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Dies ist der zweite Teil meines Buches "Otrun - die, die Zauber über die Waffen raunt". In Rekordgeschwindigkeit bildete sich diese neue Geschichte, die, wie ich finde, um einiges besser ist, als der erste Teil. Tiefer, spannender, und ein bisschen reifer. (Von der Aufbereitungszeit einmal abgesehen) Natürlich sehr schön hinerteinander wegzulesen, aber auch einzeln sind beide Bücher eigenständige und spannende Romane.
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Seitenzahl: 357
Veröffentlichungsjahr: 2015
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„Ich werde mein Wort halten, bis die Steine schmelzen“
Dieses Zitat stammt von einem Führer der Tonto-Apachen. Sein Name war Delshay, so wie Widukid und Wondering Bear Dustin Delshay. Sie haben mit dem Stammesführer nichts gemeinsam.
Die beiden Romanfiguren sind von mir frei erdacht. Mir gefiel ganz einfach der Name.
Der echte Delshay lebte ca. von 1835 bis 1874. Er ergab sich am 22. April 1873 mit seinem Volk bei Sierra Ancha im Gila County in Arizona.
(den Nachschlag vorneweg …)
Wer mit dem zweiten Buch in diese Geschichte einsteigt , sollte mit dem Nachschlag beginnen. Der erklärt ein wenig die Situation auf der Lichtung, ohne zu viel preiszugeben. Wem das erste Buch allerdings bekannt ist, sollte den Nachschlag schön am Ende lesen. Als Nachschlag, Betthupferl oder eben als Sahnebonbon hinterher.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
Der Nachschlag
Endlich Sonne! Jetzt sitze ich bei geöffneter Tür an meinem Webstuhl und arbeite. Wir haben Ende April und endlich zeigt sich die Sonne.
Am zweiten Maiwochenende findet der Bauernmarkt statt. Durch den strengen Winter habe ich viel Zeit in der Werkstatt verbracht.
Eigentlich reichen meine Decken schon locker für zwei Märkte, doch im Moment gehen mir so viele Muster durch den Sinn, dass ich kaum nachkomme.
Völlig vertieft in meine Arbeit, schrecke ich plötzlich auf: Ein Schatten huscht an der offenen Werkstatt vorbei! Ich schnaufe kurz durch, dann stehe ich auf und sehe nach, was mich da aus dem Augenwinkel so erschreckt hat.
Als ich die Tür erreicht habe, sehe ich Wido, wie er über die Lichtung rennt. Hin und her, in wildem Tempo.
„Hey, wen suchen Sie denn?“, rufe ich belustigt aus.
Sofort dreht er sich zu mir um, strahlt mich an und kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.
Bevor er mich in seinem Klammergriff gefangen nimmt, kann ich ein paar Tränen in seinem Gesicht ausmachen. Ich spüre, wie er zittert und schwitzt. Ich lege meine Arme um seine Taille und beruhige ihn mit meinen Gedanken. Ganz langsam lockert sich seine Umarmung. Nun kann ich ihm ins Gesicht schauen.
„Brauchst du erst einen Tee, oder kannst du schon jetzt mit mir sprechen?“, frage ich ihn mit einem Lächeln auf meinen Lippen.
Mit rauer Stimme antwortet er: „Wir haben keine Zeit, wir müssen sofort ins Krankenhaus!“
Und jetzt strahlt er mich breit an.
Ich zwinkere ihm zu: „Meinen herzlichen Glückwunsch zur beneidenswert hübschen Tochter.“
„Woher weißt du, dass sie hübsch ist?“, fragt Wido verdutzt.
„Ich dachte mir so etwas.“
„Komm, lass uns keine Zeit verlieren!“
„Bitte warte einen kleinen Augenblick, ich ziehe mir schnell etwas Stadttaugliches an. Nur eine Minute“, und damit verschwinde ich schnell in meiner Hütte.
Die Tür lasse ich offen. Schnell schlupfe ich in den weichen Lederrock. Die braune Seidenbluse liegt noch vom letzten Ausflug in die Zivilisation auf dem Tischchen. Ich schnappe sie mir schnell und ziehe sie über.
Wido steht im Türrahmen, mustert mich, dann schaut er mich verwundert an: „Ehm, ja, du hast recht, es ist ein Mädchen.“
Er wartet, bis ich die Türschwelle erreicht habe, dann nimmt er mich an die Hand und zieht mich zu seinem Auto.
„Ich ahnte es schon seit einiger Zeit, wollte euch beiden aber nicht die Spannung nehmen“, erkläre ich ihm leicht außer Atem, während ich konzentriert versuche, mir noch etwas Farbe auf die Lippen zu bringen.
Beinahe schubst er mich in seinen Wagen und flitzt auf die andere Seite. Er fuchtelt mit dem Schlüssel herum.
„Soll ich nicht lieber fahren? Marie und das Kind brauchen dich jetzt.“
Verlegen sieht er zu mir rüber: „Ich sehe ganz schön fertig aus, hm?“
„Nein, so würde ich das nicht ausdrücken, eher ein wenig nervös und durcheinander. Komm, lass dich von mir kutschieren“, sage ich noch und schiebe mich auf den Fahrersitz. Er gibt nach, macht mir Platz und flitzt ums Auto herum, um es sich auf der Beifahrerseite gemütlich zu machen.
Ich fahre rückwärts auf den Waldweg auf und dann sind wir unterwegs. Sachte lege ich ihm meine Hand auf den angespannten Oberschenkel. Nach einer guten Weile lässt er endlich locker. Noch einmal wischt er sich eine Träne aus dem Gesicht.
„Jetzt ist aber mal gut! Oder ist außerdem noch etwas passiert?“, jetzt doch verunsichert, sehe ich zu ihm rüber.
Er schüttelt den Kopf. „Na, dann ist ja alles in bester Ordnung! Du hättest dabei sein sollen …!“
Ich muss lachen, so kenne ich ihn gar nicht!
„Hast du deinen Vater angerufen?“ Erneut schüttelt er den Kopf.
„Du könntest es jetzt tun, wir sind raus aus dem Funkloch.“
Wido räuspert sich. „Mach du das besser“, ist alles, was er mit belegter Stimme heraus bekommt.
„Ok, dann gib mir mal dein Handy.“ Er wählt zitternd Dustins Nummer und gibt es mir. Tut, tut.
„Delshay“
„Hey Opa Wondering Bear, meinen herzlichen Glückwunsch!“
„Oh Boy, ist das Baby da?“
„Oh ja, und wie! Dein Sohn steht völlig neben sich!“ Ich höre einen Jubelschrei am anderen Ende der Verbindung.
„Er freut sich“, richte ich an Wido.
