Gesundheit als Gabe - Lothar Stempin - E-Book

Gesundheit als Gabe E-Book

Lothar Stempin

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Beschreibung

Today's functional perspective on health tremendously restricts the vision of healthiness. Within spiritual traditions, especially those of Christianity, the issue of healthiness is associated with that of healing.

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Edition Wege zum Menschen

Herausgegeben vom Redaktionskreis der Zeitschrift „Wege zum Menschen“

Christiane Burbach, Wilfried Engemann, Jörn Halbe, Klaus Kießling, Hermann Steinkamp,

Lothar Stempin

Gesundheit als Gabe

Zur Wiederkehr religiöser Begründung und spiritueller Praxis von Gesundheit

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 7 Abbildungen

Umschlagabbildung: © akg-images / De Agostini Picture Lib. / S. Vanni

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

978-3-647-99635-6 (EPUB) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter www.v-r.de

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A.www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Inhalt

Einführung

I. Gesundheitsgesellschaft in Deutschland

1. Gesundheit in der Gesellschaft

a. Gesundheit im Medizinsystem

b. Alternative Gesundheitsfürsorge

c. Gesundheit im Betrieb

d. Individuelle Gesundheitsfürsorge

e. Gesundheitshaltungen

2. Gesundheit im System sozialer Sicherung

a. Erwerbsbezug

b. Versicherungsprinzip

c. Leistungsprinzip

d. Leitbild

3. Gesundheitsinterpretationen

a. Gesundheit im Plural

b. Erweiterter Gesundheitsbegriff der WHO

c. Spannungszustände

II. Gesundheit mit Herz und Hand

1. Blaue und violette Diakonie

a. Blaue Diakonie

b. Violette Diakonie

2. Hospizbewegung und die spezialisierte ambulante palliative Versorgung

a. Langlaufende Kontroversen

b. Gesellschaftliche Reformbewegung

c. Alternative im Gesundheitssystem

d. Überformung durch die spezialisierte ambulante palliative Versorgung

3. Gesundheit: Thema der Diakonie

4. Zusammenfassung

III. Ethik der Gesundheit

1. Ethik der Gerechtigkeit

a. Vertragsbezogenheit

b. Gerechtigkeit und Gleichheit

2. Ethik der Verantwortung

a. Allgemeine Norm und besondere Existenz

b. Sozialgesetzliche Verankerung von Verantwortung

c. Selbstverantwortung in geistesgeschichtlicher Perspektive

3. Ethik des Herzens

4. Ethik der Lebensführung

5. Ethik der Achtsamkeit

6. Zusammenfassung

IV. Gesundheitskultur

1. Hauptsache gesund

2. Gesundheitsentwicklungen

a. Healthness – Megatrend Gesundheit

b. Basisinnovation Gesundheit

3. Aporien der Moderne

a. Dynamische Stabilisierung

b. Selbstverantwortete Gesundheit

c. Mythen der Moderne

4. Spiritualität und Religion

a. Spiritualität und Gesundheit

b. Religion und Spiritualität

c. Heilige Dinge – die neuen Materialisierungen von Gesundheit

V. Gesundheit: die Gabe

1. Gegebensein von Gesundheit

2. Kritik der Gabe

3. Gesundheit als Gabe – philosophische Konzepte

a. Marcel Mauss, Die Gabe

b. Paul Ricœur, Poesie einer altruistischen Liebesethik

c. Jean-Luc Marion: Die Gegebenheit

d. Jacques Derrida, Kritik und Hyperkritik der Gabe

4. Gesundheit als Gabe

a. leibhaftig

b. hingebungsvoll

c. wurzelecht

d. verwundet und heil

5. Große Gesundheit

6. Theologie der Gabe

a. Gabe des Lebens

b. Gabe des Heils

c. Weise des Gebens

d. Gabe der Gegenwart

7. Zusammenschau

VI. Gesundheit Raum geben

