich umeinander. Überlegte sie? War es ihr egal? Nein, egal war es ihr ganz bestimmt nicht. Dafür war sie nicht der Typ Mensch.

Es gab nur eine Möglichkeit, sie hatte mich nicht verstanden. Doch was gab es an meinen Worten nicht zu verstehen. Immerhin hatte ich deutlich davon berichtet, dass am heutigen Tag auf der Insel ein Verbrechen stattfand. Zumindest war die Chance darauf groß. Gegeben war sie auf jeden Fall allemal.

Doch was tat Hanna? Sie sah mich einfach schweigend an. Wusste sie vielleicht mehr und wollte den Täter decken? War sie in die Taten eingeweiht und schützte diesen widerwärtigen Menschen, da er ihr nahestand? Gab es bei Hanna eine schwarze Seite? Musste sie den Mantel der Verschwiegenheit über die verschwundenen Frauen decken, da der Serientäter jemand aus ihrer Familie war? Konnte es sein, dass Bennet ihr Enkel war? Vielleicht war er sogar ihr Sohn?

Okay, soweit ich wusste, war die nette ältere Dame alleinstehend. Jedoch war es möglich, dass sie einfach nicht alles über sich erzählt hatte. Wer spricht schon gern über die Schattenseiten der eigenen Familie? Auch ich wäre bestimmt nicht bereit dafür, meine Familiengeheimnisse an fremde Menschen preiszugeben.

Doch waren Hanna und ich noch Fremde? Ich dachte darüber nach, ob ich mich bei einem solchen Thema ihr offenbaren würde. Eine Antwort fand ich nicht. Es war natürlich schwierig, etwas zu beantworten, wovon man nicht betroffen war.

Hätte ich einen Sohn, würde ich ihn dann verpfeifen? Ihn der Polizei in die Hände spielen und so dafür sorgen, dass er sein restliches Leben im Gefängnis verbringen musste. Eine beschissene Frage war das, und so versuchte ich, sie zu verdrängen. Es machte keinen Sinn, weiter darüber nachzudenken.

Außerdem drängte die Zeit, ich musste zur Polizei und saß noch immer mit einem Kaffeepott in der Hand bei meiner Gastgeberin auf dem Sessel und sah ihr beim Schweigen zu.

So ging es nicht weiter, so konnte es keinesfalls bleiben. Ich hatte einen Auftrag. Nein, eine Aufgabe, die ich endlich beenden musste.

Gerade, als ich aufstehen wollte, war Hanna schneller.

Sie stellte den Becher auf dem kleinen Beistelltisch ab und schoss in die Höhe. Ohne ein Wort zu verlieren, machte sie sich auf den Weg zu einer mittelgroßen Anrichte. Dort angekommen, öffnete sie eine der mit Segelschiffen verzierten Holztüren.

Was sie vorhatte? Ich wusste es nicht und konnte auch nicht erkennen, was sich hinter der Schranktür befand. Hanna stand leider direkt davor.

Erst als liebliche Klänge den Raum erfüllten, war mir klar, was sie eben getan hatte. Ihr CD-Player befand sich in der Anrichte, und dieser füllte den Raum von diesem Moment an mit sanfter Musik von Chopin.

Als wir wieder nebeneinandersaßen, wurde ich milde angelächelt. Dann richtete sich Hanna auf, griff nach dem Kaffeebecher und setzte sich in eine Pose, die mir verriet, dass sie bereit war, mir zuzuhören.

Ich habe doch schon alles erzählt, dachte ich und konnte die Situation nicht greifen. Falsch, ich begriff sie nicht, und da ich keine weitere Zeit vergeuden konnte, wollte ich meine Gastgeberin einfach fragen, was sie an der Situation nicht verstand.

„Wie schön, das ist ja Grande valse brillante. Das Stück habe ich eine Ewigkeit nicht gehört.“ Knapp daneben war auch vorbei. Nein, ich hatte nicht den falschen Titel genannt, dafür aber nicht das Thema angesprochen, das derzeit über allem anderen stand.

