Geschichte Venedigs - Arne Karsten - E-Book

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Arne Karsten

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Beschreibung

In seiner Glanzzeit zählte Venedig zu den reichsten und mächtigsten Städten der Welt. Über Jahrhunderte hinweg agierte die Lagunenstadt im Stil einer europäischen Großmacht. Arne Karsten beschreibt anschaulich und kenntnisreich die politischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Geschicke der Stadt – von ihren bescheidenen Anfängen als Siedlung im Sumpf bis zum Untergang der Republik Venedig im Jahr 1797 und dem erneuten Aufstieg als Kulturstadt sondergleichen.

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Arne Karsten

GESCHICHTE VENEDIGS

C.H.Beck

Über das Buch

Venedig war im Laufe seiner Geschichte viel mehr als die Stadt der Träume und des Todes, als die es heute bekannt ist. Lange Zeit war es ein Staat mit einer einzigartigen republikanischen Verfassung, für die es überall in Europa bewundert wurde. Auf dem Höhepunkt seiner Entfaltung gehörten zu diesem Staat große Gebiete Oberitaliens, Inseln in der Adria und der Ägäis, aber auch die großen Mittelmeerinseln Zypern und Kreta. Der Handel hatte Venedig reich und bedeutend gemacht, und die regen Beziehungen zum Orient spiegelten sich auch in der venezianischen Kunst und Architektur, die der Stadt bis heute ihren fremden Reiz verleihen. Arne Karsten bietet in diesem Band einen glänzenden Überblick über die Geschichte der Stadt und des Staates Venedig.

Über den Autor

Arne Karsten ist Historiker und Kunsthistoriker und lehrt am Historischen Seminar der Bergischen Universität Wuppertal. Bei C.H.Beck sind von ihm u.a. erschienen: «Bernini. Der Schöpfer des barocken Rom» (32017), «Kleine Geschichte Venedigs» (2008) und «Der Untergang der Welt von gestern. Wien und die k. u. k. Monarchie 1911–1919» (2019).

Inhalt

Einleitung

1. Der Aufstieg (Von der Spätantike bis 1204)

Die Siedlung im Sumpf

Eine Stadt und ihr Heiliger

Auf dem Weg zur Unabhängigkeit

Zwischen Kaiser und Papst

Der Vierte Kreuzzug

2. Die Glanzzeit (1204–1509)

Der große Reichtum

Der stato da mar und die Eroberung der terra ferma

Die Verfassung von Gesellschaft und Staat

«Toleranz» und «Liberalität»

Feste und Kunst

3. Der Niedergang (1509–1797)

Agnadello und die Folgen

Handel und Gewerbe

Die kulturelle Hochblüte

Krieg im Osten

Verfall und Untergang der Republik

4. Kunst und Kommerz (1797 bis heute)

Franzosenzeit

Unter dem Doppeladler

Im Königreich Italien

Die Ära des Faschismus

Auf dem Weg nach Disneyland

Literatur

Bildnachweis

Personenregister

Karte 1

Karte 2

Einleitung

Das Bild ging um die Welt: Am 4. November 1966 stand der Markus-Platz in Venedig fast zwei Meter unter Wasser (Abb. 1). Auch wenn die Stadt in der Lagune seit jeher mit Überschwemmungen vertraut ist – so bedrohlich, so zerstörerisch hatte sich ihr Lebenselement seit Menschengedenken nicht mehr gegen sie gewandt. Die Katastrophe löste eine Welle internationaler Solidarität aus, die bemerkenswerterweise auch dann noch vorhielt, als die unmittelbaren Folgen der Katastrophe längst beseitigt waren, und die bis heute Bestand hat. Längst zählt die Lagunenstadt zum «Weltkulturerbe der Menschheit», und eine Vielzahl von italienischen und internationalen Institutionen hat sich der Bewahrung dieses einzigartigen Erbes verschrieben.

Denn Venedig ist mehr denn je nicht nur eine faszinierende, sondern auch eine in höchstem Maße gefährdete Stadt. Wer diese Gefährdung verstehen will, tut gut daran, Venedig als historisch gewachsenes Gebilde verstehen zu lernen, seine Geschichte zu kennen, die zugleich die Geschichte eines Staates ist, dessen Haupt die Stadt bis zum Jahr 1797 war. Er sollte zurückschauen und nach den Gründen fragen, die zur Besiedelung eines so unfreundlichen Lebensraums wie der Lagune führten; nach den Voraussetzungen, die dieser Siedlung zum Erfolg verhalfen; nach dem Bild, das Venedig zu seinen Glanzzeiten von sich selbst pflegte und zugleich den vielen Fremden bot; nach den Ursachen von Verfall und Untergang der Republik Venedig; und schließlich nach dem weiteren Schicksal einer Stadt, die sich im 19. und 20. Jahrhundert von der selbstbewussten Hauptstadt eines Seereichs zur Touristenmetropole wandelte.

