Gerontopsychiatrische Pflege - Dr. Elisabeth Höwler - E-Book

Gerontopsychiatrische Pflege E-Book

Dr. Elisabeth Höwler

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Beschreibung

Demenzielle und depressive Erkrankungen gehören zu den häufigsten psychiatrischen Störungen im Alter. Für Pflegekräfte und Betroffene geht es dabei nicht nur um pflegefachliches Wissen, sondern vor allem um die zwischenmenschliche und respektvolle Begegnung. Angehende Altenpflegekräfte müssen praktische Erfahrungen im alltäglichen Umgang mit schwierigen Situationen haben, aber auch einen verantwortungsvollen Umgang mit dem »Chaos« lernen. Auf dieser Grundlage greift die 6., völlig neu bearbeitete Auflage besonders Themenfelder auf, die für Praktiker von Nutzen sind: - Gesundes psychisches Altern und krankhaft psychisches Altern - (Geronto)psychiatrische Grundlagen - Distanz und Nähe in der Selbstpflege - Häufige gerontopsychiatrische Störungen - (Demenz)sensible Pflegekonzepte Neu aufgenommen wurden Traumafolgestörungen und rechtliche Fragen der physikalischen Fixierung. Das Buch versteht sich als Grundlage für die Altenpflegeausbildung und vermittelt wichtiges Wissen für Praktiker. Dazu gehören Hinweise zur Pflegediagnostik, Pflegeplanung und Krisenintervention. Aber auch das nötige Wissen zur Durchführung und Evaluation von Pflege und Betreuung. Auf den Punkt gebracht: Ein Lehrbuch für die Altenpflegeausbildung. Gerontopsychiatrische Pflege – Krankheitsbilder und Pflege. Ideal für Unterricht und Prüfungsvorbereitung.

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Seitenzahl: 866

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Die Autorin:

Dr. rer. cur. Elisabeth Höwler ist Lehrerin für Pflegeberufe, Diplom-Pflegepädagogin und Pflegewissenschaftlerin (MScN). Sie ist als Dozentin in der Aus-, Fort- und Weiterbildung tätig.

Dr. rer. cur. Elisabeth Höwler

Dipl.-Pflegepädagogin

Am Mariahof 103

D-54296 Trier

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8426-0837-5 (Print)ISBN 978-3-8426-9063-9 (PDF)ISBN 978-3-8426-9064-6 (EPUB)

© 2020 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autoren und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden.

Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind.

Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde.

INHALT

Vorwort zur 7., aktualisierten Auflage

1

Gerontopsychiatrische Pflege – eine Einführung

1.1Der Begriff »Gerontopsychiatrische Pflege«

1.2Das psychiatrische Pflegeparadigma

1.3Medizin und Pflege als interdisziplinäre Partner

2

Am Anfang steht die Selbstwahrnehmung

2.1Verwirrt, verstört, verunsichert – Das kennen Sie auch!

2.2Der wertschätzende Umgang mit psychisch Alterskranken

2.3Schlüsselqualifikationen in der gerontopsychiatrischen Pflege

2.4Selbstpflege – vom Wert der »Psychohygiene«

2.5In Balance bleiben – Anforderungen und Entlastungen im Pflegealltag

3

Methoden der Selbstpflege im Pflegealltag

3.1Coping-Strategien

3.2Die Praxis der distanzierten Anteilnahme

3.3Passive Methoden zur Entspannung

3.4Entspannung durch künstlerischen Ausdruck

3.5Aktive Methoden zur Entspannung

3.6Hilfe durch Psychotherapie

3.7Hilfe durch Supervision

3.8Zusammenfassung

4

Gesundes psychisches Altern – krankhaftes psychisches Altern

4.1Gesundes Altern

4.2Das gesellschaftliche Altersbild

4.3Altersbedingte Veränderungen der Gehirnfunktionen

4.4Entwicklung psychischer Erkrankungen im Alter

4.5Demenzielle Veränderungen

4.6Depressive Veränderungen

4.7Von sensorischer Deprivation zur Verwirrtheit

4.8Deprivation durch Schwerhörigkeit im Alter

4.9Deprivierende Faktoren in Gesundheitseinrichtungen

4.10Apathie

4.11Prävention seelischer Gesundheit im Alter

5

Psychische Grundfunktionen

5.1Erleben und Verhalten

5.2Psychische Grundfunktionen und ihre Beobachtung

5.3Das Gedächtnis als Speicher

5.4Das Denken

5.5Die Wahrnehmung

5.6Gerontopsychiatrische Notfälle

6

Diagnostik bei neurodegenerativen Erkrankungen

6.1Gerontopsychiatrische Klassifikationssysteme

6.2Die Bedeutung der Diagnose für die Pflege

6.3Der Weg zur gerontopsychiatrischen Diagnose

7

Diagnostik bei depressiven Erkrankungen

7.1Verdachtsdiagnose »Depression«

8

Diagnostik bei neurologischen Erkrankungen

8.1Aphasie

8.2Morbus Parkinson

8.3Multiple Sklerose (MS)

9

Gerontopsychiatrische Krankheitsbilder

9.1Einteilung psychischer Störungen

10

Akute Verwirrtheit (Delir)

10.1Delirformen

10.2Ursachen des Delirs

10.3Symptome

10.4Interventionen

10.5Annäherung an den akut verwirrten Menschen

10.6Präventive pflegerische Maßnahmen im akut-stationären Bereich

10.7Präventive pflegerische Maßnahmen im Langzeitpflegebereich

11

Chronische Verwirrtheit

11.1Sind Verwirrtheit und Demenz dasselbe?

11.2Epi(demenz)iologie

11.3Demenzformen

11.5Anforderungen an pflegerische Interaktionen

11.6Pflegerische Interventionen der beeinträchtigten Aktivitäten

11.7Vaskuläre Demenz

11.8Anforderungen an pflegerische Interaktionen

12

Affektive Störungen

12.1Abnorme Trauerreaktionen

12.2Körperliche und emotionale Trauerreaktionen

12.3Anforderungen an pflegerische Interaktionen

12.4Depressionen

12.5Anforderungen an pflegerische Interaktionen

12.6Suizidales Verhalten

12.7Anforderungen an pflegerische Interaktionen

12.8Trauma und Traumafolgestörungen

12.9Anforderungen an pflegerische Interaktionen

12.10Schizophrenie

12.11Anforderungen an pflegerische Interaktionen

12.12Wahnhafte Störungen

12.13Anforderungen an pflegerische Interaktionen

12.14Willensstörungen

13

Persönlichkeitsstörungen

13.1Der Einfluss der Kindheit auf die Persönlichkeit

13.2Veränderungen der Persönlichkeit im Alter

13.3Persönlichkeitstypologien

13.4Borderline-Störung

13.5Aggressive Persönlichkeitsstörung (Störung der Impulskontrolle)

13.6Persönlichkeitsveränderungen

13.7Annäherung an den Menschen mit abnormer Persönlichkeit

13.8Medizinisch-Therapeutische Interventionen

13.9Anforderungen an pflegerische Interaktionen

14

Neurotische Störungen

14.1Der Begriff »Neurose«

14.2Angststörungen

14.3Angstentstehung im Alter

14.4Annäherung an den angstkranken Menschen

14.5Anforderungen an medizinische und pflegerische Interaktionen

14.6Pflegerische Interventionen der beeinträchtigten Aktivitäten

14.7Zwangsstörungen

14.8Anforderungen an medizinische und pflegerische Interaktionen

14.9Psychotherapeutische Unterstützung

14.10Pflegerische Interventionen der beeinträchtigten Aktivitäten

15

Abhängigkeitserkrankungen

15.1Alkoholabhängigkeit

15.2Begriffserklärungen

15.3Der Abhängigkeitsprozess

15.4Typologie nach Jellinek

15.5Phasenhafte Dependenzentwicklung (nach Jellinek)

15.6Langfristige Folgeschäden

15.7Altersspezifität bei Alkoholabusus

15.8Psycho-soziale Rehabilitation

15.9Annäherung an den alkoholkranken Menschen

15.10Anforderungen an pflegerische Interaktionen

15.11Medikamentenabhängigkeit

15.12Kontrollfunktionen

15.13Bedingungsgefüge

15.14Missbrauchsentwicklung

15.15Folgesymptomatik

15.16Anforderungen an medizinische und pflegerische Interaktionen

15.17Präventionsmaßnahmen

15.18Strategien zur Verbesserung der Pflegequalität

15.19Pflegerische Interventionen der beeinträchtigten Aktivitäten

16

Diogenes-Syndrom

16.1Verwahrlosung – psychische Erkrankung oder Ausdruck von Individualität?

16.2Vorkommen

16.3Analytischer Erklärungsansatz

16.4Psycho-soziale Behandlungsansätze

16.5Annäherung an den Menschen mit Diogenes-Syndrom

16.6Anforderungen an pflegerische Interaktionen

16.7Allgemeine pflegerische Interventionen

17

Neurologische Erkrankungen

17.1Syndrom der reaktionslosen Wachheit

17.2Anforderungen an pflegerische Interaktionen

17.3Aphasie

17.4Anforderungen an pflegerische Interaktionen

17.5Apoplex

17.6Anforderungen an pflegerische Interaktionen

17.7Morbus Parkinson

17.8Anforderungen an pflegerische Interaktionen

17.9Multiple Sklerose

17.10Anforderungen an pflegerische Interaktionen

18

Pflegekonzeptionen der gerontopsychiatrischen Pflege

18.1Sensible Interaktions- und Aktivierungskonzepte

18.2Bezugspflege

18.3Konzept der Reminiscence Therapy (Erinnerungspflege, Lebensrückschau, Biografiearbeit)

18.4Das Konzept der Geborgenheit nach der Bindungstheorie von John Bowlby

18.5Das Konzept der Validation

18.6Das Realitätsorientierungstraining (ROT)

18.7Einsatz von Therapiepuppen im Umgang mit kognitiv veränderten Patienten

18.8Basale Stimulation® in der Körperpflege

18.9Atemstimulierende Einreibung (ASE)

18.10Das Konzept der Musiktherapie

18.11Das Konzept der Entspannung in Snoezelen-Räumen

18.12Das Konzept der 10-Minuten-Aktivierung

18.13Das Konzept der Milieutherapie

19

Geistliche Versorgung von psychisch Alterskranken

19.1Gründe zur Erschwernis geistlicher Pflege

19.2Miteinander von Seelsorge und Pflege

19.3Umsetzung von religiösen Elementen

19.4Glaube als Kontrolle

19.5Religion als Ressource

19.6Degradation sinnvoller Aufgaben an Außenstehenden

19.7Die Vorgabe von Sinnstiftung durch Altenpflegerinnen

19.8Die Pflege des sterbenden psychisch Alterskranken

19.9Trauernde Angehörige

19.10Pflegerische Interventionen der beeinträchtigten Aktivitäten

20

Psychopharmakatherapie und Aufgaben der Pflege

20.1Psychopharmaka als »medikamentöse Konfliktlöser«

20.2Voraussetzungen für eine verantwortungsvolle Medikamentenvergabe: Interdisziplinäre Kooperation

20.3Fakten zum Psychopharmakagebrauch

20.4Wirkungsweise

20.5Aufgaben von Pflegenden bei der Psychopharmakavergabe

20.6Gebräuchliche Psychopharmaka in der Gerontopsychiatrie

20.7Psychopharmaka-Therapie bei Demenz

20.8Folgerungen

20.9Phytotherapie

21

Fixierungen – Ein rechtliches Problem in der Pflege

21.1Freiheitsentziehende Maßnahmen

21.2Fixierungen

21.3Formen von freiheitsentziehenden Maßnahmen

21.4Pflegerische Gründe für den Einsatz von freiheitsentziehenden Maßnahmen

21.5Freiheitsentziehende Maßnahmen: Ja oder Nein?