„Ja, ich mag es sehr. Aber deshalb habe ich die Musik nicht angestellt. Eigentlich habe ich gehofft, dass dich die lieblichen Klänge ein wenig beruhigen und du mir in Ruhe erklärst, was dich so sehr beschäftigt, dass du es mir nicht vernünftig erzählen konntest.“ Als Hanna fertig gesprochen hatte, nippte sie am Kaffee und lehnte sich anschließend zurück. Ihre Körperhaltung verriet mir Aufmerksamkeit, und ihr Blick deutete mir an, dass sie bereit für meine Geschichte war.

Sollte ich Hanna nochmals fragen, was sie vorhin nicht verstanden hatte? Oder war es besser, einfach von vorne zu beginnen? Vielleicht war es wirklich so gewesen, dass ich in meiner Aufregung lediglich Wirres und Zusammenhangsloses von mir gegeben hatte.

Als ich einige Minuten später fertig gesprochen hatte, sah ich zu Hanna und wartete auf ihre Reaktion.

Doch zunächst kam keine.

Nein, so war es nicht korrekt. Die ältere Dame sah mich fassungslos, beinahe erschrocken und beängstigt an. Ihre Lippen zitterten etwas und doch war ihr Blick klar und kräftig.

Sie hatte alle meine Worte aufgesogen. Hatte zugehört, ohne mich zu unterbrechen. Hanna hatte an meinen Lippen gehangen und nur manchmal verständnislos mit dem Kopf geschüttelt.

Gesagt hatte sie noch immer kein Wort, was sicherlich daran lag, dass ihr nicht die richtigen Sätze zu diesem Thema einfielen. Verständlicherweise verhielt es sich so, da sie höchstwahrscheinlich mit der Situation ebenso überfordert war wie ich.

Da auch mir kein Satz über die Lippen kam, stand ich auf und nahm mein Handy aus der Hosentasche. Mein Ziel war es, Hanna das Video vorzuspielen und ihr so den Typen zeigen, der mit großer Sicherheit der Sylter Serientäter war.

Mit dem Telefon in der Hand, ging ich hinüber zu ihr und hockte mich auf die breite Armlehne des Sessels.

„Schau mal, kennst du den Mann?“, fragte ich und spielte anschließend das Video ab.

„Da ist er“, sagte ich und stoppte den Film.

„Kann ich ihn auch genauer sehen?“, fragte Hanna mit zittriger Stimme.

„Warte kurz.“ Ich ließ das Video weiterlaufen und hielt es erst wieder an, als der Typ größer und somit auch deutlicher zu erkennen war.

„Der arbeitet bei der Verladung. Glaube ich zumindest. Doch, dass ist er. Ich habe ihn dort schon gesehen.“ Heftiges Nicken unterstützte ihre Worte.

„Bei der Verladung?“ Meine Betonung verriet, dass ich keine Ahnung hatte, was Hanna mit dem Ausdruck Verladung meinte.

„Bei der Autoverladung. Er sorgt dafür, dass alles reibungslos vonstattengeht. Die Jungs und Mädels dort sind abwechselnd für die Beladung und auch für die Entladung der Autozüge zuständig. Sie dirigieren die Urlauber und sorgen so für einen reibungslosen Ablauf bei der Verladung. Ohne sie gäbe es ein heilloses Durcheinander.

„Aha, dann sieht er also jeden Urlauber und …“ Ich sprach nicht weiter.

„Meinst du, dass er so seine Frauen auswählt?“ Hanna hatte mich verstanden, und so nickte ich lediglich.

„Aber können wir damit zur Polizei? Was ist, wenn er nichts mit den verschwundenen Frauen zu tun hat?“ Ich konnte Hannas Worte nachvollziehen, hatte aber keine Idee, was wir ansonsten unternehmen konnten.

Stille herrschte im Raum. Ein Mantel aus Schweigen hatte sich über uns gelegt, und in meinem Kopf rauchte es. Einen klaren Gedanken konnte ich nicht fassen. Zumindest nicht, bis mich ein Gedanke ansprang, den ich sogleich aussprach.

„Was ist, wenn Lea jetzt ein Date mit ihm hat? Dann könnte sie in Lebensgefahr schweben.“

~ Hinter dem Aber ~

Hannas Blick traf mich.

Er wirkte, als würde sie durch meine Augen hindurch in den Kopf sehen. Wollte sie dort meine Gedanken lesen? Glaubte sie, dass ich nicht alles verraten hatte? Oder hoffte sie einfach, in meinem Inneren irgendwelche Antworten auf ihre unausgesprochenen Fragen zu finden?

