Gesundheit gibt es nicht beim Arzt! - Christoph Specht - E-Book

Gesundheit gibt es nicht beim Arzt! E-Book

Christoph Specht

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Beschreibung

Was bedeutet Gesundheit eigentlich wirklich?

Der Arzt und renommierte Medizinjournalist Christoph Specht zeigt eindrucksvoll, warum Gesundheit nicht verordnet, sondern selbst gestaltet werden kann.

Er räumt auf mit gängigen Gesundheitsmythen und eröffnet eine neue Sicht auf das, was uns wirklich gesund macht – jenseits von Tabletten, Check-ups und Therapien.

Mit persönlicher Erfahrung, medizinischer Expertise und Erkenntnissen aus der Langlebigkeitsforschung und der Salutogenese macht er deutlich: Gesundheit beginnt in uns selbst.

Dabei analysiert er auch unser Gesundheitssystem, das an seine Grenzen stößt: überlastet, teuer, demografisch am Limit. Umso klarer wird, wie wichtig ein ganzheitlicher, eigenverantwortlicher Umgang mit Gesundheit ist.

Ein Buch, das wachrüttelt, motiviert, Mut macht und Impulse setzt – für ein gesundes, langes Leben mit Sinn, Haltung und Selbstbestimmung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 296

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

»Unsere üblichen Vorstellungen von gesund und krank haben uns, ohne dass wir es bemerkt hätten, in eine Sackgasse manövriert. Es ist Zeit, umzukehren und neu über uns und unsere Gesundheit nachzudenken.«

Dr. Christoph Specht räumt auf mit gängigen Mythen und zeigt eindrucksvoll, warum echte Gesundheit nicht verschrieben, sondern selbst gestaltet wird. In einer einzigartigen Verbindung aus persönlicher Erfahrung, moderner Langlebigkeitsforschung und dem Konzept der Salutogenese erklärt er, wie wir wieder lernen können, auf unseren Körper zu hören – und Verantwortung für uns selbst zu übernehmen.

Angesichts eines überlasteten, künftig kaum noch finanzierbaren Gesundheitssystems wird klar: Wer gesund leben und alt werden möchte, muss heute beginnen. Dieses Buch inspiriert mit Klartext, Mut und einem völlig neuen Blick auf das, was Gesundheit wirklich ist.

Ein Buch, das wachrüttelt, inspiriert, Mut macht und Impulse setzt für ein langes, gesundes Leben mit Sinn und Selbstbestimmung.

Autor

Dr. med. Christoph Specht, Arzt und Deutschlands einziger Medizin-Korrespondent, liefert seit vielen Jahren fundierte Einschätzungen zu Gesundheitsfragen – vor allem in ZDF und RTL, aber auch auf anderen führenden TV-Sendern. Ebenso ist er im Hörfunk eine gefragte Stimme für verlässliche medizinische Expertise.

Nach seinem Studium der Humanmedizin in Deutschland und in den USA studierte er Wissenschaftsjournalismus in Mainz. Er ist Produzent preisgekrönter internationaler Wissenschaftsfilme sowie Moderator bei Diskussionsrunden.

Als Arzt engagiert er sich in verschiedenen Projekten in Afrika.

Dr. Christoph Specht

Gesundheit gibt es nicht beim Arzt!

Einen neuen Blick auf sich selbst und den eigenen Körper wagen

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Trotz sorgfältiger Recherche und Nachforschungen konnten leider nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden. Bei berechtigten Ansprüchen wenden Sie sich bitte an den Verlag.

Copyright © 2025 Kösel-Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Dr.Daniela Gasteiger

Umschlag: zero-media.net

Umschlagmotiv: © Amanda Dahms

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-33220-4V001

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Was ist Gesundheit?

Im Gesundheitszug durch Afrika

Die Salutogenese als neues Konzept von Gesundheit

Gesundheit und Krankheit – ein Kontinuum

Gesundheit entsteht – immer wieder

Die lebensverlängernde Macht der Psyche

Der salutogenetische Dreiklang und weitere Quellen von Gesundheit

Verstehbarkeit

Handhabbarkeit

Sinnhaftigkeit

Generalisierte Widerstandsressourcen

Hardiness – Selbstwirksamkeit – Resilienz

Hardiness

Selbstwirksamkeitserwartung

Resilienz

Wo ist der Beweis?

Krank im System

Wir haben die Verantwortung abgegeben

Warum Sie von Ihrer Krankenkasse nichts mehr erwarten können

Nur noch selten gesichtet: der (Haus-)Arzt

Blue Zones – Expedition in die gesunde Welt der Langlebigen

Die Suche nach dem Wundermittel

Ein großes Zusammenspiel

So geht Gesundheit – Erkenntnisse der Langlebigkeitsforschung

Natürliche Bewegung

Pflanzenbasierte Ernährung

Umgang mit Stress

Sinn und Aufgabe – Ikigai

Soziale Bindungen

Glaube und Spiritualität

Kritik am Blue-Zone-Konzept: Alles nur Lug und Trug?

Medizin für Menschen. Eine Reise

Ein Gefühl der Stimmigkeit

Mut für neue Perspektiven

Schritt für Schritt zu Ihrer Gesundheit

Schritt 1: Verabschieden Sie sich von lieb gewonnenen, aber falschen Vorstellungen

Schritt 2: Übernehmen Sie Verantwortung

Schritt 3: Aktivieren Sie die Motivation für Ihr neues Denken und Handeln

Ihr Leben ab jetzt: Neu gedacht, neu gemacht

Bewegen statt schonen

Ernährung

Umgang mit Stress: Schalten Sie runter

Sinn statt Routine: Warum stehen Sie morgens auf?

