Geküsst von einem Alien - Diare Cornley - E-Book

Geküsst von einem Alien E-Book

Diare Cornley

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Beschreibung

Karetos wird aufgrund einer Intrige von seinem Planeten verbannt und landet durch Zufall auf der Erde. Seine einzige Chance zu überleben, ist, den Körper der Menschen anzunehmen und sich ihren Gewohnheiten anzupassen – und er hat Glück: In Christian findet er jemanden, der ihn unterstützt und ihm hilft. Doch als Christian seinem besten Freund von Karetos’ Geheimnis erzählt, gerät die Situation aus dem Ruder und eine staatliche Organisation zur Untersuchung von intelligentem, nicht menschlichem Leben aus dem Weltall steht unerwartet vor ihrer Tür …

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Inhaltsverzeichnis

Geküsst von einem Alien

Geküsst von einem Alien

Impressum

Über die Autorin

Geküsst von einem Alien

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Programm

Liebe zwischen geschriebenen Zeilen

Wiener Klänge

(Un)Fair Play

Sekundensache

Pizza zum Frühstück

Hände

People Always Leave

Schatten auf dem Regenbogen

Meine Familie, ich und andere Katastrophen 1 und 2

Diare Cornley

Gay Romance

© Diare Cornley, Geküsst von einem Alien

© HOMO Littera Romy Leyendecker e. U.,

Am Rinnergrund 14, A – 8101 Gratkorn

www.HOMOLittera.com

E-Mail: [email protected]

Grafik und Gestaltung: Rofl Schek

Bildnachweis: © SFIO CRACHO by AdobeStock.com

© Denis Rozhnovsky by AdobeStock.com

© theartofphoto by AdobeStock.com

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet.

Die geschilderten Handlungen dieses E-Books sind fiktiv! Im realen Leben gilt verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer Sex!

Originalausgabe: Juli 2021

ISBN Print: 978-3-903238-82-4

ISBN PDF: 978-3-903238-83-1

ISBN EPUB: 978-3-903238-84-8

ISBN PRC/Mobi: 978-3-903238-85-5

Über die Autorin

Diare Cornley wurde im April 1990 nahe Dresden geboren. Bereits in ihrer frühen Jugend schrieb sie gern Geschichten und kam mit 18 Jahren durch einen Zufall dazu, ihr Hobby zum Beruf zu machen.

Veröffentlichungen bei HOMO Littera:

Liebe zwischen geschriebenen Zeilen, Diare Cornley und Vanessa M., Gay Romance (2019)

1

Schwach atmete Karetos die immer knapper werdende Luft ein. Seine Augen waren nur einen Spaltbreit geöffnet, während er kraftlos in seinem Sitz lehnte. Müde sah er ins All hinaus. Er wusste, dass es bald ein Ende haben und er dem Tod begegnen würde. Wäre er schuldig, könnte er danach Buße tun, aber eigentlich war er unbeteiligt. Fast ...

Er war ein junger Perosphoraltumaner, der schon immer Flausen im Kopf gehabt und dafür die Strafe bekommen hatte. Dass er nun im All herumdümpelte und auf seinen letzten Atemzug wartete, war aber seinen Freunden zu verdanken.

Was er getan hatte, waren harmlose Dinge. Die, die er früher seine Freunde nannte, hatten es dagegen übertrieben – und weil er dabei und der Langsamste war, und diese kleinen Tentakelschürzen feige, wurde er verurteilt ...

„Wartet auf mich, ich bin nicht so schnell!“, rief er Paretol und Beronsu hinterher, welche einige Meter vor ihm davonhasteten. Die langen Tentakel bewegten sich blitzschnell, als sie ihre Besitzer davontrugen. Karetos dagegen hatte das Gefühl, dass seine Tentakel von Meter zu Meter schwerer wurden.

Er hatte gewusst, er hätte nicht mitkommen sollen. Spätestens als Beronsu sagte, dass er sich bei der alten Medunarotus rächen wolle, da diese ihn letztens beim Klauen erwischt hatte, hätte er wissen müssen, dass es zu weit gehen würde. Beronsu kannte kein Erbarmen. Wenn er auf jemanden wütend war, konnte das schlimm ausgehen. Bisher hatte es sich in Grenzen gehalten, aber jetzt hatte die alte Medunarotus zwei ihrer Tentakel verloren. Womöglich würde sie sogar sterben ...

Lautes Trommeln ertönte. Sofort nahm Karetos noch mal alle Kraft und beschleunigte – doch kaum einen Atemzug später wurde das Trommeln lauter und er langsamer. Er hatte keine Energie mehr zu flüchten und gab innerlich auf. Paretol und Beronsu waren längst aus seinem Sichtfeld verschwunden ...

Karetos würde diesen Tag nie vergessen. Seitdem er gefasst worden war, hatte er die beiden nicht wiedergesehen. Die alte Medunarotus war an den Verletzungen gestorben, und Beronsu und Paretol hatten sich gegenseitig gedeckt. Es gab keine eindeutigen Spuren, und Karetos war der einzige gefasste Täter, somit kam die volle Schuld auf ihn. Da er bereits vorbestraft war und seine augenscheinliche Tat größte Schande über ihn brachte, hatte er die höchste Strafe bekommen, die alle Perosphoraltumaner erhielten, bei denen keine Besserung und Reue zu erhoffen war. Sie wurden in eine Kapsel gesperrt, mit dieser auf ein Tausendstel minimiert und ins All geschossen. Die nährstoffreiche Luft reichte für einige Wochen. Danach verhungerte und erstickte der Perosphoraltumaner in der Kapsel – oder er würde auf irgendeinem, vermutlich verlassenen Planeten stranden. In diesem Fall starb der Perosphoraltumaner bei dem Aufprall – oder er überlebte und konnte versuchen sich auf dem fremden Stern ein neues Leben aufzubauen.

Die Verbannung zu überleben, war fast unmöglich. Anfangs hatte Karetos dank seiner Naivität geglaubt, es zu schaffen, aber mittlerweile war die Hoffnung der Verzweiflung und Todesangst gewichen. Er spürte, wie von Tag zu Tag der Hunger größer wurde und die Kraft aus seinem Körper wich. Mit jeder verstreichenden Sekunde schlugen seine zwei Herzen schwächer. Die Angst schnürte ihm mittlerweile die Kehle zu.

