Generation New Country - Ben T. Weiniger - E-Book

Generation New Country E-Book

Ben T. Weiniger

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Beschreibung

Innerhalb von 3 Jahrzehnten ist die Country Music zu einer gesellschaftsprägenden Ausdrucksform geworden. Unter dem Stichwort "New Country" wird die spannende Geschichte einer neuen Künstlergeneration erzählt, die mit Mut, Überzeugung und Inspiration ein wachsendes Publikum in ihren Bann gezogen hat... Eine informative und leidenschaftliche Lektüre...nicht nur für Country-Freunde!

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Seitenzahl: 509

Veröffentlichungsjahr: 2021

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„Only in Country Music

you can compare an old pickup truck

and an old guitar to your wife

and turn it into a Country song

…thank God for Country Music“

Dierks Bentley

INHALTSVERZEICHNIS

Editorial:

Das Phänomen „New Country“

Wie wurde aus „Old Country“ „New“?

Wieviel „New“ verträgt der Country?

Die Väter des New Country

Die Wurzeln liegen tief

Helden der Outlawbewegung

Der Spirit der Singer-Songwriter

Stars of the Heartland

Auf- und Abstieg der Popkultur

Die Geburtshelfer des New Country

Die Wiedergeburt der Tradition

The Class-Of-86

Whitleys Vermächtnis

Der New-Country-Urknall (1989-1995)

Black & Brooks knacken die Schale

„The Dance“ erschafft einen Helden

New Country erreicht die Masse

Hat-Act-Revival

Die Country-Pop-Fusion (1995 – 2001)

Shania Twains Amazonenpower

Pop-Hype, Chicks & 9/11

Die Rückkehr der „Bad Guys“ (2001 – 2006)

Strings Welcome

Patriotism & Politics

Kenny Chesneys Arenahype

Die zweite Welle der Neo-Tradition (2006-2011)

Die New-Neo-Bewegung

Casting Shows und Lady’s Revival

Taylor Swift Megastar

Grammywunder und kommerzieller Aufbruch

Bro-Country & Outlaw-Comeback (2011-2016)

Luke Bryan und die „Georgia-Connection“

„Cruise“ und die Macht eines Songs

Auferstehung des „Country Music Jesus“

New Country in der Identitätskrise (2016 - 2020)

Im Niemandsland zwischen Pop und R&B

Der Einfluss des Texas Country

Ende oder Wiedergeburt? – ein Ausblick

Literaturverzeichnis

Editorial: Das Phänomen „New Country“

Während diese Zeilen entstehen, liegt ein bahnbrechendes Musikereignis 30 Jahre zurück. Am 14. Juli 1990 landete ein unscheinbarer Cowboy aus Oklahoma mit seinem Nr.1-Hit „The Dance“ den großen Durchbruch und begründete eine der erfolgreichsten Künstlerkarrieren des ausklingenden 20. Jahrhunderts.

Über den Verlauf von drei Jahrzehnten ist Garth Brooks zur lebenden Ikone eines bis dahin nischenhaften Genres emporgestiegen: der Country Music. Mit ihm als Leitfigur hat sich das verschrobene Image des „Country“ zu einem zeitgemäßen Kulturphänomen entwickelt, eine Vielzahl von Künstlerpersönlichkeiten hervorgebracht und gesellschaftlich breite Akzeptanz gefunden. Aus dem „Old Country“ der Väter und Urväter ist der „New Country“ der Kinder und Enkel geworden.

Während im Mutterland des Country eine neue Zeitrechnung begonnen hat, ist die Wahrnehmung außerhalb der USA noch immer von historischen Bildern und Klischees geprägt. Denkt man hierzulande an „Country“, dann erscheinen vor unserem geistigen Auge ein schwarz gekleideter Mann mit markanten Gesichtszügen, ein sympathischer Blondschopf mit Nickelbrille und eine wasserstoffblondierte Dame im Glamouroutfit. Die Klänge von „Ring Of Fire“ und „I Walk The Line“ sind Hörern aller Musikrichtungen ein Begriff. Mit den Partykrachern der Hermes House Band und The Boss Hoss haben die Countrystandards „Take Me Home Country Roads“ und „Jolene“ den Weg in unser musikalisches Wertesystem gefunden.

Heute – mehr als 20 Jahre nachdem Henry John Deutschendorf alias John Denver mit einem Leichtflugzeug vor der kalifornischen Küste ins Meer gestürzt ist, mehr als 15 Jahre nachdem der legendäre Johnny Cash seiner Ehefrau June Carter im Abstand von vier Monaten in den Tod gefolgt ist - steht der „New Country“ auch bei uns in den Startlöchern, jenes altherbrachte Image abzulösen. Frei nach dem Motto „Der Country ist tot, es lebe der Country!“ ist die Gefolgschaft des Garth Brooks dabei, die Mission der musikalischen Erneuerung in Europa fortzusetzen.

Wie wurde aus Old Country „New“?

Die Country Music hatte über Jahrzehnte ein rückwärtsgewandtes Image zu beklagen und als trennendes Element zwischen „Jung und Alt“, „Schwarz und Weiß“, „Nord und Süd“, „Stadt und Land“ eine Schneise durch die amerikanische Gesellschaft geschlagen. Wer modern, hip, tolerant und weltoffen sein wollte, machte um den Country einen Bogen. Trotz großartiger Persönlichkeiten, die sich in ihrem Wirken für eine Öffnung des Genres eingesetzt hatten, blieb die Grundwahrnehmung der Country Music abgrenzend und „out of time“.

Der „New Country“ als neue, gesellschaftlich offene Form der Country Music hat kein festes Entstehungsdatum. Vor dem Hintergrund, dass es in der Country Music regelmäßig Phasen der Neuerung gegeben hat, tut man sich bis heute schwer, ihn als offizielle Stilrichtung festzuschreiben. Mit dem Bakersfield-Sound der 1960er, dem Outlaw- und Country-Rock der 1970er und nicht zuletzt dem Country-Pop der frühen 1980er Jahre, ist das Genre immer wieder durch neue Strömungen geprägt worden. Doch seit Ende der 1980er Jahre ist etwas grundlegend „Neues“ eingetreten, das die Country Music in ihrer Substanz verändert hat. Der New Country ist keine Welle oder Modeerscheinung, sondern steht für die Entwicklung eines eigenständigen, stilistisch toleranten Musikgenres und eines damit verbundenen Lebensgefühls.

Der New Country wird gerne leichtfertig mit Country-Pop gleichgesetzt und als natürlicher Feind traditioneller Werte abqualifiziert. Dies ist vom Grundsatz her unzutreffend, da dieser neuen Entwicklung ein traditioneller Kern zugrunde liegt. Im Gegenteil waren die Geburtshelfer des New Country Künstler, die sich nach zähen Jahren des Country-Pop zu Beginn der 1980er Jahre, eine Rückkehr zu mehr Tradition wünschten. „Neo-Tradition“ war das Stichwort, unter dem eine neue Generation von Interpreten dem seicht gewordenen Genre klarere Konturen verleihen wollte und damit die Grundlage für eine neue Stilrichtung geschaffen hat.

Aufstrebende Künstler dieser Übergangsphase von John Anderson über George Strait, Ricky Skaggs bis zu Reba McEntire wollten weder die Uhren zurückdrehen noch die Verwässerung in Richtung Country-Pop vorantreiben. Ihre Idee bestand darin, das breite Unterhaltungselement mit klaren countrytypischen Einflüssen ihrer Vorbilder zu verbinden. Durch die neotraditionelle Bewegung wurden neuen Künstlern Spielräume eröffnet, ihre musikalischen Ausdrucksformen zu verwirklichen. Der frische Sound der Judds, der kraftvoll-dynamische Retro-Stil eines Dwight Yoakam, Randy Travis‘ gesangliche Prägnanz oder die gewollten Stilbrüche eines Steve Earle stellten Tradition und Moderne gleichberechtigt nebeneinander. Auch wenn hinter vorgehaltener Hand schon von einer neuen Countrybewegung gesprochen wurde, stand der Szene der entscheidende Befreiungsschlag noch bevor.

Zeitgleich zur Entstehung des New Country hatte die amerikanische Pop-Musik nach Jahren des kommerziellen Hochs Ende der 1980er Jahre ihren Zenit überschritten. Das von Idolen wie Michael Jackson, Prince oder Madonna geprägte Genre wurde immer stärker in elektronische, anonyme Synthetikprojekte überführt. Dem weltweit populären Heartland Rock eines Bruce Springsteen, John Mellencamp oder Bob Seger ging mit jedem weiteren Album ein Stück Originalität verloren. Der publikumswirksame Hard-Rock der 80er Jahre wurde durch den psychedelisch beeinflussten Grunge von Bands wie Pearl Jam oder Nirvana abgelöst. Es entstand ein Vakuum an populärer Musik, das nur darauf wartete, aufgefüllt zu werden.

Mit dem Übergang in das neue Jahrzehnt übernahm der Country - die nostalgische Nische von einst - das Zepter und schaffte es erstmalig, einen grenzüberschreitenden Publikumszuspruch zu entfachen. Über die folgenden drei Jahrzehnte ist es dem New Country gelungen, sich als eigenständiges Genre zu emanzipieren und mit einer schier endlosen Anzahl an Künstlerkarrieren ein dauerhaftes Markenbild zu erschaffen.

Wieviel „New“ verträgt der Country?

Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte hat sich der New Country als starkes, widerstandsfähiges Genre erwiesen. Als Garth Brooks den Country zu Beginn der 1990er Jahre mit Elementen des Pop verbunden und in die großen Hallen geführt hatte, waren traditionelle Beobachter von dessen Ende überzeugt. Wem es gelingt, in einem Live-Event eine fünfstellige Zuschauerzahl zu begeistern, die sich rein äußerlich kaum von einem Pop-Publikum unterscheidet, der musste zwangsläufig countryfremd unterwegs sein. Spätestens als Brooks‘ drittes Album „Ropin‘ The Wind“ im Jahr 1991 die Spitze der Billboard-200-Album-Charts erreichte, war der Hitsänger aus Oklahoma als Totengräber der Szene ausgemacht.

