Geld im Mittelalter - Jacques Le Goff - E-Book

Geld im Mittelalter E-Book

Jacques Le Goff

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Beschreibung

Den Menschen des frühen Mittelalters war die Idee des Geldes als eines flexiblen, dauerhaften und leicht teilbaren Zahlungsmittels unbekannt. Nach dem Zusammenbruch des antiken Geldsystems entstanden zwar an einigen Orten regional gültige Kleinwährungen, und im Hochmittelalter kamen auch Bauern gelegentlich mit Münzgeld in Kontakt. Doch vor dem 13. Jahrhundert wäre ein Bauer nicht auf die Idee gekommen, Münzen als Wertvorrat zu vergraben – was in der Antike auch auf dem Land nicht ungewöhnlich gewesen war. Nicht zwischen materiell Armen und Reichen verläuft im Mittelalter zunächst der entscheidende soziale Unterschied, sondern zwischenhohem und niederem Stand. Im ausgehenden Mittelalter nimmt die Bedeutung des Geldes zu: in der konkreten Ökonomie ebenso wie in den Köpfen der Menschen. Damit kann der wirtschaftliche Wandel einsetzen.

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Jacques Le Goff

Geld im Mittelalter

Aus dem Französischen von

Caroline Gutberlet

Klett-Cotta

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.klett-cotta.de

Klett-Cotta

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Le Moyen Age et l’argent. Essai d’anthropologie historique«

im Verlag Éditions Perrin, Paris

© 2010 by Perrin

Für die deutsche Ausgabe

© 2011 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH,

gegr. 1659, Stuttgart

Cover: Rothfos und Gabler, Hamburg

Unter Verwendung eines Fotos von akg-images, Erich Lessing

Datenkonvertierung: r&p digitale medien, Echterdingen

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94693-2

E-Book: ISBN 978-3-608-10188-1

Dank

Dass dieser Essay in Druck gehen kann, verdanke ich vor allem zwei Personen: zum einen Laurent Thiès, einem herausragenden Historiker, der mir das Thema unterbreitete und mich bat, dieses Buch zu schreiben. Er hat nicht nur die Initiative ergriffen, sondern mich während des gesamten Entstehungsprozesses unterstützt und das Büchlein durch aufmerksame Lektüre, Verbesserungsvorschläge und die Erstellung der Bibliographie bereichert. Zum andern danke ich meiner Sekretärin und Freundin Christine Bonnefoy, die sich nicht nur als hochkompetente Fachfrau erwiesen hat, sondern mir beim Diktat eine echte Gesprächspartnerin gewesen ist. Neben technischem Können verfügt sie über ein präzises Urteil und hat mich auf Stellen aufmerksam gemacht, die überarbeitungs- oder verbesserungswürdig waren.

Ich danke auch allen Kollegen und Freunden, die mich insbesondere dadurch unterstützten, dass sie mir Einblick in noch unveröffentlichte Manuskripte gewährten, die für mein Thema von Bedeutung waren. Nennen möchte ich Nicole Bériou, Jérôme Baschet und Julien Demade. Mein Dank gilt darüber hinaus Jean-Yves Grenier, dem ich das Buchprojekt vorstellte, für seine scharfsinnigen Bemerkungen.

In diesem Essay habe ich Ideen konkretisiert, die mich bereits in meinen frühen Publikationen interessiert hatten. So schließt das vorliegende Buch gewissermaßen den Kreis meiner Reflexionen auf einem Gebiet ab, welches meines Erachtens wichtig ist für das Verständnis des Mittelalters, vor allem deshalb, weil die Vorstellungen und Handlungsweisen der Männer und Frauen jener Zeit sich grundlegend von den unsrigen unterscheiden. Es ist in der Tat ein anderes Mittelalter, dem ich hier wiederbegegnet bin.

