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Wenn plötzlich alles anders ist ...
Was passiert, wenn man von einem auf den anderen Tag nicht mehr gehen kann und plötzlich alles anders ist? Der ehemalige RTL-Fernseh-Redakteur und -Korrespondent Markus Holubek hat es selbst erlebt: 2007 brach er sich bei einem Skirennen am Vorarlberg die Wirbelsäule. Diagnose: Querschnittslähmung.
In diesem Buch schildert er das Leben nach seinem Unfall und beschreibt seinen Weg vom Rollstuhl zurück ins aufrechte Leben. Sein Weg hat Vorbildcharakter – für „Gedankengelähmte“ und Menschen in Krisen. Markus Holubek zeigt, wie Gedanken gesund machen können, wie man wieder positive Energie zurückgewinnt, Ängste und Blockaden abbaut und aus der Passivität in die Aktivität kommt! Ein Motivationsbuch, ein Buch für das Leben und ein Plädoyer für das kleine Glück.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2012
Wenn Sie Angst vor Muskelkater haben, dann finden Sie den Kassenbon für dieses Buch und tauschen es um. Es gibt ja noch Alternativen für Ihr Geld: ein paar leckere Sixpacks Bier oder die neueste DVD aus der Videothek – alles bestens zum Abhängen vor dem Fernseher.
Dies ist ein Buch für Lebende, für das Leben. Das garantiere ich Ihnen bei Ihrem Kassenbon! Keine Sprüche aus den Top 3 der Plattitüden wie … „Lebe Dein Leben‟, „Nichts im Leben ist umsonst‟ oder „Das Leben ist kein Ponyhof‟. Nein. Hier ist nicht der Weg das Ziel. Dieses Buch wird vielen helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Vorausgesetzt, sie gehen den Weg auch zu Ende. Und je weiter Sie auf diesem Weg kommen, desto sicherer können Sie sein, Ihr Ziel auch zu erreichen.
Wer nach Unfall, nach Krankheit ganz unten angekommen ist, dem ist vieles, was vorher wichtig war, egal. Der muss schmerzhaft realisieren: Das mit Abstand wertvollste Gut ist unsere Gesundheit! Nur leider ist die jetzt weg und damit auch das Selbstbewusstsein. Vom Alphatier zum Jammerlappen, von Miss World zu Miss Jämmerlich … „Hilfe! Mein Körper ist kaputt. Ich bin ’ne arme Sau.‟ Jetzt scheint der Mensch da angekommen zu sein, wo er nie hinwollte: im Albtraum Krankheit.
Meine Krankheit war und ist „Querschnittlähmung inkomplett‟. Ich werde Ihnen später in jeder Einzelheit beschreiben, was das für mich bedeutet, wie ich in diese Situation reingekommen und wie ich so gut wieder rausgekommen bin. Eines schon vorab hier: Stellen Sie sich vor, Sie werden von Hundert auf Null runtergebremst, und Ihre Festplatte muss komplett neu installiert werden.
Ich habe während der ersten vier Jahre meiner Rehabilitation viele kranke Menschen kennengelernt. Manchen ging es besser, manchen ging es schlechter als mir. Warum es aber manchen, denen es damals besser ging als mir, heute schlechter geht, das kann ich nicht verstehen. Mir ist völlig unverständlich, dass sie nicht auf ihre Ärzte gehört und ihre Krankheit ernst genommen haben. Ich denke da an Claus P., den ich in der RehaKlinik miterlebt habe: Marken-Hemd, immer frisches After-Shave, Firmenlimousine. Ein attraktiver, angegrauter Fünfziger: Er liebt sein Flaschenbier, raucht heimlich aus dem Fenster, ein lockerer Typ, duzt die Pfleger, siezt den Chefarzt. Er kam mit kaputter Hüfte, wurde nach zwei Wochen entlassen. Endlich raus aus der Reha! Dann hat er so weitergemacht wie vor seiner Krankheit. „Arbeit geht vor. Aber wenn ich Zeit habe, melde ich mich im Fitnessstudio an.‟ Das hat dann der Arzt für ihn erledigen müssen. Denn ein halbes Jahr später war seine Bandscheibe dran. Dann wurde es richtig schwer für den Mann. Claus P. ist Handelsvertreter im Außendienst. Doch mit kaputtem Rücken ist an Autofahren nicht mehr zu denken. Hoffentlich hat er wenigstens eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, die auch bereitwillig zahlt.