Blickt man auf die Stilistik der frühen 90er Jahre zurück, so sind die von der Künstlerklasse um Garth Brooks, Alan Jackson oder dem Starduo Brooks & Dunn initiierten revolutionären Einflüsse heute als Meilensteine einer sich erneuernden Musikszene unumstritten. Als Shania Twain dem Country Mitte der 90er Jahre die Tür zur internationalen Popmusik geöffnet hatte, wurden die Grenzen des Genres ein weiteres Mal auf die Probe gestellt. 15 Jahre später folgte mit dem Bro-Country der nächste Belastungstest. Bis zum heutigen Tage hat der New Country diese stilistischen Sidesteps unbeschadet überstanden und zum Teil seiner eigenen Geschichte gemacht.

Heute im Jahr 2020 sind einzelne, dem New Country zugeordnete Interpreten äußerlich wie musikalisch von Vertretern des Hip-Hop und R&B kaum noch zu unterscheiden. Wo sind die Grenzen stilistischer Freiheit, die sogenannten „roten Linien“, deren Überschreitung eine Abkehr vom New-Country-Genre bedeutet? Wieviel „New“ verträgt der Country, um weiterhin Country bleiben zu dürfen und wer trifft die Entscheidung, ab wann diese Grenzen überschritten sind?

Entgegen vieler Befürchtungen hat die Countryszene bis heute ein sicheres Gespür dafür, wer Teil der „Familie“ ist und wer sein Aufenthaltsrecht verwirkt hat. Nachdem Shania Twain Ende der 90er Jahre mit ihrem Album „Come On Over“ und einer Reihe unauthentischer Hit- Remixe Weltkarriere gemacht hatte, neigte sich ihre Erfolgsserie in der heimischen New-Country-Szene dem Ende entgegen. Ähnlich erging es Starkollegin Faith Hill, die nach ihren Pop-Single-Hits „This Kiss“ und „Breathe“ für den Countrymarkt fortan disqualifiziert war. Wer einmal über das Ziel hinausschießt und der Countryszene zugunsten einer Karriere in der Welt des Pop den Rücken kehrt, für den ist die Tür bis auf weiteres geschlossen. Dies war sicherlich auch einer Taylor Swift bewusst, als sie im Jahr 2015 mit dem Album „1989“ ihren weltweiten Siegeszug startete und den gleichzeitigen Ausstieg aus dem New Country verkündete.

Stichwort „rote Linien“. Grenzen der Toleranz sind subjektiv und können nicht immer an harten Kriterien festgemacht werden. Mit der Veränderung des musikalischen Zeitgeistes verschieben sich zwangsläufig auch die Toleranzgrenzen der Genres. Die seinerzeit revolutionären Einflüsse des 90er-Jahre-Country werden heute als stilecht bis Retro abgehakt. Ob die Partysounds eines Luke Bryan, die R&B-Loops eines Sam Hunt oder der Boyfriend-Pop des Duos Dan + Shay dem Country noch zugehörig sind und der Weiterentwicklung des Genres dienen, wird man möglicherweise erst mit einiger Zeitverzögerung feststellen können.

Klar ist, dass ständige Erneuerungen und Grenzverschiebungen zwar neue Impulse bringen, aber gleichzeitig den inneren Wertekern eines Genres angreifbar machen. Wenn ein verdienter Interpret seine Musik synthetisiert, auf Countryinstrumentierung verzichtet und das typische Storyelement opfert, wird er zwangsläufig Gefahr laufen, die Toleranzgrenzen des Country zu überschreiten. Gelingt es dem gleichen Interpreten dagegen, countrytypische Elemente mit neuen stilistischen Einflüssen in die Gunst des Publikums zu bringen, so kann er auf die Akzeptanz der Szene als New-Country-Act vertrauen.

Die größte Gefahr für die Existenz des Country unter dem Zusatz „New“ sind weniger die stilistischen Experimente als ein fortschreitender Mangel an Kreativität. Eine Musikszene, die mit dem Wandel der Gesellschaft und des Zeitgeistes nicht mehr Schritt halten kann, droht in sich zu zerfallen und aus dem Blickpunkt der Öffentlichkeit zu geraten. Auch der stilistisch freie New Country ist vor einem Rückfall in das alte Nischendasein keineswegs gefeit. Dass der Country des Jahres 2020 nicht mehr nach 1960 klingen darf, um überlebensfähig zu bleiben, liegt auf der Hand. Dies schließt nicht aus, dass sich Teile der Szene traditionellen Richtungen verschreiben und damit Teilen des Publikums ein Stück der guten alten Zeit zurückgeben.

Die Geschichte des „New Country“ hat an verschiedener Stelle gelehrt, dass es gerade die traditionellen Flashbacks sind, die das Genre bereichern und den nächsten Entwicklungsschub vorbereiten. Am Ende verträgt der Country so viel „New“, wie seine Anhänger bereit sind, zu tolerieren. Dieses Buch startet den ehrgeizigen Versuch - nach einem intensiven Blick auf die Vorläufer - die Entwicklung des New Country über mehrere Teiletappen zu beschreiben und damit seine Ausdruckskraft als Gesellschaftsphänomen zu unterstreichen.

I. Die Väter des New Country

Die Väter des New Country sind als unumstrittene Vorbilder längst in die Geschichtsbücher eingegangen. Auch wenn der 2020er Crossover-Country von Interpreten wie Luke Combs, Thomas Rhett, Sam Hunt, Morgan Wallen oder Kane Brown nur wenige historische Berührungspunkte erkennen lässt, gibt es feinste Verästelungen, die auf tiefliegende musikalische Wurzeln hindeuten. Ohne Väter keine Söhne; ohne Söhne keine Enkel. Die Weitergabe des musikalischen Gencodes über mehrere Generationen ist auch dann gegeben, wenn die äußeren Merkmale bei flüchtigem Blick ein Verwandtschaftsverhältnis ausschließen.

Die New-Country-Szene von heute hat eine Reihe von Vätern; Vorfahren, auf die sich die Hitjäger des 21. Jahrhunderts mit Respekt und Stolz berufen. Wenn New-Country-Outlaw Eric Church die tiefe Verbundenheit zu Merle Haggard predigt, Tattoo-Rocker Brantley Gilbert dem Country-Radio mehr „Cash, Hank, Willie & Waylon“ nahelegt und Jason Aldean seine Hip-Hop-Grooves mit Erinnerungen an George Jones verbindet, wirkt dies auf den ersten Blick irritierend. Auf der anderen Seite beruft man sich gezielt auf die Namen, die Jahrzehnte zuvor in einer ähnlichen Situation die Entwicklung des Countrygenres vorangetrieben haben und auf diesem Wege zu „Seelenverwandten“ wurden.

Wo liegen nun die Wurzeln des New Country? Welche „Urväter“ haben den Stein ins Rollen gebracht und ihre DNA über mehrere Generationen in die Szene von heute übertragen?

1. Die Wurzeln liegen tief

Hank Williams

Auch wenn sich mit Jimmie Rodgers und der Carter Family bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts ein erster Starkult herausgebildet hatte, kommt man bei den Anfängen der modernen Country Music unweigerlich auf den Namen Hank Williams. Der Holzarbeitersohn aus Alabama hatte so ziemlich alles, was Interpreten nachfolgender Generationen als Inspiration und Bewunderung empfinden konnten. Williams stammte aus einfachsten Verhältnissen, verfügte über eine außergewöhnliche Gabe als Sänger und Songwriter, die sich in Kombination mit einer labilen Psyche in unbändiger Kreativität entlud. Der auf eine schwere Alkohol- und Morphinabhängigkeit zurückzuführende frühe Tod im Alter von 29 Jahren trägt sein Übriges zur Legendenbildung bei.

Hank Williams starb am Neujahrstag 1953. Doch bis heute, mehr als 60 Jahre nachdem „Old Hank“ leblos auf dem Rücksitz seines Cadillacs gefunden wurde, werden Countrystars nicht müde, sich auf seinen Namen zu berufen. Ist es wirklich Seelenverwandtschaft, bloße Bewunderung oder vielleicht doch ein wenig Attitüde?

Zunächst mal darf man von einer tiefen Bewunderung für einen Mann sprechen, der in seiner kurzen, nur etwa sechs Jahre währenden Karriere aus einer Unmenge selbstgeschriebener Songs mehr als 40 Hits hinterlassen hat. Titel wie „Lovesick Blues“, „I Saw The Light“, „Your Cheatin‘ Heart“ oder „I’m So Lonesome I Could Cry“ haben ihren Weg als Standards in das Great American Songbook gefunden. Hank Williams‘ Strahlkraft reicht weit über die Countryszene hinaus und hat Idole anderer Genres von Elvis Presley über Bob Dylan bis Mick Jagger geprägt. Dieser grenzüberschreitende Einfluss entspricht dem Bild der New-Country-Szene insofern, als dass sich viele der heutigen New-Acts als genrelose Künstler auf dem Boden der Countrytradition verstehen.

Hinzu kommt eine Eigenschaft, die in der Entwicklungsgeschichte des modernen Country zunehmend ins Hintertreffen geraten ist: die Einheit von Songwriter und Interpret. Hank Williams hatte aufgrund seiner Persönlichkeit die Gabe, tiefschürfende Stories über das eigene Seelenleben zu verfassen und diese als authentische Bekenntnisse mit Leidenschaft zu interpretieren. Für die Country Music, die stets den Anspruch hat, real und authentisch zu sein, ist dies ein Vorbild, an dem sich eine Heerschar von Singer-Songwritern bis heute orientiert.

Stellt man mit Johnny Cash, Waylon Jennings, Townes Van Zandt, Merle Haggard, Kris Kristofferson oder David Allan Coe eine Liste von „Big Names“ zusammen, so sind es häufig die unangepassten Charaktere, mitunter Außenseiter der Gesellschaft, die sich als herausragende Singer-Songwriter hervorgetan haben. All diese großen Namen lassen sich in ihrem Wirken irgendwo auf Hank Williams zurückführen und werden von den Querdenkern der heutigen New-Country-Szene gerne zitiert.

Neben den New-Country-Outlaws von Toby Keith über Chris Stapleton bis Eric Church sehen insbesondere die führenden Interpreten der aktuellen Texas-Country-Szene das eigenständige Songwriting als unverzichtbare Basis ihres Künstlerdaseins. So ist es keineswegs Zufall, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Tradition, dass „Urvater Hank“ in den Kompositionen der texanischen Selfmadestars häufiger präsent ist als bei den labelgesteuerten Kollegen Nashvilles.

