Getragen über den Abgrund - Johannes Egle - E-Book

Getragen über den Abgrund E-Book

Johannes Egle

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Beschreibung

Nicht nur ein Zeitzeugnis, sondern auch ein persönliches Vermächtnis, eine "Mahnung zum Frieden" und ein Plädoyer für eine gerechte und humane Welt.

Das E-Book Getragen über den Abgrund wird angeboten von Buch&media und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Geislingen, Diakonie, Biographie, Krieg, Jugend, Erinnerungen, Zeitzeugnis, christliche Werte, Frieden

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Seitenzahl: 334

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JOHANNES EGLE, 1923 in Blaustein bei Ulm geboren, wuchs in einem christlichen Elternhaus auf und ging schon in jungen Jahren auf Distanz zum herrschenden nationalsozialistischen Regime. 1942 zur Wehrmacht einberufen, kam er an die Ostfront, wurde schwer verwundet und von 1945 bis 1948 als Kriegsgefangener in mehreren russischen Lagern interniert. Sein Glaube half ihm, diese Leidenszeit zu überstehen, und ließ den dreifachen Familienvater in den Nachkriegsjahren – trotz eines enormen Arbeitspensums als Unternehmer – in seiner katholischen Heimatgemeinde St. Maria Geislingen/Altenstadt als Diakon aktiv werden. Johannes Egle verstarb 2006 im Alter von 83 Jahren.

Johannes Egle

Getragen über denAbgrund

Tagebücher 1939–1949
Herausgegebenvon Irmgard Egle und Bärbel Fischer
Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter
www.buchmedia.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Juni 2010
© 2010 Buch&media GmbH, MünchenUmschlaggestaltung: Kay Fretwurst, FreienbrinkHerstellung: Books on Demand GmbH, NorderstedtPrinted in Germany • ISBN 978-3-86520-367-0

Inhalt

Vorwort

Tagebuchaufzeichnungen

Rückschau

Der große Endkampf

Die letzte Phase des Kampfes

Die bittere Leidenszeit beginnt!

Im Polizeilager in Posen

Wahre Geschichten

Wir kommen nach Estland – an den Finnischen Meerbusen!

Das Licht leuchtet in der Finsternis

Der große, eigentliche Arbeitseinsatz beginnt

Die erste Post aus der Heimat!

In der Knochenmühle von Tutschkowo!

Das Jahr der Heimkehr!

Es wird Wahrheit! Auf der Heimfahrt zwischen Moschaisk und Minsk

Herzlich willkommen

Hinweis – statt eines Nachwortes

Das weitere Leben von Johannes Egle

OSTFRONT, 1. UND 2. FRONTEINSATZGEFANGENSCHAFT IN ESTLAND UND ZENTRALRUSSLAND

 

1. Fronteinsatz

am Ilmensee(Strecke: Tilsit – Schaulen – Dünaburg – Pskow – Dno)Rücktransport:Macherino (bei Staraja-Russa) – Dno – Pskow – Dünaburg – Wilna – Posen – Chemnitz – Plauen

2. Fronteinsatz

Warschau – Brest – Kowel (Pripjetsümpfe)

POMMERN, 3. FRONTEINSATZ UND GEFANGENSCHAFT

3. Fronteinsatz

Pultusk am Narew (nördl. von Warschau)

Rückzug nach Pommern ab 14.1. 1945: Neuenburg – Falkenburg – Regenwalde

(Fluss Rega)

Gefangenschaft

Plathe – Stargard – Landsberg – Posen – Estland (über Wilna, Dünaburg, Pleskau) – Walk – Reval – Lehtse (südlich von Tabs) – Loksa (zwischen Reval und Narwa) – Moschaisk – Tutschkowo

Rückfahrt: Brest – Warschau – Kutno – Posen – Frankfurt/Oder – in die Heimat

»Der dich schuf,wird dich tragen,auch über den Abgrund weg!«

Johanna von Bismarck

Vorwort

Geislingen, den 25. Januar 2006

Es war eine schlimme Zeit, in die ich hineingeboren wurde. Mein Geburtsjahr war das Inflationsjahr 1923 mit bösen Folgen. 1933 kamen die Nazis an die Macht, und im Jahr 1939 begann der Zweite Weltkrieg, wo ich von 1941 bis 1948 Soldat und in russischer Kriegsgefangenschaft war.

Andererseits waren die Verhältnisse vor 70 Jahren und noch früher um einiges ruhiger als heute, nicht so hektisch, insbesondere nicht so spaßbetont. Obwohl wir damals weder Radio noch Auto noch Telefon hatten, waren wir zufriedener und glücklicher als die heutige Gesellschaft. Wir vermissten nichts im Geringsten. Man las mehr Bücher, korrespondierte eifriger und machte in der Freizeit Wanderungen in unserer wunderschönen Heimat.

Die Ereignisse, von denen ich nachstehend berichte, liegen anfangs etwa 66 Jahre zurück. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr halte ich die wichtigsten Geschehnisse meines Lebens schriftlich fest.

Heute schreiben wir den 25. Januar des Jahres 2006. Ich bin 82 Jahre alt, werde im Juni dieses Jahres 83. – Es war im Jahr 1939, einige Wochen nach Kriegsbeginn, als ich die ersten Eintragungen in mein Tagebuch machte.

Als Heranwachsender, der mit zehn Jahren die Machtübernahme Hitlers erlebte, war ich noch voller Begeisterung über die Anfangserfolge der Deutschen Wehrmacht. Der Aufschwung brachte Vollbeschäftigung, die Autobahnen entstanden, die Wirtschaft florierte.

Diese Umstände begeisterten mich als Junge. Und so war es naheliegend, dass ich mit elf Jahren ins deutsche Jungvolk eintrat. Meine Eltern waren strikt dagegen, konnten sich aber gegen die allgemeine Euphorie der gesellschaftlichen Meinungen nicht durchsetzen. Insbesondere meine Mutter nannte Hitler einen »Lumpen und Verbrecher«.

Ich war begeisterter Pimpf, war der Dienst im Jungvolk doch für uns Kinder abwechslungsreich und voller Spannung. Auch fand ich nichts dabei, dass ich trotz gegensätzlicher Ideologien eifriger Ministrant war. Als elfjähriger Junge sah ich nur das Vordergründige, und das erregte meine volle Zustimmung und Begeisterung.