Einleitung

Um was es sich beim »Geld« handelt1, dafür gab es im Mittelalter keine einheitliche Bezeichnung, weder im Lateinischen noch in den Volkssprachen. Was wir heute unter Geld verstehen, also der Begriff, mit dem der vorliegende Essay betitelt ist, ist ein Produkt der Moderne. Damit sei schon vorab gesagt, dass Geld im Mittelalter keine vorrangige Rolle gespielt hat, weder in ökonomischer oder politischer, noch in psychologischer oder ethischer Hinsicht. Bezeichnungen, die im mittelalterlichen Französisch der heutigen Bedeutung des Wortes am nächsten kommen, sind: monnaie, denier und pécune, etwa Münze, Pfennig und pecunia2. Die realen Dinge, die man heutzutage mit dem Terminus »Geld« bezeichnet, sind nicht dieselben, die das Wesen des damaligen Reichtums ausmachten. Dass »der Reiche« im Mittelalter geboren wurde, wie ein japanischer Mediävist behauptet hat, erscheint mir fraglich, sicher ist allerdings, dass dieser Reiche mindestens genauso reich an Land, Menschen und Macht gewesen ist wie an ausgemünztem Silber.

Hinsichtlich des Geldes stellt das Mittelalter auf die lange Zeitspanne der Geschichte gesehen eine Phase der Regression dar. Geld war weniger wichtig, weniger präsent, als es das im Römischen Reich gewesen war, und von weit geringerer Bedeutung, als es das ab dem 16. und insbesondere ab dem 18. Jahrhundert sein würde. Geld war zwar eine Realität, mit der die mittelalterliche Gesellschaft immer stärker rechnen musste und die Formen anzunehmen begann, die ihm in der Moderne eignen werden, aber die Menschen des Mittelalters, einschließlich der Kaufleute, Kleriker und Theologen, hatten nie eine klare, einheitliche Vorstellung davon, was wir heute unter diesem Begriff fassen.

Zwei wesentliche Themen werden uns in diesem Essay beschäftigen. Welches Los war dem Münzgeld, oder besser: den vielen Münzsorten, in der Wirtschaft, im Leben, in der Mentalität des Mittelalters beschieden? Und wie wurde in dieser religiös geprägten Gesellschaft die von den Christen einzunehmende Haltung gegenüber Geld und seiner Verwendung aufgefasst und gelehrt? Mein Eindruck zum ersten Punkt ist, dass Münzgeld das gesamte Mittelalter hindurch eine seltene Erscheinung, vor allem aber von einer Grundherrschaft zur nächsten in jeweils unterschiedlichen Sorten in Gebrauch war und dass diese Uneinheitlichkeit eine der Ursachen dafür gewesen ist, weshalb sich eine Entwicklung in wirtschaftlicher Hinsicht so schwierig gestaltete. Was das zweite Thema anbelangt, ist zu beobachten, dass das Streben nach Geld und der Umgang mit Geld schrittweise eine Rechtfertigung und Legitimierung erfuhren, sowohl auf individueller als auch auf staatlicher Ebene, trotz der Vorbehalte seitens jener Institution, die Beschränkungen veranlasste und diese steuerte, der Kirche.

Mit Albert Rigaudière lässt sich noch einmal unterstreichen, wie schwer zu fassen dieses Geld ist, das hier untersucht wird: »Wer immer sich an einer Definition versucht, stets entgleitet sie. Geld ist Realität und Fiktion zugleich, Substanz und Funktion, Objekt und Mittel der Eroberung, der Gegenwert für Schutz und Ausschluss, Motor und Zweckbestimmung zwischenmenschlicher Beziehungen; es lässt sich nicht als ein großes Ganzes fassen, ebenso wenig, wie es sich auf eine einzelne Komponente reduzieren lässt.«3 Ich werde versuchen, diese Vielfalt der Bedeutungen des Geldbegriffs zu berücksichtigen und dem Leser zu verdeutlichen, in welchem Sinn er jeweils in diesem Essay Verwendung findet.