Gemeinsam statt einsam: Familie und Freunde

Zuversicht statt Verzweiflung: Der Wert von Glauben und Spiritualität

Nachwort: Don’t let the old man in

Register

Weiterführende Literatur

Anmerkungen

Vorwort

»Du bist ja vollkommen verrückt«, so lautete einer der noch harmloseren Kommentare meiner Freunde und Bekannten, als ich mich keine zwei Stunden nach meiner Ankunft in Johannisburg mitten ins größte und vermutlich auch berüchtigtste Township des Landes aufmachte. Townships, so heißen in Südafrika jene Blechhüttensiedlungen, die anderswo vermutlich als Slums bezeichnet würden, wobei allerdings auch schon damals, 1993, dieser Vergleich hinkte. Denn Soweto, so der Name der nicht zuletzt durch einen seiner prominenten Bewohner, Nelson Mandela, weltbekannten Siedlung mit circa einer Million Menschen (keiner weiß es so genau), verfügte auch zu dieser Zeit schon neben zahllosen Blechhütten über recht ordentliche Steinhäuser, von einfach bis sehr luxuriös.

Es war meine erste Reise auf den afrikanischen Kontinent. Schon in der Nähe des Flughafens kam ich in Kontakt mit einem jungen schwarzen Südafrikaner, der mir unbedingt sein Zuhause, seine Familie und Freunde vorstellen wollte. Der Grund meiner Reise war eigentlich die Recherche und Dreharbeiten zu einem wissenschaftlichen Film über ein neues Ultraschallverfahren in der Medizin, da ich aber Zeit hatte, willigte ich ein, und schon saß ich in einem der zigtausend völlig überfüllten Minibusse mit Ziel Soweto, mein neuer Freund immer an meiner Seite. Dort angekommen, dauerte es nicht lange und die ersten Steine flogen gegen unseren Bus, geworfen von Jugendlichen, die wohl weniger einen konkreten Anlass dazu hatten, sondern dies eher aus einer unheilvollen Kombination aus generellem Frust und Langeweile taten.

Ein paar Lehmwege weiter, durchgeschüttelt vom Ritt durch kratertiefe Schlaglöcher, hatte sich die Lage beruhigt, und wir stiegen aus. Im Eingang einer der bunt angemalten, aus allen möglichen und unmöglichen Baumaterialien zusammengeschusterten Hütte begrüßte uns eine wohlgenährte ältere Dame, die mir mein Freund als seine Mutter vorstellte. Überaus freundlich bat sie uns herein, wo uns nicht mehr erwartete als ein paar spärliche, einfache Sitzmöbel. Und Menschen – viele, viele Menschen. Alles Verwandtschaft, wie ich erfuhr, nicht speziell für meinen Besuch zusammengekommen, sondern einfach so. Etwas mehr Platz als die anderen nahm ein alter Mann ein, der halb liegend, halb sitzend auf einem Sofa dem Geschehen so gut es ging folgte, offensichtlich stark gezeichnet von einer schweren Krankheit. Wir redeten, aßen und tranken, lachten viel und spielten nebenan in einer Art Kiosk Poolbillard.

Am Abend ließ es sich mein Begleiter nicht nehmen, mich wieder heil in einem Minibus am Hotel in Johannesburg abzuliefern. Hätte man mich an diesem Abend zurück im Hotel gefragt, ob denn heute für mich etwas sehr Bedeutendes passiert sei, hätte ich mit dieser Frage vermutlich nicht allzu viel anfangen können. Heute weiß ich allerdings, dass dieser Tag für mich den Grundstein dafür gelegt hat, mich intensiv mit der Frage zu beschäftigen, wie wir leben, was für uns wichtig ist, welche Rolle dabei Gesundheit für uns spielt und was Gesundheit überhaupt ist.

Es folgten viele weitere Reisen nach Afrika, nach Ägypten, Äthiopien, Sambia, Malawi und oft nach Südafrika, aber auch nach Australien und später Neuseeland. Als Arzt hat mich dabei immer interessiert, wie sich die zum Teil extrem unterschiedliche Qualität der medizinischen Versorgung auf die tatsächliche Gesundheit der Menschen und mehr noch auf deren Empfinden von Gesundheit auswirkt. Meine Einblicke haben meine Sicht auf die Medizin und Gesundheit in unseren Breiten wesentlich verändert: Ich habe staatliche und private medizinische Einrichtungen und stadtnahe Krankenhäuser für die immer größer werdende Bevölkerung in den rasant wachsenden Townships kennengelernt, aber auch die medizinische Versorgung der Menschen in sehr ländlich geprägten, weit abgelegenen Gebieten erlebt, in denen traditionelle Heiler mit zum Teil fragwürdigen Prozeduren auch heute noch eine wesentliche Rolle spielen. Gerade meine Erfahrungen aus einem medizinischen Hilfsprojekt, das sich am besten mit »Klinik auf Schienen« beschreiben lässt, sowie aus einer Tuberkulose- und HIV-Klinik haben mir wertvolle Impulse für meine Arbeit hier in Deutschland gegeben.

Wir alle können durch den Blick über den sprichwörtlichen Tellerrand viel lernen – über uns selbst, über unsere Vorstellung von Gesundheit, wie wir sie erhalten oder wiedergewinnen. Mir war und ist es hoffentlich auch weiterhin vergönnt, durch meine Reisen diesen Blick immer wieder zu schärfen. Mit meinem Buch möchte ich Sie einladen, mich dabei zu begleiten. Entdecken Sie gemeinsam mit mir, wovon Gesundheit wirklich abhängt und warum so viele Versuche, Versprechungen und scheinbar gut gemeinte Empfehlungen in unserem hoch entwickelten Gesundheitssystem so oft mit einer Enttäuschung enden. Sie werden aber auch sehen, wie man es besser machen kann, wie es uns gelingt, wieder ein realistisches Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln, gesund zu werden beziehungsweise zu bleiben mit einem gesunden Menschenverstand.