So geschah es also, dass ich es rasch »zu etwas brachte« und in der Rangfolge Jungenschafts-, dann Jungzugs- und zuletzt Fähnleinführer des Fähnleins 13 »Michelsberg« mit etwa 200 Jungen wurde.

Wir erhielten im Jungvolk eine regelrechte vormilitärische Ausbildung, die mir später bei der Deutschen Wehrmacht sehr zu Hilfe kam. Wir machten Schießübungen, übten das Exerzieren und führten Gelände-und Fehdespiele durch und das bis zur »Kriegsführung im Kleinen«.

Man wurde zu Kameradschaft und zu »Zucht und Ordnung« erzogen, was mir großen Spaß machte. Das Motto in der Hitlerjugend hieß: »Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder, flink wie Windhunde«. Und so kam es, dass ich ein richtiger Draufgänger wurde. Sie nannten mich wegen meiner Stärke und meines Mutes »Tarzan«, und wenn dieser Ruf bei einer Fehde ertönte, dann jagte ich eine ganze Schar der Feinde in die Flucht.

Ich war keine 17 Jahre alt, als im Mai 1940 ein einschneidendes Ereignis geschah, das mich total umwarf und mit der Zeit zu einem vollkommen anderen Menschen machte.

Bei einer Radtour begegnete ich einigen gleichaltrigen Jungen; darunter war auch mein Schulkamerad Paul B. Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich bald heraus, dass diese jungen Menschen eine vollkommen andere Lebensauffassung hatten als ich. Sie lebten genügsam und vor allem distanzierten sie sich von dem Naziregime. (Ich muss dazu sagen, dass ich bis dahin ein ziemlich oberflächliches Leben geführt hatte.)

Diese Jungen waren begeistert von Gott, was mir damals ziemlich fremd war, obwohl in mir von Zeit zu Zeit eine ganz tiefe Sehnsucht nach Heil aufbrach, ich aber die Kraft zu einer Umkehr nicht aufbrachte, sondern immer wieder in die alten Gewohnheiten zurückfiel.

Die folgenden Tage waren erfüllt von einem intensiven Nachdenken über mein Leben, und am 19. Mai 1940 fasste ich endlich den Mut zu einer Generalbeichte bei einem Geislinger Vikar in St. Sebastian. Dieser Tag brachte die totale Wende in meinem Leben. Ich jubelte und jauchzte im Innersten meines Herzens in einem bis dahin nicht gekannten Lebensglück. Nun hatte mein Leben endlich wieder Halt und einen ganz tiefen Sinn erhalten.

Es stellte sich heraus, dass diese Jugendlichen in einer von den Nazis verbotenen Jugendgruppe waren, die Verbindung zu einer Ulmer Gruppe (u.a. die Familien Saur und Deiniger) hatte, die wiederum Kontakt mit den Geschwistern Scholl aus München hielt. Diese wurden ja wegen Protestes gegen das Naziregime zum Tode verurteilt und durch Enthauptung hingerichtet.

Deshalb kam auch bald die Gestapo hinter uns und zensierte auch meine Post, als ich inzwischen beim Militär war. Die Jüngeren unserer Gruppe wurden zur Vernehmung bestellt. Sie waren aber geistig den »minderbemittelten« Gestapoleuten haushoch überlegen und redeten sich mit allen Mitteln der Kunst hinaus. So blieben sie also vor weiteren Maßnahmen verschont.

Wie ging es nun mit mir selbst weiter? Ich lebte in einem inneren Zwiespalt, war ich doch immerhin ein nicht gerade unbedeutender Führer in der Hitlerjugend. Nach einiger Zeit war ich aber zur Konsequenz bereit und legte mein Amt als Fähnleinführer nieder mit der Begründung, ich müsse Latein lernen, weil ich die Absicht hätte, katholischer Geistlicher zu werden.

Es gab einen Riesenskandal. Der damalige Stammführer der HJ, Wilhelm F., machte mich fertig und steckte mich in die Zwangs-HJ, aus der ich an meinem 18. Lebensjahr meinen Austritt erklärte. Bis 18 war es nämlich Pflicht, in der Hitlerjugend zu sein.

Diesem Wilhelm F. wurde nach dem Krieg der Prozess gemacht. Ich war damals noch in der Gefangenschaft. Er kam meines Wissens einige Zeit ins Gefängnis, wurde aber in den folgenden Jahren ein angesehener Heimatforscher. Als ich später einmal in Bad Überkingen als Diakon einen Gottesdienst hielt, kam er zufällig dazu und war von da an äußerst freundlich und zuvorkommend zu mir. Er befragte mich in der Folgezeit immer wieder zu bestimmten Themen und theologischen Zusammenhängen. Übrigens waren meine jüngeren Freunde bei seinem Prozess zugegen und halfen durch ihre Aussagen mit, dass er glimpflich davonkam.

Der Krieg nahm seinen Verlauf, und ich selbst lebte in einem inneren Zwiespalt mit der Frage, ob ein Krieg berechtigt sei oder nicht. Ich kam zu dem Ergebnis, dass nur ein Verteidigungskrieg seine Berechtigung haben durfte, niemals aber ein Angriffskrieg. Was war zu tun in unserer Situation, in der wir uns befanden? Ein Auflehnen gegen das bestehende Regime hätte das sichere Todesurteil bedeutet. Ich kam zum Reichsarbeitsdienst und musste dort schlimmste Naziführer erleben. (Anm.: Das war aber in der Deutschen Wehrmacht vollkommen anders. Es gab nur wenige systemtreue Vorgesetzte, in der Mehrzahl dagegen solche, die sich mehr oder weniger offen gegen das Naziregime auflehnten. Und so war die Wehrmacht bei der Bevölkerung im Krieg und auch noch viele Jahre nach dem Krieg angesehen und anerkannt.)

Ich nahm mir vor, wenn ich gegen Frankreich kämpfen müsste, die Waffen wegzuwerfen, sollte ich meinem französischen Freund Marcel P. begegnen. Mit Russland war das unserer Ansicht nach anders. Dort herrschte ja das »gottlose« kommunistische System, und das war meines Erachtens damals die einzige Berechtigung für den Krieg. Wir waren der irrigen Meinung, der Kampf gegen »Ungläubige« sei berechtigt.