„Als Wido geboren wurde, habe ich geheult, wie ein Schlosshund!“
„Na, dann weiß ich ja, von wem er das hat! Dein Sohn sitzt neben mir und bekommt kaum ein Wort heraus. Wir sind auf dem Weg zum Krankenhaus, kommst du auch?“
„Bin schon unterwegs, Honey. Ich steige gerade in meinen Wagen.“
„Das ist schön, bis gleich.“
„Wow, bis gleich!“
Ich gebe Wido sein Handy zurück. Er grinst mich an.
„Und Frithjof? Nun los, ruf ihn auch an. Weißt du die Nummer im Kopf?“
Ich grinse zu ihm rüber, „wir haben unseren ganz persönlichen Funk! Das weißt du doch!“
Ich schleiche mich in Frithjofs Kopf, wünsche ihm einen guten Morgen, umarme ihn in Gedanken und übertrage ihm die frohe Kunde. Mache deutlich, dass wir uns alle bei Marie im Krankenhaus treffen.
„Schon geschehen!“
„Und das funktioniert verlässlich?“, er sieht mich kritisch an.
„Ich kann dir mit Gewissheit sagen, das klappt auf der Lichtung besser als Mobilfunk. Auf so etwas sind wir beide zum Glück nicht angewiesen! Wenn er sich freimachen kann, wird er sich sofort auf den Weg machen.“
Langsam lasse ich den Wagen auf den Parkplatz des Krankenhauses rollen. Ich sehe zu Wido rüber: „Du siehst besser aus.“
Er atmet tief durch und nickt mir zu. Gemeinsam betreten wir das große Gebäude.
„Seid ihr jetzt eigentlich ein Paar?“ Wido sieht mich fragend an, während der Aufzug uns ein paar Stockwerke weiter nach oben befördert, „ich meine, so richtig.“
Ich rolle mit den Augen, denn mir ist klar, was nun schon wieder kommen muss.
„So was in der Art“, kritisch schaue ich in seine Augen, mir schießt Widos Blick im Türrahmen meiner Hütte durch den Kopf, „warum, du hast es dir doch jetzt nicht noch einmal überlegt?“
Mein Gegenüber reißt die Augen auf: „Oh nein, versteh mich bitte nicht falsch! Es ist nur so … Du bist so viel allein. Viel zu allein. Ich mache mir ein wenig Gedanken um dich.“
„Mir geht es gut. Frithjof hat einen ausgiebigen Arbeitstag, und die Wochenenden sind seine Hauptarbeitstage … Also habe ich meinen nötigen Freiraum“, ich sehe zu ihm hoch, wie konnte ich nur annehmen, dass er doch gerne mit mir …?
„Und ansonsten ist er wirklich häufig bei mir. Manchmal kommt er auch noch ganz spät, wenn das Lokal geschlossen ist, zu mir. Also, mach dir keine Sorgen, alles bestens.“
„Er ist der Richtige. Du solltest ihm endlich grünes Licht geben.
Nicht nur zwischendurch, weißt du.“
Ich sehe ihn fragend an.
„Ich habe dir doch gerade erzählt, dass er mich häufig besucht.“ Wido versucht mich mit seinen beinahe schwarzen Augen zu durchdringen, so wie er es vermutlich von Frithjof abgeguckt hat.
„Und du ihn?“
„Pff, du redest Unsinn, mein Freund“, ich schüttele meinen Kopf, „außerdem, seit wann beauftragt er dich, mich zu bearbeiten?“
„Oh nein, er hat nichts damit zu tun! Ich erkenne nur, dass dir etwas fehlt, dass dir jemand fehlt! Und wer, das liegt auf der Hand. Du solltest euch beide sehen, wenn ihr in ein und demselben Raum seid. Nur aus diesem Grund habe ich mich von dir getrennt, weil Frithjof der Richtige für dich ist. Und ich bitte dich, in deinem Sinne, mach endlich einen Schritt auf ihn zu. Keine Zwischendurchbeziehung mehr.“
„Dass du immer meinst, du wüsstest genau, was für mich das Beste ist!“ Ich schüttele erneut meinen Kopf, bin aber dennoch gerührt. Wido hat sich schon, seit ich ihn kenne, mehr Gedanken um mich gemacht, als ich selbst.
Er sieht mich streng an: „Bis jetzt lag ich doch meistens richtig, oder?“
Die Fahrstuhltür öffnet sich.
„Komm Otrun“, Wido legt seinen Arm um meine Schulter und wir betreten den Krankenhausflur der Entbindungsstation. Vor Maries Tür bleiben wir einen kurzen Moment stehen. Von drinnen hören wir leises Babygeschrei.
Wir klopfen sachte an, Marie bemerkt uns nicht. Wir klopfen lauter.
„Ja“, schallt es gestresst zu uns.
Wido öffnet die Tür.
„Sie trinkt nicht richtig und schreit jetzt schon wieder!“ Schnell durchquere ich den Raum und nehme erst mal Marie in den Arm.
Sie atmet merklich durch.
„Wie geht es dir?“
„Ich bin glücklich, aber wir müssen erst mal lernen, einander zu verstehen“, sie blickt auf das schreiende Bündel, hält inne und reicht es mir.
Als die Kleine in meinem Arm liegt, herrscht Ruhe. Beinahe schreit die Stille im Raum. Es fühlt sich an, als würde das Baby mich aufmerksam betrachten, obwohl ich genau weiß, dass es das noch nicht kann. Einen befremdlichen Augenblick lang passiert gar nichts.
„Wer frisst dir eigentlich nicht sofort aus der Hand?“, durchbricht Wido mit gedämpfter Stimme die Stille, während er Marie in seinem Arm hält.
Ich zucke nur mit den Schultern: „Mir fallen da einige Leute ein, aber ich gebe zu, es ist in den letzten Jahren wesentlich besser geworden.“
Wir drei genießen den ruhigen Augenblick, denn keiner kann mit Bestimmtheit sagen, wie lange er andauern wird. Ich betrachte das kleine Gesichtchen. Es ist noch etwas rot vom Schreien, noch ein wenig verknautscht. In regelmäßigen Abständen holt es tief und ruckartig Luft. Ganz langsam schließen sich die Augen, bis nur noch eines einen kleinen Schlitz behält. Ab und an öffnet er sich, um dann wieder schmal zu werden.
Ich halte Marie ihre Tochter hin, doch sie wehrt ab: „Hast du sie gefragt?“
Wido schüttelt den Kopf: „Nein, noch nicht.“
Nun sieht er mich mit großen Augen an: „Wir beide würden uns freuen, wenn du ihre Patentante sein möchtest.“
Ich sehe auf das schlafende Kind.
