Georg Heim - Alfred Wolfsteiner - E-Book

Georg Heim E-Book

Alfred Wolfsteiner

4,8

Beschreibung

Dr. Georg Heim (1865-1938) war einer der populärsten Politiker der Prinzregentenzeit und der Weimarer Republik. Fast 40 Jahre lang bestimmte er maßgeblich die bayerische und die Reichspolitik mit: als Abgeordneter, Agrar- und Sozialpolitiker, Genossenschaftler, Journalist und Parteiengründer. Er war ebenso streitbar wie umstritten, geliebt wie gehasst. Doch was war der "Bauerndoktor" wirklich? Populär oder nur Populist? Querdenker oder Querulant? Föderalist oder Separatist? Überzeugter Demokrat oder gewissenloser Demagoge? Mit Sicherheit war er als "ungekrönter König" eine der interessantesten und spannendsten Persönlichkeiten der neueren bayerischen Geschichte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 167

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
13
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Buch

Der »Bauerndoktor« Georg Heim (1865–1938) war einer der populärsten Politiker der Prinzregentenzeit, der Revolutionsjahre und der Weimarer Republik in Bayern. Fast 40 Jahre lang bestimmte er die bayerische Politik als Abgeordneter, Genossenschaftler, Journalist und Parteiengründer mit – ebenso streitbar wie umstritten, so geliebt wie gehasst.

Doch was war er eigentlich? Populär oder Populist, Querdenker oder Querulant, Föderalist oder Separatist, Demokrat oder Demagoge? Mit Sicherheit war er als »ungekrönter König« eine der interessantesten und spannendsten Figuren der neueren bayerischen Geschichte.

Zum Autor

Alfred Wolfsteiner,Dipl.-Bibliothekar (FH), ist Leiter der Stadtbibliothek Schwandorf und Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zur Sozial- und Kulturgeschichte v. a. der Oberpfalz.

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seinen großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

Dr. Thomas Götz, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.

ALFRED WOLFSTEINER

Georg Heim

›Bauerngeneral‹ und Genossenschaftler

Verlag Friedrich PustetRegensburg

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eISBN 978-3-7917-6034-6 (epub)

© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2604-5

Weitere Publikationen aus unserem Programm

finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Kontakt und Bestellungen unter [email protected]

1 Einleitung

Georg Heim war sicher einer der populärsten, aber auch einer der umstrittensten bayerischen Politiker im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Fast 40 Jahre lang hat der »Bauerndoktor«, wie er vor allem von seinen Anhängern genannt wurde, die bayerische Politik begleitet und mitbestimmt: die Prinzregentenzeit und den Ersten Weltkrieg, das Ende der Monarchie und die Räterepublik, die Weimarer Republik und das Scheitern der Demokratie. Doch er war nicht nur Realschullehrer und Abgeordneter, sondern auch Publizist, Vereins- und Parteiengründer, Agrarpolitiker, Genossenschaftler und Unternehmer. Als Agrarpolitiker sah er sich nicht als Lobbyist der Großgrundbesitzer – wie andere seiner Parteifreunde im Zentrum –, sondern ihm lag vor allem der bäuerliche Mittelstand am Herzen. Sein genossenschaftliches Engagement sollte der Landbevölkerung Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Er suchte Lösungen für die unbefriedigende Dienstbotenfrage, schuf Bildungs- und Sozialeinrichtungen für die Mitglieder seiner Genossenschaft und des Christlichen Bauernvereins. Weit über die Grenzen Bayerns hinaus war er schließlich bekannt und geachtet. Dabei zog er nicht selten als »graue Eminenz« im Hintergrund die Fäden.

