Genial beweglich! - Prof. Dr. med. Hanno Steckel - E-Book

Genial beweglich! E-Book

Prof. Dr. med. Hanno Steckel

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Beschreibung

Rücken, Schulter, Hüfte, Knie, Arm-, Hand- und Fußgelenk: Was uns beweglich macht, was den Menschen tanzen, turnen, springen lässt, bereitet ihm oft genug Schmerzen. 10 Millionen Deutsche leiden an Knie-, 60 Millionen irgendwann im Leben an Rückenproblemen. Professor Steckel erklärt anschaulich und spannend den menschlichen Bewegungsapparat und die Beschwerden, die von ihm ausgehen können. Unser Bewegungsapparat ist ein Wunderwerk. Durch das perfekte Wechselspiel von 100 Gelenken, 200 Knochen und 600 Muskeln bewegen wir uns frei im Raum wie kaum ein anderes Lebewesen. Das Bewegungsorgan sorgt für unsere Körperhaltung, dafür, wie wir von unserer Umgebung wahrgenommen werden und spiegelt unser seelisches Befinden. Es beeinflusst wie wenig andere Aspekte unseres Körpers das tägliche Leben jedes Einzelnen. Das zeigt sich schmerzlich darin, dass ein Viertel aller Krankschreibungen durch Muskel- und Skeletterkrankungen bedingt sind. Prof. Dr. Hanno Steckel erklärt den Bewegungsapparat des Menschen in diesem populären, kurzweiligen Sachbuch.

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Seitenzahl: 305

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Prof. Dr. med. Hanno Steckel

Genial beweglich!

Alles über Rücken, Schulter, Hüfte, Knie – und was hilft, wenn’s zwickt

Mit Illustrationen von Katrin Fiederling

Knaur e-books

Über dieses Buch

Rücken, Schulter, Hüfte, Knie, Arm-, Hand- und Fußgelenk: Was uns beweglich macht, was den Menschen tanzen, turnen, springen lässt, bereitet ihm oft genug Schmerzen. 10 Millionen Deutsche leiden an Knie-, 60 Millionen irgendwann im Leben an Rückenproblemen. Professor Steckel erklärt anschaulich und spannend den menschlichen Bewegungsapparat und die Beschwerden, die von ihm ausgehen können.

Unser Bewegungsapparat ist ein Wunderwerk. Durch das perfekte Wechselspiel von 100 Gelenken, 200 Knochen und 600 Muskeln bewegen wir uns frei im Raum wie kaum ein anderes Lebewesen. Das Bewegungsorgan sorgt für unsere Körperhaltung, dafür, wie wir von unserer Umgebung wahrgenommen werden und spiegelt unser seelisches Befinden. Es beeinflusst wie wenig andere Aspekte unseres Körpers das tägliche Leben jedes Einzelnen. Das zeigt sich schmerzlich darin, dass ein Viertel aller Krankschreibungen durch Muskel- und Skeletterkrankungen bedingt sind. Prof. Dr. Hanno Steckel erklärt den Bewegungsapparat des Menschen in diesem populären, kurzweiligen Sachbuch.

Inhaltsübersicht

VorbemerkungWidmungMottoVorwortTeil I1. Kapitel2. Kapitel3. KapitelTeil II4. KapitelWenn der Motor stottertTeil III5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. KapitelTeil IV9. KapitelHelfen Einlagen gegen Leseschwäche?Warum läuft meine Tochter so x-beinig?Warum bekommen Kinder einen Hüftschnupfen?Müssen wir die Größe bei unseren Kindern bestimmen lassen?Gibt es eigentlich Wachstumsschmerzen?War das jetzt eine Gehirnerschütterung?10. KapitelWar das wirklich ein Gichtanfall?Warum können Männer nicht am Strand sitzen?Braucht mein Mann Testosteron?Warum wird der Knochen brüchig?Ist das Rheuma?Ist Sitzen das neue Rauchen?Ist »Rücken« der neue Burn-out?Ist das eine Borreliose?Teil V11. Kapitel12. Kapitel13. KapitelKrankenhauskeime14. KapitelAllergienSex15. Kapitel16. KapitelWenn die Schulter klemmt: das ImpingementsyndromWenn die Kapuze der Schulter reißt: der RotatorenmanschettenrissWenn die Schulter zu locker ist: die LuxationWenn die Schulter Klavier spielt: die AC-GelenksprengungWenn Eiszeit in der Schulter herrscht: die gefrorene SchulterWenn es in der Schulter rieselt: die KalkschulterWenn die Schulter ersetzt werden muss: die Omarthrose17. KapitelWenn die Maus Tennis spielt: Sehnenentzündungen im Bereich von Ellenbogen und UnterarmWenn die Hände einschlafen: das KarpaltunnelsyndromWenn nichts mehr »durch die Lasche geht«: schnappende Finger oder DaumenWenn die Finger plötzlich krumm werden: der Morbus DupuytrenWenn alle Fingergelenke schmerzen: die Polyarthrose18. KapitelWenn der Hüftkopf auf der Felge fährt: die CoxarthroseWenn der Dichtungsring der Hüfte reißt: die LabrumläsionWenn Männer O-Beine bekommen: die GonarthroseWenn der Stoßdämpfer im Knie reißt: die MeniskusverletzungWenn das Drehkreuz des Knies fehlt: die KreuzbandverletzungWenn die Kniescheibe herausspringt: die PatellaluxationWenn das Knie überlastet ist: die schmerzende PatellasehneWenn wir umknicken: die SprunggelenkverstauchungWenn der Held zum Orthopäden muss: der AchillessehnenrissWenn sich die Zehen krümmen: Hallux- und KrallenzehenWenn es sich anfühlt, als würden Reißzwecken im Fuß stecken: der Fersensporn19. KapitelWenn der Puffer der Wirbelsäule defekt ist: Bandscheibenschaden, Hexenschuss und steifer HalsWenn es eng wird in der Wirbelsäule: Osteochondrose, Spondylarthrose und SpinalkanalstenoseWenn es bei jungen Menschen in der Wirbelsäule hakt: Skoliose, Wirbelgleiten, Scheuermann und Bechterew20. KapitelTeil VI21. KapitelKörpertracker – Fluch und Segen22. KapitelMakros – Kohlenhydrate, Fette und ProteineDie ErnährungspyramideBody-Mass-Index, Körperfett und MuskelmasseNachwortAnhangDank»Inspirationsverzeichnis«
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Alle Angaben in diesem Buch wurden sorgfältig geprüft. Dennoch können Autor und Verlag keine Gewähr für deren Richtigkeit übernehmen.

