Gelebte Gegen-Sätze - Johannes Ludwig - E-Book

Gelebte Gegen-Sätze E-Book

Johannes Ludwig

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Beschreibung

Gott hat Langeweile! Assistiert von seinem Erzengel Gabriel erschafft er - in zwei Anläufen - die Welt. Er stößt dabei auf ein Phänomen, das sich ihm erst so nach und nach erschließt: Den Unterschied. Um über die Vielfalt und Wirkung der Unterschiede, Gegensätze und Kontraste mehr zu erfahren, beauftragt er Gabriel mit der Auswahl und Beobachtung eines Menschen. Und ab hier beschreibt das Buch den Weg eines Geschöpfes, um den sich ein suchender Pfad Gottes windet. Man kann es auch so sagen: Der Mensch sucht in Gottes Schöpfung die Unterschiede zu begreifen, und Gott die Unterschiede in den Menschen. Natürlich steht Gott in seiner ganzen Souveränität über den Dingen. Aber da ist auch Gabriel in seiner Unbekümmertheit, mal naiv, mal ein wenig keck, aber trotz aller Anwandlungen immer loyal zu seinem Gott stehend. Wenn er auch hin und wieder penetrant das Ziel zu verfolgen scheint, Gott zu ein wenig mehr Hilfe für den Menschen herauszufordern. Im Gegensatz dazu der Mensch - eingebettet in Freud und Leid, eingeengt zwischen Leben und Tod - nicht ahnend, dass er den Stoff bietet für dieses »Himmlische Forschungsprojekt«. Und da ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das Buch seine Wirkung aus der Gegensätzlichkeit von Humor und Ernsthaftigkeit, aus Freude und Leid, aus Sieg und Niederlage bezieht. Es will die Vergangenheit als Wurzelgrund erklären, ein wenig mehr Sinn, Zuversicht und Freude für die Gegenwart stiften und nachhaltig in die Zukunft ausdehnen. Ein lebendiger Brückenschlag zwischen Kunst und Realität.

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Johannes Ludwig: Gelebte Gegen-Sätze

Johannes Ludwig

Gelebte Gegen-Sätze

Tredition

2018 © Johannes Ludwig

Cover-Gestaltung: Johannes Ludwig

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISDN 978-3-7469-4004-5 (Paperback)

ISDN 978-37469-4005-2 (Hardcover)

ISDN 978-3-7469-4006-9 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Prolog Langeweile

Das Projekt »Mensch«

Irren ist auch göttlich

Schöpfung 2.0

Zwischenbilanz

Gelebte Gegen-Sätze Die Zäsur

Rapport 1

Harte Zeiten

Rapport 2

Die goldenen Fünfziger

Rapport 3

Diese vielen Fragezeichen

Der Start

Rapport 4

Einer, der auszog

Kennenlernen

Der Mensch denkt,

Rapport 5

Familie und Beruf

Rapport 6

Weichenstellung

Bunt ist das Leben

... aber manchmal auch eine Achterbahn

Rapport 7

Der Gipfel

Rapport 8

Der Absturz

Beschleunigter Fall

Der Aufprall

Rapport 9

Der absolute Nullpunkt

Notfall-Rapport

Der absolute Nullpunkt – Fortsetzung

Rapport 10

Reisen in die Vergangenheit

Rapport 11

Das Leben geht weiter

Phönix aus der Asche

Ein kleines Zwischenhoch

Rapport 12

Das vorläufige Ende

Der Albtraum

Die Erfindung der Gegenwart

Rapport 13

Biografie

Meinen drei Enkeln gewidmet

PrologLangeweile

Er schien Kopfschmerzen zu haben.

Eine gefühlte halbe Ewigkeit brütete er schon über einer Kritik, die ich ihm vorgetragen hatte. Behutsam, wie es meine Art ist, hatte ich von einer doch nun schon lang anhaltenden Ereignislosigkeit gesprochen. Zuerst hatte er aufbrausen wollen, denn, in einem Paradies leben und nörgeln wollen – das ging einfach nicht. Sein Reich mit Webfehlern? Das könne er nicht dulden. Dann aber, als er sehr wahrscheinlich daran dachte, dass ich mich schon oft als hervorragender Beobachter erwiesen hatte, beruhigte er sich und meinte, bei Gelegenheit einmal gründlich darüber nachdenken zu wollen.

Früher oder später müsste wirklich wieder einmal etwas geschehen, denn so wie jetzt, konnte es tatsächlich nicht weitergehen. Aber, war ich nicht glücklich und froh gewesen, als er einst den Idealzustand für sich und die Seinen gefunden hatte? »Stillstand ist Rückschritt«, hätte ich ihm beinahe gesagt. Aber was, um Himmelswillen, sollte er ändern – und warum? Hatten wir nicht alles, was wir brauchten? Waren wir vielleicht durch die Gewohnheit, dass alles recht gut lief, zu träge geworden, zu anspruchslos? Aber, was heißt schon ›lief‹ – es lief eben gar nichts, es stand vielmehr alles still. ›totenstill‹, hatte ich sogar zu sagen gewagt, weshalb er mir einen Verweis hatte erteilen müssen.

»Hier bei uns ist das Wort ›tot‹ tabu, es existiert einfach nicht« Und er hatte dazu eine wegwerfende Handbewegung gemacht.

»Was bringt Dich eigentlich dazu, ein Wort zu benutzen, das ich ignoriere?!«

»Entschuldige bitte, aber hast Du nicht selbst gesagt, ›Am Anfang war das Wort und das Wort war...‹«

»Was hat das denn damit zu tun?«, war er mir erregt ins Wort gefallen. »Ist Dir überhaupt klar, was es heißt, ein neues Wort v o r mir zu benutzen?«

»Ja, ja,« sagte ich beschwichtigend, »ich weiß, das gehört sich nicht, aber ich kenne auch Deine Vorliebe für neue Wörter. Jedoch war ich mit meinen Untersuchungen noch nicht ganz so weit, Dir Meldung zu machen. Das Ergebnis hätte ich Dir dann natürlich auf dem Silbertablett präsentiert.«

»Mit welchen ›Untersuchungen‹?« Misstrauen und Neugier hielten sich in etwa die Waage und eine senkrechte Stirnfalte zeigte sich über seiner Nasenwurzel. »Also, Dir scheint doch ganz allgemein das ›Wort‹ sehr wichtig zu sein. Und so habe ich, obwohl ich eigentlich mit Organisationsfragen beauftragt bin, aber durch das immer gleichbleibende und langweilende Zeremoniell ...« mein Gegenüber zeigte eine deutliche Gebärde der Ungeduld »... und so habe ich nach einem Wort gesucht, das unsere Situation treffend beschreibt. Sieh Dir nur mal dieses Wort totan. Am Anfang und am Ende jeweils ein Kreuz, und dazwischen eine in sich kreisende Linie – ein Zeichen für das Fehlen jeglicher Entwicklung – dafür pure Langeweile! Aber, zugegeben, irgend etwas stört mich noch. Um dieses Wort zu aktivieren, fehlt vielleicht der Bezug, eine Art Maßstab ...« Ich war kurz davor, in Gedanken zu versinken ... Und so bekam ich nur undeutlich mit, als Gott mit nachdenklich verhaltener Stimme anmerkte, dass er das Kreuz für zu schade halte, einen so negativen Sachverhalt zu kennzeichnen. Liegend zeige dieses Zeichen in alle Himmelsrichtungen und stehend schien es in dem Grund fest verwurzelt zu sein, während seine beiden ausgebreiteten Arme die Welt anscheinend umfangen wollten ... Für dieses Zeichen ließe sich vielleicht einmal eine bessere Verwendung finden ...

Aber zurück zum Thema. Zum Problem, genauer gesagt. Gott saß da, in sich zusammengesunken. Er schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Was hatte Gabriel mit der extremen Stille – er vermied das Wort ›tot‹, um nicht wieder in diese Verstimmung zurückzufallen – gemeint. Er liebte doch diesen Zustand, in dem er der Mittelpunkt des Seins und des Drumherums war; er war sogar das Sein selbst. Er ruhte in sich selbst – war das nicht das erstrebenswerte Ziel allen Seins? Dieses Fehlen jeglicher Einschränkung hatte doch ihr Gutes. Es gab einfach nichts Besseres. Ruhe und Zufriedenheit. Zudem hatte er seine himmlischen Heerscharen, die ihm jegliche Arbeit abnahmen. Zugegeben, diesen kleinen Unterschied musste er nun wirklich machen; er war nicht nur das Zentrum des Seins, sondern auch ein guter Arbeitgeber, da war diese Stufe doch wohl zu akzeptieren. Auch hatte sich noch nie jemand darüber beschwert. Das heißt, mit einer Ausnahme; seinerzeit hatte – wie war noch gleich sein Name? – ach ja, Lucifer – also, Lucifer hatte diesen Unterschied für sich nicht akzeptieren wollen. Er hätte von dieser Revolte vielleicht gar nichts bemerkt, wenn Gabriel nicht mit dieser trompetenhaften Stimme dem Aufmüpfigen die Worte »Wer ist wie Gott?!« entgegengeschmettert hätte. Damit war Lucifer eliminiert und die Arbeit der Heerscharen nahm wieder einen normalen Verlauf. Aber was heißt schon Arbeit – eigentlich konnte man das Jubilieren und Lobsingen auch nicht Arbeit nennen. Die einmal erlernten Lieder galten für immer, das Lernen neuer entfiel also. Und für die allgegenwärtigen Harfenspieler hatte er den erleichternden Schichtdienst eingeführt. Was wollte man mehr? Gut, die Langeweile war ein Problem. Und wenn einmal einer der Engel ein Nickerchen während der Dienstzeit machte, hatte er schon mehrfach ein Auge zugedrückt. Er musste ja schließlich selbst mit einer gewissen Antriebsschwäche kämpfen, wenn er sich gegen die Eintönigkeit zu wehren hatte. Die Langeweile schien sich immer mehr als die eigentliche Ursache für diese unbefriedigende Situation herauszuschälen. Er musste noch einmal mit Gabriel darüber sprechen, also wandte er sich an ihn. »Mein lieber Gabriel, was hast Du mit dieser tot..., ich meine, enormen Stille eigentlich gemeint? Freust Du Dich denn nicht über die wohltuende Ruhe, in der wir sind? Ist diese friedvolle Existenz nicht voller erbaulicher Harmonie? Ist es nicht ein wenig undankbar, sich über einen so gnadenreichen Zustand zu beklagen?« Ich rieb und knetete meine Nasenwurzel. War das echtes Interesse oder wieder einmal die Einleitung zu einer Strafpredigt? Fehlende Dankbarkeit? Hatte ich mich mit meiner Kritik zu weit vorgewagt?

