Genial einfach entscheiden - Christin Stock - E-Book

Genial einfach entscheiden E-Book

Christin Stock

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Richtig oder falsch? Das menschliche Gehirn ist ein lebendes Fossil. Unsere Verhaltensmuster sind noch immer von der Steinzeit geprägt. Kein Wunder, dass wir der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahrhunderten nicht wirklich gewachsen sind. Insbesondere wenn komplexe Sachverhalte in Bruchteilen von Sekunden verstanden und Entscheidungen darüber getroffen werden müssen, sind die Ergebnisse oft suboptimal. Auch an den Finanzmärkten. Die Analystin Christin Stock, die sich seit mehr als zehn Jahren intensiv mit Kapitalmärkten beschäftigt, und Joachim Goldberg – der bekannteste Experte in Deutschland zum Thema Behavioral Finance – erklären, wie sich menschliches Verhalten in der persönlichen Anlagestrategie und im alltäglichen Verhalten niederschlägt und mit welchen Tricks sich das Gehirn überlisten lässt. Sie decken systematisch wiederkehrende Denkfehler und psychologische Stolperfallen auf. Sie zeigen, welche negativen Effekte diese Phänomene auf unser Entscheidungsverhalten und auf unser Wohlbefinden haben. Darüber hinaus geben die Autoren konkrete Hilfestellungen, wie man mit Kopf und Bauch an den Finanzmärkten und auch im Alltag bessere Entscheidungen trifft. Eine hochspannende Reise durch den täglichen Entscheidungsdschungel und eine einzigartige Verknüpfung von Erkenntnissen der Glücksforschung mit den Naturgesetzen der Finanzmärkte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 509

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.  

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

[email protected]

1. Auflage 2013

© 2013 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096  

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.  

Redaktion: Bärbel Knill

Korrektorat: Rainer Weber

Umschlaggestaltung: Judith Wittmann

Satz und E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern  

ISBN Print 978-3-89879-796-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-430-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-431-7  

Weitere Informationen zum Verlag finden sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Inhalt

Titel

Impressum

Inhalt

1. Vorwort

2. Der Mensch ist kein Homo oeconomicus

2.1 Denn wir wissen nicht, was wir wollen sollen …

2.2 Gestatten, Homo oeconomicus

2.3 Die Psychologie auf dem Vormarsch

2.4 Das Ende des Homo oeconomicus?

2.5 Alles ist Psychologie

2.6 Ein neues Menschenbild und neue Modelle

3. Typisch Mensch: harmoniesüchtig und kontrollwütig

3.1 Das Bedürfnis nach Harmonie

3.2 Damit kognitive Dissonanz erst gar nicht entsteht

3.3 Alles unter Kontrolle – oder doch nicht?

4. Der Mensch und sein Autopilot

4.1 Zwei Systeme und wie sie sich miteinander verstehen

4.2 Der Mensch denkt in Schubladen

4.3 Heuristische Tricks und ihre Tücken

5. Alles ist relativ

5.1 In welcher Welt leben wir?

5.2 Nur ein Modell: Der rationale Entscheider

5.3 Der Entscheider aus Fleisch und Blut in der Prospect-Theorie

5.4 Verkehrte Welt

5.5 Wetten am laufenden Band

5.6 Kapitulation – wenn die Verluste zu groß werden

5.7 Warum sich eine 50:50-Chance nicht wie 50:50 anfühlt

5.8 Erfolgsmodell Prospect-Theorie

6. Hinter den Kulissen von Gewinnen und Verlusten

6.1 Von hartnäckigen Verlierern und wankelmütigen Gewinnern

6.2 Warum wir unsere Schätze so ungern hergeben

6.3 Der Fluch der versunkenen Kosten

6.4 Mentale Buchführung

6.5 Wenn sich der Referenzpunkt verschiebt

7. Nicht immer war die Schlange schuld

7.1 Die Gelegenheit beim Schopf ergreifen

7.2 Der kleine Wachmann im Kopf

7.3 (Neue) Normen müssen her!