Vielleicht war sie in diesem Augenblick ebenso hilflos wie ich. Vielleicht? Quatsch, garantiert war sie es, da man sich normalerweise nicht mit solchen Themen beschäftigte. Nicht nur aufgrund ihrer Reaktionen, hatte ich mich längst vom Gedanken, dass meine Gastgeberin etwas über die vermissten Frauen wusste, verabschiedet. Natürlich hatte sich im Gleichschritt auch meine Idee verflüchtigt, dass jemand aus ihrem Bekanntenkreis, geschweige denn aus ihrer Familie, etwas mit dem Serienmörder zu tun hatte. Warum? Ganz einfach, ich spürte es in meinem Herzen.

Ob ich ihren Blick aus dem Grund still erwiderte, dass ich selbst mit der Situation überfordert war, konnte ich mir nicht beantworten. Wie sollte es auch funktionieren? Ich fühlte mich nicht nur leer, ich war es auch. Klare Gedanken hatten sich längst von mir verabschiedet. Selbst meine Idee, die Westerländer Polizeiwache aufzusuchen und mein Wissen dort preiszugeben, war von mir gewichen.

„Wir brauchen einen ungefähren Masterplan“, sagte ich und wusste nicht, ob ich meinen Satz laut ausgesprochen hatte oder meine Worte als Flüsterton bei Hanna ankamen.

Meine Gastgeberin nickte auch eine gefühlte Ewigkeit später noch.

Wenn ich ihren Gesundheitszustand nicht gekannt hätte, wäre ich wahrscheinlich auf die Idee gekommen, dass dieses Kopfwackeln eine Alterskrankheit war.

Ja, sie nickte lediglich, was uns im Thema selbstverständlich nicht weiter voranbrachte. Es lag also erneut an mir, einen Vorschlag zu machen. Da ich tatsächlich überfordert war, wusste ich nicht, ob ich ihr schon von meinem Plan berichtet hatte, zur Polizei zu gehen.

Lieber doppelt als gar nicht, dachte ich und versuchte anschließend, vernünftige Sätze über meine Lippen zu bringen.

„Müssen wir nicht mit all unseren gesammelten Informationen zur Polizei gehen?“ Auch wenn meine Worte eine Frage waren, war es nicht so gemeint. Das Gegenteil war der Fall. Ich wollte Hanna auffordern, mit mir dorthin zu gehen.

„Das können wir gern machen. Aber …“ Obwohl Hannas Kaffee längst kalt war und obwohl sie bereits Unmengen von Zucker in das ehemalige Heißgetränk gekippt hatte, griff sie erneut nach dem Zuckerstreuer.

Alle Worte vor einem Aber kannst du getrost in die Tonne treten. Zum Glück dachte ich meinen Satz bloß. Es war einer der Lieblingssätze meines Opas gewesen, und auch wenn ich als Kind den Sinn dieser Worte nicht begriffen hatte, musste ich ihm im Laufe meines Lebens beipflichten. Sein Satz entsprach der Wahrheit. Niemals waren die Worte vor einem Aber für etwas gut. Falsch, bei diesen Worten handelte es sich meistens um überflüssigen und nicht so gemeinten Bullshit.

Oder wie es mein Opa so gerne ausdrückte, um gequirlte Scheiße.

Noch immer stand Hannas angefangener Satz im Raum.

Er stand zwischen uns, was sich zwar negativ anhörte, in dieser Situation aber einfach der neutralen Wahrheit entsprach.

Das können wir gern machen. Aber …, In Gedanken wiederholte ich die Worte und war gespannt darauf, was nach dem Aber kommen würde.

Hanna sah mich weiterhin nur an. Doch anstatt die Gesprächsführung zu übernehmen, machte ich mir erneut einen Kopf über einen längst gefallenen Satz.

Rosa, mach jetzt. Ich habe doch eine Verabredung, und wir sind schon spät dran! Es waren Leas Worte, die sich in mein Gehirn geschlichen hatten. Worte, die die derzeitige Situation noch dringlicher machten. Worte, die brisanter nicht sein konnten. Worte, die andeuteten, dass sich heute auf der nördlichsten Insel Deutschlands ein Verbrechen abspielen könnte.

Vielleicht gab es bereits morgen die nächste fette Überschrift.

---ENDE DER LESEPROBE---