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Felix lebt ein kontrolliertes Leben. Tagsüber funktionieren, nachts vergessen. Doch dann beginnt sich etwas zu verschieben. Jede Nacht wacht er in einem Raum voller Spiegel auf. In jedem Spiegel: ein Tier. Kein Traum. Kein Symbol. Eine Angst. Und jeder Tag fordert eine neue Entscheidung. Diese Geschichte erzählt von dem, was uns trennt – und dem, was uns hält. Von Nähe, die Angst macht, von Entscheidungen, die niemand abnimmt. Und von dem Moment, in dem man zum ersten Mal sich selbst gegenübersteht. Geteilt. Durch Du und Du.
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Seitenzahl: 107
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Geteilt. Durch Du und Du.
Aida Larsingen
Buchbeschreibung
Felix lebt ein kontrolliertes Leben. Tagsüber funktionieren, nachts vergessen. Doch dann beginnt sich etwas zu verschieben. Jede Nacht wacht er in einem Raum voller Spiegel auf. In jedem Spiegel: ein Tier. Kein Traum. Kein Symbol. Eine Angst. Und jeder Tag fordert eine neue Entscheidung. Diese Geschichte erzählt von dem, was uns trennt – und dem, was uns hält. Von Nähe, die Angst macht, von Entscheidungen, die niemand abnimmt. Und von dem Moment, in dem man zum ersten Mal sich selbst gegenübersteht. Geteilt. Durch Du und Du.
Über den Autor
Aida Larsingen ist eine Autorin zeitgenössischer Prosa.
Sie schreibt über komplexe Gefühle in einfachen Worten.
Ihre Geschichten berühren nicht durch Lautstärke, sondern durch Echtheit.
Im Mittelpunkt stehen Menschen – mit ihren Zweifeln, ihrem Schweigen, ihrer Verletzlichkeit. Es geht um Familie, das leise Gefühl von Einsamkeit und den Mut, innerlich nicht aufzugeben.
Geteilt. Durch Du und Du.
Aida Larsingen
1. Auflage, veröffentlicht 2025.
© 07.09.2025 Aida Larsingen – alle Rechte vorbehalten.
Impressum:
Aida Larsingen
c/o Impressumservice K. Mothes
Geschwister-Scholl-Str. 31
06869 Coswig (Anhalt).
ISBN: 9783565021802
Diese Geschichte ist frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Ereignissen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
Kapitel 1
Der Morgen war seltsam. Äußerlich schien alles unverändert – und doch hatte sich etwas Fremdes eingenistet, ein Gefühl, das nicht zu ihm gehörte. Die Stille war klebrig, zäh, als hätte sich schwere, dicke Luft in der Wohnung ausgebreitet. Obwohl Nika da war, blieb er wortlos, bewegte sich träge – fast, als wäre er allein. Aus dem Bad klang das Rauschen der Dusche, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee stand noch im Raum – alles wie immer. Und doch war etwas aus dem Gleichgewicht geraten, ein Stück zur Seite gerückt. Zurück blieb eine gespannte, misstrauische Leere. Eine Spannung lag in der Luft – formlos, unsichtbar, aber mit beunruhigender Deutlichkeit spürbar.
Blödsinn, dachte Felix, schlug die Decke zurück und stand auf. Es war Zeit, sich fertigzumachen und zur Arbeit zu gehen. Auf dem Weg zur Küche trat er auf etwas Hartes und verzog schmerzhaft das Gesicht. Mitten im Durchgang lag ein großer Knopf – fast, als hätte ihn jemand genau dort hingelegt, damit er drauftritt. „Verdammt, Nika!“, fuhr er wütend auf.
Er verstand diese merkwürdige Leidenschaft nicht – Knöpfe zu sammeln. Ein Kinderkram. Eine erwachsene Frau, die sich mit etwas beschäftigt, das in seinen Augen reine Zeitverschwendung war – wie ein kleines Mädchen, für das alles Wichtige in eine winzige Schachtel passt. Und ihre Sammlung war durchaus beachtlich – laut Nika enthielt sie einige „seltene Exemplare“, denen sie eine Bedeutung zuschrieb, als trüge jeder einzelne Knopf eine Geschichte in sich – wie ein Ausstellungsstück im Museum. Manchmal holte sie diese Schachtel hervor, saß minutenlang davor, sortierte, betrachtete sie einen nach dem anderen, fast ehrfürchtig, als wären es Juwelen. Es schien sie zu beruhigen.