Untersucht man den Stellenwert des Geldes im Mittelalter, so kommt man nicht umhin, mindestens zwei große Zeiträume zu unterscheiden. Eine erste Zeitspanne, sagen wir von Kaiser Konstantin bis Franz von Assisi, also vom 4. bis etwa zum ausgehenden 12. Jahrhundert, als Silber seltener wurde und das Münzgeld beinahe verschwand, bis allmählich seine Rückkehr in Gang kam. Der soziale Rang innerhalb der Gesellschaft definierte sich damals in erster Linie über den Gegensatz von potentes und humiles, Mächtigen und Schwachen. Später dann, vom frühen 13. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, setzte sich das Gegensatzpaar dives–pauper durch, reich und arm. Die Revolutionierung der Wirtschaft und der Aufschwung der Städte, die Festigung königlicher Macht und die kirchlichen Predigten, insbesondere der Bettelorden, ermöglichten in der Tat, dass die Geldwirtschaft rasche Verbreitung finden konnte, wobei sie die Schwelle zum Kapitalismus noch nicht überschritt, wie mir scheinen will. Diese Entwicklung erfolgte, obwohl damals die freiwillig gewählte Armut aufkam und die Armut Jesu Christi mehr denn je hervorgehoben wurde.

Jetzt schon möchte ich auf zwei Aspekte der mittelalterlichen Geldgeschichte aufmerksam machen. Erstens gab es neben den Realwährungen im Mittelalter Rechnungswährungen, mittels derer die mittelalterliche Gesellschaft, zumindest in bestimmten Kreisen, auf dem Gebiet der Rechnungsführung eine Fertigkeit erreichte, die sie in ihren Wirtschaftspraktiken vorher nicht besessen hatte. Der Abakus, das Rechenbrett des Altertums, wurde im 10. Jahrhundert zu einer Tafel mit Zahlenkolonnen aus arabischen Ziffern weiterentwickelt. Im Jahr 1202 verfasste Leonardo Fibonacci, Sohn eines Zollbeamten der Republik Pisa in Bougie (heute Bejaja, Algerien), den Liber Abaci, in dem er eine für die Buchführung wesentliche Errungenschaft einführte: die Null. Fortschritte solcher Art wurden im Mittelalter ständig erzielt, sie mündeten 1494 in der Schrift Summa de arithmetica des Franziskanermönchs Luca Pacioli, einer Enzyklopädie der Arithmetik und Mathematik, die für den Kaufmannsstand bestimmt war. Zur selben Zeit verbreiteten sich in Deutschland die Nürnberger Rechenbücher.

Weil der Geldgebrauch immer an religiöse und ethische Regeln geknüpft war, möchte ich schon jetzt einige Texte vorstellen, auf die sich die Kirche für die Beurteilung, im Bedarfsfall auch für die Zurechtweisung oder Verdammung der Geldnutzer berufen hat. Sie stehen sämtlich in der Bibel, wobei diejenigen mit der größten Wirkungskraft im mittelalterlichen lateinischen Westen zumeist den Evangelien und seltener dem Alten Testament entnommen wurden, mit Ausnahme eines Satzes, dessen Resonanz bei den Juden ebenso groß war wie bei den Christen. Es ist folgender Vers aus dem Buch Jesus Sirach (31,5): »Wer das Gold liebt, bleibt nicht ungestraft, wer dem Geld nachjagt, versündigt sich.«4 Wir werden später sehen, wie die Juden gegen ihren Willen dazu gebracht wurden, dieses Diktum mehr oder weniger zu vernachlässigen, und wie das mittelalterliche Christentum es im Lauf seiner Entwicklung nuancierte, freilich ohne die darin angelegte pessimistische Grundhaltung gegenüber Geld verschwinden zu lassen. Für die Einstellung zum Geld waren folgende Texte aus dem Neuen Testament von besonderem Gewicht:

Matthäus 6,24: »Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben, oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.«5

Matthäus 19,23–24: »Da sagte Jesus zu seinen Jüngern: Amen, das sage ich euch: Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen. Nochmals sage ich euch: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.« Diese Sätze finden sich auch bei den Evangelisten Markus (10,23–25) und Lukas (18,24–25).

