Geheimratsecken - Alex Senn - E-Book

Geheimratsecken E-Book

Alex Senn

4,8

Beschreibung

Jonas entdeckt eines Morgens einen Großteil seiner Haarpracht im Abfluss der Dusche anstatt auf seinem Kopf. Dabei könnte sein Leben so schön sein: Mitte zwanzig, eben einen Job in einer angesagten Münchner Agentur ergattert und bis zu jenem Morgen mit einem dichten Lockenkopf gesegnet. Dies soll gefälligst so bleiben. Eine aberwitzige Suche nach dem Gegenmittel beginnt. Jonas ergreift sofort rigide Maßnahmen, um dem Haarausfall Einhalt zu gebieten. Maßnahmen allerdings, die gelinde gesagt hysterisch sind und auch seine beste Freundin und Mitbewohnerin Anne an den Rand des Nervenzusammenbruchs treiben. Doch Jonas lässt nicht locker, denn die clevere und sexy Praktikantin auf der Arbeit kann nur mit intakter Lockenpracht erobert werden. Jonas stolpert dabei in immer absurdere Situationen und beweist eindrücklich, dass auch Männer schwerwiegende Probleme mit »Problemzonen« haben können.

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Alex Senn

Geheimratsecken

Roman

Salis

Inhalt

Kapitel 1 Der Anfang

Kapitel 2 Der jugendliche Wahnsinn

Kapitel 3 Die Wohnung

Kapitel 4 Die Steigerung

Kapitel 5 Die Farbe Weiß

Kapitel 6 Der Empfang

Kapitel 7 Die Kodak-Momente

Kapitel 8 Der Bär

Kapitel 9 Die Haarnäckigkeit

Kapitel 10 Die Elemente

Kapitel 11 Die Hypothese

Kapitel 12 Die Interpretation

Kapitel 13 Die Kommunikation

Kapitel 14 Die Kommunikation Teil II

Kapitel 15 Der Klangkosmos

Kapitel 16 Die Katzen

Kapitel 17 Die Ferien

Kapitel 18 Die Haarnäckigkeit Teil 2

Kapitel 19 Das Wunschdenken

Kapitel 20 Die Ruhe/Der Sturm

Kapitel 21 Die Rückkehr

Kapitel 22 Die letzten Stunden

Kapitel 23 Das Ende vom Anfang

Kapitel 24 Der Anfang vom Ende

Kapitel 25 Das Ende

Kapitel 26 Der Anfang nach dem Ende

DANKSAGUNG

ZUM AUTOR

IMPRESSUM

Kapitel 1

Der Anfang

Jede Geschichte hat einen Anfang und ein Ende. Manchmal tritt ein Ende unmittelbar nach dem Anfang ein. Auf die Eröffnung folgt der Schlussakt. Auf Sonne Regen. Auf Ebbe Flut. Auf den Beginn folgt das Finale. Auf den ersten Schritt der letzte. Auf Hallo Tschüss. Ach, was weiß ich schon.

Ich bin 1983 geboren. Im August. Am 28. Ungefähr um 11:32 Uhr. Im Kreiskrankenhaus im fränkischen Würzburg, das zwar tatsächlich eine Burg hat, doch die Würze stets vermissen ließ. Wahrscheinlich waren bei meiner Geburt eine Hebamme anwesend, womöglich ein Arzt und mit ziemlicher Sicherheit meine Mutter. Mein Vater war natürlich auch vor Ort, in Begleitung seiner für heutige Verhältnisse überdimensionalen Panasonic PK 805. Während meiner kompletten Kindheit ließ er keine Gelegenheit aus, sein Kameraobjektiv zielgenau auf meine damals noch kindlich-süße Visage zu richten. Meine Geburt war gleichgesetzt mit dem Startschuss des Dokumentationswahnsinns meines Vaters. Eine Leidenschaft, die mir beim letzten Weihnachtsfest zum Verhängnis wurde. Aber dazu später mehr.