Wer krank ist, hat nur einen Auftrag: Gesund werden! Gesundheit ist das wertvollste Gut. Wenn Hochleistungssportler am Tag X versagen, kommen oft Entschuldigungen. Zu behaupten, der Gegner war stärker, wäre noch die plausibelste Erklärung. Aber Dingen wie dem Wetter oder der Form die Schuld zu geben, ist dreist. Der Gegner hatte dasselbe Wetter, jedoch die bessere Form. Denn er hat besser trainiert, mehr auf sich aufgepasst, ist gesund geblieben. Nur so schaffen Spitzensportler Spitzenleistungen. Und so muss auch jeder mit Krankheit umgehen. Werden Sie Ihr eigener Spezialist, wenn es um Ihren Geist und Ihren Körper geht. Ärzte, Physio- und Psychotherapeuten können nur Ihre Trainer sein. Erwarten Sie nicht, dass Ihnen die Arbeit abgenommen wird. Heilen können Sie sich selbst am besten und eigentlich auch alleine. Dieses Buch wird Ihnen dabei helfen.
Ihr Markus Holubek
Jeder war es schon mal, jeder wird es bestimmt wieder sein: krank. Der eine ist es plötzlich, der andere chronisch. Ein Dritter denkt sein ganzes Leben lang, er sei krank. Dieser Fall ist am schwersten zu behandeln. Ich bin bis heute an all denjenigen Hilfesuchenden gescheitert, die nicht so gestrickt waren wie ich, für die Krankheit nur ein Alibi ist.
Mein Muster ist kurz umschrieben: Nach außen hin bin ich eine Nervensäge, ein Besserwisser, strotze vor Selbstbewusstsein. Ich hasse Regeln, Gewöhnlichkeit und Kritik. Ich falle auf und das gerne auch bewusst. Meine Worte sind wohlüberlegt, zum Teil schockierend ehrlich, manchmal verletzend direkt. Dabei bin ich in meiner Seele ein Gutmensch, will immer helfen, will lieben und geliebt werden. Manchmal gehe ich dabei zu weit und vergesse mich selbst vor lauter Nächstenliebe. Denn für die Liebe würde ich alles tun. So ist also mein Muster immer von der Nadel abhängig, die es gerade strickt. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wie das aussieht, wenn ich so vor Ihnen stehe. Wer hineinblicken könnte, der würde den Pulli vor lauter Mustern nicht erkennen, so wandlungsfähig bin ich. Und das gefällt mir.
Nur – wer mich dann fragt, wie ich mein Selbstwertgefühl beschreiben würde, dem müsste ich die Antwort schuldig bleiben. Kann ein Mensch überhaupt einen Wert haben in diesem Universum? Wer in Andromeda-Galaxie M 31 würde mir auch nur eine Alien-Träne nachweinen? Sehr wahrscheinlich wissen die da ja gar nicht, dass es uns auf der Erde gibt, wenn sie unser Licht nach 2,5 Millionen Lichtjahren erreicht.
Wenn also das Selbstwertgefühl gegen Null geht, dann hat das den Vorteil, dass sich auch das Selbstmitleid in Grenzen hält. Ich habe ja nichts zu verlieren … bis auf mein Leben und meine Gesundheit. Dieser fatale Gedanke kann einen auch wiederauferstehen lassen.
Hätte es Ritalin früher schon auf Krankenschein gegeben, sie hätten mir das Mittel für hyperaktive Kinder wahrscheinlich schon in der Grundschule verschrieben. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätssyndrom) hätte die Diagnose gelautet. Dabei ist ADS gar keine richtige Krankheit. Aufmerksamkeit gehört bei mir und Millionen anderen Menschen zum Grundbedürfnis der Persönlichkeit. Aufmerksamkeit ist gleichzeitig auch eine meiner größten Fähigkeiten. Ich bemerke etwas, das mich betrifft. Ich denke um oder neu. Ich ändere etwas. So ist das, wenn ich krank bin. Aufmerksamkeit selbst darf niemals eine Krankheit sein. Ein Aufmerksamkeitsdefizit macht nur die Pharmakonzerne reich, der Mensch bleibt dabei arm.
Damals in den frühen siebziger Jahren, zu meiner Zeit in der katholischen Grundschule Bonn-Röttgen, da waren die Klassen kleiner als heute. Da war Klein-Holubek leichter zu integrieren, der freche, fröhliche Streber, der sich immer fingerschnipsend meldete, wenn er etwas wusste oder glaubte, etwas zu wissen. Und das war oft der Fall, eigentlich ständig.