Keine Darstellung der bayerischen Geschichte der Prinzregentenzeit und der Weimarer Republik kommt an der Person Georg Heim vorbei. Er war so geachtet und gefürchtet wie streitbar und umstritten. Er konnte auf der politischen Bühne verletzend sein, war aber selbst sehr verletzlich. Dabei wurde er je nach politischem Standpunkt als Querdenker oder als Querulant bezeichnet. Die Urteile über seine Rolle in der bayerischen und in der Reichspolitik nach dem Ersten Weltkrieg schwanken ebenfalls: Die einen schimpften ihn einen »Separatisten«, andere nannten ihn einen eingefleischten Föderalisten.

Umso verwunderlicher ist es, dass die letzte und bisher einzige umfassende Biografie des »Bauerndoktors« weit über 50 Jahre zurück liegt und es bis heute keine zusammenfassende, wissenschaftlich fundierte Gesamtdarstellung von Leben und Werk dieser beeindruckenden Persönlichkeit gibt. Die vorhandene Lücke kann und will auch dieser Band nicht schließen; aber er soll zur Wiederkehr des 150. Geburtstags an seine Person erinnern. Denn so populär Dr. Georg Heim zu seinen Lebzeiten gewesen sein mag, so ist sein Lebenswerk heute einer breiteren Öffentlichkeit nahezu unbekannt.

Heim war ein hervorragender Parlamentsredner und setzte sich vor allem für die Belange der Landbevölkerung ein. Der Parlamentskollege Stadtpfarrer Leeb aus Altötting bestätigte einmal, dass im Landtag ständig ein gewisser Lärmpegel geherrscht habe. Ganz still sei es nur gewesen, wenn Dr. Heim sprach. Dabei nahm er innerhalb der Fraktion kein Blatt vor den Mund: Wenn er für einen Antrag keine Mehrheit fand, brachte er ihn im Parlament über die Köpfe der Zentrumskollegen hinweg eigenmächtig ein. Mehrfach drohte er mit seinem Austritt aus der Fraktion. Der wirtschaftliche Erfolg seiner genossenschaftlichen Unternehmungen und das Vertrauen der bäuerlichen Wählerschaft gewährten ihm eine beträchtliche wirtschaftliche Unabhängigkeit und eine große politische Freiheit.

Heim wurden nach dem Ersten Weltkrieg die Ämter des Landwirtschaftsministers im Deutschen Reich und des bayerischen Ministerpräsidenten angetragen. Er hat beide ausgeschlagen. In dieser Zeit kam sein wirtschaftliches Lebenswerk, die Zentralgenossenschaft, inflationsbedingt in finanzielle Bedrängnis. Diese wieder auf Erfolgskurs zu bringen, schien ihm wichtiger zu sein als politischer Ruhm. Lieber zog er als »ungekrönter König« im Hintergrund die Fäden.

Ein gewisses Maß an Populismus war ihm als Politiker freilich nicht abzusprechen, und dafür wurde er von politischen Freunden wie Gegnern ebenso gefürchtet wie bewundert. Besonders seine Popularität in der Landbevölkerung war sicher auch seinem Rednertalent geschuldet: Er sprach die Sprache des Volkes, kokettierte vor den Wählern zudem gerne mit seiner eigenen Widerständigkeit und Widerspenstigkeit, wenn ihn seine umtriebige Rastlosigkeit auch bald an seine gesundheitlichen Grenzen brachte. Dazu war Heim sehr streitbar: Er rühmte sich im Alter, über 70 große Prozesse geführt und dabei keinen einzigen verloren zu haben.

Wer sich heute durch seinen umfangreichen Nachlass mit nahezu 1000 Faszikeln arbeitet, wer die vielen Redemanuskripte sieht, die zahllosen Presseartikel liest, die ungezählten Briefe, die mannigfaltigen Bitten, Anfragen und Klagen aus der Landbevölkerung, als deren Anwalt er sich sah, der fragt sich unwillkürlich: Wie schaffte dieser Mann das alles?