Ich hatte ja gleich ein ungutes Gefühl gehabt. Was nun, sollte ich einen Rückzieher machen oder einen Anraunzer riskieren?

»Nun?«

»Hm, es ist so ...«, begann ich stotternd, »ich stehe mit meiner Kritik nicht allein da ... .« Entsetzt nahm ich wahr, wie Gott seine Brauen hob und sich etwas vorbeugte, »ich war neulich zu einer Versammlung der Cherubinen und Seraphinen eingeladen ...«, mein Gott, was mache ich da, jetzt ziehe ich die Ärmsten auch noch mit hinein – »und dort wurden Stimmen laut, die ein Ende der ewigen Langeweile forderten, oder, wenn das nicht möglich sei, ein Ende der jetzigen Ewigkeit.«

»Bist Du nicht ganz bei Trost?«, herrschte Gott mich an. »Weißt Du denn nicht, dass es nur e i n e Ewigkeit gibt?«

»Nun ja, aber es heißt doch in dem einen Gebet: ›Von Ewigkeit zu Ewigkeit‹. Also gibt es mindestens zwei!«

»Was soll man nur dazu sagen!« Gott unterdrückte ein Schmunzeln und betont pädagogisch führte er aus: »Gabriel, natürlich gibt es nur eine Ewigkeit. Wenn es heißt ›von Ewigkeit zu Ewigkeit‹ will man doch nur die unermessliche Ausdehnung derselben unterstreichen. Als würde eine ausgesprochene ›Ewigkeit‹ nicht ausreichen, die Länge der Dauer zu beschreiben. Verstehst Du?«

»Ah ja, so wie ›weißer Schimmel.‹«

»Was ist jetzt wieder ›Schimmel‹?«

»Ach, nichts. Du weißt doch – ich spiele so gern mit Wörtern. Es ist quasi mein Steckenpferd.«

»Steckenpferd ...?« Sichtlich irritiert, machte Gott eine unwillige Geste, fuhr dann aber fort: »Schluss mit der Spielerei! Ich wollte mit Dir noch einmal – ernsthaft – «, und dabei schaute er mich streng an »über Deine Kritik an unserem Zustand sprechen. Seid Ihr alle wirklich so unzufrieden mit den Verhältnissen?«

»Es geht uns weniger um uns, sondern um Dich, um Dein Wohlbefinden.« Gott schaute überrascht auf. »Wir merken doch alle, dass Dir etwas fehlt. So wie es jetzt ist, so ist es schon seit Ewigkeiten...« Erschrocken hielt ich inne, doch Gott schien sich nicht an die ›zwei‹ Ewigkeiten zu erinnern, »und es muss doch schließlich eine Möglichkeit geben, Dich aufzumuntern.« Gott schien gerührt.

»Du denkst also, wir sollten uns etwas einfallen lassen, das unsere Existenz interessanter macht?«

Ich nickte.

»Mehr, als nur geänderte Musizierzeiten?«

Ich nickte.

»Mehr, als nur einen Tapetenwechsel, wie man so sagt?«

Ich nickte

»Mehr, als ein paar Engel zusätzlich?«

Ich nickte.

Gott lehnte sich zurück, schloss die Augen und dachte eine Weile nach. Dann blinzelte er zu mir herüber und sagte: »Und so, wie ich Dich kenne, hast Du auch schon die eine oder andere Idee, stimmt’s?« Diesmal zögerte ich mit dem Nicken – schon zu oft hatte ich erleben müssen, dass ich zu spontan war und ausgebremst wurde – ich gab mir also den Anschein, intensiv nachzudenken und sagte dann vorsichtig: »Ich weiß ja nicht, wie viel Du zu investieren gedenkst ... wie tiefgreifend die Änderungen sein dürfen ...«

»Mir ist schon klar, dass es mit einem make up nicht getan ist. Und der Friede im Haus ist mir einiges wert. Du kannst also frei von der Leber weg reden. Was schlägst Du vor?« Befreit atmete ich auf, zog ein paar Notizzettel hervor und begann: »Also, ich habe mir gedacht, dass man etwas machen sollte, was in einem deutlichen Unterschied zu uns steht. Denn, sieh mal, das Einzige, das bei uns aus dem Einerlei ein wenig herausragt, ist der Unterschied zwischen Dir und uns.«

»Du meinst also«, und dabei beugte Gott sich etwas vor und sprach mit leicht verschwörerischer Stimme, »wir sollten eine weitere, eine tiefere Stufe unter uns ansiedeln – mit anderen Wesen, mit ... Unterengeln oder etwas Ähnlichem?« Ich jubelte innerlich. Genau so hatte ich mir die Einstellung Gottes zu meinem Projekt gewünscht. Jetzt konnte ich den nächsten Schritt wagen. »Ja, genau, das ist eine gute Idee, und man könnte ...«, heiß fiel mir ein, dass ich nicht einerseits Gott meine als seine eigene Idee unterschieben und dann andererseits – welch ein Zufall aber auch –spontan den Namen parat haben kann. »Man könnte dann auch in aller Ruhe sich über den Namen dieser neuen Spezies Gedanken machen.« nahm ich gerade noch rechtzeitig die Kurve. »Hm, die Idee ist nicht schlecht, obwohl ... da kommt eine Menge Arbeit auf uns zu. Diese neuen Wesen müssen aus dem Nichts erschaffen werden. Und nicht nur sie selbst, sondern ein spezifisches Umfeld, das ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.«

»Da helfe ich mit Freuden mit ... wenn es Dir recht ist.«

»Und ob es mir recht ist; ohne Dich wäre ich ja völlig aufgeschmissen. Wenn ich allein an die Erschaffung dieses neuen Wesens denke.« Gott dachte angestrengt nach. »Wo soll es überhaupt wohnen? Etwa bei uns? Kommt überhaupt nicht in Frage!« Betretene Stille. In mir machte sich Panik breit. Sollte meine Idee an einer fehlenden Wohnung scheitern? Gott in Gedanken – und mir fiel nichts ein. So ähnlich war es auch damals gewesen, als die Eliminierung Luzifers beinahe an der Beseitigung seiner Hülle gescheitert wäre. Gott hatte seinerzeit darauf bestanden, dass er die Genehmigung zur Auslöschung Luzifers von der Beseitigung sämtlicher Reste seiner Gestalt abhängig machen müsse. Aber, ohne zu sagen – wie. Wohin mit der Hinterlassenschaft Luzifers? Es gab keine himmlischen Mülldeponien und keinen Boden, in dem er hätte begraben werden können. Und dann, nach langem, langem Nachdenken präsentierte ich eine Idee, an der auch Gott letzten Endes Gefallen gefunden hatte. Wir vermengten die schwärzlichen Reste Lucifers mit Sesam-Öl, schrieben damit Luzifers Namen – so oft die Farbe reichte – auf ein Blatt Papier, zündeten es an und verglühten es rückstandslos. Aber jetzt hatten wir eine viel härtere Nuss zu knacken. Und möglichst bald. Wenn mir nicht bald etwas einfiel ... »Heureka!«, rief Gott, »ich hab’s.«

›Heureka‹ dachte ich, wie kam Gott denn nur zu diesem neuen Namen? Verbale Kreativität, dazu noch auf völligem Neuland, war doch noch nie seine Stärke. Klang irgendwie modern und ... »Gabriel, ich hab’s! Ich weite einfach mein Sein aus – besonders nach unten natürlich, von wo uns niemand stört. Man weiß ja nicht, was aus so einem neuen Wesen wird. Womöglich ein Krakeler, ein Wichtigtuer, ein ... was weiß ich? Außerdem können wir es von hier gut beobachten. Was meinst Du?«

Gott schaute mich erwartungsvoll an. Und ich war begeistert. »Super Idee, Du könntest ihm beispielsweise eine kleine Kopie unseres Paradieses einrichten und ...«

»Moooment!« rief Gott, »wir wollen nichts überstürzen. Was wir allerdings schon beginnen können, das ist die Ausweitung des Seins, denn wie auch immer wir das Wesen und seine Umwelt gestalten – wir brauchen Platz, viel Platz!«

Das Projekt »Mensch«

Während sich der Raum rasend schnell erweiterte, bemerkte Gott, dass dieses Gefühl der Enge, ja, der Einschnürung, welches er, als es noch da war, gar nicht so deutlich gespürt hatte, jetzt aber, wo es zunehmend verschwand, im Nachhinein als bedrückend empfand. Er stufte diesen befreienden Vorgang als gutes Omen ein. Ein hervorragender Beginn, dachte Gott und überlegte sich das weitere Vorgehen. Eigentlich müsste er jetzt an die Schaffung des neuen Wesens herangehen. Wie sollte es aussehen, welche Eigenschaften sollte es haben, welches Umfeld sollte er ihm zur Verfügung stellen, dass es sich darin wohlfühlen könnte. Was die ersten beiden Punkte betraf, könnte er sich durchaus vorstellen, ihn nach seinem Bilde zu gestalten. Aber nicht zu sehr, denn auch Gabriel hatte ja richtigerweise auf den Zusammenhang zwischen Unterschied und Seinsqualität hingewiesen. Folglich sollte der Unterschied nicht zu klein ausfallen.