Er hob den Knopf auf, schloss ihn fest in der Faust und betrat die Küche. Sie war aus dem Bad gekommen und saß am Tisch, eine dampfende Kaffeetasse in den Händen. „Ich hab dich gerufen. Warum hast du nicht geantwortet, Nika?“
„Hab’s nicht gehört. Tut mir leid“, sagte sie gleichgültig.
Natürlich hatte sie jedes Wort mitbekommen. Allein der Tonfall seiner Stimme verriet, dass Ärger bevorstand. Sie zögerte den Moment hinaus – als könnte sie das Unvermeidliche ein kleines Stück in die Ferne rücken.
„Was wolltest du?“
„Warum stolpere ich heute Morgen über dein… ‚Hobby‘, wenn man das so nennen darf.“ Er spuckte das Wort regelrecht aus – mit einer Verachtung, die so scharf klang, dass Nika unwillkürlich zusammenzuckte. Mit so einem Tonfall hatte sie nicht gerechnet.
„Wovon redest du?“
„Ich bin auf einen deiner Knöpfe getreten. Warum liegen die überall herum – in meiner Wohnung? Ist es denn zu viel verlangt, sie einfach wegzuräumen?“
„Ach… ich hab gestern sortiert. Vielleicht ist einer runtergefallen. Tut mir leid. Ich räum ihn gleich weg.“ Felix öffnete die Hand und hielt ihr den Knopf hin. Doch in dem Moment, als sie danach greifen wollte, schloss er die Finger wieder – fest, mit einem kühlen Lächeln. „Weißt du was? Mir gefällt nicht, dass sie überall herumliegen. Ich werde ihn wegwerfen.“
Das konnte sie nicht ertragen. Sie sprang auf, ging auf ihn zu und schlug ihm wütend auf das Handgelenk. Überrascht ließ er los, der Knopf glitt aus seiner Hand und landete dumpf auf dem Boden. Nika bückte sich, hob ihn wortlos auf, lief an ihm vorbei – ohne Felix anzusehen – und legte das Stück behutsam wieder in ihre Schachtel. Dann kehrte sie in die Küche zurück, trank den Kaffee in einem Zug aus, stellte die Tasse auf den Tisch – mechanisch, wie abwesend – und sagte: „Ich glaube, wir sollten ein paar Tage Abstand voneinander nehmen, Fel. Ich fahr weg. Wenn du dich beruhigt hast und reden willst, können wir dann über alles sprechen.“
„Was?“
„Unsere Beziehung. Unsere Zukunft. Oder fällt dir nicht auf, dass hier alles auseinanderfällt?“
„Meinst du das ernst? Du haust ab – wegen eines verdammten Knopfs? Das ist lächerlich… Du bist doch eine erwachsene Frau!“
„Eben. Ich bin erwachsen. Und du benimmst dich wie ein bockiger Junge. Du hörst mich nicht, Felix. Es hat keinen Sinn, jetzt mit dir zu reden.“ Sie hielt kurz inne, als müsse sie ihre Gedanken sortieren.
„Ich mache dir keinen Vorschlag. Ich teile dir etwas mit: Ich fahre für ein paar Tage weg. Danach reden wir – und entscheiden.“
Nika verließ die Küche, ging ins Schlafzimmer, ohne sich umzudrehen, öffnete sie den Schrank und nahm eine kleine Tasche heraus. Sie packte das Nötigste – nur das, was sie für zwei, drei Tage brauchen würde. Felix war ihr gefolgt, blieb an der Tür stehen und sah zu, wie sie schweigend ihre Sachen zusammenlegte.
„Du willst wirklich gehen?“ Nika antwortete nicht.
„Wenn du jetzt gehst, gibt es kein Zurück mehr“, sagte er leise – aber in seiner Stimme lag Anspannung. Sie drehte sich um, blickte ihn lange an, reglos, als ob sie schon gegangen wäre. „Sag nichts, was du später bereuen wirst. Das ist nicht der richtige Moment für große Worte. Wenn du in ein paar Tagen noch genauso denkst – sag es mir dann. Aber nicht jetzt.“
Sie schwieg, zog sich den Mantel an, schulterte die Tasche – und verließ die Wohnung. Ohne sich einmal umzudrehen, schloss sie die Tür hinter sich.