21.6Alternative Maßnahmen

22

Umgang mit pflegenden Angehörigen von psychisch Alterskranken

22.1Angehöriger eines Menschen mit psychischen Erkrankungen

22.2Pflege von demenziell Erkrankten als Herausforderung und Chance im ambulanten Bereich

22.3Aufrechterhaltung des sozialen stützenden Systems

22.4Folgen von überlastenden Pflegesituationen

22.5Gerontopsychiatrische Entlastungsmöglichkeiten

22.6Pflege zu Hause oder im Pflegeheim?

22.7Angehörigenmithilfe bei der Biografiebogenerstellung

Literatur

Glossar

Register

GELEITWORT ZUR 2. AUFLAGE

Das Buch »Gerontopsychiatrische Pflege« von Elisabeth Höwler ist von einer Pflegenden für Pflegende geschrieben. Dies hat im Bereich der Gerontopsychiatrie in Deutschland Seltenheitswert.

Elisabeth Höwler arbeitet Basiswissen in leicht lesbarer Art und Weise auf, ohne sich einer bestimmten Schule oder Denkrichtung einseitig zu verpflichten.

Die Blickrichtung des Buches ist sehr breit angelegt und gestattet dem Leser anhand detaillierter Gliederung schnell in diejenigen Bereiche vor zu stoßen, die ihn interessieren.

Das Buch bildet eine Grundlage für die Altenpflegeausbildung und vermittelt Wissen für Praktiker, die erste brauchbare Anhaltspunkte für Pflegediagnostik, Pflegeplanung, Krisenintervention und am Ende auch zur Evaluation von Pflege und Betreuung benötigen.

Christian Müller-Hergl

VORWORT ZUR 7., AKTUALISIERTEN AUFLAGE

Seit der 1. Auflage des Lehrbuches »Gerontopsychiatrische Pflege« im Jahr 2000 hat sich die Pflegelandschaft verändert: durch die Neufassung des sozial-rechtlichen Pflegebedürftigkeitsbegriffs soll der Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung für demenziell Erkrankte und psychisch beeinträchtigten Personengruppen verbessert werden, die reformierte generalistische Pflegeausbildung fordert einen Pflichteinsatz in der (Geronto)-psychiatrie, das Pflegeleistungsergänzungsgesetz bildet die Grundlage, um die Pflegequalität insgesamt zu verbessern, der Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« initiierte einen Paradigmenwechsel, d. h. dass Pflegekräfte nicht nur die Pflegeprobleme der Betroffenen, sondern ihre gesamte Lebenssituation in den Blick nehmen sollten. Somit ist gerontopsychiatrische Pflege äußerst dynamisch, über alle therapeutischen Fachbereiche hinweg relevant und wird auch weiterhin in den kommenden Jahren den Gesundheitssektor nachhaltig verändern.

Das Lehrbuch ist aktualisiert worden, um die Begleitung der Erkrankten künftig noch besser auszurichten. Das Ziel ist gleich geblieben: Die Gewährleistung einer auf die Bedürfnisse der einzelnen Patienten zentrierten Gesundheitsversorgung.

Für die Aus- und Weiterbildung wird das Buch ein dienlicher Begleiter sein, um Erleben, Verhalten und Reaktionen von psychisch erkrankten älteren Menschen besser verstehen und deren Krankheitssymptome leichter einordnen zu können.

Da bekanntlich eine zufriedenstellende Interdisziplinarität eine optimale Versorgungsqualität gewährleistet, wünsche ich nicht nur den interessierten Lesern aus Pflegeberufen, sondern auch aus anderen Gesundheitsbereichen, wie z. B. Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Podologie u. a., dass sie einen möglichst breiten Überblick über gerontopsychiatrische Krankheitsbilder erhalten und sich anregen lassen, über das eine oder andere Gelesene nachzudenken, Methoden bzw. Konzepte auszuprobieren und sich mit deren Vor- und Nachteilen im praktischen Einsatz bei gerontopsychiatrisch erkrankten Menschen vertraut zu machen.

Trier, im April 2020

1

GERONTOPSYCHIATRISCHE PFLEGE – EINE EINFÜHRUNG

1.1Der Begriff »Gerontopsychiatrische Pflege«

Mit dem Begriff » Gerontopsychiatrische Pflege« wird seit ca. 1970 eine spezielle Fachrichtung der geriatrischen Pflege von Menschen ab dem 60. Lebensjahr verstanden. Sie umfasst alle pflegerischen Maßnahmen zur Prävention und Rehabilitation sowie Therapie bei alten Menschen mit psychischen Störungen.

Eine medizinische Fachgesellschaft, welche die Interessen der Gerontopsychiatrie vertritt, ist die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Sie wurde 1842 gegründet und zählt heute mehr als 7.900 Mitglieder. Damit ist sie die größte und älteste wissenschaftliche Vereinigung von Ärzten und Wissenschaftlern, die in Deutschland auf den Gebieten Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde arbeiten.

Geronto

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ia

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Pflege

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Seelen

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Kunde

Begleitung

Definition

Gerontopsychiatrische Pflege ist die Pflege von geistes- und gemütskranken alten Menschen. Bei dieser anspruchsvollen Pflege geht es um das Verhalten und die Stimmungslagen von alt gewordenen psychisch Kranken und im Alter psychisch erkrankten Menschen, die wahrgenommen, beobachtet, interpretiert und im Pflegeprozess dokumentiert werden.

Gerontopsychiatrische Krankheitsbilder beinhalten eine Menge Leid, sowohl für die betroffenen Personen als auch für deren Angehörige. Nicht alles Leid ist aus Verhaltens- und Stimmungsänderungen oder dem Abbau mentaler Kräfte entstanden. Manches Leid entsteht aus der Unwissenheit heraus, wie die bestmögliche Pflege aussehen soll.

Gerontopsychiatrische Pflege ist engagiertes Bemühen um psychisch und physisch kranke alte Menschen, mit denen eine sprachliche Kommunikation nicht immer möglich ist. Die Altenpflegerin kann sich durch fachliche Kompetenz und Einfühlung einen Überblick über die andere psychische Innenwelt der Kranken verschaffen.

1.2Das psychiatrische Pflegeparadigma

In der (geronto)psychiatrischen Pflege steht ein Pflegeparadigma im Vordergrund, das sich auf folgende Ansätze gründet:

•ein holistisches, ökologisches und systemisches Denken,

•eine polare Logik des »Sowohl-als-auch«,

•ein interaktionistischer Ansatz für Körper und Seele,

•ein mystisches Denken.

Das Pflegeparadigma in der Psychiatrie beinhaltet ein bio-psycho-soziales Krankheitsmodell. In dieser Denkrichtung, in der sich die Profession Pflege als Bezugswissenschaft etabliert, stehen die Begriffe »humanistisch«, »ökologisch«, »interaktionistisch«, »ganzheitlich« und »relativistisch« im Mittelpunkt. Die Pflegewissenschaft strebt nach individuelleren Behandlungskonzeptionen.

Bei dem Versuch, die Wahrheit über gerontopsychiatrische Erkrankungen und deren menschliche Verhaltensweisen herauszufinden, bemühen sich Pflegewissenschaftlerinnen, menschliche oder persönliche Werte, die ihre Ergebnisse beeinflussen können, miteinzubeziehen.

Das psychiatrisch ausgerichtete Paradigma stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Psychische Erkrankungen im Alter können nicht verstanden werden, ohne den ganzen Menschen in seiner Lebensrückschau zu verstehen. Altenpflegerinnen, die in dieser Disziplin tätig sind, müssen einschließende Denker werden, verschiedene Standpunkte sehen und akzeptieren können, solange der einzelne Standpunkt in sich selbst wahr ist. Im Gegensatz zum 20. Jahrhundert, als Medizin und Pflege auf die Lehre von Krankheitserregern und Biochemie mehr biologisch reduziert war, rücken im 21. Jahrhundert auch psychosoziale Aspekte der Krankheiten und ihrer Behandlung ins Blickfeld. Die Folge ist eine Annäherung an ein ökologisches Bewusstsein und ein Verständnis, dass Mediziner und Altenpfleger voneinander abhängig sind und ihre Handlungen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern sich ergänzen müssen.

1.3Medizin und Pflege als interdisziplinäre Partner

Die Altenpflegerin in der Gerontopsychiatrie hat die Aufgabe, sich vor allem um subjektive Eindrücke zu bemühen, die sie durch Beobachtung eines psychisch Alterskranken gewinnt, das kann z. B. eine niedergeschlagene Stimmungslage oder eine objektive starke körperliche Unruhe sein.

Gerontopsychiater stützen sich vor allem auf objektiv erhobene Daten und Untersuchungsergebnisse. Ein multidisziplinäres Team betreut die Patienten nach einem integrierten Konzept; d. h. alle an der Pflege und Behandlung Beteiligten richten ihre Sichtweise auf ein gemeinsames Menschenbild aus.

Das Eingehen auf psychosoziale Anteile am gerontopsychiatrischen Krankheitserleben kann aber nur gelingen, wenn der kranke Mensch in seinen bio-psycho-sozialen Dimensionen von pflegerischer und medizinischer Seite angenommen wird.

Zur Umsetzung eines solchen Konzeptes ist es notwendig, dass Altenpflegerinnen und Ärzte im Team interdisziplinär kooperieren. Zu gemeinsamen Aktivitäten gehören: gemeinsame Pflegevisiten, Visiten, Fallbesprechungen, Erörterungen zu therapeutisch/rehabilitativen Beratungsprozessen in Bezug auf Patienten und Angehörige.

Das erfordert ein Umdenken zwischen dem behandelnden Arzt und der Altenpflegerin, besonders in der Haltung: »Dort seid Ihr – und wir sind hier!«

Das psychiatrisch orientierte Pflegeparadigma bewegt uns zurzeit weg vom Reden hin zum Erleben. Altenpflegerinnen wollten vom Kopf zu ihren Sinnen gelangen, wollten weg von bloßen Theorien, in die Erfahrung hinein. Altenpflegerinnen müssen von der konstruktiven Auseinandersetzung mit den Pflegetheorien (z. B. Hildegard Peplau) zur Umsetzung der Konzepte in die Praxis kommen. Pflegende wollen Menschen auf pflegerisch-beziehungstherapeutischem Weg helfen; sie wollen kranke Menschen auf pflegerische Art und Weise beobachten und in ihrem Verhalten verstehen; sie wollen erlernen, wie psychisch Alterskranke ihre Gefühle, Gedanken und Impulse gestalten.

Merke!

Pflegende und Ärzte in der Gerontopsychiatrie verfolgen verschiedene Methoden, um zu einem gemeinsamen Ziel zu kommen. Dieses Ziel lautet: Die weitgehende Wiederherstellung von psychischer, körperlicher und sozialer Gesundheit; allgemein die Verbesserung des Wohlbefindens eines psychisch Alterskranken.

