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In "Gesammelte Literaturkritiken" versammelt Ernst Weiß eine prägnante Analyse bedeutender literarischer Werke und ihrer Schöpfer. Die Essays behandeln zentrale Figuren wie Franz Kafka, dessen biographische Tragödie und literarische Innovationen in Weiß' charakteristisch präziser Prosa lebendig werden. Durch die Erkundung von Thomas Manns "Der Zauberberg" und den modernen Klassiker Hemingway wird deutlich, wie tiefgreifend psychologische und soziale Themen in die Literatur eingewoben sind. Diese Sammlung, die auch Betrachtungen über Rousseau, Cervantes und Kleist enthält, spiegelt Weiß' ethische und ästhetische Überlegungen wider und ist dabei in einem klaren, scharfen Stil verfasst, der seine tiefgehende Analyse untermauert. Ernst Weiß, geboren 1882 in Prag, war nicht nur ein angesehener Schriftsteller, sondern auch ein scharfsinniger Literaturkritiker. Sein eigenes Leben, geprägt von der Suche nach Identität und einem tiefen Verständnis für das menschliche Dasein, spiegelt sich in seinen kritischen Arbeiten wider. Als Zeitgenosse Kafka und Manns hat er die literarischen Strömungen seiner Zeit intensiv studiert, was ihm eine einzigartige Perspektive auf die Klassiker der Moderne verleiht. Diese Sammlung von Kritiken ist nicht nur für Literaturwissenschaftler von Bedeutung, sondern auch für jeden, der ein tieferes Verständnis für die großen Meister der Literatur entwickeln möchte. Weiß regt dazu an, die psychologischen und kulturellen Dimensionen der behandelten Werke zu erkunden und sie in einen zeitgenössischen Rahmen zu setzen. Ein unverzichtbares Buch für alle Liebhaber der Literatur und deren vielfach komplexer Bedeutungen. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine umfassende Einführung skizziert die verbindenden Merkmale, Themen oder stilistischen Entwicklungen dieser ausgewählten Werke. - Ein Abschnitt zum historischen Kontext verortet die Werke in ihrer Epoche – soziale Strömungen, kulturelle Trends und Schlüsselerlebnisse, die ihrer Entstehung zugrunde liegen. - Eine knappe Synopsis (Auswahl) gibt einen zugänglichen Überblick über die enthaltenen Texte und hilft dabei, Handlungsverläufe und Hauptideen zu erfassen, ohne wichtige Wendepunkte zu verraten. - Eine vereinheitlichende Analyse untersucht wiederkehrende Motive und charakteristische Stilmittel in der Sammlung, verbindet die Erzählungen miteinander und beleuchtet zugleich die individuellen Stärken der einzelnen Werke. - Reflexionsfragen regen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit der übergreifenden Botschaft des Autors an und laden dazu ein, Bezüge zwischen den verschiedenen Texten herzustellen sowie sie in einen modernen Kontext zu setzen. - Abschließend fassen unsere handverlesenen unvergesslichen Zitate zentrale Aussagen und Wendepunkte zusammen und verdeutlichen so die Kernthemen der gesamten Sammlung.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Diese Ausgabe versammelt unter dem Titel „Gesammelte Literaturkritiken: Franz Kafka, die Tragödie eines Lebens + Thomas Mann, der Zauberberg + Giacomo Casanova + Ernest Hemingway + Rousseau + Cervantes zu Ehren + Kleist als Erzähler und mehr“ die kritischen Texte von Ernst Weiß zu maßgeblichen Werken verschiedener Epochen und Nationen. Ziel ist nicht die Präsentation vollständiger Romane oder Dramen, sondern die Bündelung von Essays, Rezensionen und Porträts, in denen Weiß dichterische Verfahren, geistige Horizonte und die ethische Temperatur der Literatur prüft. Die Auswahl reicht von Thomas Manns „Der Zauberberg“ und Kafkas „Der Prozeß“ bis zu Casanovas Memoiren, Hemingway und klassischen Bezugspunkten wie Rousseau, Cervantes und Kleist.