Meine Tante Lissbet glänzte bei meiner Geburt durch Abwesenheit. Keiner war sich jemals sicher, wo sich die gute Dame gerade aufhielt. Im Kreißsaal jedenfalls nicht. Wahrscheinlich weilte sie auf einer ihrer zahlreichen Berufsreisen, auf welchen sie ihren Stammkundinnen – die sie gut und gerne kurzerhand nach Afrika einfliegen ließen, da ihnen ihre Frisur wichtiger war als die frei laufenden Elefanten auf Safariexkursionen – neue flotte Haarschnitte verpasste. Lissbet ist nämlich hauptberuflich eine Vollblut-Friseurin. Neudeutsch: Hair-Stylist oder Haar-Designerin.

Lissbet war über Jahre hinweg mein größter Fan. Seit Tag eins hatten wir den richtigen Draht zueinander. Sie war nicht gerade Mutterersatz für mich, da meine Mutter ja früher noch liebenswürdig war, jedoch hatte sie immer ein offenes Ohr für all meine Anliegen. Mit Lissbet konnte ich ungezwungen über Frauengeschichten, mangelhafte schulische Leistungen oder erste Erfahrungen mit Alkohol reden. Die mütterlichen Tabuthemen. Lissbet hatte immer einen Ratschlag parat.

Leider gab es neulich eine Episode, die eine kleine Knitterfalte in meine Beziehung zu Lissbet zauberte. Dieser kurze, aber schmerzvolle Besuch in ihrem Salon sollte einen prägenden Einfluss auf meine unmittelbare Zukunft haben. Ich erinnere mich an diese haarsträubende Situation genauso präzise wie an mein erstes Tor beim Fußball, wo ich ungeschickt geschickt wie ein verlassener Pudel im Strafraum stand und von der Seite angeschossen wurde.

Donnerstagnachmittag. Mitte August. Kurz nach den Abschlussexamen an der Uni. Einige Kommilitonen und ich waren auf die Idee gekommen, während der Prüfungsperiode die gleichen Rituale durchzuziehen wie Eishockeyspieler in der Play-off-Phase, wenn sie sich bis zum Ausscheiden oder bestenfalls bis zum Gewinn des Stanley Cups einen Bart stehen lassen. Nur mit der kleinen Addition, auch die Haare wachsen zu lassen. Ich entschloss mich, Lissbet einen Besuch abzustatten, schlussendlich mussten die Haare auf dem Kopf gestutzt und der kratzende Bart entfernt werden. Ich setzte mich in die U-Bahn und fuhr zu Lissbets Salon in Schwabing. Sie begrüßte mich wie gewohnt mit einer herzhaften Umarmung und lachte sich bei meinem zugegebenermaßen verwilderten äußerlichen Erscheinungsbild ihre vier Buchstaben ab. Ich konnte mir ein Grinsen ebenfalls nicht verkneifen.

»Na, wie war die letzte Zeit an der Uni? Erzähl mir von den Leuten, die du kennengelernt hast. Irgendwelche feschen Mädels dabei?«

Tante Lissbet hatte noch nie ein Blatt vor den Mund genommen.

»Na ja«, antwortete ich etwas verlegen, während sie mir den Kabinettumhang anlegte, »es gab da schon die eine oder andere, die ich ganz interessant fand.«

»Interessant? Du redest ja wie eine Frau, Jonas. Der Sprachgebrauch der allgemeinen Männlichkeit darf ruhig etwas, na, wie soll ich sagen, schamloser sein. Ich bin es, Lissbet. Wir können über alles reden. Schon vergessen?«

»Nee, klar, na ja, also die Maite finde ich schon ganz süß«, antwortete ich genervt.

»Süß? Du meinst sexy, attraktiv, betttauglich?«

»Womöglich, Potenzial ist vorhanden!«

»Ja und, ist was gelaufen?«

»Mit ihr? Nein, aber es gab schon den einen oder anderen Austausch von Zärtlichkeit. Aber nichts Tiefgründiges! Die Trennung von meiner Ex ist ja noch nicht so lange her«, gab ich offen zu und ging davon aus, dass dieses Thema damit beendet war. War es nicht.