1. Gesundheitsressourcen

a. Neurobiologische Konzepte der Selbststeuerung

b. Heilungskräfte

c. Selbstheilung

2. Gesund leben lernen

a. Selbstachtsamkeit

b. Gesundheitsberufe

3. Gesundheitsorientierte Führung

a. Gesundheit als Führungsaufgabe

b. Gesellschaftliche Governance-Konzepte

c. Gesellschaftliche Gesundheit

d. Kulturwandel durch achtsame Führung

e. Gesunde Unternehmenskultur

Zusammenfassung und Ausblick

Ausblick auf den weiteren Forschungsbedarf

Literaturverzeichnis

Textnachweis

Einführung

Gesundheit ist das Anfangs- und Schlüsselwort einer weitgespannten Erzählung über die Begegnung von Moderne und Religion. Allein der Blick auf die gesellschaftlichen und kulturellen Übergänge der vergangenen 150 Jahre spricht für diese Einschätzung.

Die Konsolidierung des Deutschen Kaiserreichs ist ohne die die Gesundheit der Arbeiterschaft abstützenden Systeme der Sozialversicherung kaum denkbar. Und die vorletzte Jahrhundertwende ist mit dem Aufkommen der Lebensreformbewegung verbunden, die naturbezogene Wege der Heilung suchte. Die dunkle Zeit des Nationalsozialismus geht mit einer unheilvollen Körperpolitik einher, die dem weltanschaulichen Totalitarismus entspricht.

Nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges entwickelte die Weltgesundheitsorganisation eine Weltfriedensordnung, die eng mit Gesundheitsprävention verbunden ist. Soweit wollte die sozialstaatliche Gesundheitsfürsorge in Deutschland nicht gehen. Gesundheit wird hier vorrangig in der Perspektive der Arbeitsfähigkeit wahrgenommen. Die Konstruktionsprinzipien des Sozialstaates entsprachen – und entsprechen bis heute – in Grundzügen den wirtschaftstheoretischen Regeln des Fordismus. Der Übergang zum sogenannten Postfordismus verändert gegenwärtig auch das Konzept von Gesundheit. Auf den ersten Blick zeigt sich dieses in Gestalt des Gesundheitsmarktes und der Wettbewerbslogik gesundheitsbezogener Leistungserbringung.

Bezeichnenderweise wird in diesem Übergang die Frage nach „an-ökonomischen“ Vollzügen von Gesundheitsförderung gestellt. In einer Zeit, in der Gesundheit zur Ware wird und zur Voraussetzung von Wettbewerbsfähigkeit, sind gleichzeitig Such-bewegungen nach einer Gesundheit jenseits gesellschaftlicher Verzweckung zu bemerken. Diese andere und größere Gesundheit ist Chiffre für individuelle und kollektive Heil- und Lebensmittel.

Vorsichtig wird gefragt, ob möglicherweise spirituelle Bindungen und Lebensorientierungen Gesundungsprozesse befördern. Zaghaft begibt sich die Schulmedizin in das Gespräch mit der Komplementärmedizin. Krankenkassen werben mit der Kostenübernahme für alternative Heilmethoden. Erkennbar verschieben sich die Methoden der Heilung und die Sicht auf die Faktoren von Gesundung. Die Individuen sind in einem nie dagewesenen Maße an Wohlbefinden und gesunder Lebensführung interessiert. Das Spektrum reicht von körperlicher Fitness bis zur Inanspruchnahme schamanischer Heilungswege.

Aber begegnen sich hier tatsächlich Gesundheit, Moderne und Religion? Die christlichen Kirchen sehen in diesen Phänomenen eher eine Gesundheitsreligion aufziehen, durch die das Individuum das ewige Leben schon im Hier und Jetzt haben und behalten will. Als kulturelles Konzept sei diese Gesundheitsreligion gleichsam das moderne Opium fürs Volk, durch die die durch Wellness freigesetzten Kräfte in gesellschaftliche Wohlfahrt und wirtschaftliches Wachstum konvertiert werden.