 

Ein ausführliches Literaturverzeichnis finden Sie auf der Homepage von Prof. Dr. Hanno Steckel:

www.knie-spezialist.berlin/publikationen

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Gewidmet dem Orthopäden, der mich inspirierte.

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Fühl die Finger, alle zehn

Fass mal an den Ellbogen

Zieh am Zeh

Und klopf ans Bein

Drück die Haut ein bisschen ein

Mach das aber nur ganz zart

Zweifellos ist das sehr hart

Fühlst du was so fest wie Stein

Das muss dann ein Knochen sein

 

Es gibt Knochen, Knochen, Knochen wunderbar

Knochen, Knochen mehr als nur ein paar

Es sind unzählig viele

Doch hat jeder seinen Sinn

Es gibt Knochen, Knochen, Knochen in dir drin

 

»Knochenlied« aus der »Sesamstraße« (Graf Zahl)

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Vorwort

»Knochen, Knochen, Knochen wunderbar!«

Graf Zahl aus der »Sesamstraße« hat aus meiner Sicht vollkommen recht: Knochen sind etwas Wunderbares, und jeder von ihnen, auch der kleinste, hat einen Sinn. Zusammen mit den Muskeln, den Bändern, den Knorpeln und den Gelenken formen sie eines der faszinierendsten Gebilde, die Natur und Evolution hervorgebracht haben: das menschliche Bewegungssystem. Es begleitet uns sozusagen auf Tritt und Schritt. Jeder hat einen persönlichen Bezug dazu und eine eigene Geschichte, die von der Kindheit über die Jugend, die Zeit als Erwachsener bis hin ins hohe Alter reicht. Die wenigsten von uns machen sich Gedanken über dieses faszinierende Wunderwerk, solange es reibungslos funktioniert. Wir erinnern eher die Probleme, die uns das Bewegungssystem bereiten kann: Da gibt es den Knick-Senkfuß der frühen Jahre, den Knochenbruch, den man als Jugendlicher erlitten hat, und den Bänderriss beim Skifahren, die quälenden Rückenschmerzen, die gerne auch bei einer Überbelastung im Job auftreten, oder den Schenkelhalsbruch der Großmutter, der letztlich dazu führte, dass diese nicht mehr allein in ihrer Wohnung leben konnte.

In guten Zeiten machen wir uns dagegen kaum Gedanken über dieses Konstrukt, das uns so viel ermöglicht. Im Gegenteil: Wir ignorieren manchmal nach Kräften die Bedürfnisse unseres Körpers, vernachlässigen ihn sträflich, selbst wider besseren Wissens. Und wundern uns dann, wenn er uns die rote Karte zeigt. Gerade bei einem so komplexen Gebilde wie dem Bewegungssystem kann ein winziger Defekt in einem kleinen Teilbereich das ganze Gefüge aus dem Tritt bringen.

Mit ungefähr zweihundert Knochen, sechshundert Muskeln und über hundert Gelenken können wir uns frei im Raum bewegen und dabei Dinge vollführen wie kaum ein anderes Lebewesen. Manche Tiere mögen uns in Einzeldisziplinen überlegen sein. So kann sich eine ein Zentimeter große Kakerlake zwar durch die extreme Verformung ihres Körpers durch einen nur wenige Millimeter breiten Spalt unter der Tür hindurchzwängen, aber einen dreifachen Salto rückwärts können nur wir Menschen ausführen. Eine Katze mag zwar wendiger einen Baum hinaufklettern, sie wird aber an der schwimmenden Durchquerung eines Flusses scheitern. Und welches andere Lebewesen vermag schon, Dinge nicht nur zu greifen, sondern mit Fingern und Armen Höchstleistungen zu vollbringen? Virtuos Klavier zu spielen wie Lang Lang oder enorme Gewichte zu stemmen wie Matthias Steiner? Zu sprinten wie Usain Bolt oder so ausdauernd zu laufen wie der 26-fache Weltrekordler Haile Gebrselassie aus Äthiopien? Zu all diesen vielfältigen Leistungen ist nur der menschliche Körper fähig und maßgeblich das ausgetüftelte Bewegungssystem.

Es sorgt für unsere Haltung, dafür, wie wir von unserer Umgebung wahrgenommen werden, und spiegelt auch unser seelisches Befinden wider. Dies hat sich in vielen umgangssprachlichen Formulierungen niedergeschlagen. So sprechen wir von »Rückgrat zeigen«, davon, dass »jemand einen breiten Rücken hat« oder dass wir »jemandem den Rücken stärken wollen«. Wir fordern jemanden auf, »sich nicht so hängen zu lassen«, werten hängende Schultern und eine eingesunkene Haltung als Ausdruck einer gedämpften Stimmung. Und auch die Mythologie kennt Helden, die ihren Ruhm dem Bewegungssystem verdanken: So trägt der Titan Atlas das Himmelsgewölbe auf seinem Rücken, und Achilles galt nach einem Bad im Unterweltsfluss Styx als unverwundbarer Kämpfer, wäre da nicht seine Ferse gewesen.

Unser Bewegungssystem beeinflusst wie wenige andere Teile unseres Körpers das tägliche Leben jedes Einzelnen. Auch wenn wir glauben, es sei quasi fix und fertig, ist alles im Fluss. Unser Bewegungssystem baut sich auf und ab. Das gilt für das Skelett ebenso wie für die Muskeln. Die Funktionsfähigkeit dieses Kunstwerks für die Dauer eines langen Lebens zu erhalten ist harte Arbeit. Das zeigt sich schon dadurch, dass gut ein Viertel aller Krankschreibungen in Deutschland durch Muskel- und Skeletterkrankungen bedingt sind. 40 Millionen Fehltage wurden deutschlandweit im Jahr 2013 allein durch Wirbelsäulenbeschwerden verursacht. Bei ungefähr 44 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland ist das eine beeindruckende Zahl. Die »Global Burden of Disease Study« listet Wirbelsäulenschmerzen als eine der Krankheiten auf, die Menschen weltweit am meisten einschränken. Der Knieschmerz ist – gemessen an der Häufigkeit – der kleine Bruder des Rückenschmerzes. Kein anderer Bereich der Medizin kommt auf derart hohe Werte. Die gute Nachricht ist aber: Nur wenig andere Leiden sind durch Prävention so gut zu beeinflussen. Oder, um es in ein Bild zu übersetzen: Nur, wer auf seinen Körper achtet, ihn pflegt und ähnlich wie sein Auto regelmäßig wartet und zur Inspektion gibt, wird lange daran Freude haben können.