»Austausch von Zärtlichkeit? Jonas! Du meinst, ihr habt wild rumgeknutscht, seid euch an die Wäsche gegangen und habt rumgefummelt?«

»Lissbet, bitte, ins Detail müssen wir jetzt nicht unbedingt gehen. Lass uns mal zum Schneiden kommen.«

Nachdem mein Bart gestutzt war, wusch mir Susi, Lissbets Auszubildende, die Haare. Verdammt, wie die mit ihren Fingern umgehen konnte. Paradiesisch. Tatsächlich bin ich sogar dabei eingeschlafen und habe kurz von einer zauberhaften Natalie Portman im Bikini unter Palmen geträumt. Nur sie und ich. Ein wahnsinniges Gefühl. Bruchteile später wurde ich unsanft und erbarmungslos aus meinem Traum gerissen, nicht ahnend, was mir bevorstehen würde.

»Jonas, schau dir mal den Abfluss im Waschbecken an!«, forderte Susi mich auf.

»Wie bitte?«

Ich drehte mich langsam um. Susi schaute etwas verdutzt. Unsicher streckte sie mir eine Handvoll Haare entgegen.

»Ich bin eigentlich immer davon ausgegangen, dass Hygiene das oberste Gebot bei euch ist …«, warf ich ein.

»Ist es auch«, entgegnete Susi irritiert. »Warum meinst du denn? Hast du jemals einen Kopfpilz, Juckreiz oder Sonstiges aus unserem Salon mitgeschleppt?«

»Nee, natürlich nicht. Mich wundert's halt, warum das ganze Waschbecken voller Haare ist. Solltet ihr das nicht nach jedem Kunden reinigen?«

Lissbet kam dazu.

»Jonas, seit wann legst du denn so großen Wert auf Hygiene in unserem Laden? Susi hat das Waschbecken, fünf Minuten bevor du hier hereingelatscht bist, sauber gemacht. Die Haare gehören deiner Wenigkeit!«

»Meine? Das ist unmöglich! Schau dir mal die Menge an, das gleicht ja einer Schafschur.«

Um ehrlich zu sein, habe ich noch nie darauf geachtet, wie viele Haare ich beim Waschen verliere. Nachdem auch Lissbet den Haarknäuel näher gemustert hatte, schwante mir nichts Gutes. Ihrer Mimik zufolge dürften die Haare in der Tat von mir stammen – und es waren nicht wenige. Offenbar fühlte sich Lissbet in ihrer Haarschneiderehre gekränkt und begann, richtig Fahrt aufzunehmen. Ich traute meinen Ohren kaum.

»Das sind definitiv deine, das sehe ich sofort. Die Länge, die Farbe. Versuch mir hier nichts vorzumachen, Jonas. Und schieb erst recht nicht die Schuld auf die Hygiene in meinem Salon. Da reagiere ich sensibel drauf.«

»Nee, nee, war ja nur 'ne Frage«, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen, was mir auch gelang. Lissbet spulte ihr normales Programm ab. Ich schnappte mir so eine hochintellektuelle Klatschzeitschrift und las einen Artikel über Blablabla trifft Kuck-nicht-blöd auf einer Berliner Filmpremiere. Auf einmal hielt Lissbet inne und schaute verwundert auf meinen Kopf, was ich in der Reflexion des Spiegels erkennen konnte.

»Du, Jonas, also wenn ich mich recht erinnere, dann hattest du auch schon mal dichteres Haar!«

»Dichteres Haar?«

»Haare, die dichter, flächendeckend aneinandergereiht sind.«

»Solange mein Lebenslauf lückenlos ist, spielt das ja keine Rolle«, scherzte ich entspannt, noch immer nicht ganz im Klaren über die Ernsthaftigkeit von Lissbets Entdeckungen.

»Damit sollte man nicht spaßen. Ich glaube, bei dir haben sich Geheimratsecken gebildet.«

»Geheimratswas?«

»Geheimratsecken. Das sind in den meisten Fällen die ersten Anzeichen einer Glatzenbildung. Ist doch einiges weniger geworden an den Schläfen.«

»Geheimratsschläfen?«

»Geheimratsecken, Jonas. Schade eigentlich. Du hattest solch dichtes Haar. Ich hoffe, das verändert nicht deine Gesichtsform. Ob das die Mädels mögen, in deinem Alter? Kommt oft vor bei Männern. Aber eher bei älteren Geistesblitzen. Ach, wie ärgerlich! Sieht wohl so aus, als bekämst du eine Glatze.«

George Clooney bricht sich bei Dreharbeiten seine Nase. Til Schweiger kaut an Lilo Wanders Fingernägeln. Mir wurde es blitzartig schlecht. Bis jetzt schenkte ich meiner Haarpracht ungefähr so viel Aufmerksamkeit wie Magermodels triefenden Dönerbuden. Das sollte sich jedoch schnell ändern.