Eine große Stütze war ihm seine Frau Rosa, mit der er fast 50 Jahre verheiratet war und die ihm zehn Kinder gebar. Allerdings blieb die Familie von persönlichen Schicksalsschlägen – zwei der Töchter starben kurz nach der Geburt, drei weitere Kinder in jungen Jahren – ebenso wenig verschont wie von körperlichen Leiden: Heims gesundheitliche Probleme fesselten ihn mehrfach und oft über Monate hinweg ans Krankenbett und erzwangen langwierige Sanatoriums- und Kuraufenthalte.

Bequem und pflegeleicht war Heim offenbar nie, weder in der Familie noch im öffentlichen Leben. Entsprechend fallen auch die Urteile der Historiker über ihn aus: Als »rastlos tätig, volkstümlich, aber auch voll verletzender Schärfe« beschreibt ihn Peter Claus Hartmann; Benno Hubensteiner nennt ihn eine »bayerische Kraftnatur von seltenem Eichenwuchs, handfest in seiner Grobheit und ohne alle Leisetreterei, mit einem Wort, ein geborener Bauernführer«; Leonhard Lenk hingegen charakterisiert ihn als »temperamentvolle[n] Widerpart der Bauernbündler«.

Diesen Einschätzungen will die vorliegende Darstellung nachgehen: Ihr Ziel soll es sein, Leben, Werk und Wesen dieses streitbaren Demokraten, wirkungsvollen Publizisten, aktiven Genossenschaftlers, engagierten Agrarpolitikers und erfolgreichen Unternehmers nachzuzeichnen und ihn zu seinem 150. Geburtstag wieder einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dabei basieren die Ausführungen nicht zuletzt auf dem umfangreichen Nachlass Heims im Stadtarchiv Regensburg sowie auf den beiden biografischen Werken von Hermann Renner. Zahlreiches, bislang unveröffentlichtes Bildmaterial aus Familienbesitz ergänzt die kleine bayerische biografie.

2 »Böser Bub« und strebsamer Student

Kindheit und Jugend in Aschaffenburg

Der Geburtsort Georg Heims ist Aschaffenburg. Hier kam er am 24. April 1865 zur Welt. Die heute zweitgrößte Stadt Unterfrankens nahe der hessischen Grenze besaß um 1865 etwas mehr als 10 000 Einwohner. In den vorhergehenden Jahrzehnten hatte sich die Bevölkerung nahezu verdoppelt. Vom einstigen Glanz als zweite Residenz der Mainzer Kurfürsten und Erzbischöfe zeugte noch die barocke Schlossanlage.

Der Vater brachte als Posamentierer (Bortenmacher) seine Familie nur mühsam über die Runden. Sicher war in der einstigen Residenz der Bedarf an Litzen für die dort Bediensteten und das örtliche Militär groß gewesen. Doch nun wuchs die industrielle Konkurrenz. Heims Geburtshaus, ein kleines Häuschen mit einem Ladengeschäft, am Aschaffenburger Stiftsplatz gelegen, sollte während der Bombennächte des Zweiten Weltkriegs in Flammen aufgehen.

Die Vorfahren der Familie stammten väterlicherseits aus Thüringen, die Ahnenreihe der Mutter wies ins Württembergische. Der junge Georg, das »Schorschla«, wie er genannt wurde, verlebte trotz der wirtschaftlichen Probleme seiner Familie als Nesthäkchen und sechstes Kind der Familie eine sorglose Jugend. Doch zeitlebens sollte er seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen nicht vergessen.

In Altbayern würde man wohl sagen, Georg war bis in seine Studentenzeit hinauf ein rechter »Hundskrüppel«: Der temperamentvolle Aschaffenburger ging keinem Jugendstreich aus dem Weg. Später brachte er in seinen »Heiteren Erzählungen« manche »Schandtat« seiner Kindheit und Jugend zu Papier und räumte ein, er sei schon ein recht »böser Bub« gewesen. Jahre später gestand er lachend, noch als Student wegen seiner Beteiligung an einigen recht derben Streichen mehrmals Probleme mit der Justiz gehabt zu haben.