Die noch bessere Nachricht lautet: Sie müssen Ihren Körper nicht exzessiv trainieren, um ihn in Schuss zu halten. Regelmäßig ein wenig Sport und Bewegung, dazu eine gute, ausgewogene Ernährung, mehr braucht es nicht. Schon mit ganz wenig Einsatz ist sehr vieles möglich. Dafür brauchen Sie weder einen dieser modernen Körpertracker, die Ihr »ich« in allen erdenklichen Bereichen vermessen. Das Stichwort ist vielmehr Achtsamkeit: Schenken Sie Ihrem Körper Beachtung, und gehen Sie behutsam mit ihm um. Manchmal sind zwei Wochen Ausspannen am Strand mit einem Glas Piña Colada in der Hand besser, als die schmerzende Schulter noch weiter im Fitnessstudio zu quälen. Seien Sie Ihr eigener Körpercoach, achten Sie auf dessen Signale, dann können wir Orthopäden Sie mit individualisierter Medizin begleiten, ohne gleich einen Totalschaden reparieren zu müssen. Diese Form der Begleitung ist spannend von der Geburt und der Überprüfung der Säuglingshüfte durch die Wachstumsphase hinein in das frühe und späte Erwachsenenalter. Der Begriff Orthopädie kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt die Lehre vom geraden oder aufrechten Kind. Aus der Zeit des Hippokrates (460 v. Chr. – 370 v. Chr.) gibt es bereits Überlieferungen, dass Ärzte deformierte Knochen und Gelenke behandelten. Doch eine weite Verbreitung erfuhren der Begriff Orthopädie und die damit zusammenhängenden Behandlungsmaßnahmen erst im Jahr 1741. Damals hatte der französische Kinderarzt Nicolas Andry de Boisregard ein Werk mit dem Titel »Orthopädie, oder die Kunst, bey den Kindern die Ungestaltheit des Leibes zu verhüten und zu verbessern« vorgelegt, in dem er die Tätigkeit eines Orthopäden mit der eines Gärtners verglich, der einen Baum mithilfe eines stützenden Pfahls zu geradem Wachstum lenkt. Das Bild dieses Bäumchens ist bis heute das Symbol der Orthopädie.

So wie das Seil das Bäumchen beim geraden Wachstum unterstützen soll, können regelmäßige Check-ups beim Orthopäden die Funktionsfähigkeit Ihres Bewegungssystems erhalten.

Wie jede medizinische Disziplin hat auch die Orthopädie enorme Entwicklungen durchlaufen. Wir Orthopäden behandeln konservativ und operativ, vom Säugling bis zum Greis. Als Unfallärzte kümmern wir uns um Knochenbrüche und Verletzungen. Es werden Kreuzbänder ersetzt und neue Gelenke eingebaut. Wir verfügen über ein Handwerkzeug aus Hammer, Säge, Meißel und Bohrer, das jedem Bankräuber zur Ehre gereichen würde. Wir arbeiten aber auch mit biologischen Wachstumsfaktoren, züchten Knorpel an und verwenden Stammzellen. Wir fühlen mit unseren Händen, wir beobachten, wie sich ein Patient entkleidet und bewegt. Das allein ist in der Regel schon recht aufschlussreich. In einer der ersten Kliniken, in denen ich gearbeitet habe, hat der Oberarzt uns junge Ärzte immer ermutigt, nach einer ersten raschen Blickdiagnose und dem Abfragen der Beschwerden eine vorläufige Diagnose auf einen Zettel zu schreiben. Hinterher wurden die Notizen verglichen – es ist erstaunlich, wie oft wir richtiglagen. Er wollte uns damit vermitteln, wie wichtig Zuhören und aufmerksames Anschauen ist. Bei vielen Erkrankungen sind die klinischen und technischen Untersuchungen wie Sonografie, Röntgen und Magnetresonanztomografie (MRT) oft nur noch Beiwerk.

Orthopäden behandeln nicht nur akute Fälle wie Brüche, sondern auch die Spuren, die das Leben am Bewegungssystem hinterlassen hat. Es geht auch um all die Sünden, die wir an unserem Körper begangen haben. Wir helfen bei Verschleiß, bei Fehlstellungen und rheumatischen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis oder Psoriasis-Arthritis und haben damit enge Schnittstellen zur Inneren Medizin und auch zur Dermatologie. Gemeinsam mit Gynäkologen therapieren wir Schwangere mit Rückenschmerzen oder einer sogenannten Symphysenlockerung. Das knorpelige Schambeingefüge wird bei einer Schwangerschaft gedehnt und gereizt, was zu unangenehmen Schmerzen führen kann.

Wir beschäftigen uns mit den Wechseljahren bei Männern und Frauen, wo sich die Abnahme des Hormonspiegels negativ auf die Knochendichte auswirkt und es zu einem Umbau des Körpers kommt, mit weniger Muskeln und mehr Fettdepots. Und wir kümmern uns um Schmerzen, die mit dem Bewegungssystem zusammenhängen. Viele Patienten berichten, dass sie sich an ein Leben ohne Schmerzen nicht mehr erinnern können. Schmerz schränkt nicht nur das körperliche Wohlbefinden und die Lebensqualität ein, sondern beeinflusst auch die mentale Gesundheit negativ. 80 Prozent der Deutschen leiden an Rückenschmerzen, 13 Prozent unter starken chronischen Rückenbeschwerden. Als Orthopäde kann man, wenn man ganzheitlich vorgeht, die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessern. Wie Sie in späteren Kapiteln noch sehen werden, ist »Rücken« nicht gleich »Rücken«. Nicht immer ist es ein tatsächlicher Schaden, der uns auf die Wirbelsäule drückt. Und schon gar nicht muss immer operiert werden, manchmal helfen kleine Veränderungen etwa am Arbeitsplatz, um Beschwerden zu bessern.