7.4 Gelegenheit macht Diebe – oder bessere Menschen

8. Auch die Zeit legt uns Stolpersteine in den Weg

8.1 Wie der Zahn der Zeit an unseren Entscheidungen nagt

8.2 Die Zeit heilt (fast) alle Wunden

8.3 Die Suche nach dem großen und dem kleinen Glück

8.4 Warum man gehen sollte, wenn es am schönsten ist

9. Jäger, Sammler und Börsianer

9.1 Der Steinzeitmensch im Internetzeitalter

9.2 Unser steinzeitliches Erbe

10. Dem Entscheider in den Kopf geschaut

10.1 Faszination Gehirn

10.2 Geld verlieren kann schmerzhaft sein

10.3 Auf Schnäppchenjagd

10.4 Mitleid und Schadenfreude

10.5 Moralischer Widerstreit

10.6 Das Gefühl entscheidet (mit)

10.7 Übersicht

11. Wenn alles zusammenkommt

11.1 Ein Trend entsteht

11.2 Erst zu wenig, dann zu viel

11.3 Trends in jeder Hinsicht

11.4 Was die Stimmung verrät

12. Bauchentscheidungen mit Köpfchen

12.1 Privatanleger und Börsenprofis

12.2 Einkaufsbummler, Glückssucher, Fußballspieler und Co.

12.3 Politik

12.4 Viel Erfolg beim Entscheiden

Die Autoren

Christin Stock

Joachim Goldberg

Abbildungsnachweise

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 8

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Endnoten

1. Vorwort

Geld allein macht nicht glücklich, sagt der Volksmund. Tatsächlich steckt hinter dieser Banalität viel mehr Wahrheit, als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Denn sie gilt nicht nur für diejenigen, die von Berufs wegen mit Geld zu tun haben, wie etwa Börsianer, sondern auch für Nichtbörsianer, für Laien und Profis, ja, für jeden von uns. So geht es den meisten von uns bei dem, was wir entscheiden, nicht nur um den Gewinn – eine gute Entscheidung muss vielmehr auch Spaß machen. Anders ausgedrückt: Die Menschen möchten sich bei dem, was sie tun, wohlfühlen. Und wenn es ums Geld geht, dann spielen Faktoren wie gesteigertes Selbstwertgefühl und hohes Sozialprestige eine mindestens so große Rolle wie Geld. Ganz zu schweigen von einem möglichen Gesichtsverlust und der etwaigen Schadenfreude, wenn die Dinge einmal nicht so laufen, wie man sich das vorgestellt hat, und Verluste drohen. Keiner will als »Loser« dastehen, jeder am Ende als Sieger triumphieren. In diesem Widerstreit zwischen materiellen und ideellen Beweggründen befinden sich die meisten Menschen, die mit Geld zu tun haben. Es soll sogar welche geben, die auf Geld verzichten, nur um sich wohlfühlen zu können.

Es spielen bei unseren Entscheidungen also andere Motive eine gewichtige Rolle, als uns etwa die Profis an den Finanzmärkten, Unternehmenslenker oder Ökonomen immer wieder glauben machen wollen. Denn in der Realität gibt es nicht den rein rationalen und idealtypisch handelnden Kunstmenschen Homo oeconomicus. Menschen verhalten sich beileibe nicht immer so vernünftig, wie man erwarten dürfte. Der kühle Kopf, der rationale Entscheider, der nur nach Maximierung seiner Gewinne strebt, bleibt ein theoretisches Konstrukt – in der Praxis ist er nur selten anzutreffen.

Tatsächlich spielen bei unseren Entscheidungen auch ganz andere Motive eine Rolle. Da ist oft von Fairness die Rede. Vielleicht geht es aber auch nur darum, nach außen gut dazustehen, möglicherweise sind Neid oder Gier sogar wesentliche Antriebe – alles Motive, die ein Homo oeconomicus nicht kennt und die an den Finanzmärkten zumindest laut Lehrbuch nichts verloren haben sollten. Offenbar haben die Wirtschaftswissenschaftler uns in ihren Modellen unterschlagen, was die Menschen auszeichnet, was ihre Entscheidungen maßgeblich beeinflusst. Es handelt sich um Emotionen, Regungen und Gefühle, die jeder kennt und die immer wieder auftreten. Manchmal ist es aber auch nur die Suche nach Spannung und Nervenkitzel oder schlicht der Wunsch nach Kommunikation. Ob man nun ein neues Kleid, ein paar schöne Schuhe, eine Waschmaschine, ein Auto oder ein Haus kauft. Oder an den Finanzmärkten handelt. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass unter dem Namen Behavioral Finance seit mehr als zwei Dekaden und unter dem Begriff Behavioral Economics bereits lange Zeit zuvor Ökonomie und Psychologie zu einer wissenschaftlichen Disziplin zusammengeführt werden sollen.

Und so entstand, als wir – Christin Stock und Joachim Goldberg – vor gut drei Jahren bei einem Glas Bordeaux zusammensaßen, die Idee, ein neues Buch zu diesem Themenkreis zu schreiben. Denn seit Erscheinen des Buches Behavioral Finance – Gewinnen mit Kompetenz, das Goldberg zusammen mit Rüdiger von Nitzsch 1999 veröffentlichte, haben nicht nur mehrere Krisen die Finanzwelt in ihrem Innersten erschüttert. Auch sind die bisherigen grundlegenden Erkenntnisse durch so viele neue Erfahrungen erweitert worden, dass es an der Zeit schien, diese Entwicklungen in einem weiteren Werk darzustellen und zusammenzufassen. Doch soll sich das Buch dieses Mal nicht nur an Finanzprofis und Börsianer wenden. Vielmehr möchten wir auch andere Entscheider, wie Unternehmer oder Politiker, aber auch Privatpersonen erreichen, die Tag für Tag Entscheidungen mit kleinen und großen Konsequenzen treffen müssen und diese Entscheidungen verbessern möchten.

Als das erste Buch zur Behavioral Finance 1999 auf den Markt kam, befanden sich die Finanzmärkte noch in einem wahren Höhenrausch. Die Dotcom-Blase war noch nicht geplatzt, und die Aktienkurse erklommen weltweit so abenteuerlich hohe Niveaus, dass nicht wenige Analysten und Ökonomen ihre aus den Fugen geratenen Modelle über den Haufen werfen wollten und angesichts des neuen »ewigen Wachstums« forderten, neue Bewertungsmaßstäbe für Aktien einzuführen. Und in Deutschland hatte gerade eine neue Gruppe von Privatanlegern den Aktienmarkt für sich entdeckt. Wer damals auf einer Party nicht über Aktien mitreden und nicht wenigstens über fünf Werte des Neuen Marktes philosophieren konnte, war schlichtweg »out«. Richtig schlimme Finanzkrisen hatte man seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erlebt, und die große Depression als Folge der Börsenpanik von 1929 galt zu dieser Zeit als nicht wiederholbare Historie. Zwar gab es den Börsencrash von 1987 und das Scheitern des Hedgefonds LTCM im Jahre 1998 samt der Krise der fernöstlichen Märkte, aber stets behielt man das Vertrauen, die Finanzmärkte würden sich dank der US-Notenbank, oder genauer: dank der schützenden Hand von deren damaligem Präsidenten Alan Greenspan, letztlich immer wieder von alleine erholen und stabilisieren.