2

AM ANFANG STEHT DIE SELBSTWAHRNEHMUNG

Handlungsaufgabe

»Der wahre Beruf des Menschen ist, zu sich selbst zu kommen«, schrieb Hermann Hesse.

Viele Menschen, die einen helfenden Beruf ergreifen, sind auch auf der Suche nach sich selbst. Inwieweit trifft der Satz von Hermann Hesse auf Sie als angehende Altenpflegerin zu?

Eine ausreichende Selbstwahrnehmung und Suchhaltung sind notwendige Grundhaltungen beim Umgang mit psychisch Alterskranken. Der tägliche routinierte Umgang mit psychisch Alterskranken kann blind machen. Unbegründete Rituale verfestigen sich dann leicht. Hier setzt die Selbstwahrnehmung an. Durch Supervision und Stressbewältigungstechniken (vgl. Seite 26 ff.) können Selbsterfahrung und Suchhaltung herausgebildet und weiterentwickelt werden. Sie sind Ausdruck einer erlernbaren, inneren Einstellung zum psychisch Alterskranken. Wenn ich psychisch Alterskranke wirklich verstehen will, muss ich mich selbst in meinen eigenen psychischen schwachen Anteilen verstehen; umso besser verstehe ich andere Menschen in ihren gesunden, wie auch kranken Anteilen. Altenpflegerinnen sollten lernen, die Selbstanteile an einer Pflegehandlung besser wahrzunehmen.

Von diesem Grundgedanken müssen Altenpflegerinnen ausgehen, wenn sie sich in die geistige und emotionale Landschaft von psychisch Alterskranken hinein versetzen wollen. Erst dann sind sie bereit, sich in die »ver – rückte« Welt des psychisch Alterskranken hineinzuversetzen und können versuchen, ihn in Äußerungen und Verhalten zu verstehen.

Altenpflegerinnen müssen demnach fähig werden, sich selbst zu fragen:

•Welche Gefühle löst der gerontopsychiatrisch veränderte Mensch bei mir aus?

•Was löse ich mit der Pflegehandlung beim Kranken aus?

•Was will der Kranke mit seinem Verhalten/Äußerungen, was bedeuten diese?

•Was für Wünsche und Bedürfnisse stehen hinter seinem Verhalten; in welchem Zusammenhang stehen sie mit seiner Lebenslage und seiner Biografie?

•Ist meine Intervention, d. h. mein Bemühen um eine Verhaltensänderung, in bestimmten Situationen immer angemessen?

2.1Verwirrt, verstört, verunsichert – Das kennen Sie auch!

Stellen Sie sich folgende fünf Situationen vor:

1.Sie gehen nach einem stressigen Arbeits-/Schultag in den Keller und wissen dort plötzlich nicht mehr, was sie holen wollten.

2.Sie werden im berufspraktischen Einsatz für eine neue Wohnstation eingeteilt und Ihrer Praxisanleiterin vorgestellt. Am nächsten Arbeitstag wollten sie diese etwas fragen, aber haben deren Namen vergessen.

3.Sie fahren in eine fremde Stadt, weil Sie dort in einem Seniorenpflegeheim einen Vorstellungstermin haben. Sie haben sich total verfahren und geraten in Zeitnot.

4.In der Berufsfachschule für Altenpflege halten Sie ein Referat im Psychologieunterricht. Sie bekommen dafür eine Note. Bei Rückfragen des Dozenten fällt Ihnen nicht mehr das entsprechende Fachwort für die Lerntheorie ein. Sie suchen angestrengt nach einer passenden Umschreibung des Begriffes.

5.Nach Zubereitung eines Gemüsesalates nehmen Sie die elektrische Küchenmaschine zwecks Reinigung auseinander. Sie versuchen mit der Gebrauchsanleitung, die Einzelteile wieder zusammen zubauen. Es funktioniert nicht.

Handlungsaufgaben

1.Wie fühlen Sie sich in den jeweiligen Situationen?

2.Finden Sie kognitive Merkmale, die die Situationen treffend beschreiben!

3.Welche Rückschlüsse ziehen Sie aus den fünf Situationen für sich selber?

4.Stellen Sie aus Ihren Überlegungen den Transfer zur Pflege und Umgang mit einem psychisch kranken Menschen in Ihrer späteren Pflegepraxis her.

Der Begriff »Kognition« kann übersetzt werden mit (lat.) co- (zusammen) gnoscere (erkennen, erfahren, wissen). Unter Kognition werden geistige Fähigkeiten, wie z. B. Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, verbales und visuelles Lernen, Denken, Vorstellen, Erinnern, Rationalisieren und Problemlösen verstanden.

Auch das Gehirn ansonsten geistig gesunder Menschen erlebt in normalen Alltagssituationen Chaos, Verwirrung und Unaufmerksamkeit. Jeder kennt Merkfähigkeitsstörungen in Prüfungssituationen. Es gibt Menschen, die ein schlechtes Namensgedächtnis haben. Wenn alles sehr schnell gehen muss, kommt es auch schon einmal zu Wortfindungsstörungen. Wir können in Stresssituationen Orientierungsstörungen haben. Beim Verlust eines nahestehenden Menschen verspüren wir Hilflosigkeit und Angst; wir sind in uns selbst gefangen und sehr niedergeschlagen; auch beim Verliebtsein können wir nicht mehr »klar« denken.

Selbst ein gesundes Gehirn spielt ab und an »ver-rückt«. Einem gesunden Menschenverstand können plötzlich die Kognitionen entgleisen. Trotz Nachdenkens kommt man nicht auf den Namen einer bestimmten Person oder verfährt sich völlig in einer fremden Stadt. Ärger, Unsicherheit und Angst sind oft die Reaktionen. Wenn man sich solche Situationen vor Augen führt, gelingt es eher, sich in die innere Welt der psychisch Alterskranken einzufühlen. Dann kann man sich auch ausmalen, wie schlimm es wäre, wenn solche Stresssituationen andauerten und andere Menschen ständig versuchten, mit für den Betroffenen unverständlichen Worten und Gesten auf diesen einzuwirken.

Im Vordergrund gerontopsychiatrischer Pflege steht das Bewusstsein einer Selbst- und Fremdwahrnehmung, das Verständnis der Handlungslogiken der psychisch Alterskranken und die Entwicklung von Empathievermögen. Um psychisch Alterskranke in ihrer Lebenswirklichkeit zu verstehen, ist es zunächst einmal wichtig, an der eigenen Haltung gegenüber psychisch kranken alten Menschen zu arbeiten.

Handlungsaufgaben

»Ich möchte, dass man mit mir vom Leben spricht und nicht von der Krankheit. Ich möchte, dass man mich mit Respekt und Liebe behandelt, als ein Subjekt und nicht als ein Objekt. Ich möchte, dass man mich als lebendig ansieht und nicht als tot.« (Zimmermann 1989)

1.Stellen Sie den Transfer von der Aussage des Zitates zu Ihrer Rolle als Altenpflegerin in der gerontopsychiatrischen Pflegepraxis her.

2.Überlegen Sie sich, welche Haltung Sie als Altenpflegerin in der gerontopsychiatrischen Pflege mitbringen sollten?

Altenpflegeschülerin Sabine erlebte folgende Pflegesituation im berufspraktischen Einsatz: »In diesem Einsatz hatte ich eine sehr unruhige an Demenz erkrankte Bewohnerin zu waschen und anzuziehen. Sie stand keine Sekunde still, dauernd rannte sie hin und her und wenn ich mich nur zur Seite drehte, um den Waschlappen auszuwaschen, war sie schon wieder weg. Mit viel Geduld und Nervenaufwand hatte ich sie endlich fertig gewaschen und wollte mit dem Anziehen beginnen. Doch von wegen – kaum hatte ich sie zum Sitzen gebracht, stand sie sofort wieder auf und ging immer hin und her, während ich die Strumpfhose nachzog. Ich wurde richtig verärgert, weil ich noch so viele andere Sachen zu tun hatte und sie einfach nicht sitzenblieb. Doch dann dachte ich mir, sie kann ja überhaupt nichts dafür und ich zwang mich, ihr gut zuzureden, obwohl die alte Dame dies nicht zur Notiz nahm. Ihr einziges Ziel war nur zu laufen, egal ob mit oder ohne Kleider. Nachdem ich sie dann doch angezogen und in den Tagesraum gebracht hatte, war ich fix und fertig. Während ich das Waschzeug aufräumte, wurde mir immer bewusster, wie armselig diese Frau auf mich eigentlich angewiesen war. Ich glaube, sie bemerkte auch, wie verärgert ich wurde, doch sie weiß überhaupt nicht warum, weil das Laufen ihr unbewusst war. Außerdem konnte sie nicht fragen, weil sie zusätzlich die Sprache verloren hatte, wie mir erst viel später im Team erzählt wurde.« (Höwler 2000)

Handlungsaufgaben

1.Versetzen Sie sich in die Situation von Altenpflegeschülerin Sabine und überlegen Sie, wie Sie an ihrer Stelle sich verhalten bzw. reagiert hätten.

2.Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit gerontopsychiatrisch veränderten Menschen in der Praxis gemacht?

3.Welches Wissen benötigt Ihrer Meinung nach eine Altenpflegerin für die gerontopsychiatrische Pflege?

2.2Der wertschätzende Umgang mit psychisch Alterskranken

Beim Umgang mit psychisch Alterskranken ist der richtige Ton und die Einstellung zu ihnen besonders bedeutsam. Die Betroffenen scheinen manchmal wie kleine Kinder, müssen aber wie Erwachsene behandelt werden. Das ist die Schwierigkeit. Sie verleitet Altenpflegerinnen dazu anzunehmen, dass psychisch Alterskranke wie Kinder sind, denn sie benehmen sich oft so:

•Sie kleckern mit dem Essen.

•Sie schmieren mit Exkrementen.

•Sie lehnen oft die Körperpflege ab.

•Sie halten sich nicht immer an die Etikette.

Für Pflegende ist es oft schwer, mit einem richtigen Umgang zu agieren. Mit einer veränderten Grundhaltung für das pflegerische Tun lassen sich diese Verhaltensweisen besser bewältigen.

Ein chronisch verwirrter Mensch ist ein verletzlicher, feinfühliger Mitmensch, dessen Rationalität nicht zugänglich ist. Pflegende sollten Spannungen aushalten und eine warmherzige Zuwendung mit professioneller Distanz zeigen. Aber bei allem erfordert es, die Würde des alten Menschen als erwachsene Person zu achten, auch in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium.

Welches Menschenbild Altenpflegerinnen haben, spiegelt sich auch in ihrer Pflegesprache wieder: Ausdrücke, wie z. B. »Der Patient ist durch den Wind, Herr F. ist durchgeknallt, sowie gefüttert, gewindelt, topfen, vollgerotzt« etc. sind entwürdigend und unbedingt zu unterlassen.

Handlungsaufgaben

1.Tauschen Sie sich in der Arbeitsgruppe darüber aus, ob es in Ihrer bisherigen Pflegepraxis Situationen gab, in welchen die Würde eines psychisch veränderten Menschen verletzt wurde.

2.Stellen Sie konkrete Verhaltensregeln auf, mit denen Sie im pflegerischen Tun den Respekt und die Würde eines psychisch kranken alten Menschen bewahren können.