Abb. 1:  Geburtshaus Georg Heims am Marktplatz in Aschaffenburg (links). Es wurde während eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg vernichtet. Die Staffage eines Herren mit Hut im Vordergrund könnte Dr. Heim darstellen. – Bild von Adalbert Hock, 1932 (Ansicht von 1885).

Bereits in seiner Schulzeit zeigten sich Georgs journalistische Fähigkeiten: Für seine guten Aufsätze wurde er mehrfach ausgezeichnet. Auch sein ökonomisches Talent trat bereits früh zutage: Zum Preis von 50 Pfennig fertigte er für reichere Mitschüler Aufsatzanfänge an und am Ende des Schuljahres verkaufte er Mitschülern der folgenden Klasse seine Schulhefte vom Vorjahr. Doch auch sein Interesse für politische Zusammenhänge zeigte sich während dieser Zeit bereits: Er besuchte verbotenerweise Parteiveranstaltungen.

Wie überliefert wird, war Georgs Vater ein »alter 48er«. Er war zwar hoch gebildet, hatte Latein gelernt und las die Klassiker und die Werke der zeitgenössischen Historiker, aber aus finanziellen Gründen hatte er den höheren Schulbesuch abbrechen müssen. Dieses Schicksal wollte er seinem Jüngsten ersparen und schickte das »Schorschla« trotz der knappen Mittel aufs Gymnasium nach Würzburg.

Abb. 2:  Carl Andreas Heim, Georg Heims Vater († 1886). Seine Vorfahren stammten nach Familienüberlieferung ursprünglich aus Mainz. – Fotografie ohne Datum, Familienbesitz.

Abb. 3:  Die Mutter Sophia, geborene Keßler († 1887), stammte aus dem Schwäbischen. Hier mit dem Nesthäkchen Georg. – Fotografie wohl um 1880.

Georg erlebte noch die Regierungszeit König Ludwigs II. mit. Im Rückblick galt die darauffolgende Prinzregentenzeit (1886–1912) in Bayern als Synonym für die »guade oide Zeid«. Doch so harmonisch wie oft dargestellt war diese Periode der dramatischen Modernisierung beileibe nicht. Die Arbeiterklasse forderte politische Mitbestimmung, die Bedeutung des Adels als politische Führungsschicht schwand, die Landwirtschaft verlor an Bedeutung. Die schützenden Schranken einer traditionsbestimmten Gesellschaft fielen. Gleichzeitig wurde in der Arbeiterschaft die soziale Frage immer drängender. Verteilungskämpfe, mitunter gewalttätige Streiks, nahmen zu. In der Landwirtschaft kriselte es seit den 1880er-Jahren permanent, zumal sich seitens der Reichsregierung die Schwerpunkte zugunsten der Industrie zu verlagern schienen und eine ungünstige Witterung den Getreideertrag über mehrere Jahre sinken ließ. Die allgemeine Unruhe in der Bevölkerung verwandelte sich zusehends in offene Aggressivität.

Studium in Würzburg und München

Nach der Absolvia an der Lateinschule in Würzburg im Jahre 1885 schrieb sich Heim im Wintersemester 1885/86 zum Studium der neueren Sprachen an der Universität Würzburg ein. Zum Herbstsemester 1886 wechselte er schließlich an die Ludwig-Maximilians-Universität nach München. Nach dem frühen Tod der Eltern in den Jahren 1885 bzw. 1887 musste Heim für sein Studium weitgehend selbst aufkommen.