Ich versah meinen Dienst beim Arbeitsdienst vorbildlich und wurde bald zum Vormann befördert, obwohl die damalige Führung meinen christlichen Standpunkt kannte. Ebenso gut war mein Verhalten in der Deutschen Wehrmacht. Ich stieg vom einfachen Schützen nacheinander zum Gefreiten, dann zum Unteroffizier, Feldwebel, Leutnant bis zum Oberleutnant auf, erhielt wegen Tapferkeit an der Ostfront das Infanterie-Sturmabzeichen und das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse. Zuletzt führte ich die 3. Jäger-Kompanie im 5. Jägerregiment (Standort Ulm).

Lassen wir nun aber den Sechzehnjährigen berichten mit Originalaufzeichnungen aus den Tagebüchern.

Tagebuchaufzeichnungen

GEISLINGEN, DEN 30. DEZEMBER 1939

Am 30. Juni 1923 wurde ich als drittes Kind und als zweiter Sohn des Kaufmanns Johannes Egle und seiner Ehefrau Amalie, geborene Mozet, in Ehrenstein bei Ulm/Donau (jetzt Blaustein) geboren. Meine Mutter stammt aus Bayerisch-Schwaben (von Peterswörth, einem kleinen Bauerndorf bei Gundelfingen an der Donau), mein Vater ist ein Schwabe (aus Bollingen auf der Ulmer Alb).

Wir wohnten nur bis 1926 in Ehrenstein. (Meine Eltern betrieben dort ein Kolonialwarengeschäft, das aber nicht besonders gut lief.) Von dieser Zeit weiß ich nur noch, wie an einem Morgen ein Bärentreiber mit einem riesig großen Eisbären in unseren Hof kam. Mein Bruder Alban und ich rannten in die Küche und schauten durch das Fenster. Wir zogen aber sofort wieder den Kopf zurück, denn der Bär richtete sich auf und schaute herein.

Im Spätherbst 1926 zogen wir nach Geislingen. Dort kauften meine Eltern ein Haus am Sternplatz und eröffneten einen Kolonialwarenladen.

Von meinen Kindheitstagen sind mir folgende Erlebnisse noch bekannt. Gleich bei unserem Umzug weiß ich noch genau, wie man meine Bettlade aus dem Möbelwagen lud. – In unserer Nähe hatte es mehrere »Misten«(Müllhalden). Dort stiefelte ich mit meinem Bruder den ganzen Tag herum. – An einem Wintertag ging ich einmal mit meiner Schwester Wally in den Ölweg zum Schlittenfahren. Der Ölweg war zu dieser Zeit noch eine große Halde, durch die sich ein Tal zog. Ich wollte einfach nicht den steilen Buckel herabfahren. Schließlich fuhr meine Schwester allein. Sie kam in einem rasenden Tempo herunter und fuhr unten auf eine Tanne. Der Schlitten war vollständig zertrümmert. Wir trugen ihn unter meinem großen Geschimpfe schwitzend heim. – 1927 wurde meine Schwester Amalie geboren. Ich musste die ganze Zeit auf sie aufpassen. Darum riefen mir meine Freunde immer nach: »Hanni, sei Kindsmagd!«

Im Jahr 1930 kam ich in die Schule. In den ersten Jahren meiner Schulzeit war ich ein richtiger Gassenjunge. Vor meinem Haus versammelten sich täglich fünf bis zehn Freunde, darunter auch ich.

Auf unseren Bergen machten wir oft »Lägerle«. Wir bauten richtige Prachtbauten. Oft spielten wir auch »Soldäterles«. Es gab nicht selten große Kämpfe mit Rüben und Rettichen.

Im Jahr 1932 bauten meine Eltern an unser Haus ein neues Haus an. In dem Bau trieben wir uns jeden Abend herum. Einmal holten wir vom Keller ein paar Bretter herauf und bastelten ein Boot zusammen. Wir fuhren damit auf der Eyb.

Ab 1933 fing ich an, Mundharmonika zu spielen. 1935 lernte ich Violine, 1937 Mandoline und 1939 Zither spielen.

1932 gab es in Geislingen fast täglich Umzüge der verschiedenen Parteien. Sie gingen aber nicht immer gut ab, denn es fielen oft Schüsse. Dann kam der 30. Januar 1933: Das Deutsche Reich wurde aufgebaut. Überall spürte man es.

Ich durfte nicht gleich ins deutsche Jungvolk, weil ich noch zu jung war. Aber ein Jahr darauf, am 1. September 1934 trat ich ins deutsche Jungvolk ein. Am 1. Februar wurde ich Jungenschaftsführer und am 1. Juni 1938 Jungzugsführer. – Mit größter Begeisterung erlebte ich die Eingliederung Österreichs und des Sudetenlandes im Jahr 1938 ins Reich. Am 1. September 1939 wurde Polen der Krieg erklärt, und 18 Tage später war dieser Blitzfeldzug beendet.

Mir sind aus dieser Zeit folgende Ausflüge in Erinnerung:

Im Sommer 1936 machte ich mit meiner Schwester Wally eine Fahrt ins »Blaue« nach Oberstdorf in den Allgäuer Alpen. Wir besuchten die Breitachklamm und den Freibergsee (mit dem Fahrrad!).

Am 24. Juni 1936 machten wir unseren Schulausflug nach Blaubeuren. Wir besuchten den Blautopf und das Kloster. Darauf fuhren wir nach Ulm zur Friedrichsau. Zuvor besuchten wir noch die Laichinger Höhle.

Am 15. Juni 1937 machten wir einen Schulausflug nach Urach. Wir besuchten die Falkensteiner Höhle, den Uracher Wasserfall und die Burgruine Hohenurach.

Vom 7. bis 15. August 1937 machte ich mit meiner Schwester Wally einen Radausflug: 1. Tag über Heidenheim nach Augsburg. 2. Tag Besichtigung von Augsburg. 3. Tag über Landsberg, Oberammergau, Kloster Ettal nach Garmisch-Partenkirchen und von dort an den Riessersee. 4. Tag Mittenwald, auf den Karwendel, weiter über den Walchensee und Kochelsee nach Weilheim. 5. Tag Kloster Andechs, Herrsching, mit dem Dampfer über den Ammersee nach Utting, von dort über Landsberg nach Augsburg. 6. Tag Augsburg. 7. Tag über Offingen nach Peterswörth. 8. Tag Heidenheim ins Naturtheater (Wilhelm Tell) und am Abend nach Hause.