Das Buch will somit kein klassischer Ratgeber sein, aber dennoch würde ich mich natürlich freuen, wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, den einen oder anderen Rat ganz persönlich für sich daraus entnehmen könnten: Nämlich wie Ihr ganz eigener Weg zu Ihrer Gesundheit aussehen könnte, indem Sie die unbestreitbaren Vorteile eines modernen Gesundheitssystems wie dem unseren nutzen, dabei aber nie die Handlungshoheit und damit auch Ihre Eigenverantwortung aus dem Blick verlieren. Ich habe gelernt, dass Gesundheit nicht, wie wir so gern glauben und uns immer wieder weisgemacht wird, vorrangig von der Anzahl verfügbarer Ärzte, Kliniken, Apotheken abhängig ist. Auch nicht von Ihrem Geldbeutel. Gesundheit gibt es nicht beim Arzt und kann auch nicht in der Tüte von der Apotheke nach Hause getragen werden! Das und noch viel mehr werde ich Ihnen in diesem Buch anhand meines eigenen Werdegangs und meiner Erfahrungen mit Menschen in aller Welt aufzeigen, gepaart mit meinen Einblicken in die moderne Forschung zu dem, was Gesundheit wirklich ausmacht.

Kommen Sie mit mir auf die Reise und entdecken Sie, wie es Ihnen gelingt, einen neuen Blick auf sich selbst und Ihren Körper zu gewinnen. Das Potenzial für Gesundheit ist in jedem von uns angelegt, wir müssen es nur freisetzen.

Ihr

Dr.Christoph Specht

Einleitung

Es muss Anfang der 1990er-Jahre gewesen sein. An einem spätsommerlichen Tag hatte ich mich auf den Weg nach Freiburg im Breisgau gemacht. In dieser Zeit erlebten paranormale Phänomene, also alles, was mit Spuk und Übersinnlichem zu tun hat, gerade mal wieder eine ihrer vielen Hochphasen, und ich hatte es geschafft, mit dem ausgewiesenen und im Übrigen auch einzigen wissenschaftlichen Experten zu diesem Thema einen Termin zu vereinbaren. Dr.rer. nat. Dr.phil. Walter von Lucadou hatte vor Kurzem eine – übrigens bis heute die einzige – Beratungsstelle für »parapsychologische Phänomene« gegründet und galt als der versierteste Kenner für alles Übernatürliche.

Als studierter Physiker und Psychologe in einer Person würde Walter von Lucadou mir alle Fragen zu Spuk und Geistern beantworten können. Können sich Stühle wirklich von allein bewegen? Gibt es so etwas wie Telepathie? Warum weiß eine Mutter, dass ihrem Sohn gerade etwas Dramatisches zugestoßen ist, obwohl er doch Tausende von Kilometern entfernt lebt? Oder, wenn da nichts dran ist, dann könnte er mir aus seiner psychologischen Perspektive erklären, warum sich Menschen solche Dinge ausdenken und so viele bereit sind, daran zu glauben oder sogar Beweise erfinden. Und wer weiß, vielleicht könnte ich dann daraus eine tolle Fernseh-Doku machen. Doch es kam anders.

Natürlich wollte ich von ihm wissen, welche außergewöhnlichen Fälle er bisher untersucht hatte. Ich ging davon aus, dass er die vom Spuk Betroffenen mit technischen Apparaturen aufsuchte, um den paranormalen Phänomenen auf den Grund zu gehen. Offensichtlich stellte ich mir den doppelten Doktor als eine badische Ausgabe der Ghostbusters vor. Als Physiker war er als Forscher für Paranormales gewissermaßen prädestiniert. Aber nichts da, da kamen keine Berichte über Versuchsanordnungen, die etwas physikalisch hätten beweisen oder widerlegen können. Vielmehr ging es um Psychologisches, schwer Greifbares, alles ziemlich nebulös und vage.

Als ich gerade zusammenfassend und für mich klärend feststellen wollte, dass an der Telepathie und ähnlichen Phänomenen offensichtlich physikalisch nichts dran sei, intervenierte der Fachmann für das Unerklärliche. So kategorisch könne man das auch nicht sagen. Beim Versuch, mögliche Erklärungen für Paranormales anzubieten, sprach er immer wieder von »makroskopischen Prozessen«, die etwas mit »quantenmechanischer Verschränkung« zu tun hätten. Die Fragzeichen auf meiner Stirn müssen eigentlich wie eine Neonschrift aufgeleuchtet haben.

Ich habe es dann noch mal versucht. Gibt es jetzt paranormale Phänomene, ist da was naturwissenschaftlich Erklärbares dran oder findet das alles nur in den Köpfen statt? Walter von Lucadou neigt nicht gerade zu kurzen, klaren Antworten. Sicher, die Materie ist komplex und ich bin weder Physiker noch Psychologe. Aber geht es wirklich nicht besser als »Tele-/Psychokinese und andere paranormale Phänomene beruhen auf nicht lokalen Verschränkungskorrelationen, erzeugt in sozio-psycho-physischen, selbst organisierenden geschlossenen Systemen, die durch die pragmatische Information hervorgerufen werden«?1

Ich gab auf. Ich hatte nichts an Erkenntnissen dazugewonnen und beklagte die vertane Zeit. Glücklicherweise ist aber nichts im Leben wirklich sinnlos, manchmal erkennen wir den Sinn nur nicht gleich. Heute bin ich mir sicher, dass einer der wichtigsten Grundsätze für meine berufliche, vor allem publizistische Arbeit auf das Erlebnis an diesem Tag zurückgeht. Denn noch auf der Rückfahrt schwor ich mir: Niemals wirst du – vor allem in Beiträgen, Interviews oder Büchern für ein breiteres Publikum – so unverständlich formulieren. Bemühe dich um eine glasklare Sprache und erkläre die Dinge so, dass sie jeder verstehen kann.