Dabei kam ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe: Professor Pott am Polytechnikum war zugleich Generalsekretär des deutschen Hopfenanbauvereins und suchte einen Mitarbeiter für schriftliche Arbeiten und Botengänge. Heim hatte in dieser Tätigkeit nur zwei bis drei Stunden täglich zu tun und erhielt dafür beachtliche 50 Mark im Monat. Er gewann dabei einen guten Einblick in wirtschaftliche Zusammenhänge. Von Mai bis Oktober jeden Jahres stellte Pott Untersuchungen und Erhebungen zu Wachstum und Erntestand in allen Hopfenanbaugebieten Deutschlands und Österreichs an. Aus den einlaufenden Berichten entstanden kurze Nachrichten für die Tageszeitungen. Eines Tages erschien Pott nicht wie gewohnt im Büro. Heim, der Frühaufsteher, wagte es, den angeforderten Bericht selber zu schreiben, legte die Kopie auf den Tisch des Professors, warf den Artikel an die Redaktion ein und begab sich zur Vorlesung. Klopfenden Herzens erwartete er anderntags Potts Rückkehr und seine mögliche Entlassung. Doch sein Chef war mit dem Ergebnis sehr zufrieden – und der entscheidungsfreudige junge Student durfte künftig die Berichte selbstständig abfassen.

Abb. 4:  Georg Heim als Student in Würzburg. – Fotografie um 1885, Familienbesitz.

Weitere wirtschaftspolitische Erfahrungen konnte er als Journalist sammeln, der aus verschlüsselten englischen Depeschen die Wirtschaftspresse mit Material über die Entwicklung des Wollmarktes versorgen sollte. Dieser Job, der ihn täglich keine zwei Stunden beanspruchte, verdoppelte sein Honorar auf 100 Mark. In kürzester Zeit kannte er den Code der Schlüsseltelegramme auswendig. Nebenbei bekam er weitere Einblicke in die sehr konjunkturabhängige Wollbranche.

Doch Heim wollte mehr: Er antwortete auf eine Annonce, bei der ein erfahrener Handelsjournalist mit Sprachkenntnissen gesucht wurde. Man plante, ein Fachblatt über die aufblühende Industrie zum Abbau von Gold und Diamanten in Südafrika zu gründen. Erneut bekam er die Chance – und wurde übernommen. Heim standen nun die wichtigsten deutschen, englischen und französischen Finanzblätter sowie die südafrikanische Bergbau-Fachliteratur zur Verfügung. Daneben besaß er als Redakteur ein eigenes Arbeitszimmer »mit Ottomane, auf dem Schreibtisch ein Kistchen Zigarren«. Dazu betrug sein Gehalt nun 250 Goldmark im Monat – für einen gerade mal 24-jährigen Studenten ohne abgeschlossenes Studium eine beachtliche Summe. Zum Vergleich: Als junger Realschullehrer sollte sein Gehalt nicht einmal die Hälfte betragen. Davon würde er jedoch seine Frau Rosa und den 1889 geborenen Sohn Georg zu versorgen haben.

Der junge Heim war clever: Er bot dem Verleger an, auf das ihm zustehende Dienstzimmer zu verzichten, wenn dieser dafür das Gehalt um 50 Mark erhöhen würde. Dieser stimmte zu, und so arbeitet Heim künftig von seiner Wohnung aus für die Zeitschrift »Das Goldland«.

Heim musste für seine Tätigkeit als Fachjournalist grundsätzlich über alle tagespolitischen Wirtschaftsfragen informiert sein. Er nutzte seine journalistische Begabung und schrieb künftig auch für andere Zeitungen und Zeitschriften, meist zu wirtschaftspolitischen Themen – gegen Honorar natürlich. Diese Zeitungskontakte sollten ihm später sehr nützlich sein, und sein Wissen um Goldproduktion und -handel half ihm bei der angestrebten Promotion beim bekannten Nationalökonomen Lujo Brentano weiter. Heim promovierte schließlich im Jahr 1893 mit seiner Dissertation »Eine Vorfrage zur Währungsfrage. Ist ein Abnahme der Goldproduktion zu befürchten?« mit magna cum laude zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften. Kurzzeitig überlegte sich Heim sogar, eine Karriere auf diesem Sektor anzustreben.