Im August 1938 nahm ich an einer Radfahrt mit fünf anderen Kameraden teil. Wir fuhren am ersten Tag über Heidenheim, Gundelfingen, Donauwörth, Ingolstadt bis kurz vor Regensburg. Wir blieben im Zelt über Nacht an der Donau. Am zweiten Tag fuhren wir über Regensburg und Straubing nach Niedermünchsdorf in Niederbayern. Am dritten Tag fuhren wir nach Passau, Linz, Melk und Sankt Pölten bis 50 Kilometer vor Wien. Am anderen Tag fuhren wir vollends nach Wien.

Dort besuchten wir zuerst den Wiener Prater mit folgenden Attraktionen: Liliputbahn, Riesenrad, Autobahnen, das kleinste Benzinauto der Welt, Geisterschloß, Piratenschiff, Automatenhalle, Spielhallen, Achterbahn, Motorbootfahrt, Schweizer Haus (da gab’s Frankfurter Würstle und Wiener Schnitzel!), Watschelmann, Pferdekünstler, Schießanlagen, Flugbahn usw.

Am andern Tag war Stadtbesichtigung mit einem Riesenprogramm: Stefansdom, Burgtor, Burgtheater, Ring, Rathaus, das Schloß Schusch-niggs, Museen, Stadtpark, Strauß-Denkmal, Maria-Theresien-Denkmal, Karlskirche mit den beiden Trajanssäulen, Hochstrahlbrunnen, Heldenplatz, Heldenburg, Hochhaus, die neue Höhenstraße, den Donaukai, den Opernring mit der Staatsoper, in der Burg das Michaelertor, die Universität, den Praterstern, Votivkirche, die Kärntnerstraße und das Parlament.

Tags darauf gingen wir in das Judenviertel, die Leopoldstadt. Es hatte zu dieser Zeit etwa 60 000 Juden dort. Wir schauten in ein paar Synagogen hinein. (Wir hatten damals aufgrund der Judenhetze noch erhebliche Vorurteile gegen alle Juden!)

Wir verließen am nächsten Tag die Stadt und fuhren über WienNeustadt, den Semmeringpaß, Bruck, Bad Ischl, den Pötschenpaß, über Bad Goisern am Wolfgangsee entlang nach Salzburg. Dann weiter über Wasserburg, München, Augsburg, Günzburg, Ulm zurück nach Geislingen.

Die ganze Fahrt dauerte 14 Tage. Wir übernachteten im Zelt oder bei den Bauern im Heu. Hungrig und müde kamen wir zu Hause an und freuten uns riesig über ein gutes Essen.

Im Frühjahr 1937 machte unser Jungbann (437) gegen den Ulmer Jungbann (120) eine Fehde. Am ersten Tag mußten wir einen Leiterwagen durch Stötten schmuggeln. Das gelang uns und der Sieg war unser. Am zweiten Tag erlitten wir am Stuifen, den wir verteidigen sollten, eine Niederlage. Am dritten Tag mußten wir den Hohenstaufen verteidi gen, eroberten dabei zwei feindliche Fahnen und errangen einen Bombensieg. Am Abend versammelten wir uns auf den Felsen unterhalb des Hohenstaufens und sangen im Mondschein unsere Lieder. Das war sehr romantisch.

Seit Sommer 1939 habe ich mir in den Kopf gesetzt, einmal Pflanzer (Farmer) zu werden; und zwar in Deutsch-Ostafrika. Ich bin mir aber noch nicht ganz sicher. Außer diesem Beruf habe ich noch folgende Berufsmöglichkeiten: Oberschullehrer, Zeichenlehrer, Doktor, Zahnarzt, Offizier, Musiklehrer, Kaufmann oder Landwirt im Gebirge. Am liebsten wäre es mir doch, wenn ich Farmer oder Landwirt werden könnte, denn ich möchte auf einem eigenen Hof sein und etwas weg vom Gehetze der Großstadt und den vielen Menschen.

Der Krieg nahm seinen Verlauf. Es wurden in Geislingen vier Großalarmsirenen angebracht: auf dem Rathaus, der Gewerbeschule, auf dem Gasthaus zum Rad und schließlich auf unserem Dach. Die Fliegerangriffe der Engländer beginnen.

»So sauste ich den Berg herunter!«

Am 27. Januar 1940 verunglückte ich beim Skifahren am Madried. Es knackte im Knöchel, den ich mir erheblich verstaucht hatte. Der Arzt stellte eine starke Verzerrung mit Bluterguß fest. Jetzt liege ich im Bett und muß Umschläge machen.

Seit ein paar Wochen haben wir Kohleferien. Es gibt in Deutschland im Überfluß Kohlen, aber Transportschwierigkeiten wegen der furchtbaren Kälte, die schon seit November andauert. Dies ist seit 1928/1929 der strengste Winter mit minus 32 Grad Kälte. Unsere Schule stellt sich der Stadtverwaltung mit Schneeschippen zur Verfügung.

In England sind jetzt, wie bei uns, Lebensmittelkarten eingeführt. Die englische Bevölkerung will Karten nach deutschem Muster. Bei uns ist alles in Ordnung. Schwerstarbeiter bekommen Zulage. Es gibt Kinderkarten. Die Kleiderkarte ist auch eine gute Idee. Ich habe noch alle 100 Punkte an der meinigen. Zweimal in der Woche muß ich Marken kleben (für den Lebensmittelladen). Es ist immer ein ganzer Haufen. Ich mache es, indem ich daran denke, daß dies ein kleiner Kriegsdienst ist.

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Spätere Anmerkungen:

Im Frühjahr 1940 schloss ich den Besuch des Geislinger Gymnasiums ab und begann eine Lehre bei der Groß- und Einzelhandelsfirma Max Maisch, Farben, Drogen und Kolonialwaren, in Göppingen. Ich besuchte einmal in der Woche die Städtische Handelsschule in Göppingen. Jeden Tag fuhr ich mit dem Zug zu meiner Arbeitsstätte. Meine Eltern drängten mich, dass ich ihr Geschäft einmal übernehmen sollte.