Infolge der Versetzung meines Vaters in den Dschungel Afrikas war ich vorher zwei Jahre lang von meiner Mutter zu Hause unterrichtet worden. In Bangui in der Zentralafrikanischen Republik gibt es keine deutschen Schulen. Als ich 1972 als Siebenjähriger in die vierte Klasse wiedereingegliedert wurde, stand ich in jedem Fach bei Note Eins bis auf Sport, und das wahrscheinlich nur, weil ich immer als Letzter in die Völkerballmannschaft gewählt wurde. Zwei Jahre Privatunterricht, drei Stunden konzentriertes Lernen am Tag – damals war ich definitiv überqualifiziert für die Grundschule. Dementsprechend hart war mein Stand. Ich kam oft mit blauen Flecken nach Hause oder komplett durchnässten Sachen, zerrissenen Heften. Trotzdem stand ich nie weinend in der Tür, aber sinnbildlich ausgedrückt … den Mittelfinger stets gestreckt.
Ich habe das „Überleben-wollen-Gen‟. Das ist bei mir angeboren. Vielleicht haben es ein paar Prozent aller anderen Menschen auch, etwa diejenigen, denen man Ritalin verschreibt. Ständig arbeitet das Gehirn, sucht Wege und Antworten, um etwas zu verbessern. Ich versuche immer, das meiste herauszuholen, das Optimum zu erreichen. Es geht immer noch etwas. Und wenn das Schicksal zugeschlagen hat, dann fange ich eben wieder von vorne an.
Meine schwerste Zeit, das waren eigentlich die bewegten Jahre und Monate vor dem Unfall. Die einen nennen es „Midlife-Crisis‟, die anderen „die Suche nach dem Glück‟. Als ich querschnittgelähmt im Schnee lag, hat mich die Ruhe nach dem stürmischen Leben selbst überrascht.
Ein Skiunfall bei Kaiserwetter am schönen Arlberg in Österreich … Ich erinnere mich an die fantastischen Helfer um mich herum. Sie sprachen wenig, wussten aber genau, was zu tun war. Irgendwie fühlte ich mich wie von allen anderen Sorgen befreit. Nichts, abgesehen vom Tod, relativiert Probleme mehr, als gelähmt zu sein.
Ich war während eines Amateur-Skirennens bei rasender Geschwindigkeit gestürzt, noch dazu selbst verschuldet. Mein übersteigertes Ego ließ mich damals noch denken: „Wenigstens bin ich nicht alleine der Idiot.‟ Ein lokaler Skilehrer scheiterte am selben Sprung. Er flog im ersten Hubschrauber ins Tal: Verdacht auf Schädelbasisbruch. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Ich war bis heute zu sehr mit mir selbst beschäftigt.
13. Januar 2007
Überall wenig Schnee. Noch dazu hat es vor zwei Tagen bis auf 2.000 Metern Höhe geregnet. In der Nacht kehrte der Frost zurück, ließ die Pisten steinhart gefrieren. Neben der Strecke, in den Sturzräumen, glänzt blankes Eis.
9.00 Uhr, Samstag Vormittag: 700 Läufer starten beim längsten Skirennen der Welt, dem „Weißen Ring‟. 35 Gruppen à 20 Fahrer stürzen sich in Minutenabständen in die Abfahrt, besser gesagt: in den Anstieg. Die ersten 50 Meter geht es nämlich bergauf. Das Feld soll sich auseinanderziehen. 20 Fahrer gleichzeitig passen nicht durchs erste Nadelöhr. Die Strecke ist 22 km lang, sechs Liftfahrten mit inbegriffen. Ich bin um 9.10 Uhr dran. Der Skilehrer aus meiner Gruppe lag im Vorjahr schon ganz weit vorne, ist auch diesmal der Schnellste in unserer Gruppe. Ich war 2006 abgeschlagen im vorderen Drittel gelandet. Am berüchtigten Madloch-Steilhang hatte ich durch einen Schlag einen Ski verloren, später sogar noch ein Tor verpasst. Das will ich dieses Mal besser machen, am besten noch aufs Podium meiner Altersklasse fahren. Verbissen fahre ich der Linie des Skilehrers hinterher. Der ist auch 2007 wieder der Schnellste. Ich verliere zwar Meter um Meter hinter ihm, liege aber immer noch vor allen anderen meiner Start-gruppe.