Dies alles soll im Folgenden geschehen, in der Form eines knappen Überblicks, der versuchen will, die Zusammenhänge zwischen politischen und religiösen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Entwicklungen in den Blick zu nehmen. Sein Ziel ist es, die Geschichte Venedigs in ihren wesentlichen Grundzügen zu skizzieren und gleichzeitig durch diesen Blick auf die Vergangenheit die Faszination zu erklären, welche die Stadt in der Lagune auch und gerade auf unsere Gegenwart weiterhin ausübt. Venedig gilt heute gemeinhin als die Stadt der Träume – und als die Stadt des Todes, in jedem Fall aber als «unnormal», fremd, irritierend, verzaubernd, bedrohlich.

Insofern lässt sich Venedig nicht zum wenigsten als ein Gegenentwurf zum Prinzip der Effizienzmaximierung, zum Modernisierungsglauben der Gegenwart verstehen. Wer Venedig zu einer zeitgemäßen Stadt machen wollte, müsste es zerstören, und zwar in einer viel fundamentaleren Weise als die übrigen Städte des alten Europa, denn er müsste das Wasser vertreiben und damit Venedigs Lebenselement. Die Omnipräsenz des Wassers, des dem Menschen als Landwesen fremden Elements, sorgt dafür, dass wir in Venedig noch heute Lebenserfahrungen unserer Vorfahren aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit machen können, wie sie uns andernorts längst verwehrt sind: so die Erfahrung der Langsamkeit, die der Mensch macht, wenn er keine technischen Hilfsmittel zur Fortbewegung hat; die Erfahrung der Begrenztheit und Kostbarkeit des öffentlichen Raumes, da, wo dieser Raum mühselig dem Wasser abgerungen werden muss; die Erfahrung der Vergangenheit im dichtgedrängten Nebeneinander von Gebäuden aus den verschiedensten Epochen, planlos ineinander gewachsen, unauflöslich ineinander verschachtelt; und schließlich: die Erfahrung, dass das Leben, allen menschlich-allzumenschlichen Bemühungen um Sicherheit zum Trotz, nur in sehr engen Grenzen plan- und kontrollierbar ist. Alle Anstrengungen der Venezianer, ihre Stadt durch Gesetze und Gemeinsinn zum allgemeinen Nutzen zu gestalten, fanden ihre Grenzen im unberechenbaren Widerstand der Naturgewalt Wasser, wie jeder Venedig-Besucher sogleich erfährt, wenn er sich wenige Minuten nach dem Verlassen der Touristen-Highways im Gewirr der gekrümmten Gassen heillos verlaufen hat. Venedig, die irrationale Stadt: Vielleicht ist es gerade dieser Aspekt venezianischer Wirklichkeit, der heutzutage am intensivsten empfunden wird – als Irritation und Beruhigung gleichermaßen.

1  Der überschwemmte Markus-Platz während des Hochwassers 1966

Venedig, die irrationale Stadt – beim Blick zurück in die Geschichte wüsste man gern, was wohl die Venezianer vergangener Tage zu diesem Urteil über ihr Gemeinwesen gesagt hätten. Denn was aus heutiger Perspektive als ein einzigartiges Relikt aus vormoderner Zeit erscheint, als ein aus Stein und Wasser gemischter Protest gegen die Allmachtsphantasien eines technizistischen Fortschrittsglaubens, das war zu den Glanzzeiten Venedigs, und zwar keineswegs nur in den Augen seiner Bewohner, sondern in denjenigen ganz Europas, geradezu ein Ausbund an rational gestaltender menschlicher Klugheit. Der Handel hatte Venedig reich und bedeutend gemacht, und die venezianischen Händler, die im hohen Mittelalter einen Großteil des Warenaustauschs zwischen dem Abendland und dem Orient kontrollierten, sie galten nachgerade als Inkarnation des kühl kalkulierenden Kaufmanns, dessen Tun nicht so sehr von Glaubensüberzeugungen und Ehrvorstellungen, sondern vor allem von nüchternen Berechnungen des zu erwartenden Profits geleitet war.

