Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche - Tobias Faix - E-Book

Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche E-Book

Tobias Faix

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Beschreibung

Durch die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre ist eine neue global und digital geprägte Generation herangewachsen, die ein ganz eigenes Profil entwickelt hat. Doch was für ein Bild von Kirche haben gläubige Jugendliche? Warum und wofür engagiert sich diese Generation? Woran glaubt sie genau? Und welche Einstellungen hat sie zu ethischen Brennpunktthemen wie Homosexualität? In bisherigen empirischen Untersuchungen zur Altersgruppe der 16- bis 29-jährigen spielte die Frage des Glaubens immer eine eher unter-geordnete Rolle. Aus diesem Grund ging das Team empirica um die beiden Kasseler Professoren Faix und Künkler vier Jahre lang diesen spannenden Fragen nach. Dazu interviewten sie Jugendliche, die sich der evangelischen oder einer Freikirche Kirche zugehörig fühlen. Herausgekommen ist ein faszinierendes Portrait von Jugendlichen, die die Kirche von morgen entscheidend prägen werden. Ein unentbehrliches Grundlagenwerk für alle, die mit der "Generation Lobpreis" arbeiten und die Kirche von morgen mitgestalten möchten.

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Tobias Faix, Tobias Künkler

Generation Lobpreis und die zukunft der Kirche

Widmung

Wir widmen dieses Buch unserem ehemaligen Mitarbeiter Tim Sandmann (1986–2017), den wir schmerzlich vermissen.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© 2018 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.sonnhueter.com,

unter Verwendung eines Bildes von © Cookie Studio (shutterstock.com)

Lektorat: Hauke Burgarth, Pohlheim

DTP: Q. Gute Grafik, Fabiola Quadflieg, Köln

Verwendete Schriften Innenteil: Milo OT, Milo Serif OT

Gesamtherstellung: BALTO Print, Vilnius

eBook: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, www.ppp.eu

ISBN 978-3-7615-6542-1 Print

ISBN 978-3-7615-6543-8 E-Book

 

www.neukirchener-verlage.de

Endorsements

„Sie suchen Gotteserfahrungen, gehen in ihre Gottesdienste und lieben Bibel, Lobpreis und Gebet, sie übernehmen Verantwortung und reden über ihren Glauben. Hochengagierte junge Erwachsene haben enormes Potential für Verantwortung in unserer ­Kirche, aber sie können mit herkömmlichen Formaten oder Mitgliedschaften wenig anfangen. Wo werden sie vorkommen? Dieses Buch ist ein Augenöffner für alle, denen die Zukunft der Kirchen nicht egal ist. Unbedingt lesen – und dann mit Leuten aus dieser Generation diskutieren.“

Hans-Hermann Pompe, Leiter EKD-Zentrum für Mission in der Region

Die Zukunftsgeneration der Kirche ist vielfältiger, widersprüchlicher und komplexer als gedacht. All jene, die an einer Kirche von Morgen interessiert sind, können in diesem Buch viel über deren maßgebliche Protagonistinnen und Protagonisten lernen.

Dr. Sandra Bils ist Pastorin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und arbeitet bei Kirchehochzwei

Wieder einmal ein spannender, qualitativ hochwertiger „Thriller“ aus dem Hause Faix/Künkler: Auf jeden Fall gehört dieses Buch in die Hände aller Verantwortlichen in Kirchen und Gemeinden.

Dr. Michael Diener, Präses Evangelischer Gnadauer Gemeinschaftsverband, Mitglied im Rat der EKD

Die Generation der 14- bis 29-Jährigen unterscheidet sich grundlegend von den Genera­tionen davor. Wann lassen wir es (endlich) zu, dass sie ganz aktiv auch unsere ­Kirche(en) grundlegend verwandeln dürfen? Ein absolut lohnenswertes Buch für alle, die noch immer versuchen, Jugendliche aus dem eigenen (begrenzten) Erfahrungs­horizont zu begleiten, zu deuten und zu verstehen.

Ilse-Dore Seidel-Humburger, Landesreferentin im Evangelischen Jugendwerk in Württemberg

Wissenschaftlich belastbare Daten gewinnen aus dem, was junge Leute über Beten, Bibel, Gemeinde und Gottesdienst sagen – das mag so schwierig sein wie Wolken abheften und Pudding an die Wand nageln. Aber Künkler & Faix schaffen das. Gewohnt akribisch. Spannend spurensichernd und scharfsinnig schlussfolgernd. Dabei wunderbar flüssig lesbar. Wenn Ihnen die Sinusstudien, die Shell Jugendstudien, der ­Bertelsmann Religionsmonitor und die Kirchenmitgliedschaftsstudie der EKD zu grobkörnig waren – dieses Buch schießt ein gestochen scharfes, hochauflösendes Bild davon, welche jungen Leute was glauben, warum und wie sie das tun und was das für die Kirche von morgen bedeutet. Sagen Sie jetzt nicht „ach, so genau wollte ich das gar nicht wissen“. Doch, das sollten Sie! Es sind nämlich die Kita-Leiterinnen, die Lehrer, die Ausbilder, die Pfarrerinnen und Pfarrer Ihrer Enkel, die da gerade heranwachsen.

Andreas Malessa, Hörfunkjournalist, Theologe, Buchautor

Wer „Generation Lobpreis“ gelesen hat, sieht mehr als vorher. Er bekommt aus erster Hand Einblick in ein Lebens- und Glaubensgefühl, dass viele „fromme Jugendliche“ heute bestimmt. Man versteht besser, warum manche Gottesdienstformen jüngere Menschen anziehen – und andere nicht. „Generation Lobpreis“ gibt der jugendlichen Sehnsucht nach einem authentischen und erfahrungsgesättigten Glauben verschiedene Stimme und Gesichter. Und es hilft beim einfühlsamen Verständnis und der kritischen Reflexion gleichermaßen.

Prof. Dr. Thorsten Dietz, lehrt Systematische Theologie an der Evangelische Hochschule Tabor und sitzt für die EKD in der Kammer für Theologie

Mit diesem Buch haben wir ein Ohr an der Jugend. Großartig. Eine wunderbar eindrückliche und präzise Beschreibung hochreligiöser junger Menschen. Nachdenklich machend, irritierend, ermutigend, herausfordernd.

Hansjörg Kopp, Generalsekretär des CVJM Deutschland

Generation Lobpreis ist ein weiteres, spannendes bis aufregendes, detailliertes Puzzle­teil zum Bild einer jungen Generation, die wir in Kirche mehr und mehr vermissen: das Puzzleteil zu den sogenannten Hochreligiösen. Es hilft verstehen und öffnet damit ein Stück weiter unseren Horizont.

Stephanie Schwenkenbecher, Theologin und Autorin von „Generation Y. Wie wir glauben, lieben, hoffen“

Das Autorenduo Faix & Künkler liefert eine aufschlussreiche und gründliche Sozialstudie über eine schwer greifbare aber oftmals etikettierte Gruppe junger Menschen in unseren Kirchen und Gemeinden. Hier wird das, was wir nur ahnen und vermuten, gründlich erforscht und bewertet. Eine inspirierende Lektüre für alle, die sich nicht auf ihre gefühlte Wahrnehmung verlassenwollen.

Jürgen Mette, Theologe und Publizist

Ein notwendiges Buch. Es öffnet die Augen für die unterschätzte Gruppe der jungen Menschen mit intensiven Glaubenserfahrungen. Dieses Buch hilft, die Ambivalenzen der Generation Lobpreis zu verstehen und deshalb verdient das Buch höchste Aufmerksamkeit von allen, denen es wichtig ist, mit jungen Menschen die lebensverändernde Kraft des Glaubens an Jesus Christus zu entdecken.

Dr. Roger Mielke M.A., Oberkirchenrat

Und wieder ein großer Wurf von Faix/Künkler. Als Vater von zwei Jugendlichen der „Generation Lobpreis“ freue ich mich ganz besonders über diese wertvolle Arbeit – eine gründliche und verständliche Analyse, viele hilfreiche Einblicke in die Glaubenswelt verschiedenster junger Menschen und abschließend einige Fragen an mich und die ältere Generation. Absolute Leseempfehlung!

Detlef Kühlein, Sprecher & Theologe aus Lörrach

Für mich ist das Buch auf zwei Weisen sehr bereichernd, einerseits bin ich altersmäßig noch fast Teil dieser Generation und zweitens bin ich als Hauptamtliche in der ­Gemeinde wieder herausgefordert meine Vorbildfunktion auch kritisch wahrzunehmen und gleichzeitig den Jugendlichen eine ganzheitliche Glaubenserfahrung zu ­ermöglichen. Genial, ist dass die Generation selbst mit einem Kommentar über die erhobene Darstellung zu Wort kommt.