Die Auswahl der Songs mit textlichen oder inhaltlichen Bezügen zu Hank Williams ist schier endlos. Die wohl berühmteste Songreferenz stammt von Waylon Jennings aus dem Jahr 1975, der auf seinem Evergreen „Are You Sure Hank Done It This Way“ mit den Pop-Einflüssen des 70er-Jahre-Country ins Gericht ging.

Zu den eindrucksvollsten Kompositionen zählt David Allan Coes „The Ride“ aus dem Jahr 1983. Diese handelt von einer seltsamen Begegnung mit einem Fremden, der sich auf einer Autofahrt von Montgomery nach Nashville seinem Begleiter mit den Worten „the whole world calls me Hank“ outet. Die Ratschläge des Reisenden dürfen bis heute als gutgemeinte Warnung verstanden werden, sich der Country Music mit Hingabe und Respekt zu nähern. Texas-Country-Sänger Deryl Dodd konnte mit einer Coverversion dieses Klassikers im Jahr 2017 einen regionalen TOP-10-Hit landen. Dodds texanischer Landsmann Isaac Jacob hatte im Jahr zuvor mit einer Variation des Songthemas auf „The Dream“ dem Geist des großen Johnny Cash gehuldigt.

Dwight Yoakam, Hauptvertreter des 80er-Jahre Bakersfield-Revivals, ist im Jahr 1989 mit dem TOP-5-Hit „Long White Cadillac“ einer ähnlichen Hank-Mystik gefolgt. Der vielleicht erfolgreichste Song der New-Country-Ära mit inhaltlichem Bezug zu Hank Williams ist Alan Jacksons Hit „Midnight In Montgomery“ aus dem Jahr 1992. Begleitet von einer geheimnisvoll klingenden Steelguitar wird eine geisterhafte Begegnung mit dem großen Countryidol im Rahmen einer mitternächtlichen Friedhofsszene beschrieben. Gerüchten zufolge ist Hank Williams‘ Grab auf dem Oakwood Cemetery Annex in seiner Heimatstadt Montgomery seitdem zur nächtlichen Pilgerstätte unzähliger Countrymusiker und –fans geworden.

Neben den Hank-Themensongs existiert eine Vielzahl von Titeln mit losen Textbezügen, denen man durchaus den Verdacht der Attitüde unterstellen darf. Jason Aldeans Country-Rocker „My Kinda Party“, Justin Moores Family-Ballad „If Heaven Wasn’t So Far Away“ oder Tim McGraws „How I’ll Always Be“ (be)nutzen das Hank-Symbol eher dazu, um dem Song in Gänze ein nostalgisches Ambiente überzustülpen.

Stichwort Attitüde: Seit den Erfolgen eines George Strait ab Mitte der 80er Jahre ist es eine regelmäßige Begleiterscheinung des Country, dass Sänger und Songwriter nicht die gleiche Person sind. Auf der Suche nach konstanten Hitmustern haben die Top-Stars der Nashville-Szene von Tim McGraw über Blake Shelton, Jason Aldean bis zu Luke Bryan große Teile des Songwritings professionellen Schreibern übertragen. Gemeinsam mit den regierenden Record-Labels und dem allmächtigen Country-Radio sind sie Teil eines Machtdreiecks, das über die Gestaltung des erfolgbringenden Songmaterials entscheidet. Dem Interpreten bleibt die finale Aufgabe, sich auf die „front-end-delivery“ gegenüber dem Publikum zu konzentrieren. Man darf daher mit gutem Gewissen behaupten, dass der Einfluss des großen Singer-Songwriters Hank Williams in weiten Teilen der heutigen Szene eher als Mythos denn als Impulsgeber weiterlebt.

Dass uns Hank Williams trotz seines antiquiert klingenden Sounds näher ist als manch innovativer Nachfolger, hat auch familiäre Gründe. Der im Jahr 1949 geborene Hank Williams Jr. zählt mit einer mittlerweile sechs Jahrzehnte andauernden Karriere zu den schillerndsten Figuren der neueren Countrygeschichte. Bereits im Alter von 8 Jahren wurde Hank Jr. von Mutter Audrey mit Songinterpretationen seines Vaters auf die Bühne geschickt. Das Talent des Juniors reichte aus, um den Geist des Übervaters fortwirken zu lassen und ließ den herangewachsenen Sprössling zu einer Stilfigur des 80er-Jahre-Outlaw-Country heranreifen.

Im Verlauf der 1980er Jahre bildete der deftige, dem Southern Rock entliehene Sound Hank Jr.‘s. einen Kontrapunkt zu dem süßlichen, aus der Urban-Cowboy-Ära stammenden Country-Pop-Kommerz. Nachdem sich zu Beginn der 90er Jahre mit dem milderen politischen Klima die Soundmuster in Richtung Pop verschoben hatten, kam dem überzeugten Patrioten Hank Williams Jr. sein Betätigungsfeld abhanden. Als New-Country-Outlaw Eric Church den von Neil Young geschriebenen Waylon-Kultsong „Are You Ready For The Country?“ im Jahr 2015 an der Seite Hank Jr.‘s zurück ins Leben rief, schienen sich die Trennlinien zwischen den Generationen wieder aufzulösen.

Neben seinem leiblichen Sohn Hank Jr. hat die gottgleiche Vaterfigur Hank Williams in den Rock‘n Rollern der 50er Jahre, den Helden der Outlawbewegung, den Singer-Songwritern des Folk und Americana und den Songpoeten des Heartlandrock weitere Nachkommen gefunden. Durch deren Überlieferung ist das Wort des „Propheten aus Alabama“ bis zum heutigen Tage in den Köpfen der Szenestars verankert.

Während der Spirit Hank Williams‘ die Countryszene wie ein überirdischer Wächter umgibt, ist sein musikalischer Einfluss eher überschaubar. Die großen Hank-Hits sind als Coverversionen heute kaum noch gefragt. Sein traditioneller Old-Country-Style findet nur im Kreise hartgesottener Nostalgiker Nachahmung.

Lefty Frizzell & George Jones

George Jones, ein blonder Texaner aus der Küstenstadt Beaumont, hat sich über viele Jahrzehnte als herausragender Sänger und Songinterpret einen Namen gemacht und damit stilbildenden Einfluss auf den Start der New-Country-Ära ausgeübt. Jones geht in seiner Prägung auf Lefty Frizzell zurück, dessen Gesangsstilistik trotz einer vergleichsweise kurzen Karriere generationsübergreifenden Einfluss hatte. Von Merle Haggard über David Allan Coe lässt sich die Frizzell‘sche Gesangsschule bis zu John Anderson, Keith Whitley und Dwight Yoakam in die 80er Jahre hineinverfolgen.

Ähnlich wie Hank Williams war auch George Jones ein instabiler Charakter, dessen Karriere fast durchgängig von Alkohol- und Drogenproblemen begleitet war. Mehr als ein halbes Jahrhundert gab der Songstilist mit dem Spitznamen „The Possum“ dem von Instrumenten dominierten Country eine eigene Stimme. Im Gegensatz zu seinen texanischen Landsleuten Ernest Tubb, Bob Wills, Willie Nelson oder Waylon Jennings war George Jones weder ein herausragender Songwriter noch ein namhafter Instrumentalist.

Der Mann, der an der Seite seiner dritten Ehefrau Tammy Wynette als Duettinterpret Kultstatus erreichte, war es dafür umso mehr, der den Gesang im Country zu einer eigenen Ausdrucksform hochstilisierte. Texas-Buddy Waylon Jennings wird nicht umsonst mit den Worten zitiert „Wenn wir es uns aussuchen könnten, würden wir alle wie George Jones klingen.“

Ohne Jones wäre die Karriere von New-Country-Pionier George Strait sehr wahrscheinlich anders verlaufen. Die Garde der Neotraditionalisten von Keith Whitley bis Alan Jackson kann sich dem Jones’schen Einfluss in ihren Interpretationen nicht wirklich entziehen. Mit Tracy Byrd, Mark Chesnutt und Clay Walker konnte in den 90er Jahren ein Trio gesangsstarker Interpreten aus Jones Heimatstadt Beaumont ebenfalls Karriere machen.

Das Besondere an dem bescheidenen Südtexaner war seine Wertschätzung als Interpret über die Countryszene hinaus. Von Country-Rock-Pionier Gram Parsons über Led-Zeppelin Leader Jimmy Page bis hin zu Singer-Songwriterlegende Leonard Cohen wird die Stimme von „The Possum“ als einzigartig herausgestellt. Als Jones, dessen Karriere neben zahllosen Top-Hits dreizehn Nr.1-Singles enthielt, im Jahr 2013 im Alter von 81 Jahren starb, war vielen klar, dass die vielleicht eindrucksvollste Countrystimme aller Zeiten die Bühne für immer verlassen hat.

Bei allem Lob für den Songstilisten Jones und dessen positiven Einfluss auf nachfolgende Sängergenerationen, darf ein Kritikpunkt nicht unerwähnt bleiben. Durch Jones‘ Erfolge wurde die bereits angesprochene Trennung von Sänger und Songwriter nach und nach salonfähig. Anstelle der Message rückten Ausdruck und Stimmperformance stärker in den Vordergrund. Das authentische Songwriting wurde der gesanglichen Melodik gewissermaßen untergeordnet. Durch George Jones wurde es möglich, dass ein talentierter Interpret auch ohne eigenes Songmaterial erfolgreich sein konnte. In dieser Tradition fand der New Country mit George Strait und Tim McGraw zwei Interpreten, deren überragender Erfolg als „Songseller“ hauptsächlich durch fremdes Songwriting zustande kam. Auf Basis dieser Erkenntnis wurde seit den 80er Jahren die Entstehung einer neuen Songwriterszene als „fremdbestellte Hitlieferanten“ entscheidend begünstigt.