Diesen Grundsatz versuche ich seither in allen meinen Fernsehbeiträgen, Auftritten, Vorträgen und Artikeln zu beherzigen. Auch dieses Buch über Gesundheit und die Frage, was das eigentlich ist, wie man sie erhält und wie jeder von uns sie selbst immer wieder entstehen lassen kann, soll klar und verständlich sein.

Nun kann man wahrlich keinen Mangel an Gesundheitsratgebern beklagen, die Regale im Buchhandel sind voll davon und vermutlich besitzen Sie selbst einige davon. Die meisten sind auch klar strukturiert und leicht verständlich. Allerdings reduzieren sie das Thema Gesundheit oft auf eine krankheitsbezogene Sichtweise im Stil einer Betriebsanleitung: Trinken Sie täglich 300 Milliliter Rote-Bete-Saft, machen Sie 150 Minuten Sport pro Woche und so weiter. Fast immer geht es bei diesen Ratschlägen um die Verhinderung von Krankheit, nicht um die Entstehung von Gesundheit. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, wie wir noch sehen werden. Zudem suggerieren die meist übergenau formulierten Anweisungen in Gramm, Minuten und anderen kleinteiligen Einheiten eine Wissenschaftlichkeit, die selten gegeben ist.

Ohne Frage sind viele dieser und ähnlicher Tipps in klassischen Ratgebern an sich nicht falsch. Aber warum werden wir trotz der Tausenden von Gesundheitsratgebern immer kränker statt gesünder, vor allem dicker statt schlanker, und warum nehmen wir statt weniger Medikamente immer mehr davon ein?

Dazu liegen interessante Zahlen vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. vor, für den die große Menge an Medikamentenrückständen im Abwasser immer mehr zum Problem wird. Nach dessen Berechnungen steigt der Medikamentenverbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2035 um über 36 Prozent, bis zum Jahr 2045 um über 43 Prozent (Basisjahr: 2015).2 Dabei geben diese Steigerungen nur ein konservatives Szenario wieder. Wenn es schlecht läuft, nimmt der Verbrauch noch deutlich stärker zu.

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich von den unterschiedlichsten Verlagen in den letzten zehn Jahren gefragt worden bin, ob ich nicht einmal ein Buch über Gesundheit schreiben will. Das Vorhaben scheiterte regelmäßig daran, dass man sich von Verlagsseite den klassischen Ratgeber im How-to-do-it-Stil vorstellte, am liebsten runtergebrochen auf einzelne Krankheiten. Ich aber hatte im Lauf meiner langen beruflichen Tätigkeit und besonders auf meinen Reisen in verschiedene Länder der Erde, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, inzwischen eine ganz andere Vorstellung von Gesundheit gewonnen. Darüber wollte ich schreiben und keine Rezepte à la »So bleiben Sie ewig jung – die 10 ultimativen Tipps«. Wartete die Welt wirklich auf den 101ten Ratgeber zur Bekämpfung von Diabetes, Bluthochdruck und Arthrose, jetzt eben nicht von Doktor XY, sondern von mir?

In den vielen Jahren meiner Tätigkeit wurde mir klar, dass wir in hochentwickelten Gesundheitssystemen inzwischen sehr gut darin sind, einzelne Krankheiten zu behandeln und sie oft sogar zum Verschwinden bringen können. Daraus sollte eigentlich folgen, dass die so Behandelten wieder gesund sind, so unsere gängige Vorstellung. Genau das tritt aber gerade bei den sogenannten Volkskrankheiten wie zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck oder Rückenleiden fast nie ein, die Patienten wechseln nur ihren Status vom unbehandelten zum behandelten Patienten. Oft fühlt er sich immer noch als Kranker. Offensichtlich ist »nicht krank« eben nicht gleichbedeutend mit gesund. Kann man umgekehrt gleichzeitig krank und doch auch gesund sein? Mit einem neuen Blick auf unsere Vorstellung von Gesundheit und Krankheit muss Gesundheit nicht einfach im Lauf des Lebens vergehen, sondern kann jederzeit immer von Neuem entstehen. Wäre es dann nicht viel lohnender, möglichst viele Menschen teilhaben zu lassen an einer für die meisten von uns neuen Sichtweise auf das, was Gesundheit eigentlich ausmacht? Sollte nicht viel eher dargelegt werden, warum wir seit Jahrzehnten nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch in unserer eigenen Vorstellung von Gesundheit und Krankheit in der falschen Richtung unterwegs sind? Und vor allen Dingen könnte nicht viel mehr Menschen geholfen werden, wenn aufgezeigt wird, wie diese andere Sichtweise auf Gesundheit nahtlos mit den Erkenntnissen der modernen Langlebigkeitsforschung verschmilzt und so das Leben eines jeden von uns grundlegend verbessern kann? Genau darum soll es in diesem Buch gehen.

Was ist Gesundheit?

Ihre Vorstellung von Gesundheit unterscheidet sich vermutlich nicht grundlegend von meiner, wie ich sie vor allem zu Beginn meiner ärztlichen Ausbildung hatte. Es gibt zwar keine einheitliche Definition dessen, was unter Gesundheit zu verstehen ist, aber meistens wird der Begriff Krankheit beziehungsweise die Abwesenheit derselben verwendet, um sie zu beschreiben. Einige der gängigen Definitionen schießen meines Erachtens heftig über das Ziel hinaus. Mein absoluter Favorit ist die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie lautet: »Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechlichkeit. Der Genuss des höchstmöglichen Gesundheitsstandards ist eines der Grundrechte jedes Menschen, ohne Unterschied der Rasse, Religion, politischen Überzeugung oder wirtschaftlichen oder sozialen Stellung.«3

Wow! Ginge es vielleicht auch eine Nummer kleiner? Obwohl, gerade in der Zeit, während der ich in den USA in Cleveland, Ohio, an einem Forschungsprojekt zu der damals revolutionären Kernspin-Technologie mitarbeiten durfte, hätte ich die Definition wohl ohne Einwände unterschrieben. Moderne Medizin war für mich gleichbedeutend mit Hightech, mit Forschung und neuen Medikamenten, um jegliche Krankheiten zu eliminieren. Interessant ist, dass die WHO diese Definition nicht in unseren Tagen formulierte, sondern ausgerechnet in einer Zeit, die von den unvorstellbar katastrophalen Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges geprägt war. Sie findet sich in der Präambel der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation von 1948.