Birte Krumm, Jugendreferentin in der Ev. Kirchgemeinde Niederkaufungen

Endlich wird sich einmal mit dem nötigen Aufwand empirisch jenen jungen Menschen gewidmet, die sich und ihr Leben stark im christlichen Glauben verorten. Bedeutsamkeiten wie die Sehnsucht nach spirituellen Erfahrungen werden ebenso dargelegt auf wie eine bemerkenswerte Heterogenität in dogmatischen Fragen und Unsicherheiten im Umgang mit der Bibel oder bei ethischen Fragen, z. B. im Umgang Sexualität. Die Sichtweisen der Befragten werden dabei in Beziehung gesetzt zu aktuellen ­jugendsoziologischen Erkenntnissen aus dem säkularen Bereich, dies bietet einmal mehr spannende Erkenntnisse. Hinweise für die pädagogische Arbeit finden sich als Schlussfolgerungen in diesem Buch ebenso wie kritische theologische Wahrnehmungen und die Warnung vor einer seichten, sich an Seelenwellness orientierender Glaubenskultur. Das Buch ist ein Muss für alle, die in dieser Zeit verantwortlich in der Glaubensbildung tätig sind.

Diakon Tobias Petzoldt, Dozent für Jugendbildungsarbeit und Institutsleiter, Ev. Hochschule Moritzburg

Danksagung

Diesem Buch liegt die Studie „Glaubens- und Lebenswelten von Jugendlichen. Wie hochreligiöse Jugendliche heute glauben“ zugrunde. Durchgeführt wurde diese Forschungsarbeit von einem Team des Forschungsinstituts empirica für ­Jugend, Kultur und Religion der CVJM-Hochschule, sie wurde im Jahr 2014 ­begonnen und im Jahr 2018 abgeschlossen. Solch ein langer, intensiver und ­komplexer Forschungsprozess ist nur möglich, wenn sich viele Menschen in unterschied­lichen Rollen auf unterschiedliche Weise daran beteiligen, was in dieser Studie zweifelsohne der Fall war. Bei all diesen Menschen wollen wir uns hiermit ganz herzlich für ihren Beitrag bedanken. Ohne sie wäre dieses ­Forschungsprojekt nicht möglich gewesen.

Zuerst gilt unser Dank unseren Forschungspartnern, zum einen dem Amt für ­Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen. Namentlich haben Udo Bußmann und Silke Gütlich das Vorhaben von der ersten Idee bis zu diesem Buch maßgeblich begleitet und gefördert. Zum anderen dem Evangelische Bank Institut für Ethisches Management der CVJM-Hochschule, namentlich Prof. Dr. Stefan Jung (CVJM-Hochschule) und André Armbruster (Helmut-Schmidt-Universität), für die das Gleiche gilt. Um eine hohe wissenschaftliche Qualität zu gewährleisten, gab es für diese Studie einen wissenschaftlichen Beirat, der sich regelmäßig traf, den kompletten Forschungsprozess begleitete und uns in einzelnen Schritten beriet. Dies war von unschätzbar großem Wert, und wir sind allen Beteiligten sehr dankbar für die guten und kritischen Anmerkungen und Diskussionen. Der wissenschaftliche Beirat bestand aus Prof. Dr. Dieter Beese (Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ruhr-Universität Bochum), Prof. Dr. Petra Freudenberger-Lötz (Universität Kassel), Prof. Dr. Bert Roebben (Universität Bonn), Michael Freitag (Referent für Theologie, Bildung und Jugendsoziologie, Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland) sowie Udo Bußmann und ­Silke Gütlich (Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen). Besonders Silke Gütlich wollen wir zusätzlich dafür danken, dass sie sich immer wieder aktiv in die Forschungsarbeit eingebracht und das Manuskript inhaltlich gegengelesen hat.

Ein besonderer Dank gilt auch dem Neukirchener Verlag, der uns in vielfacher Weise unterstützt hat, besonders Herrn Siepermann, Frau Atkinson und Frau Heinz. Ebenso danken wir für die unkomplizierte und kompetente Zusammen­arbeit mit unserem Lektor Hauke Burgarth und unserer Grafikerin Fabiola ­Quadflieg.

Ohne finanzielle Hilfe wäre solch ein großes Forschungsprojekt unmöglich. Wir sind daher dem Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Wertestarter Stiftung und der Deichmann Stiftung für ihre großzügige Unterstützung und das Vertrauen in unsere Forschungsarbeit sehr dankbar.

Auch danken wir dem Christival in Karlsruhe (stellvertretend dem Vorsitzenden Karsten Hüttmann) und dem Jugendkirchentag in Offenbach (stellvertretend dem Projektleiter Herrn Hans-Joachim Adolph) für die Möglichkeit der Datenerhebung auf besagten Events und die großartige Unterstützung, die wir dabei ­erfahren ­haben. Eine große Hilfe waren zudem alle Studierenden der CVJM-Hochschule, des mbs Marburg und der Evangelischen Hochschule Tabor, die sich auf dem Christival ehrenamtlich daran beteiligt haben, Jugendliche zu befragen. ­Darüber hinaus dankbar sind wir den vielen Vertreter*innen von Jugendverbänden, Kirchen und Freikirchen, die den Fragebogen unter Jugendlichen sowie ­Stakeholdern verteilt haben.

Große Dankbarkeit gebührt nicht zuletzt unserem umfangreichen Forschungsteam am Institut empirica: unserem ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter Tim Sandmann, den vielen Beteiligten wissenschaftlichen Mitarbeitenden ­(Daniel Beckemeier, Philipp Funke, Annika Hauschildt, Thomas Kröck, Pia Rennert, Julia Wassmuth) und den beteiligten studentischen Hilfskräften (Philipp Angelia und Annika Völker). Ein besonderer Dank gilt Annika Völker für ihre ­unermüdliche Hilfe als Korrekturleserin.

Dankbar sind wir zudem allen Jugendlichen, die einen Fragebogen ausgefüllt ­haben oder sich haben interviewen lassen, und die uns so einen Einblick in ihre Glaubens- und Lebenswelt gegeben haben.

 

 

Tobias Faix & Tobias Künkler

Sommer 2018

Geleitwort

Würden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sich als „hochreligiös“ bezeichnen? Oder lieber doch als „normal religiös“? Oder ganz anders? Um solch eine Selbstzuschreibung vorzunehmen oder sich mit einer Etikettierung dieser Art versehen zu lassen, müssten Sie natürlich erst einmal wissen, was sich hinter diesem ­Begriff verbirgt und wie das religiöse Leben, der Glaube und das Selbstverständnis von „Hochreligiösen“ möglicherweise zu beschreiben wäre. Wenn Sie darüber etwas wissen wollen oder zumindest eine plausible wissenschaftliche Sichtweise zur Kenntnis nehmen wollen, dann sollten Sie diese Studie unbedingt lesen.

Mit diesem Band liegt eine Studie über „hochreligiöse Jugendliche“ vor. Es ist ­unseres Wissens die erste deutsche Studie, die sich speziell diesem Segment christlicher jugendlicher Religiosität widmet.

Hochreligiöse Jugendliche sind dem Verständnis der Studie zufolge keine religiös abgefahrenen Sonderlinge und sie sind, allermeist jedenfalls, keineswegs vornehmlich in irgendwie gearteten fundamentalistischen Zirkeln mit entsprechenden Ideologiemustern aufzuspüren. Es handelt sich hier um jugendliche Menschen, die in kultureller Zeitgenossenschaft stehen, für die aber ihr christ­licher Glaube inhaltlich und in ihrer Glaubenspraxis einen hohen, oft zentralen Stellenwert besitzt und spürbar lebensprägende Auswirkungen hat.

Außerdem bildet das Segment der hochreligiösen Jugendlichen einen gewichtigen Teil derjenigen evangelischen Jugendlichen, die ein dezidiert positives ­Verhältnis zu Religion und christlichem Glauben aufweisen – und ein positives Verhältnis auch zu ihrer jeweiligen Kirche. Gerade Letzteres hat der Studie und ihrem Titel zufolge durchaus erhebliche Auswirkungen auf die „Zukunft der ­Kirche“. Genauer: auf die Zukunft der evangelischen Kirchen im Plural. Denn nicht nur die Volkskirche evangelisch-landeskirchlicher Prägung, sondern ­genauso die evangelischen Freikirchen beheimaten der Studie zufolge viele junge Menschen, die als hochreligiös einzustufen sind – und die, gerade weil sie mit ihrem christlichen Glauben hochidentisch sind, signifikante Mitarbeits-Bereitschaften aufweisen und ein erhebliches Potential für tragende und prägende ­Rollen in ihren Kirchen bilden – auch als zukünftige Hauptberufliche und Ehrenamtliche.

Der Titel der Studie „Generation Lobpreis“ überrascht zunächst. Natürlich vereinfachen und verschlagworten die Etikettierungen von Jugendgenerationen zwangsläufig. Aber wir kennen durchaus eine Vielzahl von Jugendlichen, die hochreligiöse Glaubensmuster aufweisen, aber dennoch keineswegs ihr geistlich-spirituelles Leben auf die Ausdrucksform des gottesdienstlichen und privaten Lobpreises fokussieren oder reduzieren. Auch unter Hochreligiösen dürfte die Vielfalt religiöser Gestaltungsformen groß sein.