Müde schloss er die Augen. Er wollte nicht sterben, er hätte noch ein langes Leben vor sich gehabt. Aber das war ihm nicht vergönnt, und deswegen musste er nun warten, bis er sein Bewusstsein verlor. Einige Stunden, vielleicht auch wenige Tage später würde sein Körper aufgeben.

Langsam driftete er in einen ohnmachtsähnlichen Zustand ab und nahm immer weniger die Panik und sein Umfeld wahr ...

***

Nach einem heftigen Aufprall, den Karetos in seiner Situation kaum gespürt hatte, öffnete er die Augen. Zunächst sah er nur verschwommen, aber die Luft schien wieder mehr Nährstoffe für ihn übrig zu haben, sodass es ihm etwas besser ging. Er begriff nicht, was passiert war. Erst als sein Blick sich klärte, bemerkte er mit jeder Sekunde mehr, wie seine Herzen schneller schlugen. Hoffnung machte sich in ihm breit. Ihm war klar: Wenn er nicht in seinem nächsten Leben angekommen war, dann befand er sich gerade auf einem Planeten. Zwar konnte er nicht erkennen, was sich um ihn herum befand, aber es war definitiv nicht das Weltall.

Als er sich fit genug fühlte und die neue Situation hatte sacken lassen, sah er sich genauer um. Die Kapsel war bei dem Aufprall beschädigt worden, alle Lichter waren ausgegangen. Kurz blinzelte er, sodass sich eine Linse, mit der er auch bei Dunkelheit sehen konnte, über seine Pupillen schob. Die Tür seiner Raumkapsel war herausgerissen. Nur das Energiefeld, das die manipulierte Größe alles Inneren sowie die nährstoffreiche Luft in der Kapsel gehalten hatte, war durch ein blasses Schimmern auszumachen. Karetos glaubte zu wissen, dass er einfach hindurchgehen konnte und sich sein Körper dann zu seiner normalen Größe ausdehnen würde. Er war sich aber nicht sicher, wie groß er in dieser Welt war. Durch die kaputte Frontscheibe konnte er nicht viel erkennen, und durch das Loch der Tür erblickte er nur etwas monströses Weißes. Ob er nun in der Raumkapsel verrottete oder von einem riesigen Lebewesen zertreten wurde, war aber egal.

Etwas unsicher, aber dennoch voller Zuversicht und Neugier kletterte er durch die zerstörte Kapsel. Vor dem Energiefeld stoppte er kurz, überwand sich jedoch und kletterte hinaus. Japsend fiel er nach unten, doch bevor er aufschlug, dehnte sich sein Körper bereits aus. Nach einigen Sekunden war er in seiner normalen Größe. Er öffnete die Augen, die er geschlossen gehalten hatte, und sah sich um. Die Wände um und über ihm waren weiß, bis auf ein paar bunte Bilder, die daran hingen. Der Boden war weich – das konnte er deutlich durch seine empfindlichen Tentakel spüren, die sich regelrecht an dieses beige Etwas kuscheln wollten. Er wusste nicht, wie groß die Bewohner dieses Planeten waren, aber er glaubte ähnlicher Statur zu sein. Oder war er riesig, und dieser Planet war einfach nur merkwürdig?

Karetos gab ein verwirrtes Grunzen von sich, als er sich umschaute und irgendwelche Dinge betrachtete, die teilweise Gegenständen von seinem Planeten ähnelten – aber irgendwie auch nicht. Auf jeden Fall war die Luft nährstoffreich genug für ihn, um zumindest ein paar Stunden bei Bewusstsein zu bleiben. Wenn er tatsächlich überleben wollte, musste er das Äußere der Planetenbewohner jedoch übernehmen, ebenso wie deren Körper- und Hirnfunktionen.

Wehmütig ließ er seine Tentakel hängen. Seine Eltern, seine Freunde, seine ganze Familie – er würde niemanden davon je wiedersehen. Er wollte seinem Schicksal gegenüber aber nicht undankbar sein. Das hier war eine zweite Chance, und er hatte vor sie zu nutzen. Er musste nur so schnell wie möglich herausfinden, wie die Bewohner dieses Planeten aussahen, damit er sich anpassen konnte. Erst wenn er das getan hatte, konnte er die Sache gemütlicher angehen und sich den Planeten vertrauter machen.

Die Tentakel hebend und etwas motivierter, bewegte er sich schleichend fort und musterte alles in Ruhe, während seine Ohren gespitzt waren, um jede sich nähernde Gefahr rechtzeitig zu bemerken. Langsam trat er auf eine Kiste zu, auf der etwas flaches Buntes lag, mit vielen dünnen Blättern. Er besichtigte es, nahm Seite für Seite unter die Lupe und stellte schnell fest, dass es sich immer wieder gleichartig wiederholte. Zweibeiner. Er war sich nicht sicher, ob das die Bewohner dieses Planeten waren, aber es war wahrscheinlich.

Er ließ das flache Etwas liegen und zog einen Schieber hervor, der in der Kiste steckte. So etwas Ähnliches gab es in seiner Heimat auch.

Eine Weile suchte er noch, fand aber nichts Interessantes, und so lief er weiter durch den Raum. Ein großer Kasten war das Nächste, was er öffnete. Darin hingen und lagen Dinge aus verschiedenen Gewebearten. Neugierig fasste er nach einem davon und zog es hervor. Es fiel auseinander und wurde dadurch größer, weswegen er erschrocken zusammenzuckte und es fallen ließ. Erst nach einigen Momenten, in denen sich das Etwas nicht bewegt hatte, hob er es mit einem Tentakel wieder auf und sah es sich genauer an. Es war weich und dünn und ...

Hektisch schreckte Karetos auf, als er unerwartet ein Geräusch wahrnahm. Panisch und mit rasenden Herzen schmiss er das weiche Etwas von sich und suchte nach einem Ausweg. Er fand keinen, deshalb quetschte er sich in den Kasten, als sich Schritte näherten. Mit einem Tentakel saugte er sich an der Tür fest und zog sie zu sich heran. Kurz darauf wurde ein weiteres Geräusch laut. Karetos erspähte durch ein Loch im Schrank eine Gestalt. Tatsächlich war es ein Zweibeiner wie auf diesen bunten Blättern. Er war groß und hatte helles, fast braunes Kopffell, welches an den Seiten kürzer war als in der Mitte.