Diese planende menschliche Vernunft schien auch der politischen Verfassung jenes Staates zugrunde zu liegen, der Venedig lange Zeit, vom Hochmittelalter bis zum Ende der Republik 1797, ebenfalls war. Ein Staat, zu dem auf dem Höhepunkt seiner Entfaltung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts große Gebiete Oberitaliens gehörten: das heutige Veneto, Teile der Lombardei, Friaul, weite Abschnitte der dalmatinischen Küste, dazu kleinere Inseln in der Adria und der Ägäis, aber auch die großen Mittelmeerinseln Zypern und Kreta. Ein Staat, in dem knapp drei Millionen Menschen lebten, gelenkt und geleitet von Venedig aus. Dort hatte sich über die Jahrhunderte hinweg eine Verfassung herausgebildet, die der Stadt und dem von ihr beherrschten Staat eine erstaunliche Stabilität gewährte und für die Venedig in ganz Europa bewundert wurde. Dies bestärkte die Venezianer in der Überzeugung, dass ihre Verfassung als die schlechterdings perfekte Leistung menschlicher Vernunft zu preisen sei und sich das Zusammenleben der Menschen nicht gedeihlicher gestalten lasse, als durch eben diese Verfassung.

Nein, «Irrationalität» ist zweifellos derjenige Begriff, der einem Menschen im frühneuzeitlichen Europa, er sei Venezianer oder nicht, zu allerletzt in den Sinn gekommen wäre, hätte er Assoziationen zu «Venedig» bilden sollen. Wenn wir Heutigen den Begriff umgekehrt als so überaus naheliegend empfinden, so bietet diese irritierende Diskrepanz Gelegenheit, auf den Veränderungscharakter aller historischen Prozesse hinzuweisen. Venedig, die Stadt der Träume und des Todes, war vor 500 Jahren nicht weniger berühmt als heute, aber es war für vollkommen andere Dinge berühmt. Geträumt wurden damals an der Lagune die hartherzigen Träume kalt rechnender Kaufleute und Bankiers von Reichtum und Macht; und der «Tod in Venedig» ereilte nicht etwa schönheitstrunkene Literaten am Strand des Lido, sondern Verbrecher und Verschwörer gegen die Macht der Serenissima, die auf Befehl der venezianischen Behörden des Nachts in aller Stille in der Lagune ertränkt wurden. Der strahlende Glanz, mit dem die Stadt ihre Besucher blendete, er war erkauft mit einer zielstrebigen und oftmals skrupellosen Machtpolitik, die aus einem unbedeutenden Fischernest am Nordrand der Adria eine europäische Großmacht werden ließ. Dieser staunenerregende Aufstieg aber nahm Jahrhunderte in Anspruch.

1. Der Aufstieg (Von der Spätantike bis 1204)

Die Siedlung im Sumpf

Die Anfänge Venedigs liegen im Dunkeln, und dieses Dunkel ist in doppeltem Sinne zu verstehen. Sie liegen in ferner Vergangenheit, und doch wüssten wir paradoxerweise mehr über sie, wenn sie noch weiter zurücklägen. Anders als die allermeisten Städte Italiens nämlich wurde die eigenartige Stadt im Wasser nicht in der Antike gegründet, sondern entstand in jener Zeit nach dem Untergang des Weströmischen Reichs und der antiken Zivilisation, welche die Historiker die «dunklen Jahrhunderte» nennen. Wir wissen wenig über die zweite Hälfte des 1.christlichen Jahrtausends, und wir wissen wenig über die Anfänge, besser wohl: die Vorgeschichte Venedigs. Denn die Festlandbewohner, die in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts n.Chr. damit begannen, die Lagune als Lebensraum zu entdecken, siedelten zumeist nicht dort, wo sich das heutige Venedig befindet, sondern an anderen Stellen.

Sie kamen nicht freiwillig, denn sie waren Flüchtlinge vor germanischen Eroberern aus dem Norden. Der Einfall der Langobarden in Norditalien im Jahre 568 bereitete der kurzzeitig gelungenen Eroberung der Apenninenhalbinsel unter dem oströmischen Kaiser Justinian (527–565) ein Ende. Er beendete auch dessen Pläne zur Wiederherstellung des alten Imperiums in West und Ost von Konstantinopel aus, und zwar definitiv, wie sich erweisen sollte. Denn die rustikalen Besucher aus dem Norden blieben auf Dauer und etablierten ein eigenes langobardisches Königtum, das gut 200 Jahre Bestand haben sollte. Seefahrer aber waren die Langobarden nicht und wurden es auch nicht. So entwickelte sich ein einigermaßen erträgliches Nebeneinander in Italien: Im Landesinneren des Nordens und der Mitte herrschten die Langobarden, der Süden dagegen und die östlichen Küstenregionen bis hinauf an den Nordrand der Adria gehörten weiterhin zum Oströmischen Reich mit dem Kaiser im fernen Byzanz, dessen Herrschaft über die westlichen Provinzen durch seine Flotte gesichert wurde.