Die Möglichkeiten der Orthopädie sind so vielfältig wie unser Bewegungssystem. Mich persönlich hat die Faszination dafür nicht mehr losgelassen, seit ich mit etwa sechs Jahren in Oldenburg in unserem Wohnzimmer auf einer orange-braunen Sitzlandschaft vor einer großgemusterten farbigen Tapete und einer raumhohen Schrankwand saß, um die »Sesamstraße« zu schauen. Ich konnte es kaum erwarten, bis Graf Zahl in schwarzem Anzug und dunklem Umhang auf seinem Schloss sein »Knochenlied« sang, während Fledermäuse um ihn herumflatterten. Aber auch im wirklichen Leben hatte ich schon früh mit Orthopädie zu tun. Ich bin Jahrgang 1972 und gehöre damit zu der Generation, die schon als Kind Murmeln mit den Zehen greifen und in Gläser legen musste, um den sagenumwobenen Knick-Senkfuß zu bekämpfen. Der war von den Müttern damals so gefürchtet wie sonst nur Gefrierbrand oder Mottenfraß und wurde konsequent bekämpft. Es schien fast so, als ob mit solch einem Fuß eine spätere erfolgreiche Laufbahn für immer verhindert würde. Das ist heute zum Glück überwunden, wobei sich – auch das werden Sie später noch sehen – manche Legende nicht nur um diesen Fuß doch gehalten hat.

In meiner Jugend schließlich hatte ich durch den Sport viel Kontakt zu Orthopäden, weshalb es für mich nahelag, mein Schulpraktikum in der neunten Klasse bei einem Mediziner dieser Fachrichtung zu absolvieren. Jener Orthopäde, bei dem ich Patient und Schulpraktikant war, war so mit Feuereifer bei der Sache, dass der Funke auf mich übersprang. Seitdem hat mich die Faszination für unser Bewegungssystem nie wieder losgelassen. Wenn er mir eine Operation erklärte, war das so, als ob ein Künstler sein Werk darlegte. Etwas Ähnliches erlebte ich Jahre später in Pittsburgh. Dort war ein gebürtiger Hongkong-Chinese mit einem Namen, den sich kein Hollywood-Regisseur besser hätte ausdenken können, Chefarzt der orthopädischen Klinik, an der ich mein Jahresstipendium absolvierte: Dr. Freddie Fu. Noch nie hatte ich einen Arzt mit so viel Charisma erlebt. Dr. Fu wollte handfeste Ärzte, die anpacken konnten, und keine, die sich zu fein waren, gipsverschmiert in der Rettungsstelle zu stehen. Wenn er operierte, war es wie ein Popkonzert, alles war durchchoreografiert, kein Schritt oder Schnitt zu viel. Was Dr. Fu »one-step surgery« nannte, ist das Geheimnis guter Operateure. Sie müssen keinen Schritt wiederholen, alles greift reibungs- und nahtlos ineinander, wie die Schaltung eines guten Rennrads. Es mag Zufall sein, aber ich kenne tatsächlich überdurchschnittlich viele Orthopäden, die sich dem Radsport verschrieben haben. In Pittsburgh hatten viele Kollegen bereits vor der Frühbesprechung um sechs Uhr morgens eine Runde auf dem Rennrad gedreht. Überhaupt haben die meisten Orthopäden verinnerlicht, dass unser Fahrgestell nicht umsonst den Namen »Bewegungsapparat« trägt. Wenn wir uns nicht bewegen, tut er es uns gleich. Er wird faul und träge und verliert Stück für Stück seine faszinierenden Fähigkeiten. Weil ich die Auswirklungen täglich in der Praxis sehe, ist es mir ein Anliegen, Ihren Blick für den Körper zu schärfen. Orthopädie ist kein Quickie und auch nicht nur Thema, wenn es irgendwo hakt, Orthopädie ist jeden Tag!

In diesem Buch möchte ich Ihnen die Funktionsweise dieses Wunderwerks aus Knochen, Bändern und Muskeln erklären, die gängigsten orthopädischen Probleme und Krankheiten mit Beispielen aus der Praxis erläutern und therapeutische Empfehlungen geben. Die Bandbreite an Themen wird dabei so vielfältig sein wie das, was wir mit unserem Körper leisten können. Neben grundlegenden Informationen zum »Knocheneinmaleins« wird es um spezielle Erkrankungen gehen, aber auch um allgemeine Fragen, die viele Menschen bewegen. Ich erlebe das immer wieder, egal, ob in der Praxis selbst oder auf einer Party, nachdem das Gespräch auf meinen Beruf gekommen ist. Da geht es dann um Sex mit einem künstlichen Hüftgelenk, um Bodybuilder mit geschädigten Schultern und Hängebusen, den allgegenwärtigen Dr. Google oder das Zusammenspiel von Burn-out und Rückenschmerzen. Um den richtigen Sport, die richtige Ernährung und den Masterplan für ein gutes, gesundes Leben. Den werde ich Ihnen nicht maßgeschneidert an die Hand geben können, aber ich hoffe, dass Sie aus der Lektüre hilfreiche Schlüsse ziehen können. Vor allem aber hoffe ich, dass es mir gelingt, Sie für Ihr Bewegungssystem zu begeistern.

Das ist der vielleicht wichtigste Schritt in Richtung Achtsamkeit!

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Teil I

Knochen, Gelenke und Knorpel – der passive Teil unseres Bewegungssystems

1991 begann ich in Kiel mit meinem Medizinstudium. Da ich schon früh den Entschluss gefasst hatte, Orthopäde zu werden, hätte ich es nicht besser treffen können. Die damalige Bibel der Anatomie des Bewegungsapparates trug den sperrigen Namen »Rauber-Kopsch« und war ein Kieler Gewächs, herausgegeben vom Gott des Bewegungsapparates, Professor Bernhard Tillmann, seines Zeichens Direktor des Anatomischen Instituts der Universität Kiel. Auf diesem Werk schliefen wir quasi nachts mit dem Kopf ein. In Kiel wurde das Bewegungssystem geliebt und der Lehrstoff mit aktuellen Beispielen aus der Orthopädie und Biomechanik garniert. Ich habe diesen Unterricht wie Kino genossen und mich im »Rauber-Kopsch« wie andere in einem Krimi von Agatha Christie festgelesen. Und noch heute liegt dieses Standardwerk immer in Reichweite meines Schreibtisches.

