Gescheiterte Titanen - Carsten Knop - E-Book

Gescheiterte Titanen E-Book

Carsten Knop

4,8

Beschreibung

Welche neuen Manager brauchen wir? Unsere Manager haben einen schlechten Ruf. Das Vertrauen in unsere Unternehmenslenker kann kaum noch weiter sinken. Doch warum scheitern sie? Und vor allem: Wer scheitert? Gibt es ein bestimmtes Muster, das sich immer wieder wiederholt und aus dem die nachfolgende Generation lernen kann? Denn einen neuen Typ Manager braucht die Welt. Da ist sich Carsten Knop sicher. Nach 20 Jahren im Unternehmensjournalismus lässt Carsten Knop (Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) die Gespräche mit und Karrieren von Top-Managern in Deutschland und international Revue passieren: Wer hat rückblickend seine Ziele erreicht, wer nicht? Und vor allem: Was hat der eine richtig und der andere falsch gemacht? Die Bandbreite ist groß: Sie reicht vom Apple-Chef Steve Jobs über den Fußballfunktionär Hans-Joachim Watzke bis hin zu Klaus Zumwinkel. Weitere Vorbilder, im positiven wie im negativen Sinn, sind Leo Apotheker (SAP), Karl Albrecht (Aldi Süd), Carly Fiorina (Hewlett Packard), W. J. Sanders III (AMD), Ron Sommer (Deutsche Telekom), Heinrich von Pierer (Siemens), Nicolas Berggruen (Karstadt), Uli Hoeneß (F.C. Bayern München), Roland Koch (Bilfinger) uvm. Wie man aus den Fehlern der Manager lernen kann. Welche Folgen hat der öffentliche Vertrauensverlust in die Kompetenz von Führungskräften. Für alle, die sich für die Zukunft unseres Landes interessieren. Begleiten Sie Carsten Knop auf der Spurensuche nach Regelmäßigkeiten beim Scheitern und Erfolg

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Carsten Knop

Gescheiterte Titanen

Welche neuen Manager unsere Welt braucht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Carsten Knop

Gescheiterte Titanen

Welche neuen Manager unsere Welt braucht

Frankfurter Societäts-Medien GmbH

Frankenallee 71–81

60327 Frankfurt am Main

Geschäftsführung: Oliver Rohloff

1. Auflage

Frankfurt am Main 2015

ISBN 978-3-95601-136-8

Bookshop und weitere Leseproben unter:

www.fazbuch.de

Copyright:

Frankfurter Societäts-Medien GmbH Frankenallee 71–81 60327 Frankfurt am Main

Umschlag

Anja Desch, Frankfurt Business Media GmbH – Der F.A.Z.-Fachverlag, 60327 Frankfurt am Main

Satz

Wolfgang Barus, Frankfurt am Main

Titelbild

Artwork: Anja Desch, FBM

Alle Rechte, auch des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Einleitung

Kapitel 1 Manager unter den Augen der Öffentlichkeit

1. Von A wie Ackermann: Was vom eigenen Handeln bleibt

2. Bis Z wie Zumwinkel: Der tiefe Fall

3. Führung in der öffentlichen Wahrnehmung

4. Der Mittelstand ist Vertrauensweltmeister

Kapitel 2 Der Blick nach Deutschland

1. Die Welt der Aufsichtsräte und Vorstände verändert sich schnell

2. Gehälter, die die Republik verkraftet

Kapitel 3 Positive Einzelbeispiele – und ein paar Politiker

1. Unternehmer oder Politiker? Kurzfristiges Denken oder nachhaltiger Erfolg?

2. Kasper Rorsted: Ein Däne für Düsseldorf

3. Frank Appel: Nicht von oben herab

4. Wettergegerbt: Dieter Zetsche ist ein Mann ohne Sentimentalitäten

5. Der Führungsstil des Fresenius-Chefs Ulf Schneider

6. Hans-Joachim Watzke: Klopps Chef

7. Ein Vorzeigeunternehmer im Mittelstand: Klaus Fischer im Reich der Ideen

8. Vorbild Aldi?

Kapitel 4 Der Blick nach Amerika

1. Führungsvorbild aus dem Silicon Valley: als William Hewlett starb

2. Carly Fiorina: „Du bist nie so gut, wie die Leute sagen“

3. Léo Apotheker: Von ganz oben nach ganz unten

4. Lebenshilfe von der Legende: In Stanford mit Steve Jobs

5. Er lebte den amerikanischen Traum: Jerry Sanders III

Kapitel 5 Manager an Wendepunkten – oft gescheitert

1. Eric Schmidt zum Tod von Steve Jobs: „Er war mir voraus“

2. Wie man es nicht machen sollte: Ron Sommer und die Telekom

3. Kleines Gepäck, schwere Last: Heinrich Hiesinger darf Thyssen-Krupp aufräumen

4. Wie Berthold Beitz den moralischen Kapitalismus spüren ließ

5. Gerhard Cromme: Der erste Fleck für den Mann mit dem Lotuseffekt

6. Die Lehren der Geläuterten: Fragen an Heinrich von Pierer

7. Florian Homm: Der Leerverkäufer seines Lebens

8. Karstadt und Nicolas Berggruen: Nichts lief wie geplant

9. „Mr. Windows“ Steven Sinofsky scheitert an sich selbst, „Mrs. Yahoo“ Marissa Mayer arbeitet noch daran