Die vorliegende Studie trägt dieser Erkenntnis allerdings Rechnung und simplifiziert bzw. reduziert ganz und gar nicht. Sie differenziert die in sich unterschiedlichen Glaubensmuster und Typen der hochreligiösen Jugendlichen gewissenhaft. „Generation Lobpreis“ steht dabei nicht nur für eine unter diesen Jugendlichen fraglos auch verbreitete Anbetungspraxis als eine Art „Liturgie der Postmoderne“ – der Begriff kennzeichnet darüber hinaus auch ein viel weiter ­reichendes gegenwärtiges Glaubens- und Lebensgefühl, das religiöse Intensitäten übergreift und für eine Vielzahl junger Menschen gilt. Markierungen dieses Lebensgefühls sind vor allem Subjektivierung und Emotionalisierung, verbunden mit einer umfassenden Ästhetisierung von Leben und Glauben. Darüber ­hinaus deutet der Begriff eine tiefe Ernsthaftigkeit des Glaubens und der Gottes­beziehung an. Genau darum geht es!

Wir wünschen dem Band kritische, aber vor allem neugierige und für neue ­Erkenntnisse und Impulse aufgeschlossene Leser*innen.

 

 

Mike Corsa

(Generalsekretär) bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej)

Michael Freitag

(Referent für Theologie und Jugendsoziologie) bei der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland e.V. (aej)

Einleitung

Was von dem Buch zu erwarten ist

Mit diesem Buch möchten wir einen Einblick in das Glaubensleben von evangelischen hochreligiösen Jugendlichen geben und damit einen Diskussionsbeitrag zu einem aus unserer Sicht sehr wichtigen und oftmals unterbelichteten Thema liefern. Wir nennen diese Gruppe „Generation Lobpreis“ und werden in Kapitel eins genauer erklären warum. In diesem Buch stellen wir die wichtigsten Ergebnisse der empirica Jugendstudie 2018 vor und fragen danach, was diese für Kirche und Freikirche bedeuten. Dabei haben wir ehren- und hauptamtliche Mitarbeiter*innen aus Kirchen und Freikirchen genauso im Blick wie Menschen, die sich für christliche Jugendliche oder Jugendforschung interessieren. Da wir nicht die Ersten und hoffentlich nicht die Letzten sind, die sich mit Jugendforschung und Religion beschäftigen, haben wir immer wieder unsere Ergebnisse mit anderen aktuellen Studien verglichen, damit unsere Schlussfolgerungen besser eingeordnet werden können. Denn manches wird erst im Vergleich mit anderen Jugend­lichen oder früheren Ergebnissen prägnant.

Für die Studie war uns wichtig, dass wir einen Einblick in das Glaubensleben von hochreligiösen Jugendlichen bekommen. So soll aufgezeigt werden, welche Bedeutung der Glaube auf den verschiedenen Ebenen ihres Alltagslebens hat, um diese neue Generation besser zu verstehen. Es geht also zunächst um einen Akt des Lernens, des Zuhörens und des Sich-darauf-Einlassens. Es sollen die Jugendlichen durch die Befragungen selbst zu Wort kommen. Aber der Reihe nach. Zunächst wollen wir die Gruppe, die hinter der Generation Lobpreis steckt, etwas genauer betrachten: Was verbirgt sich unter dem Begriff „hochreligiöse Jugend­liche“? Wie ordnen sie sich in die evangelische Landkarte ein und wie sieht ihr Glaube ganz praktisch aus? Abgeschlossen wird das erste Kapitel mit einigen Hinweisen, wie wir bei unserer Studie vorgegangen sind. Im zweiten Kapitel verorten wir die Generation Lobpreis auf der sozialen Landkarte und überprüfen, zu ­welchen sozialen Milieus sie gehören, was ihre Werte sind und wie sie sich im Kontext der heutigen Jugendgeneration verorten. Während so die Generation Lobpreis als Teil einer größeren Jugendgeneration eingeordnet wird, wollen wir im dritten Kapitel genauer auf ebendiese Generation schauen und sie nach innen differenzieren. Dafür haben wir acht Typen gebildet, die wir vorstellen werden. Im vierten Kapitel geht es dann darum, was diese Generation glaubt und wie ihre Glaubenspraxis aussieht, zum Beispiel das Gebetsleben. Es geht aber auch um das Gottesbild der Generation Lobpreis und ihre Vorstellung von Mission oder ihr Verständnis der Bibel. Daran schließt das fünfte Kapitel an, in dem wir fragen, was die Generation Lobpreis über Kirche denkt. Wie sehen ihre Wunschgottesdienste aus und was denken sie über ehrenamtliches Engagement? Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einem Blick auf die Rolle der Hauptamtlichen im kirchlichen Kontext und die Frage: Können sich Jugendliche heute eigentlich noch vorstellen, Pfarrerin oder Jugendreferent zu werden? Nachdem wir das Glaubensleben der Generation Lobpreis ausführlich analysiert haben, gibt es in Kapitel sechs eine erste Reflexion und wir fragen, wie die von uns erhobenen Gesamt­ergebnisse zu verstehen und einzuordnen sind. Im letzten Kapitel gibt es vier verschiedene Gastbeiträge, die unsere Ergebnisse aus unterschiedlichen Blickwinkeln deuten. Diese setzen sich zusammen aus der Zielgruppe der jungen Erwachsenen, einem erfahrenen Lobpreisleiter, einem Kirchenmusiker und einem Theologen. Diese unterschiedlichen Interpretationen zeigen gut auf, wie viele unterschiedliche Zugänge es zu den Ergebnissen gibt und wie entscheidend der eigene Blickwinkel beim Lesen der Ergebnisse ist. Doch auch in die bloße Darstellung von Ergebnissen fließen immer auch schon der eigene Blickwinkel und eigene Deutungen mit ein – vor allem dann, wenn man versucht, sie unterhaltsam und lesbar zu präsentieren. Wir haben versucht, dies so gering wie möglich zu halten und so weit wie möglich nachvollziehbar zu machen.

Insgesamt hoffen wir, dass unsere Ergebnisse einen Auftakt für eine breite Diskussion in Kirche, Jugendarbeit und Forschung darstellen und somit eine wichtige kirchliche Gruppe mehr Aufmerksamkeit und Beachtung geschenkt bekommt. Denn diese Gruppe ist nicht nur gegenwärtig Teil der Kirchen und Gemeinden, sondern bildet auch deren Zukunft maßgeblich ab.

Durch die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre ist eine neue global und digital geprägte Generation herangewachsen, die ein ganz eigenes Profil entwickelt hat. Diese wurde in den letzten Jahren vielfach etikettiert und empirisch genauestens untersucht. Jugendsoziologische Studien erforschten vor allem die Lebenswelten von Jugendlichen im Allgemeinen. Religiosität wird in diesen Studien jedoch lediglich als eines von vielen Merkmalen relevant. Jugendliche, in deren Lebenswelt der christliche Glaube eine zentrale Rolle spielt, kommen darin allerdings kaum oder nur am Rande vor. Auch die Frage, wie ihr Glaube mit anderen Merkmalen zusammenhängt, wie zum Beispiel ihrer sozialen Herkunft, wird nicht untersucht.

Oft herrscht das Bild vor, dass es kaum noch Jugendliche in Deutschland gibt, in ­deren Lebenswelt der Glaube eine zentrale Rolle spielt. Der aktuelle Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung zeigt aber, dass über 20 Prozent der Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren in Deutschland „hochreligiös“ sind.1 Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2007 definiert Hochreligiöse dabei als Menschen, für die religiöse Inhalte, Deutungsmuster und Praktiken besonders relevant sind und „einen strukturierenden Einfluss auf das gesamte Erleben und Verhalten“ ­haben, wie zum Beispiel durch tägliches Gebet.2

Die Gruppe der hochreligiösen Jugendlichen ist in sich sehr heterogen und umfasst muslimische, christlich-orthodoxe, katholische sowie evangelische Jugendliche. Selbst die Untergruppe evangelisch-hochreligiöser Jugendlicher hat sehr unterschiedliche Ausprägungen. Sie reichen vom Engagement in einer evangelischen ­Kirche über Freikirchen bis zu selbstorganisierten Hauskreisen.