Im Rahmen des Anatomieunterrichts besuchten Studenten und Professoren gemeinsam die Antikensammlung der Kunsthalle Kiel und lernten beim Betrachten der »Aphrodite von Knidos« und des »Speerträgers des Polyklet« etwas über das weibliche Becken und den männlichen Torso. Wir bekamen so nicht nur wichtige Informationen, sondern bekamen im wahrsten Sinne des Wortes Lust, uns mit dem menschlichen Bewegungssystem zu beschäftigen. Ohne unser charakteristisches Skelett, ohne seine Gelenke, seine Muskeln, die sich unter der Haut abzeichnen, wären solche beeindruckenden Skulpturen nicht denkbar. Wir wären nicht denkbar. Lassen Sie uns also auf eine gemeinsame Reise gehen und entdecken, aus welchen Bausteinen unser Bewegungssystem besteht und wie sie zusammenwirken.

… auf dem Weg in den Anatomieunterricht, den »Rauber-Kopsch« immer dabei …

1

Knochen – die Stützpfeiler unseres Körpergebäudes

Knochen sind die maßgeblichen Bestandteile unseres Bewegungssystems. Sie formen unser Skelett, das im Inneren unseres Körpers eine ähnliche Funktion übernimmt wie die tragenden Stützpfeiler eines Gebäudes. Noch im Bauch der Mutter wird das Skelett als Knorpelmodell beim Embryo angelegt. Im Laufe der Zeit verknöchert der Knorpel langsam und bildet den endgültigen Knochen aus. Dieser Prozess ist beim Menschen erst in einem Alter von etwa zwanzig Jahren abgeschlossen, bis dahin wachsen Knochen noch beziehungsweise schließen sich Knorpel zu einem Knochen zusammen. Das erklärt, warum Säuglinge über dreihundert Knochen haben, während das Skelett eines Erwachsenen – je nach Zählweise – aus ungefähr zweihundert Knochen besteht.

Das ist eine ganze Menge, und man könnte meinen, dass das Skelett bei unserem Körpergewicht eine maßgebliche Rolle spielt. Tatsächlich schlägt das Gewicht unserer Knochenmasse aber nur mit 10 bis 15 Prozent zu Buche. Das liegt auch daran, dass unser Skelett aus ganz unterschiedlichen Knochen besteht. Wir unterscheiden dabei lange Röhrenknochen (lat. Ossa longa), flache oder platte Knochen (Ossa plana), kurze Knochen (Ossa brevia), lufthaltige Knochen (Ossa pneumatica) und unregelmäßig geformte Knochen, die in keine dieser Kategorien passen.

Je nach Funktion ist jeder Körperabschnitt mit anderen Knochen ausgestattet. Die Röhrenknochen mit ihrem langen Schaft, in dem sich das Knochenmark befindet, kommen ausschließlich in unseren Extremitäten vor: die ganz langen in Armen und Beinen, die etwas kürzeren in Händen und Füßen. Platte oder flache Knochen, die aus einer sehr kompakten Knochensubstanz bestehen, formen unsere Rippen, sie kommen am Schädel vor, am Schulterblatt, dem Becken und dem Brustbein. Durch ihre Form und Struktur bieten sie nicht nur den inneren Organen Schutz, auch größere Muskelgruppen finden hier optimale Ansatzpunkte. Lufthaltige Knochen zeichnen sich durch ein geringes Gewicht und durch luftgefüllte und mit Schleimhaut überzogene Hohlräume aus. Bei Vögeln, deren Skelett maßgeblich aus solchen »pneumatisierten« Knochen besteht, liegt der Vorteil auf der Hand. Beim Menschen kommen sie vor allem im Bereich des Schädels vor. Das Stirnbein, das Schläfenbein, das Siebbein am Ende der Nasenhöhle und der Oberkieferknochen sind mit Luftkammern durchzogen. Die Platzierung dieser Knochen in den Bereichen Nasenhöhle und Mittelohr legt den Schluss nahe, dass es hier um die Schaffung von Ausgleichsräumen bei Druckschwankungen geht.

Unser Skelett besteht aus ungefähr zweihundert Knochen.

Sie sehen schon, in unserem Skelett ist nichts willkürlich, alles folgt einer tieferen Logik, die man kurz und knapp mit »form follows function« zusammenfassen könnte. So macht es Sinn, dass unsere Extremitäten mit langen Röhrenknochen ausgestattet sind, denn sie sorgen für eine optimale Hebelwirkung bei der Fortbewegung. In der Wirbelsäule dagegen wäre ein solch langer Röhrenknochen extrem unpraktisch: Wir könnten uns nicht bücken oder zur Seite beugen, und bei einem Sprung von einer Mauer würden wir ohne jede Dämpfung auf dem Boden aufkommen. Für diese Dämpfung sorgen die Bandscheiben zwischen den einzelnen Wirbeln, die ihrerseits zu den unregelmäßig geformten Knochen zählen.

Dieses stützende Gerüst aus Knochen ist der passive Teil unseres Bewegungssystems, der sich ohne die Muskulatur, den aktiven Teil, nicht bewegen ließe. Das heißt allerdings nicht, dass die Knochen kein Eigenleben hätten. Viele denken bei einem Knochen an etwas Totes, ähnlich dem Skelett, das Sie vielleicht noch aus dem Biologieunterricht kennen und das oft »Hugo« genannt wurde. Tatsächlich haben unsere Knochen eine lebende kraftvolle Struktur, die sich je nach Belastung auf- und abbauen kann. Knochen können bluten, schmerzen und einen Infarkt bekommen. Sie sind Stützapparat, Schutzschilde für Gehirn, Rückenmark, Herz und Lunge, sie sind die wichtigsten Speicher für Kalzium und Phosphat, und sie bilden Blut. Bricht ein Knochen, kann er aus eigener Kraft wieder zusammenwachsen. Ein sich solchermaßen selbst heilendes System ist einzigartig, und es funktioniert nur, weil unsere Knochen leben. Wie unglaublich diese Fähigkeit zur Selbstheilung ist, lässt sich mit folgendem Beispiel illustrieren: Stellen Sie sich vor, Sie parken abends Ihren Wagen mit einer dicken Beule im Kotflügel, und wenn Sie am nächsten Morgen wieder in die Garage kommen, ist die Beule wie von Zauberhand verschwunden.