Die Verehrung des George Jones findet in zahlreichen Titeln heutiger Szenekünstler ihren Eingang. Aus diesem Kanon zählen Alan Jacksons „Don’t Rock The Juke Box“ und Jason Aldeans Country-Rap-Mixtur „Dirt Road Anthem“ zu den größten Hits der New-Country-Ära. George Straits & Alan Jacksons Kultsong „Murder On Music Row“ über Nashvilles Verdrängung der Countrytradition lässt neben „Hank & Hag“ in der letzten Strophe auch „The Possum“ musikalisch „seine Sachen packen“. Der in den 90er Jahren als neotraditionelle Hoffnung emporgekommene Trace Adkins wählte im Jahr 2016 nach jahrelanger Durststrecke den vielsagenden Titel „Jesus & Jones“ als Comebacksingle.

Auch wenn er sich im Zuge seines Erfolges von der traditionellen Honky-Tonk-Szene mehr und mehr entfernt hatte, genießt der Name George Jones in seinem Heimatstaat Texas unverminderte Hochachtung. Mit dem 2015er Titel „Jonesin‘ For Jones“ verpasste „Ameripolitan“-Größe Dale Watson seinem Landsmann und Idol zwei Jahre nach dessen Tod eine Hommage der besonderen Art.

Bob Wills

Während sich George Jones bis heute des Respekts der Texas-Country-Gemeinde sicher sein darf, wird ein früher Landsmann als bodenständige Kultfigur aus tiefstem Herzen verehrt. Sein Name: Bob Wills. Der gelernte Friseur aus dem Limestone County gründete bereits in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts mit den „Texas Playboys“ eine der heißesten Bandformationen der Countrygeschichte.

Als ältestes von zehn Kindern wurde Wills von seinem Vater, einem landesweit bekannten Fiddle-Spieler, in die Geheimnisse des Instrumentes eingeweiht. Der junge Bob lernte schnell und brachte die bis dahin countryuntypische American Fiddle mit der Country Music in Verbindung. Durch das Aufkommen des Swing mit den großen Orchestern eines Benny Goodman oder Tommy Dorsey eröffneten sich auch der Country Music neue Möglichkeiten. Der findige Wills erkannte dies und erweiterte sein Playboy-Ensemble um Blechbläser auf eine Big-Band-Stärke von bis zu 18 Personen. Eine neue Stilrichtung war geboren: Der Western Swing. Der als legitimer „King Of Western Swing“ gefeierte Wills konnte die Countryszene bis Anfang der 50er Jahre mit Hits wie „San Antonio Rose“, „New Spanish Two Step“, „Sugar Moon“ oder „Faded Love“ entscheidend prägen, bevor die Swing-Ära durch das Aufkommen des Rock‘n Roll abgelöst wurde.

Bob Wills, dessen Alkoholprobleme kein Geheimnis waren, zog sich fortan von der Bühne zurück und verschwand infolge gesundheitlicher Rückschläge in der Versenkung. Seinem Bewunderer Merle Haggard war es zu verdanken, dass der stark gehandicapte Wills Anfang der 70er Jahre über eine Reunion der Texas Playboys auf die Bühne zurückkehren konnte. Durch das Aufkommen traditionsbewusster Bands, allen voran „Asleep At The Wheel“, erlebte der totgesagte Western Swing ein Revival. Sein Begründer konnte dies nur noch am Rande miterleben. Durch mehrere Schlaganfälle gehandicapt verstarb Bob Wills im Mai 1975 im Alter von 70 Jahren.

Auch wenn der Western Swing als Subgenre bis heute eine Nischenposition einnimmt, ist die Wirkung seines „Erfinders“ auf die Countryszene immens. Das Time Magazine titulierte Wills anlässlich seines Todes aufgrund der packenden Rhythmik als einen Vorläufer des Country-Rock. Ebenso wird der von Buck Owens und Merle Haggards geprägte Bakersfield-Sound maßgeblich auf Wills Einfluss zurückgeführt.

Waylon Jennings schrieb mit „Bob Wills Is Still The King“ eine vielfach gecoverte Hymne auf den Großmeister, dessen wohl bekannteste Version von den Rolling Stones im Rahmen ihrer World-Tour 2006 im Austiner Zilker Park performt wurde. Mit regelmäßigen Tributes zählt „Asleep at The Wheel“-Leader Ray Benson als einer der Hauptpromotoren der aktuellen Texas-Country-Szene auch zu den wichtigsten Repräsentanten des musikalischen Erbes Bob Wills‘.

Wills ist es in erster Linie zu verdanken, dass die Fiddle auch im aktuellen New Country ihre Daseinsberechtigung nicht verloren hat. Ob akustisch oder in elektronifizierter Form, der Fiddle-Sound dient als Charakteristikum, dem sich auch aktuelle Stars von Kenny Chesney über Keith Urban bis Jon Pardi bedienen. Auch der Einsatz countryfremder Blechbläser, die sich hin und wieder auf modernen Nashville-Produktionen wiederfinden, darf den Wills’schen Pionierarbeiten zugeschrieben werden.

Bill Monroe

Was Bob Wills für den Western Swing ist, ist Bill Monroe für den Bluegrass. Mit dem allerdings feinen Unterschied, dass es Monroe gelungen ist, die schräge Hinterwäldlermusik aus der Bergen Kentuckys als eigenes Subgenre auch überregional zu etablieren. Der Bluegrass Monroescher Prägung hat über die Zeit eine Fülle von Interpreten gewonnen und sich mit Hilfe eigener Festivals als Szene verselbständigt.

In der Tat gibt es widersprüchliche Ansichten darüber, ob der in den Appalachen verwurzelte Bluegrass dem Country tatsächlich zugehörig ist oder diesem nur durch seine regionale Nähe zur Musikmetropole Nashville zugeteilt wurde. Bill Monroe hat schon frühzeitig die Nähe zu anderen Stilrichtungen gesucht, indem er den traditionellen Hillbilly seiner Heimat mit Elementen des Blues, Jazz und Folk gemixt hat. Durch diese stilistische Öffnung ergaben sich zwangsläufig Überschneidungen zu anderen Genres, die dem Sammelbegriff des Country heutiger Prägung nicht widersprechen.

Bill Monroes starker Persönlichkeit ist es zu verdanken, dass die von ihm kreierten Elemente Generationen überdauern konnten und mittlerweile als countrytypisch wahrgenommen werden. Sein temporeiches Mandolinenspiel oder das Three-Finger-Banjo-Picking seines Bandmitgliedes Earl Scruggs haben bis in die heutige Zeit zu Weiterentwicklungsschüben des Bluegrassgenres geführt. Sein wohl bekanntester Song „Blue Moon Of Kentucky“ wurde von Elvis Presley adaptiert und zu einem Standard der amerikanischen Musikgeschichte.

Mit den ersten Bluegrass-Festivals ab Mitte der 60er Jahre stand die Szene dem Folk zunächst deutlich näher und bildete einen Gegensatz zu dem in Richtung Pop mutierenden Nashville-Sound. Monroe selbst lehnte eine Kommerzialisierung des von ihm kreierten Bluegrass-Stils strikt ab und begann ab Ende der 70er Jahre im Rahmen weltweiter Tourneen für seine Musik zu werben. In seinem Gefolge hatte sich währenddessen eine zweite Generation von Musikern herausgebildet, die diesem Stil eine progressivere Note verliehen. String-Bands wie New Grass Revival und The Dillards integrierten Elemente des Rock und Folk, während Rockbands wie The Grateful Dead oder The Allman Brothers wiederum auf Bluegrasselemente zurückgriffen.

Die Einflüsse der Kentucky-Natives Ricky Skaggs und Keith Whitley waren es dann - begleitet von kommerziellen Hits wie „Mountain Music“ der Supergruppe Alabama - die den Bluegrass mit Beginn der 80erJahre als Stilelement des New-Country etablierten. Johnny Cash holte sich im Jahr 1980 mit Marty Stuart einen talentierten Mandolinenspieler in die Band, um seinen Sound an die Anforderungen der Zeit anzupassen. Mit Vince Gill (21 Grammys, 18 CMA-Awards) und der aus Illinois stammenden Alison Krauss (27 Grammys) bauten zwei der höchstdekorierten Interpreten der letzten drei Jahrzehnte ihre Karrieren auf dem Erbe Bill Monroes auf.

Durch die Erfolge der Dixie Chicks wurden Bluegrasselemente mit dem Country-Pop der späten 90er Jahre verknüpft. New-Country-Stars wie Dierks Bentley („Upon The Ridge“), Alan Jackson („The Bluegrass Album“) oder Dwight Yoakam („Swimmin‘ Pools, Movie Stars“) gestatteten sich vielbeachtete musikalische Sidesteps. Gerade die bluegrasstypischen Banjolicks werden von Szenestars der neuen Generation gerne verwendet, um sich dem Verdacht des countryfremden Pop zu entziehen. Von Keith Urban (Outro zu „Long Hot Summer“) bis hin zu Country-Pop-Stars wie Florida Georgia Line (Intro zu „Smooth“) werden diese Stilelemente gezielt zur Geltung gebracht.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind die Einflüsse Bill Monroes, der im Jahr 1991 im Alter von 84 Jahren starb, als tiefliegende Wurzeln aus dem New Country von heute nicht mehr wegzudenken.

Ernest Tubb & Ray Price

In den 1930er Jahren entstand in den Bars nahe der texanischen Ölfelder eine Stilrichtung, die sowohl den Rock‘n Roll der 50er als auch den Country-Rock der 70er Jahre stark beeinflusst hat: der Honky Tonk. Mit Hilfe elektrischer Gitarren begleitet durch Bass und Schlagzeug als Rhythmusinstrumente, entstand eine dynamische Musikrichtung, die den Alltagsproblemen der Arbeiter Gehör verschaffte. Ernest Tubb feierte als dessen Wegbereiter - zunächst in seinem Heimatstaat und ab Mitte der 40er Jahre auch in Nashville - große Erfolge. Sein Record Shop auf dem Nashviller Broadway ist bis zum heutigen Tage aktiv und zur Kultstätte für Plattenliebhaber geworden.

Tubbs‘ Texas Troubadours mit den Steel-Virtuosen Jerry Byrd und Buddy Emmons zählte zu den angesagtesten Bandformationen seiner Zeit. Das aktuelle Revival des Texas-Honky-Tonk ist in hohem Maße auf eine verstärkte Dominanz der von Tubb integrierten E-Gitarre zurückzuführen. Während der Troubadour persönlich nie als besonders prägnanter Sänger auftrat, hat ein anderer Vertreter dem Honky Tonk buchstäblich eine Stimme gegeben.