Psychisch krank zu sein, beinhaltet leicht die Gefahr, eingeschränkt leben zu müssen. Der Umgang mit dem Kranken ist deshalb ausgerichtet auf Aktivierung und Mobilisierung, um die geistigen und sozialen Fähigkeiten des alten Menschen weitgehend zu bewahren, um einer Regression, d. h. einem Zurückfallen in eine frühere Entwicklungsphase der Ich-Funktion vorzubeugen.

Was kommt auf motivierte Pflegende zu, wenn sie einen psychisch Alterskranken aktivieren und mobilisieren wollen?

Einige Beispiele:

•Sie müssen einen alten Menschen waschen, der nicht einsieht, dass er eine pflegerische Versorgung benötigt. Er zeigt der Pflegeperson aggressives Verhalten.

•Sie wollen jemanden aktivieren, der lieber im Bett liegen bliebe und sich nicht bewegen möchte.

•Der Kranke spuckt die Nahrung wieder aus, schlägt nach dem Essen oder will nicht den Mund aufmachen.

•Sie setzen zwecks Toilettentraining den Kranken auf die Toilette, er wehrt sich massiv dagegen, hat aber kurz darauf seine Hosen beschmutzt.

•Der alte Mensch schreit nachts laut und unaufhörlich, er muss mehrmals intensiv beruhigt werden.

•Die Pflegeperson kommt zu einem Kranken und findet ihn unerwartet voll beschmiert mit seinen Fäkalien vor, die er auch in den Mund gesteckt hat.

Handlungsaufgaben

1.Beschreiben Sie, was aktivierende Pflege für den Gepflegten und für die Pflegeperson erreichen kann.

2.Entwickeln Sie kreative Lösungen, mit denen Sie alte Menschen in den oben genannten Beispielen entgegenkommen können.

3.Erläutern Sie zu den jeweiligen Pflegesituationen einen würdevollen Umgang.

Die Art und Weise wie Altenpflegerinnen mit einem Kranken umgehen, entscheidet darüber, ob er den Weg der geistigen, seelischen und körperlichen Besserung einschlägt oder ob er in eine infantilisierende Abhängigkeit manövriert wird. Fragen Sie sich:

•Wo kann ich mich als angehende Altenpflegerin im Arbeitsfeld der gerontopsychiatrischen Pflege verwirklichen, wie kann das der Erkrankte?

•Kann ich Verwirrtheit als eine Lebensform, welche im Moment für den alten Menschen richtig ist, zulassen?

•Was bedeutet für mich Verwirrtheit? Was ist mir bei dem pflegerischen Umgang wichtig?

•Was kann ich ertragen? Wie reagiere ich auf Ängste des psychisch erkrankten Menschen?

•Welche Interpretation der Lebenswirklichkeit des alt gewordenen Menschen habe ich?

•Welches Menschenbild bringe ich für die Pflege von psychisch Erkrankten mit?

•Habe ich mich mit eigenen Vorstellungen und Ängsten bezüglich meines Alters auseinander gesetzt?

•Überprüfe ich eigene Normen und Werte im Hinblick auf »normales« und »krankhaftes« Altern?

Merke!

Die Pflegehaltung zum psychisch Alterskranken sollte geprägt sein durch eine authentische, akzeptierende und wertschätzende Haltung.

2.3Schlüsselqualifikationen in der gerontopsychiatrischen Pflege

Nachfolgend lassen sich für Altenpflegerinnen folgende Schlüsselqualifikationen für den pflegerischen Umgang mit psychisch Alterskranken formulieren (nach Weidlich 1998):

Fachkompetenz: d. h. Wissen über gerontopsychiatrische Krankheitsbilder und deren Pflegekonzepte, eine gute Beobachtungsgabe, Urteilsfähigkeit, d. h. Einschätzen von Situationen und Erkennen eines Handlungsbedarfs, Problemlösungsfähigkeit, d. h. Aufstellen eines Pflegeplanes, der den Pflegeproblemen und Ressourcen des betreffenden Patienten entspricht.

Personale Kompetenz: d. h. Fähigkeit mit den eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen, den beruflichen Belastungen sowie Körper und Psyche verantwortungsvoll umzugehen (Selbstwahrnehmung und Suchhaltung).

Soziale Kompetenz: d. h. Fähigkeit mit psychisch Alterskranken und deren Angehörigen zu kommunizieren und im Kontakt mit dem interdisziplinären Team sicher aufzutreten. Die Behandlung von Patienten ist zu einem großen Teil auf eine gute Teamarbeit angewiesen. Es geht um die Verinnerlichung eines »Teamgeistes«.

Nach Knobling (1983) gehört zur sozialen Kompetenz die interaktive Kompetenz. Sie bedeutet die Fähigkeit, dass Pflegende wechselseitige zwischenmenschliche Kontakte zum Pflegebedürftigen eingehen können und beinhaltet:

•die Herausbildung einer situativen Kompetenz,

•Empathievermögen (kognitiv, emotional),

•fremdes Leid und eigenen Frust aushalten können (Frustrationstoleranz),

•Neugier und Kreativität bewahren, selbst wenn das Entdeckte im täglichen Umgang mit den psychisch Alterskranken nur wenig sensationell ist,

•Einhaltung einer angemessenen Nähe und Rollendistanz zum psychisch Alterskranken,

•ethisches Bewusstsein

»Situative Kompetenz«

Eine Situation in der Pflegepraxis, z. B. die Intervention bei Suizidgefahr eines alten Menschen, kann sich immer wieder anders gestalten. Die Altenpflegerin muss individuell und situationsbezogen auf alte Menschen eingehen können.

»Empathievermögen«

Das oberste Gebot zum pflegerischen Umgang für Altenpflegerinnen ist das einfühlende Verstehen (Empathie); d. h. die Fähigkeit, sich in die Bedürfnislagen psychisch Alterskranker einzufühlen, soziale Situationen und Gefühle zu berücksichtigen sowie individuelle Symbole (z. B. Kleidung und die Biografie) zu pflegen. Sie setzt eine Grundhaltung voraus. Die Altenpflegerin muss bereit sein, sich selbst kennen zu lernen, um dann diese Kenntnis in ihr berufliches Handeln systematisch einzubringen. Empathievermögen ist demnach sich einfühlen in die Situation eines Kranken – aber kein Mitleiden mit ihm (weitere Hinweise zur Empathie siehe Seite 25).

»Fremdes Leid und Frustrationen aushalten können«

Enttäuschungen und Unklarheiten müssen von Pflegenden ausgehalten werden. Hierzu gehört die Einsicht in die Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten, aber auch die Fähigkeit Konflikte zuzulassen und widerstrebende Bedürfnisse und Gefühle vom Team, den alten Menschen und Angehörige nebeneinander stehen zu lassen.

»Bewahrung von Neugier und Kreativität«

Altenpflegerinnen müssen im täglichen routinierten Umgang mit den Kranken sensibel bleiben, ihre Pflegearbeit hinterfragen und offen für neue Pflegekonzepte sein.

»Einhaltung von Nähe und Rollendistanz«

In der Pflege wird unter Nähe Zuwendung bis hin zum Körperkontakt verstanden. In der gerontopsychiatrischen Pflege zusätzlich Verständnis für Stimmung und Verhalten des Kranken.

Rollendistanz einhalten bedeutet, sich einen Raum zwischen dem psychisch veränderten Menschen und sich selbst zu gestatten.

Bei einem psychisch Alterskranken wechselt je nach Krankheitsstadium oder körperlicher Befindlichkeit die Stimmungslage. Aufgabe der Altenpflegerin ist es, die durch verbale oder nonverbale ausgesandten Signale richtig einzuordnen und darauf mit entsprechendem Nähe- und Distanzverhalten zu reagieren. Sie sollte auf Wunsch des alten Menschen Nähe z. B. durch Körperkontakt zulassen, oder, wenn es für eine verhaltenstherapeutische Intervention notwendig ist, mit Ablehnung reagieren.

Rollendistanz zu haben bedeutet, dass jeder Pflegende sich über sein Wissen, sein Können, seine Aufgaben und seine Absichten Klarheit verschafft. Dieses Selbstbewusstsein, auch berufliche Identität genannt, ermöglicht sich mit den vielfältigen Rollenerwartungen im Beruf auseinander zu setzen. Abhängigkeitskranke sind z. B. nicht nur von einer Substanz, dem Alkohol abhängig, sondern diese Menschen suchen auch Abhängigkeits-Beziehungen zu den Menschen in ihrer Umgebung. Das wiederum kann eine »Beziehungsfalle« für Pflegende sein.

»Ethisches Bewusstsein«

Ethisches Bewusstsein bildet die Grundlage des beruflichen Handelns. Es wird die partnerschaftliche Haltung gegenüber dem alten Menschen gefordert. Dieser muss trotz aller Hilfsbedürftigkeit als ein gleichberechtigter, achtenswerter Mensch gesehen werden.

Diese Grundeinstellung Pflegender lässt eine Infantilisierung psychisch Alterskranker nicht zu. Für die Pflegebildung ergibt sich, dass neben den fachlich, sachlich und intellektuell ausgerichteten Bildungsansätzen auch der emotionalen Sensibilität in Sinne von »moralischer Phantasie« Raum gegeben werden muss.

Die Schlüsselqualifikationen, einschließlich der interaktiven Kompetenz, können sich im theoretischen Pflegeunterricht sowie im berufspraktischen Einsatz im Umgang mit psychisch und physisch Alterskranken entwickeln und weiter herausbilden.

Merke!

Beim täglichen Problemlösen in der Gerontopsychiatrie brauchen Pflegende formalisiertes fachliches Wissen, Fertigkeiten (Teamfähigkeit), Leitlinien, Evidenz, aber auch implizites Wissen, wie z. B. Situationswissen, Beziehungswissen, Erfahrungswissen und Urteilskraft. Für eine umfassende Pflege ist es wichtig, die Fähigkeit und Bereitschaft zu haben, sich auf die Sorgen und Nöte psychisch kranker Menschen einzulassen und die helfende und sorgende Beziehung bewusst zu gestalten.

2.4Selbstpflege – vom Wert der »Psychohygiene«

Den Begriff »Psychohygiene« prägte Meng 1959. Er bedeutet: Praxis und Lehre vom seelischen Gesundheitsschutz. Heute wird im Pflegeberuf von »Selbstpflege« gesprochen.

Definition

Unter Selbstpflege versteht man die Fähigkeit, die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen und aktiv für entsprechende Freiräume zur Erholung zu sorgen.

Im Pflegeberuf gibt es immer wieder Situationen, in denen wir versuchen, der Realität auszuweichen. Wir verändern in unserem Empfinden und unserer Erinnerung die Wirklichkeit, um sie für uns erträglicher zu machen. Manchmal machen wir uns etwas über uns selbst vor, um eine Rechtfertigung vor uns und unserer Umwelt zu haben oder um unsere Selbstachtung nicht zu verlieren. All diese Verhaltensweisen verstellen uns den Zugang zu uns selbst und verhindern, dass wir unsere eigentlichen Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, erkennen und leben können und verursachen häufig Unsicherheit und Leid.

Handlungsaufgaben

1.Mit welchen Zielen möchten Sie nach der Ausbildung in den Altenpflegeberuf gehen?

2.Haben Sie bereits genaue Vorstellungen von Ihren Bedürfnissen und Wünschen, die Sie nach der Pflegeausbildung umsetzen möchten?

3.Gab es bereits während der berufspraktischen Einsätze bei Ihnen Situationen von Selbsttäuschung, Selbstzweifel oder gar Enttäuschungen?