Die hier verhandelten Texte repräsentieren ein breites Spektrum literarischer Gattungen und Formen. Neben großen Romanen und Romanzyklen – etwa „Manhattan Transfer“, „Zeno Cosini“, „Vom Winde verweht“ oder „Ungeduld des Herzens“ – finden sich Erzählungen und Novellen von Tschechow und Leskow, gesellschaftskritische Chroniken bei Fallada, Reger und Sinclair Lewis sowie dichterische und essayistische Konstellationen wie Valérys „Herr Teste“. Biographische und autobiographische Werke – Eve Curies „Madame Curie“, Zweigs „Joseph Fouché“ und „Magellan“, Dreisers „Das Buch über mich selbst“, Casanovas Erinnerungen – ergänzen das Feld und eröffnen Perspektiven auf Lebensschicksale, die Literatur und Geschichte verschränken.
Inhaltlich erkundet Weiß wiederkehrende Problemfelder der Moderne und ihrer Vorläufer: die Prüfung des Individuums im Spannungsfeld von Gesellschaft, Macht und Gewissen, die Fragilität von Identität und Sprache, die Verheißungen und Zumutungen des Fortschritts. Themen wie Sucht und sozialer Abstieg bei Jack London, urbane Beschleunigung bei Dos Passos, religiöse und moralische Konflikte bei Werfel, politische und ökonomische Verdichtung bei Lewis oder die Erfahrung von Gewalt und Zerstörung in Darstellungen des Krieges und der Diktatur rahmen das Panorama. Kafkas existentielle Konstellationen und Manns kulturanalytischer Zugriff bilden Fixpunkte, an denen sich weitere Lesarten schärfen.
Weiß nähert sich seinen Gegenständen mit der doppelten Kompetenz des Arztes und Schriftstellers: einer diagnostischen Aufmerksamkeit für Details und einer erzählerischen Sensibilität für Ton und Form. Seine Kritik vermeidet vorschnelle Lehrsätze; sie tastet, vergleicht, kontrastiert und lässt ästhetische Verfahren – Montage, Perspektivenwechsel, Innenschau, dokumentarische Verdichtung – in ihrem jeweiligen historischen Kontext sichtbar werden. Dabei wahrt sie die Balance zwischen Nähe und Distanz: empathisch gegenüber Figuren- und Autorintentionen, zugleich unerbittlich im Benennen von blinden Flecken. Die Texte sind so angelegt, dass sie Orientierung geben, ohne das Eigene des Lesens zu ersetzen.
Der geographische Horizont der Sammlung ist weit gespannt. Die deutschsprachige Literatur – Gerhart und Heinrich Mann, Thomas Mann, Franz Werfel, Stefan Zweig, Hans Fallada, Erik Reger – tritt in Dialog mit der französischen (Radiguet, Duhamel, Chateaubriant, Valéry), der angloamerikanischen (Jack London, John Dos Passos, John Galsworthy, Theodore Dreiser, Ernest Hemingway, Sinclair Lewis, Margaret Mitchell) und der italienischen (Italo Svevo) Tradition. Russische und osteuropäische Stimmen wie Tschechow, Leskow, Sergej Tretjakow und A. H. Tammsaara erweitern die Perspektive; die klassische Referenz auf Cervantes setzt einen historischen Resonanzboden, vor dem moderne Verfahren sich profilieren.
Zeitlich reicht das Spektrum von frühneuzeitlichen und aufklärerischen Grundlagen bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Auseinandersetzungen mit Rousseau, Cervantes und Kleist stiften Vergleichsachsen, entlang derer sich realistische und symbolistische Traditionen, psychologische Vertiefung und formale Innovation beurteilen lassen. Im Zentrum stehen viele Werke der Zwischenkriegszeit, in denen sich gesellschaftliche Umbrüche, technische Neuerungen und ideologische Spannungen niederschlagen. So werden Erzählformen wie Chronik, Mosaik, innerer Monolog oder parabelhafte Verdichtung nicht isoliert betrachtet, sondern als Antworten auf veränderte Wahrnehmungsweisen und politische Erfahrungen verstanden.