Auch Engel wollte er ihm keinesfalls an die Seite stellen. Im Gegenteil; im Schweiße seines Angesichtes sollte es seine Existenz sichern. ›Existenz sichern‹ , dachte er – was heißt denn das eigentlich? Schwitzen heißt arbeiten, aber wozu? – ja, jetzt hatte er es: Das Wesen musste essen, um zu überleben. Und das Essen müsste es sich beschaffen, also erarbeiten. Und die Nahrungssuche würde es dazu bringen, immer bessere Strategien zu entwickeln, zu lernen, auszuprobieren ... Und das zu beobachten, freute er sich schon jetzt, und ein Schmunzeln überflog sein Gesicht.

Essen – das war ja schon wieder ein neues Problem! Sollte das Wesen eine Art Brei aus der himmlischen Küche beziehen?

›Essen auf Rädern‹ musste Gott unwillkürlich denken, aber da fiel ihm ein, dass das Rad ja noch nicht erfunden worden war. Gut, statt der Räder konnte man auch Flügel einsetzen, denn ... Gott schlug sich mit dem Handballen an die Stirn ... das musste ja sowieso sein, denn wie wollte man den Abstand zwischen Himmel und Erde ... oder mit dem Fallschirm? Aber wie wollte man sicherstellen, dass der Fallschirm mit dem Essen nach unten sank, dazu zielgerichtet auf das neue Wesen? Selbst wenn das glückte – war es bis dahin nicht längst kalt geworden? Die Sache schien ihm über den Kopf zu wachsen und er beschloss, eine Liste mit allen offenen Problemen anzulegen. Er musste schließlich den Überblick und einen kühlen Kopf behalten. Außerdem, wie sollte das neue Wesen – bei diesem komfortablen Service – ins Schwitzen kommen, beim Essen vielleicht? Es fiel ihm die Redensart ein: ›Das sind die Richtigen, die beim Arbeiten frieren und beim Essen schwitzen!‹ Bis jetzt sah er nur einen schwitzen – sich selbst. Denn, er musste nicht nur das neue Wesen erschaffen, sondern jetzt auch noch seine Nahrung. Und wer wusste schon, wie viel das sein würde. Nein, da musste noch eine bessere Lösung gefunden werden. Er riss sich los von der Vorstellung, was dieses neue Wesen alles an Überraschungen und Neuigkeiten mit sich bringen würde. Statt dessen überlegte er, wie er dieses Geschöpf herstellen könnte. Vielen Anforderungen musste es gerecht werden. Eines stand fest, Sein Wesen durfte nichts mit seiner und der Engel transzendenter Geistigkeit zu tun haben, sondern es musste ein völlig neuer Aggregatzustand sein, vielleicht eine feste Substanz. Die ließe sich auch besser kontrollieren. Eine Weile dachte er darüber nach, ob sich nicht die Erschaffung eines Un-Wesens anbieten würde. Aber das wäre dann nicht mehr ein Unterschied, es wäre sogar ein Gegensatz zu ihm selbst. Und ein Gegensatz war ihm einfach zu riskant. Da könnte die Harmonie zu Schaden kommen. Schon seit Langem hatte er damit geliebäugelt, zu seinem Sein eine Alternative zu entwickeln – und da bot es sich nun wirklich an, diesen Schritt jetzt zu wagen und endlich die ›Materie‹ zu schaffen. Ja, das war gut, so hatte er endlich einen Grund für diese Neuerung, anstatt lediglich ins Blaue hinein zu experimentieren. Außerdem war hiermit ein weiteres Problem gelöst, das der Unterscheidung. Hatten sie nicht selbst erlebt, dass ein Unterschied das Sein interessanter macht? Er nahm sich vor, bei dieser ganzen Schöpfungsgeschichte immer daran zu denken: Der Unterschied macht das Sein interessanter, bei Gleichheit droht Langeweile. Und dieser große Unterschied, der zwischen ›nichtmateriell‹ und ›materiell‹ besteht, war gewissermaßen der Garant dafür, dass das Sein ›seins-werter‹ werden würde. Das berechtigte doch zu den größten Hoffnungen, und Gott rieb sich erwartungsfroh und vergnügt die Hände. Er würde zunächst einmal eine Art Grundsubstanz brauchen, und zwar ziemlich viel davon. Aus diesem Stoff könnte er auch das neue Wesen formen, obwohl ihm das Manschen mit Erde und Wasser eigentlich zutiefst zuwider war ... Er fuhr in freudigem Schreck zusammen — hatte er nicht gerade zwei neue Namen entdeckt, einen für das Wesen und einen für sein Umfeld? Aus ›Manschen‹ könnte man ›Mensch‹ ableiten und aus dem Material Erde den Namen ›Erde›, und zwar für den Haufen, auf dem der Mensch hausen sollte. Und diese Erde könnte in dem geschaffenen Raum ... »Um Himmelswillen, Gabriel ... Gabrieeel!« Sofort war ich zur Stelle. »Wir müssen sofort die Ausweitung des Raumes stoppen!!! Wie weit hat er sich überhaupt schon ausgedehnt?«

»Ich weiß es nicht – Mathias, der Engel mit den mathematischen Kenntnissen, versucht es gerade auszurechnen. Aber es geht rasend schnell, und wir alle haben schließlich keine Ahnung von dieser ganz neuen Dimension. Aber er tut, was er kann.« Inzwischen hatte sich Gott wieder beruhigt. »Wenn er fertig ist, soll er sich sofort bei mir melden.«

»Übrigens,« sagte er, »ich weiß, wie wir das neue Wesen nennen werden: ›Mensch‹.« Kurz erklärte er, wie er darauf gekommen war. Ich war enttäuscht, zumindest hätte ich mir einen würdigeren, zum Beispiel einen englischen Namen gewünscht. Gott schien meine Gedanken erraten zu haben »Komme mir jetzt bitte nicht mit ›People‹« Mir fiel die Kinnlade herunter – sollte das ein Witz sein? Aber, ungerührt und ohne mit der Wimper zu zucken, sprach Gott weiter: »Und der Name des Bodens, auf dem der Mensch lebt, heißt so wie der Stoff, aus dem er gemacht ist: ›Erde‹.« Damit hingegen war ich zufrieden.

Irren ist auch göttlich

Staunend hörte ich Gottes Instruktionen. Hatte er wirklich an alles gedacht? Steckte nicht der ›Unaussprechliche‹ – sein wahrer Name durfte nicht genannt werden – im Detail? Als ich nachfragte und einige Unklarheiten gezielt ansprach, bekam ich Antworten. »Sieh mal, Gabriel, es ist doch so: Die Welt kann nicht an einem Tag erbaut werden; dazu brauchen wir einen langen Atem – und einen Plan. Ich habe mir gedacht, dass wir das ganze Projekt in Stufen anlegen. Und, damit wir nicht vorzeitig in einer Sackgasse landen, werden wir zunächst einen, na, sagen wir – Laborversuch machen. In einem bestimmten Maßstab, verstehst Du?«

»Mein Gott, ich bin beeindruckt« Das war ich wirklich. Er schien an alles gedacht zu haben. »Und wo soll dieses Labor sein?«

»In unserem Koordinatensystem ist es der etwas abgelegene Ort B36/H9/T214.«

»Hast Du Dir das gut überlegt? So viel ich weiß, sind H8 bis H10 für Engel gesperrt. Und die sollen doch sicher helfen?!«

»Ja, aber doch erst bei der Ausführung dieses Entwurfs. Das Modell bauen allein wir beide. Und ich will keine Zuschauer, die sich womöglich noch zu Verbesserungsvorschlägen hinreißen lassen; das hätte mir noch gefehlt!« Ich war zutiefst angerührt von dieser Entscheidung Gottes. Ich, nur ich, war in die Pläne Gottes eingeweiht – »Komm«, sagte Gott und führte mich zu dem etwas abseits gelegenen Standort B36/H9/T214. »Ziemlich düster hier«, gab ich zu bedenken.