Gesundheit als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als Freisein von Krankheit und Gebrechen? 1948? Als kleines Kind durfte ich so etwa Mitte/Ende der 1960er-Jahre manchmal meinen Opa begleiten, der den Krieg halbwegs unversehrt überstanden hatte. Weil er geschichtlich sehr interessiert war, hatte er im höheren Alter eine Tätigkeit im Museum des Schlosses in Karlsruhe angenommen, Museumswärter nannte man das. Die meisten seiner Kollegen hatten nur noch einen Arm, nur ein Bein, nur ein Auge oder waren anderweitig stark beeinträchtigt. Manche unter Ihnen werden sich an das Straßenbild dieser Zeit bis in die 1970er-Jahre hinein noch erinnern, an die Vielzahl der Kriegsversehrten.

Ausgerechnet in dieser Zeit stellt die WHO solch unvorstellbar hohe Anforderungen an den Begriff Gesundheit? Danach müssen alle Menschen damals krank beziehungsweise nicht gesund gewesen sein, denn sehr viele hatten Gebrechen, waren sicher nicht frei von Krankheiten und befanden sich erst recht nicht im Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens.

Mag sein, dass eine so hochtrabende Definition für irgendwas, vermutlich eine politische Agenda, gut ist. Die WHO ist bekannt dafür, Ziele fast immer unerreichbar hoch aufzuhängen, vermutlich damit kein Mitgliedsstaat je auf die Idee kommt, in seinem Engagement nachzulassen. Für den einzelnen Menschen jedoch ist diese Maximalforderung die sichere Garantie für Frustration und Unglück.

Wir brauchen etwas Pragmatischeres, etwas Lebenstauglicheres. Üblicherweise verstehen wir gesund sein als das Gegenteil von krank sein. Wenn ich Fieber habe, bin ich krank und eben nicht gesund, wenn ich im Krankenhaus wegen eines Herzinfarktes liege, genauso. Etwas schwieriger wird es schon, wenn ich mir den Arm gebrochen habe. Akut würde ich mich bestimmt als krank bezeichnen, schon allein wegen der heftigen Schmerzen. Aber bin ich auch noch 14 Tage später krank, wenn der Bruch im Gips verheilt und ich bis auf den Gips keine Einschränkungen verspüre? Sie mögen einwenden, dass ich auch dann natürlich krank sei, denn ich sei ja im Zweifelsfall »krankgeschrieben«. Da meldet sich gleich der Arzt in mir und bemerkt: Eine »Krankschreibung« gibt es gar nicht! Das Arbeitsrecht sieht lediglich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die genau das bescheinigt, eben die Unfähigkeit, krankheitsbedingt meine volle, vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung4 zu erbringen. Mit meinem Gips könnte ich ziemlich sicher nicht als Schweißer arbeiten, wohl aber im Callcenter. Der »gelbe Zettel« – so sah die Bescheinigung in Papierzeiten jahrzehntelang aus – hilft uns bei der Frage gesund oder krank also auch nicht wirklich.

Vielleicht kommen wir dem Phänomen Gesundheit anders näher, nämlich dann, wenn wir den Begriff im größeren, zeitlich längeren Zusammenhang sehen. Aufs ganze Leben bezogen, gehen wir üblicherweise davon aus, dass Gesundheit am Anfang da ist, dann aber im Laufe der Zeit immer ein bisschen weniger wird und peu à peu für mehr und mehr Krankheiten Platz macht. Beim einen ist es vielleicht der Blutzucker, der dauerhaft höher als wünschenswert ansteigt, beim anderen der Blutdruck, beim Nächsten macht der Rücken Probleme und beim vierten kommt alles zusammen.

Gesundheit vergeht nun mal, früher oder später, diese Vorstellung ist tief in uns verwurzelt. Dazu hat ausgerechnet der unbestreitbare Fortschritt in der Diagnostik und Therapie von Krankheiten ab den 1960er-Jahren beigetragen. Viele Leiden wurden in dieser Zeit erst entdeckt, bei anderen fand man heraus, welche krank machenden Prozesse auf Organebene ihnen zugrunde liegen, wieder andere konnten in einem früheren Stadium erkannt werden. Auch völlig neue Therapien wurden entwickelt. Die ersten Mittel gegen hohen Blutdruck gibt es seit den 1960er-Jahren, solche gegen zu hohes Cholesterin seit den 1980ern und das erste Medikament spezifisch gegen Multiple Sklerose wurde in den 1990ern eingeführt.

Also immer mehr Gesundheit, wohin man schaut, eine Erfolgsgeschichte für alle Beteiligten? Nicht ganz. Das größere Wissen um Krankheiten hat trotz der viel besseren Therapiemöglichkeiten nicht zu einer »Gesundung« der Bevölkerung geführt. Nach objektiven Kriterien ist zwar die Gesundheit eines heute beispielsweise 60-Jährigen statistisch gesehen als deutlich besser einzustufen als die einer Vergleichsperson vor 50 Jahren. Aufgrund der gleichzeitig gestiegenen Lebenserwartung hat der heute 60-Jährige allerdings noch viel mehr Zeit, Krankheiten zu erleben. Das wiederum schürt Ängste, längst bevor diese Krankheiten überhaupt eintreten. Zudem lösen die Erfolge in der Erkennung von Krankheiten und die oft besseren Behandlungsmöglichkeiten eine neue Anspruchshaltung aus. Während Generationen vor uns gar keine andere Wahl hatten, als Krankheiten, gegen die es keine Therapie gab, zu ertragen, fordern wir zumindest in den hochentwickelten Ländern, »dass man dagegen doch etwas machen muss«.