Dieser Optimismus ist mit der Jahrtausendwende geschwunden. So mussten die Marktteilnehmer leidvoll erfahren, dass Aktienmärkte nicht nur nach oben, sondern auch über viele Monate hinweg deutlich nach unten gehen können. Die fürchterlichen Terroranschläge des 11. September 2001, für die Börsen ein unkontrollierbarer externer Faktor, haben diesen Trend nicht, wie oft fälschlicherweise behauptet, ausgelöst, aber rasant beschleunigt. Mit dem Beginn der Invasion der USA im Irak im Jahr 2003 begannen die Aktienmärkte in den Vereinigten Staaten und Europa wieder zu haussieren – allerdings hatten sich viele Marktteilnehmer zuvor so sehr die Finger verbrannt, dass sie am Aufwärtstrend der folgenden Jahre, wenn überhaupt, nur sehr spät teilgenommen haben. Es folgten Jahre der Selbstoptimierung der Arbeitskraft und Jahre der Optimierung der Finanzmärkte, vornehmlich in Form von intransparenten, sogenannten strukturierten Produkten. Im Jahr 2007 kam es, beginnend in den USA, schließlich zu einer Immobilienkrise, in deren Folge die Investmentbank Lehman Brothers pleiteging. Im Jahr 2008 wurde schließlich nicht nur ein wichtiges Kapitel Börsengeschichte geschrieben, vielmehr handelte es sich um ein Jahr neuer, in ihrer Dimension bislang nie gekannter negativer Superlative. Es brach eine Zeit über uns herein, die selbst die Veteranen unter den Börsianern noch nicht erlebt und nicht für möglich gehalten hatten.

Der Begriff Krise war mit einem Mal so allgegenwärtig, dass sich im Jahr 2008 in Lindau am Bodensee bei einem Treffen der Ökonomie-Nobelpreisträger einige Wissenschaftler die Frage stellten, ob die Finanzmärkte denn überhaupt effizient seien. Der Nobelpreisträger Joseph Stieglitz ging sogar so weit, die Behauptung aufzustellen, eine Reihe ökonomischer Theorien würden die Krise nicht überleben. Professor Daniel McFadden aus Berkeley erklärte, vor allem die weitverbreitete Annahme, Finanzmärkte funktionierten effizient und verarbeiteten stets alle verfügbaren Informationen und Meinungen, sei nicht mehr haltbar: »Wir werden uns fragen müssen, ob es sich bei der Theorie von der Markteffizienz um gute Wissenschaft handelt«, sagte er damals zu seinen Kollegen. Man konstatierte allgemein, dass die klassische Ökonomie versagt habe und dass sie hinter der Realität um Jahrzehnte hinterherhinke. Die moderne Kapitalmarkttheorie konnte nämlich weder erklären, wie es zur Krise gekommen war, geschweige denn ihren weiteren Verlauf prognostizieren, denn sie hatte in ihren Modellen den Menschen schlichtweg vergessen.

Was im Jahr 2007 als Subprime-Krise begann und sich in den beiden folgenden Jahren zu einer Weltwirtschaftskrise auswuchs, hat die moderne Finanzökonomie in ihren Grundfesten erschüttert. Es sind Ereignisse eingetreten, die nach den Annahmen, auf denen sowohl die klassischen Finanzmarktmodelle als auch die Frühwarnsysteme der Banken beruhen, nicht einmal alle 1000 Jahre passieren dürften – und schon gar nicht alle auf einmal. Mehr noch: In den gängigen Modellen der Ökonomen waren Krisen überhaupt nicht vorgesehen. Denn angeblich sorgen Angebot und Nachfrage dafür, dass die Preise sich in vernünftigen Bahnen entwickeln und sich der Markt selbst hilft. Dennis Snower, Ökonom und Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, brachte es vor nicht allzu langer Zeit in einem Interview mit der Financial Times Deutschland auf den Punkt: »Viele Volkswirte verteidigen die alten Modelle, obwohl sie die Krise überhaupt nicht erklären können.« Mehr noch, so haben Forscher der Schweizer Universität St. Gallen herausgefunden, scheint eine große Mehrheit von Lehrbeauftragten in Europa und den USA immer noch mit der althergebrachten Form der Makroökonomie zufrieden zu sein. Schließlich schätzten 72 Prozent von 259 Befragten die unterrichteten Modelle als nützlich ein. Und Dennis Snower geht sogar noch weiter, wenn er behauptet, im herrschenden System könnten junge Ökonomen vor allem dann Karriere machen, wenn sie alte Ideen nur leicht veränderten. Wer aber auch ohne mathematische Formeln erforschen wolle, warum Menschen irrational handeln, laufe Gefahr, als »exotisch« zu gelten, warnte der Wissenschaftler, und »exotisch« ist vermutlich nur eine vornehme Umschreibung für »unseriös«.