»Das wird sich gleich ändern«, meinte Gott, streckte seinen Körper, so dass er in makelloser Symmetrie aufrecht stand, breitete die Arme aus ...« – übrigens ziemlich theatralisch, wie ich fand – ... und sprach: »Es werde Licht!«

Sofort knisterte es, zum Knistern gesellte sich ein Flackern und, siehe da – es ward Licht. Auch Gott strahlte, und ich nahm das alles verblüfft zur Kenntnis. »So«, sagte Gott, eigentlich war das schon die erste Stufe. Ich muss mir nur noch überlegen, ob ich unserem Menschen das Licht nicht auch zur Zeiteinteilung gebe ...«

»Das mit dem Licht war super!« sagte ich noch immer staunend. »Aber was meinst Du mit ›Zeiteinteilung‹? Er kann doch mit seiner Zeit machen, was er will. Und ist es nicht außerdem gleichgültig, wann er was macht?«

»Ja, schon, aber erstens wird ein Mensch, wenn er viel Materie mit sich herumschleppt oder auch bewegen muss, einmal müde – und dann muss er sich ausruhen und schlafen. Zweitens braucht jedes Lebewesen immer wiederkehrende Rituale, die sein Leben strukturieren. Drittens – und er schien meinen drohenden Einwand wegwischen zu wollen – und drittens haben wir doch beide festgestellt, das Unterschiede interessant und gut sind. Und was sind Tag und Nacht? »Unterschiedlich?«

»Genau! Und warum sind sie das?«

»Bestimmt, weil es einmal hell ist und einmal dunkel.«

Siedend heiß fiel mir ein Gegenargument ein: »Wenn das mal kein Fehler ist!« Gott, der mein Erschrecken bemerkt hatte, schaute mich fragend an, aber ich ließ mich nicht beirren. »Nachts ist es finster und da könnte der Mensch, das unbekannte Wesen, auf schlechte Gedanken kommen.«

»Mein lieber Gabriel, sei nicht so pessimistisch, so kenne ich Dich ja gar nicht! Außerdem, wem kann er denn schaden? Höchstens sich selbst. Nun, er könnte seine Umwelt vernachlässigen, beschädigen oder gar zerstören, aber tut ein vernünftiger Mensch denn so etwas. Also, ein Mensch kann nur gut sein – von Natur aus!« Als er in meinem Gesicht noch eine gewisse Skepsis sah, fügte er beruhigend hinzu: »Für mich ist Dunkelheit keine Sehbehinderung.

Deshalb bemerke ich ja alles, was er macht und bin daher immer im Bilde. Du kannst also ganz beruhigt sein.«

Mir ging ein Satz durch den Kopf, den ich einmal irgendwo vernommen hatte. ›Der liebe Gott sieht alles, außer ...‹ Und genau da ließ mich meine Erinnerung im Stich. Außer was – was war es nochmal – es hatte sich so schön gereimt. Was reimt sich auf ›alles‹? Ich gab den Gedanken auf und konzentrierte mich auf die Sache. »Und wie willst Du Tag und Nacht längenmäßig einteilen?«

»Noch habe ich den Menschen nicht erschaffen; ich stelle mir vor, dass das ganz am Ende geschehen sollte, gewissermaßen als Krönung der Schöpfung. Bevor es Tag und Nacht gibt, muss er ja sofort seinen Lebensraum zur Verfügung haben. Es kann also noch ein paar Tage dauern, bis dahin habe ich Zeit, mir die Einteilung zu überlegen. Morgen ist ein neuer Tag, und da kommt das Firmament dran.« Was ist das nun wieder? – Firmament! Aber es hörte sich spannend an.

Am nächsten Tag trafen wir uns wieder im Labor.

»Dann wollen wir mal sehen«, murmelte Gott, »ob unsere Versuchsanordnung die Nacht schadlos überstanden hat.« Er bewegte den Lichtschalter ein paar mal hin und her und war offensichtlich mit dem Ergebnis zufrieden. »Nun werden wir das Firmament machen.«

»Das Firmament ...« wiederholte ich unsicher. »Ja, und was ist das?«

»Gabriel, das ist ganz einfach der Abschluss der Versuchsanordnung nach oben. Das Dach gewissermaßen.« Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. »Aber jedermann würde doch zunächst das Fundament schaffen und alles andere darauf aufbauen, das Dach ganz zum Schluss.«

»Wir machen es eben anders. Wir erstellen zunächst das, was uns am nächsten liegt. Und sind Himmel und Firmament sich nicht sehr nahe? Und das andere, zumindest das Material dazu, ist ja eigentlich auch schon da.« So nahe, dachte ich bei mir, dass vielen der Unterschied nicht einmal klar ist. Sagen tat ich aber etwas anderes:

»Es ist zwar schon da, aber ich erkenne nur ein heilloses Durcheinander, ein komplettes Chaos, eine ... Ur-Suppe sozusagen. Du willst den Menschen doch nicht etwa da hineinwerfen?!«

»Gabriel, Gabriel, sei doch nicht so ungeduldig. Vertraue mir, und Du wirst sehen, es wird alles gut.«

»O Gott, ich glaube Dir«, ›noch nicht so ganz‹, ergänzte ich in Gedanken, und hinter meinem Rücken kreuzte ich Zeige- und Mittelfinger. Gott warf mir einen traurigen Blick zu. Dann hellte sich seine Mine merklich auf und er wandte sich wieder seinem Experiment zu. »Übrigens hast Du nicht jetzt Deinen Termin beim großen Singkreis. Ich selbst werde noch einige Feinjustierungen am Firmament vornehmen und dann auch Feierabend machen. Du solltest Dich gut ausruhen, denn morgen haben wir einen schweren Tag vor uns.« Ich war enttäuscht, denn viel lieber hätte ich Gott noch ein wenig über die Schulter gesehen, als im Chor strammzustehen.

Nun war schon der dritte Tag und das Modell harrte seiner weiteren Bearbeitung. Als ich ins Labor kam, hatte Gott bereits einige Haufen verschiedenen Materials in unterschiedlichen Farben und Mengen aus dem Chaos heraussortiert und daneben abgelagert. »Gut, dass Du kommst, Du kannst mir dabei helfen, die ›Ur-Suppe‹, wie Du sie genannt hast, in Land und Wasser zu trennen. Und so schoben wir Erde zusammen und beobachteten, wie in den Vertiefungen sich das Wasser sammelte. Es rauschte und gurgelte gewaltig und die zusammenströmenden Wasser wollten kein Ende nehmen. Ich sah, dass Gott die Lippen bewegte, aber ich konnte ihn bei diesem Geräuschpegel unmöglich verstehen. Ich rief nur: »Das Wasser wird immer mehr!« Nach einer Weile, als der Wasserstrom allmählich nachließ, klopfte er mir auf die Schulter und meinte: »Das war eine gute Idee!« Ich schaute ihn verständnislos an.

»Na, das mit dem ›Meer‹! Das war doch Dein Vorschlag!

Ich sah keinerlei Anlass, meinen Gesichtsausdruck zu verändern. Also, manchmal waren Gottes Gedanken wirklich unergründbar. Jedenfalls konnte sich das Ergebnis inzwischen durchaus sehen lassen. Es kam mir so vor wie ein übergroßer Teller mit Kartoffelpüree – das war das Land – und die Soße – das Wasser. Nur der Hauptbestandteil, beispielsweise Gemüse, fehlte noch. Als könne er Gedanken lesen, sagte Gott mit nachdenklichem Gesichtsausdruck: »Nur der große und wichtige Unterschied zu dieser ansonsten noch anorganischen Welt, z.B. Grünzeug, fehlt noch.«

»Komisch,«, bemerkte ich. »Ich hatte auch gerade an Gemüse gedacht.«

»Sei nicht albern!«, wurde ich getadelt. »Gib mir bitte einmal eine Handvoll von dem blattgrünen Material – da, genau vor Dir!« Ich tat es und sah voller Staunen, wie Gott in virtuoser Geschicklichkeit einen – ja, was war es eigentlich. Es bestand aus einem Stiel, an dessen unterem Ende fadenartige Ausläufer und an seinem oberen Teil grüne Blätter saßen. Gut, die Blätter kannte ich von unseren Lorbeerkränzen, die wir zu Ehrungen und zu sonstigen besonderen Anlässen zu tragen hatten. Aber das ganze Gebilde? – ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen. »Hier«, sagte Gott in meine Überlegungen hinein, »versuche, möglichst viele Bäume nach diesem Entwurf zu bauen.« ›Bäume‹ hießen sie also, diese Gebilde. »Ja«, sagte ich eilfertig, »natürlich gern. Jede Menge.«

»Ob sie ›natürlich‹ gelingen, werden wir dann sehen«, erwiderte Gott lächelnd. Dann widmete er sich einigen Spezialaufgaben, jedenfalls hielt ich sie dafür. Kugelige Formen spickte er mit Stacheln, fadengleiche Bänder entstanden, rundlich abgeflachte Körper versah er teilweise mit einem roten Hut mit weißen Punkten – ich bewunderte seine Fantasie und Fingerfertigkeit und war froh, dass er mir eine einfachere Arbeit gegeben hatte. Apropos ›einfachere Arbeit‹. So sehr ich mich auch abmühte; es gelang mir kaum einmal, das Muster, das Gott mir übergeben hatte, genau zu kopieren. Mal wurde der Stamm zu dick, mal sah er aus, als ob er lieber eine Spirale sein wollte – von den unterschiedlichen Längen ganz zu schweigen. Und erst die Blätter! Mal wurden sie rund, mal gerieten sie oval oder ganz schmal und dünn. Mal hatten sie eine geschlossene Form, mal eine fingerartige. Mal drei-, mal 5-, mal 7-gliedrig. Es war zum Verzweifeln. Inzwischen war ich dazu übergegangen, die Bäume nicht einzeln nacheinander fertigzumachen, sondern erst nur die Blätter. Und diese sortierte ich gleich nach Größe, Farbe und Form. Letzteres hat sich als besonders gut erwiesen, denn so musste ich nicht bei jedem Blatt die unbedingt gleiche Form treffen. Ein wenig stolz darauf war ich schon, dass mir dieser Trick gelungen war. Ich verwandte für jeden einzelnen Baum immer die gleiche Blattart; damit erreichte ich zumindest, dass ein Baum für sich gesehen eine Einheit wurde, doch was würde Gott zu den vielen unterschiedlichen Bäumen sagen? ›Ich bin ein elender Stümper‹, dachte ich bei mir. »Was hast Du gesagt?« fragte Gott prompt.