9.20 Uhr, Hexenboden-Abfahrt: ziemlich steil, rote Piste … Ich fahre Schuss bis zu einer 90-Grad-Kurve. Dann folgen die Traverse Richtung Tritt-Alpe und der Sprung. Vor mir fliegt der schnelle Österreicher aus meinem Blickfeld – wie ich dachte, ins Tal. Ich wähle die gleiche Linie wie er, halte mich weit rechts, eng am Tor der Streckenbegrenzung. Da ist der Schnee noch schnell. Denn der Rest der Piste ist von den 140 zuvor gestarteten Fahrern stark abgefahren, dadurch zu weich und zu langsam geworden.
Ein blinder Sprung fern der Ideallinie … Ich bin für diese Stelle der Piste viel zu schnell unterwegs, realisiere, dass das diesmal neben der Strecke enden wird, im Eis. Aus Angst mache ich genau das Falsche: Ich öffne meine Rennhocke. Der starke Fahrtwind lässt meine Skispitzen nach oben schlagen. Dadurch bekomme ich Rückenlage und bremse von geschätzten 100 runter auf 30 km/h. Aus sechs Metern Höhe schlage ich ins Eis ein, mit dem Po und meiner rechten Hand, die ich ausgestreckt haben muss, um den Sturz abzufangen. Genau weiß ich das nicht mehr, denn an den eigentlichen Einschlag kann ich mich nicht mehr erinnern. Diese Erinnerung hat mir der Schock freundlicherweise ausgelöscht. Helfer haben mir später berichtet, dass ich mich nach dem ersten Touchdown noch zwei Mal in der Luft gedreht hätte, wie ein Propeller, den es nach dem ersten Aufschlag wieder in die Luft schleudert.
Als ich weit entfernt von der Einschlagstelle zum Liegen komme, da beginnt meine neue Zeitrechnung. Mir ist sofort klar, dass ich von unterhalb der Brust an gelähmt bin. So fühlt sich Querschnittlähmung also an. Ich schreie: „Scheiße, Scheiße, Scheiße!‟ Verzeiht mir diese Worte. Der Schmerz ist abartig, als ob ein Harakiri-Dolch im Rücken kreist. Ich will weinen, aber ich kann nicht. Dafür ist mein Verstand zu klar, zu gestresst, das genaue Gegenteil eines Albtraums. Wäre ich mit dem Kopf zuerst aufgeschlagen, dann wäre ich jetzt tot. Aber ich lebe noch. Für mich geht es jetzt nur um Schadensanalyse.
Mit der linken Hand taste ich meine Beine ab. Die Rechte ist zwei Zentimeter nach oben und drei Zentimeter nach hinten verschoben, das Handgelenk total zerstört.Trotzdem spüre ich keinen Schmerz im Arm. Der im Rücken überlagert alles. Mir ist auch bewusst, dass meine Hand im Moment mein kleineres Problem ist. Denn wenn ich mit meiner gesunden Linken auf meinen Unterleib, meine Beine drücke, spürt das nur die Hand. Ich kann unterhalb des Bauchnabels nichts mehr bewegen. Es ist ein unglaubliches Gefühl, vollkommen irreal, als wäre die Hälfte von mir abgeschnitten. Das was ich hier beschreibe, spielt sich innerhalb weniger Sekunden ab.
Es ist glasklar: Ja! Ich bin querschnittgelähmt.
Nein! Angst habe ich keine mehr.
Aber Hoffnung ist da, weil mein rechter Oberschenkel doch noch ganz leicht sensibel auf Berührung reagiert. Ich weiß also, dass nicht alle Nerven im Rückenmark durchtrennt sein können. Im CT wird später festgestellt, dass durch den Aufprall der erste Lendenwirbel direkt unterhalb der Rippenbögen auseinandergeplatzt ist. Dabei ist ein Stück Wirbelknochen in den Rückenmarkskanal eingedrungen. Dadurch wurden 95 Prozent der Nerven abgequetscht oder durchtrennt. Lediglich fünf Prozent meiner Nerven waren also unverletzt geblieben.