Neugierig beobachtete er den Planetenbewohner, wie er durch den Raum ging. Er schien auf das große, gepolsterte Ding zuzulaufen, blieb aber plötzlich stehen.

Karetos Herzen zogen sich panisch zusammen, als das Lebewesen sich bückte und die Raumkapsel aufhob. Sie war winzig, nicht mal halb so groß wie die seltsamen Glieder, mit denen er sie anfasste. Karetos glaubte, dass das Lebewesen sie verwirrt anschaute – dann blickte es auf das Fenster, das Karetos bisher noch nicht genauer betrachtet hatte. Ein Loch war darin zu erkennen, durch das die Raumkapsel gestürzt war.

„Verdammte Kinder!“, sagte der Planetenbewohner wütend, die Bedeutung verstand Karetos aber nicht. Das Lebewesen ging zu dem Fenster und inspizierte es genauer, bevor er es öffnete und die Raumkapsel hinausschmiss. Dann schloss es das Fenster wieder und stellte etwas Großes, Eckiges vor das kaputte Glas.

Erleichtert atmete Karetos leise aus. Offenbar wirkte die Raumkapsel nicht ungewöhnlich. Stumm beobachtete er das Lebewesen weiter, welches sich wieder bewegte und sich auf das weiche, große Ding im Raum setzte. Der Planetenbewohner schälte buntes Gewebe von seinem Oberkörper und schmiss es auf den Boden. Es wirkte wie jenes, das er vorhin in den Tentakeln gehalten hatte und nun neben ihm hing.

Das Wesen wiederholte seine Handlung und zog die Art künstliche Haut auch von dem unteren Teil seines Körpers, ebenso von den Spitzen der Fortbewegungsglieder. Allgemein sah es nun ganz anders aus als er selbst. Karetos ängstigte sich, zugleich wuchs aber Neugierde in ihm. Er wollte wissen, wie es war, in so einem Leib zu sein – und er wollte wissen, wie intelligent diese Rasse war, wie sie dachte, lernte und lebte.

Der Planetenbewohner legte sich auf das große Ding und zog etwas Weiches über sich. Karetos beäugte interessiert die langsamen Bewegungen, bis der Einheimische die Augen schloss und regungslos liegen blieb.

Vor Aufregung zitterte Karetos, während er wartete. Er wollte sicher sein, dass das Lebewesen in seiner Trance – oder in was auch immer es gerade abgetaucht war – hing.

Irgendwann hatte er jedoch keine Geduld mehr und hoffte, es würde ihn nicht seine Chance auf einen Neubeginn kosten. Andererseits kannte er die Spezies nicht, er konnte sich somit nie gewiss sein, ob er in Sicherheit war. Langsam öffnete er die Tür und schlich auf Tentakelspitzen auf die Gestalt zu. Als er direkt vor ihr stand, rührte er sich für einige Momente nicht, sondern betrachtete sie stumm. Keine Reaktion, kein Geräusch und keine Bewegung. Der Planetenbewohner schien sich wirklich in einer Art Trance zu befinden.

Wachsam beugte sich Karetos etwas vor und zog vorsichtig das große Stück Gewebe von dem Körper. Leise atmete er tief ein, als er sich das Antlitz besah. Die Haut des Einheimischen war beige und ohne besondere Musterung. Er stupste ganz sanft mit einem Tentakel an das Gesicht. Langsam fuhr er nach unten, spürte die warme Haut unter seinen Saugnäpfen und mochte das Gefühl. Sie war weich und mit kaum sichtbarem Flaum bedeckt. Er selbst dagegen hatte eine ledrige Haut in Schuppenstruktur.

Karetos hielt inne. Zwei etwas dunkler gefärbte Punkte befanden sich auf dem Oberkörper des Bewohners, zwischen denen sich lichtes Fell befand. Er strich über sie und stellte erstaunt fest, dass sich ihre Größe und Beschaffenheit etwas veränderte. Bevor er aber irgendetwas auslöste, wanderte er besser rasch weiter. Er hob das Gewebe höher an. Schnell fand er einen neuen Fokus seiner Aufmerksamkeit. Die Spezies besaß doch einen Tentakel, keinen so schönen, wie seine eigene Rasse sie hatte und vor allem kein so großer, aber es schien einer zu sein. Er befand sich in der Körpermitte. So klein und schrumpelig, wie er war, konnte es aber auch sein, dass die Spezies keine Verwendung mehr für Tentakel hatte und diese sich deshalb, bis auf diesen kleinen, zurückgebildet hatten. Vorsichtig stieß Karetos den kleinen Fangarm an. Als der Körperteil nur schlaff und wabbelig zur Seite rutschte, schubste er ihn erneut an. Angewidert zog er seinen Tentakel zurück. Das war kein Tentakel. Das Ding war weich, klein, unförmig und faltig. Er wollte es nicht mehr anfassen, bis er herausgefunden hatte, was es war.

Er sollte ohnehin nicht zu viel Zeit verstreichen lassen, stattdessen sollte er zu einem wichtigen Teil seines neuen Lebens kommen. Kurz sah er auf die bunten Bilder an den Wänden. Würde er sich ohne Wissen über die Bewohner dieses Planeten verwandeln, wäre er nicht überlebensfähig, da sein Körper die Funktionen nicht kannte. Also musste er zuerst das Gehirn des Planetenbewohners anzapfen, bevor es Sinn machte, sich den Einheimischen körperlich anzupassen.

Vorsichtig schlich er zu dem Kopf des bewusstlosen Lebewesens und legte zwei seiner Tentakel links und rechts an das Kopffell. Er tastete achtsam, bis er warme Haut unter seinen Saugnäpfen spürte. Tief atmete er ein. Er hatte das schon mit verschiedenen Lebewesen auf seinem Planeten gemacht, aber es war immer wieder aufregend. Dieses Mal kam Angst hinzu. Die Spezies schien komplexer zu leben als die Tiere in seiner Heimat. Der Wissensschwall würde groß sein, und er hoffte, er konnte dem standhalten.