Die anhaltende Bedeutung dieser Sammlung liegt in der Verknüpfung von genauer Textbeobachtung und verantwortlicher Urteilskraft. Weiß bietet keine abschließenden Deutungen, sondern gut begründete Lektüren, die Unterschiede ernst nehmen und Zusammenhänge sichtbar machen. Wer die Essays liest, gewinnt Maßstäbe für Formfragen, für die Darstellung von Macht, Intimität und Öffentlichkeit, für die Spannung zwischen Selbstbehauptung und Mitgefühl. Die Beiträge sind so komponiert, dass sie ohne Vorwissen zugänglich bleiben und zugleich vertiefte Anschlüsse ermöglichen. Sie laden ein, die genannten Werke erneut und eigenständig zu befragen – im Bewusstsein ihrer historischen und gegenwärtigen Relevanz.
Ernst Weiß, 1882 in Brünn geboren, vereint in dieser Sammlung Kritiken, die zwischen den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts entstanden. Als Arzt und Romancier, geprägt von Prag, Wien, Berlin und dem Pariser Exil, beobachtete er europäische und amerikanische Literatur mit klinischer Präzision. Der Bogen reicht von Aufsätzen zu Cervantes und Kleist über Essays zu Casanova, Kafka und Thomas Mann bis zu Stimmen der Moderne wie Dos Passos, Valéry, Svevo, Hemingway und Fallada. Die Auswahl spiegelt eine Epoche, in der politische Krisen, technische Beschleunigung und soziale Verwerfungen die Formen des Erzählens veränderten und die zeitgenössische Rezeption in Feuilletons und Verlagen strukturierten.
Der Erste Weltkrieg (1914–1918) und seine Nachwirkungen bilden das Gravitationszentrum vieler diskutierter Werke. Die Sanatoriumswelt in Thomas Manns Der Zauberberg (1924) kondensiert ein Europa im Wartesaal der Katastrophe, während Hemingways In unserer Zeit (1925) und Dos Passos’ Manhattan Transfer (1925) die Verwundungen und Entfremdungen einer Generation in fragmentierten Formen ausdrücken. Auch Raymond Radiguets provokative Jugendromane spiegelten Nachkriegsleidenschaften und Normbrüche. Tschechows Der schwarze Mönch gewann im Rückblick den Rang eines modernen Vorläufers. Die Leserinnen und Leser der Zwischenkriegszeit suchten in diesen Büchern Orientierung zwischen Fronttrauma, Inflationsschock und pandemischen Erfahrungen, was Kritiker wie Weiß zu einer nüchternen, diagnostischen Lektüre ermutigte.
Die politische und soziale Dynamik der Weimarer Republik (1918–1933) rahmt einen Großteil der Auswahl. Berlin als Medienmetropole mit Verlagen wie S. Fischer und Rowohlt und einem dichten Feuilletonbetrieb prägte Ton und Tempo der Debatten. Die Hyperinflation von 1923 und die Weltwirtschaftskrise nach 1929 lieferten reale Hintergründe für Romane über Korruption, Arbeitskämpfe und Provinzpolitik, etwa bei Hans Fallada oder Erik Reger; zugleich reflektierten Gerhart Hauptmanns späte Bücher den Traditionsbruch im Naturalismus. In diesem Klima verhandelten Kritik und Leserschaft ästhetische Innovationen stets als gesellschaftliche Diagnose, wozu Weiß’ medizinischer Blick auf Symptome, Milieus und Machtasymmetrien produktiv beitrug.
Mit der Etablierung autoritärer Regime – 1922 in Italien, 1933 im Deutschen Reich, 1938 mit Anschluss und Zensurverschärfungen – politisierten sich auch erzählerische Verfahren. Thomas Manns Mario und der Zauberer (1930) las sich als frühzeitige Parabel auf Verführung und Masse; Stefan Zweigs Joseph Fouché (1929) seziert Opportunismus und Herrschaftspsychologie als Spiegel der Gegenwart. Alfred Wolfensteins Hier schreibt Paris dokumentierte zugleich die Rolle der Seine-Metropole als Schaufenster und Zuflucht. Für jüdische und oppositionelle Autorinnen und Autoren verschoben sich Produktions- und Publikationswege ins Exil, insbesondere nach Prag, Wien, Zürich und Paris. Weiß, seit 1933 in Paris, rezensierte unter dem Druck von Bücherverboten und Emigrantennetzwerken, was die Tonlage seiner Urteile verschärfte und historisierte.