Der elterliche Betrieb wurde 1918 in Ehrenstein bei Ulm gegründet. Im Herbst 1926 erwarben meine Eltern einen kleinen Laden und siedelten nach Geislingen über. Das Geschäft war wegen Machenschaften des Vorbesitzers in Verruf geraten. Meine Mutter aber machte Gott und die Welt mobil, und siehe da, es wurde eine Goldgrube. Schon 1932, nach sechs Jahren, wurde angebaut und das Geschäftshaus mit Lebensmittel- und Kurzwarenabteilung bar bezahlt. Es ging steil aufwärts, trotz der Krise und des Krieges.

Mein Vater war ein stiller, fleißiger Arbeiter, ein typischer »Schaffer«. Mutter dagegen war lebendig und quirlig. Sie war ein umtriebiger Mensch und hatte zum Beispiel im Krieg die ganze Geislinger Polizei am »Gängelband«. Bei ihren Schwarzfahrten mit dem gemieteten Lastwagen zu Hamsterfahrten ins Bayerische, was im Krieg streng verboten war, fuhr sogar Polizeichef S. mit, natürlich in Zivil, um an Kartoffeln, Kraut, Rüben und Weizen und vielleicht auch ein halbes Schwein, das unter dem Kartoffelhaufen versteckt lag, zu kommen. Fast immer gelang es ihr. Einmal wurde sie eine Nacht lang eingesperrt, der Lastwagen samt Ladung beschlagnahmt. Sie brachte es aber dank ihrer Überredungskunst fertig, dass nicht nur sie selbst, sondern auch alle ihre Hamstereinkäufe freikamen. Zu Hause war natürlich großes Jammern, aber plötzlich tauchte sie quicklebendig wieder auf.

Die Gegensätze meiner Eltern waren sehr groß. Der Vater war ängstlich und zurückhaltend, die Mutter großzügig und sie sprühte buchstäblich vor Lebensmut und Unternehmensgeist. Und so prägten zwei gegensätzliche Eigenschaften mein Leben: die Ängstlichkeit, Stille und Zurückgezogenheit vom Vater und der Mut, das Draufgängertum und das Kämpferische, aber auch das Humorvolle von meiner Mutter.

Hören wir nun aber weiter, was das Tagebuch berichtet.

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GEISLINGEN, DEN 10. APRIL 1940

Gestern: blitzschnelles Handeln gegen England; Norwegen und Dänemark unter deutschem Schutz. Norwegen leistet Widerstand.

GEISLINGEN, DEN 7. MAI 1940

Letzten Sonntag war ich in Süßen bei einem Jugendbekenntnistag der katholischen Jugend.

(Die große Wende meines Lebens beginnt!) Nach der heiligen Messe hielten wir im Gemeindehaus so eine Art Heimabend ab. Mein Schulkamerad Paul hatte den Vorsitz. Er legte uns besonders unsere Lebensführung aus, nach der wir unser Leben ausrichten sollen. Wir sind auf der Welt, um Gott zu dienen und an uns zu arbeiten. Wir müssen unseren Körper stählen und alles meiden, was unserer Gesundheit schadet (sittlich gut sein, nicht rauchen und trinken).

»Im Kreuz ist Heil!« Die große Wende meines Lebens

Ich habe mir den Vorsatz gemacht, dieses Jahr überhaupt nicht zu rauchen und habe es bis jetzt ohne »Schmerzen« gehalten. Nächstes Jahr mache ich es wahrscheinlich wieder so.

GEISLINGEN, DEN 13. MAI 1940

In den letzten Tagen ist Großes geschehen. Deutschland ist in Belgien, Holland und Luxemburg einmarschiert. Luxemburg ist bereits genommen. Die Schweiz hat mobil gemacht, um ihre Neutralität zu wahren. Der Krieg gegen Norwegen ist fast beendet.

GEISLINGEN, DEN 15. MAI 1940

Holland hat kapituliert. Heute wurden wieder über 200 Flugzeuge vernichtet und zwei Zerstörer versenkt.

GEISLINGEN, DEN 18. MAI 1940

Morgen ist Muttertag.

Liebe Mutter! Ich danke Dir für alles, was Du für mich getan hast in Liebe zu mir. Wolle Gott, daß Du noch lange lebst. Du sollst mir immer ein Vorbild im Leben sein. Dein Sohn Hans

GEISLINGEN, DEN 19. MAI 1940

(Große Generalbeichte und endgültige Wende meines Lebens.)

Der heutige Tag war einer der schönsten meines Lebens. Ich habe zu Gott zurückgefunden. Meiner himmlischen Mutter schenkte ich das Schönste, das ihr jemand geben kann, nämlich ein reines Herz. Den Großteil meiner Bekehrung habe ich meinem Freund Paul zu verdanken, der vor zwei Wochen den Bekenntnistag in Süßen hielt. Seine Worte behielt ich mir gut und bewahre sie im Herzen auf. Ich nehme mir jetzt fest vor, meinen Herrgott nie mehr zu beleidigen, obwohl es mir anfangs schwer fällt. Es wird ein schwerer Kampf werden, den ich noch durchzumachen habe. Ich muß ihn aber bestehen. Jetzt habe ich keine Angst mehr, auch nicht vor dem Tod.

Meine Zukunft denke ich mir etwa folgendermaßen aus:

Ich lerne jetzt noch drei Jahre als kaufmännischer Lehrling. Danach lege ich die Militärzeit ab und übernehme dann das elterliche Geschäft oder werde Landwirt. Vielleicht werde ich aber auch einmal Farmer und gehe in die Kolonien.

Folgendes Gedicht entstand am 17.2.1940

Frühling will es wieder werdenhier in unserm schönen Tal.Alles grünt und blüht auf Erden,ei, man spürt es überall.

Schon die ersten Blümeleinwachen auf von ihrem Schlaf,und der liebe Sonnenscheinschaut hervor, vergnügt und brav.

Das Bächlein hat nun freien Laufmit seinem klaren Wässerlein.Es springt auf der schon grünen Auund glitzert vergnügt im Sonnenschein.

Die Wiesen mit ihrem schönen Grünleuchten, frei von des Winters Last.Schon die ersten Bäume blühn,der Winter zieht ab mit großer Hast.

Die Vöglein zwitschern vergnügt ihr Lied.Sie kommen von fernen Zonen.Doch sie werden dabei gar nicht müd,denn der Frühling wird’s ihnen lohnen.

Deshalb will es Frühling werdenhier in unserm schönen Tal.Alles grünt und blüht auf Erden,ei, man spürt es überall.