In der Tat fehlt dem wohlfahrtsstaatlichen Modell der Bundesrepublik, trotz Diakonie und Caritas, ein religiöses Charisma. Die Gründe dafür liegen in den Konstruktionsprinzipien des gegenwärtigen Gesundheitssystems. Darüber hinaus sind die hohen Werte dieses Modells, das Solidaritätsprinzip und der Grundsatz der Gerechtigkeit, möglicherweise ursächlich für die blutleere Leistungserbringung, die Nähe-Defizite bei der Behandlung und die ausgeprägte Formalisierung der Beziehungen.

Die folgende Untersuchung beleuchtet die sozialstaatliche Systemlogik und forscht nach den darin liegenden Desideraten des Gesellschaftsmodells der Moderne. Aktuell vollzieht sich hier unter dem Leitbegriff Prävention eine subtile Verantwortungsverlagerung zwischen Subjekt und Gesellschaft. Denn die eingeforderte Selbstverantwortung für Gesundheit impliziert auch Momente gesteigerter gesellschaftlicher Kontrolle. Man könnte auch von einer subkutanen Form der Verstaatlichung von Gesundheitsfürsorge sprechen.

Eine theologische Studie kann jedoch nicht bei der kritischen Betrachtung der Gesundheitsförderung der Gegenwart stehenbleiben und in einer Polemik gegen die Moderne verharren. Vielmehr wird der Versuch unternommen, mit Hilfe der Kategorie der Gabe, eine öffnende und weiterführende Interpretationskategorie in das Gefüge von Moderne, Religion und Gesundheit einzubringen.

Dabei liegen die Einwände und Vorbehalte gegen ein solches Ansinnen auf der Hand: Soll mit diesem Begriff etwa das Motiv des gnädigen Gewährens in das Gesundheitssystem eingeführt werden? Soll die Ressourcenverknappung im Gesundheitswesen, die Debatte um Priorisierung oder gar Rationierung von Gesundheitsleistungen religiös überhöht werden? Oder ist der Versuch, von Gesundheit als Gabe zu reden, nicht schlicht naiv angesichts einer Welt, in der Gesundheit geldwerte Ware und Instrument geworden ist?

Diese Argumente sprechen aber nicht gegen, sondern für eine Reflexion des Paradigmas der Gabe. Die Gabe ist eine fundamentale soziale, ökonomische und religiöse Kategorie in der Moderne. Nicht nur auf dem Feld der Gesundheit hat sie ihre Gestalt gewechselt: Die Geldgabe ist, gegen den reformatorischen Einspruch, Voraussetzung des Heilungshandelns geworden, also Geld-Tausch gegen Gesundheit. Damit ist aber das gesundheitsbezogene Gabegeschehen Teil der marktgetriebenen Beschleunigung der Moderne geworden. Die neuen Krankheitsphänomene der Gegenwart nähren allerdings den Zweifel, dass diese instabile Stabilisierung das Erleben ganzheitlicher Genesung und subjektiver Sicherheit generieren kann. Damit gewinnt das Nachdenken über Gesundheit eine kollektive Dimension und löst weitergehende Fragen nach der Reichweite von Heilung aus. Wie ist Teilhabe an und Tausch von Ressourcen unter diesen Herausforderungen zu denken? Kann die Gabe nur reziprok gedacht und als Ausgleich gelebt werden im Sinne des: „Gibst du mir, so gebe ich dir!“? Gabe ruft das unverfügbar Gegebene ins Bewusstsein und weckt die Skepsis am Modus der Herstellung.

Wie verhält sich der Leistungsaustausch gegen Geld, das Grundmotiv gegenwärtiger sozialer Beziehungen, zur religiösen Gestalt der Gabe, zur geistlichen Erfahrung von Gnade, die ‚gratis‘ widerfährt? Haben Hingabe und Opfer, also Vorstellungen der rückkehrlosen Aussendung des Gegebenen, keinen Ort mehr?