Ehe er noch länger zögerte, fuhr er aus den beiden Saugnäpfen zwei kleine Nadeln aus, die sich blitzschnell durch die Schädeldecke spießten. Kurz zuckte sein Opfer zusammen. Es tat ihm sicher etwas weh, aber es würde den Schmerz nicht lange spüren, da während des Prozesses ein Betäubungsstoff abgesondert wurde. Es war ein natürlicher Schutzmechanismus, damit die Opfer den Vorgang nicht bemerkten oder sich sogar wehrten.

Instinktiv fand Karetos die Gehirnpartien, die er benötigte, und fing an zu saugen. Sein Körper spannte sich an, sein Kopf begann zu schmerzen, als Bilder, Worte, Instinkte und Wissen in sein Gehirn strömten. Es dauerte einige Momente, ehe der Informationsfluss endete. Ohne einen Gedanken zu verlieren, löste er sich von dem Lebewesen und starrte es an. Er wollte nicht zulassen, dass die Wissenswelle jetzt in sein Bewusstsein floss. Das Beste wäre, wenn er zuerst die Gestalt der Bewohner annähme. Schließlich waren sie dafür gemacht – in seinem Körper könnte der Informationsstrom unerwartete Dinge anrichten.

Seine Gestalt würde er später ändern, er brauchte nur vorerst eine Hülle, die allem standhalten konnte. Also musterte er den Körper vor sich, bevor er ihn kopierte. Er schloss die Augen, während sich seine Glieder streckten, in seinen Leib einschmolzen und seine inneren Organe sowie Sinne sich veränderten. Als er komplett verwandelt war, schnappte er hastig nach Luft und riss ruckartig die Augen auf. Der Verwandlungsprozess war immer unangenehm, weswegen er es nie gern getan hatte. Aber das hier war nötig – und er wusste, dass er sich an seine neue Gestalt gewöhnen würde.

Blinzelnd sah er sich um. Er konnte durch die Dunkelheit kaum etwas erkennen. Langsam ließ er das Wissen, Instinkte und alle anderen neuen Informationen auf sich einfließen. Er würde nicht alles sofort erfahren, nicht jedes Wissen entdecken – vieles würde mit der Zeit kommen –, wichtig war aber, wo er gerade war, wie man hier lebte, was man normalerweise tat und alle anderen alltäglichen Sachen. Er durfte nicht auffallen. Persönliches Gedankengut hatte er nicht abgezapft, sondern nur das, was dieser Mensch mit dem Aufwachsen gelernt hatte. Theoretisch konnte er alles, was diese Person konnte. Praktisch musste er aber selbst die Dinge erlernen.

Die Atmung war einfach und ging dank seines Instinkts ganz automatisch. Auch das Laufen klappte nach ein paar vorsichtigen Schritten ganz gut. Das Sprechen gelang ihm nicht gleich, aber nachdem er den Raum verlassen hatte, traute er sich mehr zu, sodass es nach kurzer Zeit funktionierte. Er hatte nicht nur die Fähigkeit zu reden, sondern auch die Muttersprache sowie das Verstehen der Sprache erlernt. Als er die wichtigsten Informationen gezielt in seinem Gehirn gesucht und gefunden hatte, schaute er sich abermals um. Zögerlich betätigte er den Lichtschalter. Er stand in einem großen Raum mit einer Theke, einer Küche und einem modern eingerichteten Wohnzimmer.

Leise schlich er auf die große, schwarze Ledereckcouch zu und ließ sich auf sie fallen. Erleichtert seufzte er. Seine Beine waren es nicht gewohnt zu stehen und zu laufen, es strengte ihn unheimlich an. Das würde sich schnell geben, aber im Moment fühlte er sich müde – was wiederum ein merkwürdiges Gefühl war. Auf seinem Planeten schlief man nie. Es war nicht nötig, ihre Körper kamen ohne diese Zeitverschwendung aus.

Erschöpft sah er vor sich auf den Couchtisch, der aus gemasertem Nussbaumholz gefertigt war. Darauf befanden sich ein leeres Glas, eine Fernbedienung und eine Zeitschrift. Er griff nach der Zeitschrift und blätterte sie auf. Vielleicht fand er hier ein paar Menschen, die ihm gefielen und dessen Gestalt er vermischen konnte.

Kurze Zeit später war er 170 cm groß, schlank und athletisch, er war glattrasiert, hatte hellblonde, kurze Haare und braune Augen. Er hatte keine Ahnung, ob er gut ausschaute, sein Geschmack war vermutlich anders als der der Menschen, aber ein kurzer Blick in einen Spiegel an der Wand hatte ihm gefallen.

Mit einem lauten Knurren machte sich plötzlich sein Magen bemerkbar. Dazu nahm er ein leichtes Rumpeln in seinem Bauch wahr, was sich unangenehm anfühlte. Sein Instinkt sagte ihm, dass er Hunger hatte.

Träge erhob er sich von der Couch und lief zu der Theke, die Wohn- und Küchenbereich trennte. Auf dem anthrazitfarbenem Marmor stand eine Schüssel mit Früchten. Karetos nahm sich wahllos etwas heraus und starrte den Apfel in seiner Hand an. Er wusste, was es war, wie er es essen musste und was es bewirkte, aber irgendwie hatte er Angst davor. Bis jetzt hatte er Nährstoffe aus der Luft absorbiert, um sich zu ernähren. Nun musste er irgendwelche Dinge zerbeißen und sie in seinen Körper stopfen ... Es würde merkwürdig, vielleicht sogar unangenehm werden.

Sein abermals knurrender Magen ließ ihm aber keine andere Wahl. Er entschloss sich die Augen zu schließen und es hinter sich zu bringen.

Als er den Apfel an seine Lippen gelegt hatte und die Augenlider ihm die Sicht versperrten, öffnete er den Mund, biss fest ab, kaute kurz und schluckte das Stück Obst.

Skeptisch öffnete er die Augen und ließ sein Gehirn verarbeiten, was er gerade getan und erlebt hatte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, da biss er wieder in den Apfel und kaute fröhlich. Schmecken war eine tolle Sache, wenn alles so köstlich war wie dieser Apfel!