Nach nur wenigen Sekunden beugt sich ein Streckenposten zu mir herunter. Er fragt nicht, wie es mir geht. An meinem verdrehten Körper im Schnee muss er es gesehen haben. „Där Arzt kunnt scho!‟ – Der Arzt ist unterwegs. Wie dankbar ich ihm für diese Worte in Vorarlberger Dialekt war! Und dafür, dass er mich nicht angefasst hat. Ich habe das Gefühl, dass jedes einzelne Stress-Molekül wild in meinem Kopf pocht. Die Hormone halten mich wach und passen auf, dass niemand mich bewegen kann. Bei nur fünf Prozent nicht betroffenen Nerven war das im Nachhinein bestimmt der richtige Impuls. „Bitte, lieber Gott, lass nicht noch mehr kaputtgehen.‟ Ja! Alles andere als Fatalismus bestimmte mein Denken. Nein! Mein Leben lief nicht vor meinen Augen ab. Mein Fehler schon: Was war ich doch für ein Riesenarschloch, ein Vollidiot. Wie konnte ich nur so Gas geben, bei vollem Risiko, als Amateursportler, als Selbstständiger, als Familienvater?
In der Ferne gleiten immer noch Fahrer meiner Start-gruppe ins Tal. Zu mir gleitet der Pistenarzt. Er erfährt im Heraneilen von den Streckenposten, was mir passiert ist. Dann kniet er schon neben mir. Während er den Rucksack ablegt, fragt er mich, wo es mir wehtut. Dann legt er in meinen linken Arm einen Zugang, spritzt darüber Schmerzmittel in meine Vene. „Bitte, bitte nicht bewegen!‟ Aber hier weiß jeder, was zu tun ist … bis auf mich.
Bald darauf höre ich den Hubschrauber. Er landet, aber der Schnee wirbelt weit entfernt von mir auf, hinter einer Kuppe. „Warum kommt der nicht zu mir?‟ Erst jetzt erfahre ich, dass der Skilehrer vor mir ebenfalls gestürzt ist. „Ah, auch!‟ Irgendwie beruhigt mich der Gedanke, dass es ein Profi aus den Bergen ist. Es wirkt wie Schmerzmittel fürs schlechte Gewissen, so als ob sich die Niederlage auf zwei verschiedene Schultern verteilen würde. Halb so schlimm quasi. Der Skilehrer lag im Rennen schon vor mir. Jetzt fliegt er als Erster ins Tal. Zurück bleibt der dumme Deutsche, heute auf Platz zwei der Bergrettung.
Dann endlich höre ich meine Gelben Engel vom ÖAMTC heranfliegen, nach unendlichen 20 Minuten, es hätten auch nur zehn gewesen sein können. Wer weiß das schon mit Opiaten in der Birne. Die Spritze des Streckenarztes steckt noch im linken Arm. Es tut trotzdem immer noch höllisch weh. Sie brauchen mich wach für den Rücktransport. Wäre nur mein Bein zerquetscht, der Arzt hätte mich schon lange weggeschossen. Und da war sie dann doch bei mir angekommen, die nackte Angst: „Bitte nur nicht falsch bewegen!‟ Nach einem kurzen Gespräch mit der Heli-Mannschaft ist klar, ohne zusätzliche Schmerzen würde ich es nicht in den Heli schaffen. „Du muscht jetzt alles aaspanna, wo du hoscht!‟ Nur, wie spannt man das an, was man nicht mehr hat? Der Arzt zieht meine Beine lang, denn ich liege, den Körper angewinkelt, auf meiner linken Seite. Mein linker Ellenbogen ist aufgestützt. Mit der gesunden Hand umfasse ich den rechten Unterarm. Die Hand am vollkommen zerquetschten Radius, meinem Speichen-Knochen, hängt schlaff in der Luft. Doch aus dem schwer verletzten Arm kommt immer noch kein Schmerz. „Bitte, bitte! Wenn bloß nicht noch mehr zerbricht. ‟ Verdammt, ich habe solche Angst, dann komplett gelähmt zu sein. Dabei war ich es streng genommen in diesem Moment bereits.
Zwölf Hände und Arme umfließen meinen Körper. „Auf drei‟, befiehlt der Arzt. Fuck! Tief einatmen. Dann schreie ich alles raus, was die Kehle hergibt. Nach knapp zwei Sekunden lässt der Schmerz wieder nach. Geschafft! Ich liege seitlich in einer Vakuum-Matratze. Und gleich im Helikopter… denke ich mir. Jetzt pocht der Rücken nur noch so schlimm wie vorher schon. Aber erst muss die Vakuum-Matratze mit mir noch zum Heli getragen werden. Der Rotor dreht weiter. Schneegestöber. Da müssen wir durch. Und wieder: „Auf drei‟, ich hasse dieses Anzählen. Da ist er wieder, der Höllenschmerz. Schreien kann ich nicht mehr. Meine Bergung ist gut verlaufen. Über sonnige Berggipfel fliegen wir ins Krankenhaus. „Was für ein schöner Tag!‟, denke ich ernsthaft. Lebenslänglich gelähmt? Schauen wir mal.