Felix starrte auf die geschlossene Tür. Es brach aus ihm heraus – dumpf, wütend, fast verzweifelt: „Dann hau doch ab! Du kommst ja doch wieder angekrochen!“
Er stürmte in die Küche. In ihm kochte es – Wut, Frust, das brennende Gefühl, gedemütigt worden zu sein. Nie hatte sich jemand so etwas mit ihm erlaubt. Was bildete sie sich ein? Ein Knopf – wichtiger als ein Mensch. Und was gibt es hier zu reden? Worüber denn bitte? Es war doch alles klar. Kindergarten – mit Ringelsöckchen. Lächerlich.
Mit einer schnellen, heftigen Bewegung fegte er den Tisch leer. Glas zersplitterte. Das Geräusch holte ihn zurück – für einen Moment. Er atmete scharf aus, fluchte – und ging unter die Dusche. Er brauchte einen Dämpfer. Danach würde er zur Arbeit fahren. Es gab Wichtigeres, als sich über hysterische Frauen den Kopf zu zerbrechen.
Felix stürmte mit finsterer Miene ins Büro, fünf Minuten zu spät – alles wegen des Gesprächs mit Nika gleich nach dem Aufstehen. Weiber – manchmal echt durchgeknallt. Drehen einem morgens das Hirn durch – für nichts. Langeweile. Oder hormoneller Wahnsinn.
Nennt sich Designerin, Freelancerin … sitzt den ganzen Tag zu Hause. Was weiß sie schon von richtiger Arbeit? Sich zusammenreißen – das wär mal was. Vielleicht macht sie sich endlich nützlich und hört auf, mit ihrem wertlosen Kram Zeit zu verschwenden.
Er trat ins Vorzimmer. „Jana, einen Kaffee bitte. Und lass niemanden rein. Ist der Börsenbericht fertig?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, platzte er in sein Büro hinein, setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Laptop ein.
Ein paar Minuten später trat Jana ein, stellte den Kaffee ab und legte den Bericht vor ihm auf den Tisch.
„Felix“, sagte sie mit angespannter Stimme, „das Meeting bei Kiril wurde verschoben. Es findet jetzt um 15 Uhr statt.“
„Verdammt!“ entfuhr es ihm. „Um 15 Uhr hab ich längst einen anderen Termin! Was ist das für ein Scheißtag?“ Er winkte müde ab. “Jana, das wars, danke. Du kannst gehen.“
Sie verließ den Raum und schloss die Tür leise hinter sich. Dann verdrehte sie die Augen. Der Chef hatte wieder mal diesen Ton, der keinen Widerspruch duldete. Etwa eine Stunde später piepste die Sprechanlage auf Janas Tisch.
„Jana, komm bitte kurz rein“, klang es trocken und angespannt.
Als sie eintrat, saß Felix mit finsterer Miene vor dem Bildschirm. Er hob langsam den Blick. „Jana, hier ist ein Fehler im Bericht. Die Zahlen stimmen nicht.“
„Das kann nicht sein, Felix. Ich hab alles dreimal überprüft...“
„Alles kann passieren – auch dir“, unterbrach er sie scharf. „Bist du etwa ein Roboter, oder was? Keine Fehler, nie? Wer hat den Bericht gemacht? Du? Erst sagst du, er ist fertig, und jetzt das. Was soll der Blödsinn?“
„Aber ich...“
„Hab ich mich nicht klar ausgedrückt?“ Sein Blick war eiskalt. „Mach es neu. Und es ist mir egal, wer genau’s verbockt hat. Du bist verantwortlich. In einer Stunde liegt er auf meinem Tisch. Klar?“
Er verließ das Büro erst gegen Abend. Der Tag hatte ihn ausgelaugt – nicht nur müde, sondern innerlich ausgebrannt. Und doch tobte unter der Haut noch der Nachklang seiner Wut – leise, aber spürbar.
