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Kapitän Beres Amtaral und die Mannschaft der Terrenago werden vom berüchtigten Piraten Beroltep gefangen genommen. Nur wenn sie die Piraten sicher zur geheimnisvollen »Teufelsnadel« bringen, existiert für Beres Amtaral eine Chance, sich und seine Leute zu retten. Ein echtes Himmelsfahrtkommando, wie Beres schnell erkennen muss …
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Veröffentlichungsjahr: 2014
Saramee - Stadt der Vertriebenen
Zeit der vier Monde
Autor: Michael H. Schenk
Geschichten aus Saramee Band 1
Zeit der vier Monde
Die Terrenago war sicherlich ein ungewöhnliches Schiff. Mit nur siebzehn Metern Länge und guten fünf Metern Breite wirkte der Rumpf gedrungen. Der einzelne Mast ragte hoch über das Wasser auf und trug die schmale Aussichtsplattform und den Rahbalken des Segels. Dieses einzelne Segel machte die eigentliche Besonderheit der Terrenago aus. Im Verhältnis zu anderen Schiffen war seine Schmetterlingsform ungewöhnlich groß. Das machte das kleine Schiff außergewöhnlich schnell und ihr Kapitän Beres Amtaral nutzte den breiten Rumpf, um mit seiner Terrenago hoch an den Wind zu gehen. Er konnte jedem Schiff davonsegeln und der flache Rumpf ermöglichte das Befahren von Gewässern, die anderen verwehrt blieben. Ein großer Vorteil für die kleine Besatzung, denn so konnte Beres Amtaral dort Handel treiben, wo er den großen Handelskaravellen mit ihrem Tiefgang verwehrt war oder wo die Gegenwart der Piratenschiffe große Schnelligkeit verlangte.
Beres Amtaral war stolz auf sein Schiff und dessen Fähigkeiten, die ihm und seiner kleinen Mannschaft ein angenehmes Einkommen sicherten. Die Terrenago war bekannt auf den kleinen Inseln, denn ihre Ankunft bedeutete Handel mit begehrten Waren und war oft genug Anlass zu einem kleinen Fest. Der breite und flache Rumpf war seine Heimat und die kleine Besatzung seine Familie. Auch wenn es ein spartanisches Leben war, denn die Terrenago bot keinen Raum für Luxus. Innerhalb des Rumpfes konnte man kaum stehen und Beres und seine Tochter teilten sich die Heckkabine. Da sie über die gesamte Breite des Schiffes ging, war sie nahezu luxuriös, wenn man sie mit den winzigen Verschlägen verglich, die den anderen zur Verfügung standen. Gerade genug, um die Hängematten auszuspannen. Nicht genug, als dass sich die riesigen Zwillingsbrüder Malbert und Galbert dabei hätten strecken können. Parses, der Koch, brauchte seine Kammer nicht zu teilen. Er schlief in der winzigen Kombüse. Vorne, in der Ankerplicht im Bug, wo Reservetaue und Holz für die Zimmermannsarbeiten aufbewahrt wurden, hatte der einzige Passagier, der Gelehrte Dort Kelam, seine Unterkunft. Das Deck war gerade. Es gab keine Hütte oder Kampanje wie auf den großen Karavellen. Vorne am Bug ragte der lange Bugspriet hervor, hinten am Heck die Ruderpinne. Es gab kein Steuerruder wie bei großen Schiffen, nur einen langen Holm, der an der Heckreling drehbar gelagert war und der in dem großen Ruderblatt hinter dem Heck endete. Der Mast war ein gutes Stück höher, als die Terrenago in der Länge maß. Vor dem Mast befand sich die Ladeluke, dahinter der Niedergang, der in den Rumpf hinunterführte. Ordentlich gelegte Leinen und mehrere Kisten standen an Deck und vermittelten einem uneingeweihten Landwesen den Eindruck von Unordnung. Doch auf einem Schiff hatte alles seinen Platz und jedes Fleckchen musste genutzt werden.
Im Augenblick kreuzte das kleine Schiff zwischen den vier großen Inseln an der Südspitze des Reiches Okano. Beres Amtaral schätzte die Okaner auf ganz besondere Weise. Sosehr sie bei einer Bedrohung ihres Landes auch zusammenstanden, so beharrlich achteten ihre Clans zugleich auf ihre Unabhängigkeit voneinander. Eifersüchteleien waren an der Tagesordnung und speziell der Handel mit den kleinsten Inseln lohnte sich für ein Familienunternehmen.