Der als „The Cherokee Cowboy“ bekannt gewordene Ray Price zählt zu den elegantesten Sängern seiner Generation und hatte seit Ende der 50er Jahre mit Roger Miller, Willie Nelson, Johnny Paycheck und dem von Ernest Tubb übergewechselten Buddy Emmons ein Starensemble an der Seite. Seine großen Verdienste für die Etablierung des Honky Tonks in den 50er Jahren werden häufig durch die Hinwendung zum seicht-populären Nashville-Sound in den 60er Jahren überblendet.

Neben Hank Williams, mit dem sich Price in Nashville vorübergehend ein Zimmer geteilt hatte, ist es dem Texaner mit der markanten Stimmfarbe zu verdanken, dass der Honky-Tonk-Sound den Sturm der Geschichte überdauert hat und heute in Texas durch Sänger wie Randy Rogers, Josh Ward, oder Cody Johnson zu neuer Bedeutung gelangt ist. Aus der Stimmlage des als Duointerpret in den 90er Jahren bekannt gewordenen Landsmannes Ronnie Dunn lässt sich die Linie des frühen Ray Price noch heute identifizieren.

Elvis Presley & Sun Records

Wer den New Country zu erklären versucht, kommt an den Verwurzelungen des Rock‘n Rolls der 1950er Jahre nicht vorbei. Die Keimzelle dessen liegt in einem schrägen Eckhaus an der Kreuzung von Marshall- und Union Avenue am Rande der Downtown der Bluesmetropole Memphis. Hier hatte sich Ende des Jahres 1949 ein lokaler Radiomoderator namens Sam Phillips eingemietet und ein bescheidenes Aufnahmestudio eingerichtet. Vier Jahre lang lebte Phillips vor Ort als Talentscout von der Hand in den Mund, bis ein schüchterner Junge aus der Mississippi-Kleinstadt Tupelo den Laden mit dem Sonnenlabel betrat. Heute ist es kein Geheimnis mehr, dass nicht nur die Existenz von Sun Records, sondern auch die Entwicklung der modernen Rockmusik maßgeblich mit dem Namen Elvis Presley zusammenhängt.

Elvis und Country? Welche Verbindungen spielen hier eine Rolle? Zunächst ist der spätere King Of Rock’n Roll in seiner Jugendphase, wie viele seiner musikalischen Zeitgenossen, durch Countrysänger beeinflusst worden. Neben Hank Williams zählten Eddie Arnold, Roy Acuff und Bluegrass-Legende Bill Monroe zu seinen Einflüssen. Dies erklärt die Tatsache, dass sich der Monroe-Klassiker „Blue Moon Of Kentucky“ in einer verschärften Rockabillyversion als B-Seite von Elvis‘ erster Single „That’s Alright Mama“ wiederfindet.

Darüber hinaus spielten der Deltablues und regionale Gospelsounds in der jugendlichen Prägung Presleys eine entscheidende Rolle. Der von ihm mitkreierte Rockabilly, der als späterer Rock’n Roll seinen Siegeszug um die Welt antrat, findet sich heute bei den frühen New-Country-Interpreten von Randy Travis über Dwight Yoakam bis zu Marty Stuart immer noch wieder. Unübersehbare Einflüsse des Elvis-Stils sind auch bei jungen universell auftretenden Interpreten wie dem Americana-Jungstar Parker Millsap oder New-Country-Sänger Jon Pardi spürbar.

Neben den legendären Rock’n Roll-Hits war Elvis Presley mit elf Nr.1-Titeln auch in den Country-Charts vertreten. Songs wie „Heartbreak Hotel“, „Hound Dog“ oder „Jailhouse Rock“ standen in beiden Charts gleichzeitig an der Spitze. Dies ist ein Indiz, dass sich in der Frühphase des Rock‘n Roll keine echte Trennlinie zum Country ausmachen ließ. Oder anders ausgedrückt: Der vom Swingeinfluss befreite Country überließ dem Rock’n Roll auf der Suche nach stilistischer Orientierung bereitwillig das Feld.

Doch es wäre schlicht zu kurz gesprungen, den Einfluss des Rock‘n Roll auf den Country alleine an der Person Elvis Presleys festzumachen. Hier kommt erneut der Name Sam Phillips ins Spiel. Dieser beschäftigte fast gleichzeitig mit Johnny Cash, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins drei weitere Junginterpreten, die jeder für sich Einfluss auf die Entwicklung der Countryszene nehmen sollten. Die legendäre Session des „Million Dollar Quartet“ vom 4. Dezember 1956, zu der sich die vier kommenden Stars zufällig im Rahmen einer Recordingsession trafen, ist längst Musikgeschichte geworden.

Über den überragenden Einfluss eines Johnny Cash wird an anderer Stelle noch ausführlicher zu sprechen sein. Cashs Kumpel und langjähriger Bandkollege Carl Perkins wurde noch vor Elvis Presley mit dem Hit „Blue Suede Shoes“ zum ungekrönten „King-Of-Rockabilly“. Der peitschende Sound eines Jerry Lee Lewis sorgte über ein Jahrzehnt für Furore, bevor der „Killer“ ab Ende der 60er Jahre als Countrysänger eine zweite Karriere begann. Die besondere Magie der Sun Record Studios zog in den kommenden Jahren weitere namhafte Interpreten in ihren Bann. Neben Roy Orbison und Charlie Rich heuerte dort auch ein junger Interpret namens Harold Jenkins an, der ab Ende der 60er Jahre unter dem Pseudonym Conway Twitty zu einem der erfolgreichsten Hitsänger der Countrygeschichte wurde.

Als sich der Country zu Beginn der 60er Jahre durch das Aufkommen des populären Nashville-Sounds von der Umklammerung des Rock’n Roll befreien konnte, ging auch die große Zeit von Sam Phillips und Sun Records zu Ende. Als Folge des schleichenden Niedergangs wurde die einstige Heldenschmiede Ende des Jahres 1969 an Mercury Records verkauft.

Zeitgleich zu den Erfolgen von Sun Records hatten sich mit Bill Haley & His Comets, Buddy Holly, Chuck Berry und Little Richard weitere Interpreten um die Belange des Rock’n Roll und damit unweigerlich um die Fortentwicklung der Country Music verdient gemacht. Bis zum heutigen Tag besitzt der Country hinsichtlich der Einflüsse des Rock’n Roll eine „offene Flanke“, die nicht unwesentlich einem Interpreten aus einer ruhmreichen Stadt im kalifornischen Central Valley zu verdanken ist.

Buck Owens

Alvis Edgar, genannt „Buck“, Owens war ebenfalls vom Rock’n Roll infiziert und ließ sich Anfang der 1950er Jahre von seinem Geburtsort Sherman in Texas auf dem Weg gen Westen im kalifornischen Bakersfield nieder. Dort hatte sich eine sprudelnde Musikszene entwickelt, in der der junge Owens als Sessionmusiker und Songschreiber Fuß fassen konnte. Er kam in Kontakt mit dem späteren Starsongwriter Harlan Howard, konnte jedoch als eigenständiger Interpret zunächst keine namhaften Hits landen. Owens verließ Bakersfield wieder und kehrte erst Anfang der 60er Jahre mit seinem selbstbenannten Debütalbum in die hiesige Szene zurück.

Als Spätberufener im Alter von 34 Jahren gelang dem Exil-Texaner mit seiner von Johnny Russell geschriebenen ersten Nr.1-Single „Act Naturally“ der Durchbruch. Buck Owens hatte von nun an seine Erfolgsformel gefunden und wurde mit 14 weiteren Nr.1-Hits in Folge zu einem der großen Publikumsstars der 60er Jahre. Mit seiner Begleitband, The Buckaroos, die im Wesentlichen durch den speziellen Sound ihres Gitarristen Don Rich getragen wurden, entwickelte Owens einen Stil, der die Dynamik des Rock‘n Roll aufgriff und mit dem frühen Honky-Tonk-Spirit eines Ernest Tubb in Verbindung brachte. Der durch knallige Telecaster-Gitarren geprägte Bakersfield-Style bot in dieser Phase einen wirksamen Gegensatz zu dem weicheren poporientierten Nashville-Sound.

Die Hitserie Buck Owens‘ reichte bis Ende des Jahres 1969, als er mit „Tall Dark Stranger“ seinen vorübergehend letzten Nr.1-Titel landete. Als Gastgeber der TVShow „Hee Haw“ konnte er sich ein zweites Standbein aufbauen und im Jahr 1972 mit dem Soundtrack-Song „Made In Japan“ zum letzten Mal als Leadartist die Spitze der Charts erreichen.

Mit dem Unfalltod seines Freundes und kongenialen Partners Don Rich im Sommer 1974 geriet auch die Musikerkarriere Buck Owens aus der Bahn. Doch der „King Of Bakersfield“ hatte sein Saatgut bereits ausgelegt und mit Dwight Yoakam einen stilistischen Nachkommen und Star des neotraditionellen Country der 80er Jahre an die Rampe gestellt. Yoakam, aus Kentucky stammend, sollte seinem Idol mit dem Duettsong „Streets Of Bakersfield“ im Jahr 1988 zu einem unerwarteten Comebackerfolg verhelfen.

Buck Owens starb nach langwieriger Krebserkrankung im Jahr 2006 im Alter von 76 Jahren. Ein Jahr später war es sein großer Einflussnehmer Dwight Yoakam persönlich, der das Vermächtnis der Bakersfield-Legende mit dem Tribute-Album „Dwight & Buck“ würdigte.

Der Einfluss von Buck Owens und den von Don Rich angeführten Buckaroos lebt in den Gitarrenhelden des New Country von heute weiter. Neben dem bereits erwähnten Dwight Yoakam stehen insbesondere Marty Stuart und Brad Paisley in dieser Tradition. Mit Frankie Ballard, Charlie Worsham und Chase Bryant sind auch Stars der neuen Generation Teil dieser Einflusssphäre. Der Stil der Bakersfield-Ära wurde in den 70er Jahren von kalifornischen Rockbands wie The Grateful Dead, Creedence Clearwater Revival, The Byrds sowie den Flying Burrito Brothers aufgegriffen und nicht zuletzt von den Eagles zum weltweit bekannten West-Coast-Sound weiterentwickelt.