Im Lukasevangelium (12,13–22) wird das Anhäufen von Vermögen angeprangert, insbesondere in Vers 15: »Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.« Später werden die Reichen aufgefordert: »Verkauft eure Habe und gebt den Erlös den Armen!« (12,33) Schließlich wird die im Mittelalter viel zitierte Geschichte vom bösen reichen Mann und vom armen Lazarus erzählt (16,19–31). Während der Reiche in die Hölle kommt, wird Lazarus im Paradies empfangen.

Man ahnt, welche Resonanz diese Texte im Mittelalter gefunden haben. Auch wenn der unerbittliche Ton durch Neuinterpretationen abgemildert wurde, drücken sie im Kern aus, was das gesamte Mittelalter hindurch den ökonomischen und religiösen Kontext des Geldgebrauchs bildete: Verdammung der Habgier als Todsünde, Lob der caritas und schließlich – unter dem Aspekt des Seelenheils, das für die Männer und Frauen des Mittelalters von höchster Wichtigkeit war – Verherrlichung der Armen und Darstellung der Armut als ein von Jesus Christus verkörpertes Ideal.

Wenn wir nun die Geldgeschichte des Mittelalters mit Hilfe bildlicher Zeugnisse genauer betrachten, stellen wir fest, dass die mittelalterlichen Darstellungen, in denen Geld – zumeist in symbolischer Weise – gezeigt wird, immer negativ besetzt sind. Sie lassen die Absicht erkennen, den Betrachter einzuschüchtern, um ihn die Furcht vor dem Geld zu lehren. Die häufigste Darstellung ist eine Episode aus der Lebensgeschichte Jesu. Sie zeigt Judas, als er die 30 Silberstücke erhält, für die er seinen Meister an diejenigen verraten hat, die ihn kreuzigen werden. Im Hortus Deliciarum, einer berühmten, reich illustrierten Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, ist das Blatt mit der Darstellung des Judas, dem das Geld für seinen Verrat ausgehändigt wird, mit folgendem Kommentar versehen: »Judas gehört der übelsten Sorte Händler an, den Wucherern, die Jesus aus dem Tempel verjagte, denn sie setzen ihre Hoffnung in Reichtümer und wollen, dass das Geld siegt, herrscht, gefügig macht, und das ist ein Plagiat der Lobpreisungen zur Feier des Reiches Jesu Christi auf Erden.«

Das wichtigste Symbol für Geld in den bildlichen Darstellungen des Mittelalters ist der Geldsäckel, der einem reichen Mann um den Hals hängt und diesen in die Hölle hinabzieht. Diese mit Münzen gefüllte, fatale Geldbörse ist auf augenfälligen Skulpturen, Tympana und Kapitellen von Kirchen dargestellt. Und natürlich finden wir sie in der Hölle von Dantes Göttlicher Komödie wieder:6

So ging ich noch einmal zum letzten Saume

Von jenem siebten Kreise ganz alleine

Dorthin, wo die betrübten Seelen saßen.

Aus ihren Augen brachen ihre Schmerzen.

Sie kämpften überall mit ihren Händen

Bald mit dem Dampf, bald mit dem heißen Sande.

Nicht anders tun zur Sommerzeit die Hunde,

Die sich mit Schnauze oder Pfote wehren

Vor Flöhen, Mücken oder Bremsenstichen.

Als ich in einige Gesichter blickte,

Auf die das schmerzenvolle Feuer regnet,

Erkannt ich keinen, doch ich konnte sehen,

Ein jeder trug am Halse einen Beutel

Mit eignem Zeichen und mit eigner Farbe,

Und dieser schien ihm eine Augenweide.