Auch wenn es natürlich nicht ganz so schnell und quasi über Nacht geht – unsere Knochen können diese unglaubliche Leistung vollbringen. Bei einem Knochenbruch kommt es im Bereich des Bruches zu einem Bluterguss mit Bildung einer geleeartigen Masse. Es folgt eine gesunde Entzündung, die Wachstumsfaktoren aktiviert, die aus diesem Gelee erst Bindegewebe, dann Faserknorpel und schließlich Knochen bildet. Wenn dies einmal nicht klappen sollte, können wir unseren eigenen Körper als Ersatzteillager verwenden. Zum Beispiel kann im Rahmen einer Operation Knochenspäne aus dem Beckenkamm entnommen oder ein Teil des Wadenbeins in einen Knochendefekt an anderer Stelle eingebracht werden. Der Körper integriert diese Späne dann in den Knochen und kann den Defekt verschließen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen Patienten, dem nach einer Krebsdiagnose ein großer Teil des Oberarmknochens entfernt werden musste. An dessen Stelle setzte man ihm eine Art von Metallträger ein, an den Knochenspäne aus dem Becken angelagert wurden. Es dauerte natürlich, aber als der Metallträger wieder entfernt wurde, war darunter ein wunderbarer Knochen nachgewachsen.

Ein Knochen ist keineswegs tote Substanz, er lebt. Er kann sich auf- und abbauen und bei einem Schaden selbst heilen.

Das Gewebe unserer Knochen besteht aus lebenden Knochenzellen, Salzen und Fasern. Das Zusammenspiel von Salzen und Fasern kann man mit dem Wirkprinzip von Stahlbeton vergleichen. Während der Beton für die Druckfestigkeit verantwortlich ist, braucht es den Stahl, um auch eine Zugfestigkeit zu erreichen. Ähnlich ist es beim Knochen. Mit Kalziumphosphat und den bindegewebigen Kollagenfasern vereinen die Knochen auf geniale Weise Festigkeit und Elastizität. Fehlen diese Salze wie bei der Osteoporose im Alter, wird der Knochen weich und brüchig. Im Anatomieunterricht während des Studiums war so ein künstlich entkalkter Knochen immer eine Sensation, er wurde herumgereicht, jeder wollte ihn anfassen. Anders als bei »Hugo« mit seinen starren, harten Gräten ist so ein entkalkter Knochen so weich und biegsam wie ein schlapper Fahrradschlauch.

Was passiert, wenn Festigkeit und Elastizität des Knochens fehlen, zeigt die sogenannte Glasknochen-Krankheit, medizinisch Osteogenesis imperfecta (»unvollständige Knochenbildung«) genannt. Bei dieser Erkrankung liegt ein Gendefekt im Kollagenstoffwechsel vor. Kollagen ist der Grundbaustein für alle Gewebearten, es gibt dem Knochengewebe Halt und sorgt für ein elastisches Bindegewebe. Wird zu wenig oder minderwertiges Kollagen produziert, verändern sich die bindegewebigen Kollagenfasern. Die Folgen sind unter anderem eine erhöhte Brüchigkeit des Knochens, weshalb die Betroffenen in ihrem Leben eine Vielzahl von Brüchen erleiden und sich auch die Wirbelsäule dramatisch verformen kann. Je nach Schweregrad können diese Verformungen bereits im Mutterleib einsetzen, wie bei dem französischen Jazzpianisten Michel Petrucciani. Dennoch war der mit vielen Preisen ausgezeichnete Kleinwüchsige ein Virtuose am Klavier.

Das Alter und solche Gendefekte sind aber nur zwei Gründe, weshalb sich unsere Knochen verändern können. In unserem Körper findet ständig ein Nebeneinander von Knochenaufbau und -abbau statt, im Idealfall gibt es dabei eine Art Fließgleichgewicht. Wird ein Knochen nicht beansprucht, zum Beispiel weil das Bein eingegipst ist oder ein Patient längere Zeit das Bett hüten muss, so baut sich der Knochen ganz schnell ab und verliert seine Festigkeit und Stabilität. Wird dann die Aktivität wieder gesteigert, weil der Gips abgenommen oder die Bettlägerigkeit überwunden ist, so baut sich der Knochen wieder auf. Mit anderen Worten: Das Skelett passt sich an die Belastung an. Wird es beansprucht, so steigt die Dichte der Knochenmasse. Deshalb ist moderater Kraftsport auch ein Hauptpfeiler in der Osteoporosetherapie. Und deshalb gilt Bewegung generell als wichtigste Präventionsmaßnahme für Knochenerkrankungen. Nicht nur die Muckis profitieren davon, auch unser Skelett!

 

Sehen wir uns das faszinierende Innenleben unserer Knochen ein wenig genauer an. Wenn man einen Knochen durchschneidet, erkennt man wie beim Anschnitt eines Baums verschiedene Schichten: Außen und innen ist unser Knochen jeweils von einer Knochenhaut überzogen. Die äußere Knochenhaut besteht aus Bindegewebe und enthält viele Blutgefäße und Nerven. Sie ernährt den Knochen, ist für die Knochenbruchheilung verantwortlich und sehr schmerzempfindlich, was jeder weiß, der schon mal einen Tritt gegen das Schienbein bekommen hat. Über kleine Öffnungen am Knochen treten die versorgenden Blutgefäße in den Knochen ein. Weil Knochen und Knochenhaut so gut durchblutet sind, kommt es im Falle eines Bruchs immer auch zu einer größeren Einblutung.

Gut zu sehen ist der kompakte Knochen mit den teleskopartigen Osteonen sowie der spongiöse Knochen mit den schwammartigen Trabekeln.

Die nächste, sehr harte Schicht ist vergleichbar mit der dicken Rinde eines Baumes. Sie wird Kortikalis genannt, und tatsächlich meint der lateinische Begriff cortex, von dem sich die Bezeichnung ableitet, auf Deutsch »Rinde«. Sie besteht aus einer kompakten Schicht von Knochengewebe, aus kunstvoll ineinandergeschichteten Lagen von kollagenen Fasern (Osteonen).