Tatsächlich hatten sich die Krisen in einem Maße gehäuft, dass die langjährigen ökonomischen Modelle einfach versagen mussten. Merkwürdigerweise findet sich jedoch die fast schon zwingende Erkenntnis aus der Lindauer Konferenz, dass nämlich die Wirtschaftswissenschaften der Psyche der Menschen viel mehr Rechnung tragen müssten, kaum Erwähnung. Wenn überhaupt, dann als altbekanntes Muster, auf dem Niveau von Angst, Hoffnung, Herdenverhalten, Panik und Verzweiflung. Jene Begriffe, die immer fallen, wenn man von der Psychologie der (Finanz-)Märkte spricht. Und das, obwohl es seinerzeit bereits Erkenntnisse der Behavioral Finance gab, mit denen man zumindest wichtige Entscheidungsprozesse schon im Vorfeld dieser Krisen hätte günstig beeinflussen können. Aber diese neue Wissenschaft der Finanzmärkte war damals vermutlich noch zu jung und zu unerforscht, als dass sie von einer breiten Schicht von Wirtschaftswissenschaftlern und Praktikern hätte akzeptiert werden können. Zumal die konsequente Anwendung der Erkenntnisse aus der Psychologie zwar zu einer Synthese mit der Ökonomie geführt, aber am Ende ein Umdenken bei den traditionellen Wirtschaftswissenschaftlern erfordert hätte.

Obwohl Daniel Kahneman im Jahre 2002 als erster Psychologe den Nobelpreis für Ökonomie erhielt, konnte man sich auch in den Jahren danach nicht des Eindrucks erwehren, dass man zwar 90 Prozent dessen, was an den Finanzmärkten geschah, theoretisch durchaus den psychologisch bedingten Verhaltensweisen ihrer Akteure zurechnen wollte, aber sich gleichzeitig in der Praxis dennoch weiterhin an den lieb gewonnenen, aber dennoch irreführenden Modellen der Standardökonomie orientierte.

Statt sich also die Erkenntnisse der verhaltensorientierten Finanzforschung endlich zunutze zu machen, waren selbst am bisherigen Höhepunkt der Krise immer wieder nur ein paar banale Weisheiten aus der psychologischen Hausapotheke zu vernehmen. Etwa, als der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte, Leichtsinn, Gier und Unvernunft müssten in Zukunft verhindert werden. Tatsächlich hat es in Jahrtausenden noch keine der Weltreligionen geschafft, dem Menschen die Gier auszutreiben, und keiner Wissenschaft ist es bislang gelungen, seine Unvernunft zu besiegen. In dem Moment, wo wir glauben, etwas Neues gelernt zu haben, meinen wir es auch gleich besonders gut zu können. Dieses als Overconfidence bezeichnete Phänomen führt übrigens an den Finanzmärkten dazu, dass die Akteure, die theoretisch eigentlich alle die gleichen Informationen besitzen und als rational handelnde Individuen auch alle die gleichen Schlussfolgerungen ziehen müssten, viel zu häufig gegeneinander handeln.

Ihren dramatischen Höhepunkt hatte die Finanzkrise wohl im Oktober 2008 erreicht. Jeder schwarze Börsentag wurde damals von einem noch schwärzeren abgelöst, sodass die Angst selbst in jedem noch so hartgesottenen Börsenprofi hochkroch und minütlich drohte, sich zur Massenpanik auszuwachsen. Tatsächlich hätte vermutlich nicht mehr viel gefehlt und es wäre in Deutschland zum gefürchteten Run auf Kassenschalter und Bankautomaten gekommen. Aber zum Glück ist das ja nicht passiert. Und bereits ein Jahr später wurde hier und da bereits in aufgekratzter, fast frivoler Stimmung die freche Frage aufgeworfen, ob das »schon alles gewesen« sei. Wo man doch gerade erst dem Desaster entkommen war.

Manch einer wird sich nun fragen, was wir denn aus der Krise gelernt haben. Eine Krise, die, als dieses Buch entstand, immer noch ungelöst war und uns ­immer wieder mit neuen Facetten überraschte. Und wenn unsere Kinder eines Tages wissen wollen, was wir damals getan haben, um mit heiler Haut davonzukommen, werden viele antworten, sie hätten einfach abgewartet und erst einmal gar nichts gemacht. Denn verlässliche ökonomische Prognosen habe es damals schlichtweg nicht gegeben, aber immerhin seien wir doch lernfähig gewesen. Aber nur so lange, wie wir die Symptome der Krise wie eine Schlinge empfanden, die sich langsam um unseren Hals zuzuziehen drohte. Sobald aber der Druck nachgab, ließ gleichzeitig auch der Wunsch der Menschen nach, an ihrem Verhalten irgendetwas zu verändern.

Tatsächlich aber lassen sich die Krise und die Geschichte ihrer Lösungsansätze wie ein Lehrstück darüber lesen, wie sehr Verlustaversion, eskalierende Commitments und falsche Referenzpunkte damals alle beteiligten Akteure, nicht nur die politischen Entscheider, beeinflusst haben. Natürlich muss es bei einer globalen Krise auch ein globales Krisenmanagement geben, aber gleichzeitig ist damit ein starker sozialer Sog verbunden, den die Psychologen als Herdenverhalten bezeichnen. Keine Regierung der großen Industrienationen möchte in so einer Situation eine folgenschwere Fehlentscheidung treffen, schon gar nicht, wenn Wahlen anstehen.

Aber es hat sich leider gezeigt, dass die Menschen, egal, ob es sich nun um aktive Entscheider in der Finanzkrise oder Teilnehmer an den Märkten handelte, selbst wenn sie wollten, nicht allzu viel gelernt haben. Denn die Beobachter und Kommentatoren der Finanzmärkte sind heute genauso wie vor gut zehn Jahren, als Joachim Goldbergs erstes Buch erschien, immer noch irritiert, wenn Investoren auf politische Ereignisse oder neue ökonomische Daten ganz anders als erwartet reagieren. Immer noch können viele Menschen einfach nicht begreifen, warum diese Informationen oder sogenannten Fundamentaldaten einmal den Preis von Wertpapieren bestimmen und ein anderes Mal nicht. Das kann sogar so weit gehen, dass Anleger auf der einen Seite Kostensenkungen als Folge von Entlassungen bejubeln, sich aber gleichzeitig darüber wundern, dass im weiteren Zeitablauf auch die Arbeitslosenquote steigt. Es kann passieren, dass der Aktienkurs eines Unternehmens regelrecht abgestraft wird, wenn die Quartalszahlen besser als von Analysten prognostiziert ausfallen. Heute kann eine bestimmte Marktinformation noch positiv, morgen genau um 180 Grad verdreht, also negativ wahrgenommen werden.