Der amerikanische Arzt Arthur J. Barsky beschrieb dieses Phänomen als das Gesundheits-Paradox.5 Kurz zusammengefasst: Je größer der medizinische Fortschritt in einer Gesellschaft, desto kränker sind – und vor allem fühlen sich – die Menschen. Zusätzlich können sich regelrechte Gesundheitszwänge einstellen: nur gesund essen, ein perfekter Körper, exzessiv Sport treiben, Wellness – pathologisch übersteigert verhindert ein solches Verhalten jedes Wohlbefinden.

Unsere üblichen Vorstellungen von gesund und krank haben uns, ohne dass wir es bemerkt hätten, in eine Sackgasse manövriert. Es ist Zeit, umzukehren und neu über uns und unsere Gesundheit nachzudenken. Dabei müssen wir das Rad gar nicht neu erfinden, denn kluge Köpfe haben schon alles Notwendige dazu aufgeschrieben, nur leider in einer schwer verdaulichen, eher sperrigen Form. Außerdem wird niemand aus dem Stand heraus in diese andere Vorstellung von Gesundheit springen können. Es ist eher ein Weg, eine Reise über mehrere Stationen, die in meinem Fall sogar ganz im Wortsinn eine Reise war. Davon möchte ich berichten.

Im Gesundheitszug durch Afrika

Phelophepa, meist Pe-lo-pepp-pa gesprochen, ist ein Kunstwort aus den in Südafrika, Botswana und Namibia beheimateten Sprachen Sesotho und Setswana. Es bedeutet so viel wie gute, saubere Gesundheit und ist der Name eines Zuges, der zur ambulanten Versorgung von Patienten umgebaut worden ist. Seit 1994 ist er jährlich neun Monate in Südafrika unterwegs und bietet der Bevölkerung eine nahezu kostenfreie medizinische Grundversorgung, vorwiegend in abgelegenen ländlichen Gebieten.

Ich weiß nicht mehr, wann ich zum ersten Mal auf dieses Projekt aufmerksam wurde, es muss wohl 1995 gewesen sein. Auf jeden Fall hat es mich von Anfang an fasziniert und ich beschloss: Da muss ich hin! Aber wie stelle ich das an? Irgendwie ist es mir gelungen, eine Faxnummer herauszufinden. Dorthin schickte ich einen Brief, in dem ich mich vorstellte und quasi dafür bewarb, dort mitzuarbeiten. Ich hatte keine Ahnung, ob das möglich wäre, ob es ein bestimmtes Verfahren gäbe, ob ich als Ausländer überhaupt infrage käme, kurz: Ich wusste nichts. Klar war nur, dass so ein Einsatz natürlich nicht bezahlt würde, wer hätte auch dafür aufkommen sollen. Mir ging es um die Sache, um das Projekt und natürlich war auch ein bisschen Abenteuerlust dabei.

Nachdem ich Wochen nichts gehört hatte, wagte ich es, dort einmal anzurufen und nachzufragen. Die Verbindung war sehr schlecht und kostete damals ein kleines Vermögen. Die Dame am anderen Ende – ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich bis heute nicht weiß, mit wem ich da eigentlich telefonierte – bestätigte mir den Eingang des Faxes und sagte, dass alles in Ordnung sei. Prima, ich konnte mich also wieder einmal auf den Weg nach Afrika machen.

Schon kurze Zeit später landete ich in Johannisburg und flog gleich weiter nach Port Elizabeth, das heute Gqeberha heißt. Ich hatte irgendwie erfahren, dass der Phelophepa-Zug zu dieser Zeit in der Nähe Station machen würde. Dort fand ich tatsächlich den Zug auf einem Nebengleis abgestellt. Eye Clinic stand auf einem der Waggons, Dental Clinic auf einem anderen und auf zwei weiteren Health Clinic.

Über den Umweg einiger Aufpasser, die außerhalb des Zuges nach dem Rechten sahen, fragte ich mich zu der verantwortlichen Person durch. In einem kleinen Abteil, das zu einer Art Büro umfunktioniert worden war, solle ich bitte warten. Ich kann nicht behaupten, dass die Dame in Uniform, die etwa zehn Minuten später das Abteil betrat, den Eindruck machte, als hätte sie mich erwartet. Wer ich denn sei und was ich hier wolle, startete sie die Konversation. Schon während ich antwortete, sah ich im Gesicht meines Gegenübers: Hier ist mächtig was schiefgelaufen, kein Mensch weiß etwas von deiner Ankunft und deinem Vorhaben.

Ich erfuhr, dass man bis auf die Leitungsebene nur mit Studenten der verschiedenen Fächer zusammenarbeitete, die ihren Einsatz im Zug am Ende ihrer Ausbildung als Dienst an der Gemeinschaft absolvieren. So ein Mist. Hätte ich doch besser eine schriftliche Bestätigung erbeten. Wie ein bedröppelter Pudel verließ ich das Büroabteil. Als ich schon fast auf der kleinen Treppe des Waggons stand, um den Zug zu verlassen, rief mir die Dame, die mich gerade abgefertigt hatte, nach: »Wenn Sie jetzt schon mal da sind, dann könnten Sie eigentlich auch mitarbeiten.« Puh, damit hatte ich nicht mehr gerechnet!

Gleich am nächsten Morgen um sieben Uhr ging es los. Schon zu dieser frühen Stunde saßen hunderte Menschen geduldig wartend auf den unter aufgespannten Zeltplanen bereitgestellten Plastikstühlen. Viele hatten die Nacht auf dem Boden vor dem Zug verbracht, weil sie eine lange Anreise von ihrem Dorf hierher hatten und sicherstellen wollten, dass sie heute noch drankamen. Die wenigsten hatten das Glück, eine Mitfahrgelegenheit zu ergattern, viele waren über mehrere Tage zum Zug gelaufen.