Gegen 10.30 Uhr landet der Heli auf dem Dach des Landeskrankenhauses Feldkirch. Sie schieben mich seitlich auf ein Rollbett, dann weiter durch automatische Glastüren in den Vorraum der Notaufnahme. Ich bin kaum drin, da startet der Hubschrauber zum nächsten Einsatz. „Gleich kommt der Oberarzt‟, sagt mir eine Krankenschwester. Dr. Helmut Philipp trägt noch seinen dunklen Anzug. Er hatte freigehabt, die heilige Messe in seiner Gemeinde gefeiert, als ihn der Pager in die Klinik zurückbeorderte. Ich weiß nicht, ob ich an diesem Samstag die besten Ärzte in Vorarlberg bekommen habe, nur weil ich der „RTL-Mann‟ war. Aber wären sie nicht da gewesen, dann wäre dieses Buch wahrscheinlich nicht entstanden. Dr. Helmut Philipp auf die Frage, ob ich ein Rollstuhlfahrer werden würde: „Herr Holubek, … ich komme gerade aus der Kirche. Jetzt warten wir erst mal ab, wie die OP verläuft, und dann sehen wir weiter. Ich kann Ihnen im Moment erst mal keine Hoffnung machen. Sie sind sehr, sehr schwer verletzt.‟ Ich denke mir wieder: „Ach, du Scheiße! Aber danke für die Offenheit.‟
Wo ist eigentlich die Anästhesistin? Ich weiß, dass mein Zahnarzt mir immer besonders viel Betäubungsmittel spritzen muss. Das sollte sie wissen, denke ich. Gedanken eines Mannes mit gebrochenem Rücken und Alarm im Gehirn. Nach der Klärung aller Fragen zur Vollnarkose nerve ich weiter. „Ich habe meine Handys im Auto liegen lassen.‟ Im Rennanzug war kein Platz für meine Nokias, das eine mit Schweizer, das andere mit deutscher Nummer. „Wo kann ich hier telefonieren?‟ Eine OP-Schwester gibt mir ihr privates Telefon. Ich bin von so vielen Engeln umgeben, mehr als ich eigentlich verdient habe.
11.00 Uhr. Als Erstes rufe ich in Bonn an, bei der Mutter meiner zwei Töchter. „Heike, Scheiße, ich bin beim Rennen schwer gestürzt.‟ „Wie schwer?‟, will sie natürlich wissen. Pause … „Ich bin gelähmt.‟ Heike stöhnt leise. „Oh, Gott! Ich schau’ gleich, wann ein Zug geht.‟ Sie ist am Boden zerstört, lässt sich aber nichts anmerken. Monate später hat mir Heike die Situation aus ihrer Sicht beschrieben. Sie habe nur noch geweint, auch im Zug nach Feldkirch.
Dann rufe ich meine Ex an. Auch hier sind noch Gefühle vorhanden, vor allem in größter Not. Aber Dominique ist nicht da. Ich spreche ihr auf den Anrufbeantworter. Frauen, so hofft man, helfen mehr in den schlimmsten Stunden. Meinen geliebten Vater rufe ich nicht an. Er ist selbst krank, hat chronische Myeloische Leukämie. Er wird nach außen am meisten unter meiner Verletzung leiden. Verwandte trifft es oft am härtesten. Wie hart es meinen Vater traf, lässt sich an dieser Stelle kaum mit Worten beschreiben. Es wird ihm heute noch sehr schwerfallen, allein nur diese Zeilen lesen zu müssen.