Kleine Landkarte des evangelischen Glaubens

Diese Pluralität und Heterogenität zeigt sich auch in der evangelischen Jugendarbeit. Das wird unter anderem deutlich, wenn wir einen kurzen Blick auf die „Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben“ werfen. 12.017 Jugendgruppen mit 120.994 teilnehmenden ­Jugendlichen zählen wir in Deutschland.3 Hinzu kommt die Konfirmandenarbeit mit ca. 205.000 Jugendlichen als zentraler Einstiegspunkt in die kirchliche Jugend­arbeit. Allerdings gibt es auch Bereiche, die schnell übersehen werden, wenn wir von Jugendarbeit sprechen, wie beispielsweise die 8.048 Kinder- und Jugend­chöre oder Instrumentalkreise (Kirchenmusik) mit 95.957 Teilnehmenden oder die 467 Schulen in evangelischer Trägerschaft. Laut dem Jahresbericht 2017 der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) gibt es neben der ­Jugendarbeit ­mittlerweile rund 200 Jugendkirchen in Deutschland (zu je einem ­Drittel ­Jugendliche der Katholischen und Evangelischen Kirche, sowie der verschiedenen Freikirchen). So unterschiedlich diese auch sind, haben sie alle ­eines gemeinsam: Sie wollen eigenständige „Orte des Glaubens“ für Jugendliche sein. Wenn wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen wollen, dann vielleicht in unterschiedlichen Graden der Verbundenheit. Da gibt es auf der einen Seite die eher lose verbundenen Jugendlichen in offenen Arbeiten wie in Jugendzentren, evangelischen Schulen, Freizeiten, Musikarbeit etc. und auf der anderen Seite die eher hoch verbundenen ­Jugendlichen in klassischer und/oder missionarischer Jugendarbeit wie in ­Jugendkreisen oder Jugendgottesdiensten. Dazu kommen teilweise verschiedene ­Jugendverbände (CVJM, EC …) und Jugend- und Teenagerarbeit im Bund freier ­Evangelischer Gemeinden (FeG) und Gemeindejugendwerk Deutschland (GJW) mit ca. 1.500 regelmäßigen Jugendgruppen).

Bereits 2013 machten wir uns zusammen mit dem Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen auf den Weg, in einer größeren Studie die Spiritualität von Jugendlichen in ihrer ganzen Breite und Heterogenität zu vermessen, und befragten 1.330 Jugendliche aus den Bereichen „offene Jugendarbeit“, „evangelische Schulen“ und „evangelische Freizeitarbeit“. Die Ergebnisse dieser Studie („Spiritualität von Jugendlichen“) können eingesehen werden und wurden vielfach diskutiert.4 ­Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jugendliche, die sich eher am Rande der evangelischen Kirche bewegen, d. h. an ihren Angeboten partizipieren, sich mit Kirche aber nicht identifizieren, durch die großen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zwischen Traditionsabbruch und individualistischer Spiritualität geprägt sind. Das heißt, die untersuchten Jugendlichen haben ein grundsätzliches Interesse an Spiritualität oder stehen dieser mindestens gleichgültig gegenüber. Dabei lässt sich diese Spiritualität allerdings nicht mehr in die klassischen evangelischen Kategorien einordnen, weshalb es immer weniger gelingt, mit Jugendlichen über ihren Glauben zu sprechen. Der Theologe Elmhorst verweist in diesem Zusammenhang auf eine „semantische Leerstelle“.5 Denn weder Jugendmitarbeitende noch viele Jugendliche selbst haben eine Sprache, auf die sie zurückgreifen können, um das zu beschreiben, was sie glauben. Es scheint daher nicht zu hoch gegriffen, von einer „religiösen Sprachkrise“ zu sprechen. Dies lässt sich an drei wesentlichen Punkten festmachen:

a) kaum Anbindung an die traditionelle, konfessionelle Glaubenssprache der ­Kirchen,

b) kaum Anbindung an die institutionellen Organisationen/Kirchen, die tradi­tionell für diese Glaubenssprache verantwortlich sind,

c) kaum Anbindung an semantische Verständnisse theologischer Grundbegriffe des Glaubens (dogmatische Grundaussagen).

Der Wegfall der konfessionellen Grenzen erinnert an den Wegfall der Grenzen Europas durch das „Schengener Abkommen“. Ein Beispiel dafür stellt in unserer Studie Mike dar, der anmerkt: „Ich fühle mich vom Glauben her eher den Baptisten zugehörig, bin aber Landeskirchler.“ Viele Jugendliche besuchen die Angebote, die ihnen dabei helfen, mit ihrem Glauben anzudocken, und wo sie sich ernst genommen fühlen, unabhängig von ihrem konfessionellen Hintergrund. Im evangelischen Kontext sind sie zwar formal Mitglieder der Kirche, doch genau dies sagt nichts mehr über ihre Bindung zur Kirche aus. Wir fanden die Ergebnisse sehr spannend, wurden aber immer wieder auf die Frage gestoßen, wie Jugendliche im Zentrum der evangelischen Landeskirchen glauben. Der Frage sind wir nun in dieser Studie nachgegangen. Es war eine spannende Reise.

Die vergessene Gruppe

Die wenigen Studien, die bisher diesen zentralen Bereich bzw. Hochreligiöse erforschen, fokussieren nicht das gesamte Spektrum, sondern beschäftigen sich meist ausschließlich mit Jugendlichen in freikirchlichen Gemeinden.6 Jugendliche mit Anbindung an evangelische Kirchen oder solche ohne Bezug zu den traditionellen Insitutionen werden darin nicht in den Blick genommen, denn es gibt unter freikirchlich organisierten Jugendlichen religiöse Inhalte, die sich stark von der inhaltlichen Ausrichtung anderer hochreligiöser Jugendlicher unterscheiden. Darüber hinaus bieten die vorliegenden Studien auch in Bezug auf hochreligiöse Jugendliche, die Mitglied in freikirchlichen Gemeinden sind, kein differenziertes Bild ihrer ­Lebensrealität an.

Kirchensoziologische Studien hingegen befassen sich meist mit der Bedeutung von Kirche für Jugendliche und stellen einen Trend zur Individualisierung von Religiosität fest, der sich empirisch in Form eines „Bastelglaubens“ ausgestaltet. Sie geben jedoch kaum Aufschluss darüber, ob sich diese Individualisierung des Glaubens auch bei hochreligiösen Jugendlichen wiederfindet und inwiefern sie einen Einfluss auf ihre Lebenswelt hat. Viele Studien, wie beispielsweise die Shell Jugendstudie 2015, behandeln das Thema Glaube und Religion eher marginal. Die letzten großen Studien, die sich mit Glaubensinhalten beschäftigt haben, waren die deutschlandweite „Konfirmandenstudie“7 (2012–2017, Schweitzer, Ilg u. a.) sowie die beiden in Baden-Württemberg verorteten Studien „Jugend gefragt“ (2016, Schweitzer/Ilg) oder „Glaube – Wertebildung – Interreligiosität“ (2018, Schweitzer, Wissner, Bohner u. a.), die einen sehr hilfreichen Ein- und Überblick bieten, wie Jugendliche, die am ­Religions- und Ethikunterricht teilnehmen, heute über Glauben denken. Diese Studien richten ihren Fokus aber auch nicht auf hochreligiöse Jugendliche.

Es fehlen somit belastbare Erkenntnisse über das breite Spektrum hochreligiöser Jugendlicher aus dem Kontext freikirchlicher Gemeinden, in Anbindung an evangelische Kirchen oder solcher ohne Gemeindebezug. Die bisherigen Studien weisen allerdings darauf hin, dass Jugendliche aus freikirchlichen Gemeinden einen nicht zu vernachlässigenden Teil des zu untersuchenden Felds der hochreligiösen Jugendlichen ausmachen. Kurzum: Wir fanden, es war an der Zeit, sich ein genaues Bild von hochreligiösen Jugendlichen zu machen.

In der Vorbereitung zu unserer Studie sprachen wir mit vielen Verantwortlichen aus unterschiedlichen Kirchen und Gemeinden und stellten dabei oftmals große Ratlosigkeit fest, wenn es um eine neue christliche Jugendbiografie ging. Für viele ist sie nicht richtig fassbar. Obwohl sie die nächste Generation derer bilden, die sich maßgeblich in den kirchlichen Gemeinden und Strukturen engagieren und auch die nächste Generation an Hauptamtlichen bilden werden, wissen wir also wenig über evangelisch hochreligiöse Jugendliche. Es ist fast unbekannt, was und wie diese glauben und wie sich der Glaube in ihrem Alltag zeigt. Diese Forschungslücke wollten wir schließen. Dazu haben wir uns unter anderem folgende Fragen gestellt:

Wie leben hochreligiöse Jugendliche ihren Glauben konkret? Welche Bedeutung hat beispielsweise die Bibel noch für sie?

Wie identitätsstiftend ist der Glaube für hochreligiöse Jugendliche? Wie stark prägt er ihren Alltag, zum Beispiel ihre Beziehung zu Gleichaltrigen?

Wie urteilen sie in ethischen Fragen? Welche Grundwerte und Überzeugungen haben sie?

Inwiefern und wie ausschlaggebend wird der Glaube hochreligiöser Jugendlicher durch ihr soziales Umfeld (Familie und Freunde) geprägt?

Welche Erfahrungen mit und Erwartungen an Gemeinde und Kirche haben diese Jugendlichen?

Wo und wie engagieren sie sich? Inwiefern können sie sich vorstellen, später in der Kirche mitzuarbeiten?