»Ach, ich dachte nur gerade, dass meine Bäume längst nicht so gut geraten sind, wie Dein Muster.«

»Nun, sei beruhigt, das wächst sich mit der Zeit aus.«

Als er sich dann aber zu mir wandte und die grünen Bommel mit den braungrauen Stielen sah, lachte er aus vollem Halse. Er schlug sich auf die Schenkel und rief ein übers andere Mal: »Nein, was für ein Gruselkabinett – was für ein Gruselkabinett!« Ich wurde immer kleiner. Als ich meinte, die Größe, bzw. die Kleinheit eines der von mir hergestellten Gewächse erreicht zu haben, erstarb das Gelächter. Kam jetzt die große Maßregelung? Und ob. Als ich als erstes die gewaltige Lautstärke vernahm, duckte ich mich, soweit das überhaupt bei meiner inzwischen erreichten Winzigkeit noch möglich war. Als das erste Wort, mein Name, heraus war, versuchte ich im Boden zu versinken. »Gabriel, bist Du wahnsinnig geworden? Du hast das ganze Grünzeug versaut! Wozu bist Du eigentlich zu gebrauchen? Der Tag ist vorbei und die Bäume fehlen!« Ich wusste ja, wie das hier lief – jetzt kam bestimmt noch eine empfindliche Strafe. Und richtig, grollend ließ Gott sich vernehmen: »Du setzt Dich jetzt ganz still in die Ecke und ...«, – suchend blickte er umher, bis er gefunden hatte, was er brauchte – »nimmst dieses Silberpapier und schneidest mit einer Schere Formen aus – von mir aus was Du willst. Zu was anderem bist Du ja nicht zu gebrauchen. Es ist Strafe und Übung zugleich. Das Projekt ist jedenfalls nicht mehr Dein Bier!« Ich wusste zwar nicht, was Bier war, wir tranken immer nur Nektar, aber ich hatte verstanden, dass ich irgendwas Unnützes machen sollte. Eine reine Strafarbeit. Meine Laune war zerrissen, explosiv, voll stacheliger Abwehr – also schnitt ich in verzweifelter Inbrunst stachelige Formen – Sterne. Und ich machte es verbissen und trotzig – bis zum Feierabend. Während dessen pflanzte Gott das von ihm so herrlich makellos geformte Grünzeug ein und erfreute sich an der immer schöner werdenden Landschaft.

Am nächsten Morgen, es war schon der vierte Tag, war ich vor Gott im Labor. In einer Nacht voller innerer Unruhe hatte ich immer wieder an meine schludrig gemachten Bäume und Gottes entsprechende Enttäuschung denken müssen. Nun stand ich vor dem Haufen chaotischer Gewächse und überlegte, ob und wie ich meine fehlerhafte Arbeit auf irgend eine Weise wieder gutmachen könnte. Die grünen Geschöpfe Gottes waren ob ihrer Makellosigkeit ein großer Gegensatz dazu. Und was hatte er nicht alles geschaffen. Struppiges Buschwerk neben eleganten Schlingpflanzen, Algen, Plankton und Korallen waren zu sehen, Weißkohl und Blumen, Sträucher der verschiedensten Arten ... ›der verschiedensten Arten?‹ Moment mal – warum sollte es denn nur die Sträucher und Stauden in verschiedenen Arten geben – und nicht auch die Bäume? Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen vom Eintreten Gottes. »Tag«, brummte er übellaunig. »Tag vier«, gab ich gespielt witzig zurück. Also, manchmal konnte ich richtig frech sein. Jäh hielt er in der Wegbewegung inne, drehte sich betont langsam wieder zu mir um und sagte, an mich gewandt: »Also, manchmal kannst Du richtig frech sein.« Musste ich jetzt mit einer größeren Standpauke rechnen?

Statt dessen wurden seine Gesichtszüge entspannter und ein Leuchten zog über sein Antlitz. Ich staunte nicht schlecht, als er sagte: »Gabriel, ich habe mir gestern noch Deine ausgeschnittenen Silbersterne angeschaut.« Hatte er jetzt auch noch vor, eine unnütze Arbeit zu begutachten? Wenn er Sterne einer bestimmten Art hätte sehen wollen, dann hätte er es auch sagen müssen. Gerade, als ich ihm in diesem Sinne antworten wollte, sprach er weiter:

»Und da ist mir eingefallen, dass sie sich in ihrer Vielfalt ganz gut an unserem Firmament machen würden. Das belebt und gibt dem Ganzen eine gewisse Feierlichkeit und Würde.«

»Mein Gott, ich bin nicht würdig«, sagte ich wie aus einem Reflex heraus. »Ich will damit sagen,« stammelte ich, »dass meine Sterne doch so krumm und ungleich sind, dass man sich nur dafür schämen kann.«

»Aber, Gabriel, dass ist es doch gerade. Stell Dir ein Firmament vor, in dem alle Sterne gleich groß sind; wäre das nicht langweilig? Erst durch unterschiedliche Größen wird ein Firmament interessant, nämlich tiefenräumlich, unendlich ...« Dazu machte er eine expandierende Bewegung mit seinen Händen nach schräg oben. »Und dazu passend werde ich noch je ein größeres Gestirn für den Tagbzw. Nachthimmel machen. Der Mensch soll ja was sehen können auf seiner Erde. Die Sterne sind nur Zierrat.«

»Aber ein sehr schöner.« fügte ich überglücklich an, wie ein abschließendes Amen. Das heißt, abschließen wollte ich das Thema keineswegs. Mir war nämlich ganz plötzlich eine Idee gekommen. Gott schien gedanklich noch in den sterndurchsetzten Sphären zu schweben und seine offensichtlich gute Stimmung musste ich unbedingt nutzen. »Ich hätte da noch eine Frage«, begann ich vorsichtig. Gott schaute mich aufmunternd an. »wir haben ja festgestellt, dass Unterschiede grundsätzlich gut sind – wie jetzt bei den Sternen. Wäre es dann nicht auch gut ...«, sollte ich, oder sollte ich nicht? Was ist, wenn er wieder so ungehalten wie gestern wird?... »Wäre es dann nicht auch gut, unterschiedliche Bäume zu haben? Große und kleine, breite und schmale, formal geschlossene und gegliederte, hellgrüne und dunkelgrüne?« Gott saß da und schaute mit weit geöffneten Augen, als habe er eine Vision. Vielleicht versuchte er, das gerade Gehörte sich vorzustellen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er mit leiser, eindringlicher Stimme zu sprechen begann: »Gabriel«, und dabei wandte er sich mir zu, »Gabriel, wenn ich nicht Gott wäre und es sich nicht allein deshalb verbieten würde, könnte ich jetzt auf Deine Kreativität neidisch werden. Die Idee hätte glatt von mir sein können!« Und je länger er sprach, desto lauterwurde seine Stimme: »Wenn Du es nicht schon wärest, dann würde ich Dich jetzt auf der Stelle zum Erz-engel machen.« Ich verbeugte mich und sagte: »Wenn ich nur wieder mitmachen darf, bin ich schon zufrieden.«

»Na klar, Du hast uns mit Deiner Baumvielfalt ein gutes Stück weitergebracht. In der Richtung könnte ich auch bei den Blumen noch etwas nachbessern. Überhaupt sollten wir künftig noch mehr auf den Unterschied achten; er scheint mir ein großes und interessantes Potenzial zu haben, das wir gezielt einsetzen sollten, wenn es um Interessantheit geht. Also, an die Arbeit, es gibt viel zu tun. Du kannst schon mal die Sterne befestigen, während ich Sonne und Mond übernehme.« Das war mir sehr recht, und ich konnte dabei auch gleich einmal die neue Idee mit dem ›Unterschied‹ ausprobieren. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach einem strengen Rastersystem die Sterne aufzuhängen, weshalb ich auch Lineal und Meterstab mitgebracht hatte. Nun aber hatte ich, eigentlich schon bei Gottes letzten Worten, die Vorstellung einer besseren Verteilung: In willkürlicher und zufällig anmutender Anordnung versuchte ich die großen und kleinen Sterne auf der Fläche – nein, im Raum, zu platzieren, wodurch sich zweifellos eine chaotische Streuung ergab. Allerding war dieses Chaos so gleichmäßig über das Firmament verteilt, dass es – auf völlig ungezwungene Weise – beruhigend wirkte. Nachdem Gott Sonne und Mond installiert hatte, schauten wir uns das Ergebnis an. Und ich muss sagen, dass da etwas Begeisterndes zu sehen war. Ich dachte mir, dass der Mensch zu beneiden war, der bald diesen Blick zum Himmel haben würde. »Hm«, ließ sich Gott vernehmen, »bei der Nachtschaltung bilden die Sterne eine gute Unterstützung des Mondes bei der Welterhellung. Aber bei Tage sind sie eigentlich überflüssig.« ›Ja, ja, typisch‹, dachte ich leicht verstimmt, ›seine Erfindungen – Sonne und Mond – waren mal wieder super, dagegen waren meine Sterne soo überflüssig!‹ »Weißt Du was, den Mond lassen wir am Tage auch weg!«

»Das ist ein guter Kompromiss,« sagte ich und wunderte mich, dass Gott meine Bemerkung gar nicht so recht einordnen zu können schien. Das musste man ihm lassen: Eigennützig war er nicht. Fair und nur auf die gute Sache war sein Denken und Tun ausgerichtet. Ich nahm mir im Stillen vor, es ihm in Zukunft gleichzutun – zumindest ein wenig. Nach einer Weile sagte er: »Mich beschäftigt ein hartnäckiges Problem, über das ich nachdenken muss. Ich habe mir nämlich gedacht, dass ich die Erde, anstatt sie wie einen Pfannkuchen durchs All schweben zu lassen, als Kugel formen könnte.«