„Das würde ich gerne, wirklich, aber die Kirche wird mich nicht akzeptieren. Ich bin nicht mal getauft.“
„Dann sei bitte so etwas, wie ihre Patentante. Uns beide würdest du sehr glücklich machen“, ergreift Marie das Wort.
„Es ist mir eine Ehre. Ich werde sie unglaublich verwöhnen, das ist euch ja wohl klar, oder?“ Ich sehe in zwei strahlende Gesichter.
„Ehm… Wir haben noch keinen Namen für sie. Wir dachten uns, dir fällt bestimmt einer ein“, Wido sieht mich verschmitzt an.
Ich schüttele meinen Kopf: „Ihr hattet doch alle Zeit der Welt … hm“, ich halte das kleine Gesichtchen an meine Wange, schließe die Augen.
Ganz langsam wird mir klar, was für einen Menschen ich hier in meinem Arm halte. Ich durchforste mein Hirn nach dem geeigneten Namen. Es verstreichen Augenblicke. Nichts. Ich ändere meine Taktik. Überlege nicht. Lasse uns beiden Zeit. Mit der Kleinen im Arm, gehe ich zum Fenster und lasse meine Augen und Sinne in den Wolken ruhen. Die träge Bewegung am Himmel hilft mir, alles im Raum zu vergessen. Ein leises Schnaufen an meinem Ohr. Ein tiefer Atemzug aus einer winzigen Lunge und ich sehe wieder auf und drehe mich zu meinen Freunden, wie sie Arm in Arm auf dem Bett auf eine Regung von mir warten.
„Seid ihr mit Maya einverstanden? Maya Delshay?“
Wido kullert die nächste Träne über die Wange.
„Maya ist wunderschön“, sagt Marie.
„Marie und Maya“, sagt Wido gedankenverloren vor sich hin.
„Maya und Wido“, Marie lächelt ihrem Mann zu, küsst ihn auf die Wange.
„Na dann, Maya“, sachte streiche ich dem Kind über das zarte Gesichtchen.
Es öffnet seine Augen und sieht mich ruhig an. Ich gehe zu den Beiden rüber.
Lächelnd gebe ich es in Maries Arme: „Vielleicht trinkt sie jetzt, wo sie noch so ruhig ist.“
Marie schenkt mir ihrerseits ein Lächeln und legt das Baby an. Die Kleine beginnt sofort zu saugen. Ich stehe auf und gehe zum Fenster.
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür. Ich sehe nach, wer da ist.
„Hallo Dustin, lass dich drücken.“
Er erwidert meine Umarmung, dann sieht er sich neugierig im Zimmer um. Sein Blick bleibt auf der stillenden Mutter mit ihrem Baby haften.
Auf leisen Sohlen geht er auf die kleine Familie zu. Wido erhebt sich sachte und lässt sich von seinem Vater umarmen.
Gebannt sehen wir zu dritt zu, wie der Säugling an Maries Brust trinkt.
So klein, so zart. So ein junges Leben ist unfassbar! Geht es mir durch den Sinn.
„Ich glaube, Maya muss jetzt ein Bäuerchen machen“, holt Marie uns aus unseren Gedanken.
„Dustin, magst du die Kleine nehmen?“, fragt Marie.
Dustin blickt auf, als hätte ihn jemand gebissen! Etwas ängstlich nimmt er das kleine Mädchen und legt es an seine Schulter. Jetzt sehe ich, dass auch er feuchte Augen hat. Ich schüttele meinen Kopf, muss aber dennoch grinsen. Opa Wondering Bear! Er wird ein toller Opa sein, da bin ich mir sicher.
Erneutes Klopfen.
„Ja“, sage ich möglichst leise, um das Kind nicht aus seinem Frieden zu reißen. Frithjof steckt neugierig seinen Kopf zur Tür herein.
„Bin ich hier richtig? Es ist so still, ich dachte beinahe, ich wäre zu spät! Alle schon weg!“
In dem Moment schafft Maya ihr Bäuerchen. Klein und entzückend. Alle lachen, bemüht leise zu sein. Dustin setzt sich auf die Bettkante und hält die Kleine vor sich. Betrachtet sein Enkelkind.
Maya macht eine Schnute, verzieht das Gesicht holt ein paar tiefere Atemzüge und schreit dann los. Dustin steht sofort wieder auf, legt sie erneut an seine Schulter. Sanft schaukelt er sie hin und her, doch es hilft nichts, die Kleine schreit. Schnell reicht er sie Wido. Der gibt sie wiederum an Marie weiter. Die beiden sehen mich an. Ich sehe zu Frithjof rüber.
Der begreift sofort und streckt seine Hände nach Maya aus.
„Versuch du dein Glück“, sagt Marie und gibt sie ihm.
Er hält das schreiende Bündel vor sein Gesicht, während es zackige Strampelbewegungen in der Luft macht. Das Köpfchen ist in seinen Händen gestützt, die Daumen unter Mayas Armen.
„Na wer wird denn so einen Lärm machen“, sagt er und grinst das Kindchen breit an.
Auf der Stelle ist Ruhe. Er nimmt die Kleine in die Armbeuge und betrachtet sie eingehend.
„Die ist ziemlich niedlich, oder?“, er schaut in die Runde und nestelt an seiner Anzughose.
„Ich habe leider nur eins, das müsst ihr euch teilen.“
Frech reicht er Vater und Sohn ein Stofftaschentuch und zwinkert mir zu.
„Ich habe selber eins“, sagt Dustin und sucht die Tasche seiner Jeans ab.
Wido nimmt das Tuch mit einem Schmunzeln entgegen und tupft sich sein Gesicht ab.
Er sieht mich an: „Es hilft tatsächlich.“
„Klar“, sage ich, „Stoff hilft besser als Papier. Aber nur, wenn es von ihm kommt“, ich zeige lässig mit meinem Daumen auf Frithjof.
Der legt seinen freien Arm um mich und zieht mich zu sich ran. Grenzenloses Wohlbehagen überfällt mich. Kurz überdenke ich Widos Worte von vorhin, sehe uns als kleine Familie, verwerfe diesen Gedanken aber sofort wieder.
„Leider habe ich nicht viel Zeit. Ich muss gleich zum Dienst, vorher würde ich aber gern noch etwas essen, habt ihr Lust mitzukommen?“
Frithjof schaut in die Runde: „Hier im Haus gibt es bestimmt eine Kantine.“
Wido winkt ab: „Glaub mir einfach, das da unten ist nichts für dich.“
Dabei macht er ein begeisterungsloses Gesicht.