Ich soll eine Glatze bekommen? Danke für diese Direktheit, Lissbet, dachte ich beim Verlassen des Salons. Es gibt bestimmt sensiblere und feinfühligere Arten und Weisen, einem jungen Menschen so etwas mitzuteilen. Nicht gleich nach den ersten Anhaltspunkten mit voreiligen Trugschlüssen mit der Türe ins Haus fallen. »Ach, wie schade, so ärgerlich, was die Mädels wohl denken«, äffte ich Lissbet laut nach. Bitte, liebe Lissbet, das nächste Mal eine kleinere Portion Mitten-ins-Gesicht. Anstatt einen verkohlten Braten sofort zum Hauptgang aufzutischen, sollte man den Appetit mit einer leicht verträglichen Vorspeise aus Handschmeichlern und Seelennahrung anregen. Ich renne ja auch nicht zu einer guten Freundin und sage: »Derb, wie groß dein Pickel auf der Nase ist.« Wahrscheinlich hatte ich einfach einen Bad-Hair-Day. Eine einmalige Angelegenheit. Beim nächsten Mal würde alles wieder beim Alten sein. Ablenken. Schwamm drüber, anstatt sich vollzusaugen. Ich entschied mich, den unerwartet aufregenden Tag mit einer kleinen Joggingsession zu Ende zu bringen und vor dem Fernseher einzupennen.

Kapitel 2

Der jugendliche Wahnsinn

Am darauffolgenden Morgen erhaschte ich völlig verkatert die ersten Sonnenstrahlen, die durch meine Jalousien schimmerten. Ich war in der Tat im Olympiapark joggen gewesen. Hatte sich gut angefühlt. Mit dem Einschlafen vor dem Fernseher wollte es dann weniger gut klappen. Mein Kumpel Steffen rief an. Steffen, den ich seit unseren glorreichen Kindergartentagen kenne, gehört zu meinen besten Freunden. Ich ließ mich dazu überreden, meine soeben verbesserte körperliche Verfassung zur Belohnung mit ein paar Bierchen in den Originalzustand zurückzuversetzen. Auf leeren Magen schmeckt das Bier am besten. Effizienz anstatt halber Blechschaden. Seit Steffen und ich vor vielen Jahren nach München gezogen waren, suchen wir in der Regel das Barfly auf. Meistens gesellt sich noch Tom dazu. So auch an diesem Abend. Wie immer platzte das Barfly aus allen Nähten, doch es gelang uns sofort, einen der begehrten Plätze direkt an der Bar zu ergattern. Tom, der angebliche Frauenheld unter uns, prahlte mal wieder stolz mit seinen Eroberungen der letzten Woche. Neben einer Yoga-Lehrerin namens Jennifer, einer Inge aus Österreich und einer Dagmar aus Darmstadt nahm auch Tine, die Arbeitskollegin, ihren ehrenvollen Platz auf der Wochenliste ein. Wer's glaubt, wird selig.

»Lass gut sein gut sein«, sagte Steffen leicht genervt, was Tom, zumindest für gefühlte fünf Sekunden, zum Schweigen brachte.

Zwei Stunden, drei große Bier, vier Jägermeister und unzählige katastrophal fehlgeschlagene Versuche von Tom, die Barkeeperin klarzumachen, später, übernahm der steigende Alkoholpegel den Rest. Das erste Anzeichen einer Hirnverblödung, gleichzusetzen mit dem kurz bevorstehenden Vollrausch, bestand aus Toms brillanter Idee, seine Witzeerzählerfähigkeiten zum Besten zu geben.

»Hey, kennt ihr den …«, warf er mit erwartungsvollen, weit aufgerissenen Augen in die Runde.

»And here we go …«, seufzte ich.