Der höchste politische Vertreter des Kaisers in Oberitalien war ein Exarch mit Sitz in Ravenna, zu dieser Zeit eine der bedeutendsten Städte Europas. Im 5. Jahrhundert war sie sogar Regierungssitz der letzten weströmischen Imperatoren gewesen, und auch wenn deren Macht damals schon in voller Auflösung begriffen war, so blieb Ravenna doch einiges an Glanz und Ruhm. Auch wirtschaftlich spielte es eine wichtige Rolle, denn die Stadt lag in dieser Zeit noch am Wasser einer Lagune, ähnlich derjenigen von Venedig – wie sich überhaupt im Nordwesten der Adria ein ganzes System von Lagunen ausgebildet hatte. Es waren empfindliche, höchst labile Lebensräume von sozusagen amphibischer Natur, gleichermaßen bedroht durch Sedimentierung von der Landseite und Erosion durch das Meer. Die perfekt geschützten Häfen in solchen Lagunen boten der Handelsschifffahrt jedoch ausgezeichnete Bedingungen, und so erklärt sich das Aufblühen verschiedener Städte in dieser Region, unter denen Venedig zu den späteren gehörte. Etwas nördlich von Venedig lag eine weitere Lagune mit einer weiteren großen, bedeutenden Handelsstadt namens Aquileia. In der Spätantike hatte sie zu den größten Städten des Imperiums gezählt, und im Zuge der Christianisierung des Römischen Reichs war sie sogar zum Sitz eines Patriarchen geworden; davon zeugt bis in die Gegenwart ein gewaltiger Dom, der in der heutigen Kleinstadt allerdings seltsam überdimensioniert wirkt. Aquileia fiel schließlich der Versandung seiner Lagune zum Opfer, und mit dem Niedergang des Handels schrumpfte auch die Bevölkerung.

Die adriatische Lagunenlandschaft bot ihren Bewohnern also zwar Schutz vor den germanischen Eroberern und hervorragende Voraussetzungen für den Seehandel; und in einer Epoche, in der Warenaustausch über große Entfernungen fast ausschließlich auf dem Wasser stattfand, stellte das einen unschätzbaren Vorteil dar. Zugleich aber war dieser Lebensraum überaus unsicher. Gewiss war das Leben der Menschen im Mittelalter überall in Europa von Naturgewalten bedroht, und der Kampf gegen diese prägte den Alltag in einem heute kaum mehr vorstellbaren Maße. Doch in nur wenigen Regionen wies dieser Kampf so dramatische Züge auf, waren die Folgen menschlichen Scheiterns so fatal wie in den Lagunen. Nicht nur das Schicksal Ravennas und Aquileias legt davon beredtes Zeugnis ab, sondern auch die Geschicke einiger Siedlungen in der Lagune von Venedig.

Lange Zeit war Venedig keineswegs die wichtigste dieser Siedlungen. Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts befand sich der Hauptsitz der byzantinischen Verwaltung in der Lagunenlandschaft im später untergegangenen Eraclea, benannt nach dem oströmischen Kaiser Herakleios (610–641). Mitte des 8. Jahrhunderts verlegte man dieses Verwaltungszentrum dann nach Malamocco, heute nur mehr ein Dörfchen auf dem Lidostrand. Ein Stück weit im Norden des heutigen Venedig entwickelte sich vor allem Torcello zu einem noch im 11. Jahrhundert blühenden Handelszentrum, wovon wie im Falle Aquileias bis heute eine eindrucksvolle Kirche zeugt – eines der wenigen erhaltenen Beispiele für die byzantinisch-venezianische Sakralbaukunst des Mittelalters (Abb. 2). Torcellos Niedergang aber begann nicht allein durch die Versandung des Hafens, sondern vor allem durch vermehrten Süßwasserzufluss vom Festland, der die Wachstumsbedingungen des Schilfröhrichts verbesserte, einer bevorzugten Brutstätte der Malaria-Mücke. Die durch sie übertragene Krankheit war über die Jahrhunderte hinweg im gesamten Lagunengebiet verbreitet, nahm aber in Torcello schließlich so überhand, dass sie der Siedlung zum Verhängnis wurde.