Neben dem Einfluss Buck Owens‘ steht ein Bakersfield-Weggefährte im Vordergrund, der die Country Music seit Ende der 60er Jahre über alle Stilepochen hinweg bis in die New-Country-Neuzeit auf nachhaltigste Weise geprägt hat. Sein Name: Merle Haggard. Zusammen mit Johnny Cash zählt „The Hag“ zu den großen epochemachenden Interpreten, die als Bindeglieder zwischen den Vätern und heutigen Stars des New Country die Musik lebendig und populär gehalten haben.

2. Helden der Outlawbewegung

Was macht einen Outlaw aus? Lange Haare, Vollbart und Hut sind lediglich äußere Erscheinungsbilder, mit denen Vertreter dieser Zunft ihrer Abneigung gegen das Establishment Nachdruck verleihen. Im Ergebnis steht das Outlawdasein für eine bestimmte Geisteshaltung bei der Durchsetzung eigener musikalischer Vorstellungen. Letztere erfordert weder Hut noch Bart, sondern ein hohes Maß an innerer Überzeugung, Widerstandskraft und Courage.

Das Entstehen der Outlawbewegung in der Country Music ist zu einem erheblichen Teil auf die Vorleistungen zweier Interpreten zurückzuführen. Während Merle Haggard im Gefolge von Buck Owens aus dem kalifornischen Bakersfield Antworten auf den uniformierten Nashville-Sound entwickelte, war es Johnny Cash, der seine freigeistige Haltung bereits während der Hochphase des Rock‘n Roll in musikalischen Erfolg umsetzte.

Johnny Cash – Freigeist, Wegbereiter, Legende

Johnny Cash zählt zu den großen Musiklegenden des 20. Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund erscheint es etwas verkürzt, die Kultfigur aus dem ländlichen Arkansas als Countrysänger einzugrenzen. Die Strahlkraft Cashs reicht weit über das Genre hinaus und hat dem Country zu internationaler Anerkennung verholfen. Ähnlich wie bei Musiklegenden anderer Genres besteht die Karriere des „Man in Black“ aus mehreren Erfolgskapiteln, durchsetzt mit kreativen Engpässen, Krisen und persönlichen Rückschlägen.

Bei der Bewertung von Johnny Cashs Einfluss auf die Entwicklung des Country - und insbesondere des New Country - ist zwischen Musik und Mythos zu unterscheiden. Mit dem weltweit höchsten Bekanntheitsgrad aller Countrymusiker stellt er sowohl einen Merle Haggard als auch die kommerziellen Superstars George Strait und Garth Brooks in Sachen Prominenz deutlich in den Schatten.

Mit „nur“ 13 Nr.1-Hits aus rund 170 Singleveröffentlichungen in 50 Jahren Musikkarriere nimmt sich der Erfolg Cashs gegenüber anderen Countrystars vergleichsweise bescheiden aus. Bei den Tonträgern schafft es die Stilikone in seinem Heimatland USA mit 25 Mio. Verkäufen gerade noch unter die 100 besten Interpreten aller Genres. Dem steht Johnny Cashs massiver Erfolg als „bestselling country artist“ außerhalb der Vereinigten Staaten gegenüber.

Was ist der Hintergrund dieser verzerrten Wahrnehmung zwischen Legendenmythos und musikalischem Erfolg? In den USA war Johnny Cash aus Sicht der Industrie schon früh eine Art „Outsider“ und wurde von großen Teilen der Szene als „persona non grata“ behandelt. Seine hohe Beliebtheit in den unteren Schichten der Bevölkerung, gepaart mit einer stilistischen Eigenständigkeit, machte ihn für die Entscheider Nashvilles unbequem und undirigierbar. Zudem schien der Sänger mit dem schwarzen Outfit und dem knorrigen Gesichtsausdruck als Marketingbotschafter für das Countrygenre wenig geeignet. Cashs Ablehnung typischer Westernaccessoires als äußere Identifikationsmerkmale tat dabei ihr Übriges.

Auch wenn mit Hank Williams ein prägender Vorläufer bereits musikalische Ausdruckskraft und stilistische Eigenwilligkeit in sich vereinen konnte, war es Johnny Cash, der dem oftmals zu glatten Country die nötigen Ecken und Kanten beifügte und damit einen gewissen Prototyp des Outlaws erschuf. Bodenständig, authentisch, unangepasst und als „Anwalt der kleinen Leute“ in höchstem Maße glaubwürdig. Aufgrund seiner unbeugsamen Persönlichkeit darf man Johnny Cash als den „Outlaw unter den Outlaws“ bezeichnen, ohne den die Entwicklung des Countrygenres einen sicherlich anderen Verlauf genommen hätte. Zur Beschreibung des Phänomens Johnny Cash ein kurzer Einblick in die Stationen dieser einzigartigen Karriere.

Die Kindheit Johnny Cashs, der als viertes von sieben Geschwistern in Kingsland/ Arkansas zur Welt kam, war von den Lebensumständen der Großen Depression geprägt. Nach dem Umzug der Familie in die Ortschaft Dyess bewirtschaftete Cashs Vater Ray eine Baumwollfarm, auf der auch der kleine John frühe Erfahrungen mit den Umständen des harten Landlebens sammelte. Der Unfalltod von Bruder Jack sowie die Überflutung der heimischen Farm sorgten als Verlustereignisse für eine frühe Verbundenheit mit den Belangen der unteren Gesellschaftsschichten. Eine Grundeinstellung, die Johnny Cash bis an sein Lebensende verkörperte.

Die Karriere Cashs wurde durch den Militärdienst, den er Anfang der 1950er Jahre als Funker der U.S. Air Force zeitweise in Deutschland abhielt, begünstigt. Während der Stationierung in Landsberg am Lech gründete er mit den „Landsberg Barbarians“ seine erste Band. Doch es sollte bis zum Jahr 1954 dauern, ehe er mit seiner ersten Ehefrau Vivian den Sprung in die Musik- und Bluesmetropole Memphis vollzog.

Nach nächtlichen Sessions mit den Musikern der „Tennessee Two“, Luther Perkins und Marshall Grant, fasste sich der 22-jährige Sänger ein Herz und besuchte den lokalen Produzenten und Talentscout Sam Phillips in den legendären Sun Studios. Als Cash nach dem Vortragen einiger Gospelstandards abgewiesen wurde, kehrte er kurz darauf mit eigenem Songmaterial zurück, aus dem sich der unverwechselbare Boom-Chicka-Boom-Sound entwickeln sollte. Die Sun-Hits von „Cry, Cry, Cry“ bis „Folsom Prison Blues“ und „I Walk The Line“ eröffneten eine große Karriere und sind heute unauslöschbarer Teil des musikalischen Allgemeinguts.

Nachdem Johnny Cash Sun Records im Jahr 1958 verließ und zu Columbia wechselte, begann sich das legendäre Image des „Man In Black“ als musikalischer Anwalt der kleinen Leute herauszubilden. Der Legende nach hatte die schwarze Kleidung Cashs zunächst keinen symbolischen Hintergrund, sondern eher den praktischen Nutzen, dass sie auf Tour nicht so schnell verschmutzt wirkt. Auf dem Höhepunkt einer noch jungen Karriere stehend, ereigneten sich in dieser Phase erste Probleme durch Alkohol- und Amphetaminmissbrauch.

Ende der 1950er Jahre war Johnny Cash zum Star geworden und wurde trotz wachsender Fangemeinde von den Offiziellen der Szene mit Argwohn betrachtet. Sein Ruf als Outlaw manifestierte sich mit dem ersten Gefängniskonzert in San Quentin am 1. Januar 1958. Diese Performance war der Grundstein weiterer „prison gigs“ mit den denkwürdigen Aufnahmen „At Folsom Prison“ und „At San Quentin“ in den Jahren 1968 und 1969, die sich als musikalische Meilensteine fest eingebrannt haben. Für San-Quentin-Insasse Merle Haggard soll der Auftritt Cashs der entscheidende Startimpuls für die Karriere als singender „working man’s poet“ gewesen sein.

In den 1960er Jahren nahm das Leben Cashs durch die Ehe mit June Carter eine neue Wendung. Mit „Ring Of Fire“, dem Duett „Jackson“ und „A Boy Named Sue“ fallen drei der größten kommerziellen Cash-Hits in diese Phase. Neben der Identifikation mit der Arbeiterklasse war Johnny Cash ein großer Fürsprecher der Indianerrechte, die er musikalisch auf dem Album „Bitter Tears: Ballads Of The American Indians“ (1964) verarbeitete.

Während sich die Outlawbewegung um Willie Nelson und Waylon Jennings Ende der 1960er Jahre zu formieren begann, hatte sich der „Man In Black“ als TV-Conferencier im Rahmen der Johnny-Cash-Show zu einem massentauglichen Medienstar entwickelt. Über einen Zeitraum von zwei Jahren wurden genreübergreifende Musiker von Louis Armstrong über Ray Charles bis Bob Dylan präsentiert. Auch wenn Cash medial gezähmt wirkte und seine Hitkarriere in den 1970er Jahren nachließ, blieb er unbequem und von Teilen des Establishments gefürchtet. So änderte er bei einer Performance im Weißen Haus die von Präsident Richard Nixon gewünschte Songliste eigenständig ab, mit dem Hinweis, dass diese als „antihippie“ und „anti-black“ nicht erwünscht sei.

Geschüttelt von Drogenmissbrauch und gesundheitlichen Problemen sind die 1980er Jahre als verlorenes Jahrzehnt Johnny Cashs anzusehen. Die legendäre Highwaymen-Reunion mit den Outlawkollegen Willie Nelson, Waylon Jennings und Kris Kristofferson im Jahr 1985 brachte ein kurzzeitiges Aufflackern, ohne die ins Stocken geratene Solokarriere nachhaltig wiederzubeleben.

Während Johnny Cash in den 80ern in den USA musikalisch abgeschrieben war, erfreuten sich Fans in Übersee an ausgedehnten Touraktivitäten ihres Countryidols. Als Karrieretiefpunkt musste Cash nach fast 30 Jahren den Verlust seines Labelcontracts mit Columbia über sich ergehen lassen. Während sich in Nashville mit dem New Country zum Ende der 80er Jahre eine neue moderne Musikrichtung zu entwickeln begann, gehörte der gesundheitlich angeschlagene Ex-Star mit dem antiquierten Boom-Chicka-Boom-Sound zum alten Eisen.