Und als ich forschend unter sie getreten,

Da sah ich Blau auf einem gelben Beutel,

Das trug Gesicht und Haltung eines Löwen.

Dann, als ich weiter mit den Blicken schweifte,

Da sah ich einen andern, blutig roten,

Der zeigte eine Gans so weiß wie Butter.

Und einer, der mit einer dicken blauen

Sau seinen weißen Sack bezeichnet hatte,

Der sagte: »Was willst du in diesem Graben?

Scher dich hinweg, und weil du noch am Leben,

So wisse, dass mein Nachbar Vitaliano

Hier sitzen wird zu meiner linken Seite.

Bei Florentinern sitz ich Paduaner,

Und oft betäuben sie mir meine Ohren

Mit dem Geschrei: ›Der größte Herr soll kommen

Und seine Tasche mit drei Böcken bringen!‹«

Dann zog er schief das Maul und streckt’ die Zunge

Heraus, wie Ochsen, die die Nase lecken.

Aus Furcht, ich könnte durch Verweilen kränken

Den, der zuvor zur Kürze mich ermahnte,

Kehrt’ ich zurück von jenen müden Seelen.

1Das Vermächtnis des Römischen Reiches und der Christianisierung

Das Römische Reich vermachte dem Christentum eine bescheidene, aber ihre Spuren hinterlassende Münztätigkeit, die vom 4. bis zum 7. Jahrhundert durch einen stetigen Rückgang gekennzeichnet war. In einem ebenso berühmten wie umstrittenen Aufsatz hat der bedeutende belgische Historiker Henri Pirenne (1862–1935) die These vertreten, das Aufkommen des Islam im 7. Jahrhundert und die muslimische Eroberung Nordafrikas und Spaniens hätten dem Handel im Mittelmeerraum und den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Okzident und Orient ein Ende gesetzt. Indes, auch ohne die Übertreibungen der Gegenthese zu übernehmen, die von Maurice Lombard († 1964) formuliert wurde, der in der muslimischen Eroberung im Gegenteil einen Anreiz zur Erneuerung des Handels gesehen hat, muss man zugeben, dass der Warenverkehr zwischen dem lateinischen Westen und dem griechischen und besonders dem islamischen Osten nie ganz zum Erliegen gekommen ist. Der Osten leistete immer noch einen Teil der Bezahlung von Rohstoffen – besonders Holz, Eisen, Sklaven, die ihm der von Barbaren beherrschte, christianisierte Westen weiterhin lieferte – in Gold. Tatsache ist, dass im Westen allein durch den Fernhandel mit dem Orient ein gewisser Goldumlauf aufrechterhalten wurde: in Form von byzantinischen Münzen (Nomisma, im Westen Besant genannt) und islamischen Geldstücken (Dinar aus Gold und Dirham aus Silber). In begrenztem Umfang kamen die Herrscher des lateinischen Westens – bis zum Ende des Weströmischen Reiches die dortigen Kaiser und dann die Barbarenfürsten, die zu christlichen Königen und großen Grundherren geworden waren – so also zu einem gewissen Reichtum.