Tom kam ordentlich in Schwung. »Rollt ein Ball um die Ecke, fällt er um!«

Er flog vor lauter Lachen vom Barhocker und schaffte es erst nach zwei Minuten auf denselbigen wieder zurück. Steffen und ich schauten uns ungläubig an.

»Er ist ja auch nur ein Mensch«, flüsterte ich Steffen zu.

»Jungs, ich hab noch einen!«

»Ernsthaft? Das hätte ich jetzt nicht gedacht!«

»Doch, und der ist sogar noch besser. Passt auf: Treffen sich zwei Fische auf der Straße. Sagt der erste zum zweiten: Bluuub. Sagt der zweite zum ersten: Bluuub. Kommt der dritte Fisch vorbei und sagt: Bluuub, bluuub. Dreht sich der erste zum zweiten und sagt: >Lass uns abhauen, der redet mir zu viel!<«

Es wäre überflüssig zu erwähnen, dass Tom bereits auf dem Boden lag, abging wie ein Zäpfchen und sein Bierglas mit in den Wahnsinn nach unten gerissen hatte. Vielleicht lag es an der Hochstimmung, die dem Alkohol zu verdanken war, aber auch Steffen und ich mussten schmunzeln.

»Gar nicht so schlecht, mein Freund«, sagte Steffen zu Tom, der immer noch am Fußboden klebte, scheinbar hilflos der Gefahr ausgeliefert, durch mangelnde Luftzufuhr zu ersticken. Die Barkeeperin rollte nur abschätzig mit den Augen, die restlichen Anwesenden ließen sich kaum aus der Ruhe bringen.

»Okay, okay, ich habe noch einen!«

Tom schaffte es mit letzter Kraft, sich zurück auf seinen Hocker zu hieven, und begann mit einem hochroten Kopf, der kurz davor war zu explodieren, an seinem dritten Meisterwerk zu werkeln.

»Der ist der absolute Burner, der Brüller. Als ich den zum ersten Mal gehört habe, überlegte meine damalige Freundin, den Notarzt zu rufen, weil ich drei Minuten am Stück nicht mehr schnaufen konnte.«

»Kann ich mir durchaus vorstellen«, sagte Steffen und zwinkerte ironisch mit dem linken Auge.

»Dann schieß mal los, bevor du die Erwartung noch über den Himmel hinausschraubst.«

»Okay, checkt den: Was heißt Glatze auf Arabisch?«

Kurzes Warten.

»War-mal-Haar-da!«

Nullpunkt. Kühle. Leere. Brechreiz. Tom und Steffen lagen sich in den Armen, gaben sich gegenseitig Halt, um den schmerzhaften Aufprall auf dem Boden zu vermeiden. Beide rangen um Luft, liefen rot an, und ein Lachkrampf folgte auf den nächsten. Die Barkeeperin, die den Witz ebenfalls mitbekommen hatte, ließ vor lauter Lachen die Gläser fallen. Sie schrie wie am Spieß. Ich hatte den Eindruck, das ganze, völlig überfüllte Lokal breche in tosendes Gelächter aus. Zwei türkischstämmige Männer in Fußballtrikots konnten vor Lachen nicht mehr ruhig stehen und klopften sich abwechselnd auf die Schultern. Für einen Moment war ich sogar der Meinung, das hysterische Gejauchze der drei Raucher, die vor dem Eingang standen, zu hören und ein Bellen als Hundelachen zu deuten. Ringsum nur kreischendes Gelächter und frenetischer Applaus. Ich mittendrin. Stumm. Kreidebleich. Regungslos. Wie angenehm der Abend doch bis zu diesem Zeitpunkt verlaufen war. Nicht einen Gedanken hatte ich an den haarsträubenden Friseurbesuch verschwendet. Und jetzt? Alles kaputt. Nur weil dieser Aufreißer und Witzbold nie seine eh schon viel zu große Klappe halten konnte.

»Wisst ihr was!? Ihr könnt mich alle mal kreuzweise! Nur weil ihr einen vollen Wuschelkopf habt, bedeutet das noch lange nicht, dass ihr euch über andere, weniger privilegierte Mitmenschen lustig machen könnt!«

Bevor irgendjemand ein Wort aus dem Halse brachte, knallte ich zwanzig Euro auf den Tresen und stürmte, ohne eine Erklärung abzugeben, kopfüber aus der Bar.