Darunter stößt man auf eine schwammartige Struktur namens Spongiosa (von lat. spongia, dt. »Schwamm«). Im System dieses Knochenschwamms formen kleine Knochenbälkchen Hohlräume, in denen sich das Knochenmark befindet, das für die Blutbildung verantwortlich ist. Auch hier gilt das Prinzip »form follows function«: Die Spongiosa besteht aus einem genialen System aus genau ausgerichteten kleinen Knochenbälkchen (Trabekel), die entweder eine Druck- oder eine Zugbelastung aufnehmen. Sie werden daher auch Druck- oder Zugtrabekel genannt.

Wie brillant die Architektur dieser Trabekel ist, lässt sich am Beispiel eines Röhrenknochens erkennen. Von außen ähneln die Knochen unserer Arme und Beine einem einfachen Rohr. Doch im Inneren gleicht die Bauweise der eines tragenden Gewölbes in einer gotischen Kirche. Die geniale Ausrichtung der kleinen Knochenbälkchen garantiert nicht nur eine große Stabilität, sondern entspricht auch dem Leichtbauprinzip und ist daher extrem ökonomisch.

Querschnitt durch den Oberschenkelhals: Man erkennt Druck- und Zugtrabekel als architektonisch tragende Struktur ähnlich wie bei dem gotischen Fensterbogen daneben.

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Gelenke – die Scharniere unseres Skeletts

Neben den rund zweihundert Knochen besteht unser Bewegungssystem aus etwa hundert Gelenken, die überhaupt erst dafür sorgen, dass wir uns flexibel bewegen können. Ohne Gelenke zwischen den Fingerknochen könnten wir nichts greifen, nicht Klavier spielen, keinen Stift halten. Allein in unseren Händen gibt es vierzig solcher Verbindungsstellen, die die dort verbauten Knochen zusammenhalten. Ohne Kniegelenke könnten wir unsere Beine nicht beugen und strecken, ohne Hüftgelenk nicht sitzen, ohne Schultergelenk den Arm nicht heben und so weiter.

Passend zu den unterschiedlichen Knochen und ihren jeweiligen Funktionen ist unser Körper mit unterschiedlichen Gelenken ausgestattet. Generell bestehen sie aus Gelenkkörpern (dem Gelenkkopf und der Gelenkpfanne), die mit Knorpel überzogen und von einer Gelenkkapsel umgeben sind. Diese Kapsel ist von Gefäßen und Nerven durchzogen und verantwortlich für die Produktion der Gelenkflüssigkeit. Sie sorgt dafür, dass Gelenkkopf und Gelenkpfanne nicht bei jeder Bewegung aufeinanderschaben, sondern – getrennt durch den mit Flüssigkeit gefüllten Gelenkspalt dazwischen – aufeinandergleiten. Im übertragenen Sinn würden wir ohne diese »Schmiere« bei jeder Bewegung quietschen und knarren wie eine schlecht geölte alte Tür. Und wegen der vielen Nerven in der Gelenkkapsel wäre jede Bewegung auch unangenehm. Erst die gelartige Gelenkflüssigkeit, die unter anderem aus Hyaluronsäure besteht, sorgt für den reibungsarmen Ablauf einer Bewegung im Gelenk.

Ein skizziertes Gelenk: oben der Gelenkkopf, unten die Gelenkpfanne, umgeben von einer Gelenkkapsel

Die Anforderungen, die an die Gelenke unseres Körpers gestellt werden, sind vielfältig. Sie sind abhängig von den Knochen, an denen sie sich befinden, und von den Bewegungen, die im Zusammenspiel mit den Muskeln und Bändern vollführt werden sollen. Die verschiedenen Gelenke haben dabei ein unterschiedliches Bewegungsausmaß. Gelenke unterteilt man nach ihrer Beweglichkeit in Freiheitsgrade, also danach, in wie viele verschiedene Richtungen eine Bewegung möglich ist. Es gibt maximal drei Freiheitsgrade, da es nicht mehr als drei Ebenen im Raum gibt.

Zum Messen der Gelenkbeweglichkeit wird in der Orthopädie die Neutral-Null-Methode verwandt, ein dreistelliger Code, der die Stellung zweier Körper zueinander beschreibt. Zugegeben, das klingt jetzt etwas abstrakt, ist aber ganz einfach. Stellen Sie sich vor, Sie wollen wissen, wie es um die Beweglichkeit Ihrer Handgelenke bestellt ist. In der Neutralstellung hängen Ihre Arme und Hände locker nach unten. Sie können nun Ihre Hände nach oben um 50 Grad strecken oder Richtung Unterarm um 60 Grad beugen. Der Code nach der Neutral-Null-Methode wäre dann 50-0-60. Außerdem können Sie das Handgelenk seitlich zur Daumenseite um 30 Grad oder zur Kleinfingerseite um 40 Grad biegen, sodass der Code hier 30-0-40 wäre. Da zwei jeweils gegenläufige Bewegungen (oben/unten oder rechts/links) einen Freiheitsgrad ergeben, verfügt Ihr Handgelenk also über zwei Freiheitsgrade.

In unserem Körper sind sechs verschiedene Gelenkarten verbaut:

Kugelgelenke, die über drei Freiheitsgrade verfügen, stecken in unserer Schulter, in der Hüfte und den Fingergrundgelenken mit Ausnahme des Daumens. Ein Kugelgelenk ermöglicht Beugung und Streckung, Abspreizen und Heranziehen und Außen- beziehungsweise Innenrotation.

Scharniergelenke lassen dagegen nur eine Beugung und Streckung zu, haben also nur einen Freiheitsgrad. Sie finden sich in unserem Ellenbogengelenk oder den Fingergelenken.

Das im Beispiel erwähnte Handgelenk mit zwei Freiheitsgraden ist ein Eigelenk, das sich beugen und strecken lässt, aber auch seitliche Bewegungen ermöglicht. Auch unser erstes Kopfgelenk zwischen Schädel und Atlas ist ein Eigelenk.

In unserem Knie haben wir ein zweiachsiges Kondylengelenk: Wir können es strecken und beugen und bei gebeugtem Knie auch zur Seite bewegen (zwei Freiheitsgrade).

Ein Sattelgelenk wie in unserem Daumen ermöglicht Bewegungen, die denen eines Kugelgelenks ähneln. Auch deshalb ist der Daumen das beweglichste Glied unserer Hand.