Der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939) wurde zum Prüfstein politischer Literatur. Willi Bredels Begegnung am Ebro und Hermann Kerstens Die Kinder von Gernika reagieren unmittelbar auf Schlachtfelder und Bombardierungen; der Angriff auf Gernika im April 1937 symbolisierte die neue Luftkriegsstrategie. Reportage, Dokument und Roman gingen ineinander über, wobei die sowjetische Reportagekunst – etwa Tretjakows Den-Schi-Chua – als Modell wirkte, gestützt von Exilverlagen in Paris und Amsterdam und von internationalen Brigaden als moralischem Bezugspunkt. In solchem Kontext beurteilte Weiß Stil und Haltung nicht nur ästhetisch, sondern als Intervention in einen europäischen Bürgerkrieg, dessen Fronten auch die Kritik spalteten und die Rezeption in Deutschland, Frankreich und der Tschechoslowakei stark prägten.
Ein ausgeprägter transatlantischer Fokus kennzeichnet die Sammlung. John Dos Passos’ Manhattan Transfer (1925), Theodore Dreisers autobiografisches Projekt A Book About Myself (Mitte der 1920er Jahre) und Sinclair Lewis’ Gesellschaftssatiren spiegeln Urbanisierung, Fließbandarbeit und Konsumkultur der USA, die in Europa gleichermaßen Faszination und Skepsis hervorriefen. Ergänzend verweisen Jack Londons König Alkohol (1913) und Menschen der Tiefe (1903) auf Körper, Sucht und Klassenelend als Gegenstücke zum Fortschrittsnarrativ. Übersetzungen, häufig in Berlin oder Zürich erschienen, verschoben Maßstäbe von Realismus und Montagekunst. Weiß las diese Texte als Laborberichte einer Moderne, deren soziale Experimente Rückwirkungen auf die europäischen Metropolen zeigten.
Parallel etablierte sich eine introspektive Moderne. Italo Svevos Zeno Cosini (1923) steht im Zeichen der Psychoanalyse; Paul Valérys Monsieur Teste (1896) experimentiert mit Bewusstseinsprosa; Kafkas Der Prozeß erschien postum 1925 als Studie von Schuld, Bürokratie und Entindividualisierung. Mit Klaus Manns Der fromme Tanz (1929) und Rahel Sanzaras Das verlorene Kind rücken Sexualität und Körper in den Fokus, während Duhamels Humanismus den Wert von Empathie verteidigt. Biografische Modelle – Eve Curies Madame Curie (1937) und Zweigs Magellan (1938) – erzeugten eine populäre Wissenschaftsästhetik. Weiß’ medizinische Ausbildung schärfte hier seinen Blick für psychische Dispositionen, Pathografien und Wissenskulturen.
Schließlich verankert die Sammlung die Moderne in einer langen Traditionslinie. Essays zu Cervantes, Reflexe auf Rousseaus Erbe bürgerlicher Autonomie und Überlegungen zu Kleist als Erzähler markieren Grundfragen von Ironie, Erzählinstanz und Selbstbestimmung, an denen sich auch Casanovas Erinnerungen messen lassen. Kontrastierend stehen ländliche und nationale Selbstentwürfe – Chateaubriants Schwarzes Land, Tammsaara mit Wargamäe – neben Großromanen wie Roger Martin du Gards Die Thibaults. Werfels Barbara oder Die Frömmigkeit und Der veruntreute Himmel sowie Mitchells Vom Winde verweht (1936) zeigen den Reiz epischer Moral- und Geschichtsbilder. Die politische Radikalisierung bis 1940 färbte die Rezeption; Weiß’ Pariser Exil und sein Tod im Juni 1940 markieren den Rahmen.
Zwischen Sanatorium, Ideenstreit und politischer Bühne erkundet Mann Krankheit, Bildung und die Verführbarkeit des Individuums; Zeit, Autorität und Sprache werden mit nüchtern-ironischer Distanz verhandelt.
Die Texte kontrastieren kontemplatives Weltgespräch mit einer düster zugespitzten Parabel der Massenbeeinflussung und markieren eine Bewegung von bürgerlicher Selbstprüfung zu Warnung vor Machtmagie.
Ein Einzelner gerät in die Mühlen einer ungreifbaren Instanz, wodurch Schuld, Recht und Sinn radikal in Frage stehen; die Atmosphäre ist alptraumhaft und zugleich sachlich protokollierend.