Als von der Frucht kaum noch etwas übrig war, ließ er die Überreste auf dem Tresen liegen und ging zum Kühlschrank. Er war noch immer hungrig und vor allem neugierig. Er wollte diese für ihn neue Welt kennenlernen, sie fühlen, sehen, riechen und schmecken. Natürlich vermisste er sein Zuhause und würde ihm noch lange nachtrauern, aber das hier war so aufregend, dass er kaum Trauer verspüren konnte.

Hastig riss er den Kühlschrank auf, nahm wahllos einige Sachen heraus und lief damit zurück in den Wohnbereich. Dort schmiss er die Lebensmittel auf den Tisch und griff nach der Fernbedienung. Fragend fixierte er das schwarze Plastikteil, während er irgendwelche Tasten drückte, von denen er keine Ahnung hatte. Er zuckte erschrocken zusammen, als der Fernseher anging und Menschen zu sehen waren. Ein Film.

Karetos’ Augen wurden groß, sein Herz machte kleine Sprünge, und seine Atmung beschleunigte sich. Es war merkwürdig, auf diesem Planeten irgendwie alles zu kennen und dann doch wieder nicht. Es war, als hätte er etwas gewusst, was er vergessen hatte, und nun erfuhr er es neu.

Während er angespannt den Film verfolgte, stopfte er sich alles hinein, was er im Kühlschrank gefunden hatte. Jeder Bissen schien besser zu schmecken als der vorherige, und alles hatte eine andere Konsistenz. Besonders gern mochte er das Flüssige. Schokodrink stand auf der Flasche, die er halb verdurstet austrank. Er stöhnte genüsslich, als die süße Milch seinen Gaumen kitzelte. Zufrieden schmiss er die leere Plastikflasche auf den Tisch und ließ sich nach hinten in die Rückenlehne sinken. Wohlig lächelnd starrte er auf die Flimmerkiste.

Nach einer Weile begann sich ein merkwürdiges Gefühl in seinem Bauch breitzumachen. Die Stirn runzelnd, fasste Karetos sich an den Körper und verzog die Lippen. Er wusste nicht, ob es normal war, aber sein Instinkt sagte ihm, dass das, was kommen würde, nicht gut war. Sofort machte sich Angst in ihm breit. Seine Atmung beschleunigte sich ebenso wie sein Herzschlag. Er wusste nicht, was passierte. Er hatte auch keine Ahnung, wie er sich helfen konnte. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Langsam stand er auf, blieb aber auf zittrigen Beinen stehen, da er keine Ahnung hatte, wo er hinsollte. Sein Kopf signalisierte ihm, dass er irgendwohin musste, wo er besser aufgehoben war als im Wohnzimmer.

Unruhig fuhr er sich mit den Händen durch die Haare. Die Panik gewann immer mehr über seinen Verstand und wollte ihn in die Enge treiben. Er wusste einfach nicht, was los war.

„Was zur Hölle ...“

Erschrocken schnellte Karetos’ Blick zu der Person, der die Worte offenbar im Hals stecken geblieben waren. Es war der Mann, dem er sein Wissen und seinen vollen Magen zu verdanken hatte. Eigentlich wäre er unter normalen Umständen jetzt davongerannt, da es offenbar falsch war, es sich einfach in einer Wohnung gemütlich zu machen. Aber die Angst um sein Leben und die Hilflosigkeit nahmen den Großteil seines Verstandes ein.

„Wer bist du, und was macht du hier? Und vor allem, wieso bist du nackt?“, fragte der Fremde mit lauter Stimme und sah ihn empört an.

Verstört wedelte Karetos mit den Armen und begann sich nun doch in Bewegung zu setzen. Er hatte keine Ahnung, wohin er sollte, aber der Drang zu laufen, war nicht mehr aufzuhalten. Hastig führten seine Beine ihn in den Küchenbereich. Das komische Gefühl in seinem Bauch wuchs in rasender Schnelle zu krampfenden Schmerzen heran. Ehe er einen weiteren Gedanken fassen konnte, hing er mit dem Kopf über der Spüle und erbrach die Lebensmittel, die er hungrig in sich hineingestopft hatte. Immer wieder zog sich sein Magen zusammen, um weiter den Inhalt die Speiseröhre hinaufzutreiben und in den Abfluss zu befördern.

Karetos hörte den Mann hinter sich irgendetwas schimpfen, aber er verstand es nicht. Es war ihm auch egal. Er hatte sich selten so elend gefühlt.

Als sein Magen endlich Ruhe gab, ließ er sich erschöpft, aber erleichtert auf den kalten Fliesenboden sinken und schloss die Augen.

„Was zur Hölle wird das, wenn es fertig ist? Was soll der Scheiß?“, vernahm er wieder den Fremden, der ihn mit einem Ruck auf die Beine zog und wütend anstarrte.

„Ich ... ich ...“, stammelte Karetos. Die Situation war gefährlich, das sagte ihm sein Instinkt, aber er war viel zu überfordert und entkräftet, als dafür Platz in seiner Gefühlswelt zu haben – ganz zu schweigen von der Erleichterung, dass offenbar wieder alles in Ordnung mit seinem Bauch war.

Als der Mann zu merken schien, dass er mehr hilflos als böse war, raufte er sich die Haare und atmete geräuschvoll aus. „Hast du das alles gegessen?“, fragte er noch immer aufgewühlt.

Karetos nickte nur.

„Du hast dich vollgefressen, bis du gekotzt hast?“

Abermals nickte Karetos. Er wusste nicht, ob der Mann recht hatte, aber wenn es eine Möglichkeit war ...

„Und warum hast du nichts an?“, fragte der Fremde erneut und musterte ihn von oben bis unten.

Erst jetzt fiel Karetos auf, dass sein Gegenüber Shorts und ein Shirt trug, obwohl er nackt im Bett gelegen hatte. Schulterzuckend sah er ihn an. „Ich wusste nicht, dass sich das so gehört.“

Ungläubig glotzte der Kerl ihn an. „Du wusstest nicht ... was zum ... Bist du stoned oder so?“

Verwirrt schüttelte Karetos den Kopf. Er glaubte nicht, dass er stoned war.