Beres Amtaral hatte sich nie der Handelsgilde angeschlossen. Er liebte seine Unabhängigkeit und er liebte das große Binnenmeer, das er nun schon viele Jahre mit der Terrenago befuhr. Er mied die große Stadt Saramee und besuchte sie nur, wenn er dort Waren handeln wollte. Das Gedränge der Bewohner in den engen Straßen und Gassen war ihm unangenehm. Für ihn war die Stadt ein hässliches Meer aus kaltem Gestein und kalten Herzen, wo jeder dem eigenen Glück nachjagte. Für Beres war Saramee immer ein Hafen gewesen, in dem man sich nur wenig um die Geschäfte des anderen kümmerte. Doch das hatte sich geändert. Seitdem die Stadt dem Westlichen Imperium erlaubte, von ihr aus gegen die Piraten vorzugehen, hatte sie an Neutralität eingebüßt. Das war schlecht für Beres’ Geschäfte, denn bislang hatte das Wappen der Seeschlange manchen Piraten davon abgehalten, der Terrenago mit offener Feindseligkeit zu begegnen. Nein, Beres Amtaral traute dem Westlichen Imperium nicht über den Weg. Wo es einmal seinen Fuß hingesetzt hatte, da stellte es auch gerne seine Flagge auf. Saramee würde darauf achten müssen, nicht zu einem Vasallen des Imperiums zu werden. Er fragte sich, ob dies nicht schon geschehen war, so bereitwillig, wie man der Kriegsflotte den Hafen geöffnet hatte.
Beres hielt nichts von Politik und nichts von Eroberungen. Gewalt zog nur weitere Gewalt nach sich und schmälerte die Gewinne im Handel. Das Bündnis des Imperiums mit Saramee konnte leicht dazu führen, dass er mit der Terrenago in andere Gewässer ausweichen musste. Das wäre schlecht für sein Geschäft, denn er und seine Handelspartner kannten sich und waren einander vertraut. Sie wussten, dass er fair mit ihnen handelte. Beres verzichtete lieber auf etwas Gewinn und erhielt sich so die Sympathie seiner Kunden. Wenn sie zufrieden waren, erhielt er zudem oft Hinweise von ihnen. Hinweise auf lohnende Fahrten oder drohende Gefahren.
Die Terrenago näherte sich der Insel Antelat. Einem winzigen Eiland, das nur für seine Bewohner von Bedeutung war. Obwohl die Insel relativ groß und fruchtbar war, blieb sie bislang von jedem Überfall verschont. Vom Ring eines gefährlichen Riffs umgeben, war Antelat nur mit Booten oder einem Schiff wie der Terrenago zu erreichen. Gegen die Brandung anzukämpfen, stellte eine Mühsal dar, die keinen Handel oder Angriff lohnte. Ein weißer Sandstrand, der zum Verweilen einlud, umgab die Insel. Selbst der dichte Waldsaum, der das Innere verbarg, hatte die Form eines Ringes. Nur an der Nordseite stieg der Wald an. Dort befand sich ein Hügel, den die Okaner, welche Antelat bewohnten, mit einem gewissen Optimismus als Berg bezeichneten. Immerhin war die Erhebung hoch genug, um Ausblick über das Meer zu gewähren, und man würde die Annäherung des kleinen Schiffes schon von Weitem entdeckt haben. Auch wenn sich die Bewohner durch das Riff vor Überfällen geschützt wähnten, hielten sie Ausschau. Gefahr drohte ihnen weniger von feindseligen Schiffen als vielmehr von den plötzlich hereinbrechenden Stürmen, die auf einer flachen Insel Verheerungen anrichten konnten.
Beres Amtaral trug ein knielanges und lose fallendes Gewand, das an der Hüfte durch eine blaue Schärpe gebunden war. Dazu ein langärmeliges Hemd, welches offen stand und einer bauschigen Jacke ähnelte. Beres hatte guten Wollstoff gewählt, besser als der Leinen einfacher Bürger, doch nur wenig Schmuck, den die Wohlhabenden sonst zur Schau stellten. Ein schlichter Armreif aus gutem Eisen und eine goldene Kette um den Hals genügten ihm. Zu viel Zierrat mochte bei seinen Handelspartnern den Eindruck erwecken, Beres fahre zu viel Gewinn ein, und dies wollte er vermeiden. In der blauen Schärpe steckte ein großes Kappmesser, mit dem sich Tauwerk, Holz und notfalls Schädel bearbeiten ließen. Bislang war Letzteres nicht erforderlich gewesen. Beres war kein Freund von Gewalt, welche doch nur die Geschäfte verdarb. Jetzt, da sich sein Schiff der einzigen Passage nach Antelat näherte, stand der Kapitän der Terrenago neben seinem Steuermann an der Ruderpinne. Die Sonne hatte ihren Höchststand erreicht und er musste seine Augen beschatten, um die im Sonnenglast liegende Insel und die Zufahrt klar zu erkennen.
»Bugweisend drauf zu«, brummte Beres. »Und weiche nicht ab, Malbert. Rechts und links der Zufahrt kräuselt sich das Wasser.«