Schnell ist man deswegen geneigt, das Verhalten der Anleger als unangemessen oder gar irrational abzutun. Dabei handeln sie wahrscheinlich vernünftiger, als man annehmen möchte, denn alle Menschen und ganz besonders diejenigen, die im rasanten Hin und Her der Finanzmärkte ihre Entscheidungen treffen müssen, setzen ihre vielfach begrenzten intellektuellen Fähigkeiten im Grunde optimal ein, um so der mittlerweile schier unbegrenzten Informationsmassen Herr zu werden. Ja, im Vergleich zu vor zehn Jahren hat sich diese Flut fast zu einem Overkill an Daten ausgeweitet. Deswegen ist es nur verständlich, dass nicht nur Finanzmarktteilnehmer, sondern auch auf allen Feldern des Geschäftslebens und natürlich auch im privaten Alltag Menschen auf vertraute Muster wie etwa Faustregeln oder andere Denkschemata zurückgreifen, um die Fülle der auf sie einströmenden Daten zu sichten, zu ordnen und zu bewerten.

Ob das nun beunruhigend oder tröstlich klingen mag, dass wir Menschen eben nur begrenzt rational denken und entscheiden – zu irrationalem Verhalten muss dies nicht zwangsläufig führen. Nein, die Behavioral Finance oder im weiteren Sinne die Behavioral Economics, die Verhaltensökonomie, hat es sich nicht zum Ziel gesetzt, menschlichen Entscheidern permanent Irrationalität oder Fehler nachzuweisen, ihnen also im bildlichen Sinne den Spiegel vorzuhalten. Vielmehr geht es darum, Kapitalmarktprofis, Investoren, Privatanlegern, aber auch all denen, die mit den Finanzmärkten nichts zu tun haben, die Erkenntnisse der verhaltensorientierten Ökonomie näher zu bringen und ihnen damit zu zeigen, wie sich bessere Entscheidungen treffen lassen – in ihrem Berufs- und Privatleben.

In diesem Buch werden Ihnen jedoch nicht nur Ökonomen und Psychologen, sondern auch Biologen, Hirnforscher und Philosophen begegnen. Genauso wie Fondsmanager, Kleinanleger, Hausfrauen, Internetauktionsliebhaber, Ehepaare, Nachbarn und Verbraucher. Sie alle müssen ständig Entscheidungen treffen. Mittlerweile beschäftigen sich viele wissenschaftliche Disziplinen damit, wie diese Entscheidungen tatsächlich aussehen. Auch wenn unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Situationen andere Maßnahmen treffen, ist ihr Entscheidungsprozess dennoch häufig derselbe. Ein Ziel dieses Buches ist es daher, hinter die Kulissen der eigenen Entscheidungen zu blicken, um unsere Handlungsweisen zu verstehen und zu verbessern. Dabei geht es bei Weitem nicht immer um Angst, Hoffnung oder Verzweiflung. Vielmehr konzentriert sich die Verhaltensökonomie darauf, die Systematik im Verhalten der Marktteilnehmer zu erkennen und zu beschreiben. Denn genau diese Systematik gibt einem die Möglichkeit, auch künftige Entscheidungen von Finanzmarktakteuren oder Menschen aus unserem persönlichen Umfeld zuverlässig einzuschätzen und manchmal auch vorherzusagen.

Wirtschaftskrisen entstehen nicht aus dem Nichts. Sie entwickeln sich immer da, wo Menschen miteinander interagieren – sie haben ihren Ursprung in typisch menschlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen. Man nehme doch nur einmal die Bonus-Systeme als eine der vielen Krisenursachen: Unternehmenslenker, insbesondere Banker, wurden für kurzfristig erzielte Erfolge belohnt, weswegen sie folgerichtig dazu tendierten, Risiken zwar langfristig einzugehen, aber vornehmlich nach ihrem kurzfristig erzielbaren Gewinn zu beurteilen. Krisen wird es, solange es uns Menschen gibt, immer wieder geben. Und zwar vor allem dann, wenn falsch gesetzte Anreize sich ungünstig miteinander kombinieren. Der fromme Wunsch der Politik, mit einer neuen Finanzmarktarchitektur und strengerer Regulierung künftige Miseren zu vermeiden, wird jedoch eine bloße Wunschvorstellung bleiben, wenn sich Politiker, Ökonomen und Investoren den Menschen nicht näher anschauen. Wer ist dieser Mensch? Wie entscheidet und handelt er, wozu fühlt er sich motiviert? Die Behavioral Finance und die weiter gefasste Disziplin der Behavioral Economics geben Antworten auf viele dieser Fragen und dürften somit einen wichtigen Beitrag für die Neugestaltung von Ökonomie und Politik leisten.