Kapitel 6 Der Einfluss der neuen Technologien auf das Management

1. Der Angriff der Neuen: Matthew Mullenweg und Wordpress

2. Deutschlands Chefs entdecken das Neuland

3. Programmiertes Selbstbewusstsein: Marc Benioff und Salesforce

Kapitel 7 Von Höhen und Tiefen des Lebens

1. Ein Mann, der die Wende geschafft hat: Frederik Willem de Klerk

2. Was man von einer Wanderung zum Colorado River und zurück lernen kann

3. Auch ein Jürgen Klopp kennt Licht und Schatten

Kapitel 8 Fangen wir bei Null an

1. Tipps aus der Grundlagenforschung: Wolfgang Ketterle, der Nobelpreisträger mit dem Wow-Effekt

2. Vorstandsvorsitzende mit Herkunft und Horizont: Haber, Bosch und die BASF unter Kurt Bock

Fazit Welche neuen Manager unsere Welt braucht

Literaturhinweise, Links und Anmerkungen

Der Autor

Einleitung

Die Welt der Unternehmen ist ein Abenteuerland. Wer diese Welt betritt und durch Phantasie, Können und Glück zur Führungskraft wird, kann viel bewegen. Vom tristen Himmel ist dann keine Spur, besonders dann nicht, wenn sich der Erfolg einstellt. Um den aber nachhaltig zu erreichen, wollen und müssen die Mitarbeiter mitgenommen werden – unter der Flagge ihres Unternehmens und ihres Chefs gleichermaßen. Der Chef muss die emotionale Kraft, die aus der Beziehung seiner Mitarbeiter zum Unternehmen und zu ihm selbst entsteht, aber auch zulassen, auf diese eingehen und in die richtige Richtung lenken. Dafür braucht er eine Menge Energie. Und der Erfolg, so er sich denn einstellt, ist dann wahrlich keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen, sondern eine Aufforderung als Coach, also als Trainer seines Teams, künftig noch besser zu werden.

Das Problem ist, dass viele Chefs auf dem Weg nach oben gelernt haben, keine Gefühle mehr zuzulassen, und das Gespür für ihre Mitarbeiter verlieren. Es ist also genau das Gegenteil von dem, was in der heutigen Welt nötig wäre, die von einer atemlos schnellen Digitalisierung aller Wirtschaftsprozesse gekennzeichnet ist. Ihre Kraft aber setzen diese gescheiterten Titanen für andere Dinge ein. Das, was sie in den Machterhalt investieren und manchmal gar für ein Leben im Luxus, führt zu einer Erosion ihres Rufs. Sie machen sich und damit auch ihre Mitarbeiter zu Gefängnisinsassen in einem bestehenden System. Sie haben nicht verstanden, dass ein Anführer Orientierung geben muss. Das Ergebnis ist desolat – und sorgt dann doch für einen tristen Himmel im Abenteuerland der Wirtschaft.

Gewiss, es ist kompliziert geworden, ein guter Chef zu sein. Vor allem die jüngeren Mitarbeiter verlangen nach einer ganz anderen Form der Zusammenarbeit. Den Beteiligungsgrad, den sie aus sozialen Medien kennen, wünschen sie sich auch an ihrem eigenen Arbeitsplatz. Zumal, auch das darf nicht vergessen werden, die Konkurrenz aus Asien oft noch mit den alten Bandagen, mit härtester Arbeit und vergleichsweise niedrigeren Löhnen um ihre Marktpositionen kämpft. Doch auch darauf kann die Antwort nur eine intelligentere Zusammenarbeit in Teams sein, die ihre Kreativität nutzen, um auf die Wettbewerber flexiblere, pfiffigere und damit auch wirtschaftlich nachhaltigere Antworten zu geben.

Umfragen aber zeigen, dass die Reise in den meisten etablierten Unternehmen bisher nicht in diese Richtung geht und dass das Vertrauen in unsere Unternehmenslenker kaum noch weiter sinken kann. Das muss sich schnell ändern. Doch dazu müsste man wissen, warum die Manager scheitern. Und vor allem: Wer scheitert? Gibt es ein bestimmtes Muster, das sich immer wieder wiederholt – und aus dem die nachfolgende Generation nun lernen kann? Denn die Welt braucht an der Spitze ihrer Unternehmen Menschen mit mehr Enthusiasmus, Charisma, Mut und öffentlicher Überzeugungskraft.

Wer beziehungsweise welcher Typ Manager hat rückblickend seine Ziele erreicht, wer nicht? Was hat der eine richtig und der andere falsch gemacht? Darüber soll dieses Buch Auskunft geben. Es zeigt, dass auch die intelligentesten Chefs Hausaufgaben machen müssen. Denn der Wohlstand wächst, nicht aber das Glück. Der Mensch ist nicht nur ein homo oeconomicus, der nach Geld und Reichtum strebt. Es geht ihm auch um Einbindung, um Vertrauen und Mitgefühl. Zu viele Chefs müssen das noch lernen – und sollten sich einmal anschauen, wie es heutzutage in dem einen oder anderen erfolgreichen Start-up-Unternehmen zugeht.

Ob die Frauen, die künftig – sei es durch die Einflüsse der Demografie oder auch durch Quotenregelungen – in sehr viel größerer Zahl an verantwortlicher Stelle in der Wirtschaft zu finden sein werden, gleichsam ganz natürlich manches besser machen werden als die bis heute zumeist verantwortlichen Männer? Ein Blick in die Vergangenheit kann diese Frage mangels Masse bisher nicht beantworten. Eine wie Carly Fiorina, einst Vorstandsvorsitzende beim amerikanischen Technologiekonzern Hewlett-Packard, ist dort nach einem guten Start letztlich doch gescheitert – an strategischen Problemen, die ein Mann wohl auch gehabt hätte. Übrigens sind auch heute in den vermeintlich so modernen Unternehmen Facebook, Apple, Google und Twitter noch immer sieben von zehn Beschäftigten männlich. Frauen sollten dieses Buch und die wenigen in ihm erwähnten weiblichen Beispiele für Führungskräfte daher vor allem als Motivation verstehen, die Männerwelt der Vorstandschefs schnell aufzubrechen.