Diese Fragen, aber auch das Bemerken, wie sehr die Suche nach Gesundheit mit religiösen Praktiken und Vorstellungen aus anderen Kulturkreisen verbunden wird, bestätigen die Vermutung der theologischen Erklärungskraft von Gesundheit für die Gegenwartsdeutung. Offensichtlich überlagern und durchdringen sich heute Säkulares und Religiöses in erstaunlichem Maße, so dass die überlieferten Unterscheidungsmodelle von heilig und profan möglicherweise nicht mehr greifen. Der Verschiebung auf dem Feld der Heilmethoden und der Heilquellen korrespondiert einer Überlagerung von Gesundheit und Religion.

Gesundheit, so die These dieser Untersuchung, ist ein Schlüsselwort für das Verstehen der Begegnung von Religion und Moderne. Gesundheitspraktiken können gleichsam als Sakralierungsprozesse gedeutet und als Gestaltungsversuche einer weltlichen Spiritualität verstanden werden. All dieses sind Indizien für eine kulturelle Übergangssituation, in der die Hauptsachen des Lebens unter einem geweiteten Verstehenshorizont neu gedeutet werden. Einige vorläufige Antworten auf die aufgeworfenen Fragen und Hinweise zu einer heilsamen Lebensführung unter den gegenwärtigen Gegebenheiten, versucht die folgende Studien zu geben.

I. Gesundheitsgesellschaft in Deutschland

1. Gesundheit in der Gesellschaft

Die Spannweite, in der Gesundheit gegenwärtig thematisiert wird, kann als das die aktuelle gesellschaftliche Situation bestimmende Charakteristikum angesehen werden. Es lassen sich vier Systemebenen unterscheiden, auf denen sich eine je eigene Phänomenologie der Gesundheitspraxis zeigt. Das Gesundheitsthema findet sich zugleich in dem nach den Sozialgesetzen organisierten Gesundheitssystem, in alternativen Konzepten der Behandlung, in wirtschaftlichen Kontexten betrieblichen Gesundheitsmanagements und in individueller Verantwortung und Gestaltung der persönlichen Lebensführung.

Abb. 1: Mehrdimensionalität von Gesundheit Systemebene

In jedem dieser Felder zeigen sich eigene Entwicklungstendenzen, hinter denen sowohl unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven von Gesundheit und ihrer Praxis wie auch ungleiche Konzeptualisierungen von Gesundheit zu erkennen sind.

Außerdem ist gegenwärtig eine Wechselwirkung zwischen diesen Felder zu beobachten, die sowohl in Konkurrenz wie auch in Annäherung zueinander stehen. Diese Dynamik eröffnet auf der einen Seite ein erweitertes heilkundliches Spektrum und verschiebt auf der anderen Seite gesellschaftlich und kulturell den Wahrnehmungsfokus auf Gesundheit.

Bevor diese These weiter entfaltet wird, soll in einer phänomenologischen Betrachtung und skizzenhaften Darstellung die Gestaltwerdung von Gesundheit auf diesen Feldern beschrieben werden.

a. Gesundheit im Medizinsystem

Auf den ersten Blick scheint das sozialgesetzlich verankerte Medizinsystem in seinen ambulanten und stationären Ausprägungen im Blick auf Gesundheitspraxis und die Definition von Gesundheit immer noch dominant zu sein. Dieses System ist in seiner selbstverständlichen Gegebenheit für die gesundheitliche Grundversorgung akzeptiert und gerät lediglich in den Blick der Öffentlichkeit, wenn Strukturveränderungen, wie z. B. der Verkauf von Krankenhäusern geplant wird. Die strukturellen Rahmenbedingungen sind von Kostendruck, Ressourcenverknappung und Formalisierung, insbesondere auf dem Feld der Qualitätssicherung, bestimmt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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