Anhand anschaulicher Beispiele aus Finanzwelt und Alltag, in denen sich der geneigte Leser leicht wiederfinden kann, zeigt dieses Buch die wichtigsten Erkenntnisse der Behavioral Economics auf – es nimmt den Menschen sowohl als individuellen Entscheider als auch als Teil der weltweiten Finanzmarktgemeinde unter die Lupe. Aber es veranschaulicht nicht nur, welche typischen Stolperfallen einem Entscheider immer wieder im Wege liegen, und wie man diese typischen psychologischen Fallstricke geschickt umgehen kann, um am Ende bessere Entscheidungen zu erzielen.

Im Gegensatz zu früheren Ausführungen beschäftigt sich dieses Werk nicht nur mit den Erkenntnissen aus Psychologie und Ökonomie, die in den vergangenen Jahren kaum revidiert, sondern vor allem ergänzt und erweitert wurden. Stattdessen hat sich in den vergangenen Jahren der Drang der Menschen nach Glück und Wohlbefinden, nach Selbstoptimierung erheblich gesteigert, ohne dass man eigentlich genau weiß, wohin man sich wenden, woran man sich in dieser Suche orientieren soll. Aber selbst wenn wir zu wissen meinen, wo der Schlüssel zu unserem Glück liegt, werden wir kurzfristig immer wieder vom Weg abkommen, wegen all der Verlockungen und Ablenkungen, die am Wegesrand winken. Viele Entscheidungen treffen wir aus dem Bauch heraus, was jedoch ein schiefes Bild ist. Denn auch Bauchentscheidungen werden natürlich im Kopf getroffen. Mit einer Bauchentscheidung sind all diejenigen Urteile und Bewertungen gemeint, die unser Gehirn automatisch trifft. Neben dem logischen, bewussten Denken gibt es also noch einen menschlichen Autopiloten – gemeint ist damit die Intuition, das sogenannte Bauchgefühl, die Geistesgegenwart. Worin eine gewisse Gefahr liegt: Auch wenn wir glauben, eine Entscheidung völlig bewusst und auf Basis rationaler, logischer Argumente getroffen zu haben, war unser Autopilot in Wahrheit viel öfter am Werk, während unser logisches, bewusstes Denken wieder einmal Energie gespart und eine Pause eingelegt hat.

Natürlich erhebt auch das vorliegende Buch keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit. In seinem ersten Teil beschäftigt es sich vor allem mit den Grundannahmen und wichtigsten Erkenntnissen der Behavioral Economics. So werden im zweiten Kapitel die Grenzen der modernen Kapitalmarkttheorie, der Effizienzmarkthypothese aufgezeigt, weswegen auf die Vorstellung des rationalen Homo oeconomicus und die Frage nach dessen Daseinsberechtigung noch einmal eingegangen werden muss, abgerundet durch einen Nachruf auf die Theorie der effizienten Märkte.

Die folgenden Kapitel widmen sich den Grundlagen der Behavioral Economics, angefangen (Kapitel 3) mit dem Bedürfnis der Entscheider nach einem dissonanzfreien Leben, aber auch dem Wunsch, vor allem die monetäre Zukunft unter Kontrolle zu halten. Die Theorie der kognitiven Dissonanz – eine der ältesten Theorien der Psychologie, wenn nicht gar der Sozialwissenschaften, stellt dabei einen wichtigen Meilenstein der Behavioral Economics dar. Diese Theorie ist deswegen so wichtig, weil sie davon ausgeht, dass Menschen so gut es geht versuchen, ihr Wohlbefinden vor der simplen Tatsache zu schützen, dass sie möglicherweise mit einer Entscheidung nicht richtig liegen. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass wir Informationen, die mit unseren Wertvorstellungen nicht übereinstimmen, systematisch ausblenden. In Hinblick auf die Finanzmärkte bedeutet das, dass Marktpreise nicht zu jeder Zeit sofort auf neue Informationen reagieren können, wie es etwa die Standardökonomie vorsieht. Aber auch in anderen Lebensbereichen sind damit systematische Zerrbilder programmiert: Die Welt wird schön geredet, Probleme werden verharmlost. Anders ausgedrückt beschäftigt sich dieser Teil des Buches damit, wie das psychische Bedürfnis der Menschen nach Dissonanzfreiheit und nach Kontrolle ihre Wahrnehmung von Informationen beeinflusst.

Das vierte Kapitel geht indes auf die physischen Beschränkungen der Menschen bei der Informationsaufnahme ein. Im Gegensatz zu früheren Ausführungen steht hier der Autopilot des Menschen im Mittelpunkt. Wir fragen nach, wie Menschen tatsächlich Informationen wahrnehmen, verarbeiten und welche nicht immer vorteilhaften Tricks sie verwenden, um ihre Urteile zu finden.

Im Mittelpunkt des fünften und sechsten Kapitels steht das Kernstück der Behavioral Economics: die Prospect-Theorie der Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky, die mittlerweile eine gewichtige Alternative zur Erwartungsnutzentheorie darstellt. Im Wesentlichen wird geschildert, wie die Menschen im Alltag, aber auch an den Finanzmärkten, mit Gewinnen und Verlusten tatsächlich verfahren. Dass wir beides ganz unterschiedlich bewerten, ist für die menschlichen Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung. Denn die Tatsache, dass Verluste schwerer wiegen als Gewinne in gleicher Höhe, hat Folgen für das Risikoverhalten der Menschen.