Ein Schlüssel zum Erfolg sind – nicht nur im kalifornischen Silicon Valley – die sozialen Netzwerke, die hierarchisch organisierten Unternehmen mit bürokratischen Strukturen überlegen sind. Die Netzwerke erstrecken sich über Firmen und Branchen hinweg. Computerfachleute und all die anderen hoch qualifizierten Angestellten, die mit der modernen Technik umgehen können (die sogenannten „Smart Creatives“) wechseln zudem sehr leichtfüßig den Arbeitgeber. Von Mauern zwischen Hochschulen, Unternehmen und Verbrauchern halten sie nichts. Aber gerade diese Mitarbeiter sind wichtig, um das Überleben der Unternehmen in der neuen, digital-vernetzten Wirtschaftswelt zu sichern. Die Gewerkschaften haben das Thema längst entdeckt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert deshalb unter anderem neue Formen der Mitbestimmung, Mechanismen für die soziale Sicherung von freien Mitarbeitern und ein modernes Datenschutzgesetz für Beschäftigte. Auch diese Entwicklungen sind eine neue Herausforderung für die Manager an der Spitze von Unternehmen. Sie spielen deshalb in diesem Buch eine große Rolle.

Entstanden ist das Buch nach zwanzig Jahren Arbeit im Unternehmensjournalismus in Deutschland und den Vereinigten Staaten, auf der Basis vieler Begegnungen mit Vorstandsvorsitzenden aus sehr unterschiedlichen Branchen von der Chemie über die Stahlindustrie bis hin zur Logistik, Finanzwirtschaft oder Informationstechnologie, in die man während der Lektüre en passant Einblicke bekommt. Es geht um Gescheiterte, aber ausdrücklich auch um Erfolgreiche. Denn gesucht wird nach den Gründen für Erfolg und Misserfolg gleichermaßen – in amerikanischen und deutschen Aktiengesellschaften ebenso wie in deutschen Familienunternehmen und in der neuen Welt der Start-ups.

Geblickt wird dabei ein wenig auch in die Geschichte, in die Natur, auf den Sport und die Grundlagenforschung in der Physik. Der ehemalige Präsident Südafrikas, der Friedensnobelpreisträger Frederik Willem de Klerk, wird auf die Chancen verweisen, die mancher Manager in Afrika übersieht. In der bunten Mischung soll sich ein Bild von der Welt ergeben, in der Manager heute ihre Entscheidungen treffen müssen. Es ist kein Manager-Hasser-Buch geworden, weil die meisten Führungskräfte dafür letztlich viel zu normal sind. Die Diskussion über eine „richtige“ oder „falsche“ Entlohnung wird angerissen, doch ist diese letztlich die Sache der Eigentümer eines Unternehmens. Eine andere Frage ist es da schon, ob gescheiterte Manager um jeden Preis auf ihren vielleicht legalen, aber gewiss nicht immer legitimen Abfindungsansprüchen bestehen sollten, wenn diese horrende Dimensionen erreichen.

Der Text wirft daher die Frage auf, warum diese intelligenten und gut ausgebildeten Menschen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nicht besser abschneiden, als sie es in der Wirklichkeit tun. Zu hohe Abfindungen selbst nach Fehlleistungen sind wohl ein Grund, auch die zu häufig verloren gegangene Bereitschaft, sich Kritik anzuhören, sie geradezu einzufordern und diese dann auch ernsthaft zu reflektieren: Wenn man sich in seiner Umgebung ausschließlich Speichellecker hält, wird man in Wahrheit einsam – und erfolglos. Dabei erwartet niemand von den Managern, fehlerfrei zu sein. Wer an einem Tag viele Entscheidungen treffen muss, macht dabei Fehler. Zu viele Manager aber haben vergessen, dass diese Feststellung auch auf sie zutrifft.

Manche Passagen des Buches wären weniger gut, wenn sie in ihrem Ursprung nicht in einem Team mit Kollegen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entstanden wären. Wenn in diesem Buch deshalb die Rede von Begegnungen ist, die ich nicht allein, sondern gemeinsam mit Kollegen hatte, so ist das im Text entsprechend erwähnt. Für die Begleitung danke ich herzlich; für alle Fehler bin ich selbst verantwortlich.

Carsten Knop

Frankfurt am Main, im Frühjahr 2015

„Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.“

Sokrates

Kapitel 1 Manager unter den Augen der Öffentlichkeit

1. Von A wie Ackermann: Was vom eigenen Handeln bleibt

Zu den wichtigsten Lektionen, die Eltern ihren Kindern mit auf den Lebensweg geben können, gehört es, das Verständnis für die Konsequenzen des eigenen Handelns zu vermitteln, und natürlich die Bereitschaft, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Das fängt im Kindergartenalter an, erfordert viel Konsequenz – und trägt hoffentlich irgendwann auch Früchte.