Bei den Reichsjugendwettkämpfen im letzten Jahr machte ich 314 Punkte. Ich war Vierter im Standort Geislingen. 180 Punkte waren zur Siegernadel erforderlich. Im Weitsprung sprang ich 5,20 Meter. Die Keule warf ich 57 Meter (die Bestweite des Tages in Geislingen), doch der Lauf mißglückte ein wenig. Die 100-Meter-Strecke lief ich in 13 Sekunden. In der Schule war ich immer besser und lief unter 13.

GEISLINGEN, DEN 24. MAI 1940

Ich werde wahrscheinlich einmal Landwirt. Dann kaufe ich in Bayern oder Württemberg ein kleines Gut. Es muß ein großer Wald dabei sein, in dem das Herrenhaus steht, vielleicht auch ein kleiner See. Tagsüber wird gearbeitet und abends wird im Waldgarten musiziert oder gemütlich zusammengesessen. Das Gut sollte auf einer kleinen Anhöhe stehen. Auf dem höchsten Punkte wird das Kreuz angebracht. Feste werden auch gefeiert. Vielleicht auch einmal ein Sommernachtsfest. Hoffentlich wird mir dieser Wunsch erfüllt.

Seit letztem Samstag habe ich einen Ölmalkasten. Noch am selben Abend zeichnete ich ein Bild. Es stellt eine Blumenvase mit ein paar Blümlein darin dar. Es ist etwas mißlungen, was ja bei dem ersten Ölmalversuch zu erwarten war. Gleich am anderen Tag malte ich eine Gebirgslandschaft.

Ich denke mir meinen Hausbau ungefähr folgendermaßen aus: Im Untergeschoß Keller und Waschküche. Dann im ersten Stock die Schlafräume und das Empfangszimmer. Im zweiten Stock sind die Wohnräume vorgesehen. Ein sehr großes Zimmer gibt den Festsaal. Ferner werden noch ein Eß- und ein Wohnzimmer und ein »Schmollzimmer« vorhanden sein. In demselben Stock steht auch noch ein Musikzimmer mit einem schönen Flügel. Im dritten Stock werden die Küche, ein Arbeitszimmer und ein Maleratelier sein. Das Speisezimmer führt auf eine Veranda hinaus, die in lauter Glas eingehüllt ist und wo der Frühling bald Einzug nehmen kann. Alle Zimmer werden mit Kunstgemälden, Schnitzereien und sonstigen Verschönerungen verziert. Im Festsaal wird ein schöner Kronleuchter hängen. Das »Schmollzimmer« wird das schönste Zimmer sein. Die Decke wird bemalt, und an die Wände kommen lauter Stickereien, die erlebte Geschichte darstellen. Im Festsaal werden vielleicht schöne Goldmosaiken stehen. Dies muß einen Saal in lauter Gold geben, in welchem öfters große Familienoder Sippenfeste abgehalten werden. – Das nächste Mal schreibe ich dann wahrscheinlich einiges vom Hof, den Ställen und vom Garten und Park nieder.

Jugendtraum: Farmer in den Kolonien

Das Geschäft meiner Eltern, das ich einmal übernehmen werde, werde ich um einiges verbessern und umbauen. Vom neuen Haus ins alte wird die Wand durchbrochen, um das Geschäft zu vergrößern. Die beiden Läden werden durch eine schöne, breite Treppe miteinander verbunden. Die Schaufenster werden vergrößert. Durch das Anbringen von Glasaufsätzen auf dem Ladentisch wird das Bild verschönert. Auch nach außen muß das Geschäft etwas vorstellen. Schöne, große Leuchtbuchstaben werden angebracht. In der Nähe des Geschäfts werde ich mir einen Platz für eine Autogarage verschaffen, in der ein Lieferwagen und wenn ich ins Geschäft komme (Hin-und-Herpendeln zwischen Hofgut und Laden!) ein Personenwagen steht. Vielleicht im Garten der Sparkasse.

Der Gutshof, den ich zu kaufen gedenke, muß mindestens 300 Morgen groß sein. Er muß in einer schönen Gegend, vielleicht im Allgäu, liegen. Ein großer Wald, der in der Nähe des Hauses zu einem Park umgewandelt wird, muß auch dabeisein. Ein kleiner Weiher und eine eigene Jagd sollten auch beim Gut sein. Die Ställe und Scheunen werden ausgebessert. Ich gedenke, etwa 60 Kühe, 4 bis 8 Pferde und viele Schweine zu halten. Modernste Maschinen und ein Schlepper werden auch nach und nach beschafft. Ich werde ungefähr 2 bis 3 Knechte, darunter ein Großknecht, und 2 Mägde einstellen. Für das Wohnhaus brauche ich ein Dienstmädchen. Eine Magd muß kochen können, um den Beschäftigten das Essen zu bereiten. In dem Garten, der das Haus umgibt, werden die schönsten Blumen gepflanzt. Der Weiher muß nahe daran liegen. Anschließend kommen dann der Park und der Wald. Das Ganze muß einen schönen Eindruck machen.

GEISLINGEN, DEN 10. JUNI 1940

Italien hat den Westmächten den Krieg erklärt. Überall in Italien und Deutschland großer Jubel! Paris wird von hinten und von vorne ein geschlossen. – Herr Gott, gib, daß nicht zu viele Menschen in diesem Krieg fallen müssen und führe die Toten ein in Dein Reich, daß sie bei Dir ewig weiterleben dürfen.

Unteroffizier Robert H., der Schulkamerad und Freund meiner Schwester, ist gefallen.

Gutshof, Wald und Park – ein schöner Eindruck

GEISLINGEN, DEN 30. JUNI 1940

Heute ist mein Geburtstag, siebzehn Jahre alt bin ich geworden. Der Tag fing nicht gerade angenehm an. Um 2 Uhr nachts wurde nämlich in Geislingen Fliegeralarm gegeben. Wie das tut, so mitten in der Nacht – das war schrecklich! Da konnte man so Sachen sehen: Sie kamen in Nachthemden, Unterhosen, Unterröcken, Bettkitteln, barfuß in den Keller gestolpert. Der Flur war nicht recht verdunkelt und man konnte deshalb kein Licht anmachen. Es entstand eine große Aufregung überall. Der Keller war verschlossen, und der Schlüssel lag im Laden. Dann mußte man zuerst den Ladenschlüssel holen und endlich brachten sie den Kellerschlüssel daher. Auf einmal merkten wir, daß die Familie I., die im alten Haus ganz oben wohnt, fehlt. Mein Vater mußte sie wecken. Sie kamen endlich nach zehn Minuten und zitterten am ganzen Leib. Sie hatten wirklich den Alarm nicht gehört, obwohl die Sirenen furchtbar laut heulten. Man hörte die Flieger surren, die über Geislingen hinwegflogen. Wir waren 20 Personen im Keller.