Schließlich riskieren die Autoren auch noch einen Blick hinter die Kulissen von Gewinnen und Verlusten und gehen der Frage nach, warum wir so gerne ganz schnell Gewinne realisieren, an Verlusten indes oftmals viel zu lange festhalten. Die Erkenntnisse der Prospect-Theorie gelten jedoch nicht nur für Entscheider an den Finanzmärkten. Vielmehr sind die in diesem Teil skizzierten Verhaltensmuster auf fast allen Feldern des geschäftlichen Alltags und natürlich auch im Privatleben anzutreffen. Hier wie dort wird übrigens eine weitere Annahme der Standardökonomie widerlegt: Menschen bewerten Situationen und Handlungen nicht absolut und nicht in Hinblick auf ihr Endvermögen. Vielmehr vergleichen sie sich stets und gern mit anderen – wichtiger als der tatsächliche Betrag ist doch für die meisten, ob sie mehr oder weniger als andere gewonnen oder verloren haben. Entscheider bewerten Erfolg und Misserfolg also stets relativ.

Im zweiten dieser beiden Kapitel wird schließlich gezeigt, wie die Menschen oft unbewusst die Erkenntnisse der Prospect-Theorie verwenden, um sich bei ihren Entscheidungen am Ende wohlzufühlen, wie sie sich buchstäblich mit einer Manipulation ihrer internen Buchhaltung mehr Wohlbefinden verschaffen. Wohlbefinden, das jedoch auch Geld kosten kann. Und ein Wohlbefinden, das, wie das siebte Kapitel zeigt, auch zulasten anderer gehen kann, wenn sich die ethischen Normen mit der Zeit verschieben – es geht um Moral und darum, warum sich in der Krise etwa die Wertewelt eines Investmentbankers ganz anders als die von Otto Normalverbraucher darstellt und warum Ersterer womöglich überhaupt keine Schuldgefühle entwickelt. Die Autoren gehen an dieser Stelle mithin der Frage nach, ob auch moralische Werte relativ sind.

Die zweite Hälfte des Buchs befasst sich schließlich mit den jüngeren Erkenntnissen der Behavioral Economics. Kapitel 8 analysiert zunächst den Einfluss der Zeit auf unsere Entscheidungen. Warum wir etwa lieber heute einen Geldgewinn einstreichen, zulasten eines noch größeren Gewinns in der Zukunft. Oder sogar unter Inkaufnahme künftiger Risiken. Gleichzeitig wird für den Leser auch erkennbar, warum kurzfristige monetäre Anreize für Entscheider nicht zu optimalen Ergebnissen führen. Zu den jüngeren Erkenntnissen der Verhaltensökonomen gehört auch das Thema Adaption: Wie schnell sich die Menschen an Neues gewöhnen – im Guten wie im Schlechten –, wie die Zeit fast alle Wunden heilt. Und wie wenig wir uns aufgrund dieser Gewöhnungsprozesse vorstellen können, wie sich Gewinne oder Verluste aus Entscheidungen in der Zukunft anfühlen werden. Im weitesten Sinne geht es also um die Verhaltensökonomie des Glücks, die sogenannten hedonomics. Also wie man etwa den Eindruck eines positiven Erlebnisses oder einer Anschaffung (etwa eines Traumautos) in seiner Wahrnehmung so optimiert, dass man eine größtmögliche Befriedigung daraus zieht. Dabei beantworten wir auch die Frage, ob Geld glücklich macht. Mehr noch ist Hedonomics die Lehre, die einem erklärt, wie man mit den Erkenntnissen der Verhaltensökonomik wirtschaftliche Entscheidungen trifft, die langfristig auch zufriedener machen: Dem Leser soll dabei geholfen werden, mit wenig Geld ein Maximum an Wohlbefinden zu erzielen.

Im Grunde ist es doch ganz einfach: Um glücklich zu sein, müssen wir nur diejenigen Dinge wählen, die uns die meisten positiven Erfahrungen vermitteln. Dennoch, was vordergründig so leicht erscheint, ist in Wahrheit erstaunlich schwer zu erreichen. Zum einen, weil wir meist nicht alle Aspekte und Momente überblicken, die zu einem positiven Erlebnis und Ergebnis führen, was zur Folge haben kann, dass wir nicht immer die richtigen Dinge optimieren. Zum zweiten sind wir nicht besonders gut darin, im Voraus einzuschätzen, welche Erfahrung uns glücklich und welche uns unglücklich machen wird, sodass wir oft das Falsche wählen.

Im neunten und zehnten Kapitel bewegen wir uns weg von der Psychologie hin zum Kopf des Entscheiders. Wir betrachten das menschliche Gehirn als ein lebendes Fossil. Es ist zwar bestens spezialisiert, aber die Evolution konnte mit der rasanten Entwicklung, die die Welt in den letzten Jahrhunderten genommen hat, nicht Schritt halten. Vielfach waren typisch menschliche Verhaltensweisen dazu geeignet, in der Steinzeit den Erfolg zu sichern, in der Gegenwart aber zeitigen sie keine optimalen Ergebnisse. Aber immerhin können Hirnforscher mittlerweile den Akteuren direkt in den Kopf schauen, während diese mit Aktien handeln oder Kaufentscheidungen treffen. So erforschen Neurowissenschaftler zurzeit die biochemischen Grundlagen vieler menschlicher Phänomene, die Psychologen und Verhaltensökonomen bereits analysiert und beschrieben haben. Exemplarisch werden hier einige faszinierende Entdeckungen der Hirnforschung vorgestellt.