„Gut, wo wollen wir was essen? Irgendwelche Vorschläge?“
Wido sieht ihn frech an: „Wie wäre es, wenn du uns bei dir ein leckeres Rührei servierst?“
„Das war mir irgendwie klar, ist aber kein Problem, ich habe genug Eier im Haus. Marie, ist es in Ordnung, wenn ich die hier alle für ein Stündchen entführe?“
Marie nickt: „Fahrt nur. Ich bekomme auch gleich etwas und dann werde ich mich ein wenig ausruhen.“
Verdächtiges Geklapper ist schon am Flur zu vernehmen. Wido beugt sich zu Marie und verabschiedet sich kurz. Wir winken zum Gruß, dann ziehen wir gemeinsam los, um Frithjofs Kühlschrank von den Eiern zu befreien.
„Ich war lange nicht hier bei dir. Es sieht immer noch so provisorisch aus“, ich blicke mich um, in einer Ecke stehen ein paar Stapel Bücher auf dem Boden. Gegenüber ein weißer, klappbarer Stoffschrank, der Reißverschluss steht offen, die „Tür“ baumelt davor. Im Inneren hängen ein paar baugleiche schwarze Anzüge und weiße Hemden. Darunter sind T-Shirts und Unterwäsche ordentlich gestapelt und nach Farben sortiert.
Nicht schlecht, denke ich mir … Das schmale Bett wurde vor dem Verlassen der Wohnung, zur Couch umgebaut. Die Küchenecke strahlt penibel sauber und aufgeräumt.
„Die Hoffnung, dass es ein Provisorium ist, habe ich noch nicht aufgegeben“, Frithjof sieht mich ernst an.
Wido und Dustin stehen mit verschränkten Armen nebeneinander und betrachten mich bedeutungsvoll.
Ich fühle mich irgendwie ertappt und frage in die Runde: „Hat jemand Lust auf Rührei?“
Frithjof dreht sich zur Küchenzeile und öffnet kopfschüttelnd den Kühlschrank.
„Ich habe hier noch Schinken, was dagegen, wenn ich ihn mit hineingebe?“
„Ganz bestimmt nicht“, äußert Wido, „ich hole schnell vom Bäcker um die Ecke frisches Brot dazu. Hell oder dunkel?“
Dustin spitzt seine Lippen. Es scheint eine schwierige Entscheidung zu sein. Vernunft oder schlechtes Gewissen.
„Hell“, sagt er.
Ok, das schlechte Gewissen kann nicht so schlimm sein. Ich grinse vor mich hin. Wido verschwindet durch die Wohnungstür.
Dustin steht immer noch so da und mustert mich.
„Was hast du denn?“, frage ich ihn vielleicht eine Spur zu aggressiv.
„Nichts“, sagt er und wendet sich Frithjof zu. „Kann ich schon mal den Tisch decken?“
„Ja sicher, schau hier oben ist alles, was du brauchst“, dabei öffnet Frithjof einen Hängeschrank.
Ich gehe Dustin zur Hand. Sein kritischer Blick streift mich.
„Die Kleine geht mir nicht aus dem Sinn“, meint Frithjof und sieht kurz zu uns rüber, „so winzig und schon ein solches Organ! Dustin, du musst sehr stolz sein. Wirklich niedlich, die Kleine.“
Dustins Gesicht hellt sich auf. Im Geist bedanke ich mich bei Frithjof. Der grinst sich eins, die Nachricht ist also angekommen.
„Wäre das nicht auch was für dich, Otrun?“, stichelt er rum.
Muss das nun wirklich sein?
Ich atme tief durch: „Nun, du warst ja dabei, als Wido abgelehnt hat, oder?“
„Och, ich wüsste eine Alternative.“
„Ich nicht! Außerdem bin ich noch nicht soweit“, sage ich in dem Bewusstsein, dass das alles heißen kann.
Wir müssen das nicht vor Dustin besprechen! Denke ich mir an Frithjof gewandt.
Der grinst noch breiter, während die Eier in der Pfanne brutzeln.
Die Klingel schrillt und ich öffne die Tür. Wido kommt mit einem Arm voll Brot herein.
„Hmm, es riecht schon wunderbar.“
„Gleich ist das Essen fertig. Setzt euch schon mal hin.“
Wir nehmen Platz und Frithjof verteilt das Rührei. Ganz nebenbei hat er noch einen Tomatensalat gezaubert. Zufriedene Mienen am Tisch.
Dustin blickt nach dem ersten Bissen auf: „Wow, das ist kein normales Rührei, oder?“
Wido grinst: „Doch Papa, er kann`s einfach etwas besser, als andere.“
„Ah ja, ich verstehe“, nickt Dustin versonnen.
Ganz unvermittelt äußert er: „Ich muss ständig an Siegrun denken. Sie fehlt mir so sehr.“
Alle blicken auf.
Ich lege meine Hand auf seinen Arm: „Uns allen, Wondering Bear.
Aber es geht ihr gut, glaub mir. Und sie hat stets ein Auge auf dich“, ich lächele ihn an.
Dustin besucht mich jeden Abend auf der Lichtung, dennoch kann ich diese Lücke nicht auffüllen.
Mir geht ein Gedanke durch den Kopf: „Vielleicht kann ich dich mitnehmen, wenn ich mich mit meinen Ahnen treffe.“
In seinem Blick spiegeln sich freudige und zugleich ängstliche Erwartung.
„Ich werde sie fragen. Sie haben eine Menge Tricks und Kniffe auf Lager“, versuche ich es möglichst locker rüber zu bringen.
„Das würdest du tun?“
„Wenn du dich nicht fürchtest.“
„Doch, aber probiere es trotzdem“, seine Augen nehmen einen fiebrigen Glanz an. Frithjof sieht skeptisch zu mir rüber.
Es wird schon gut werden, sie war die letzten Jahre Dustins Lebenskraft! Es wird ihm gut tun, sie zu sehen.
Frithjof kneift leicht die Augen zusammen: Und all die anderen, werden sie ihn nicht erschrecken? Nicht, dass du ihm den Rest gibst, und er, als Verwirrter die Lichtung verlässt!
Ich halte den Gedanken nicht für abwegig. An mein erstes Mal erinnere ich mich sehr gut!
Nun, so grauenerregend sind sie auch wieder nicht.
Sie haben schon mal eine ziemlich spezielle Art, Otrun. Ich nicke ihm zu.
Stimmt, ich werde sie vorbereiten und zusehen, dass wir uns das eine Mal nur mit Siegrun treffen. Sollen die anderen sich zurückhalten! Das wird schon gehen.
Frithjof nickt und lächelt mich nachdenklich an.
„Na, fertig mit Lästern?!“ Wido sieht uns gespielt ärgerlich an.
„Ja Wido, du bist leider nicht so gut davon gekommen, aber das macht dir hoffentlich nichts aus“, ich lasse meine Augenbrauen tanzen und lache dabei, während ich mit meiner Hand seine Wange tätschele.