Er setzte sich ins Auto, packte das Lenkrad mit beiden Händen – und schlug dann, wie von einem Impuls getrieben, mit der Faust darauf. Was für Idioten arbeiteten da für ihn? Einen Fehler hatten sie ausgebessert – und dabei gleich den nächsten eingebaut. Und er selbst? Keine Zeit mehr, noch mal alles zu überprüfen. Termine, Sitzungen, Meetings ... Bei einem davon hatte man ihn regelrecht zerlegt – für die Nachlässigkeit anderer. Aber niemand interessierte sich dafür, wer diesen verdammten Bericht konkret verbockt hatte. Es war sein Team, sein Verantwortungsbereich. Am Ende fiel alles auf ihn zurück. Mit einem wütenden Atemzug startete er den Motor und fuhr nach Hause.
Die Wohnung empfing ihn mit Schweigen. Nika war nicht zurückgekommen – sie hatte Wort gehalten. Felix trat in die Küche, ließ den Blick über das morgendliche Chaos schweifen – und ging wortlos weiter ins Wohnzimmer. Leer. Er zog das Sakko aus, warf es achtlos auf den Sessel – ruckartig, fast trotzig, wie früher, als Wut noch ohne Worte auskam – und sank auf das Sofa.
Eine Weile lag er verloren da, schaute an die Decke, nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann setzte er sich auf, schaltete den Fernseher ein, schenkte sich einen Cognac ein, trank ihn in einem Zug aus – und starrte wieder auf den Bildschirm tonlos und inhaltsleer, alles in ihm brodelte. Nichts im Kopf außer dumpfe, klebrige Wut. Zeit floss an Felix vorbei, er hatte das Gefühl, sie sei stehen geblieben. Er sah nicht auf die Uhr.
Nach einer Weile stand er auf, ging ins Bad und stellte sich unter die Dusche, um den Tag von sich abzuwaschen. Doch statt Erleichterung kam nur Kälte. Er war zu erschöpft. Genug. Ruhe. Er kehrte ins Schlafzimmer zurück, ließ sich auf das Bett sinken – angezogen, wie er war – und glitt fast augenblicklich in den Schlaf.
Felix schlief nur ein – er versank langsam, schichtweise, als würde ihn etwas Unsichtbares in eine Tiefe ziehen, die zäh war wie Dunkelheit und schwer wie ein unausgesprochener Gedanke. Im nächsten Moment sah er sich - von außen. Blasses Licht. Spiegel - und das Gefühl, in eine bodenlose Leere zu fallen, als wäre nicht die Schwerkraft am Werk, sondern etwas in ihm selbst – alt, namenlos, wach.
Er stand in einem langen, schmalen Raum – zu eng, um sich frei zu bewegen, zu gleichförmig, um ihm zu entkommen. Wände, Decke, Boden – alles war aus Spiegeln gefertigt, aber sie zeigten ihn nicht. Sie verzerrten sein Spiegelbild, als hätte das Glas seine Gestalt erkannt – und sie mit einer zynischen Geste verkehrt. Zu beiden Seiten reihten sich spiegelgleiche Paneele aneinander, jedes mit einer einzelnen, matten Lampe darüber. Der Lichtschein war kein Licht, sondern Erwartung. Gedämpft, schwebend, wie ein stiller Atemzug vor dem Sturm.
Im Raum herrschte eine dumpfe Wärme, wie sie nur in geschlossenen, vergessenen Orten entsteht. Und doch – von den Spiegeln drang eine kühle Strömung heraus, ein Luftzug, der sich nicht wie Wind, aber wie fremdes Atmen anfühlte. So, als würde die Angst selbst hinter dem Glas leben und jede Sekunde näherkommen. Die Stille war vollständig. So tief, dass er sein eigenes Atmen hörte – und jedes Geräusch darin, wie das eines Fremden klang.
Dann – Bewegung. Unvermittelt. Lautlos. Überall. In jedem Spiegel zuckte es. Felix trat näher an eine der Wände, und was er sah, ließ ihn erstarren: Kein einziges Spiegelbild. Kein eigenes Gesicht, kein Schatten seiner selbst. Nur Tiere. Unterschiedliche in jedem Spiegel. Und sie blickten ihn an – direkt, durchdringend, sezierend. Nicht wie Wesen aus einer anderen Welt, sondern wie Zeugen aus seinem Innersten.