Sollten die Eltern der früheren Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden so bedeutender Unternehmen wie der Telekom, Siemens, der Deutschen Bank oder des einstigen Kaufhausriesen Karstadt ihrer Aufgabe gerecht geworden sein, sind auf dem Weg ihrer Kinder an die Spitze offensichtlich wichtige Teile dieses Wertekanons verloren gegangen. „Ich war es nicht“, sagten die ehemaligen Führungskräfte von Siemens – oder sie schwiegen gleich ganz, als es um die Aufklärung eines riesigen Korruptionsskandals ging. „Ich war es nicht“, sagten die ehemaligen Führungskräfte der Deutschen Telekom Ron Sommer oder Kai-Uwe Ricke, als es darum ging, für geschäftliche Fehlentscheidungen geradezustehen. „Ich war es nicht“, sagte auch Klaus Zumwinkel, der frühere Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post, als dessen Karriere wegen Steuerhinterziehung abrupt zu Ende ging.

Welcher der Herren, die es ja fast immer sind, mag künftig einmal aufstehen und für offensichtliche Rechtsverstöße die Verantwortung übernehmen? Es glaubt doch kein Mensch, dass alle derartigen Skandale vollkommen selbstständig, gleichsam naturwüchsig und von den Vorsitzenden unbemerkt im Apparat der großen Konzerne ihre inakzeptable und gesetzesbrecherische Dynamik entfaltet haben. Und es gilt doch nach wie vor, dass die Chefs ebendeshalb mehr Geld als die Angestellten untergeordneter Hierarchieebenen bekommen, weil sie mehr Verantwortung haben. Die müssen sie dann aber auch übernehmen. Es kostet sie nicht einmal viel, denn gegen die finanziellen Auswirkungen möglicher Schadensersatzforderungen sind sie in der Regel versichert.

Der Rechtsstaat ist im Umgang mit den Skandalen zudem oft überfordert. Und selbst dann, wenn ein Anspruch gerichtlich festgestellt ist, muss das Geld erst noch eingetrieben werden, was sehr kompliziert werden kann. Auch Aufsichtsräte haben im Umgang mit ihren einstigen Vorstands-Stars oft Beißhemmung. Den Managern geht es in dieser Hinsicht also nicht so schlecht.1

Tatsächlich aber verstecken sich die Manager, wenn es hart auf hart kommt, und schicken ihre Anwälte oder Sprecher vor. Das ist feige. Zuletzt hat es Thomas Middelhoff, der ehemalige Chef von Karstadt und Bertelsmann, mit einer solchen Strategie vor Gericht versucht – und hat damit die Richter gegen sich aufgebracht. Denn wenigstens die Gerichte achten seit einiger Zeit sehr darauf, dass die Regeln zum Beispiel gegen persönliche Bereicherung, gegen Korruption oder Kartellabsprachen im Wirtschaftsleben auch tatsächlich eingehalten werden.

Was brauchte Middelhoff denn eigentlich, um glücklich zu sein? Geld? Anerkennung? Macht? Vielleicht hat er darüber den Blick auf die Wirklichkeit verloren. Er wäre nicht der erste Manager, dem das passiert ist. Aber von solchen Phänomen sind nicht nur diejenigen bedroht, die den Aufstieg in höchste Manageretagen schaffen.

Die Banker an der Wall Street haben die vorübergehende Bescheidenheit der Jahre nach der Finanzkrise schon wieder hinter sich gelassen. Im Jahr 2013 zahlten die dortigen Banken und Fonds im Durchschnitt 164.430Dollar Prämie pro Mitarbeiter. Das war der höchste Betrag seit 2007. Und seither sind die Prämien weiter gestiegen. Occupy-Aktivisten belagern die Banken nicht mehr, in den Hamptons, dem Feriendomizil der reichen New Yorker, hat der private Luftverkehr stark zugenommen. Denn viele Banker lassen sich von den Heliports in Manhattan direkt zu ihren Ferienhäusern fliegen. Von der Drohung Präsident Barack Obamas, den „fetten Kerlen“ gehe es an den Kragen, ist nicht mehr viel geblieben. Aber wer von ihnen bedenkt die Konsequenzen des Handelns? Wie wird die nächste Rettungsrunde ausfallen?

Der Blick auf das Fitnessarmband von Otto Normalverbraucher

Der Frage nach den Konsequenzen des eigenen Handelns stellen sich diese Manager offensichtlich nicht offensiv genug. Offen bleibt auch, wonach sie eigentlich streben: stets nur nach mehr Geld? Um dieser Frage etwas genauer nachzugehen, lohnt es sich, auch auf die Welt von Otto Normalverbraucher zu blicken. So gibt es derzeit viele Menschen, die Fitnessarmbänder als neues Spielzeug für sich entdecken, um ihr Wohlbefinden zu steigern. Vielleicht sind sie auf der Suche nach Glück. Ob sie es aber mit der Messung wichtiger Körperfunktionen und der Überwachung des Ausmaßes ihrer täglichen körperlichen Aktivitäten finden werden? Einer wie Otto Scharmer hat da seine Zweifel: „Wir haben steigende Raten von Burn-out, Depressionen und Selbstmord. Auf der Makro-Ebene, in den entwickelten Gesellschaften, führt ein höheres Bruttoinlandsprodukt nicht zu mehr Wohlbefinden, also zu mehr Glück“, sagt der deutsche Professor, der seine wissenschaftliche Heimat längst am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gefunden hat.

„Obwohl wir aktiver als je zuvor produzieren und konsumieren, geht unsere Rate von Glück und Wohlbefinden nach unten.“ Das sei schlecht, denn so könne man nicht nachhaltig wirtschaften. Scharmer weiß auch, warum das so ist: Wir verbrauchen mehr Ressourcen unseres Planeten, als dieser zu regenerieren imstande sei, der Reichtum sei nach wie vor vollkommen ungerecht verteilt. Und die Menschen, die Arbeit haben, bringen sich mit dieser um – im übertragenen Sinn, aber auch, wenn man sich die Zahl von Selbstmorden anschaut. So haben sich etwa im Jahr 2000 nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation mehr Menschen das Leben genommen, als durch kriegerische Handlungen getötet wurden.