„Wer will den Rest?“, fragt Frithjof mit der Pfanne in der Hand.
Dustin und Wido tauschen Blicke.
„Nimm du, Wido. Ich esse noch die paar restlichen Tomaten.“
„Prima“, Wido grinst und hält Frithjof seinen Teller hin.
„Wo steckst du das nur immer hin?“, frage ich ehrlich erstaunt.
Wido quatscht drauf los, obwohl er schon wieder seinen Mund voll hat: „Otrun, junge Männer müschen immer viel eschen, schonscht werden schie gansch schwach und …“ Dabei fuchtelt er mit seiner Gabel in der Luft herum.
Ein kleines Eibröckchen fliegt im hohen Bogen durch den Raum.
Wir müssen alle über ihn lachen.
Dustin sieht Frithjof und mich entschuldigend an: „Ich weiß nicht, wann er sich solche Manieren angewöhnt hat.“ Frithjofs Handy läutet.
„Ja“
…
„Kann das niemand anderes übernehmen? In einer halben Stunde bin ich sowieso da.“
…
„Ist schon gut. Ich komme.“
Er klappt sein Handy zusammen. Frithjof ist deutlich anzumerken, dass ihm etwas nicht passt.
„Mein Bruderherz! Die Hummerlieferung ist gekommen. Er meint irgendetwas stimmt mit der Kühlung nicht. Ich soll ein Auge drauf werfen. Es tut mir wirklich leid, aber ich muss sofort los.“
„Fahr du ruhig“, sage ich aufmunternd zu ihm, „wir machen hier Ordnung und ziehen dann die Tür hinter uns zu.“
„Echt?“
Wido wirft sich in die Brust: „Mein lieber Freund, du hast uns das beste Rührei serviert, dann ist das doch wohl das Mindeste!“
Ich begleite Frithjof kurz zur Tür.
Er nimmt mich in die Arme: „Darf ich nach der Schicht zur Lichtung kommen?“
Mein Blut pulsiert in den Adern: „Komm ruhig, ich freue mich auf dich. Sollte ich schlafen, weck mich bitte.“
Er küsst mich sanft, „das werde ich auf jeden Fall tun“, kurz funkelt er mich aus seinen dunklen Augen an. Dann richtet er sich an Wido: „Vergiss nicht, den Eikrümel aufzuheben!“
Ein inniger Kuss, und schon verschwindet er im nächsten Augenblick.
Ich drehe mich zu den beiden Delshays, die natürlich nichts mitbekommen haben und klatsche in die Hände: „Aufräumen, meine Herren!“
Die Ordnung ist schnell wieder hergestellt. Danach fahren wir ins Krankenhaus zurück. Als wir in das Zimmer kommen, schläft Marie tatsächlich.
„Ich werde mir ein Taxi rufen“, flüstere ich.
„Honey, ich bringe dich nach Hause. Mein Sohn, dann kannst du hier bleiben“, Dustin sieht freundlich in die Runde, „ich muss jetzt sowieso langsam los.“
Zum Abschied nehme ich erst Wido kurz in den Arm, dann bekommt Maya ein Küsschen auf die Stirn. Dustin öffnet die Tür und ich folge ihm leise aus dem Zimmer.
„Eine kleine Maya“, nuschelt Dustin vor sich hin und schüttelt seinen Kopf, nun sieht er mich zugleich abschätzend und bewundernd an:
„Der Name kommt von dir, hm? Es ist nicht lange her, da fragte ich die beiden, wie das Kind nun heißen soll. Doch sie meinten, sie hätten sich noch keine Gedanken gemacht! Ich empfand das als sehr merkwürdig. Eben war mir sofort klar, dass du einen Namen aus dem Hut zaubern solltest. Stimmt doch, Honey? Oder?“
Still lächele ich ihm zu.
Er nickt knapp: „Ich hatte mir damals so sehr ein Mädchen gewünscht“, einen Augenblick hält er an sich.
Kopfschüttelnd meint er: „Du kannst mir glauben oder auch nicht, Honey, ich wollte sie damals Maya nennen. Wusstest du, dass Maya die Strahlende bedeutet? Na ja, ich bekam einen Wido in meine Arme gelegt. Der kleine Kerl hat mich wirklich sehr glücklich gemacht.“
„Davon wusste ich nichts, Dustin“, antworte ich erstaunt.
„Davon wusste niemand, außer Irina. Und die führt ihr eigenes Leben. Es war ihr sogar einerlei, dass ihr Sohn Vater wird. Sie meinte bloß: Nun, er ist eben erwachsen.“
Dustin atmet schwer.
Ich lege meine Hand auf seinen Arm: „Die Kleine hat mir ihren Namen zu gehaucht.“
„Ich glaube dir, Otrun. Die Wege des Schicksals sind, für uns nichtsahnende Menschen, nur schwer zu begreifen. Vielleicht weiß die Kleine das alles. Unterbewusst natürlich!“
„Hast du mich eben deswegen so gemustert?“, frage ich nun gerade heraus.
„Teilweise … Honey, manchmal bist du mir so nah, wie die Tochter, die ich mir in einem früheren Leben so sehr wünschte.
Doch ein anderes Mal verstehe ich dich überhaupt nicht.“
Mit einem leicht verzweifelten Gesichtsausdruck sieht Dustin mich kurz an, wendet seinen Blick jedoch schnell wieder auf den Weg.
„Was soll ich dir erklären?“, ich kann mir schon denken, was jetzt kommt, doch will ich es ihm nicht zu leicht machen.
Es entsteht eine kleine Pause. Dustin atmet tief durch.
„Hm? Frag ruhig“, muntere ich ihn auf und habe ein ganz kleines schlechtes Gewissen dabei.
Am Wagen angekommen, schließt er die Tür auf. Ohne ein Wort startet er den Motor und gemeinsam rollen wir vom Parkplatz.
Wir sind beide still, bis wir die Lichtung erreicht haben.
„Dustin, du hast doch was.“
Ich schaue ihn von der Seite an: „Komm mit, ich bereite uns beiden einen Tee.“
Ich beobachte, wie er ablehnen will, sich jedoch im letzten Moment anders entscheidet. Dustin sieht mich an und nickt mir bedeutungsvoll zu.
Gemeinsam gehen wir den schmalen Pfad entlang. Er steuert die Feuerstelle an, ich hole eine Kanne, bestückt mit Kräutern aus meiner Hütte.
Schweigsam sitzen wir am knisternden Feuer. Ich kenne Dustin jetzt gute acht Jahre und weiß genau, dass es dauern kann, bis er redet. Aber er wird ganz sicher sein Herz erleichtern.
„Hast du dir die kleinen Fingerchen angeschaut?“, unterbreche ich die Stille mit Frithjofs Taktik.