 

In diesem Buch werden wir die wichtigsten Ergebnisse vorstellen, sie einbetten in die Ergebnisse vieler anderer Forschungen und weitere Erkenntnisse und Konsequenzen für Jugend- und Gemeindearbeit ziehen, auch im Hinblick auf die Nachwuchsgewinnung in den Kirchen. Denn die „Generation Lobpreis“, wie wir diese Generation evangelisch hochreligiöser Jugendlicher im Folgenden nennen werden, macht einen zentralen und kaum zu unterschätzenden Teil der Zukunft der Kirche aus.

Wenn wir in diesem Buch von evangelischen Jugendlichen sprechen, dann beziehen wir uns immer auf Jugendliche aus den evangelischen Landeskirchen, den unterschiedlichen Freikirchen, den Gemeinschafts- und den evangelischen Jugend­verbänden. Wenn hingegen die Rede ist von Jugendlichen, die sich der Kirche oder den evangelischen Kirchen zugehörig fühlen, dann beziehen wir uns hier auf alle Jugendlichen, die nicht freikirchlich sind, auch wenn die Freikirchen zu den evangelischen Kirchen zählen. Wir wollten aber den sperrigen Terminus Landeskirche vermeiden, der innerkirchlich selten benutzt wird.

Warum „Generation Lobpreis“? Bei den Versuchen, die aktuelle Jugendgeneration zu beschreiben, gibt es bereits eine gewisse Inflation an Generationsbegrifflichkeiten. Nun fügen wir noch eine hinzu – „Generation Lobpreis“ – und dann auch noch für eine recht spezielle Untergruppe der Generation Y oder Z oder wie immer man sie nennen mag. Uns ist klar, dass ein solcher Versuch immer in der Gefahr steht Missverständnisse hervorzurufen oder zu pauschal zu sein und den Unterschieden in ­einer Gruppe nicht gerecht zu werden. Um dies zu vermeiden, differenzieren wir in dem Buch zwischen acht verschiedenen Typen von evangelisch hochreligiösen ­Jugendlichen (Kapitel 3). Für uns bringt der Begriff „Generation Lobpreis“ jedoch ­etwas zum Klingen, das sich durch fast alle Ergebnisse hindurchzieht und stimmig ist mit dem Gesamtbild, das wir aus der Vielzahl und Vielfalt der Ergebnisse gewonnen haben. Einerseits spielt ganz faktisch der Lobpreis eine wichtige Rolle. Uns war das vorher bewusst, jedoch hat uns überrascht, wie intensiv Lobpreis im Glauben der evangelisch hochreligiösen Jugendlichen verortet ist und welch tiefe und beispielhafte Bedeutung er für das eigene Glaubensleben hat. Dabei geht es nicht nur um Lobpreis als Musik, sondern es geht um das Lebens- und Glaubensgefühl, das Lobpreis vermittelt. Hierin zeigt sich auch das, was man eine Individualisierung, Emotionalisierung oder Subjektivierung des Glaubens nennen könnte. Dies gilt für das Gottesbild (höchster Wert: Gott liebt mich bedingungslos) wie für die Glaubens­praxis (Lobpreis ist eine wichtigere Quelle des Glaubens als Gebet und Bibellesen), für die Kirche (höchster Wert: Gemeinschaft) oder die Motivation zum Ehrenamt (höchster Wert: weil es Spaß macht).

Was genau bedeutet hochreligiös?

Im Verlauf der Studie und der ersten Präsentation einzelner Ergebnisse merkten wir, dass der religionssoziologische Fachbegriff der „Hochreligiosität“ selbst von Fachleuten anderer Disziplinen schnell missverstanden wird. Er weckt sofort ­Assoziationen, die in Richtung Fundamentalismus, Radikalismus oder einer verstockten bzw. verengten Frömmigkeit gehen. Diese Assoziationen sind sehr missverständlich. Deswegen erläutern wir hier gleich zu Beginn des Buches, warum wir den Begriff der Hochreligiosität verwenden und was genau wir darunter verstehen.

Wie man sich leicht vorstellen kann, ist etwas so wenig Greifbares und Gegenständliches wie Glaube bzw. Religiosität eines Menschen schwierig wissenschaftlich zu erfassen. In verschiedenen Religionen sind sehr unterschiedliche Dinge wichtig. In ihrem Zentrum steht beispielsweise ein heiliger Text, bei anderen spielen Texte eine viel geringere Rolle. Und selbst innerhalb einer Religion gibt es große Unterschiede. So ist für viele Katholiken der Besuch der Beichte für den Glauben existenziell wichtig, für Pfingstler hingegen die Geisttaufe oder die Zungenrede. Hinzu kommen noch die persönlich-charakterlichen Unterschiede jedes Menschen (jeder bzw. jedes Gläubigen). Jedoch gibt es mittlerweile eine mehr als 100-jährige Tradition empirischer Religionsforschung, die hier bewährte Instrumente, Verfahren und Messmodelle entwickelte. Eines der bislang wohl elaboriertesten und anerkanntesten Verfahren zur Messung von Religiosität stammt vom Religionssoziologen Stefan Huber. Dieses wurde bereits in mehr als 100 Studien in 25 verschiedenen Ländern eingesetzt. Die bekannteste und umfangreichste davon ist der Religionsmonitor. Dieser ist eine der größten Studien zum Thema Religion weltweit, bei der zuletzt 2013 ca. 14.000 Menschen aus 13 Ländern befragt wurden.8 Das Messverfahren von Huber hat sich in vielen Studien bewährt und bestätigt. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass es eine hohe Korrelation mit der religiösen Selbsteinschätzung einer Person gibt.9 Mit diesem Modell haben wir daher auch in der empirica Jugendstudie gearbeitet.

Huber versucht mit seinem Messmodell vor allem zu untersuchen und vergleichbar zu machen, wie intensiv Menschen gläubig sind bzw. wie zentral dieser Glaube in ihrem Leben verankert ist oder auf das Leben ausstrahlt. Mit anderen Worten: Es wird erfasst, wie stark Wahrnehmung, Denken und Verhalten einer Person durch ­deren Glauben beeinflusst wird. Um diese Intensität oder Zentralität der Religiosität zu messen, werden sechs verschiedene religiöse Dimensionen erfasst, die (in unterschiedlicher Ausprägung) in jeder Religion eine Rolle spielen. Diese sind:

Glaubensinhalte:Woran glauben hochreligiöse Jugendliche? Welches Gottesbild haben sie?

Private Glaubenspraxis:Wie praktizieren sie ihren Glauben im privaten Raum? Welche Rolle spielen persönliches Gebet und Bibellesen im Alltag der Jugend­lichen?

Öffentliche Glaubenspraxis: Wie praktizieren sie ihren Glauben im öffentlichen Raum? Inwiefern besuchen sie Veranstaltungen wie Gottesdienste, Jugend­kreise etc.?

Erfahrung: Welche Erfahrungen machen die Jugendlichen mit ihrem Glauben? Erleben sie Gottes Nähe?

Intellekt:Wie denken Jugendliche über ihren Glauben nach? Wie beurteilen sie ihr Wissen und ihre Auskunftsfähigkeit über den Glauben?

Konsequenz: Wie wirkt sich der Glaube in ihrem Alltag aus? In welcher Form wirken die Jugendlichen im Kirchen- und Gemeindeleben mit?

 

Um ein differenziertes und genaues Bild des Glaubens der untersuchten Jugend­lichen zu geben, haben wir alle sechs Dimensionen bei unserer Erhebung berücksichtigt. Denn von der Ausprägung einer Dimension kann nicht hinreichend auf die Ausprägung einer anderen geschlossen werden.

Mit dem Modell von Huber kann man letztlich die Religiosität eines Menschen messen und mittels des Durchschnittswertes aller sechs Dimensionen zwischen hochreligiösen, religiösen und nichtreligiösen Personen unterscheiden. Der Unterschied in der Intensität bzw. Zentralität des Glaubens ist dabei nicht nur graduell, sondern auch in qualitativer Hinsicht gegeben.10 Bei Hochreligiösen befindet sich der Glaube quasi im Zentrum ihrer Persönlichkeit und übt von dort einen starken Einfluss auf alle anderen Aspekte der Person und deren Leben aus. Deutlich wird dies vor allem darin, dass auch für Bereiche wie zum Beispiel politische Einstellungen und Handlungsweisen der Glaube eine zentrale Rolle spielt und darauf Einfluss hat, während nichtreligiöse und religiöse Menschen politische Einstellungen üblicherweise eher unabhängig von ihren Glaubensüberzeugungen entwickeln.

Wen wir befragt haben und wie wir dabei vorgegangen sind

Untersucht haben wir hochreligiöse, evangelische Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren. Die Beschränkung auf evangelische Jugendliche ergab sich aus dem Umstand, dass katholische Jugendliche und deren Glaube regelmäßig auf dem Weltjugendtag der Katholiken untersucht werden und man über sie vergleichsweise gut Bescheid weiß. Da, wie bereits erläutert, die Gruppe evangelischer Jugendlicher in sich sehr heterogen ist und wir hier unterschiedliche Zugangswege wählen mussten, haben wir uns für die Fokussierung auf evangelisch hochreligiöse Jugendliche entschieden. Unter „evangelisch“ verstehen wir hierbei Jugendliche, die sich ihrem subjektiven Empfinden nach der evangelischen Kirche, der evangelischen Gemeinschaftsbewegung oder einer evangelischen Freikirche zugehörig fühlen. Zwar erhoben wir auch die formale Mitgliedschaft, es zeigte sich jedoch bereits im Pretest, dass es oft Unterschiede zwischen der formalen Mitgliedschaft und einer subjektiven Zugehörigkeit gab und für die Jugendlichen Letztere bedeutungsvoller war.