„Hattest du was an, als du hierhergekommen bist?“

Abermals schüttelte Karetos den Kopf.

Seufzend raufte der Mann sich wieder die Haare. Er schien ebenso überfordert zu sein wie er. „Wie heißt du, wieso bist du hier und wo kommst du her?“

„Ich bin Karetos, und ich komme aus ... ich weiß nicht woher“, antwortete er. In letzter Sekunde entsann er sich und nannte nicht den Namen seines Heimatplaneten. Ob er es hier je jemandem sagen konnte? Er musste es nicht, aber er wusste auch nicht, wie er sonst Fuß fassen sollte. Er war auf diesem Planeten und kannte sich mit nichts aus. Kurz spielte er mit dem Gedanken dem Mann alles zu erzählen, vielleicht würde er ihm helfen. Andererseits sollte er ihn zuerst kennenlernen. Er war sich nicht sicher, ob er ihm trauen konnte.

„Okay, Karetos ... Ich bin Christian. Du wäschst dir jetzt an der Spüle dein Gesicht und deinen Mund, du riechst nach Erbrochenem. Ich hole derweil etwas zum Anziehen – und dann unterhalten wir uns, klar?“

Ohne Widerworte nickte Karetos und schaute dem Fremden hinterher. Erst als dieser im Schlafzimmer verschwunden war, drehte er sich um und kam der Aufforderung nach. Er besah sich die Spüle und fasste den Wasserhahn an. Mit einer kleinen, zaghaften Bewegung kam ein kurzes Rauschen, ehe fast zeitgleich Wasser herauszulaufen begann. Erschrocken japste Karetos nach Luft und grinste dann stolz. Er begriff besser, als er dachte.

Während kaltes Wasser über seine Haut lief, starrte er nachdenklich vor sich hin. Er wusste so vieles, konnte aber mit dem Großteil nichts anfangen. Viele Dinge hatte er durch das Anzapfen von Christians Gehirn nicht erfahren – einfach, weil dies nicht in der Macht seiner Rasse lag. Er würde noch einiges lernen müssen, vor allem alltägliche Sachen wie der Umgang mit Menschen, das Verhalten gegenüber anderen und überhaupt der ganze Alltag – und Vertrauen ...

Konnte er Christian vertrauen und die Wahrheit erzählen? Er mochte ihn, obwohl ihre erste Begegnung nicht von Freude geprägt war. Es war, als wäre er ein verlorenes Junges, welches einen potentiellen Aufpasser gefunden hatte.

„Willst du dich jetzt ertränken?“, ertönte hinter ihm die bekannte Stimme.

Karetos schreckte aus seinen Gedanken auf. Noch während er den Kopf hob, drehte Christian den Wasserhahn zu. Skeptisch und zugleich verwirrt musterte er ihn.

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, hielt er ihm einen kleinen Stapel Wäsche hin. „Eine Jogginghose und ein Shirt. Das sollte erst mal reichen ... Ich mache zwar nicht jeden Tag einem Einbrecher Kaffee, aber ich brauche jetzt einen ... und du ziehst dich an!“ Kopfschüttelnd lief Christian an ihm vorbei und drückte auf einer Maschine herum, ohne ihn weiter zu beachten.

Karetos schaute ihn noch einen Moment an, ehe er vorsichtig in die Sachen schlüpfte. Sein neuer Körper war noch ungewohnt, weswegen er sofort ins Straucheln kam, als er ein Bein hob, um es in die Hose zu stecken. Innerlich fluchte er. Es hatte deutlich geschickter gewirkt, als Christian sich ausgezogen hatte. Auffälliger konnte er kaum sein. Aber er gab sich die größte Mühe und schaffte es schließlich die Hose überzustreifen. Das Shirt war zu seiner Erleichterung nicht so schwer. Dennoch heimste er sich kurze Blicke seines unfreiwilligen Gastgebers ein.

Karetos ignorierte sie und schlurfte anschließend in den Wohnbereich, wo er sich auf die Couch plumpsen ließ. Seine Beine taten weh. Heimlich linste er zu Christian, der älter wirkte als er in seiner menschlichen Gestalt. Er hatte zwar noch immer keine Ahnung, was auf diesem Planeten als attraktiv galt und in welchen Hinsichten überhaupt das Äußere eine Rolle spielte, aber ihm gefiel die Optik des Mannes.

„Also ...“, begann Christian, wandte sich mit zwei Tassen in den Händen von dem Kaffeeautomaten ab und lief auf ihn zu. Er blieb stumm, bis er die dampfenden Becher auf den Tisch gestellt und sich neben ihn gesetzt hatte.

Karetos blickte verlegen auf. Er war sich noch immer nicht sicher, ob er Angst haben sollte und ihm Gefahr drohte, aber sein Kopf versuchte ihm einzutrichtern, dass er Christian vertrauen konnte.

„Ich hätte eigentlich jeden Einbrecher sofort aus der Wohnung geschmissen oder die Polizei gerufen. Ein nackter Einbrecher, der sich den Magen bis zum Kotzen vollschlägt, erscheint mir aber sonderbar ...“

Ratlos zuckte Karetos mit den Schultern. Er wusste nicht, was angemessen war, zu sagen.

„Sehr gesprächig bist du auch nicht, und dazu wirkst du, als würde ich dir die ganze Zeit mit den Fäusten drohen. Du wirst nicht älter als Anfang zwanzig sein ... Wohnst du noch bei deinen Eltern und hast Schiss, dass du Ärger bekommst?“, fragte Christian, erhielt aber nur ein Schnauben als Antwort. „Okay, wohl nicht, es würde auch nicht erklären, weshalb du nackt in meinem Wohnzimmer standst. Für eine Mutprobe bist du wohl auch zu alt ... Würdest du eventuell das Rätselraten mit einer Erklärung beenden? Bist du verwirrt? Auf Drogen, betrunken, Schlafwandler?“

Christian wirkte fast schon flehend, was Karetos leidtat. Der Mann wurde von Minute zu Minute netter und gab ihm eine Chance – und er hatte bisher kaum ein Wort mit ihm geredet. „Ich ... Ich bin ... Ich komme nicht von hier?“, fragte er mehr, als wirklich zu antworten. Wie konnte dieser Mensch nach so kurzer Zeit vernünftige Argumente von ihm verlangen, die nicht in wenigen Minuten als Lüge auffliegen würden? Er hatte doch keine Ahnung von dieser Rasse.