Bereits in Würzburg hatte sich Heim als Student der Burschenschaft »Adelphia« angeschlossen. Im dritten Semester wurde er aktives Mitglied der »Alemannia München« und später Ehrenmitglied der »Erwinia«. Ferner war er Mitglied der katholischen bayerischen Studentenverbindung »Rhaetia«. Der Überlieferung nach war er auf dem Paukboden ein gefürchteter Fechter. Während der Zeit des Nationalsozialismus sollte man versuchen, ihn nach seiner Rückkehr nach Würzburg in der Studentenverbindung »Adelphia« wieder loszuwerden und drängte ihn zum Austritt. Seine Einstellung war politisch wohl nicht mehr opportun – und so kehrte Heim der Burschenschaft den Rücken.

3 Erste berufliche Erfahrungen

Trotz seiner Nebentätigkeit als Redakteur für das »Goldland« schaffte Heim im Oktober 1889 nach nur sechs Semestern die Abschlussprüfungen in Französisch und Englisch jeweils mit der Gesamtnote II. Unmittelbar danach stellte der Lehramtskandidat Georg Heim, wohnhaft in Schwabing, Marktstraße 5, 2. Stock, am 21. Oktober 1889 bei seiner vorgesetzten Dienststelle den Antrag auf Verehelichung mit der Kaufmannstochter und Stickerin Rosa Käppel aus Münchberg.

Georg Heims Familie

Heims Frau Rosa Trenkle-Käppel (1866–1946) konvertierte für ihren Mann zum Katholizismus. Die beiden hatten zusammen zehn Kinder, wobei jedoch zwei Töchter, Mariele und Sophie, die Geburt nicht lange überlebten. Zwei weitere Töchter (Karoline und Elisabeth) starben im jungen Alter von 13 und 23 Jahren. Heims jüngster Sohn Alois (* 1912) erlag 1944 den Folgen seiner Kriegsverletzungen in einem Reservelazarett in Sonneberg (Thüringen).

Heims Sohn Ernst (1902–1983) trat später als Genossenschaftsdirektor in die Fußstapfen seines Vaters und gehörte 1945 zu den Begründern des Bayerischen Bauernverbands. Heims Ehefrau Rosa, die er liebevoll »Kätzelchen« nannte, war eine der wenigen Personen aus seinem Umfeld, von der er sich etwas sagen ließ und die er abgöttisch verehrte.

Realschullehrer in Freising

Am 29. Oktober 1890 wurde Heim an die Realschule nach Freising versetzt. Sein Jahresgehalt betrug als junger Lehrer 1080 Mark mit einer Zulage von 318 Mark. Dies war weit weniger als das Einkommen, das er als Redakteur des »Goldlandes« bezog. Nicht zuletzt diese finanzielle Notlage scheint ihn bald schon dazu motiviert zu haben, sich weiter journalistisch zu betätigen.

Doch auch auf einem weiteren Sektor wurde er zunehmend aktiv: Schon als Jugendlicher war er an Politik interessiert. Obwohl es verboten war, besuchte er als Gymnasiast politische Versammlungen. Später als Student scheint er mit den Ideen der Sozialdemokratie sympathisiert zu haben. Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und seine Herkunft motivierten ihn immer wieder, sich für Unterprivilegierte einzusetzen. Als Heim nun seine erste feste Stelle angetreten hatte, übernahm er auf Drängen des Zentrumspolitikers Balthasar von Daller die Redaktion des »Freisinger Tagblatts«. Die ersten politisch motivierten Konflikte ließen nicht lange auf sich warten: In mehreren Artikeln hatte sich Heim – auch zum Ärger seines Parteifreundes und Landtagspräsidenten Georg von Orterer – kritisch über die Gesetzesvorlage zur Gehaltsaufbesserung der Beamten geäußert. Heim schrieb darauf am 7. Mai 1892 an seinen politischen Mentor Daller: »… ich bin nicht gesonnen, mich schmähen zu lassen … Ich bin zwar Katholik und Zentrumsmann, aber den Rossschweif bete ich nicht an …« In diesem Brief zeigt sich bereits Heims Neigung zur Respektlosigkeit vor etablierten Parteifreunden und deren Leistungen – Orterer war schließlich seit Jahrzehnten im politischen Geschäft. Der gerade 27-Jährige besaß offenbar schon ein beträchtliches Maß an Selbstbewusstsein.