Er sitzt bewegungslos da. Würde er nicht plötzlich lächeln, hätte ich fast vermutet, dass er mich nicht gehört hat.
Sein Blick in die Flammen gerichtet, fragt er: „Honey, was stört dich an Frithjof?“
Aha, endlich!
„Nichts, ich mag ihn gern. Ich denke, ich liebe ihn sogar“, ich spiele mit meinen Fingern, überlege, wie ich mich ihm begreiflich machen kann, wo ich mich doch selbst kaum verstehe.
„Wido übrigens auch.“
Jetzt sieht er mich entsetzt an.
„Ja, ich liebe deinen Sohn noch immer, und er mich, und trotzdem hat es nicht funktioniert. Vielleicht habe ich aus diesem Grund Angst, es wieder zu vermasseln.“
„Wie lange ist das jetzt her?“, fragt Dustin.
„Fast sechs Jahre, dennoch hinterlässt er Feuerspuren auf meinem Körper, wenn er nur seinen Arm um mich legt.“
„Und Frithjof?“
„Auch!“
Dustin schüttelt seinen Kopf.
„Dann entscheide dich für Frithjof, er ist ein wirklich guter Mann für dich. Er versteht dich besser, als jeder andere und ist eine wirklich imposante Erscheinung. Ein Mann mit ungeheurer Zauberkraft.“
„Ja, und er liest ständig in meinen Gedanken! Das ist nicht immer lustig!“
„Honey, du musst doch sehen, dass deine Bindung zu Frithjof etwas ganz Besonderes ist! Wie kannst du nur so blind sein! Außerdem, mit Wido hat es ja schon einmal nicht geklappt. Nimm dir Frithjof.“
„So einfach ist das nicht, Dustin. Ich lebe hier mein eigenes Leben. Mit meinen Ahnen, das ist ja schon lange kein Geheimnis mehr! Glaubst du wirklich, Frithjof könnte damit zurechtkommen?“
Dustin sieht mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an: „Wenn nicht er, wer dann?“
Ich gebe zu, dass war der völlig falsche Ansatz!
Ein wenig ärgerlich auf mich selbst, äußere ich: „Vielleicht hast du recht. Aber ich möchte mein Leben, so wie es jetzt gerade ist, nicht aufgeben. Wenn ich arbeiten will, sei es auch mitten in der Nacht, so arbeite ich. Will ich meine Familie rufen, dann tue ich das. Ich richte mir meine Tage ein, wie es mir gerade passt. Ich habe keine Lust, mich in irgendeinen Rhythmus zwängen zu lassen.“
„Du könntest probieren, ob ihr harmoniert“, das Feuer knistert, „ich denke, allein durch seinen Beruf, wirst du alle Freiheiten bekommen, die du brauchst.“
„Ich weiß nicht. Und ich werde nichts unternehmen, bevor ich mir nicht sicher bin.“
Gestresst reibt sich Dustin die Stirn: „Es gibt noch etwas, was mir seit eben nicht mehr aus dem Kopf geht.“
Ich sehe Dustin aufmunternd an: „Und das wäre?“
Er streicht sich eine graue Strähne hinter sein Ohr, die sich aus dem Zopf gelöst hat:
„Bestimmt habe ich etwas falsch verstanden.“
Jetzt sieht er mir sehr aufgewühlt und skeptisch ins Gesicht. Er druckst ein wenig rum, bevor er es aussprechen kann:
„Du hast Wido wirklich gefragt, ob er dir ein Kind macht?“
„Nun, ich hatte es netter ausgedrückt, aber der Sinn war der gleiche. Es war um Weihnachten herum“, ich muss grinsen.
Dustin sieht mich mit großen Augen an: „Wido ist ein glücklich verheirateter Mann, was denkst du dir dabei?“
„Ich hätte trotzdem gern ein Kind von ihm, aber noch nicht jetzt! Meiner Meinung nach kann ich mir noch sehr viel Zeit nehmen.“
„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, Dustin sieht mich streng an.
„Ja, stimmt. Wir lieben uns doch, warum sollten wir kein gemeinsames Kind haben? Ich meine, ich würde mich hier sowieso allein darum kümmern“, ich beobachte, wie ihm seine Gesichtsfarbe entweicht.
Trotzdem rede ich weiter: „Die Gene deines Sohnes vermischt mit meinen, das könnte doch die perfekte Kombination ergeben. Er hat einen ausgeglichenen, sanften Charakter und sieht dabei auch noch ausgesprochen gut aus. Frithjof ist schon mal unberechenbar, ich glaube kaum, dass ich mit ihm ein Kind möchte.“
Dustin gießt uns beiden Tee nach: „Aber wie gesagt, er hat viel Zauberkraft.“
„Ein Grund mehr, mich nicht mit ihm zu verbinden, meinst du nicht?“
Er blickt von seiner Tasse auf. „Das musst du mir erklären.“
„Ich weiß nicht, aber wenn sich zu viel Kraft vereint, könnte es auch ein bisschen viel des Guten werden. Sowohl Frithjof als auch ich, wir müssen uns ständig zusammennehmen, um unsere Kraft in positiven Bahnen zu leiten. Ich bin auch nicht einfach so die Gute. Von ihm ganz zu schweigen. Ich vermute, du erinnerst dich an die Umstände, wie wir Frithjof kennengelernt haben!“
Dustin ist still, trinkt von seinem Tee und schaut ins Feuer.
Ich nehme einen großen Schluck und schenke mir nochmals nach.
Dustin sieht mich ruhig an: „Honey, das ist schon lange her. Sehr lange.“
„Ja, aber dieser Mann ist so launisch … Nein Dustin, ich liebe ihn, aber dennoch weiß ich genau, dass wir noch nicht soweit sind.
Hast du gesehen, was Frithjof für eine Ordnung hält? Mal ehrlich!“
„Ja habe ich. Otrun, das ist doch nichts Schlechtes. Bei Frithjof ist alles genau strukturiert. Er ist ein Mann, an den du dich anlehnen kannst.“
„Das tue ich hin und wieder - oder auch öfter mal. Dafür muss er nicht hier auf der Lichtung wohnen. Kannst du dir vorstellen, wie hier an der Feuerstelle alles in Reih und Glied steht? Also ich nicht!“
Dustin blickt ins Feuer: „Du redest Unsinn, Honey. Was du dir ausdenkst, wird nicht passieren. Du willst einfach deine Ruhe und keine Veränderung.“
Er zuckt mit den Schultern: „Ist ja nicht verwerflich! So haben es die Menschen am liebsten, wenn sie sich gerade wohlfühlen.
Doch du solltest über unser Gespräch noch einmal nachdenken.