Im Ziegelwald bei Amstetten warfen sie Brandbomben.

Jesus – mein Weg im Leben!

GEISLINGEN, DEN 4. JULI 1940

Ich bin daran, im Jungvolk Standort Geislingen eine Volksmusikkapelle aufzumachen. Sie besteht anfangs nur aus Schifferklavier, Zither, Violine und Gitarre. Nächste Woche beginnen wir mit den Übungsstunden. Hoch lebe die Musika!

GEISLINGEN, DEN 7. JULI 1940

Nächsten Sonntag ist die Einsetzung unseres Stadtpfarrers in der Gemeinde Altenstadt in sein Amt. Bisher war er seit eineinhalb Jahren nur Stadtpfarrverweser. Er ist ein guter und treuer Seelsorger in unserer zusammengewürfelten Gemeinde. Zu ihr gehören Leute aus dem Rheinland, aus Luxemburg, Polen, Jugoslawien. Da kann man sich denken, daß man hier einen ganzen Kerl braucht.

GEISLINGEN, DEN 9. JULI 1940

Das Leben ist ein großer, schwerer Kampf, ein Kampf gegen die Not und die Armut, also um das tägliche Brot, gegen Krankheit und in der Hauptsache ein großer Seelenkampf. Es ist ein gewaltiges Ringen zwischen Himmel und Hölle. Es sollte jeder über den Ernst des Lebens und das, was nachher kommt, nachdenken.

Ich denke mir die Menschen in drei große Gruppen grob eingeteilt.

Die erste Gruppe bilden die Menschen, die nie reif werden. Sie geben sich nur der Lustbarkeit hin und sind sexuell schlecht. Sie leben nur von Genüssen und haben meist ein hartes Herz. Ja, sie spielen vor Frauen mit sich selbst Theater, statt mit ihnen kameradschaftlich und ritterlich umzugehen. Sie bilden sich ein, sie seien Genies. Sie sind nur darauf bedacht, äußerlich schön zu sein und mit galanten Sprüchen angenehm aufzufallen und sich beliebt zu machen. Sie sorgen nur für ihr eigenes Wohlergehen, sind also große Egoisten.

In der zweiten Gruppe sind Menschen, die wohl die Schönheit, Reinheit und Romantik lieben, seelisch aber unfertig sind. Sie erkennen das Höchste der Seele nicht, können aber sonst recht anständig sein. Doch wenn es sich um Abenteuer handelt, sind sie wie losgelassene Tiere. Sie wollen nicht über ihr tiefstes Geheimnis, die Seele, nachdenken.

 

In der dritten Gruppe sind die wertvollsten Menschen. Sie sind sittlich gut, haben einen großen Gemeinschaftssinn und ein gutes Herz. Diese Menschen können ihr Leben schön gestalten, teils mit Kunst oder Wandern. Die ärmsten dieser Menschen sind viel reicher als die Menschen der ersten und zweiten Gruppe. Sie leben einen leidenschaftlich schönen Kampf und wissen, was sie auf Erden zu tun haben. Sie bauen an sich selbst, bis sie am Schluß ganz vollendet sind.

GEISLINGEN, DEN 28. JULI 1940

Eine Religion muß ein starkes Fundament haben. Es gibt Menschen, die wohl an Gott glauben, von Christus aber nichts wissen wollen. Es gibt Menschen, die das Leben nicht verstehen und nur so dahinleben, also sich um nichts kümmern. Nein, wir müssen auf Erden kämpfen und dürfen uns nicht einfach nur so dahintreiben lassen.

GEISLINGEN, DEN 4. AUGUST 1940

Schon wieder Fliegeralarm! Es ist nicht sehr angenehm, so mitten in der Nacht gestört zu werden, zumal beim Heulen der Sirenen die feindlichen Flieger schon da sind.

GEISLINGEN, DEN 17. AUGUST 1940

Heute nacht schon wieder Fliegeralarm. Nach der Entwarnung ging ich mit meinem Bruder auf die Straße, die vom Mond hell beleuchtet war, und wir hörten dem Schießen zu.

Bei uns in Geislingen hat es ein paar Hundert polnische Kriegsgefangene, die im Bergwerk arbeiten müssen. Man darf mit ihnen nicht reden. Sie tragen alle am Kittel ein gelbes »P«.

Auf den Dörfern hat es gefangene Franzosen.

Wir müssen unser ganzes Arbeiten, all unsere Freuden und Leiden, unser ganzes Leben, nach Gott richten und in seinem Willen ausführen. Dies bedeutet einen steten Kampf im Inneren.

Ich kam mir vor, als würde ich von einem wilden Drachen mit seinen furchtbaren schwarzen Krallen immer mehr nach rückwärts gerissen. Er hielt mich mit seinen schrecklichen Zähnen, die mir schon weit in den ganzen Körper drangen, fest und zerrte mich immer schneller mit sich fort in seine unheimliche Höhle. Manchmal aber machte ich mich los von ihm und wollte wieder vorwärts laufen. Doch ich war viel zu schwach, so daß er mit seiner ganzen Wucht aufs Neue über mich herfiel und mich wieder mit sich fortriß (bis zum Mai 1940).

Aber einmal focht ich einen furchtbaren Kampf mit ihm aus, als er mich schon fast vor seinen Höhleneingang geschleppt hatte (5. bis 19. Mai 1940). Dieser Kampf war ein ganz schrecklicher, in dem ich schließlich aber doch siegte. Mit aller Kraft riß ich mich von ihm los und entfloh ihm. Ein paarmal hatte er mich fast wieder eingeholt, doch dann drang ich mit Riesenschritten weiter und ließ ihn zurück. Ja, manchmal hatte er schon wieder seine Krallen ganz leicht in meine Haut gebohrt. Auch das habe ich überstanden, indem ich ihn von neuem mit meiner ganzen Kraft losgeschüttelt habe und wieder losgestürmt bin, immer nach oben, vorwärts zum Sieg. Jetzt bleibt er immer weiter hinter mir zurück, denn ich werde von einer wunderbaren Hand geführt, die mich sicher zum Ziel führt.