Andererseits: Immerhin beginnen die Fitnessarmband-Träger, sich selbst eine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Das sei ja schon einmal etwas. Aber Scharmer reicht das nicht. Er hofft auf Menschen, die lernen, in größeren Zusammenhängen zu denken – und meint dabei natürlich dann doch wieder stärker die Manager. Der Personal- und Organisationswissenschaftler empfiehlt deshalb, Entscheidungen nicht allein auf der Basis von Erfahrungen in der Vergangenheit zu treffen.2

Ratschläge vom zukünftigen Ich

Es gelte, von dem Punkt her zu denken, an dem man am Ende seines (Berufs-)Lebens stehen wolle, ist Scharmers These. Sie klingt simpel, wird aber gerade von Managern oder Politikern viel zu selten beherzigt: „Stellen Sie sich die Frage: Welchen Ratschlag soll Ihr zukünftiges Ich Ihrem heutigen Ich geben?“, schreibt Scharmer in seinem Buch „Leading from the emerging future“: „Was in Ihrem persönlichen oder beruflichen Leben stirbt gerade, von was wollen Sie, dass es geboren wird?“ Mit diesen Fragen bringt er immer mehr Manager zum Nachdenken.

Scharmer hält die alten Führungsmodelle für überholt. Rein hierarchisch, auf sich selbst bezogen oder selbst mit der Einbeziehung aller sogenannten „Stakeholder“ eines Unternehmens sei Führung heute nicht mehr zeitgemäß. Die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft verlange nach einem neuen Ansatz, der von den Managern mehr Aufmerksamkeit und Achtsamkeit einfordert. Von der Zukunft her führen bedeutet nach seiner Meinung, Potentiale und Zukunftschancen zu erkennen und im Hinblick auf aktuell anstehende Aufgaben zu erschließen. Das nennt Scharmer „Presencing“. Ein Wort, das er aus den englischen Verben „presence“ (Anwesenheit) und „sensing“ (fühlen) zusammengesetzt hat.

Zwölf Prinzipien

Presencing hat für ihn mit zwölf Prinzipien zu tun, die allesamt darum kreisen, dass man seine Umgebung wieder bewusst wahrnimmt. Dass man danach seinem Herzen folgt (so wie es schon der Apple-Mitbegründer Steve Jobs vor den Absolventen der Stanford-Universität empfohlen hatte), Veränderungsbereitschaft zeigt – und niemals aufgibt.

Ist das neu? Nicht immer. Ist es aber Esoterik? Gewiss auch nicht. Wie viele Krisen der Vergangenheit hätten nicht nur in der Welt der Finanzwirtschaft vermieden werden können, wenn die einzelnen Akteure stärker ihre Rolle in einem Gesamtsystem begriffen und sich der Zusammenhänge bewusst gewesen wären. Scharmers Rat jedenfalls ist gefragt. Er ist Mitbegründer des „Global Wellbeing und Gross National Happiness Lab“, in dem Innovatoren aus Bhutan, Brasilien, Europa und den Vereinigten Staaten verbunden werden, um über Möglichkeiten des Fortschritts jenseits des reinen Wirtschaftswachstums zu reden. Das klingt etwas verrückt, aber auch spannend. Und deshalb ist Scharmer für diverse Regierungen sowie für Unternehmen wie Daimler, Eileen Fisher, Fujitsu oder Google tätig.

Dort hören die Manager dann also die Botschaft von ihnen als Teil eines großen Ganzen. Und sie sind mit einem Dilemma konfrontiert. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung wird der Vorstandsvorsitzende zur Personifizierung seines Unternehmens. In der Berichterstattung verleiht das Humane den Texten Leben. Kämpfe, Leiden und Erfolge des Unternehmens spiegeln sich in der Person und dem Verhalten des Vorstandsvorsitzenden. Seltener ist er ein Held, häufiger ein Buhmann. Und manchmal ist er abwechselnd sowohl das eine und das andere.

Das Beispiel Josef Ackermann

Als ein Beispiel dafür kann Josef Ackermann dienen, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank. Als Josef Ackermann3 zur Deutschen Bank kam, rühmte man ihn intern als den besten Banker auf diesem Planeten. Fast 20 Jahre später versinnbildlichte sein Rücktritt als Vorsitzender des Verwaltungsrats der Zurich Insurance das Ende einer Karriere. Wie manch anderer selbstbewusster und viele Jahre höchst erfolgreicher Manager hat es Ackermann nicht verstanden, rechtzeitig aufzuhören. Dabei hatte gerade er jede Möglichkeit dazu, sich mit anhaltenden „standing ovations“ zu verabschieden. Er hatte viele Fehlentwicklungen früher als andere erkannt und „späte Reue“ gezeigt, wie es sein früherer Kommunikationschef Stefan Baron in seinem Buch4 über Ackermann beschreibt. Sein Abgang aber gereichte dem Schweizer nicht zur Ehre.