Wenn Sie jetzt glauben, mit mir kam da der allwissende Doktor aus Europa, der den Menschen hier mal zeigt, wie man moderne Medizin macht – die Realität hätte nicht weiter davon entfernt sein können. Ganz schnell sah ich, dass mir alle, auch und gerade die Studenten in ihren letzten Semestern, haushoch überlegen waren. Dazu muss man wissen, dass die Ausbildung in Südafrika viel praxisorientierter ist als bei uns. Studierende der Zahnmedizin sind am Ende ihres Studiums voll einsetzbar, erst recht die Optometristen mit einer Ausbildung, die bei uns nahezu unbekannt ist. Man kann sie sich am besten als Zwischending zwischen Optiker und Augenarzt vorstellen. Hinzu kam, dass sie alle als im Land Lebende die Gepflogenheiten viel besser verstanden als ich. Außerdem sprachen sie neben Englisch das weitverbreitete Afrikaans, die Sprache der europäischstämmigen Buren, die bis heute auch in der schwarzen Bevölkerung Südafrikas sehr gängig ist.

Nach einigen Tagen hatte ich mich ein wenig eingearbeitet. Die Zeit verging wie im Flug. Wenn es auch nie gelang, den Ansturm von Patienten bis zum Abend wirklich zu bewältigen, hatte ich doch den Eindruck: Hier wird wichtige Arbeit geleistet, die zufrieden machen kann. Die Tage waren geprägt von vielen Eindrücken und Erlebnissen, darunter viele interessante, manch kuriose und hin und wieder auch traurige.

Die für mein heutiges Verständnis von Gesundheit vermutlich wichtigste Begegnung aber ereignete sich gar nicht bei der Arbeit am Tag, sondern am frühen Abend außerhalb des Zuges. Auf dem Heimweg zu meiner Unterkunft bemerkte ich einen Mann mittleren Alters, der offensichtlich wegen eines Problems mit seinen Augen im Zug behandelt worden war, jedenfalls klebte an seinem T-Shirt noch der gelbe Phelophepa-Aufkleber mit Brillensymbol, der ihn als Patient der Augenklinik auswies. Das war aber offensichtlich nicht sein einziges Problem. Mir fiel sofort auf, wie schwer es ihm fiel zu gehen. In seine linke Achselhöhle hatte er eine von diesen Holzkrücken geklemmt, die bei uns eher altmodisch anmuten, in vielen Ländern der Welt aber durchaus oft zu sehen sind. Die abnorme Stellung seines Fußgelenkes zeigte, dass er damit ganz sicher nicht normal laufen konnte, und die Verformung ließ erahnen, dass es sich um eine dauerhafte Schädigung, vermutlich aufgrund eines Unfalls, handelte. Er kam kaum voran, Schneckentempo wäre glatt eine Übertreibung gewesen. Der arme Mann!

Ich sprach ihn an und fragte, ob ich ihm irgendwie helfen könne. Mir war damals nicht klar, dass dieser Mann mit seiner Antwort, die er mir gab, in ganz kurzen Worten das Wesentliche eines Gesundheitskonzeptes beschrieb, das nicht von einer vergehenden, sondern einer immer wieder neu entstehenden Gesundheit ausgeht. Er sagte: »Thank you, I’m well. I can manage it!« Danke, mir geht es gut. Ich krieg das hin! 

Die Salutogenese als neues Konzept von Gesundheit

Warum sind manche Menschen fast immer gut drauf? Werden die denn nie krank? Wenn es sie dann doch einmal erwischt, erholen sie sich recht bald wieder. Was für Glückspilze! Bei näherer Betrachtung stellt man dann aber fest, dass zumindest einige dieser vermeintlichen Glückspilze ziemlich genauso von Krankheiten getroffen werden wie man selbst, beziehungsweise in ihrer Vergangenheit zum Teil sogar schwerwiegende Schicksalsschläge haben hinnehmen müssen. Echte Stehaufmännchen! Wie machen die das?

Diese Frage stellte sich in den 1970er-Jahren auch Aaron Antonovsky. 1923 in den USA an der Ostküste geboren, studierte er während des Zweiten Weltkrieges zunächst Geschichte und Wirtschaftswissenschaften, schwenkte nach dem Krieg aber auf Medizinsoziologie um. In seinen ersten Berufsjahren konzentrierte er sich auf die Erforschung von Stressfaktoren, die unser Leben stark beeinflussen können. Mit Stressfaktoren sind nicht nur kurzfristig oder langfristig belastende Lebensereignisse gemeint, sondern alle Einflüsse, die auf den Menschen wirken und körperliche und/oder seelische Spannungszustände auslösen können. Das können also auch Viren sein, ein Beinbruch, eine Überforderung im Arbeits- oder Privatleben, eine wirtschaftliche Depression oder eine Beziehungskrise. Die Liste ist lang.

Diese Stressoren, wie Stressfaktoren auch kurz genannt werden, ließen Antonovsky sein ganzes Leben nicht mehr los, auch nicht, als er 1970 mit einer Untersuchung zum »Klimakterium der Frau«6 forschte. Er war inzwischen aus den USA nach Israel übergesiedelt und wollte wissen, wie Frauen verschiedener ethnischer Gruppen sich an ihre Wechseljahre anpassen. In die Studie eingeschlossen waren in Europa geborene Frauen der Geburtsjahrgänge 1914 bis 1923, und so überrascht es nicht, dass einige davon während der Naziherrschaft in einem Konzentrationslager inhaftiert waren. Erwartungsgemäß hatte diese Zeit der Inhaftierung mit den damit verbundenen körperlichen und seelischen Qualen einen signifikanten negativen Einfluss auf die körperliche und seelische Gesundheit dieser Frauen. Das Erstaunliche aber war, dass trotzdem fast ein Drittel der ehemaligen KZ-Inhaftierten bei der Befragung über eine gute, vor allem gute psychische Gesundheit berichteten.