Im Zentrum stehen Entfremdung, undurchdringliche Ordnung und karge Präzision als Stilmittel existenzieller Verunsicherung.
Die Selbst- und Fremdporträts spannen von Abenteuer- und Aufstiegsnarrativen bis zu psychologisch zugespitzten Lebensbildern, in denen Charakter, Zeitgeist und Mythos austariert werden.
Stilistisch reicht die Bandbreite von nüchterner Faktentreue bis zu erzählerischer Dramatisierung; wiederkehrend ist die Frage, wie Persönlichkeit sich im Spiegel öffentlicher Geschichte entwirft.
Zwischen Bekenntnis und Reportage erkundet London Abhängigkeit und urbanes Elend als soziale Erfahrung; die Darstellung ist direkt, robust und mitleidlos beobachtend.
Beide Texte verbinden Selbstprüfung mit Milieustudie und unterstreichen die Verbindung von individueller Krise und struktureller Armut.
Hemingways lakonische Skizzen verdichten Härte, Verlust und Kameradschaft, während Lewis die Konformitäten einer kommerziellen Gesellschaft satirisch beleuchtet.
Gemeinsam ist ein kritischer Blick auf moderne Lebensformen; stilistisch treffen Minimalismus und gesellschaftliche Karikatur aufeinander.
Zwei Großstadtbücher montieren Stimmen, Szenen und Schnappschüsse zu einem pulsierenden Bild urbaner Moderne; Tempo, Fragment und Montage prägen den Ton.
Die Texte zeigen die Stadt als Maschine der Beschleunigung und Entfremdung, zugleich als Bühne sozialer Durchlässigkeit und Glanz.
Svevo erforscht Selbsttäuschung, Trägheit und die Komik der Introspektion; die Erzählhaltung ist ironisch-distanzierend und analytisch.
Die Figuren ringen mit Gewohnheit und Neigung statt mit heroischen Konflikten, wodurch Psychologie und Zeitwahrnehmung ins Zentrum rücken.
Die Spannweite reicht von jugendlicher Leidenschaft und moralischen Grenzlagen über humanistischen Ernst bis zu intellektueller Selbstprüfung; Tonlagen wechseln zwischen sinnlich, lakonisch und philosophisch.
Wiederkehrend sind Präzision der Form und die Frage nach Maß und Verantwortung in Beziehungen, Kriegserfahrung und Denken.
Diese weit gespannten Erzählungen verbinden private Schicksale mit historischen Umbrüchen und zeichnen Milieus mit detailreicher Beobachtung.
Sie arbeiten mit traditioneller Erzählökonomie und großem Personal, um Besitz, Loyalität und Wandel einer Epoche anschaulich zu machen.
Zwischen Vision, Dorf- und Stadtleben und dokumentarischer Nähe kreisen diese Texte um Gewissen, soziale Bindung und die Reibung zwischen Idee und Alltag.
Stilistisch begegnen sich feine psychologische Andeutung, epische Erzähltradition und experimentelle Faktografie.
Die Romane spiegeln Weimarer Spannungen zwischen Provinz, Industrie und Metropole, thematisieren Macht, Opportunismus und soziale Kämpfe.
Persönliche Emanzipation, moralische Selbstbehauptung und die Analyse öffentlicher Redeformen verbinden sich zu realistischer, teils satirisch zugespitzter Zeitdiagnose.
Glaube, Mitleid und die Gefahr moralischer Selbsttäuschung werden als innere Konflikte entfaltet; der Ton reicht von behutsamer Empathie bis zu warnender Eindringlichkeit.
Die Texte fragen, wie Verantwortung gegenüber dem Anderen ohne Selbstüberhebung gelebt werden kann und setzen auf psychologische Genauigkeit.
Zwischen mythischer Versuchsanordnung und leidenschaftlicher Innenansicht stellt Hauptmann Trieb, Gemeinschaft und moralische Ordnung zur Debatte.
Der Stil oszilliert zwischen symbolischer Überhöhung und naturhafter Szenik und beleuchtet die Ambivalenz von Befreiung und Bindung.
Vor dem Hintergrund des Krieges verknüpfen beide Bücher individuelle Betroffenheit mit politischer Parteinahme; der Ton ist engagiert und dokumentarisch geprägt.