Sie rollen mich zum Computer-Tomografen (CT). In der CT-Röhre wollen sie sehen, wie schlimm es um mich steht. Wieder „auf drei‟, versteht sich. Dann wirken langsam die Beruhigungsmittel, die ich vor dem Eingriff bekommen habe. Erinnerungslücken. Es wird schwarz um mich …
Nach sieben Stunden OP komme ich zu mir, mit Windeln um die Hüften und Titan im Rücken, im rechten Handgelenk. Die Operateure haben Spongiosa-Knochen aus dem Beckenoberkamm entnommen, mir damit einen neuen Lendenwirbel und ein neues Handgelenk gebaut. Und! Ich kann meinen rechten Fuß wieder bewegen, mein linker kann zucken. Immerhin! Außerdem sitzt Heike am Bett und hat mein Leben übernommen. Zudem ist meine Schwester aus Bonn auf dem Weg ins LKH Feldkirch. Und Dominique, die Ex, hat sich auch gemeldet. Mir geht es hier im Bett so weit ganz gut. Bis hierhin ging es nur ums nackte Überleben. Zumindest das war jetzt mal gesichert.
Als Paraplegiker (Querschnittgelähmter) war ich vorerst auf meine geringsten Nenner reduziert. Ich war inkomplett, inkontinent, impotent. Alle paar Stunden wurde ich im Bett umgelagert. Das tun sie gegen den drohenden Dekubitus, das lebensbedrohliche Absterben von Gewebe. Jedem Menschen jucken im Liegen nach fünf Minuten Bewegungslosigkeit die Fersen. Er muss sie bewegen. Das Jucken ist ein Warnsignal des Körpers, weil die Fersen durch den Liegedruck schlechter durchblutet werden. Bei mir ist auch heute noch an Jucken nicht zu denken. Ich spüre ab Gürtelhöhe abwärts dorsal, an meiner Rückseite, gar nichts … keine Hitze, keine Kälte, keine Berührung, keinen Schmerz. Druckstellen spüre ich also auch nicht. Und wenn die zu lange unbemerkt bleiben, kann Gewebe absterben, weil es nicht mehr versorgt wird. Fault das wunde Fleisch erst bis auf den Knochen durch, ist es zu spät. Es gibt Fälle, in denen sie Fleisch vom Oberschenkel ans Gesäß transplantieren mussten, weil sich der Kollege auf seinem Schlüsselbund in der Hosentasche unbemerkt ein Loch bis zum Beckenknochen gestoßen hatte. Der Schauspieler Christopher Reeve starb 2004 an Dekubitus. Seine Wunde heilte nicht, bis die schwere Infektion sein Herz vergiftet hatte. Es blieb einfach stehen. Der Superman-Darsteller war nach einem Sturz vom Pferd 1995 vom Hals abwärts gelähmt gewesen.
Die Nächte nach dem Unfall sind fürchterlich. Aus der Vollnarkose bin ich um 22.00 Uhr aufgewacht. Die erste Nacht liege ich hellwach im Bett. Schock und Bilder laufen immer wieder vor meinen Augen ab. Ich bin wütend auf mich selbst, auf der anderen Seite aber auch froh, dass das ständige Überholen auf der Piste und im Leben jetzt vorüber ist. Ich bin inkomplett querschnittgelähmt, noch dazu 100 Prozent selbstverschuldet. Ich, Vater zweier junger Kinder, Freiberufler … vor dem Unfall war der Mann ein selbsterklärtes Ski-Ass, nach dem Unfall nur noch der Vollidiot aus Zimmer 2/11.
Jetzt liege ich hellwach im Bett und ändere mein Leben, nicht weil ich das will, sondern weil ich muss. Auch in den folgenden Wochen habe ich nie mehr als eine halbe Stunde am Stück geschlafen. Das zeigt, wie nah wir im Verhalten den Tieren noch sind. Wenn ein Tier so schwer verletzt daliegt, wartet es nicht auf den Tod, im Gegenteil – es bleibt hellwach und wartet auf den Feind, der es fressen will. Voll von Stresshormonen habe auch ich gewartet, auf den Morgen, den nächsten Tag. Jetzt hatte ich die Zeit, die ich mir vorher nie gegönnt hatte. Zeit, um über mich und mein Leben nachzudenken. Sorgen hatte ich komischerweise weniger als erwartet, als wäre ich froh, die anderen los zu sein. Da waren einige Probleme, die mir auch heute im Vergleich zur Lähmung so läppisch erscheinen, dass es mir peinlich ist, sie hier aufzuführen: Liebeskummer, ein Jahr nach der Trennung von Dominique … vergessen, … finanzielle Sorgen … nebensächlich. Das Handy ist endlich mal aus, der Leistungsdruck … weg. All diese Kinkerlitzchen hat der Unfall von mir abgeschüttelt. Im Nachhinein betrachtet hatte ich natürlich immer schon dasselbe Leben gelebt. Ich war aber nie zufrieden mit dem, was ich hatte. Immer auf der Suche nach dem Glück, führte ich ein Leben nah am Abgrund, nah an Gefahr und Abenteuer in praktisch jeder Lebenslage. Wer so schnell unterwegs ist, der hat gar nicht die Muße das Glück zu erkennen, das auf seinem Weg liegt.