Und hast du wirklich nicht gesehen, wie Frithjof Maya gehalten hat? Er wäre ein wirklich guter Vater. Das kann keiner spielen …“
Ich schüttele kategorisch meinen Kopf. „Sollte ich ein Kind bekommen, dann von Wido. Das ist mein letztes Wort“, sage ich und sehe mir ebenfalls das Spiel der Flammen an.
Erneut Stille.
Dustin schüttelt verdrossen seinen Kopf und atmet geräuschvoll aus.
Ok, es ist noch nicht ausgestanden!
Wir warten scheinbar beide, dass der andere als Nächstes spricht.
Das Feuer knackt, ich lege noch etwas Holz nach.
„Siegrun hat es übrigens auch nicht viel anders gemacht.“
Dustins Kopf fährt in die Höhe.
„Ihr Mann hatte schon lange das Weite gesucht. Mathilde ist das Ergebnis eines Onenightstand mit einem netten, na ja, nach Siegruns Aussage, mit einem ganz besonders netten Durchreisenden.“
Dustin sieht mich entsetzt an: „Warum erzählst du mir das, Otrun! Willst du Siegrun ihren Zauber nehmen?“
„Nein Dustin, ich möchte ganz einfach, dass du die Wahrheit kennst und mich vielleicht ein bisschen besser verstehst. Sie war deswegen trotzdem meine liebste Oma. Und auch ich werde, sollte ich das so machen, wie ich im Moment denke, kein schlechterer Mensch sein, als jetzt. Vielleicht sehen wir, Siegrun und ich, manche Dinge ein bisschen anders. Sie hat das übrigens überhaupt nicht bereut. Meine Oma war sehr glücklich und hat es genossen, ihre Tochter bedenkenlos in ihrem Sinne zu erziehen, sie vom Kleinkindalter an, in die Dinge einzuweisen. Diese Freiheit hatte Mathilde nicht!“
Stille.
Dustin muss sich räuspern. „Du verlangst nicht von mir, dass ich das gut finde, oder?“
„Nein, natürlich nicht. Doch vielleicht verstehst du mich etwas besser, wenn sich der erste Schock gelegt hat. Schlaf ein paar Nächte drüber.“
Ich sehe ihn unverhohlen an: „Ehrt es dich denn kein bisschen, dass ich deinen Sohn für die bestmögliche Partie halte?“
Um meinen Worten ein wenig die Schärfe zu nehmen, lache ich ihn an.
Er sagt ernst: „Honey, ich werde sehen, was in meiner Macht steht.“
Ich lächele zufrieden: „Ich werde mit Siegrun beratschlagen, wie wir Wondering Bear eine Freude machen können.“
„Meinst du das im Ernst?“
„Glaube mir, irgendeine meiner Omas, weiß einen Weg, das kann ich dir sicher versprechen! Sie waren nicht alle so brav, wie Siegrun. Du musst dich dann nur darauf einlassen.“
Es dämmert.
„Wir haben diesen Tag ganz schön vertrödelt, nicht wahr Honey?“, Dustin sieht auf seine Uhr, dann scheint er wieder irgendetwas in den Flammen zu suchen.
„Versprich mir, dass du nicht Widos Ehe gefährdest.“
„Dustin, glaube mir bitte, das ist das Letzte, was ich möchte. Ich will Wido auch glücklich sehen, so wie du. Ich liebe ihn! Ich gebe dir mein Wort.“
Dustin dreht sich in Richtung Stellplatz: „Ein Auto kommt, erwartest du noch jemanden?“
Ich stehe vom Feuer auf und gehe auf den schmalen Weg zu:
„Nein eigentlich nicht. Frithjof wird erst viel später kommen.“
Scheinwerfer erlöschen.
Ich höre, wie sich eine Wagentür schließt.
Jemand kommt schnellen Schrittes auf mich zu, es ist …
Manfred.
Er nimmt mich fest im seinen Arm. Er zittert. Ich spüre, etwas Schlimmes muss passiert sein.
„Was ist mit Mama?“, ich ahne nichts Gutes.
Papa bringt kein Wort heraus. Ich versuche ihn zu beruhigen.
Ganz langsam wird er lockerer.
Ich sehe in sein Gesicht. Das ist jetzt tränennass.
„Komm Papa, wir setzen uns ans Feuer.“
Ich nehme ihn bei der Hand und führe ihn zu Dustin. Der schaut uns erschreckt an, als er Manfreds Gesicht klar erkennen kann.
Sofort steht er auf und holt noch eine Tasse aus meiner Hütte.
Ich lege Papa eine meiner Decken um die Schultern und lasse ein paar Augenblicke verstreichen. Dustin füllt die Tasse und hält sie Manfred mit einem Kopfnicken hin. Mit zittrigen Händen greift Papa nach dem Tee.
Langsam wird mir klar, was passiert sein muss, auch ohne, dass Papa spricht.
„Mama ist tot, nicht wahr?“, frage ich in der Hoffnung, nicht recht zu behalten.
Papa starrt in die Flammen. Stille, nur leises Knacken. Ein paar Funken stieben in den Himmel, um dort zu verglühen.
Ganz langsam nickt er, als hätte er zuerst darüber nachdenken müssen, ob es denn nun wirklich stimmt.
Dustin reibt sich mit den Handflächen sein Gesicht: „Ich fühle mich schuldig!“
Manfred und ich sehen ihn entsetzt an.
Papa sagt mit belegter Stimme: „Sie hatte einen Verkehrsunfall. Dustin, du hast damit nichts zu tun.“
„Meine Enkeltochter ist vor wenigen Stunden zur Welt gekommen.“
„Glückwunsch“, antwortet Papa und ringt sich ein Lächeln ab.
Dustin schaut durch das Feuer in die Ferne: „Eine kommt, eine geht. Alles liegt so dicht beieinander!“
„Dennoch hat es nichts mit dir zu tun, Dustin“, ich sehe ernst zu ihm rüber.
Er weicht meinem Blick aus.
„Otrun“, gequält sieht Papa mich an.
Nur einen Augenblick, dann wendet er sich erneut den Flammen zu: „Mathilde wünscht sich, dass du für sie tust, was du auch für Siegrun getan hast.“
Mein Magen krampft sich zusammen. Erst seit kurzer Zeit träume ich nur noch selten davon. Ich hole tief Luft.
„Sie bewunderte dich sehr dafür. Mathilde sagte ganz offen, dass sie niemals den Mut aufgebracht hätte.“
Nun schaut er mich direkt an. In seinem Gesicht tanzt der Schein des Feuers: „Sie hat die Möglichkeit weiter zu existieren, wie auch immer. Sie kann bei Siegrun sein …“, seine Augen werden flehend.