Weil wir also evangelische, hochreligiöse Jugendliche untersuchen wollten und dabei schon eine recht spezifische Gruppe im Blick hatten, suchten wir Zugangswege, bei denen zum einen die Wahrscheinlichkeit groß war, dass wir diese spezielle Gruppe erreichen konnten und bei der diese Gruppe in ihrer Unterschiedlichkeit auch genügend zum Zuge kommen konnte. Dazu haben wir unterschiedliche Zugangswege gewählt.

Ein erster und wichtiger Zugangsweg war das Christival, eine mehrtägige Veranstaltung, die sich vornehmlich an christliche Jugendliche richtet und die unter anderem Konzerte, Gottesdienste und Seminare umfasst. Seit dem ersten Christival 1976 in Essen gab es fünf weitere Veranstaltungen. Das Christival 2016 fand vom 4.–8. Mai 2016 in Karlsruhe statt und wurde von über 13.000 Jugendlichen besucht. Es schien uns für die Zielgruppe der Studie sehr geeignet. Bereits andere Studien (Weltjugendtag der Katholiken) zeigten,11 dass Großereignisse sich heute besonders für Studien eignen, da sie einen großen Querschnitt an Jugendlichen anziehen. Für das Christival hatten wir zudem Statistiken vorliegen, nach denen die Teilnehmer*innen aus einem breiten evangelischen Hintergrund kamen, wobei über 50 Prozent aus einer der evangelischen Landeskirchen kamen und der Rest sich auf verschiedene Frei­kirchen sowie landeskirchliche Gemeinschaften aufteilte.

Entsprechend machten wir uns mit einem Team nach Karlsruhe zum Christival 2016 auf. Im Gepäck hatten wir 100 Tablets, die speziell für unsere Befragung programmiert wurden. Mithilfe von ca. 40 ehrenamtlichen Interviewer*innen, die wir ­sowohl schriftlich als auch mündlich in ihre Aufgabe einwiesen, konnten wir innerhalb von wenigen Tagen sehr viele Jugendliche befragen. Die Interviewer*innen hatten hierbei vor allem die Aufgabe, Jugendliche anzusprechen und kurz zu erläutern, worum es in der Befragung ging. Teilnahmewillige Jugendliche konnten ­anschließend selbstständig den Fragebogen über den Touchscreen der Tablets ­ausfüllen. Auf ­diesem Weg konnten mit einer begrenzten Zahl von Interviewer*innen relativ viele ­Befragungen gleichzeitig durchgeführt werden. Als Anreiz zur ­Teilnahme an der ­Befragung konnten sich Jugendliche, welche den Bogen vollständig ausgefüllt hatten, in ein Gewinnspiel eintragen, bei dem es fünf Tablets zu ­gewinnen gab. Die Bereitschaft zur Teilnahme war erstaunlich hoch. Wir befürchteten zunächst, dass sich viele Jugendliche nicht auf eine Befragung einlassen würden, da sie ­zumeist in Gruppen zu dem Festival kamen, welches mit einem sehr vollen und abwechslungsreichen Programm lockte. Zudem dauerte das Beantworten der Fragen (mithilfe des Tablets) bis zu einer halben Stunde. Wir hatten ganz subjektiv jedoch den Eindruck, dass viele Jugendliche froh waren, als kleine Erholung für ­kurze Zeit einzeln vor einem Bildschirm zu sitzen.

Neben dem Christival führten wir auch auf dem Jugendkirchentag 2016 der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eine ähnliche Erhebung durch, um ­einen klassischeren kirchlichen Kontext mit einzubeziehen.

Zusätzlich zu diesen beiden Offline-Erhebungen kam eine Online-Version des Fragebogens zum Einsatz, auf den über folgende Wege aufmerksam gemacht wurde:

Christival: Hinweis in der Begrüßungstüte, welche alle Teilnehmenden am ­Eingang erhielten, plus Verteilen von Flyern auf dem Festivalgelände.

Jugendkirchentag: Hinweis auf der Homepage, Verteilen von Flyern auf dem ­Festivalgelände etc.

Websites und Blogs: z. B. evangelisch.de, jesus.de, aej.de, aej Newsletter, JAT ­Kinder- und Jugendwerk der Methodisten, CVJM-Blog, GJW oder Jugend der FeG etc.

Soziale Netzwerke: Facebook, Twitter, „Start in den Tag“-App des Neukirchener Verlags etc.

Anschreiben an Institutionen und Schlüsselpersonen, die in der Jugendarbeit ­tätig sind (diese verteilten den Link zum Fragebogen dann weiter), zum Beispiel: aej information, cvjm Newsletter etc.

 

Auf diese Weise konnten wir insgesamt 3.187 evangelische Jugendliche untersuchen. Ziemlich genau drei Viertel (75 Prozent bzw. 2.386) von ihnen konnten wir als hochreligiös identifizieren. Diese hochreligiösen evangelischen Jugendlichen bilden die Kernstichprobe, auf die wir uns im Folgenden beziehen, sofern wir es nicht anders benennen. An vielen Stellen werden aber die religiösen Jugendlichen aus unserer Studie als Vergleichsgruppe herangezogen. Weitere Vergleichsgruppen wurden aus dem Zensus, dem ALLBUS 2012 und 2014, V. KMU, sowie den Daten der Shell Jugendstudie 2015 entnommen.12

Die untersuchten hochreligiösen Jugendlichen fühlen sich knapp zur Hälfte (48 Prozent) der evangelischen Kirche zugehörig. Die restlichen Fälle verteilen sich auf ­landeskirchliche Gemeinschaften, verschiedene Freikirchen und sonstige Angaben. Damit ist der Anteil der Freikirchler*innen unter den Hochreligiösen sehr groß. In Grafik 1 wird deutlich, dass mit der Religiosität auch der Anteil von Jugendlichen mit freikirchlicher Zugehörigkeit steigt. Der hohe Anteil von Freikirchler*innen ist daher vermutlich keine Verzerrung der Stichprobe, sondern tendenziell eine Eigenart der Grundgesamtheit hochreligiöser Jugendlicher und junger Erwachsener mit evangelischer Zugehörigkeit. Umgekehrt erlebten wir, dass in kirchlichen Kreisen hochreligiöse Jugendliche ausschließlich mit freikirchlichen jungen Menschen ­assoziiert wurden. Wie sich zeigt, stimmt dies aber nicht, da in unserer Stichprobe knapp die Hälfte der Jugendlichen eine kirchliche Zugehörigkeit aufweist. Auch wenn in der kirchlichen Jugendarbeit die Hochreligiösen eine vergleichsweise ­geringere Rolle spielen, so ist es doch ein Kurzschluss, Hochreligiosität mit Freikirchlichkeit gleichzusetzen. Zudem ist, wie sich noch genauer zeigen wird, die Gruppe der Hochreligiösen besonders in der kirchlichen Mitarbeit und für zukünftige haupt­amtliche Tätigkeiten zentral. Gerade innerhalb evangelischer Kirchen sollte man diese Gruppe also nicht aus den Augen verlieren oder gar ihre Existenz leugnen, bloß weil sie nicht den eigenen Denkschemata entspricht. Da sich bereits bei früheren Studien gezeigt hat, dass diejenigen, die aus einer landeskirchlichen Gemeinschaft kommen, eher den Freikirchlern ähneln als denjenigen aus einer evangelischen ­Kirche, haben wir dort, wo wir kirchliche und freikirchliche Jugendliche mitei­nander vergleichen, die ­Jugendlichen, die zu einer landeskirchlichen Gemeinschaft ­gehören, zu den Freikirchen gerechnet.