»Warum das denn?«

»Ja, weißt Du, der Mensch könnte, wenn er sich zu nah an den Rand wagt, herunterfallen. Außerdem kann das Wasser von dieser Scheibe ungehindert ablaufen, die Kante bröckelt mit der Zeit ...«

»So könntest Du die andere Seite – praktisch die Rückseite – auch noch nutzen!«, beeilte ich mich, zu sagen. Denn hier spürte ich die Möglichkeit, ein paar Pluspunkte bei Gott zu sammeln. »Aber leider würde er von dieser Rückseite genau so herunterfallen ...« Ich überlegte fieberhaft. »Und wenn Du die Scheibe kreiseln lässt?« versuchte ich mein Glück? Gott brauchte nicht lang für die Antwort. »Hab ich auch schon gedacht, aber dann fiel mir ein, was wir bei unserem beliebten Kreiseltanz, wo sich zwei Engel vor einander aufstellen, sich an den Händen halten und versuchen, immer schneller im Kreis zu tanzen, dann erleben: Sie werden von einer Kraft auseinander gezogen. Und wir hatten uns auch schon überlegt, wie wir diese Kraft nenn...«

»Zentrifugalkraft«, rief ich wie ein übereifriger Schüler dazwischen. Gott nickte. »Also würde der ganze Mensch die Bodenhaftung verlieren und von der Erde geradezu weggeschleudert.«

»Bodenhaftung? Warte mal ... und wenn der Mensch klebende Fußsohlen bekommen würde?«

»Und wenn dem Menschen dann alles aus der Hand fällt? Und alles, was auf der Erde nicht niet- und nagelfest ist, auch – einschließlich des Bodens unter seinen Klebefüßen?« Ich gab auf. Warum musste er immer das letzte Wort haben? Und Recht noch dazu? »Haftnäpfe,« startete ich doch noch einen letzten Versuch.

»Haftnäpfe? Interessante Technik, werde ich mir merken, vielleicht kann ich die mal gut ... Aber Haftnäpfe brauchen einen besonders geeigneten Untergrund. Und was ist mit den anderen Utensilien, die der Mensch um sich haben wird, den Exponaten der Natur und und und ...? Meinst Du, ich habe Lust, alles auf der Erde mit Haftnäpfen auszustatten? Nein, nein, da muss es eine andere Lösung geben!« Während unserer Unterhaltung hatten wir die restlichen Pflanzen eingesetzt und betrachteten nun mit großer Zufriedenheit das Erdmodell. Schön, wie es so in beschaulicher Ruhe vor unseren Augen lag. Sanft geschwungene Hügel wechselten mit Ebenen und steilen Bergen, von allerlei Grün bewachsene Flächen stachen ab von unbewachsenen Stellen – eigentlich ein Ergebnis, das sich sehen lassen konnte.

Mit dem Satz »Eines gefällt mir noch nicht so richtig«, begann Gott die Arbeit am nächsten Tag. »Zu viele kahle Stellen. Der grobe Eindruck ist einfach zu öde, zu ärmlich.« Das konnte ich zwar nicht nachvollziehen, wartete aber ab, was kommen würde. Noch mehr Bäume und Sträucher? »Nicht nur, um es schöner aussehen zu lassen, sondern auch, um den Boden vor dem Wind zu schützen, werden wir noch eine Menge Gras verteilen ... Gabriel, das kannst Du schon einmal machen, während ich mich um Fische und Vögel kümmere – unsere eigentliche Tagesaufgabe.« Ich kam mit meiner Arbeit gut voran, allerdings hatte ich mir das restliche grüne Material, das ich zunächst hatte klein zupfen müssen, falsch eingeteilt; es ging zur Neige, obwohl noch große Flächen in kahler Nacktheit vorhanden waren. O große Not! Was würde Gott dazu sagen? Doch halt! War das nicht auch wieder ein Unterschied? Natürlich, und zwar zwischen ›bewachsen‹ und ›unbewachsen‹! Ein Stein fiel mir vom Herzen. Selbstbewusst meldete ich den Vollzug meines Auftrags. »Sehr gut sieht das aus, besser hättest Du es nicht machen können. Sogar an die Wüsten hast Du gedacht!« Hoppla, was war denn das? An Wüsten gedacht? Zuerst wollte ich das Lob mit lässiger Selbstverständlichkeit quittieren, doch dann kamen mir Skrupel, und die äußerte ich dann auch:

»Aber, sind diese Landstriche für den Menschen nicht eine Gefahr? Schließlich könnte er sich darin verlaufen?«

»Ein wenig Gefahr ist ganz gut, damit es nicht zu langweilig wird. Denk doch einfach noch mehr an unsere Absicht, dem Menschen Unterschiede bieten zu wollen.« Dann nahm Gott seine Arbeit wieder auf. Und die bestand darin, Fische und Vögel zu entwerfen. Bewundernd schaute ich ihm über die Schulter, wie er die ausgefallensten Schwimmkörper entwarf. Ganz flache, sogar welche mit zwei Augen auf einer Seite, schmale und gestreckte, schlanke und gestauchte – einer sah aus wie ein Koffer. Dazu gab er jedem Rumpf ein paar Flossen, zum Schluss tauchte er jeden Fisch in Farbe und ließ ihn mit einem blubb ins Wasser gleiten, aber nie, ohne ihm einen Namen mitzugeben. »Goldfisch« – blubb, »Wal« – blubb, »Korallenfisch« – blubb, »Hering« – blubb ... »Hei«, sagte ich leichthin. »Aber mit ai«, korrigierte er mich, und entließ selbigen ins Wasser. Und erst die Vögel. Eine Wunderwelt von herrlich gefiederten, leichten Körpern und noch leichteren Flügeln in den gewagtesten Variationen. Die bunten Schwanzfedern waren nicht selten länger als das Tier. Die Farbenpracht schien ohnegleichen – nur die Amseln schienen mit ihrem schwarzen Gefieder zu kurz gekommen zu sein. Wenigstens erhielten sie dann noch einen gelben Schnabel, während die Raben gänzlich leer ausgingen. Rabenschwarz sozusagen. Prompt protestierten sie mit ihrer kratzigen Stimme, während andere Vögel ihren Schöpfer mit klangvollen Melodien lobten. Am Ende dieses fünften Tages war Gott mit sich und der Welt, wie er sie entworfen hatte, sichtlich zufrieden. Bevor er ging, machte er mit seinen Händen eine ausholende, schützende Geste, als wolle er das Modell umfassen. Kurzerhand tat ich es ihm gleich. ›Doppelt genäht, hält besser‹, dachte ich und machte endlich Feierabend.

Der nächste Tag sollte der spannendste werden. Zunächst stand die Besiedlung der Erde durch Landtiere auf dem Programm. Dann sollte es zu der Erschaffung des Menschen kommen. Und ich sollte dabei sein! Ein historischer Moment.

»Warum bist Du denn so aufgekratzt? So hibbelig habe ich Dich ja selten gesehen.«

»O Gott, heute werden wi..., äh, willst Du doch Dein Meisterstück machen, oder?«

»Meisterstück? Wahrlich, ich sage Dir: Noch ehe jemals ein Meister war, bin ich! Der Mensch wird die Krone dessen sein, was wir hier vor uns sehen.« Und plötzlich, von der hochgestimmten Theatralik – musste er denn unbedingt den Gott so heraushängen lassen? Ich fand es an dieser Stelle nicht so angebracht – in eine völlig sachliche Tonart wechselnd: »Aber vorher müssen wir uns um die Tiere kümmern.« Gut, dachte ich, kümmern wir uns also.

»Was soll ich tun?«

»Ich werde eine Menge Beiwerk brauchen. Hörner, Geweihe, Hufe, Krallen, Schwänze ... und vor allen Dingen Fell, viel Fell.«

»Gut«, sagte ich, »dann übernehme ich schon mal das Fell. Kann ich das nicht so ähnlich machen, wie das Gras?«

»Aber weich muss es sein, schön weich. Vielleicht kannst Du noch etwas von dem Weichmacher zusetzen.? Das macht es wunderbar geschmeidig und anschmiegsam. Denn das Leben wird noch hart genug. Und dann brauche ich noch einige Häute – also gewissermaßen Felle ohne Haare. Und auch noch ganz hartes Leder oder Haut aus dem Stoff, aus dem die Hörner sind – für ein paar schützenswerte Tiere, die sich sonst schlecht verteidigen könnten.« Das war eine Menge Arbeit, die er mir da aufgebürdet hatte. Aber noch mehr hatte er zu tun. Unter seinen Händen entstanden die verrücktesten Körper, bereichert durch merkwürdige Auswüchse oder Anhängsel. Manchmal sahen sie wie ausgehungert aus, sobald sie aber mein Fell bekamen, hatten sie eine wohlproportionierte Gestalt. Das fiel mir besonders auf, dass die Tiere in halbfertigem Zustand mitunter einen skurrilen Eindruck machten, wenn sie aber fertig waren, einen jeweils vortrefflichen. Gott schien an alles gedacht zu haben. Als ich ein geflecktes Tier mit einem extrem langen Hals entdeckte, fragte ich ihn nach dem Grund. »Warum hat dieses Tier so einen langen Hals?«

»Gegenfrage«, sagte er, »warum hast Du – ja, Du – ausgerechnet die Bäume so hoch gemacht, deren Blätter dieses Tier gern mag?«