Doch der Star von einst blieb „open minded“ und startete in den 90er Jahren – quasi parallel zu dem aufkommenden New-Country-Boom – eines der großartigsten Comebacks der Musikgeschichte. Dieses Comeback ist eng verknüpft mit einem Namen: Rick Rubin. Der Produzentenguru aus New York zeichnete sich in den 80er Jahren für eine Reihe von Rockproduktionen verantwortlich und hatte maßgeblichen Einfluss auf die Popularisierung des Hip-Hop und Black R&B. Mit LL Cool J, Run DMC, den Beastie Boys und Public Enemy hatte der mehrfache Grammygewinner eine Reihe talentierter Acts aus der Taufe gehoben. In den 90er Jahren waren es ambitionierte Rockproduktionen für Bands wie The Black Crowes, Red Hot Chili Peppers oder Mick Jagger, die den bärtigen Soundtüftler zu einem der angesagtesten Produzenten der Musikszene machten. Eine Verbindung zu dem alternden Ex-Idol Johnny Cash schien fernab jeglicher Vorstellung.

Johnny Cash hatte bereits im Jahr 1988 seine Begeisterung für ein Albumprojekt der Punkproduzenten Marc Riley und Jon Langford bekundet, in dem Cash-Songs von britischen Independent-Künstlern gecovert wurden. Seine Offenheit gegenüber der „contemporary music“ führte unter anderem zu der Songinterpretation „The Wanderer“, die im Jahr 1993 auf dem U2-Album „Zooropa“ Platz fand. Während dieser Phase hatte Starproduzent Rick Rubin sein hip-hop-geprägtes Label „Def American“ in „American Recordings“ umbenannt. Damit bot sich den beiden so unterschiedlichen Charakteren Cash & Rubin die Chance, gemeinsam neue Territorien zu erkunden.

Der Erfolg von „American Recordings“, zwischen Mai und Dezember 1993 in Rubins Wohnzimmer eingespielt, war phänomenal. Mit einem minimalistischen Sound wurde die von Lebenserfahrung geprägte Stimme Cashs in den Mittelpunkt gerückt und fand auch bei Zuhörern anderer Genres große Zustimmung. Die 13 Songs der ersten American-Recordings-Ausgabe wurden auch von Kritikerseite als erhebend und charaktervoll gewürdigt. Die Auszeichnung als „Best Contemporary Folk Album“ im Rahmen der Grammyverleihung 1995 kann als späte Genugtuung gegenüber dem stets kritischen Countryestablishment gewertet werden.

Auch die Rubin-Nachfolgeprojekte „Unchained“ (1996) und „American III: Solitary Man“ (2000) fanden große Anerkennung. Während „Unchained“ durch einen zupackenden Rocksound geprägt war, konnte „Solitary Man“ mit populären Klassikern wie Tom Pettys „I Won’t Back Down“ und U2’s „One“ überzeugen. Damit hatte sich der „Man In Black“ jenseits der Grenzen des Country im Spätherbst seiner Karriere nochmals neu erfunden.

Die letzte, zu Lebzeiten veröffentlichte American-Recordings-Aufnahme „The Man Comes Around“ aus dem Jahr 2002 wurde nochmals zu einem finalen Höhepunkt. Für die Wiederaufnahme seines 50er-Jahre-Songs „Give Love A Rose“ erhielt Johnny Cash seinen insgesamt 12. Grammy. Am Ende war es jedoch die niederschmetterndberührende Version des Nine-Inch-Nails-Songs „Hurt“, mit dem der Star, begleitet durch ein faszinierendes Musikvideo, seinen letzten großen, musikalischen Fußabdruck hinterließ.

Gesundheitlich angeschlagen und vorzeitig gealtert musste Johnny Cash im Mai des Jahres 2003 den Verlust seiner Ehefrau und Stütze June Carter verkraften. Vier Monate später starb der wohl berühmteste Countrysänger aller Zeiten im Alter von 71 Jahren an den Folgen einer Diabetes-Erkrankung. Das von seinem engen Freund und Musikpartner Marty Stuart aufgenommene berühmte letzte Foto bleibt als Zeugnis eines ausgelebten Lebens treffend in Erinnerung.

Während viele Countrystars nach ihrem Tod Zug um Zug in Vergessenheit geraten sind, ist der Mythos um die Person Johnny Cash bis heute ungebrochen. Zahllose Imitatoren und Tribute Bands halten die Legende am Leben und tragen die großen Songklassiker in die nächste Generation fort. Auch der New Country hat von den Wirkungen und Einflüssen Cashs spürbar profitiert.

Dabei ist es eher der Mythos um die Person als die musikalische Stilistik, der sich New-Country-Künstler von heute bedienen. Songtextzitate mit Analogien zu Cash und dessen Outlawspirit sind häufig verwendete Stilmittel. Jason Aldean hatte mit dem Singlerelease „Johnny Cash“ im Jahr 2007 einen TOP-10-Hit landen können. Eric Church macht dem eigenwilligen Charakter Cashs als persönliches Vorbild auf Songs wie „Lotta Boot Left To Fill“ und „Country Music Jesus“ seine Aufwartung. Eine besonders originelle Interpretation gelang dem Texaner Isaac Jacob im Jahr 2017, der den David-Allan-Coe-Klassiker „The Ride“ in „The Dream“ als Hommage an den „Man In Black“ umwidmete.

Der stilistische Einfluss Johnny Cashs findet sich in den Interpretationen des New Country hingegen kaum wieder. Weder der Boom-Chicka-Boom-Sound noch Cashs geheimnisvoll-dunkle Art der Interpretation konnten sich im modernen Country als Stilkomponenten erfolgreich etablieren. Am Ende ist es neben Tochter und Americana-Star Rosanne Cash insbesondere Marty Stuart, der durch seine authentischen Interpretationen das musikalische Erbe am Leben hält.

Merle Haggard – Outlaw, Idol, Working Man’s Poet

Wie bei Johnny Cash ist auch bei Merle Haggard der Outlawcharakter nur eine Facette einer herausragenden Musikerpersönlichkeit. Das als „Working Man‘s Poet“ in die Geschichtsbücher eingegangene Countryidol hat es geschafft, über seinen Tod hinaus uneingeschränkte Achtung in sämtlichen Stilbereichen der Szene zu gewinnen. Im Gegensatz zu dem eher gesetzestreu handelnden Cash war das Outlawdasein Haggards fester Bestandteil persönlicher Lebensumstände.

Die Flucht der Familie Haggard aus dem kargen Oklahoma Ende der 1930er Jahre endete in einem Güterwagon nahe der kalifornischen Kleinstadt Oildale, wo sich Merles Vater Joseph als Eisenbahnarbeiter verdingte. Dort erblickte Merle Haggard als drittgeborenes Kind am 6. April 1937 das Licht der Welt.

Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1945 begann eine wilde Jugendphase, die in Besserungsanstalten und Gefängnisaufenthalten ihren Lauf nahm. Letztendlich war es die Musik gepaart mit der ein oder anderen schicksalhaften Begegnung, die den persönlich entwurzelten Merle vor dem Totalabsturz bewahrte. Als Sechzehnjähriger stand der jugendliche Outlaw gemeinsam mit seinem Gesangsidol Lefty Frizzell auf der Bühne. Fünf Jahre später waren es die Eindrücke als San-Quentin-Insasse bei Johnny Cashs erstem Gefängniskonzert, die den weiteren Karriereverlauf entscheidend beeinflussen sollten.

Im Alter von 23 Jahren schloss sich der auf Bewährung entlassene Haggard der Bakersfield-Szene an, in der sich mit Buck Owens ein kommender Star ankündigte. In Owens wachsendem Schatten entwickelte sich Haggards Karriere zunächst nur langsam und bekam erst mit Gründung der Band „The Strangers“ an der Seite des Gitarristen Roy Nichols entscheidende Impulse. Mit „The Fugitive“ gelang ihm schließlich im Jahr 1966 der erste Nr.1-Hit, dem in den Folgejahren eine Serie weiterer Charttopper folgen sollte.

Es waren die wilden Hippiejahre, die Blütezeit der Outlawbewegung, in der Merle Haggard seine legendären Hits landete. „Mama Tried“, aus dem Jahr 1968, und „Okie From Muskogee“ ein Jahr danach sind als autobiographische Meisterstücke zu Standards der Countrygeschichte geworden. Dabei war es insbesondere die mit feiner Ironie versehene Message von „Okie“, die dem Working Man’s Poet ausgerechnet aus dem Lager des Establishments große Zustimmung brachte.

Der Song, in dem sich ein konservatives Landei aus Oklahoma über die langhaarigen, drogenkonsumierenden Hippies mokierte, war in Outlawkreisen verpönt und brachte Merle Haggard gar den Ruf eines liberalen Verräters ein. Merle selbst betonte stets, den Inhalt des Songs nie besonders ernst genommen zu haben. Unbeeindruckt legte er im Anschluss mit „The Fightin‘ Side Of Me“ einen weiteren Hit nach, der mit den Kritikern des Vietnamkrieges ins Gericht ging. Viele Jahre später bezeichnete Toby Keith diesen Song im Vergleich zu seinem 2002er Hit „Courtesy Of The Red, White & Blue“ als den originalen „Angry American Song“. In dieser Phase outete sich Merle Haggard als Patriot mit einem gesunden Bekenntnis zu den Werten der eigenen Nation. Darf man ihn vor diesem Hintergrund überhaupt als Wegbereiter der Outlawszene bezeichnen?

In einer Zeitphase, in der es einfacher gewesen wäre, mit dem gesellschaftskritischen Strom zu schwimmen, zeigte Merle Haggard mit unpopulären Statements für das Establishment Profil und Courage. Wenn man das Outlawdasein als freie Geisteshaltung gegen den gesellschaftlichen Mainstream verstehen mag, ist Merle Haggards Haltung vielleicht sogar die konsequenteste unter den Outlaws dieser Phase gewesen. Mit „I Wonder If They Think Of Me“ im Jahr 1973 wendete sich Haggard dem Schicksal der Kriegsgefangenen zu und machte damit das Thema Patriotismus und „national defence“ für die Countryszene endgültig salonfähig.