Der Niedergang der Städte und des Fernhandels führte zu einer Zersplitterung des lateinischen Westens, wo hauptsächlich die Besitzer großer Ländereien (villae) und die Kirche die Macht ausübten. Freilich gründete sich der Reichtum dieser neuen Machthaber im Wesentlichen auf dem Besitz von Land und Menschen, die Leibeigene geworden waren oder Bauern mit beschränkter Autonomie. Die Bauern hatten Frondienste und Naturalabgaben zu entrichten, zu einem kleinen Teil auch Bargeld, das sie sich auf den noch wenig entwickelten lokalen Märkten beschafften. Die Geldeinkünfte der Kirche und besonders der Klöster aus dem zum Teil in barer Münze entrichteten Zehnten und der Bewirtschaftung der Ländereien wurden überwiegend gehortet. Aus den Geldstücken oder den darin enthaltenen Edelmetallen sowie aus Gold- und Silberbarren wurden Goldschmiedearbeiten gefertigt, die in den Schatzkammern der Kirchen und Klöster unter Verschluss gehalten wurden und eine Art Geldreserve darstellten: Im Bedarfsfall wurden diese Gegenstände zum Zweck der Münzherstellung wieder eingeschmolzen. Diese später auch von den großen Grundherren sowie den Königen ausgeübte Praxis unterstreicht den relativ schwachen Geldbedarf der Menschen im Mittelalter. Zudem beweist sie, wie Marc Bloch treffend bemerkt hat, dass der Arbeit des Goldschmieds und der Schönheit der von ihm gefertigten Gegenstände im frühen Mittelalter kein Wert beigemessen wurde. Die Knappheit von Münzgeld – als Mittel zum Reichtum wie als Mittel zur Macht – gehört zu den charakteristischen Schwächen der Ökonomie des Frühmittelalters. Denn, wie wiederum Marc Bloch in Esquisse d’une histoire monétaire de l’Europe7unterstreicht: Tatsächlich haben die erkennbaren Schwächen der Geldwirtschaft das Wirtschaftsleben beherrscht. Sie waren Symptom und Folge zugleich.

Zu jener Zeit also kennzeichnete eine sehr weit reichende Aufsplitterung in lokale Märkte die Münzherstellung und den Münzgebrauch. Wir verfügen noch über keine detaillierte Studie sämtlicher Münzprägestätten, wenn das überhaupt möglich sein sollte.

Die Menschen im Frühmittelalter, die immer weniger von Silbermünzen Gebrauch machten, behielten zunächst die Gepflogenheiten der Römer bei und kopierten sie dann. Die Geldstücke wurden mit dem Konterfei des Kaisers versehen, der Solidus blieb die wichtigste Goldmünze im Handelsverkehr, allerdings kam schon bald der Tremissis – das Drittel des Solidus – als Antwort auf den Rückgang von Produktion, Konsum und Handel in Umlauf und verdrängte den Solidus als wichtigste Goldmünze. Für diesen anhaltenden Gebrauch antiker römischer Münzen gab es mehrere Ursachen. Bevor die Barbaren Teil der römischen Welt wurden und christliche Reiche bildeten, prägten sie, mit Ausnahme der Gallier, selbst keine Münzen. Eine Zeit lang war das Münzgeld eines des wenigen Instrumente zur Wahrung einer Einheit, weil es im gesamten ehemaligen Römischen Reich in Umlauf war.

Schließlich bot die Schwäche der Wirtschaft keinen Anreiz für die Schaffung von Währungen. Ab dem 5. Jahrhundert – der Zeitpunkt ist bei den einzelnen Völkerschaften unterschiedlich und von der jeweiligen Gründung der Reiche, Königtümer etc. abhängig – eigneten sich die Barbarenherrscher schrittweise die Machtinstrumente der römischen Kaiser an und beendeten das Monopol, das der Kaiser beansprucht hatte. Bei den Westgoten wagte es Leovigild (569–586) als Erster, Tremisses mit seiner Titulatur und seinem Abbild auf der Vorderseite auszugeben; diese Form der Münzprägung dauerte bis zur arabischen Eroberung im 8. Jahrhundert an. In Italien führten die Ostgoten unter Theoderich dem Großen und seinen Nachfolgern die römische Tradition fort; bei den Langobarden, die sich vom konstantinischen Vorbild lossagten, setzte die Prägung von Münzen – Solidi von geringerem Gewicht – unter dem Namen ihres Königs erst unter Rothari (636–652) und Liutprand (712–744) ein. In Britannien wurden, nachdem die Münzprägung um die Mitte des 5. Jahrhunderts ausgesetzt hatte, erst am Übergang vom 6. zum 7. Jahrhundert in Kent Goldmünzen nach römischem Vorbild ausgegeben. Um die Mitte des 7. Jahrhunderts wurden die Goldmünzen durch Silbermünzen, die Sceattas, abgelöst. Seit dem ausgehenden 7. Jahrhundert versuchten die Könige der verschiedenen angelsächsischen Kleinkönigtümer das Monopol zu ihren Gunsten wiederherzustellen, was in Northumbria, Mercia und Wessex unterschiedlich schnell erfolgte und sich unterschiedlich schwierig gestaltete. Der Name des Geldstücks, das in Mercia unter König Offa (796–799) aufkam, sei hier genannt, weil ihm eine glorreiche Zukunft beschieden war: der Penny.