Damit hatte Antonovsky nicht gerechnet. Er fragte sich: Wie kann das sein? Die Erlebnisse in den Konzentrationslagern müssten doch die Gesundheit, gemessen nach objektiven Kriterien, aber mehr noch in der Selbsteinschätzung der Befragten, negativ beeinflusst haben. Wie hat es dieses knappe Drittel der Frauen geschafft, trotz der am eigenen Körper erlebten Gräueltaten gesund zu bleiben beziehungsweise wieder zu werden?

Damit hatte Antonovsky – am Anfang, ohne es zu wissen – die zentrale Frage formuliert, die ein ganz neues Forschungsgebiet begründen sollte. Er wechselte im Prinzip einfach die Perspektive. Die Frage, die er sich stellte, lautete nicht: Wie entsteht Krankheit? Sondern andersherum: Kann Gesundheit entstehen? Und wenn ja, wie entsteht Gesundheit?

Die folgenden Jahrzehnte widmete sich Antonovsky ganz dieser Frage und entwickelte als Ergebnis vieler Forschungsarbeiten eine ganz neue Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit. Bis dahin war es üblich, immer nur auf die eine Seite der Medaille zu schauen, auf die kranke Seite. Gesundheit wurde als der ursprüngliche und per se gegebene Normalzustand angesehen. Krankheit galt als die Störgröße, deren Entstehung zu erforschen sei. Daher kommt der seit der Antike eingeführte Begriff der Pathogenese, was ja nichts anders heißt als die Entstehung von Krankheit, abgeleitet von den altgriechischen Wörtern pathos (Leid) und genesis (Entstehung). Analog dazu nannte Antonovsky sein Konzept zur Gesundheit Salutogenese, von Lateinisch salus (Gesundheit) und eben genesis (Entstehung). Dabei wollte Antonovsky sein Konzept der Salutogenese nicht als Gegensatz zur Pathogenese verstanden wissen, sondern als Ergänzung. Denn selbstverständlich bleibt die Erforschung der Prozesse, wie Krankheiten entstehen, ganz wichtig, um sie nach Möglichkeit zu verhindern oder zumindest lindern zu können. Die Erkenntnis, dass sich aber nicht nur Krankheiten entwickeln, sondern sehr wohl auch Gesundheit immer wieder von Neuem entstehen kann, eröffnete einen ganz neuen Blick.

Allerdings nahm diese neue Betrachtung von Gesundheit die wissenschaftliche Welt und erst recht die Allgemeinbevölkerung nicht im Sturm ein. Bis heute tun sich viele ein bisschen schwer damit. Das liegt, so glaube ich, auch an den Begriffen. Ich hatte und habe mit dem Wort Salutogenese so meine Schwierigkeiten. Oder geht Ihnen der Begriff leicht über die Lippen? Ich glaube, Antonovsky hat mit dieser Wortschöpfung der Verbreitung seines geradezu revolutionären Konzepts keinen Gefallen getan. Natürlich, der Begriff beschreibt exakt das, worum es geht, nämlich wie Gesundheit entsteht. Er klingt aber doch für die meisten Menschen sehr sperrig und abgehoben.

Noch hinderlicher sind wohl die Erklärungen des Konzepts im Detail. Es wimmelt nur so von Fachbegriffen aus der Soziologie und Psychologie, vor allem in den Arbeiten zum Thema, die später von anderen Autoren dazu verfasst worden sind. Während sich Antonovsky selbst immer wieder bemühte, sehr konkrete Beispiele und leicht verständliche Metaphern zu verwenden (»das Leben ist ein Fluss«, ein Sinnbild, das uns im Folgenden immer wieder begegnen wird), scheinen andere Autoren eher das Theoretische in den Vordergrund zu stellen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, ihnen sei das Konzept von Antonovsky zu banal, zu leicht verständlich. Gerade so, als müsste man es überhöhen, um in der Welt der Sozialwissenschaften, Medizin und Psychologie anerkannt zu werden. Aber das wäre sicher eine bösartige Unterstellung von mir.

Insofern sehe ich es als Vorteil an, dass ich meine wissenschaftlichen Meriten bereits eingefahren habe und auch nicht abhängig bin von irgendwelchen Institutionen, wissenschaftlichen Verlagen oder anderen Geldgebern. Dinge, die im Grunde recht einfach zu verstehen sind, möchte ich auch einfach beschreiben. Hinzu kommt, dass ich das, was hinter der Salutogenese steht, ganz praktisch im »wahren Leben« erfahren habe, lange vor meiner theoretischen Auseinandersetzung damit. Ich denke dabei vor allem an meine Erlebnisse mit Patienten in Ländern, deren Gesundheitssystem im Gegensatz zu dem unseren kaum entwickelt ist, aber auch an die vielen positiven Beispiele von Menschen in meinem Umfeld.

So hat die Salutogenese bis heute nicht den Stellenwert erfahren, der ihr nach meiner festen Überzeugung gebührt. Das ist sehr schade, denn ich bin mir sicher, dass sie das Leben sehr vieler Menschen dramatisch verbessern kann. Ich bin sogar davon überzeugt, dass sie der unverzichtbare Schlüssel werden wird, mit dem wir unsere unübersehbaren Probleme im Gesundheitssektor bewältigen können. Beginnen wir mit einem Blick auf die wesentlichen Säulen des Konzepts.

Gesundheit und Krankheit – ein Kontinuum

Erinnern Sie sich noch an den stark gehbehinderten Mann, den ich während meiner Zeit in Afrika eines Abends antraf und den ich fragte, ob ich ihm helfen könnte, und der darauf nur meinte: »Danke, mir geht’s gut?« Wir werden noch öfter auf ihn zurückkommen. Im Original sagte er »I am well«