Nach einem langen Fußmarsch erreichte ich mein Studentenkabuff, ließ bei der Abendtoilette gemütlich meinen Bob ins Ziel einfahren und muss anschließend sofort eingenickt sein. Ein leerer Magen, ein paar Liter Bier und dieses unsensible Volk im Barfly. Die Folge? Eben. Es gibt bestimmt gemütlichere Schlafplätze als eine Toilettenschüssel. Das kann mein malträtierter Nacken nur bestätigen. Als ich mich total verschlafen irgendwann mitten in der Nacht in mein Zimmer schleppte, befahl ich mir, nie wieder das Bad als Bettstätte zu verwenden. Natürlich konnte ich nicht ahnen, dass ich noch des Öfteren ein paar herbe Stunden auf den Fliesenböden einiger Nasszellen verbringen würde.

Unglücklicherweise hatte ich nicht die Möglichkeit, den ganzen Tag wie ein zu lange hängen gebliebener Leberkäse in meinem Bett vor mich hin zu vegetieren. Es stand ein wichtiger Termin an, auf den ich mich seit Langem freute. Eine Busfahrt mit einem Kater von den Ausmaßen des Himalayas und einem Kopf, der pocht, als würde Dave Grohl zu besten Drummer-Zeiten draufloshämmern, war eher unvorteilhaft. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen.

Kurz darauf traf ich Anne. Die gegenseitige Freude, uns nach fast einem halben Jahr wiederzusehen, war riesig. Wir fielen uns herzlich in die Arme.

»Gut siehst du aus, Anne!«

»Danke, du auch. Mein Gott, Jonas, wie lange ist das auch schon wieder her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben? 1978?«

»Ha, ja, das könnte hinkommen«, fügte ich mit einem breiten Grinsen hinzu. »Nee, Spaß beiseite, denke, es war bei Davids Silvesterparty!«

»Ja richtig, stimmt, das war vielleicht 'ne Sause. Auf jeden Fall haben wir uns viel zu lange nicht mehr gesehen. Das darf nie wieder passieren! Einverstanden?«

»Und wie.«

»Hey, Jonas, wir ziehen endlich wieder zusammen, so 'ne richtige WG. Das wird der ultimative Hammer!«

Ich war schon immer begeistert von ihrer energischen und positiven Art. Bereits vor zwei Jahren hatten Anne und ich zusammen in einer Vierer-WG gelebt. Wir verstanden uns von Anfang an blendend. Ich konnte mir daher keine bessere Mitbewohnerin vorstellen. Aufgrund der gestrigen Nacht fiel es mir schwer, meine eigene Euphorie zum Ausdruck zu bringen, versuchte jedoch, mir nichts anmerken zu lassen.

»Gestern 'ne lange Nacht gehabt, Jonas?«

So viel zum Thema nichts anmerken lassen.

»Ist schon okay«, antwortete sie mit einem etwas genervten Blick, aber ich meinte auch Verständnis in ihren Augen zu entdecken, was mich etwas entspannen ließ.

»Wollen wir?«

»Ja, klar. Kann es kaum erwarten.«

Anne und ich hatten bereits Festanstellungen eingetütet. Sie würde Anfang September als Assistentin im Personalwesen beginnen, bei einer kleinen Firma, die im Logistikbereich tätig ist. Ich hatte mich als Junior-PR-Berater bei einer Kommunikationsagentur beworben und nach zwei Interviews tatsächlich den Job an der Angel. Ich würde erst Mitte September anfangen, daher blieb uns beiden noch ein bisschen Zeit, unsere letzte Freiheit vor dem Eintritt in die berüchtigte Welt der Arbeit zu genießen. Unsere Arbeitsplätze befanden sich beide in Haidhausen, daher lag es nahe, eine gemeinsame Wohnung in der Umgebung zu suchen. Und wir – oder besser gesagt Anne – hatten sie auch gefunden. Haidhausen gefiel mir von Anfang an. Lebendig, bunt und kreativ. Überall junge Gesichter auf den Straßen. So stellte ich mir das vor.