Christian schnaubte. „Ganz ehrlich: Ich habe dich weder geschlagen, noch rausgeschmissen und auch nicht die Polizei gerufen. Ich habe dir Kleidung gegeben, einen Kaffee gemacht und frage dich ganz ruhig, wie du hier reingekommen und wieso du in meiner Wohnung bist. Ich wäre dir deshalb sehr dankbar für eine Antwort, die länger als ein Satz ist und nicht mit einem Fragezeichen endet. Und vor allem wäre es nett, wenn es die Wahrheit wäre!“ Seine Stimme wirkte gelassen, aber auch fordernd.

In Karetos’ Kopf rasten die Gedanken. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt und fand keinen anderen Ausweg, als die Wahrheit zu sagen. Was konnte schon passieren? Würde der Mann ihn umbringen? Würde er jemanden rufen, der ihn wegbrachte und als Versuchskaninchen und Forschungsobjekt hielt?

Karetos rann ein kalter Schauer über den Rücken. Vielleicht wäre Christian auch interessiert und würde gern seine Geschichten von früher hören – vielleicht würde er sich sogar freuen, ein Wesen von einem anderen Planeten kennenzulernen.

Hätte er Mitleid und würde ihm helfen, sich in seiner neuen Heimat zurechtzufinden?

Tief atmete Karetos ein und schloss die Augen. Sein einsames Herz klopfte schnell und fest in seiner Brust und beruhigte sich nur langsam. Erst als er das Gefühl hatte, dass sein Pulsschlag wieder normal war und er sich besser fühlte, öffnete er seine Lider und begann zu sprechen: „Ich komme von dem Planeten Perosphoraltum, von welchem ich verbannt wurde. Ich bin durch Glück vor ein paar Stunden auf diesem Planeten gelandet. Oder besser in deinem Schlafzimmer ...“

Verdutzt schaute Christian ihn an. Karetos erwiderte den Blick, sah ihm in die Augen und spürte, wie sich immer mehr Spannung zwischen ihnen aufbaute. Er wusste nicht, ob das gut oder schlecht war.

Im nächsten Moment riss ihn schallendes Gelächter aus der Überlegung. Er lüpfte eine Braue. Was bedeutete diese Reaktion jetzt?

„Ja, natürlich! Du bist ein Alien von einem fremden Planeten, das durch reinen Zufall in meine Wohnung gestürzt ist und mir jetzt brühwarm erzählt, dass es ein Alien ist!“, fasste Christian zwischen seinem Gelächter amüsiert zusammen und hielt sich den Bauch.

Karetos war kurz verwirrt, verstand dann aber, dass er ihm offenbar nicht glaubte. Er seufzte und stand auf. Eigentlich wollte er das nicht tun, aber wenn Christian ihm seine Worte nicht abnahm, musste er ihm zeigen, dass er die Wahrheit sprach.

Das Gelächter verstummte, als er sich das Shirt über den Kopf zog und auf die Couch legte. Als er sich auch die Hose abstreifte, erkannte er im Augenwinkel, dass Christian ihn bei seinem Tun beobachtete. Mit offenem Mund starrte er ihn ungläubig an. Karetos sah ihm regelrecht an, wie die Gedanken rasten, was ihn sein Tun beschleunigen ließ.

Vollkommen nackt trat er zwei Schritte zurück, sodass er nicht zu nah bei Christian stand. Immerhin wusste er nicht, wie dieser gleich reagieren würde. Und dann tat er es einfach – er verwandelte sich. Es passierte innerhalb weniger Sekunden. Kaum hatte er wieder klare Sicht, da schrie Christian hysterisch auf und versuchte panisch von ihm wegzukommen. In seiner Furcht sprang er über die Couch, hinter der er in seiner Hast hinfiel und hart auf dem Boden aufschlug. Obwohl er schmerzhaft keuchte, robbte er sich auf dem Laminat entlang und probierte aufzustehen, aber er rutschte erneut auf dem glatten Belag aus.

Als Karetos verstand, dass er Christian Todesangst bereitete, verwandelte er sich in seine Erdengestalt zurück und eilte zu ihm. „Christian! Christian, ich tu dir nichts! Ich wollte dir nur zeigen, wie ich wirklich aussehe und dass es wahr ist, was ich erzählt habe.“

Mit aufgerissenen Augen starrte Christian ihn an. Selbst für Karetos war es nicht schwer zu erkennen, dass sein Blick ängstlich war. Aus diesem Grund erwiderte er diesen ruhig und wartete ab. Es dauerte einige Momente, aber dann wich die Verzweiflung aus dem Gesicht seines Gegenübers und die Atmung verlangsamte sich wieder.

Christian schüttelte den Kopf und rappelte sich vom Boden auf. Sichtlich geschockt schlurfte er zurück zur Couch, um sich dort niederzulassen. „Ich muss träumen. Das kann nicht wahr sein“, murmelte er und zuckte zusammen, als Karetos ihm folgte und sich neben ihm niederließ.

„Ist es so ungewöhnlich für euch Menschen, Wesen von anderen Planeten zu treffen?“, fragte Karetos. Das Wissen, welches er von Christian hatte, gab ihm keine nähere Auskunft bezüglich Außerirdischen. Er wusste nur, dass es ihm fremd war – das war wohl etwas, was man auf diesem Planeten mit dem „Großwerden“ lernte.

„Wesen von anderen Planeten? Die ganze Menschheit würde in Panik ausbrechen, wenn sie wüsste, dass da draußen tatsächlich intelligentes Leben herrscht!“

Karetos runzelte die Stirn und hielt Christians Blick fest, als er ihn wieder ansah. Christians Angst hatte seine eigene komplett verschwinden lassen. Er fühlte sich nun viel wohler und noch mehr zu Christian hingezogen. Er faszinierte ihn, und er vertraute ihm mit für ihn unbekannter Leichtigkeit. „Wieso?“, fragte er schließlich. Sein eigener Planet hatte Kontakt mit vielen Lebewesen von anderen Sternen. Es wurde Handel betrieben, und untereinander bestanden Freundschaften.