Josef Ackermann, der Mann, der in seiner Amtszeit zum Synonym des deutschen Großbankers wurde, hatte stets für mannigfaltige Schlagzeilen und öffentliche Debatten gesorgt. Manchmal kam er dabei gut weg, sehr viel häufiger schlecht. In der breiten Öffentlichkeit war sein Ruf viele Jahre lang dennoch gar nicht so übel, was auch Barons Verdienst gewesen ist. Dabei ist „Joe“, wie er verkürzend genannt wird, der Mann mit dem unsäglichen „Victory“-Zeichen im Mannesmann-Prozess. Er ist auch derjenige, der von der Deutschen Bank in einem menschlich abgründigen Machtkampf gar nicht mehr lassen wollte, der Manager der Finanzkrise, der am Ende bei der Kanzlerin nicht mehr so wohlgelitten war wie zu ihrem Anfang. Und er war der Aufsichtsrat von Siemens, der sich dort heftig mit seinem alten Freund, dem Siemens-Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme, gestritten hat. Immer gab es für das Verhalten von Ackermann gute Gründe. Manchmal hatte er einfach nur Pech. Aber am Ende war alles eine Frage des Timings.

Dem mit einer Finnin verheirateten Weltbanker, der sich immer so gefühlt hat, als befinde er sich mit allen Mächtigen dieser Welt auf Augenhöhe, kann man zahlreiche Rollen zuschreiben – denn er war auf vielen Bühnen tätig. Mit seinem Rücktritt vom Verwaltungsratsvorsitz der Zurich Insurance fiel der Vorhang. Ackermanns wichtigste Bühne war aber die Deutsche Bank, und dort zog sich sein Abschied über quälend lange Jahre hin. Zunächst hatte Ackermann seinen Rücktritt schon auf der Hauptversammlung 2009 dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Börsig nahegelegt. Da Ackermann mit Berufung auf das deutsche Aktiengesetz es aber nicht als seine Aufgabe angesehen hatte, einen Nachfolger aufzubauen, war auf die Schnelle kein eindeutiger Favorit vorhanden. Daraufhin prüfte Börsig seinen eigenen Wechsel von der Aufsichtsrats- an die Vorstandsspitze, was nur wenige zufriedenstellte. Dass Ackermann nach Bitten des Aufsichtsrats schließlich seinen Vertrag dann doch um drei Jahre verlängerte, verhinderte nicht das Zerwürfnis zwischen Börsig und ihm. Und dieses belastete Verhältnis sollte dem Ruf der Bank (und letztlich auch dem von Ackermann) in den Folgejahren noch nachhaltig schaden.

Vom guten Ruf der Bank

Kurz nach dem Hickhack um die Vertragsverlängerung Ackermanns kam es zur sogenannten Spitzelaffäre, in der es um die Ausforschung eines kritischen Aktionärs ging. Der Verdacht, dass Börsig diese Ausforschungen in Gang gesetzt hatte, wurde durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin nicht bestätigt. Trotzdem blieben tiefe Kratzer am Image der Deutschen Bank und auch mancher interner Zwist. Der Ruf des Instituts hat danach durch weitere Skandale und Affären gelitten. Die meisten der damit verbundenen Rechtsrisiken sind zwar dem früher von Anshu Jain geleiteten Investmentbanking zuzuordnen. Aber als damaliger Vorstandsvorsitzender trägt Ackermann auch eine Verantwortung. Zumal er noch auf der Hauptversammlung 2006 – ganz im Sinne von Otto Scharmer – gesagt hatte: „Kein Geschäftsabschluss der Welt ist es wert, den guten Ruf der Deutschen Bank aufs Spiel zu setzen.“ In der Wahrheit der täglichen Bankgeschäfte indes sah die Welt, wie man inzwischen weiß, ganz anders aus.

Ackermann wird von Wegbegleitern als eitel beschrieben. Diese Eitelkeit erklärt vielleicht auch teilweise, warum sein Abschied von der Deutschen Bank so holprig verlief. Das Verhältnis zu seinen beiden Nachfolgern Anshu Jain und Jürgen Fitschen ist bis heute angespannt. Ackermann wollte statt ihrer ohnehin lieber den damaligen Bundesbankpräsidenten Axel Weber als seinen Nachfolger durchsetzen. Doch Weber zog den Verwaltungsratsvorsitz der Schweizer UBS vor.

Als die Entscheidung für die Doppelspitze aus Jain und Fitschen dann getroffen war, blieb die Deutsche Bank ohne ihn selbst für Ackermann aber noch immer unvorstellbar. Er hätte auch den Aufsichtsratsvorsitz übernommen, was jedoch aus Gründen guter Unternehmensführung verpönt ist, weil dann der Vorgänger nicht nur seine Nachfolger kontrolliert, sondern auch sein Vermächtnis. Ein Viertel der Aktionäre hätte dem direkten Wechsel von der Vorstands- an die Aufsichtsratsspitze zustimmen müssen. Dieses Votum indes wurde immer unwahrscheinlicher, so dass Ackermann darauf verzichtete. Die Entscheidung teilte die Bank am 14. November 2011 mit. Am selben Tag wurden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Durchsuchungen im Zusammenhang mit einer Aussage Ackermanns in dem Prozess bekannt, den damals der inzwischen verstorbene ehemalige Medienunternehmer Leo Kirch gegen die Deutsche Bank führte. Schlechter hätte das Timing für die Bekanntgabe des Abschieds von Ackermann also wahrlich nicht ausfallen können.

So sollte es weitergehen. Hoch ging es in den Wochen vor Ackermanns späterem Ausscheiden bei der Zurich Insurance auch im Aufsichtsrat des deutschen Vorzeigekonzerns Siemens her. Dort war die Ablösung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher stark umstritten. Die Dissonanzen im alten Vorstand um Löscher führten zudem zu Konflikten und Intrigen im Aufsichtsgremium. Ackermann lavierte herum: Als Stellvertreter des Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Crommes hatte er selbst angeblich Ambitionen, den geschwächten Chef abzulösen. Dementiert wurde natürlich alles – sowohl das Ziel als solches als auch alles andere. In jedem Fall hatte Ackermann seinen Ruf danach ebenfalls bei Siemens ruiniert.