Glück ist eine Frage der Perspektive. Krankheit kann auch Heilung sein. Das ist mir damals schnell klar geworden. Dazu ein kleines Beispiel: Ich bezeichne mich als Feinschmecker. Weil aber mein Darm anfangs noch nicht funktionierte, bekam ich tagelang nur Zuckerlösung über Infusionen. Der Rest meiner Nahrung bestand aus Tee und Brühe. Als ich nach sieben Tagen mein erstes festes Frühstück bekam, Weißbrot ungetoastet, ohne Butter, dazu Erdbeermarmelade aus dem Aludöschen, da hat mein Glück endlich Geschmack bekommen. Es ist sensationell, wie etwas so Einfaches, so gut schmecken kann, genauso wie mein Leben seither, mein Leben nach dem Unfall.
Als mein Rücken gebrochen war, konnte ich froh sein, überlebt zu haben. Ich konnte erkennen, wer meine wahren Freunde sind, wurde wohlbehütet von Heike, die bereits wenige Stunden nach dem Unfall an meinem Bett hockte. Ein Stück Weißbrot schmeckte plötzlich wie das leckerste Häppchen der Welt. Meine Jagd nach dem Leben, dem Glück war beendet. Denn ich war in meinem Ich angekommen, auch wenn es nur ein halbes Ich war. Die Landung hätte härter nicht sein können, aber ich lebte und spürte mich wieder, hatte endlich Bodenhaftung, auch ohne Gefühl in den Beinen.
Natürlich hatte ich auch plötzlich viel mehr Zeit, als mir lieb war. Und wenn ich ehrlich bin, ich habe die Langeweile immer am meisten gehasst. So war ich gezwungen, über mich nachzudenken. Was würde aus meinem Leben werden? Ein sehr spannender Gedanke – plötzlich war nicht mehr alles möglich, alles selbstgegeben, alles normal. Eigentlich war kaum noch etwas aus meinem alten Leben möglich. Das Wenige, was noch ging, das genügte mir jetzt. Alles war für mich über Nacht überschaubar geworden. Ich habe mir nie viel vorgenommen. Ich wollte aber jeden Tag etwas Neues spüren, etwas zurückbekommen, nur ein klitzekleines Geschenk am Tag. Das war meine Hoffnung, mehr auch nicht. Und weil ich nicht mehr erwartet habe, und weil jeden Tag dann auch etwas Klitzekleines zurückkam, nur deswegen habe ich wahrscheinlich überlebt und es geschafft. Nach dem Sturz war es die Hoffnung auf die OP. Nach der OP ließ mich der rechte Fuß hoffen, den ich wieder bewegen konnte. Das waren alles meine Gedanken in den Wachphasen. Und immer wenn ich daran gedacht habe, dann habe ich gewackelt – mit dem rechten Fuß, später mit dem ganzen Bein. „Quäl dich, du Sau!‟, ein Spruch den Radrennfahrer kennen müssten. Nach zehn Tagen konnte ich auch deutlich sichtbar mit dem linken Zeh wackeln. Ich habe trainiert, was noch zu trainieren war. Ich wusste: Nur das kann der richtige Weg sein.
Impressum
Danksagung: Ich danke allen, die mir so sehr mit ihrem Herzen, ihrer Seele und ihrem Verstand auf die Beine geholfen haben.
© 2011 by Südwest Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, 81637 München
Hinweis
Die Ratschläge und Informationen in diesem Buch sind von Autor und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann keine Garantie übernommen werden. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Projektleitung: Dr. Harald Kämmerer und Isabella Kortz
Redaktion: Isabella Kortz
Satz & Layout: Lore Wildpanner, München
Umschlaggestaltung: YMCK, München unter Verwendung eines Motivs von Christian M. Weiß, www.weisschristian.comAutorenbilder hintere Klappe und Umschlagrückseite: Jan Kappen, www.fresh-photography.de
eISBN 978-3-641-07071-7
www.randomhouse.de
Leseprobe