In Gallien setzten die Nachfolger Chlodwigs ihren Namen zunächst auf Kupfermünzen, die dort weiterhin ausgegeben wurden. Dann ließ einer von ihnen Silbermünzen unter seinem Namen schlagen: Theuderich I., von 511 bis 534 König von Austrasien. Das eigentliche königliche Münzmonopol war jedoch mit der Goldmünzenprägung verknüpft. Als erster fränkischer König war Theuderichs Sohn Theudebert I. (534–548) so kühn – um es in Marc Blochs Worten zu sagen –, dies in Anspruch zu nehmen. Doch in Gallien wie in den anderen Königtümern verschwand das königliche Monopol bald wieder. Ab Ende des 6. Jahrhunderts und allgemein zu Beginn des 7. Jahrhunderts erschien auf den Münzen nicht mehr der Name des Königs, sondern des Münzers, also des autorisierten Herstellers von Münzgeld. Diese nahmen an Zahl stetig zu; es waren Hofbeamte, Kirchen, Bischöfe, Besitzer großer Ländereien oder in Städten Goldschmiede. Es gab sogar umherziehende Münzer. Allein für Gallien schätzt man die Zahl der Münzer, die Tremisses prägten, auf über 1400. Wie im Römischen Reich wurden drei Metallsorten für die Münzprägung verwendet: Bronze oder Kupfer, Silber sowie Gold. Allerdings weisen die Chronologie und die Kartographie der Prägetätigkeit nach Metallarten große Lücken auf, weshalb wir das im Einzelnen, wie Marc Bloch betont hat, nur schwer nachvollziehen können. Mit Ausnahme von England, wo hauptsächlich Kupfer- und Bronzemünzen in Umlauf waren, wurde von Gold zunächst reger Gebrauch gemacht, bevor ein deutlicher Rückgang einsetzte. Im Übrigen diente Gold, oder genauer: der Solidus weiträumig als Rechnungswährung – außer bei den Saliern. Und schließlich fand Marc Bloch zufolge eine Silbermünze, die schon im Römischen Reich geprägt worden war, im »barbarischen« Frühmittelalter verbreitete Verwendung als Rechnungsmünze; auch sie sollte eine große Zukunft haben: Es war der Denar.

2Von Karl dem Großen bis zum Feudalismus

Die Vielzahl von Münzsorten und die Schwankungen des Wertverhältnisses zwischen Gold und Silber erschwerten die Verwendung von Bargeld im Frühmittelalter in hohem Maß. Karl der Große setzte dieser Verwirrung ein Ende und schuf in seinem Reich eine erheblich besser geordnete Währungslandschaft. Die Reform war übrigens schon ab 755 unter seinem Vater Pippin dem Jüngeren in die Wege geleitet worden. Marc Bloch zufolge basierte sie auf den folgenden drei Prinzipien: Die Prägetätigkeit fiel wieder in die Zuständigkeit des Königreichs; das Verhältnis zwischen dem nun als reale Münze vorhandenen Denar und dem Solidus wurde neu bestimmt; und die Goldmünzenprägung wurde ausgesetzt. Auf eine Epoche des Bimetallismus mit Gold und Silber folgte eine Epoche des Silber-Monometallismus.

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