Gegen Ende seiner Zeit bei der Deutschen Bank räumte Ackermann offen ein, das „Mikromanagement“ habe ihn zuletzt nicht mehr gereizt. Stattdessen reiste er unablässig um die Welt; seine Gesprächspartner waren nicht nur Kunden der Bank, sondern vor allem auch Politiker. Ackermann machte auch keinerlei Hehl aus seiner Freude über diese internationale Prominenz. Klar ist: Ackermann hat, nicht als erstes Alphatier in der Wirtschaft, den richtigen Zeitpunkt zum Aufhören verpasst. Dabei hatte er schon 2007 angekündigt, in ein paar Jahren aufhören zu wollen, ausdrücklich ohne in den Aufsichtsrat der Bank zu wechseln. Er wolle Erfahrungen weitergeben, begründete er das damals: „An der Uni oder vielleicht auch im gesellschaftlichen Bereich.“ In seiner Jugend hatte der Schweizer wissenschaftliche Neigungen besessen; Interesse an diesen Themen war auch in reifen Jahren noch vorhanden. Diesem Plan blieb er lange treu. Im Januar 2009 sagte Ackermann zu später Stunde kurz vor dem Ende des damaligen Weltwirtschaftsforums in Davos, seine Ruhestandsplanung stehe fest. Er habe viele Pläne; die ersten Abschiedsgeschenke trudelten schon ein. So berichtete er von einem Präsent des deutschen Sprinters Armin Hary, das ihn bewegt habe. Dazu muss man wissen, dass Ackermann in seinen jungen Jahren selbst ein begeisterter Leichtathlet war und die Karriere des rund elf Jahre älteren Hary gewiss genau verfolgt hat. Hary jedenfalls hatte ihm ein Buch über sich mit einer vielsagenden Widmung hinterlassen: „Von Sprinter zu Sprinter“.

Ackermann und seine Zuhörer wussten damals zwar, dass Hary in seinem Sportlerleben zu häufig zu früh losgelaufen war. Aber sie wussten noch nicht, dass Ackermann in den Monaten danach den perfekten Zeitpunkt dafür verpassen würde, durchs Ziel zu laufen. Er ließ so auch die Gelegenheit verstreichen, sich mit dem Eindruck zu verabschieden, die Deutsche Bank glänzend durch die Finanzkrise geführt zu haben. Seine Nachspielzeit ist Ackermann nicht gut bekommen – weder in Deutschland noch in der Schweiz. Dort hatte Ackermann seinen Hut als Verwaltungsratschef der Zurich Insurance Group nehmen müssen, nachdem der ehemalige Finanzchef Pierre Wauthier Selbstmord begangen hatte. In einem Abschiedsbrief hatte Wauthier Ackermann vorgeworfen, er habe ihn unter Druck gesetzt. Allerdings haben spätere Untersuchungen ergeben, dass kein „ungebührlicher Druck“ auf Wauthier ausgeübt wurde. Ackermann hatte den Vorwurf ohnehin stets bestritten Wenn er nun negative Texte über sich liest, denkt er vielleicht manchmal an Armin Hary, den einst schnellsten Mann der Welt und Olympiasieger von Rom: Hary erlebte schon damals, was auch Athleten heute unter der Überschrift Generalverdacht trifft. Ihm schlugen Zweifel, Misstrauen und Ablehnung entgegen. Eigennutz und Arroganz warf man Hary vor. Dennoch ist Hary der letzte Deutsche und letzte Europäer, der den 100-Meter-Weltrekord gehalten hat.

Chef sein hat mit Kommunikation zu tun

Steht ein Mensch nicht am Ende seiner Karriere, sondern steigt neu in die Rolle des Vorstandsvorsitzenden ein, hat er meist keine Zeit mehr, langsam in seine neue Aufgabe hineinzuwachsen. Ein guter Kommunikationschef kann manches drehen, aber der Vorstandsvorsitzende, die Strategie und die Kommunikation eines Unternehmens müssen in jeder Hinsicht zusammenpassen – auch dauerhaft. Die Frage, wie sich ein Vorstandsvorsitzender und sein Umfeld auf diese Herausforderung am besten einstellen können, versucht zum Beispiel das Buch „Der CEO-Navigator“5 zu beantworten. Der Autor Jan Hiesserich, Mitarbeiter der in Deutschland recht erfolgreichen strategischen Kommunikationsberatung Hering Schuppener, versucht darin, möglichst klare Handlungsanweisungen zu geben, die wie so häufig bei Ratgeberbüchern zunächst nach gesundem Menschenverstand klingen – in der Praxis aber alles andere als trivial sind. Denn wie vielen Vorstandsvorsitzenden ist schon in letzter Konsequenz klar, dass sie sich auch in der Funktion eines Kommunikators definieren müssen und diese Rolle mit der Strategie ihres Unternehmens abzugleichen haben?

Die Alternativen sind frühes Scheitern oder höherer Unternehmenserfolg und damit verbunden eine bessere Gesamtkapital- und Aktienrendite. Letzteres gelingt aber nur, wenn die Strategie zum Vorstandsvorsitzenden passt und dieser die Strategie auch schlüssig gegenüber allen Stakeholdern kommunizieren kann. Wenn sich der Vorstandschef aber zum Beispiel in der Rolle eines Weltbankers oder auch eines technikverliebten Ingenieurs gefällt, tatsächlich jedoch ein Sanierer gefordert ist, wird die Situation sowohl für das Unternehmen als auch für den Chef misslich.