Sie zeigen Leid, Exil und Solidarität als Prüfsteine europäischer Gewissen, ohne den Anspruch auf Zeitzeugenschaft preiszugeben.
Der Beginn des neuen Romanes von Gerhart Hauptmann ist prachtvoll: »Dem Ufer einer herrlich und verlassen prangenden, von Gebirgen überhöhten Insel im südlichen Weltmeer näherten sich eines Tages mehrere Boote, als die Sonne gerade im Mittag brütete.« Solch eines Einleitungssatzes brauchte sich Kleist nicht zu schämen, und die folgende Exposition scheint den hochgespannten Erwartungen recht zu geben. Es sind schiffbrüchige Frauen, die sich, lachend und wehklagend zugleich, in den Booten auf die verlassene Insel flüchten, die ihnen von jetzt an Heimat, Bodenkrume, Arbeitsfeld, Totenacker, Schauplatz aller Leiden, Freuden, Pläne, Hoffnungen und Leidenschaften werden soll. Sie werden, so glaubt man, jetzt wie Robinson Crusoe die Zivilisation, die Gesittung, die menschliche Gesellschaft aus dem Urkern wieder aufbauen; die reinsten menschlichen Beziehungen werden sich in der balsamischen, regenfreien, klaren Luft der einsamen Insel wie in Goethes »Wahlverwandtschaften« in völliger Reinheit, Unbefangenheit und daher mit letzter Tragik entwickeln. Nun müßte das Menschengeschlecht mit ihnen aussterben, falls nicht eine unter ihnen wäre, die guter Hoffnung ist. Doch dies trifft nicht zu. Aber es ist ein zwölfjähriger schöner Knabe, namens Phaon, mit gerettet worden, von dem nun die Erhaltung dieses von dem übrigen Menschengeschlecht abgeschnittenen Zweiges abhängt. Zweihundert Frauen und nur ein Mann. Zweihundert vollblütige Menschen im sinnlichen Überfluß, denn diese schiffbrüchigen Weiber haben alles Nötige und Überflüssige gerettet: Sie haben in ihren Kähnen nicht, nur Feuerzeug, Waffen, Kochgeschirr, sondern Pelze, Füllfedern, Papier, Taschentücher, Zigarren, Bordstühle und ein Büchelchen von Wilhelm Bölsche gerettet, worin der Schädel eines auf Java ausgegrabenen Menschenaffen abgebildet ist, damit man seine Ähnlichkeit mit dem ersten Menschen feststellen könne, der auf der Insel geboren wird. Alles haben diese guten Weiber gerettet, nur ihr Empfinden, ihre angeborenen, selbstverständlichen Instinkte haben sie bei dem Untergang ihres Schiffes verloren, oder der Dichter hat sie ihnen grausam genommen. So viel Frauen und kein Mann. Eine Komödie. So viel Frauen und kein Kind. Eine Tragödie. Keines von beiden erfüllt sich.
Alles Glück der Erde ist über dem Eiland ausgeschüttet. Was könnte fehlen, wenn Früchte im Überfluß, Bast, Matten, Kaffee, Nahrung aller Art, Geflügel und Wild, Zebukühe zum Reiten und alles andere ohne die geringste Arbeitsmühe vorhanden sind. Der unbeschreibliche Reiz, der von Robinson ausgeht, der alles improvisiert, alles entdeckt, alles mühsam pflanzt, erntet und sich erst im Papagei, dann im Eingeborenen »Freitag« eine Gesellschaft und Gemeinschaft aufbaut, scheint Hauptmann nicht verlockt zu haben. Die Frauen finden alles vor oder haben es mitgebracht, wie den Papagei, es beginnt ein Leben der Wohlzufriedenheit, um so mehr, als keine Frau, die Mutter Phaons ausgenommen, einem ihrer mit dem Schiff gesunkenen Angehörigen ernsthaft nachtrauert, indem sie von einem dieser Menschen erzählt. Selbst der wüste Abenteurer Robinson gedenkt der Seinen. Aber Hauptmann hat seltsamerweise auf alle Regungen der Menschlichkeit verzichtet. Es ist ein unorganischer Weiberhaufen, geschwätzig, seelisch dürr, gut gemästet, schön aufblühend und gut in Form, aber völlig leer.