Zusätzlich zu diesem quantitativen Teil der Studie wollten wir auch qualitative Daten gewinnen. Wir wollten die Jugendlichen ausführlich zu Wort kommen lassen und hören, wie sie die Dinge in ihrer eigenen Sprache formulieren. Insgesamt führten wir daher 62 ausführliche Einzelinterviews. Die Erhebung der qualitativen Daten fand in drei Phasen statt. In einem ersten Teil wurden parallel zur quantitativen Erhebung mittels der Tablets auf dem Christival und dem Jugendkirchentag 30 Face-to-face-Interviews durchgeführt. In einer zweiten Phase vertieften wir die bisherigen qualitativen Ergebnisse durch zusätzliche Fragen an haupt- und ehrenamtliche Experten des Handlungsfeldes evangelischer Jugendarbeit (21 Interviews). Eine dritte Phase führten wir durch, nachdem wir die knapp 3.200 Jugendlichen aus der quantitativen Studie mittels einer statistischen Analyse in acht Typen einteilten. Mithilfe einer Nachbefragung ermittelten wir Vertreter*innen dieser Typen und führten mit ihnen ein Interview durch, um jeden Typus durch ein qualitatives Fallbeispiel portraitieren zu können. Die 62 qualitativen Interviews wurden in einem aufwendigen Verfahren transkribiert, codiert und interpretiert. Die Ergebnisse davon geben einen wichtigen Einblick in das Innenleben des Glaubens der Jugendlichen, den die statistisch ­erhobenen Daten so nicht geben können. Außerdem war uns wichtig, dass die ­Jugendlichen selbst zu Wort kommen und in ihrer Sprache die Themen ansprechen können, die sie für wichtig halten. Wer sich für die Methodik, das Vorgehen und die quantitativen und qualitativen Gesamtergebnisse interessiert, wird in unserem über 300-seitigen Forschungsbericht fündig, der unter www.institut-empirica.de einge­sehen werden kann.

Da der Schwerpunkt der Studie auf hochreligiösen Jugendlichen aus dem evange­lischen Raum liegt und es für diese Gruppe keine gesicherten Gesamtdaten (Größe, Zusammensetzung etc.) gibt, war es nicht möglich, eine im statistischen Sinn repräsentative Studie durchzuführen. Wir haben aber durch ein aufwendiges Verfahren versucht, Ergebnisse zu erzielen, die mit einer guten Wahrscheinlichkeit trotzdem für diesen Bereich verallgemeinerbar sind. Wer sich für methodische ­Hintergründe und einen Überblick über alle Ergebnisse interessiert, dem sei der ­bereits erwähnte über 300-seitige Forschungsbericht ans Herz gelegt. Hier findet sich auch der theoretische Rahmen der Studie und alle weiteren wissenschaftlichen ­Hintergründe. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden wir im Folgenden nicht immer von evangelisch hochreligiösen Jugendlichen reden, sondern teils auch einfach von hochreligiösen Jugendlichen, Hochreligiösen oder einfach auch Jugend­lichen. Wenn nicht anders gekennzeichnet, beziehen sich unsere Ergebnisse auf ­diese Gruppe.

In unserer Studie wollten wir nicht nur wissen, was und wie hochreligiöse Jugendliche glauben, sondern auch wie sie ihren Alltag gestalten und wie beides miteinander zusammenhängt. Welche Rolle spielt der Glaube in ihrem Alltag? Inwiefern ist das Verhalten der Jugendlichen in alltäglichen Situationen von ihrem Glauben angeleitet? Im Normalfall gibt es hier eine andere entscheidende Einflussgröße, die man „Lebenswelt“ oder teils auch „Milieu“ nennt. Hier erhebt man neben Daten zum sozialen Hintergrund (Aus welcher Schicht stammen die Jugendlichen?) und ihrer ­Bildung bzw. Bildungsorientierung auch zahlreiche Daten zu Werten, Grundhaltungen, Mentalitäten sowie ihrem Freizeitverhalten als auch zu Einstellungen und Überzeugungen zu zahlreichen Aspekten. Auf diese Weise kann man mittels statistischer Analysen „Gruppen Gleichgesinnter [...], die jeweils ähnliche Werthaltungen, Prinzipien der Lebensgestaltung [und] Beziehungen zu Mitmenschen und Mentalitäten aufweisen“13 entdecken.

Aus welchem Milieu stammt die Generation Lobpreis ?

Wir wissen, dass sich Jugendliche tendenziell mit Jugendlichen zusammentun, die ähnlich ticken beziehungsweise einen ähnlichen Habitus aufweisen (wie man soziologisch formulieren würde). Die Lebenswelt, die man mit dem Großteil seiner Gleichaltrigen teilt, gestaltet somit als stärkste Einflussgröße den Alltag. Sie ist nicht ­einfach nur durch einen ähnlichen Geschmack und einen ähnlichen Stil bestimmt, sondern hängt auch stark damit zusammen, woher die Jugendlichen kommen (Kommen sie eher aus einer unteren oder einer oberen Schicht? Sind sie in einem eher bildungsfernen oder -nahen Haushalt aufgewachsen?) und wohin sie sich aktuell im sozialen Raum orientieren. Die Fragen, die wir uns von Beginn an stellten, lauten: Wie verhalten sich Lebenswelt und Glaube bei hochreligiösen Jugendlichen zueinander? Prägt das Milieu den religiösen Lebensstil der Jugendlichen oder ist dieser unabhängig von der Herkunft? Bilden hochreligiöse Jugendliche gar ein eigenständiges Milieu, das sich hinsichtlich der Lebens- und Glaubenspraxis signifikant von den Ergebnissen anderer Jugendstudien unterscheidet? Die Beantwortung dieser Fragen setzt voraus, die Milieuzugehörigkeiten hochreligiöser Jugendlicher zu verstehen und mit ihrem Glauben in Zusammenhang zu bringen.

In den aktuellen Sinusjugendstudien (siehe Grafik) werden sieben solcher jugendlicher Lebenswelten unterschieden. Die einzige, in der für einige Jugendliche Glaube und Religion eine tendenziell positive Rolle spielen, ist die der bürgerlich-konservativen Jugendlichen. In einem Satz werden sie portraitiert als „die familien- und heimat­orientierten Bodenständigen mit Traditionsbewusstsein und Verantwortungsethik“. Diese haben eine mittlere bis hohe Bildung und ihre normative Grundorientierung ist ein Mix aus traditionellen und modernen Werten. Zusammen mit dem prekären Milieu, das (vielmehr) durch eine niedrige Bildung gekennzeichnet ist, stellen sie die jugendliche Lebenswelt mit den tendenziell traditionellsten Werten dar. Die Kirche stellt im Leben dieser Jugendlichen einen festen Anlaufpunkt dar, der ihnen soziale Kontakte und Sicherheit bietet.

Die Sinusjugendstudien machen keine genauen Aussagen über evangelische hoch­religiöse Jugendliche, jedoch erhält man den Eindruck, dass diese fast ausschließlich aus dem bürgerlich-konservativen Milieu kommen. Eine Ausgangshypothese ­unserer Studie war, dass diese Diagnose zu vereinfacht ist und wir aus eigenen ­Beobachtungen schätzen würden, dass die Lebenswelt- und Milieuorientierung der evangelischen hochreligiösen Jugendlichen vielfältiger ist – dass es also auch ­evangelisch hochreligiöse Expeditive und evangelisch hochreligiöse experimentalistische Hedonisten gibt. Um hierzu eine Aussage zu machen, sammelten wir auch ­Daten über den sozialen Hintergrund, die Bildung sowie über Wertorientierungen und Mentalitäten bzw. sogenannte Alltagsästhetiken.

Da die Sinusstudien von einem Marktforschungsinstitut durchgeführt werden und sie daher ihr genaues methodisches Vorgehen nicht offenlegen, konnten wir die Lebensweltzugehörigkeit nicht eins zu eins messen. Wir konnten jedoch mittels einer Reihe von anderen etablierten Vorgehensweisen Indikatoren erfassen, die uns hier ein begründetes und fundiertes Urteil erlauben.14

Beginnen wir zunächst mit den Fragen, die uns etwas über die soziale Herkunft der Jugendlichen verraten. In welchem Elternhaus sind sie groß geworden und wo im sozialen Raum ist dieses zu verorten? Ist das Elternhaus tendenziell eher als bildungsnah oder bildungsfern zu charakterisieren? Es ist in Jugendstudien nicht einfach, auf diesem Gebiet gesicherte Erkenntnisse zu erlangen. Nicht nur müsste man den Jugendlichen hierzu sehr viele Fragen stellen (was zur Folge hätte, dass man für andere wichtige Fragen keinen Platz bzw. keine Zeit mehr hätte), vielmehr wissen Jugendliche oft über diese Fragen nicht oder nur vage Bescheid (was zum Beispiel die Höhe des Haushaltseinkommens angeht). In vielen Studien hat sich jedoch die Antwort auf eine einfache Frage als sehr guter Indikator für die Bildungsorientierung des Elternhauses insgesamt erwiesen: „Wie viele Bücher haben deine Eltern?“

Es zeigt sich, dass fast die Hälfte der hochreligiösen Jugendlichen angibt, dass ihre Eltern sehr viele Bücher zu Hause haben. Knapp 77 Prozent geben an, dass ihre Eltern viele oder sehr viele Bücher haben.

Gut die Hälfte (52 Prozent) geben zudem an, dass ihr Vater einen höheren Schulabschluss hat (also Fachabitur, Abitur oder Erweiterte Oberschule [DDR] 12. Klasse). 40 Prozent geben das auch für ihre Mütter an. In 47 Prozent der Fälle haben die Mütter jedoch einen mittleren Schulabschluss. Die Eltern der evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen haben im Durchschnitt somit deutlich höhere Schulabschlüsse als die Eltern der gleichaltrigen Vergleichsgruppe aus der Shell Jugendstudie, wie die unten stehende Grafik zeigt.