4.Tauschen Sie Ihre Empfindungen und Erfahrungen in der Arbeitsgruppe aus.

5.»Meine Grenze ist da, wo das Ich aufhört und das Du anfängt. Nur dann ist Begegnung, Unterstützung und Auseinandersetzung möglich, ohne mich zu überfordern«. Stellen Sie mit der Aussage einen Bezug zu Ihrer Pflegepraxis her.

6.Sind Altenpflegerinnen, wenn sie an sich selbst denken, sofort Egoisten?

7.Wieso wird der für uns doch angeblich so wichtige Stress, der als Eustress unverzichtbar für die Aufrechterhaltung unserer Gesundheit ist, als Krankheit der Gegenwart bezeichnet?

Tätigkeiten in der psychiatrischen Altenpflege stellen hohe Anforderungen an die Professionalität sowie an die eigene körperliche und psychische Belastbarkeit der Pflegenden. Seit einigen Jahren liegt die Erkenntnis vor, dass es um die seelische Gesundheit im Altenpflegeberuf nicht sonderlich gut bestellt ist. Etliche Forschungserkenntnisse aus Krankenkassendaten weisen tendenziell in eine einheitliche Richtung: Zunahme von Kreuz-, Kopf- und Muskelschmerzen, Schweregefühle in Armen und Beinen, Schlafstörungen und Müdigkeit sowie depressive Symptome bei Altenpflegerinnen.

Viele Altenpflegerinnen bringen eine Berufsauffassung mit, welche an Heilen und pflegerischem Erfolg ausgerichtet ist. Das programmiert Enttäuschungen und Misserfolgserlebnisse. Der zunehmende Umgang mit Verwirrtheit und Aggressivität, ebenso mit Apathie alter Menschen, Inkontinenz, Alkoholabhängigkeit und dauernde Bettlägerigkeit sowie die häufige Konfrontation mit Sterben und Tod verunsichert Altenpflegerinnen und mobilisiert bei ihnen Abwehr, Verdrängung und Verleugnung. Sie fühlen sich durch die unverständlichen Angriffe oder Zurückweisungen der alten Menschen abgelehnt oder verärgert. Belastend sind in diesem Arbeitsfeld auch Ekelgefühle, z. B. bei unsauberem Essen oder beim Kotschmieren. Eine hohe körperliche Beanspruchung wird verursacht durch: Schichtarbeit, Nachtdienste und regelmäßige Wochenendarbeit. Stress in der gerontopsychiatrischen Pflege entsteht primär durch den chronischen Zeitmangel aufgrund der allgemeinen engen personellen Besetzung. Das Gefühl, »nie fertig zu sein« bzw. nicht das geben zu können, was psychisch Kranke brauchen, bedingt Unzufriedenheit, die sich auch in Ungeduld oder Regression umsetzen kann. Angehörige von psychisch veränderten alten Menschen verschärfen die Probleme häufig durch übertriebene Ansprüche (wegen ihrer Schuldgefühle oder mangelnder Kooperation), als dass sie eine Unterstützung zu geben vermögen. Belastungen und Gefühle dieser Art gehören zum Alltag der Pflege; diese sollten in der Praxis nicht weiter tabuisiert werden.

2.4.2 Altenpflegerinnen sind besonders von Burn-out betroffen

Die Tätigkeit einer Altenpflegekraft in der gerontopsychiatrischen Pflege ist eine überaus schwierige, denn von keiner anderen Fachwissenschaft wird ein solches Maß an Geduld, Aufmerksamkeit und Empathie verlangt.

Die Position der Pflegenden lässt sich mit einem stärkeren Fühlen und Leiden mit dem Schicksal des Pflegebedürftigen erklären. Pflegende arbeiten direkt am Menschen, erleben seine psychischen und physischen Reaktionen hautnah. Oft entwickelt sich auch eine psychische Belastung über die Arbeit hinaus. Indem Pflegende ihre Erlebnisse und Konflikte mit nach Hause nehmen oder indem sie mit Hoffnungen und Ängsten der Angehörigen konfrontiert werden.

Altenpflegerinnen sind vielen Stressoren im Beruf ausgesetzt. Sie können sich nur schlecht in der Freizeit entspannen und erholen. Daher ist es abzusehen, dass die allgemeine Anspannung zur Berufsunzufriedenheit oder zu einer psychosomatischen Erkrankung führen kann. Das Endstadium dieser schleichenden Entwicklung ist dann oft eine psychische und physische Erschöpfung; es kommt zum Burn-out-Syndrom. Das Syndrom befindet sich vorwiegend bei Menschen, die in emotional anspruchsvollen Situationen mit anderen Menschen arbeiten.

Burn-out-Syndrom

Als »Burn-out-Syndrom« bezeichnet Fengler das Erleben von körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung, welche als Auswirkung lang anhaltender negativer Gefühle entsteht. Charakteristisch für diesen Zustand sind negative Einstellungen zum Selbstbild, zur Umgebung, zur Arbeit und zum Leben im Allgemeinen (Fengler 1996).

Es ist gar nicht so leicht, ein Burn-out zu erkennen. Gefährdet sind jedoch gerade jene Menschen, die für Ihre Arbeit geradezu »brennen«, die sich also stark einsetzen, oft über ihre Grenzen gehen und immer einspringen, wenn »Not am Mann« ist.

Handlungsaufgabe

1.Nehmen Sie sich einmal die Zeit und beantworten Sie die folgenden Fragen:

2.Gehen Sie gern an Ihre Grenzen und arbeiten häufig über Ihre Belastungsgrenze hinaus?

3.Haben Sie Angst davor, dass man Sie für unfähig oder nicht engagiert genug hält?

4.Finden Sie, dass Pausen überflüssig sind?

5.Vernachlässigen Sie Hobbys, Ihre Familie, Ihre eigene Gesundheit?

6.Sind Sie oft erschöpft, haben Sie zu nichts mehr Lust?

7.Können Sie sich in Ihrer Freizeit noch erholen?

8.Fühlen Sie sich auch nach einem Urlaub immer noch müde?

9.Sind Sie oft gereizt?

Antworten Sie ehrlich auf diese Fragen, nehmen Sie einmal die Zeit, Ihre Arbeitshaltung und Ihr Engagement zu hinterfragen. Wenn Sie Anzeichen von Burn-out bei sich feststellen, sollten Sie nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Eine Altenpflegerin erinnert sich an eine Situation aus ihrer Pflegepraxis: »Frau R. ist eine sehr verbitterte und schwierige Heimbewohnerin auf der gerontopsychiatrischen Pflegestation gewesen. Man beobachtete, dass der zerebrale Abbau schon sehr weit fortgeschritten war. Es kam vor, dass sie die Altenpflegerinnen bei der Ausführung der direkten pflegerischen Versorgung beschimpfte, weil der Umgang mit ihr nicht immer bedürfnisgerecht ausgeübt wurde. »Kämpfe« bei den Mahlzeiten waren keine Seltenheit. Die Pflegerinnen hatten sich bereits daran gewöhnt, dass Frau R. mit Nahrungsmitteln hinter ihnen her warf. Diese Frau brauchte viel Einfühlung.

Altenpflegerin Maria kümmerte sich besonders um Frau R. Ihr Umgang mit der alten Dame war dementsprechend aufopferungsvoll. Sie tat dieses nicht, weil sie die Frau sympathisch fand; nein – sie wollte sich selbst und ihren Kollegen beweisen, dass sie in der Lage war, sich um diese Art von »schweren Fällen« erfolgreich kümmern zu können.

In einem Spätdienst, während der Nachmittagskaffee in der Wohngruppe ausgeteilt wurde, hörte ich aus dem Zimmer von Frau R. ein Gekreische und Gepolter. Ich ging in das lärmerfüllte Zimmer, erblickte die völlig aufgelöste Altenpflegerin Maria, welche laut lamentierte und sich am Kopf von Frau R. zu schaffen machte. Ich nahm Altenpflegerin Maria behutsam zur Seite, schickte sie aus dem Zimmer und schlug ihr vor erst einmal eine Pause zu machen. Danach wendete ich mich Frau R. zu. Sie zitterte am ganzen Körper und ihr rechtes Ohr war äußerst stark gerötet. Altenpflegerin Maria hatte die hilflose Frau R. aus Frust über ihren Misserfolg bei der Behandlung ihres »schweren Falls« geschlagen und brutal am Ohr gerissen!

Altenpflegerin Maria meldete sich am darauf folgenden Tag krank. Sie wurde nach ihrem langen Arbeitsausfall in eine stressärmere Pflegewohngruppe versetzt.

Handlungsaufgaben

1.Analysieren Sie das Verhalten von Pflegerin Maria, warum sie auf diese Weise gegenüber der Bewohnerin reagiert hat.

2.Versuchen Sie sich eine Pflege- oder Teamsituation vor Augen zu führen, die Sie einmal als sehr schmerzlich empfunden haben. Wie hat sich ihr Leben daraufhin verändert?

3.Sind Ihnen nach diesem »Unglück« auch positive Dinge passiert, die ohne diese Krise nie eingetreten wären?

2.4.3 Stresserleben im Pflegealltag

Altenpflegerinnen sind häufig überlastet, wenn die Faktoren

•Übernahme von Verantwortung,

•fehlende Abgrenzung,

•sowie ein hohes Leistungsideal

zusammenkommen.

Hat die Altenpflegerin eigene Wünsche, so werden diese übersehen. Viele »Helferpersönlichkeiten« kennen das von sich: Bereits in der Kindheit hatten sie die Rollen des »Fürsorglichen«, des sich um Familienmitglieder Sorgenden inne. Sie konnten eigenen Wünschen und Impulsen nur wenig nachgehen. Hinzu kommt ein eher harmonisierender Umgang mit Konflikten. Eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt und Konfliktlösungsstrategien fehlen.

Definition Stress

Bei Stress handelt es sich um eine unspezifische Antwort des Körpers auf äußere Anforderungen. Die psychologischen, soziologischen oder somatischen Belastungen können gemeinsam oder jede für sich schädigend auf ein Individuum einwirken.

2.4.3.1 Stressformen

Zwei bekannte Stressformen verursachen unterschiedliche Wirkungsweisen. Positiver Stress spornt zu Höchstleistungen an, negativer Stress raubt Kraft, wird als bedrohlich empfunden, behindert das Kommunikationsverhalten, beeinträchtigt die Informationsverarbeitung und die Entscheidungsfähigkeit in Notfallsituationen, d. h. kann über einen »Tunnelblick« bis zur Handlungsunfähigkeit führen.

1.Eustress

•positiver Stress

•dient zur Erfüllung vitaler Bedürfnisse

•spornt zur Motivation an

•gibt positive Gefühle, z. B. Geborgenheit

•unterstützt lebensnotwendige Elemente von Teamarbeit

Eustress-Reize entstehen, wenn Altenpflegerinnen sich von Angehörigen, vom Team und Pflegedienstleitungen angenommen fühlen, wenn eine freundliche und entspannte Atmosphäre auf dem Pflegearbeitsplatz herrscht. In diesem Klima stehen Lob, Anerkennung, Humor, gegenseitige Hilfsbereitschaft und soziale Unterstützung im Mittelpunkt.