In den Folgejahren waren es Interpreten wie Charlie Daniels, Hank Williams Jr. oder Lee Greenwood, die diese patriotische Thematik aufgriffen und durch mitunter pathetische Eigenkreationen überzeichneten. Haggard hingegen wurde in seinen Songs niemals pathetisch, kämpfte stets für die Sache, prangerte Ungerechtigkeiten an und setzte sich für die Belange der Benachteiligten ein. Kein anderer Countryinterpret hat das Prädikat „working man’s poet“ mehr verdient als der charismatische „Dust-Bowl-Nachkomme“ aus Oklahoma. Mit dem als Rezessionshymne geschaffenen Christmas-Standard „If We Make It Through December“ festigte er wenig später sein Image als König der Arbeiterklasse.

Ab Mitte der 70er Jahre wurde Haggard politisch gemäßigter, ohne dabei an Substanz und Publikumswirkung einzubüßen. Im Jahr 1983 rückte er durch die Kollaboration mit Willie Nelson auf „Pancho & Lefty“ wieder stärker in den Dunstkreis der Outlawszene. Eine Zusammenarbeit, die sich im Jahr 2015, ein Jahr vor seinem Tod, mit dem Album „Django & Jimmie“ und der selbstironischen Single „It’s All Going To Pot“ wiederholen sollte.

Die Karrierestrecke Merle Haggards bietet eine Unmenge weiterer Stationen, die einen unterschwelligen Einfluss auf die Country Music von heute ausüben. Der Tod Haggards am 6. April 2016, seinem 79. Geburtstag, versetzte die Countryszene in kollektive Schockstarre und brachte die auseinandertreibenden Lager des Genres, in Gedenken an eine der großen Vaterfiguren des modernen Country, wieder zusammen. Von der roten Erde Oklahomas bis zu den High-End-Studios Music City’s zelebrierten Künstler durch kollektive Tributes ihre Verbundenheit zu Haggards Vermächtnis.

Rückblickend lässt sich die Rolle Haggards für die Country Music damals und heute nur schwer auf einen Nenner zusammenfassen. Zeit seines Lebens blieb er seiner Wahlheimat Kalifornien treu und beobachtete die wechselnden Einflüsse und Stile Nashvilles aus gesunder Distanz. Haggard pflegte die Rolle des Außenseiters und hatte gemeinsam mit Buck Owens als Vertreter des Bakersfield-Styles prägenden Einfluss auf die Entwicklung des Country-Rock in den folgenden drei Jahrzehnten. Seine autobiographischen und unbequemen Messages inspirierten neben den Songwritern der Outlawszene auch die Interpreten des politisch-patriotischen Country, die in den 80er Jahren und während der Irak- und Afghanistaneinsätze ab dem Jahr 2001 ihre Hochphase hatten.

Die Reihe von Künstlereinflüssen und Songs mit Bezug zu Merle Haggard ist schier endlos. Auch wenn der späte Haggard zu Lebzeiten die Stilwandlungen des modernen Country eher ablehnte, brachte er mit George Strait, Alan Jackson und Toby Keith einigen Hauptvertretern des New Country seine Wertschätzung entgegen. Letzterer zeigte sich von Haggard in hohem Maße beeinflusst und leitete seine zweite Karriere ab dem Jahr 2001 als patriotische Stimme des Country aus dessen Vorarbeiten der frühen 70er Jahre ab. Mit den Dixie Chicks („Long Time Gone“), Collin Raye („My Kind Of Girl“), Brooks & Dunn („Just Another Neon Night“), Shooter Jennings („Put The O Back in Country“) oder LeAnn Rimes („I Do Now“) gibt es eine Reihe von Künstlern verschiedenster Couleur, die sich textlich Merle Haggard verbunden fühlen.

Der Texaner Brandon Rhyder hatte im Jahr 2013 mit dem Titel „Haggard“ einen regionalen Nr.1-Hit. Eric Church kreierte mit „Pledge Allegiance To The Hag“ eine Songhymne der besonderen Art, die den Namen des Idols als Publikumsfavoriten in die Countryneuzeit hineinträgt. Dem weiblichen New-Country-Outlaw Gretchen Wilson ist es mit ihrem Song „Politically Incorrect“ gar gelungen, den großen „Hag“ zu einem Duett zu bewegen.

Kurz gesagt dürfte es wohl kaum einen New-Country-Act geben, der von dem Einfluss oder musikalischen Erbgut Haggards nicht irgendwo gestreift worden ist. Somit bilden Johnny Cash und Merle Haggard den Hauptentwicklungsstrang, der von Hank Williams ausgehend bis in die Countryneuzeit hineinführt.

Willie, Waylon & Company

In der Country Music findet die Outlawbewegung eine eigene Ausdrucksform. Nachdem der produzentengesteuerte Nashville-Sound in den 60er Jahren die Künstlerindividualität weitgehend beseitigt hatte, regte sich aus dem Lager der Freigeister Widerstand. Es waren Künstler, die mit den Einflüssen des Honky Tonk und Rock’n Roll sozialisiert wurden und eine natürliche Abneigung gegen die konfektionierten Popsounds dieser Phase hegten.

Die Texaner Waylon Jennings und Willie Nelson waren die populärsten Vertreter jener Bewegung, deren legendärer Widerstand gegen das Establishment zu einer Befreiung und Rückorientierung in Richtung wahrer Country Music führte. Mit David Allan Coe und Johnny Paycheck wurde die Szene um weitere schrille Charaktere angereichert. Songwriter wie Kris Kristofferson, Guy Clark, Townes Van Zandt oder Billy Joe Shaver schlossen sich dem an und hinterließen Songmaterial in höchster Qualität.

Neben den genannten Hauptvertretern darf auch ein weiterer Name in Zusammenhang mit dem Entstehen des Outlaw-Country nicht unerwähnt bleiben: Chet Atkins. Der Stargitarrist und Hauptschöpfer des „Nashville-Sounds“ war als Reizfigur für den wachsenden Widerstand in der Szene verantwortlich und hat auf diese Weise unbewusst eine alternative Gegenbewegung ins Leben gerufen.

Interessanterweise hat das Abdriften der Country Music in die Pop-Ecke über die Jahrzehnte in regelmäßigen Abständen zu einer Wiederbelebung des Outlawspirits geführt. So lassen sich die Erfolge eines Hank Williams Jr. und Steve Earle Mitte der 80er Jahre als eine Folge der schmalzig-verklärten Urban-Cowboy-Bewegung begründen. Der schnöde Country-Pop der späten 90er Jahre rief einen Künstlertypus mit schrägem Auftreten, patriotischem Habitus und harten Gitarrensounds hervor.

Blicken wir auf den aktuellen New Country, so haben die poppigen Auswüchse des letzten Jahrzehnts dem Aufkommen freigeistiger Interpreten wie Jamey Johnson, Eric Church, Chris Stapleton, Sturgill Simpson, Tyler Childers oder Cody Jinks die Bühne bereitet.

Die Anfänge des Outlaw-Country als musikalische Ausdrucksform sind eng mit dem Namen Waylon Jennings verbunden. Der gebürtige Texaner hatte im September 1972 mit dem Album „Ladies Love Outlaws“ den Begriff in die Szene eingeführt und diesen als Ausdruck des inneren Widerstandes verwendet. Jennings, der seine Karriere in den 1950er Jahren als Bassist in Buddy Hollys Begleitband „The Crickets“ begann, war als unbequemer und mitunter undiplomatischer Querdenker bekannt. Mit seiner Band „The Waylors“ hatte er eine auf elektronischen Instrumenten basierende Mixtur aus Rock’n Roll, Folk und Country entwickelt, die sich bis heute als Grundrezeptur in der aktuellen Texas-Country-Music wiederfindet.

Waylons Talent blieb nicht lange unentdeckt und führte ihn auf Empfehlung von Country-Star Bobby Bare nach Nashville, wo er im Jahr 1965 einen Vertrag bei RCA unterschrieb. In dieser Zeit teilte er sich vorübergehend ein Zimmer mit Johnny Cash und konnte erste kommerzielle Erfolge einfahren. Doch die zunehmende Bevormundung durch das Label RCA und seinen Chefproduzenten Chet Atkins führte zu wachsendem Widerstand.

Nach dem Erfolg des Albums „Good Hearted Woman“ im Jahr 1972 hatte Jennings von seinem Label offen mehr künstlerische Freiheit eingefordert. Dabei waren ihm auch unpopuläre Mittel recht. Der Legende nach soll er während der Studioarbeiten zu besagtem Folgealbum „Ladies Love Outlaws“ mit einem Gewehr im Anschlag dem Produzenten Danny Davis und den anwesenden Musikern gedroht haben, beim Spielen einer Pick-Up-Note „die Finger wegzuschießen“.

In jedem Fall zahlte sich der Widerstand aus und Waylon konnte fortan bei der Auswahl der Songs und Musiker freier schalten. Mit „Lonesome On’ry And Mean“ gelang ihm im Jahr 1973 ein weiterer Albumerfolg, mit „This Time“ im Jahr 1974 sein erster von insgesamt 16 Nr.1-Hits. Auf dem Höhepunkt der Outlaw-Ära folgten mit „Dreaming My Dreams“, „Are You Ready For The Country“ und „Ol‘ Waylon“ weitere Geniestreiche, die die Country Music nachhaltig prägen sollten.

Waylon Jennings blieb auch während der 80er Jahre nach Abflauen der Outlawhochphase musikalisch relevant. Mit der Gründung der legendären Highwaymen kam es im Jahr 1985 an der Seite von Willie Nelson, Johnny Cash und Kris Kristofferson zu einem Outlawrevival der besonderen Art.

Das Leben und Wirken Waylon Jennings war von einer fast durchgängigen Amphetaminabhängigkeit gekennzeichnet und mündete in den späten Jahren in eine Diabeteserkrankung. Waylon Jennings starb im Jahr 2002 im Alter von 64 Jahren in Chandler / Arizona und hat auch fast 20 Jahre nach seinem Tod ein einflussreiches Vermächtnis hinterlassen.