Bei Hiesserich wie bei Scharmer wird also klar, dass der Vorstandsvorsitzende in der heutigen Zeit gewiss mehr als je zuvor vor allem die gesellschaftspolitischen Konsequenzen des Handelns des von ihm zu führenden Unternehmens im Auge behalten muss, und zwar unabhängig davon, ob er als Retter, Innovator oder Bewahrer geholt worden ist. Hinzu kommt, dass auch der Kapitalmarkt enorme Ansprüche an den Vorstandsvorsitzenden und seine Kommunikation entwickelt. Die öffentliche Wahrnehmung des Betreffenden hat unmittelbaren Einfluss auf die Bewertung des Unternehmens: Investitionsentscheidungen werden massiv durch das Bild beeinflusst, das Investoren von dem jeweiligen Vorstandschef haben. Sein Profil in den Medien ist von entscheidender Bedeutung. Es muss ihm gelingen, durch zielgruppengerechte Kommunikation Widerstände abzubauen, Handlungsspielräume zu eröffnen, die Stakeholder in ihren Interessen wahr und ernst zu nehmen.

Geprägt von solchen Gedanken ist auch das Buch entstanden, das Sie gerade lesen. Der Vergleich über die zwei Jahrzehnte hinweg ist reizvoll: Wer hat seine Ziele erreicht? Wer ist gescheitert? Gibt es Verhaltensmuster, aus denen andere lernen können? Und was sollen die Mitarbeiter davon halten: Woran kann man erkennen, ob ein Chef seine Sache gut macht? Schließlich stellt sich die Frage, ob unsere Welt überhaupt neue Manager braucht. Die Antwort ist einerseits: ja – und das nicht nur deshalb, weil die deutschen Vorstandsvorsitzenden im Durchschnitt nach knapp sieben Jahren ohnehin aus ihren Ämtern ausscheiden. Die Antwort ist andererseits aber auch: nein. Denn die neuen Manager, die da kommen, könnten und sollten von den alten eine Menge lernen. Doch drängt sich der Verdacht auf, dass die Atemlosigkeit des Wirtschaftslebens, die nicht zuletzt von ihrer durchdringenden Digitalisierung befördert wird, genau diese Zeit zur Reflexion raubt.

Eine Reise durch die Führungsetagen

Kämpfen wir dagegen an und begeben uns auf eine Reise durch die Führungsetagen unserer Wirtschaft, die bei den renommierten Beratern der Boston Consulting Group (BCG) beginnt: „Vor dem Ausbruch der Finanzkrise gab es Fälle, da muss man eingestehen, dass die Wirtschaft teils übertrieben selbstbewusst aufgetreten ist. Einige Manager haben damals gegenüber der Gesellschaft nicht den richtigen Ton getroffen.“ Das sagt in diesem Fall kein Aktivist von der Occupy-Bewegung oder von den Globalisierungsgegnern von Attac. Die deutlichen Worte findet Carsten Kratz, der Deutschland-Chef der Unternehmensberatung BCG. Und die BCG ist in der Branche nicht irgendwer. Man sieht sich selbst, gemeinsam mit McKinsey, am oberen Ende des Marktes, im Premium-Segment sozusagen. Durch das in Teilen arrogant wirkende Verhalten sei ein Vakuum entstanden, räumt Kratz im Gespräch in seinem Frankfurter Büro in der Nähe der Alten Oper ein: „Und die Politik hat diese Lücke gefüllt.“

Das hatte Konsequenzen, denn mit der Arroganz paarte sich Versagen: Viele Branchen werden deshalb inzwischen mit Regulierungen überzogen; die Politik folgt dabei dem gesellschaftlichen Konsens. Und der hat für eine liberale Wirtschaftspolitik derzeit nicht mehr viel übrig. Kratz spürt die Auswirkungen in seinem beruflichen Alltag, also in den Gesprächen mit den Vorstandsvorsitzenden von Unternehmen, die er regelmäßig trifft. „In 80 Prozent der Gespräche geht es derzeit um Fragen der Regulierung.“

Was ihn zum Zeitpunkt des Gesprächs im November 2013 wurmt, ist, dass die Manager in den Jahren zuvor so viel Vertrauen in der Gesellschaft verspielt haben, dass sie inzwischen auch mit berechtigten Forderungen kein Gehör mehr bekommen oder zu bekommen scheinen. Pauschalurteile seien hier auch wenig hilfreich. „Es gibt so viele Unternehmen, die sich langfristig jedes Jahr und Schritt für Schritt weiterentwickelt haben. Das spüren dann auch die Mitarbeiter – und schenken ihren Chefs entsprechendes Vertrauen.“ Dass diese Chefs sich dann aber häufig nicht trauten, unbequeme Wahrheiten auch einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen, sei bedauerlich. Hier müssten nicht zuletzt auch gut geführte Familienunternehmen eine Vorreiterrolle übernehmen. „Wenn sich die Wirtschaft nicht stärker engagiert, dann kommt sie aus der Regulierungsfalle nicht heraus“, sagt Kratz. Noch sei es dazu nicht zu spät. „Wir haben Kraft – und unser Schicksal noch in der eigenen Hand.“

Doch haben das inzwischen mehr Führungskräfte begriffen? Man hat Zweifel. Dabei ist der Druck, etwas verändern zu müssen, riesengroß.