Die letzte Gelenkform schließlich ist das ebene Gelenk, auch Drehgelenk genannt. Dass unsere Wirbelsäule beweglich ist und nicht starr, verdanken wir kleinen paarigen Gelenken zwischen den Wirbelkörpern. Gemeinsam mit den Bandscheiben und den Bändern bilden sie eine Einheit, die dafür sorgt, dass unsere Wirbelsäule stabil und dennoch sehr flexibel ist.

Die Ausstattung unseres Bewegungssystems mit all diesen verschiedenen Gelenken zeigt einmal mehr, wie durchdacht unser Körper aufgebaut ist. Kugelgelenke sind beim Menschen immer dort sinnvoll, wo eine große Beweglichkeit gefragt ist, wie beim Hüft- oder Schultergelenk. Hätten wir ein Scharniergelenk in der Schulter, könnten wir uns weder am Hinterkopf kratzen noch eine Glühbirne in die Lampe an der Decke schrauben. Scharnier- beziehungsweise Kondylengelenke wie im Ellenbogen und im Knie sind zwar weniger beweglich als Kugelgelenke, sind an diesen Stellen aber von Vorteil, denn sie schaffen die zwingend notwendige Stabilität beim Gehen, Stehen und Festhalten.

Sechs Gelenkarten:

Kugelgelenk

Scharniergelenk

Eigelenk

Kondylengelenk

Drehgelenk

Sattelgelenk

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Knorpel – das Gold unserer Gelenke

Jeder, der schon einmal ein Hähnchenbein abgenagt hat, kennt Knorpel. Es gibt Knorpel an allen Gelenken, aber auch in der Nase, der Luftröhre und der Ohrmuschel. Das Knorpelgewebe ist ein Stützgewebe, bestehend aus Knorpelzellen, Fasern und wasserbindenden Substanzen wie den Proteoglykanen und Glykoproteinen, die man mit einer Schicht aus Styroporkugeln vergleichen könnte. Knorpel reagiert elastisch auf Druck und Biegung.

Für das Bewegungssystem wichtig sind sogenannte hyaline Knorpel und Faserknorpel. Der hyaline Knorpel besteht zu 70 Prozent aus Wasser, sieht milchig-glasig aus, ist sehr zellreich, enorm druckelastisch und dient daher in den Gelenken als eine Art Polster. Er ist aus verschiedenen Schichten aufgebaut: Die oberste Schicht hat parallel zur Oberfläche ausgerichtete Kollagenfasern, die für Glätte und problemloses Gleiten sorgen. In der tieferen Knorpelschicht sind die Kollagenfasern senkrecht zur Oberfläche ausgerichtet, und die kugeligen Knorpelzellen liegen säulenartig übereinander. Bei einem Schnitt durch den Knorpel sehen die Kollagenfasern arkadenförmig angeordnet aus. Da das Knorpelgewebe selbst frei von Gefäßen und Nerven ist, werden seine Zellen über die Gelenkflüssigkeit ernährt.

Im Bereich der Bandscheiben und Menisci im Knie hingegen haben wir ein zellarmes und faserreiches Knorpelgewebe. Dieser Faserknorpel wird auch durch Scherkräfte beansprucht, weshalb er viel mehr Kollagenfasern als der hyaline Knorpel hat.

Querschnitt durch einen Knorpel: unten die Knochenschicht, dann folgt die Knorpelschicht mit den charakteristischen Säulen aus Knorpelzellen und den arkadenförmig verlaufenden Kollagenfasern.

Knorpel ist eine geniale Gleitpaarung für die Gelenke. Kein Gelenk, keine Achse in der technischen Welt vermag solche Bewegungszyklen zu durchlaufen wie die menschlichen Gelenke, ohne dass ein Verschleißteil ausgetauscht werden muss. Das ist in etwa so, als müsste ein Autoreifen oder ein Schuh bis zu achtzig Jahre halten. Kein anderes technisches Material hat einen geringeren Abrieb als der Knorpel. Fachleute nennen dies den Reibungskoeffizienten. Es gibt allerdings einen Haken: Knorpel wächst nicht nach, sodass jeder Mensch mit seinem ganz persönlichen Knorpelvorrat leben muss. Das macht den Knorpel so kostbar, weshalb er auch als »Gold der Gelenke« bezeichnet wird. Geht der Knorpel kaputt, droht eine schmerzhafte Arthrose. Die Risiken für eine Arthrose sind vielfältig: Fehlbelastungen, Verletzungen, Übergewicht und Entzündungen können mit der Zeit zu Verschleiß führen. Ist der Knorpel erst einmal beschädigt, verkleinert sich der Gelenkspalt, die Beweglichkeit ist eingeschränkt, die Knochen reiben zunehmend aufeinander, was den Druck auf den geschädigten Knorpel erhöht. Ist gar kein Knorpel mehr auf den Gelenken zu sehen, sprechen wir Orthopäden von einer »Knorpelglatze«. Dann ist Hopfen und Malz verloren.

Bei einer »Knorpelglatze« fehlt der Knorpel im Gelenk, die Knochen reiben aufeinander.

Bei begrenzten Knorpelschäden kann die Medizin heute allerdings gegensteuern. Noch vorhandene und nicht geschädigte Knorpelzellen werden dabei entnommen, im Labor angezüchtet und um das Tausendfache vermehrt. Nach gut vier bis sechs Wochen können diese kostbaren »Knorpelperlen« dann wieder an der defekten Stelle eingepflanzt werden. Weitere sechs Wochen später kann der Patient mit einer leichten Belastung des Gelenks beginnen, nach drei Monaten darf es wieder voll belastet werden. Und spätestens nach einem Jahr sollte der neue Knorpel die gleiche Festigkeit erreicht haben wie der alte. In Anbetracht unseres beständig steigenden Lebensalters werden diese Knorpelperlen wahrscheinlich irgendwann wertvoller sein als die Austernperlen bei »Tiffany’s«. Und wer weiß, vielleicht wird es in Zukunft nicht nur große Farmen geben, auf denen Hühner und Salat gezüchtet werden, sondern auch Knorpel und andere Gewebe wie etwa Bindegewebe.

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Teil II

Muskeln, Bänder und Sehnen – der aktive Teil unseres Bewegungssystems

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