Er lachte. »Das ist nur ein Grund, ein weiterer ist der, dass sie durch eine freiere Sicht schneller erkennen, wenn sich ihnen Feinde nähern.« Alle Achtung, dachte ich bei mir, das ist eine wahrlich kluge Überlegung. Aber eigentlich und genau betrachtet war es ja Teamwork – wenn ich dem Tier nicht den ›Brotkorb‹ so hoch gehängt hätte, wäre Gott vielleicht nicht auf die Idee mit dem langen Hals gekommen. Aber Schluss mit dem Wenn und Hätte, weg mit eigentlich und vielleicht – auf zu neuen Taten. Das schien auch Gott gedacht zu haben, denn er wandte sich dem Material zu, das für den menschlichen Körper vorgesehen war, begann die lehmartige Masse zu kneten und summte dabei einen Choral vor sich hin. Mit letzterem hörte er bald jedoch auf, und sein Gesicht, war es zu Beginn noch wohlgemut zu benennen gewesen, wurde im Laufe der Zeit immer nachdenklicher. Plötzlich erstarrte er. Beide Hände in den Lehm vergraben, verharrte einen Moment in Unschlüssigkeit, zog beide Hände heraus, streifte den Lehm notdürftig ab und klatschte den letzten Matschklumpen in die große Masse. Nach naivem Ermessen, so dachte ich, hätte zu dem Gesichtsausdruck und dieser ganzen Gestik ein saftiger Fluch gehört – was aber natürlich für Gott nicht infrage kam. Ich wartete darauf, wie es statt dessen weitergehen würde. Gott hatte sich gesetzt, zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Offensichtlich dachte er nach. Lange saß er so da. Dann sprang er auf. Die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt, ging er vor dem Modell auf und ab. Manchmal blieb er stehen, fasste sich mit der Hand ans Kinn, schien etwas durchzurechnen, um es doch wieder zu verwerfen, nahm seinen Gang wieder auf, blieb erneut stehen – mit dem gleichen Ergebnis. Das heißt, so wie es aussah, eben mit keinem Ergebnis, denn das Grübeln dauerte an. Dann sah er mich an. Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben. Ich dachte angestrengt nach. Was war die Ursache für Gottes Verzagtheit? Doch nicht etwa das Tier mit dem langen Hals?! Nein, es musste etwas Grundlegendes sein, etwas, dass das ›Projekt Mensch‹ gefährden könnte!

Und dann ließ er mich an seiner Verzweiflung teilhaben.

»Mein lieber Gabriel, es war alles umsonst!«, begann er. »Ich habe einen grundlegenden Fehler begangen. Kannst Du Dich erinnern, dass ich vom Menschen als Krönung der Schöpfung gesprochen habe? Wie konnte ich annehmen, ein vernünftiges Ziel formen zu können, indem ich die ganze, eigentlich notwendige Planung des frühen Schöpfungsverlaufs übersprang?!«

»Aber«, versuchte ich zu retten, was noch zu retten war, »es ist doch bis jetzt alles so gut gelaufen!«

»Nein, Gabriel, es war ja alles nur die erste Visualisierung einer Idee. Es musste ja noch nicht funktionieren. Und deshalb hat uns der Schein getrogen. Wir waren so fasziniert vom Aussehen der Exponate, vom schnellen Erreichen des Zieles, dass wir an das In-Gang-Setzen und die Nachhaltigkeit überhaupt nicht gedacht haben.« Wir setzten uns vor das Modell, er nahm einen Zeigestock und begann, zu erklären: »Schau mal, es ist ja nicht nur das Problem des möglichen Herunterfallens des Menschen – es kommt noch weiteres hinzu: Dieser Mensch wird Zeit seines Lebens auf der Erde allein sein. Wir sollten nicht so eigennützig sein, stets ein Lebewesen auf der Erde zu unserer Unterhaltung herumwuseln sehen zu wollen, sondern sollten uns auch darüber Gedanken machen, wie wir dem Menschen das Leben erleichtern und verschönen können.«

»Vielleicht durch einen zweiten Menschen«, wandte ich zögernd ein – »wenn es Dir nicht zu viel wird, mit der Kneterei.« hängte ich noch schnell an. »Das löst das Problem nicht so ganz, denn, stell Dir vor, einer oder beide sterben – soll ich dann schon wieder neue Menschen bauen? Nein, früher oder später wird mir das zu viel.«

»Sterben, was meinst Du damit?«

»Der Mensch kann nicht ewig leben. Diesen Unterschied zu uns müssen wir schon machen. Ich könnte mir denken, dass ich ein paar sich im Laufe der Zeit erst einstellende Sollbruchstellen vorsehe, die dann früher oder später dafür sorgen, dass der Mensch .... na, wie soll ich sagen ... «

»... den Löffel abgibt.«, fiel ich ihm ins Wort.

»Na, na, na, ein bisschen gewählter könntest Du Dich schon ausdrücken, mein Lieber!«, sagte er tadelnd, »Ein ›Das Zeitliche segnet‹ würde ich vorziehen.«

»Aber«, setzte er seine Ausführungen fort, »das löst nicht das eigentliche Problem. Nicht nur der Mensch ist dem Altern und dem Tod ausgesetzt, sondern die ganze Schöpfung; die Tiere des Wassers, der Lüfte und des Landes, alle Bäume, Sträucher, Blumen und Kräuter – vom größten Mammutbaum bis hinunter zum kleinsten Grashalm – ich müsste es ständig ersetzen. Und glaube mir, lieber Gabriel, ich würde es tun, wenn nicht ein wesentlicher Grund dagegen spräche: Es entspricht nicht der Würde Gottes. Anders ausgedrückt: Es ist zu dilettantisch, unser Projekt ›Mensch‹. Wir müssen einen ganz neuen Ansatz finden.«

» – – – «

Meine Äußerung entsprach haargenau meinem Schockzustand, in den mich Gottes Worte versetzt hatten. Völlig sprachlos, versuchte ich das eben gehörte zu verstehen. Wir konnten doch nicht jetzt, wo unser Projekt bereits diese Formen angenommen hatte, aufgeben! »Dilettantisch, diese wunderbare Formenvielfalt? Diese überreiche Pflanzenwelt? Diese herrlich lebendigen Geschöpfe?« Ich war fix und fertig. Gott sah mich mitfühlend an, bevor er sagte: »Ich bin genau so enttäuscht wie Du. Kannst Du Dich daran erinnern, dass Du zu Beginn unserer Arbeit einmal ›Am Anfang war das Wort‹ gesagt hast? Ich hatte das so stehen gelassen, aber jetzt frage ich mich doch, ob nicht vor dem Wort das Denken hätte kommen sollen. Und zwar das Denken über Voraussetzungen, Zusammenhänge, über grundsätzliche Weichenstellungen und Ziele.« Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Du kannst aber ganz beruhigt sein; ich gebe das Projekt Mensch nicht auf. Aber es wird ganz anders – wirklich ganz anders.« Ein Stein fiel mir vom Herzen.

Schöpfung 2.0

So sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, ich stand nach wie vor vor einem Rätsel. Soviel hatte ich begriffen: Es musste Gott um etwas Grundsätzliches gehen. Nicht die Form der von ihm entworfenen Geschöpfe schien die Ursache für seine Entscheidung zu sein, das Projekt zu stoppen. Auch nicht die Einteilung in Tag und Nacht. Selbst die Gestalt der Erde wäre kein Grund gewesen, den Versuch abzubrechen; dieses Problem hätte Gott sicherlich separat lösen können. Nein, er hatte von einem fehlenden, am Anfang notwendigen ›Nachdenken‹ gesprochen. Was war an ihrem gemeinsamen Projekt so ›unbedacht‹?

Je mehr ich nachdachte, desto mehr kristallisierte sich der Verdacht heraus, dass Gott im ständigen Ergänzen- und Nachbessern-Müssen den Mangel sah. Gab es denn überhaupt den Weg des stetigen Reproduzierens, gewissermaßen automatisch? Und wo sollte der beginnen? Ich wünschte mir einen Knall, und alle Probleme wären irgendwie gelöst –

»Habe ich da ›Knall‹ vernommen?«, platzte Gott in meine Überlegungen. Oh, hatte ich ›Knall‹ nicht nur gedacht, sondern in Gedanken sogar ausgesprochen? Oder konnte er Gedanken lesen; den Verdacht hatte ich sowieso schon seit einiger Zeit.

»Also gut, mit einem Knall wollte ich nämlich beginnen – mit einem Ur-Knall sozusagen. Setz Dich her zu mir,« sagte er dann und höre mir einfach zu.«

Ich tat, wie mir befohlen und war gespannt auf das Ergebnis des ›Denkens vor dem Sprechen‹. Genau so hatte er doch den Hauptmangel unseres ersten Versuchs genannt. Nun legte er Daumen und Zeigefinger an sein Kinn und rieb es ein wenig. Er sprach:

»Wir fahren zunächst einmal das Ganze wieder auf Null, um dann von Neuem zu beginnen. Die Raumerweiterung habe ich bereits zurückgenommen. Und, keine Angst«, sagte er mit einer entsprechenden Geste seiner Hand in meine Richtung, »die geschaffenen Dinge und Wesen aus unserem Modell gehen nicht verloren.« Ich war erleichtert. Es wäre auch jammerschade um die niedlichen Figürchen, wenn wir die vergebens gemacht hätten. »Zumindest können wir diese Teile als Zwischenziel-Projektionen eingeben.« schob er noch nach.