2.Disstress

•schädlicher Stress

•erzeugt im Gehirn Unlustgefühle

•blockiert das Richtige zu tun

•erzeugt Müdigkeit für Freizeitangebote, für Zärtlichkeit und Bewegung

•reduziert Bedürfnisse auf Essen und Schlafen

Wenn von Stressreaktionen gesprochen wird, sind immer die Disstress-Reize gemeint. Das ist, als ob ein »Panikknopf« im Gehirn ausgelöst wird und von »Denken« auf »Überleben« (Flucht oder Kampf) umgeschaltet würde.

Altenpflegerinnen fühlen sich hellwach, Herzschlag und Atemfrequenz steigen und das Blut wird überwiegend in die Muskulatur gepumpt, um Kraft für die Kampf- oder Fluchtsituation zu mobilisieren. Diese Reaktion dient der Lebenserhaltung und verbraucht viel Energie, welche so schnell nicht wieder hergestellt werden kann.

Die beste Leistung von Pflegenden ergeben sich bei einem Stresslevel von ca. 40–60 % des individuellen Stress-Maximums. Hierbei entsteht ein Potenzial zur persönlichen Weiterentwicklung, zur kreativen Umsetzung der Aufgaben im Alltag sowie zur Freude an der Pflegearbeit.

Erleiden Altenpflegerinnen dagegen häufig am Tag Pflegesituationen, die unter erhöhtem Zeitdruck bewältigt werden müssen, erleben sie auf Dauer Situationen von kognitiver Dissonanz. Pflegen sie mit unzureichendem Wissen psychisch beeinträchtigte alte Menschen, so kann aus der lebenserhaltenden Schutzreaktion ein krankmachender Dauerzustand werden und in ein Burn-out-Syndrom übergehen.

Merke!

Innerhalb von Disstress-Situationen klares und schnelles Denken zu bewahren und sich selbst positiv einzuschätzen, die Ressourcen um sich herum wahrzunehmen und einzusetzen, sowie Entscheidungen unter Druck zu treffen und sich selbst reflektieren zu können, ist für Pflegende wichtig und kann innerhalb eines gut funktionierenden Teams trainiert werden.

2.4.4 Interdependenz: Stress, psychische Belastung und Burn-out

Definition

Als Interdependenz wird eine wechselseitige Abhängigkeit verstanden. In der Pflegearbeit beinhaltet dies die wechselseitige Abhängigkeit zwischen psychischer Arbeitsbelastung, Disstress und dem dadurch ausgelösten Burn-out.

Nach Lazarus ist Stress eine Bedrohung des physischen und psychischen Wohlbefindens (Ungleichgewicht zwischen Ansprüchen und Ressourcen). Je nach Persönlichkeitsstruktur des Individuums liegt zwischen der Stressreaktion und den objektiven Stressoren eine transaktionale Kognition vor; d. h. jede Pflegeperson reagiert interaktiv auf Stressoren subjektiv. In der täglichen Pflegearbeit kann eine positive Spannung (Eustress) durch Erfolge, z. B. aus Selbstständigkeitstrainings, bei Demenzerkrankten aufgebaut werden. Disstress, ein krankmachender Faktor, wird z. B. durch eine defizitäre Personalstruktur ausgelöst. Vielfältig emotionaler Stress, der mit psychologischer und sozialer Hilfeleistung verbunden wird, auf Dauer nicht zur Kenntnis genommen und durch einen positiven Bewertungsprozess bekämpft wird, führt oft zur psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigung. Psychophysische Belastungen (Umweltanforderungen übersteigen das Leistungsvermögen einer Person) sind in der Regel einmalige traumatische Ereignisse (z. B. Tod eines lange gepflegten alten Menschen, Scheidung, Kündigung). Danach lässt sich durch Verlustreaktion mit ausreichender Trauer- und Bewältigungsarbeit normalerweise das seelische Gleichgewicht wiederfinden. Bleiben dagegen die psychophysischen Belastungen längerfristig bestehen und schaffen hyperaktive Dauerspannungen (z. B. durch eine hohe Sterberate, ein hoher Anteil von stark verhaltensauffälligen Menschen in der Pflegewohngruppe), so kommt es zu keiner ausreichenden Entlastung und Neutralisation. Es kommt zu einem regressiven Absturz und in absehbarer Zeit treten Symptome des Ausbrennens auf. Nach Burisch (1994) tritt das Burn-out meist nicht als eine Folge vereinzelter traumatischer Ereignisse auf, sondern als schleichende seelische Auszehrung. Im Vorfeld sind längere Ketten von frustrierten Erwartungen und misslungenen Handlungsplänen mit ausgebliebenen Belohnungen vorhanden.

Dauernde negative Stressreaktionen sowie psychische Belastungen sind Voraussetzungen, um ein Burn-out-Syndrom zu entwickeln.

Abb. 1: Wechselwirkungen zwischen Arbeitsüberlastung (Stressor) und psychischen oder physischen Erkrankungen.

2.4.5 Pflegen unter Disstress und die Folgen

Die ständige Dauerbelastung entwickelt sich zur beruflichen Deformation, welche zur Abstumpfung, zur Verrohung, Dehumanisierung und Selbstentfremdung führen kann. Dies gilt für Altenpflegerinnen und alte Menschen gleichermaßen. Wo Situationen bei Altenpflegerinnen zu Burn-out führen, werden alte Menschen geschädigt und in die Angst, die Depression, die Apathie und sogar in den vorzeitigen Tod getrieben. Durch unzumutbare Pflegebedingungen entstehen unzureichende Pflegesituationen, welche bei alten Menschen mit hoher Vulnerabilität (Verletzbarkeit) eine massive Schädigung ihrer Lebensqualität verursachen. Nach einer Zeit von Überforderungssituationen stellen Altenpflegerinnen ihre Empathie, ihre mit- bzw. einfühlenden inneren Schwingungen ab. Der alte Mensch, der Resonanz braucht, weil er leidet, bekommt kein Mitgefühl. Die Folge ist, dass er anästhesiert. Er resigniert (genau wie die Altenpflegerin), stumpft ab, er regrediert, hospitalisiert, er verhärtet sich und wird apathisch. Altenpflegerinnen könnten nach diesem schleichenden Prozess reagieren:

»Nun lass ihn doch apathisch werden, dann liegt er ruhig in seinem Bett, da liegt er halt – mit dem kann man nichts mehr machen. Der ist ›dement‹!« Niemand will dem Faktum ins Auge sehen, dass der alte Mensch »dement« gepflegt worden ist (vgl. Seite 41).

Pflegepersonal in gerontopsychiatrischen Pflegewohngruppen ist in der Regel niedergeschlagener, unfreundlicher und ängstlicher als Pflegepersonal in stressärmeren Wohngruppen. Belastend ist hier der Umgang mit Verwirrtheit, Apathie, Depressionen, Ängsten und Suizidversuchen. Die Altenpflegerinnen fühlen sich hoffnungslos, weil sie mit viel Energie- und Zeitaufwand wenige Erfolge verzeichnen können. Sie distanzieren sich dann leichter und verlieren das Interesse an den alten Menschen. Die Einstellung zur psychischen Krankheit ändert sich: Die Helfer sehen ihre Klienten nicht als Menschen, die Hilfe benötigen, sondern als Menschen, die Aufsicht brauchen. Altenpflegerinnen werden durch ein widersprüchliches Ansinnen, d. h. auf der einen Seite alte Menschen zu aktivieren und auf der anderen Seite einen reibungslosen und schnellen Pflegeablauf zu ermöglichen, auf Dauer belastet und gereizt. Zeitnot bringt Gehetztheit. Dieser Druck überträgt sich auf psychisch Alterskranke. Sie antworten unbewusst mit Gegendruck, z. B. mit Verweigerungen oder überhöhten Forderungen.

Besonders verwirrte Menschen reagieren auf Zeitdruck sensibel. Sie bereiten, wenn sie den Zeitdruck empfinden, noch mehr Probleme und finden ihre Orientierung noch schwerer. Wechselwirkungsprozesse kommen auch in dem Maße zum Tragen, indem die vom Burn-out gezeichneten Mitarbeiter dem alten Menschen gegenüber erhöhte Dosen von Psychopharmaka zubilligen, damit er »pflegeleicht« wird.

Von Disstress geplagte Altenpflegerinnen werden unempfindlich gegenüber nonverbal ausgesandten Signalen von gerontopsychiatrisch veränderten Menschen. Sie verlieren ihre Geduld und haben schließlich erhöhte Aggressionspotenziale, welche in Wechselbeziehungen zu den hilfsbedürftigen Menschen stehen.

Überlastete Altenpflegerinnen haben eine Angriffsfläche für archaische Abwehrformen. Durch Prozesse der Depersonalisation wird ihre Ich-Stärke beeinträchtigt. Hier spielt die Angstabwehr der Aggression, welche sich in versteckter und offener Gewalt gegenüber den alten Menschen zeigt, eine besondere Rolle. Angst wird häufig aggressiv abgewehrt.

Handlungsaufgabe

Mit den unten aufgeführten Aussagen können Sie herausfinden, welchem Stress Sie in Ihrer täglichen Pflegearbeit ausgesetzt sind. Alle unten angeführten Feststellungen gehen auf Gefühle und Vorstellungen ein, die beim Umgang mit psychiatrisch Erkrankten und solchen mit anderen chronischen Erkrankungen auftreten können.

1.Die Vergesslichkeit geht mir auf die Nerven.

2.Ich habe Angst, dass pflegebedürftige alte Menschen gewalttätig werden und jemanden verletzen.

3.Mir wird es zu viel, alle Pflegeanweisungen ständig zu wiederholen.

4.Die Angehörigen schätzen meine Pflegearbeit nicht.

5.Die lallende, unverständliche Sprache geht mir auf die Nerven.

6.Der alte Mensch sollte mehr für sich selbst tun.

7.Ich kann nur schwer mit ihnen kommunizieren.

8.Es macht mich nervös, wenn sie Probleme verleugnen und andere für ihre Fehler verantwortlich machen.

9.Es macht mich müde, psychisch Alterskranke zu pflegen.

10.Ich kann es nur schwer aushalten, was mit diesen Menschen passiert.

11.Ich werde ängstlich und es frustriert mich, wenn ich mit diesen Menschen arbeite.

12.Ich wäre dafür, diesen Menschen mehr Medikamente zu geben.

13.Es fällt mir schwer mit den Angehörigen zu reden.

14.Auch zu Hause denke ich noch oft an die psychisch Alterskranken.

15.Ich mache mir ständig darüber Sorgen, dass die alten Menschen weglaufen.

16.Es dauert mir zu lange, ihnen zu helfen.

17.Es bedrückt mich zu sehen, wie hilflos sie werden.

18.Ich brauche eine bessere Ausbildung für diese Pflegearbeit.

19.Es ist für mich schwer, ihr Verhalten den Angehörigen und den anderen Mitmenschen zu erklären.

Je häufiger Sie den Aussagen zustimmen, umso stressgefährdeter sind Sie!

Disstressempfinden, Arbeits- und Berufsunzufriedenheit hängen auch von der Persönlichkeit einer Pflegenden ab. Eine individuelle psychische Disposition beeinflusst in erheblichem Maße auch die Auswirkungen der im Berufsalltag erlebten Stressoren und Frustrationen.