Heim hatte sich in kürzester Zeit nicht nur in den Zentrumsreihen und im Ministerium Feinde geschaffen, sondern auch beim direkten politischen Gegner: Den Bauernbundführern waren Heims politische und rhetorische Talente bald aufgefallen, und die Protagonisten dieser bäuerlichen Protestbewegung umwarben den jungen Lehrer. Der allerdings hatte schnell erkannt, dass die Zukunft dieser Bewegung eine höchst unsichere war.

Die journalistische Tätigkeit in Freising zogen jedoch rasch berufliche Konsequenzen nach sich: Seine Funktion als Redakteur des »Freisinger Tagblatts« wurde von der vorgesetzten Behörde als unerlaubte Nebentätigkeit geahndet, und das Ministerium registrierte künftig jede seiner politischen Äußerungen. Auch anonymen Anzeigen politischer Gegner wurde nachgegangen, nachdem man ihm mehrfach unterstellte, er würde seine dienstlichen Obliegenheiten wegen seines sonstigen politischen und sozialpolitischen Engagements vernachlässigen. Nach einem scharfen Leitartikel zur Schulpolitik im »Freisinger Tagblatt« vom 18. März 1892 ordnete das Ministerium »Erhebungen« über den Schulassistenten Heim an. Sein Rektor Wollinger konnte ihm jedoch in den Fächern Fleiß, Lehrgabe und Erziehungsgabe jeweils die Bestnote »sehr gut« erteilen und kam zu dem Urteil, er sei ein »sehr begabter, fleißiger und diensteifriger Lehrer«. In Bezug auf seine Arbeitsweise besitze er eine »klare, verständliche, dem Verständnisse der Schüler angemessene Mitteilungsgabe«.

Mit seiner Versetzung an die Realschule nach Freising begann ein lebenslanger Kampf mit der Ministerialbürokratie. Heims zweibändiger Personalakt im Hauptstaatsarchiv München für seine Dienstzeit zwischen 1889 und 1907 umfasst allein ca. 1000 Seiten. Wie abschätzig und arrogant man im Ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten bisweilen mit ihm umging, zeigt sich unter anderem an dem Begleitschreiben, mit dem Heim seine gedruckte Dissertation an sein vorgesetztes Ministerium schickte: Ein Ministerialbeamter kommentierte das Anschreiben wie eine Prüfungsaufgabe – mit höhnischen Randbemerkungen und Korrekturen.

Versetzung nach Wunsiedel

Als Heim im September 1892 nach Wunsiedel versetzt wurde – er sprach immer von einer »Strafversetzung« nach »Bayerisch Sibirien« – argwöhnte er, einige Zentrumsführer seien an dieser Maßnahme nicht ganz unschuldig gewesen. Als er bereits als Politiker etabliert war, sollte er in seinen Reden bei politischen Wahlversammlungen diese Kontroverse mit der Zentrumsführung immer wieder anklingen lassen. Auch stellte er sich gerne als Opfer der Ministerialbürokratie dar – eine »Rebellenattitüde«, die bei den ländlichen Zuhörern sicher gut ankam.

Abb. 5:  Schon bald wurde die Öffentlichkeit auf die Aktivitäten Heims aufmerksam. – Karikatur des jungen Realschullehrers in seiner Wunsiedler Zeit in einer Lokalzeitung, wohl um 1894.