Auch bezüglich der eigenen Schulabschlüsse bei den befragten Jugendlichen, die nicht mehr in der Schule sind, zeigt sich das gleiche Muster. Sie besitzen ebenfalls eine viel höhere Bildungsnähe als in einer für das Alter in Deutschland ­repräsentativen Vergleichsgruppe. Hier wird es sogar noch deutlicher, da die Jugendlichen mit Hochschulreife unter den evangelischen hochreligiösen Jugendlichen mehr als doppelt so häufig wie im bundesdeutschen Durchschnitt vertreten sind (45 Prozent zu 21 Prozent).

Fasst man hier verschiedene Variablen zusammen und deutet diese vor dem Hintergrund des fachlichen Wissens, ergibt sich bezüglich der Schichtzugehörigkeit des Elternhauses der Jugendlichen folgendes Bild:

Die größte Gruppe der evangelischen hochreligiösen Jugendlichen stammt aus der Oberschicht (41 Prozent) bzw. zu einem sehr großen Teil (89 Prozent) mindestens aus der mittleren Mittelschicht. Das Ergebnis liegt nicht weit entfernt von den religiösen Jugendlichen, trotzdem hat es uns in dieser Eindeutigkeit ziemlich überrascht.

Werte-Orientierungen

Ein weiterer wichtiger Baustein der Lebenswelten von evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen ist ihre Werteorientierung. Um diese zu messen und etwas darüber auszusagen, wie sie sich zur Werteorientierung heutiger Jugendlicher allgemein verhalten, haben wir uns an den Ergebnissen und Messmethoden der Wertestudien von Klages und Gensicke orientiert, die bereits seit Ende der 1970er-Jahre im Einsatz sind und auch in den Shell Jugendstudien Anwendung finden. Klages und Gensicke zufolge sind Werteorientierungen „individuelle Präferenzen, nach denen Menschen in einem übergreifenden Lebenskontext ihre Wahrnehmungen und ihr Handeln ausrichten. Wertevorstellungen sind sozial vorgeformt, weil Menschen gesellschaftlich geprägte Wesen sind, und sie haben soziale Konsequenzen.“ 15 Hier wird zunächst die Wichtigkeit von Einzelwerten erhoben. In einem zweiten Schritt werden diese mittels statistischer Analysen zu ähnlichen Werten zusammengefasst, und in einem dritten Schritt werden unterschiedliche Wertetypen unterschieden.

In der Tabelle ist zu sehen, welche Werte bei den jeweiligen Wertetypen unter- oder überdurchschnittlich ausgeprägt sind. Nach der Shell Jugendstudie 2015 ist die größte Gruppe in Deutschland (12–25 Jahre) die der aufstrebenden Macher, der 32 Prozent aller Jugendlichen angehören. Unter den evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen ist der Wertetypus der aufstrebenden Macher nicht nur am stärksten vertreten, sondern mit 40 Prozent deutlich überrepräsentiert. Dies ist der Typus, dem die Wertesynthese gelingt, das heißt alle drei – teils eher gegensätzlichen – Wertedimensionen sind bei ihm überdurchschnittlich ausgeprägt:

die Wertedimension „Tugend und Sicherheit“, die aus „Gesetz und Ordnung respektieren“, „Fleißig und ehrgeizig sein“ und „Nach Sicherheit streben“ besteht;

die Wertedimension „Idealistische Werte“, die aus „Phantasie und Kreativität entwickeln“, „Sozial Benachteiligten helfen“, „Andere Meinungen tolerieren“ und „Sich politisch engagieren“ besteht;

die Wertedimension „Hedonistische und materielle Werte“, die aus „Das Leben voll genießen“, „Hohen Lebensstandard haben“, „Sich gegen andere durchsetzen“ und „Macht und Einfluss haben“ besteht.

 

In der Shell Jugendstudie werden sie treffend beschrieben: „Erhöhte materielle Ansprüche verbinden sich bei ihnen mit einem ausgeprägten Bedürfnis, kreativ zu sein, und mit der Bereitschaft zum gesellschaftlichen Engagement. Dieses Profil ist zugleich mit einer hohen Akzeptanz der gesellschaftlichen Spielregeln verbunden und mit einer starken Betonung der Tüchtigkeit. Auch das Bedürfnis nach Sicherheit ist hoch.“16Aufstrebende Macher werden sie deshalb genannt, da sie weder zu den sozial etablierten noch den eher prekären Jugendlichen gehören, sondern eher den „Typus des sozialen Aufsteigers“17 repräsentieren. Trotz großer Bildungsnähe ist also davon auszugehen, dass viele der evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen nicht aus Elternhäusern stammen, die bereits seit Langem in der Oberschicht oder oberen Mittelschicht etabliert sind, sondern aus Elternhäusern, die in diese Schichten aufgestiegen sind.

Nach den „Aufstrebenden Machern“ ist unter den evangelischen, hochreligiösen ­Jugendlichen mit 29 Prozent der Wertetypus der „Unauffällig Zögerlichen“ am zweithäufigsten vertreten. Auch dieser Wertetypus ist im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt bei den evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen überdurchschnittlich stark vertreten. Mit 24 Prozent ist er dort von vieren der drittgrößte Wertetypus. Interessanterweise stellen die „Unauffällig Zögerlichen“ das genaue Gegenteil der „Aufstrebenden Macher“ dar: Alle Wertedimensionen sind bei ihnen unterdurchschnittlich stark ausgeprägt. Drittgrößter von vier Wertetypen ist mit 22 Prozent der Typus der „Pragmatischen Idealisten“. Im Vergleich zum bundesdeutschen Durchschnitt (25 Prozent) ist dieser leicht unterrepräsentiert. „Pragmatische Idealisten“ vertreten stark überdurchschnittlich idealistische Werte („Phantasie und Kreativität entwickeln“, „Sozial Benachteiligten helfen“, „Andere Meinungen tolerieren“, „Sich politisch engagieren“) und stark unterdurchschnittlich hedonistische und materielle Werte. Die Wertedimension „Tugend und Sicherheit“ ist bei ihnen leicht überdurchschnittlich ausgeprägt.

Deutlich am geringsten unter den evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen ausgeprägt sind mit neun Prozent die „Robusten Materialisten“, bei denen die hedonistischen und materiellen Werte („Das Leben voll genießen“, „Hohen Lebensstandard haben“, „Sich gegen andere durchsetzen“, „Macht und Einfluss haben“) stark überdurchschnittlich ausgeprägt sind, die anderen Werte hingegen unterdurchschnittlich – idealistische Werte meist stark unterdurchschnittlich. Mit 19 Prozent stellen sie zwar auch im bundesweiten Durchschnitt der Shell Studie die kleinste Gruppe unter den vier Wertetypen dar, bei den evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen sind die „Robusten Materialisten“ mit neun Prozent im Vergleich aber stark unterdurchschnittlich vertreten.

Mit Blick auf die Sinus-Jugendmilieus zeigt die mit 40 Prozent größte Gruppe unter den evangelischen, hochreligiösen Jugendlichen, die „Etablierten Macher“, eine große Nähe zu den „Adaptiv-Pragmatischen“ auf, die ebenfalls für eine starke Wertesynthese stehen. Sie stellen die neue Mitte unter den Jugendlichen dar und vertreten damit den Mainstream der heutigen Jugendgeneration, der im folgenden Exkurs ­genauer beschrieben wird.

Der neue Mainstream der heutigen Jugendgeneration

Bei der heutigen Jugendgeneration ist eine starke Gegenwartsorientierung festzustellen. Zum einen gibt es einen Bedeutungsverlust der Vergangenheit, da man sich aufgrund des beschleunigten sozialen Wandels immer weniger an der Vergangenheit und den dort gemachten Erfahrungen orientieren kann. Zum anderen gibt es aber in einer postmodernen Gesellschaft auch einen eklatanten Mangel an gesellschaftlich positiven Visionen für die Zukunft. In diesem Sinne bleibt nichts anderes als die ­Gegenwart und ein gewisser Pragmatismus sowie ein mindestens moderater Hedonismus, welchesich als Kernwerte durch diese Generation ziehen.

Das Mehr an Möglichkeiten führt zugleich zu einer gewissen Orientierungslosigkeit und dies wiederum zu einem „Regrounding“. Das heißt, Jugendliche suchen in einer sich rapide wandelnden Welt nach Halt, nach Entlastung und nach Zugehörigkeit.18 Halt findet man jedoch vor allem in primären, also familiären Beziehungen, Beziehungen zu Freundinnen und Freunden sowie zu Partnerinnen und Partnern. In Zeiten, in denen alles in Bewegung ist und nichts sicher erscheint, sind diese primären Beziehungen im Vergleich zu früher von besonders großer und existenzieller Bedeutung. Sie sind das Einzige, was einigermaßen Halt und Beständigkeit verspricht. Für nicht wenige Jugendliche sind diese primären Beziehungen auch die Hauptquelle für Sinn und Bedeutung.19