Die Entstehung der psychischen Störung Burnout, negatives Arbeitserleben, Demoralisierung infolge hohen physischen und psychischen Belastungen, Teamkonflikten, Unstimmigkeiten mit anderen Wohngruppen, Abteilungen oder Druck von Leitungspersonen, ist auch von Expertenseite, noch nicht hinreichend erklärt.

2.5In Balance bleiben – Anforderungen und Entlastungen im Pflegealltag

Voraussetzung für die Tätigkeit in der gerontopsychiatrischen Pflege ist eine gewisse psychische Belastbarkeit, da Altenpflegerinnen mit menschlichen Grenzsituationen, sowie ständig mit Leid und Sterben konfrontiert werden.

In einem Interview sagt Altenpflegerin Sabine auf die Frage, wie sie mit den beruflichen Belastungen in der gerontopsychiatrischen Pflege fertig wird: »… ich habe gelernt damit zu leben immer wieder gemeinsam mit den Kollegen/innen, die täglich mit psychisch Alterskranken arbeiten; und da ist jeder im Team wichtig: Jede Altenpflegerin, jeder Sozialarbeiter, jeder Ergotherapeut, jeder Theologe und jeder Arzt.

Man kann es nur gemeinsam schaffen, man kann es aber nur innerhalb des therapeutischen Teams schaffen, in dem man sich austauscht, indem man sich gegenseitig kontrolliert und indem man, wenn man dann abends nach Hause geht, sich persönlich davon auch löst, in dem man andere Dinge macht, indem man, ich sage immer: stehenbleibt, zur Ruhe kommt, sich erholt, neue Kräfte sammelt … anders geht das nicht!«

2.5.1 Emotionale Belastungen im Pflegealltag erkennen und bewältigen

Aus welchen Gründen kommt es zur emotionalen Belastung für Pflegemitarbeiter? Im Annehmen und Aushalten der eigenen Hilflosigkeits- und Ohnmachtsgefühle erleben Pflegende einen Perspektivenwechsel von »Hilfe« geben bis hin zu »Hilfe und Unterstützung selbst empfangen«. Mit der täglichen Konfrontation mit dem Abschied vom Gesundsein, Leid und Sterben werden Pflegende andauernd auf die Zerbrechlichkeit unseres eigenen Seins hingewiesen.

Wenn zudem zwischen Pflegenden und Heimbewohnern entsprechende persönliche Merkmale wie gleiches Alter, gleiche Familiensituation oder Übereinstimmungen in der jeweiligen Biografie vorhanden sind, findet schnell eine Identifikation statt. Im schlimmsten Fall entwickelt sich ein Burn-out welches schnell in eine Depression einmünden kann.

Mit entsprechenden Strategien kann die bewusste Distanzierung und Rückkehr in die professionelle Pflege-Rolle gelingen. Abgrenzung macht Nähe möglich und Mit-Leid kann sich wieder in Mit-Gefühl verwandeln.

Eine weitere Säule pflegerischen Tuns betrifft den Umgang mit Emotionen. Auf der einen Seite gibt es die Gefühle der zu pflegenden Bewohner. Sie reichen von Schuldgefühlen, Scham, Ekel, Angst, Ohnmacht, Wut und Trauer bis zur Freude, Hoffnung und Liebe. Auf der anderen Seite gibt es diese Gefühle auch bei Pflegenden selbst in der Begleitung der Kranken. Die Möglichkeit des Umgangs mit den jeweiligen belastenden Gefühlen basieren auf deren Wahrnehmung und einer Situationsanalyse durch die Benennung und Differenzierung der möglichen Auslöser.

Pflegende tragen mehr Lasten als zuträglich ist und leben ständig zwischen dem Konflikt des eigenen Anspruchs und Nicht-Erfüllung der Ansprüche durch die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen.

Besonders durch die Pflegebeziehung über einen längeren Zeitraum wird Nähe zum Gepflegten hergestellt. Das begleitete Sterben und der Tod einer pflegebedürftigen Person kann persönliche unverarbeitete Trauererlebnisse bei Pflegenden reaktivieren. Diesen Gefühlen entgegenzutreten bedeutet einen Schutz vor Burn-out und ist aktiv ausgeübte Selbstpflege.

2.5.2 Berufliche und private Beziehungen achtsam gestalten

Eine Bezugspflegende benötigt Nähe, um die subjektive Betroffenheit eines Pflegebedürftigen zu verstehen. Sie darf die Nähe aber nicht so weit zulassen, dass diese schädigend wirkt. Personenbezogene Dienstleistung beruht auf Beziehungen zwischen Helfer und Hilfebedürftigen. Beziehungsgestaltung der professionellen Art ist ein tragendes Element in der Pflege. Sie gilt als ein therapeutischer Aspekt und unterliegt einer Doppelbedeutung.

Tabelle 1: Unterscheidung zwischen beruflicher und privater (Pflege)Beziehungen

Professionelle berufliche Beziehungen

Private Beziehungen

Distanz um einen Überblick zu behalten

Distanz, um sein Ich zu bewahren

Beziehung ist nicht auflösbar (i. d. Regel durch Tod des Pflegebedürftigen)

Beziehung kann gekündigt werden (z. B. durch Trennung)

Kognitive Empathie

Emotional, situationsbedingt

Grenzen setzen/endlich

Grenzenlos/endlos

Nähe (wie fühlt sich Leid an, um da wieder herauszukommen?)

Nähe

Zielorientiert und geplant

Diffus, ungeplant

Monetär abgegolten (geldlich)

Ideell abgegolten

Ziel für Pflegemitarbeiter: Einhalten einer Balance zwischen Nähe und Distanz in einer Subjekt-Subjekt-Beziehung, sodass Sensibilität für die Spannung für Nähe und Distanz zum pflegerischen Habitus wird.

Abb. 2: Das Spannungsverhältnis von Distanz und Nähe im pflegerischen Prozess.

In der Langzeitpflege, welche durch einen intensiven Kontakt zum pflegebedürftigen Menschen geprägt ist, ist es erforderlich Nähe und Distanz in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen. Nähe und Distanz muss von daher ausbalanciert werden, damit Pflegemitarbeiter selber seelisch gesund bleiben.

Emotional belastet nur dann etwas, wenn eine Situation einem Pflegemitarbeiter zu nahe geht, er sich davon intensiv betroffen fühlt.

Asymmetrische Beziehungen beinhalten immer die Gefahr der Bemächtigung des pflegebedürftigen Menschen durch die Pflegeperson, welches unweigerlich auch zu Konflikten führen kann. Die Pflegebeziehung ist nicht als gleichwertig zu betrachten. Auf der einen Seite steht der hilfesuchende Mensch, der abhängig und unwissend und in der Regel entscheidungsunfähig ist. Pflegende zeichnen sich durch Macht, Wissen und Abnahme von Entscheidungen aus. So entsteht ein Ungleichgewicht zwischen beiden Interaktionspartnern.

Gefühle der Hilflosigkeit, der Verzweiflung, der Selbstaufgabe sowie Widerspiegelungen der erlebten körperlichen und psychosozialen Situation, Machtlosigkeit und Hilfebedürftigkeit lassen dann nur noch die Anpassung an die Pflegenden offen. In der pflegeabhängigen Begegnung entwickelt sich eine Eigendynamik. Diese kann gekennzeichnet sein z. T. durch gegensätzliche Erwartungen der Beteiligten. Um dialogisch Handeln zu können und eine Subjekt-Subjekt-Beziehung aufzubauen, muss pflegerisches Handeln weit mehr sein, als nur ein Beherrschen von High-Technik. Das ist eine Wertehierarchie, denn in der Pflege geht es um zwischenmenschliche Sorgebeziehungen und nicht um rein sachliche zweckrationale Tauschbeziehungen.

Merke!

Pflegende sollten gleichermaßen Fähigkeiten zur Einfühlung in pflegerische Handlungssituationen aufweisen, wie auch Fähigkeiten zum distanzierten und kritischen Anwenden pflegerischen Wissens. Pflegende sollten sich auch nicht von der Betroffenheit alter Menschen, die ihre Hilfe benötigen, so sehr gefangen nehmen, so dass sie selbst nicht mehr handlungsfähig sind und damit selbst zum Patienten werden.

Tabelle 2: Gegenüberstellung – Distanz und Nähe im Pflegealltag

Distanz

Nähe

•Zeitlich begrenzte Kontakte

•Nur ausschnitthafte Kenntnis des Menschen

•Fehlinterpretation von Sprache und Verhalten

•Spagat zwischen Einzelbetreuung und Gruppenverantwortung

Grundpflege ausführen

•Abwesend sein

•Nicht kommunizieren

•Nur nonverbale Berührung

Pflegende beobachten, um die Tagesform festzustellen

•Eigenbeobachtung und Beobachtung des Pflegebedürftigen

•Biografie intensiv lesen: Feststellung der Grenzen des Pflegebedürftigen

•Kontakte zwischen Angehörigen und Nachbarn vermitteln

Abstand und Zurückhaltung

Geborgenheit, Zartheit, Empfindsamkeit, Zuneigung, verbale Nähe, körperliche Nähe vermitteln

•Arbeitsraum der pflegenden Angehörigen

•Wohnraum und Lebensraum des Pflegebedürftigen

Zuhören, anschauen, Lautstärke der Sprache, Berührung

•»Spuckdistanz« – nur so viel Nähe wie möglich bzw. nötig

•Bedrängnis vermeiden

•Eindringen in die Intimsphäre bei Pflegehandlungen

•Als Fremder wird die Pflegeperson »kraft Amtes« zur Hauptbezugs-Person

•Aufgabe: Schutz und Sicherheit für den Pflegebedürftigen zu gewährleisten

•Gefühlter Abstand, um nicht einzuengen

•Sich voneinander entfernen als Chance, sich wieder neu zu begegnen

•Pflegesituation und Handlungen auf der reinen Kommunikationsebene

•Zuwendung, Körperkontakt (Intimpflege),

•Wärme, Geborgenheit, Sicherheit

2.5.3 Pflegen mit Empathie

Um Distanz und Nähe in ausgewogener Balance halten zu können, ist es wichtig, sich auf eine Beziehung professionell einzulassen und dabei Empathie zu empfinden. Bei diesem Prozess werden zwei Formen von Empathie unterschieden: die kognitive und die emotionale Empathie.

Emotionale Empathie

Übernahme der wahrgenommenen emotionalen Erfahrungen des anderen. Diese Form der Empathie ist ansteckend, in dem Sinne, dass jemand mit den gleichen Emotionen auf Emotionen des anderen reagiert.

Emotionale Empathie kann dazu führen, dass sich Pflegende durch die Erfahrungen des Pflegeempfängers überwältigt fühlen. Sie verfangen sich im Netz ihrer Gefühle und den Gefühlen des Pflegeempfängers. Sie können ihre eigenen Gefühle nicht mehr differenziert wahrnehmen. Dabei besteht dabei ein enger Zusammenhang zwischen emotionaler Empathie und emotionaler Erschöpfung.

Kognitive Empathie

Sachliches und logisches Verhalten auf emotionalen Erfahrungen des anderen. Diese Form der Empathie grenzt innerlich ab und erlaubt eine Distanzierung vom eigenen emotionalen Beteiligtsein.

Das Einnehmen der Fürsorgerolle gegenüber dem alten Menschen bewirkt nicht nur Nähe. Sie ermöglicht Abgrenzung und Betonung von Andersartigkeit. Die Distanzierung schützt vor der Gefahr, selber zu regredieren, mit dem Schicksal und dem Elend der alten Menschen zu verschmelzen und hilft Ängste vor dem eigenen Alt-werden abzuwehren. Um mit Belastungen im Pflegealltag umgehen zu können, sind Methoden der Selbstpflege u. a. Copingstrategien erforderlich.