„Ich weiß das, Papa. Natürlich kümmere ich mich darum. Aus Liebe zu ihr.“
Jetzt ist es raus, ich habe das Gefühl, in ein Loch zu fallen.
„Was musst du tun, Honey?“, fragt Dustin mich besorgt.
Vermutlich habe ich gerade sämtliche Gesichtsfarbe verloren.
Ich lehne mich erschöpft zurück und schüttele meinen Kopf, winke ab: „Da kann ich nicht drüber sprechen, mein lieber Freund. Es ist nicht leicht, doch ich werde es auch ein zweites Mal schaffen. Wo finde ich sie?“
„Sie liegt im St. Michaels Krankenhaus.“
„Immerhin ein anderer Ort, andere Menschen, mit denen ich es zu tun bekomme.“
Ich lege meine Hand auf Papas Bein: „Ich werde mich auch selbst um die Verbrennung kümmern, dann kann ich auch dort Einfluss nehmen.“
Jetzt legt er seinen Arm um meine Schulter: „Danke, mein liebes Kind. Ich mute dir das nur sehr schweren Herzens zu.“
„Ich weiß, Papa.“
Ich sitze da, wie das personifizierte Elend. Dustin kommt auf meine andere Seite: „Wenn ich dir irgendwie helfen kann …“
„Ehrlich?“
Dustin nickt.
„Ich werde deine Hilfe wohl annehmen … Mal sehen, ich weiß noch nicht. Vielleicht …, ach, ich werde es schon schaffen, sonst rufe ich dich.“
Dustin nickt erneut und legt seinen Arm von der anderen Seite um mich.
Wir sitzen einfach nur da und erholen uns von den Neuigkeiten.
Das Blut pulsiert an meinen Schläfen, mein Kopf surrt. Ein gewaltiger Abgrund baut sich vor mir auf.
„Honey! Auf deiner Stirn steht der kalte Schweiß!“
Fahrig wische ich mit meinem Ärmel darüber: „Es ist nichts …“
„Ich werde bei dir sein, Honey. Das verspreche ich dir.“
Ich lehne mich an ihn: „Danke.“
Mehr ist im Augenblick nicht zu sagen.
Das Motorengeräusch holt uns in das Hier und Jetzt zurück. Es ist mir wohl vertraut. Das ist ganz sicher Frithjofs Porsche. Ich freue mich, dass er da ist. Er weiß meine Seele zu erleichtern.
Dustin fragt knapp: „Frithjof?“
Ich nicke.
„Er ist früh dran, nicht wahr?“ Ich nicke wieder und nun bin ich dabei, mir ein Lächeln abzuringen.
Frithjof kommt zügig zu uns, bleibt hinter uns stehen und legt seine Arme um uns alle.
Das wäre sicher ein hübsches Gruppenfoto, geht mir durch den Sinn.
Doch wird mein Herz sofort leichter. Auch, wenn mir klar ist, dass es nicht echt ist, so tut es trotzdem gut.
Dustin räuspert sich: „Ich lasse euch jetzt allein. Otrun, morgen früh sehe ich nach dir, in Ordnung?“
„Ja Dustin, ich bin froh, wenn du kommst“, bevor er aufsteht, schenke ich ihm ein Lächeln: „Und sei nicht sauer wegen vorhin.“
Er nickt ernst, hebt noch kurz zum Gruß die Hand, dann verschwindet er in der Dunkelheit.
Frithjof nimmt seinen Platz ein.
Ich räuspere mich, um meine Stimme zu kontrollieren: „Wie kommt es, dass du so früh bist? Ich habe dich Stunden später erwartet.“
Frithjof beugt sich vor um einen Scheit Holz nachzulegen.
„Siegrun hat mich geholt. Sie sagte, dass sie nicht zu dir durchkommt, dass es dir schlecht geht.“
„Du kommunizierst mit ihr?“, erstaunt schaue ich zu ihm hoch.
„Sie kommuniziert mit mir! – Schon seit einiger Zeit. Sie sucht mich in meinen Gedanken auf.“
„Mann oh Mann, ist das alles verrückt“, äußert Papa auf meiner anderen Seite.
Ich muss grinsen, auch wenn mir bewusst ist, wie unpassend das ist: „Und, wie ist sie so?“
Frithjof atmet geräuschvoll aus: „Streng.“
Jetzt fängt auch Manfred an zu gickeln. Er hält sich die Hand vor den Mund und schüttelt den Kopf: „Mit mir war sie auch immer streng! Sie war nie begeistert von mir.“
Ich sehe Frithjof an: „Mama ist tot.“
Frithjof nickt mir stumm zu. Ich bemerke, wie Manfred langsam wieder die Fassung verliert. Er starrt still ins Feuer und kämpft gegen die Tränen.
„Otrun, mein Schatz, ich denke, ich fahre jetzt lieber nach Hause.“
„Bleib doch, wir haben hier genug Platz. Du musst dich jetzt nicht hinters Steuer setzen.“
„Ach Otrun, wir sehen uns morgen, hm?“
„Ja Papa, nimm dir die Decke mit. Sie wird dir helfen. Und bitte fahr vorsichtig.“
Manfred steht auf: „Danke mein Kind, ich nehme sie gerne. Und danke auch dir, Frithjof, du warst so schnell da! Was machen die jetzt in der Küche ohne dich?“
„Sie werden schon zurechtkommen, denke ich“, sagt Frithjof an Manfred gewandt.
„Gute Nacht, ihr beiden“, wünscht Papa uns aus der Dunkelheit.
Kurz darauf höre ich, wie er seinen Wagen startet.
„Und, was machen wir jetzt, Prinzessin?“ Ich lehne mich an ihn, lasse mich fallen. In seinem Arm geht es mir gut. Ich denke an Widos und an Dustins Worte.
Frithjof streicht mir übers Haar: „Du wirst von allen Seiten bearbeitet, nicht wahr?“
„Du Lauscher!“, das Lächeln in meiner Stimme lässt sich nicht verbergen, doch der Ernst der Situation lässt nicht lange auf sich warten:
„Ich werde wieder diesen ganzen schrecklichen Horror durchleben!“, ich drücke mich an ihn.
Frithjof verstärkt seine Umarmung:
„Du darfst es nicht als Horror betrachten. Sieh es einfach als nötige Maßnahme, die nun mal erledigt wird. Denke daran, was für einen unschätzbaren Dienst du deiner Mutter erweist. Versuche Glück dabei zu empfinden.“
„Das hört sich aus deinem Mund gut an, aber was du da sagst, ist völlig krank! Ich werde ganz sicher kein Glück dabei empfinden, glaub mir.“
„Darf ich dir helfen?“
„Dustin hat auch schon seine Hilfe angeboten, aber er weiß noch weniger darüber, als du. Ich werde es allein schaffen.“