„Weil es auch Böses geben könnte. Wesen eines anderen Planeten könnten die Erde erobern wollen, die Menschheit versklaven, die Naturschätze stehlen ... so etwas halt“, erklärte Christian und rümpfte die Nase. „Und du willst mir wirklich sagen, dass du ein Alien bist? Das eben war kein Trick?“

Karetos lächelte friedlich, um das kurze Aufblitzen in Christians Augen zu verscheuchen. Er wollte nicht, dass er ihn erneut fürchtete. Er wollte ihm vertraut sein, sich von ihm helfen, leiten und beschützen lassen. Für ihn war das alles neu, nicht für Christian. „Versprich mir, dass du nicht erneut wegrennst“, sagte er und streckte dann die rechte Hand zu Christian aus. Er musste sich konzentrieren, da er sich für gewöhnlich nicht ständig verwandelte, aber nach ein paar Momenten verformten sich seine Hand und sein Arm zu einem Tentakel.

Christian schluckte hörbar, wich dieses Mal aber nicht zurück. „Ich kann das nicht glauben ...“, flüsterte er und schaute kurz zu Karetos, ehe er sich wieder dem Tentakel zuwendete. „Kann ich es ... anfassen?“

Karetos nickte, und Christian hob langsam seine Hand und legte sie vorsichtig auf den Tentakel.

Zufrieden seufzte Karetos, als er die weichen, warmen Finger auf sich fühlte. Die Haut seiner eigentlichen Form war viel empfindlicher, sodass er die Berührung intensiver wahrnahm als alles andere.

„Es ist ... glatt und fest. Das ist ... ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Christian zog seine Finger zurück, und als der Tentakel sich wieder in einen Arm verwandelt hatte, nahm Christian stumm einen Schluck seines Kaffees und starrte vor sich hin.

Karetos tat es ihm gleich. Anfangs schmeckte ihm das bittere Getränk zwar nicht, aber jetzt fand er Gefallen daran.

„Wie ... also, wieso bist du hier ... und wie kann es sein, dass keiner bemerkt hat, dass du hier gelandet bist? Wieso gibt es keinen Krater, kein Raumschiff?“, fragte Christian, als er seine Gedanken offenbar sortiert hatte.

„Die kleine Kugel, die in deinem Schlafzimmer auf dem Boden lag, war das Raumschiff. Ich war bewusstlos, als ich hier gelandet bin, weil ich schwach war. Ich kann daher nicht genau sagen, was passiert ist, aber die Flugkapsel muss schon defekt gewesen sein, bevor sie hier angekommen ist.“

Verstehend nickte Christian, während er zuhörte.

Karetos gefiel seine Neugier und Aufmerksamkeit. Er hatte sich seit seiner Festnahme einsam gefühlt und Angst gehabt. Jetzt hatte er jemanden, der bei ihm war, sich für ihn interessierte und für ihn da war.

„Und woher hast du das ganze Wissen von hier? Ich meine, du sprichst meine Sprache, und auch wenn dein Fressanfall und die Folgen eindeutig für sich sprechen, zeigt es, dass du dich etwas auskennst.“

Karetos schluckte schwer. Er vermutete, dass Christian seine Antwort nicht gefallen würde. „Ich ... na ja, also weißt du ...“ Räuspernd unterbrach er sich, riss sich dann aber zusammen. „Ich besitze die Fähigkeit durch kleine Kanülen in meinen Tentakeln, Gehirne anzuzapfen und mir so Wissen anzueignen. Dabei handelt es sich aber nur um Instinkte und ... nennen wir es natürliches Wissen, was man im Leben lernt. Es sind keine besonderen Fähigkeiten oder Erinnerungen – und es schadet dem angezapften Lebewesen auch nicht.“ Karetos war am Schluss etwas leiser geworden, da Christians Blick Bände sprach. Er sah nicht sauer aus, aber doch geschockt.

„Du hast was?“, stieß er auch schon aus und räusperte sich aufgeregt.

„Es ist nichts Persönliches und Gefährliches! Ich musste nur irgendwo die menschlichen Eigenschaften herbekommen! Nur ein Körper hätte es nicht getan. Das ist nur eine Hülle, mehr nicht. Ich wäre erstickt, hätte mich nicht mal vernünftig bewegen können, hätte ich mir dein Wissen nicht angeeignet! Ich habe keine Erinnerungen oder etwas anderes ... Privates von dir“, erklärte Karetos hastig, um ihn zu beruhigen.

Tatsächlich klappte es, sodass Christian nach einigen Momenten zögerlich nickte. „Okay, wenn du in Lebensgefahr warst und es kein persönliches Gedankengut war, okay ... Aber wo wir gerade bei persönlich und privat sind: Könntest du dich wieder anziehen? Dein nackter Körper beruhigt mich nicht gerade.“

Karetos blickte verwundert an sich herunter. Er hatte ganz vergessen, dass er sich entkleidet hatte, er war es ja auch nicht gewohnt, Bekleidung zu tragen.

Er nahm die Sachen entgegen, die Christian ihm hinhielt, und zog sich an.

„Danke ...“ Christian gähnte hinter vorgehaltener Hand. „So, und nun? Was mache ich denn jetzt mit dir? Ich ...“ Er amtete leise aus. Für Minuten schwieg er. „Ehrlich gesagt, bin ich müde ...“ Wieder überlegte er angestrengt, bis er anscheinend einen Entschluss fasste. „Die meisten würden mich wohl für verrückt halten, aber ... wenn du willst, kannst du hier auf der Couch schlafen. Morgen sehen wir dann, wie es weitergeht. Ich habe noch keine Ahnung, was ich mit dir machen soll.“ Seufzend wischte er sich durchs Gesicht.

Karetos schaute ihn mitleidig an. „Okay“, antwortete er und zupfte das Sofakissen zurecht, das an der Armlehne lag.

Christian zog eine dünne Decke hinter sich hervor und reichte sie ihm. „Ich hoffe, das reicht? Wenn du was zu essen und trinken brauchst ... na ja, du weißt ja, wo du was findest. Aber bitte nicht wieder so viel, bis du kotzt, klar?“