3

METHODEN DER SELBSTPFLEGE IM PFLEGEALLTAG

Um mit psychischen Belastungen adäquat in der Pflegepraxis umgehen zu können, benötigen Altenpflegerinnen neben einer Basis von gerontopsychiatrischem Pflegewissen, welches auf Grundlagen von Pflegemodellen, dem Pflegeprozess und den gerontopsychiatrischen Pflegekonzeptionen aufbaut, auch Entlastungen durch eine gute Selbstpflege.

Disstress kann nicht einmal eben beseitigt werden. Deshalb sollten Pflegende bei dem Erleben mit Stress diesen so beeinflussen, dass die Lebensfreude und Freude an der Pflegetätigkeit erhalten bleibt. Das kann gelingen durch individuelle Stressbewältigungsmechanismen.

Altenpflegerinnen können auf drei Aktionsebenen aktiv zur eigenen Gesundheitsförderung beitragen:

1.Ebene: Aktivitäten, die Pflegende selbst zur Förderung ihrer eigenen Gesundheit setzen

2.Ebene: Maßnahmen, welche die Fähigkeiten von Altenpflegerinnen, ihre Gesundheit zu fördern, ermöglichen oder verbessern

3.Ebene: Aktivitäten, welche die Gesundheit durch Änderung in der Pflegeumgebung verbessern und die keinen persönlichen Einsatz erfordern. Die Rahmenbedingungen für die Pflegeumgebung, z. B. Personalschlüssel, Klientel, Wohnbereichsgröße sind von Pflegenden nicht direkt veränderbar. Optimierungsmöglichkeiten innerhalb des Betriebes durch z. B. Veränderung des Pflegesystems, der Dienstzeiten, der Ablauforganisation, des Pflegekonzeptes sind durchaus gegeben und sollten von Pflegenden eingefordert werden.

Für welche Aktivitäten sich Altenpflegerinnen entscheiden hängt von folgenden Fragen ab:

•Welche finanziellen Ressourcen möchte ich aufwenden, um gesund leben zu können?

•Welchen zusätzlichen Zeitaufwand erfordert die ausgewählte gesunde Lebensweise?

•Welcher Wert wird innerhalb der sozialen Bezugsgruppe einer gesunden Lebensführung beigemessen?

•Welche individuellen Handlungsspielräume stehen mir zur Verfügung?

•Welche gesundheitlichen Handlungskompetenzen stehen mir zur Verfügung?

3.1Coping-Strategien

Definition

Engl. »coping«: die Bewältigung. Coping »beschreibt jede Form der Auseinandersetzung bzw. des Umgangs mit psychisch und physisch als belastend empfundenen Situationen oder erwarteten Ereignissen, welche die Ressourcen einer Person berühren oder übersteigen«.*

* Vgl. portal.hogrefe.com/dorsch/coping

Um herauszufinden, welche Einflüsse sich auf unsere Psyche positiv oder negativ auswirken, ist es sinnvoll, sich mit belastenden Situationen im gerontopsychiatrischen Pflegealltag auseinander zu setzen. So können Altenpflegerinnen den Ursachen von Stress nachgehen und versuchen, ihn zu bewältigen. Mit der Kenntnis der belastenden Momente wird es dann mit der Zeit möglich, seelischem Stress vorzubeugen. Je genauer die Ursachen von Stress bekannt sind, umso gezielter kann die Stressbewältigung sein.

Allgemeingültige Empfehlungen zur Beseitigung von schädlichem Stress gibt es nicht. Es wird zwischen positiven und negativen Bewältigungsstrategien differenziert, welche sich nach ihrer Wirksamkeit unterscheiden. Die positiven Strategien dienen der seelischen Gesundheit.

Tabelle 3: Copingstrategien (nach Pines, Aronson & Kafry, 1991)

Psychologische Maßnahmen, die Altenpflegerinnen zur Förderung ihrer eigenen Gesundheit anwenden können, werden nachfolgend beschrieben.

3.2Die Praxis der distanzierten Anteilnahme

Distanzierte Anteilnahme

Eine Anteilnahme an dem, was gesehen und erfühlt wird, Sachlichkeit aber damit hinein nehmen. Sich nicht nur mit dem Pflegeberuf und mit dem einzelnen alten Menschen beschäftigen. Die Altenpflegerin sollte abschalten können und emotionale Distanz wahren (nach Lief & Fox 1963).

In der gerontopsychiatrischen Pflege, welche durch intensive Kontakte zu Menschen geprägt ist, ist es erforderlich, Nähe und Distanz in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen. Es besteht die Gefahr, dass sich Altenpflegerinnen während des pflegerischen Umgangs zu sehr emotional beteiligen. Das kann zu einem Verlust der Objektivität und optimalen Hilfeleistungen führen. Helfen können Altenpflegerinnen nur, wenn sie mehr wahrnehmen und verstehen können als der alte Mensch, welcher Hilfe benötigt. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass die emotionale Distanz zu groß wird, d. h. die Anteilnahme schwindet, Teilnahmslosigkeit und die dehumanisierende Einstellung, die für das Burn-out-Syndrom charakteristisch sind, nehmen überhand. Wird die innere Distanz zu groß, so reicht es nicht mehr aus, voll motivationsfähig zu sein.

Aus der Sicht alter Menschen ist eine Ausgewogenheit zwischen persönlicher/m Unterstützung und Verständnis einerseits und fachspezifischer Beratung andererseits vorzuziehen. Nach Pines, Aronson & Kafry (1991) ist eine ideale Ausgewogenheit von distanzierter Anteilnahme auf drei verschiedenen Wegen zu erreichen: physische Distanz, psychische Distanz und emotionale Zurückgezogenheit.

3.2.1 Die physische Distanz

Altenpflegerinnen, welche sich außerhalb der Dienstzeit nicht zurückziehen können, sind in der schwierigsten Lage. Viele meinen, dass sie unentbehrlich in der Pflegewohngruppe sind und immer erreichbar sein müssen. Aussagen von Pflegepersonen nach Dienstschluss, Krankheit oder Urlaub, wie z. B. »falls viel in der Pflege zu tun ist, ruft mich zu Hause an, ich komme dann sofort!«, verdeutlichen das »Unentbehrlichsein« eindrucksvoll.

Methoden um Abhilfe zu schaffen: Pflegende gewinnen Distanz auf dem Umweg der Zeit. Sie beschränken die Zeit, die sie in direktem Kontakt mit dem älteren Menschen ihrer Hilfeleistungen verbringen, auf ein Minimum. Längere Arbeitspausen oder mehr Schreibtischarbeit erlauben es der Pflegekraft, sich körperlich von den alten Menschen zu distanzieren, indem sie ihnen Zeit entziehen.

Allein das Ansprechen und die Beschreibung der belastenden Situation im Pflegeteam helfen, einen distanzierten Abstand zu bekommen. Die Distanz ermöglicht eine reflektierte Sicht auf die Pflegebeziehung.

Handlungsaufgaben

1.Haben Sie auch öfters das Gefühl, dass Sie bei Dienstschluss, Urlaub oder Krankheit unentbehrlich in der Pflegewohngruppe sind?

2.Überlegen Sie in ihrer Arbeitsgruppe Methoden, mit denen Sie eine akzeptable physische Distanz zum Pflegeberuf herstellen könnten.

3.2.2 Die psychische Distanz

Bei Sterbenden, psychisch Alterskranken und bei der Versorgung von Schwerstpflegebedürftigen mit ständiger Betreuung ist eine körperliche Distanzierung nicht möglich, weil diese Menschen nun einmal eine greifbare Betreuung mit taktiler Kommunikation benötigen. Die Altenpflegerin hat die Möglichkeit sich eine »Rüstung« gegen Emotionen anzulegen.

Handlungsaufgabe

Welche Gefahren können bestehen, wenn sich Altenpflegerinnen nach getaner Pflegeleistung eine Art von Unempfindlichkeit gegenüber alten Menschen aufbauen?

3.2.3 Die emotionale Zurückhaltung

Die Altenpflegerin schützt sich vor übermäßiger Beteiligung an mitmenschlichem Leid durch Einübung von Einstellungen. Eine Einstellung wäre z. B. eine strikte Befolgung vorgegebener Regeln, welche die Beziehungen zu dem alten Menschen definieren. Die Altenpflegerin sagt z. B. zum alten Menschen: »Nicht aus persönlichen Gründen kann ich jetzt nicht für Sie einkaufen, sondern die Hausordnung (Regel) verbietet es.«

Die emotionalen Probleme der Altenpflegerinnen werden häufig unter Berufung auf »rationales Denken« auf eine intellektuelle Ebene verschoben. Der Schwerpunkt ihres Interesses verschiebt sich vom kranken Menschen auf die Krankheit, an der er leidet. In einigen Fällen wird die Schuld dem alten Menschen zugeschoben. Wenn dieser als verwirrt, unkooperativ oder als alkoholabhängig diskreditiert wird, so wird eine Last der Verantwortung der Altenpflegerin abgenommen. Derartige kollektive Rationalisierung und Verschiebung der Verantwortung auf den alten Menschen kann als Schutzmaßnahme des Pflegepersonals gegen den emotionalen Stress ihrer Schuldgefühle angesehen werden.

Eine weitere Methode der Distanzierung von der Not anderer Menschen ist deren Identifizierung durch ihre Probleme, anstatt durch ihre Namen. Die Altenpflegerin spricht dann von »dem Dekubitus« oder von »der Thrombose auf Zimmer 321«.

Durch die Sprache verleugnet die Pflegende den mitmenschlichen Status der alten Menschen, um auf diese Weise die eigene emotionale Betroffenheit zu verringern.

Tabelle 4: Methoden zur distanzierten Anteilnahme

Merke!

Altenpflegerinnen verwenden die Methoden des körperlichen, seelischen oder emotionalen Rückzugs, um die Intensität der Gefühle zu verringern, welche in Bezug zur Hilfeleistung stehen.

Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Methoden nur nützlich sind, wenn sie zur idealen ausgewogenen distanzierten Anteilnahme verhelfen. Geht die Distanzierung so weit, dass sie zu einer dehumanisierenden Einstellung führt, schaden die Methoden mehr, als dass sie nützen. Die Pflegequalität leidet unter der Distanzierung, wenn diese zum Schutz der Altenpflegerin notwendig ist.

3.3Passive Methoden zur Entspannung

Eine Reihe von unsystematischen Möglichkeiten zur Entspannung nach einem anstrengenden Dienstwochenende oder stressigem Schichtdienst praktizieren Altenpflegerinnen in der Regel mehr oder weniger, z. B. Musikhören, Lesen, ein warmes Bad, Träumen, mit dem Hund spazieren gehen. Darüber hinaus haben alle Aktivitäten, die zu Zufriedenheitserlebnissen führen, einen entspannenden Effekt, das kann z. B. ein Kompliment seitens des alten Menschen für ein aufmunterndes Lächeln oder eine Geste der Hilfsbereitschaft sein. In regelmäßigen Abständen sollten Altenpflegerinnen sich Ruhe und Entspannung durch individuelle FlowErlebnisse gönnen.

Flow-Erlebnisse