Die nächsten beiden Kapitel beschäftigen sich schließlich mit praktischen Anwendungen der Behavioral Finance bzw. Economics: So trägt Kapitel 11 die Überschrift »Wenn alles zusammenkommt« und beschreibt, wie Trends in den Finanzmärkten aus Sicht des Praktikers entstehen, in welchem Stadium sich jene gerade befinden und wie man mit Stimmungserhebungen und Befragungen feststellen kann, ob diese Trends stabil sind oder sich bereits in einer gefährlichen Endphase befinden – ein Modell, das auch für andere Lebensbereiche anwendbar ist. Kapitel 12 beleuchtet die Erkenntnisse des Buches noch einmal aus unterschiedlichen Blickwinkeln und gibt Tipps für Privatanleger und Profis wie auch für Einkaufsbummler, Sportler, Politiker und andere. Dabei werden die Erkenntnisse in einzigartiger Weise verknüpft: Damit man nicht nur erfolgreichere, sondern auch glücklichere Entscheidungen treffen kann.

Am Ende zeigt sich immer wieder: Die Behavioral Economics ist noch ein vergleichsweise junges und schnell wachsendes Forschungsfeld, auf dem sich zwar immer wieder neue Facetten ergeben, die aber häufig nur die Grundannahmen in neuem Licht und anderer Farbe reflektieren. Gerade in der jüngsten Vergangenheit haben die Erkenntnisse aus der Neurobiologie und der Hirnforschung viel Bestätigendes und Erhellendes zu den Erkenntnissen der Verhaltensökonomen beigetragen. Mitunter sogar täglich.

In unzähligen Stunden haben wir über die Themen und Inhalte diskutiert, die wir unseren Lesern näherbringen wollten. Dabei geht der Großteil der schriftlichen Ausarbeitung dieses Werkes auf den unermüdlichen Einsatz von Christin Stock zurück. Dennoch mussten wir irgendwann einen Schlusspunkt setzen, um unser Buch fertigstellen zu können. Wohl wissend, dass wir zwar nicht alle Seiten menschlichen Entscheidungsverhaltens beleuchten konnten, doch in der Hoffnung, dass wir die zumindest uns am wichtigsten erscheinenden hier abgehandelt haben. Dabei haben wir uns bewusst auf Handlungsweisen von Einzelpersonen beschränkt und sind nicht auf deren Zusammenwirken innerhalb organisierter Kleingruppen eingegangen – dies hätte den Rahmen dieses Buches ganz sicher gesprengt.

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen bedanken, die uns bei der Erstellung des Buches geholfen haben. Insbesondere gilt dies für Herman Brodie von der cognitrend GmbH, der uns nicht nur intensiv begleitet, sondern unsere Gedanken und Diskussionen mit vielen Ideen und konstruktiver Kritik bereichert hat. Großer Dank gilt Professor emeritus Dr. Lorenz Fischer von der Universität zu Köln, der uns aus Sicht der Sozialpsychologie unterstützte und uns mit wertvollen Anregungen zur Seite stand. Überdies danken wir sehr Dr. Dr. Svenja Caspers für ihre fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Kapitels »Dem Entscheider in den Kopf geschaut«. Nicht vergessen möchten wir aber auch all diejenigen Menschen, denen wir während der Erstellung des Buches begegnet sind und deren persönliche Erfahrungen im Umgang mit Entscheidungen uns an der einen oder anderen Stelle zu eindrucksvollen Beispielen verholfen haben. Zum einen, weil wir ihre Verhaltensweisen als typisch für bestimmte Entscheidungssituationen empfunden haben. Zum anderen, weil wir erfahren haben, wie unsere Handlungsempfehlungen diesen Menschen in mancherlei Hinsicht helfen konnten.

Im Januar 2013

Christin Stock Joachim Goldberg

3. Typisch Mensch: harmoniesüchtig und kontrollwütig

Um den Menschen und seine Entscheidungen verstehen zu können, muss man sich zunächst seiner Motive bewusst werden: Er hat ein unbändiges Verlangen nach Wohlbefinden. Dazu gehören die urtypischen Bedürfnisse nach Harmonie und Kontrolle, die ihn immer wieder zu Entscheidungen und Handlungsweisen treiben, die dem Modellmenschen Homo oeconomicus, der im vorangegangenen Kapitel vorgestellt wurde, völlig fremd sind.

3.1 Das Bedürfnis nach Harmonie

Der Bräutigam strahlt über das ganze Gesicht. Gerade hat er seiner Angebeteten vor Gott das Jawort gegeben und nun führt er seine frisch gebackene Ehefrau aus der Kirche, vorbei an all den fröhlichen Gesichtern der Verwandten und Freunde. In der letzten Reihe jedoch erblickt er seine Jugendliebe, die er schon seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Seit dem Tag nicht mehr, an dem er sich von ihr getrennt hatte. Sein Herz macht einen Sprung und für einen kurzen Moment zweifelt er: Hat er gerade die richtige Entscheidung getroffen?

3.1.1 Umgang mit kognitiver Dissonanz

Immer dann, wenn der Mensch zwischen zwei oder mehreren Alternativen wählen muss, entsteht ein Zwiespalt. Denn die gewählte Alternative birgt vielleicht auch negative Eigenschaften, während die verworfene Alternative einige positive Merkmale für sich verbuchen kann. Dieser Umstand schmeckt dem Entscheider gewöhnlich gar nicht. Er wünscht sich Eindeutigkeit, denn nur die Konsistenz von Wertvorstellungen, Wahrnehmung und Handeln verschafft ihm Wohlbefinden, also einen Zustand der inneren Ausgeglichenheit, nach dem die gesamte Menschheit strebt. Aber kaum eine Entscheidung gleicht der Wahl zwischen Schwarz und Weiß, und so grübelt man, ob man wirklich die bessere Alternative favorisiert hat. Diesen Widerspruch nannte der amerikanische Sozialpsychologe Leon Festinger im Jahr 1957 kognitive Dissonanz.