Was war das nun wieder? Zwischenziel-Projektion ...? Gott schien die Falten auf meiner Stirn entdeckt zu haben, denn er erklärte: »Um ein ganzes Universum zu schaffen, muss man natürlich in etwa wissen, wie das Ziel aussehen soll, das man ansteuern will. Und wenn man das kennt, lassen sich auch die dazu geeigneten Methoden finden. Das Knifflige an der ganzen Sache ist, dass ich einen Weg finden muss, Naturgesetze zu schaffen, die mein Eingreifen so gut wie überflüssig machen. Alles soll sich von selbst entwickeln. Bei der Natur fällt mir das verhältnismäßig leicht, bei den Menschen aber ist es deshalb so schwierig, weil sie doch einen freien Willen bekommen sollen. Und die Frage ist nun, soll ich schon vorher wissen, was so ein Mensch denkt, sagt oder tut? Damit wäre ja schon festgelegt, was er macht – wo bleibt da der freie Wille? Oder: Soll ich es nicht schon vorher wissen – mit welchem Unsinn muss ich dann aber gegebenenfalls rechnen?« Tja, das war nun eine schwierige Situation. Ich konnte Gottes Überlegungen durchaus nachvollziehen. Der Mensch sollte, wenn ich Gott richtig verstanden hatte, eine Art Sonderstellung in der Schöpfung erhalten, die er nur mit ausreichendem Verstand innehaben könnte. Und was wäre, wenn er seinen Verstand dazu benutzt, sich über andere Menschen erheben zu wollen? Oder seine Ansichten mit unfeinen Mitteln durchzusetzen? Womöglich wird er zu List und Gewalt greifen? Und wenn andere Menschen sich wehren – etwa mit Gegengewalt, um ihr Leben, das ihrer Mitmenschen, ihr Hab und Gut zu schützen? Ich räusperte mich, um Gott aus seinen Gedanken zu holen.

»Was wäre, wenn Du jedem Menschen ein ›Gewissen‹ einpflanzen würdest? Vielleicht eine leise Stimme, die nur er selbst hört, und die sich jedes Mal meldet, wenn er etwas Unrechtes tut oder vorhat?« Erstaunt schaute Gott mich an. »Keine schlechte Idee!«

Nach einigem Nachdenken setzte er erneut an:

»Aber alles der Reihe nach. Ich habe mir Gedanken gemacht über einige grundsätzliche Parameter, die für die Schöpfung wichtig sind. Die Größe beispielsweise. Hier gedenke ich, sehr klein, sagen wir: im Millimeter-Bereich, zu beginnen und die Unendlichkeit des Raumes als Ziel festzulegen. Bezüglich der Zeit beginne ich mit extrem kurzen Zeitabläufen, etwa im Explosionsbereich. Und zusammen mit dem Raum beginnt die Zeit zu wirken. Raum und Zeit gehören also zusammen. Die Materie schließlich kann keine größere Ausdehnung haben als der Raum. Also ist die gesamte Materie des späteren Universums am Anfang auf einen winzigen Bereich zusammengepresst.«

»Übrigens«, unterbrauch er seinen Gedankengang, »wir haben doch festgestellt, dass der ›Unterschied‹ ein belebendes Element ist. Durch den Unterschied werden – die Dinge und die Handlungen – interessanter. Jetzt habe ich mir das Wesen des Unterschieds einmal genauer angesehen und bin zu folgenden Schlüssen gekommen. Du kannst Dir sicherlich vorstellen, dass ein Unterschied erst dann besteht, wenn man ihn bemerkt – sonst wäre es ja kein Unterschied. Einen großen Unterschied könnte man mit ›Gegensatz‹ bezeichnen. Und ein nicht mehr steigerbarer Gegensatz wäre ein Kontrast oder, noch besser – eine Polarität. Und alle noch so verschiedenen Beziehungen lassen sich auf dieser gedachten Skala einordnen. Und jetzt fällt Dir bestimmt schon auf, dass ich mit Polaritäten das Universum zu gestalten denke, oder?«

»Klar, bei dem Phänomen Größe beginnst Du im unteren Bereich der Wahrnehmbarkeit und strebst dann den Gegenpol, die Unendlichkeit an. Was die Zeit angeht, beginnst Du im Explosionsbereich – Du sagtest ja, dass Du mit dem Ur-Knall beginnen willst – und stellst die Ewigkeit dagegen. Raum und Zeit in enger Koppelung. Genial! Und wenn diese Gegensätze, sei es minimal oder in größter Ausprägung in der künftigen Welt gelten sollen, haben wir ein ungeheuer spannendes Welt-Theater zu erwarten.«

Lächelnd schaute Gott mich an. »Das hast Du schön gesagt, aber noch sind wir nicht so weit.«

Er suchte etwas in seinen Notizen, fand es endlich und begann von neuem: »Kehren wir noch einmal an den Anfang der Zukunft zurück. Ich habe beschlossen, das Universum im Kleinen zu beginnen, genauer gesagt, mit einigen Kubik-Millimetern in der Form eines kleinen Kügelchens. Und in diesem Kügelchen ist alles das enthalten, was die spätere Welt ausmachen wird.« Ungläubig schaute ich ihn an. »Das wird aber eine kleine Welt!« sagte ich voller Enttäuschung. »Du wirst staunen – die Welt wird sich immer weiter vergrößern, sie wird unendlich sein. So unendlich, dass der Mensch nie an ihr Ende kommen wird.«

»Und wenn der Mensch die Idee haben sollte, sich von vielen Vögeln in den Weltraum ziehen zu lassen?«

»Auch dann nicht.«

»Und wenn es ihm gelingt, Luftfahrzeuge zu bauen, die hundert mal schneller sind als der schnellste Vogel?«

»Auch dann nicht. Nach dem Ur-Knall wird sich das Universum in jeder Sekunde etwa 100 000 mal verdoppeln.«

»Das sind in Stundenkilometern – «, beeilte ich mich, auszurechnen, » – wenn wir bei einem Kugel-Durchmesser von 5 mm anfangen: In einer Sekunde 500 000 mm, gleich 5000 cm, gleich 50 m. Nach 2 Sek. sind 100 m zurückgelegt, nach 3 Sek. 200 m, nach 4 Sek. 400 m, nach 5 Sek. 800 m, nach 6 Sek. bereits über tausend Meter! ... Äh, ich glaube, ich werde diese Rechenaufgabe mal an Engel Mathias weitergeben. Jedenfalls dürfte eine unwahrscheinlich hohe Anzahl an km/h herauskommen! Wie ist das möglich?«

»Du kannst jetzt Deinen Unterkiefer wieder hochklappen, höre lieber weiter zu: »Ich sagte, dass die ganze spätere Welt in diesem Kügelchen sei. Allerdings nicht als Materie, sondern als Energie in einer unvorstellbaren Kraftkonzentration. Diese Elementarkräfte – Schwerkraft, elektromagnetische Energie, starke und schwache Kernkraft – werden im Moment des Ur-Knalls freigesetzt und beginnen nach von mir festgesetzten Regeln ihr Wirken. Diese Regeln, gleichsam die Naturgesetze, gilt es bei der Vorbereitung des Ur-Knalls genau zu bedenken, denn durch sie wird alles gesteuert. Die Atome – Bausteine der Materie – müssen entstehen. Das geschieht durch den deshalb nützlichen Kampf der Materie mit der Antimaterie, die beide aus der ungeheuren Zusammenballung und plötzlichen Freisetzung der Energie entstehen. Wenn Teilchen der Materie und der Antimaterie aufeinander treffen, löschen sie sich gegenseitig aus. Es ist also wichtig, dass von der Materie etwas übrig bleibt, dass dann Universum genannt werden kann. Ich muss also genau das richtige Mischungsverhältnis treffen.» »Weil uns sonst das Ganze um die Ohren fliegt?«

»Das nicht gerade, aber es wäre keine sichtbare Materie mehr vorhanden. Und das wollen wir doch nicht, oder?« Ich machte eine Geste, die halb Zustimmung, halb Ahnungslosigkeit ausdrücken konnte. Eigentlich hatte ich es schon längst aufgegeben, das alles zu verstehen. »Ferner muss man bedenken, wie der Mensch strukturiert sein soll, sein Aussehen und sein Wesen, seine physische und psychische Beschaffenheit, seine ganze Persönlichkeit. Ich habe mir dazu eine Reihe von 46 Chromosomen ausgedacht, die Gene mit Erbinformationen beinhalten. Die werden maßgeblich bestimmen, wie der einzelne Mensch wird.«

»Hast Du denn damit nicht wieder den Menschen zu sehr festgelegt, vorherbestimmt, eingeengt ...?«

»Nett, dass Du Dich zum Anwalt eines Wesens machst, das noch gar nicht existiert. Aber, sei unbesorgt, erstens ist garantiert, dass immer wieder Gene sich mehr durchsetzen, als andere – es kann durchaus auch einmal eine Generation übersprungen werden – , zweitens werden die Gene nicht allein entscheiden, sondern das Milieu, in dem der Mensch lebt, wird ein Wörtchen mitreden.« Das beruhigte mich einerseits ein wenig˛ zumindest schien für überraschende Unterhaltung gesorgt zu sein; andererseits sah ich die Gefahr des Missbrauchs. »Und was ist, wenn der Mensch nach einer Untat vorgibt, nicht er selbst, sondern sein Milieu sei verantwortlich?«

»Du ewiger Bedenkenträger! Der Mensch hat doch ein Gewissen! Und außerdem wird er durch seinen Verstand – ja, er wird einen Verstand bekommen! – dazu veranlasst, sich selbst Gesetze zu geben, nach denen er sich zu richten verpflichtet.«