»Super Viertel, Anne!«

»Warte erst mal, bis du die Wohnung gesehen hast!«, gab sie voller Vorfreude von sich. »Du wirst sie lieben!«

»Daran habe ich bis jetzt noch keine Sekunde gezweifelt!«

»Gut so. Bleibt dir ja auch nichts anderes übrig, als sie zu mögen«, machte sie mir mit dem für sie typischen sarkastischen Schmunzeln klar.

Es gab in der Tat nichts zu bemängeln. Ich hatte ein schönes großes Zimmer, mit einem vielleicht etwas zu kleinen Fenster, aber das kann man überleben. Ein sauberes, weißes, einigermaßen modernes Bad, eine kleine, aber durchaus gut ausgestattete Küche, eine Ess- und Wohnecke und, soweit ich beurteilen konnte, ein gut erhaltenes Jugendstilparkett.

»Genial, Anne. Großes Lob. Lass dich drücken!«

»Danke, Jonas. Erwartungen übertroffen?«

»Volltreffer. Wir werden eine tolle Zeit miteinander erleben, genau wie früher. Erinnerst du dich noch an deine herrlichen >Annekdoten<? Ich hoffe, du hast noch ein paar drauf. Ooh, und deine Cocktails, die waren der Hammer. Wie nanntest du die noch?«

»Uhhh, also meine >Annekdoten< kennst du, glaube ich, schon alle. Aber die >Alten-Stiefel-Cocktails< habe ich noch drauf!«

Wir mussten beide laut lachen.

»Wir machen ein Paradies aus diesem Örtchen, eine gemütliche, stylische Wohlfühloase. Wir laden Leute ein, schauen uns unsere Lieblingssendungen an, veranstalten Dinnerpartys. Jeder ist jederzeit willkommen!«

»Richtig, jederzeit, es wird wirklich paradiesisch«, sagte ich in bester Laune.

Bald war die Wohnung komplett eingerichtet. Meine Möbel hatte ich mit einem ausgeliehenen Van aus meiner alten Studentenbude geholt. Das Einzige, was bereits in meinem Zimmer vorhanden war, waren ein Spiegel und ein alter Kleiderschrank, den der Vormieter uns freundlicherweise überlassen hatte. Einen Spiegel hatte ich zwar früher nie besessen, aber der kann ja ganz nützlich sein. Mein restlicher Hausstand war schnell eingeräumt. Annes Besitztümer lieferte ihr Vater zusammen mit ihrem Freund Timo ab, und dank ihrer weiblichen Eingebung und ihrem ausgeprägten femininen Gefühl für Accessoires, Dekoration und Farben schuf sie in kürzester Zeit eine heimelige Atmosphäre. Ein neues Sofa hatten wir uns von Ikea zugelegt. So kreierten wir – vor allem Anne – unser eigenes kleines Paradies.

Der Anfang war gelungen.

Kapitel 3

Die Wohnung

Annes zweiter Arbeitstag in der neuen Firma stand bevor. Der erste war hervorragend verlaufen, wie sie mir am Abend zuvor erleichtert versichert hatte. Ich freute mich für sie. Was mich leider Gottes überhaupt nicht freudig stimmte, war ihre Aussage, die am frühen Morgen folgen sollte.

Anne war gerade tief versunken in die Zubereitung ihres Frühstücks, als ich nach meinem allmorgendlichen Duschzeremoniell mit nassem Haar und im Bademantel in die Küche kam, um mir einen Kaffee zu machen.

»Guten Morgen, Anne!«

»Guten Morgen, Jonas«, grüßte sie mich, ohne auch nur einmal aufzublicken.

»Na, gut geschlafen nach dem ersten Arbeitstag?«

»Ja, wie ein Bär«, gähnte sie, noch immer den Blick gerichtet auf ihre ballaststoffreichen Haferflocken.

Plötzlich schaute sie mich mit einem prüfenden Blick an. Ich war verwirrt und etwas verunsichert, da ich diesen Gesichtsausdruck nicht an ihr kannte.

»Stimmt was nicht?«, fragte ich vorsichtig.

»Na ja, also, ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll«, stotterte sie mit sanfter Stimme.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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