GEISLINGEN, DEN 25. AUGUST 1940

Schon wieder Fliegeralarm! Ich holte meine Mundharmonika und spielte die teils verschlafenen, teils ängstlichen Leute etwas wach. In Stuttgart wurden Bomben geworfen. Wir hörten das Donnern der Einschläge. Auch Berlin wurde heute nacht bombardiert.

GEISLINGEN, DEN 1. SEPTEMBER 1940

Heute ist der Jahrestag des Kriegsbeginns. Vom nördlichen Eismeer bis zum Golf von Biskaja stehen unsere deutschen Soldaten. Die Fliegerangriffe häufen sich. Fast jede Nacht wird Alarm gegeben. Man ist fast kein Mensch mehr, wenn man so oft aufstehen muß und dabei ein ganz bedrückendes Gefühl hat, wie zur Zeit. Viele Leute bekommen Erkältungen oder sonstige Krankheiten. Auch ich habe mir vom nächtlichen Kellerbesuch Bauchschmerzen und Durchfall geholt. Auch die Nerven werden belastet.

Nun sind auch nach Geislingen ein paar Hundert gefangene Franzosen gekommen. Sie sind im Hirsch und in der früheren Bonbonfabrik Henne untergebracht. Jeden Morgen marschieren sie in alle Richtungen zum Arbeiten. Bei uns geht es ihnen gut, denn sie bekommen gute Verpflegung.

GEISLINGEN, DEN 10. SEPTEMBER 1940

In London brennt es unaufhörlich. Über der ganzen Stadt liegt Rauch. Die Einwohner sind die meiste Zeit im Keller. Zahlreiche Menschen hungern dort.

Wir alle hatten gehofft, daß der Krieg dieses Jahr noch ausgehen werde. Leider scheint das nicht der Fall zu sein.

Erbkranke Menschen sollte man in eine Anstalt bringen, womöglich schon sehr früh, und sie dort so gut wie möglich erziehen. Solche Kranke darf man aber nicht töten, denn sie sind Menschen, die ein Recht auf Leben haben. Der Staat sagt, daß es ihn so und so viele Millionen koste, diese Menschen leben zu lassen, denn so eine Anstalt stellt allerhand Anforderungen und braucht größte Sorgfalt. Wieso läßt man denn dann die Tiere am Leben? Darf man Menschen schlechter behandeln als Tiere?

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Anmerkung:

Bis dahin glaubte ich, Religion und Nationalsozialismus ließen sich miteinander vereinbaren. So langsam wurde ich aber wach und spürte immer etwas mehr von dem verbrecherischen Naziregime. Ich musste mich entscheiden und legte zunächst mein Amt als Fähnleinführer ab, was – wie schon erwähnt – einigen Wirbel hervorrief. Der zuständige Stammführer der HJ, Wilhelm F., machte mich total fertig. Ich kam in die Zwangs-HJ, aus der ich an meinem 18. Geburtstag austrat. In der Folgezeit löste ich mich immer mehr vom Naziregime, bekam aber wegen des Krieges sehr starke Gewissenskonflikte. Ein einziges unvorsichtiges Wort hätte genügt, um ins KZ zu kommen.

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GEISLINGEN, DEN 23. SEPTEMBER 1940

Heute habe ich in Göppingen mit einem gefangenen Franzosen gesprochen. Ich fragte ihn allerlei, wo er herkomme und wie er hieße. Er fragte mich mit einem verlegenen Lächeln, ob man ihn nach dem Kriege töten würde. Ich beruhigte ihn und sagte ihm, daß er dann wieder nach Hause dürfe. Er zeigt mir einige Photographien von seiner Familie und seinen Kameraden. Mit meinen fünf Jahren Schul-Französisch kam ich ganz gut durch. Er selbst sprach kein Wort Deutsch.

GEISLINGEN, DEN 25. SEPTEMBER 1940

In London geht die Hölle weiter um. Die Bewohner kommen kaum noch aus dem Luftschutzkeller.

GEISLINGEN, DEN 21. OKTOBER 1940

Wenn mich etwas bedrückt, dann muß ich in die Natur hinausgehen. Ob ich von einem Berg ins schöne Tal sehe, ob sich meine Blicke in der Unendlichkeit des Himmels verlieren oder den lustigen Wassern am Bache folgen, überall finde ich die größte Ruhe. Nirgends zeigt sich etwas von der Schrecklichkeit und Enge der Stadt. Frisch und frei kann man sich bewegen, denn, sei es die Wiese, der Wald, der Schatten eines Baumes, alle sind deine Freunde und laden dich ein. Wenn ich die Sonne auf- oder untergehen sehe, muß ich jedes Mal staunen über die Pracht und Herrlichkeit des Himmels. Zuerst zeigt sich an den Wölkchen nur ein leichter Hauch von Gelb. Schließlich verfärbt es sich immer mehr zu einem leuchtenden, schönen Gold, das sich dann in ein tieferes und satteres Orange verwandelt. Inmitten dieser Pracht steht die Sonne als ein großer Feuerball. Wie groß und herrlich muß doch das Weltall sein, das solche Pracht zeigt. Ich kann in der Natur, wo ja Gott zugegen ist, meine Ruhe und Freude finden. Hier vergesse ich jeden Schmerz, denn ihre Bilder halten mich gefangen.

GEISLINGEN, DEN 28. OKTOBER 1940

Der gestrige Tag war ein sehr bedeutender Tag in meinem Leben. Ich habe bei der heiligen Kommunion meinem Gott ewige Treue gelobt. Nie mehr werde ich von ihm weggehen. Ich spüre immer wieder etwas von der Allmacht und Güte Gottes. Ich kann es nicht in Worten ausdrücken, wie herrlich das ist, dieses Große und unendlich Weite. In solchen Augenblicken zerreißt es mir fast das Herz vor lauter Freude.

GEISLINGEN, DEN 8. NOVEMBER 1940

Wir mußten von 21 Uhr an fast dreineinhalb Stunden in den Keller. Ich war noch in der Zitherstunde, als der Alarm gegeben wurde. Dann fuhr ich schnell heim. Es war im Keller sehr kalt. Wir hörten diesmal öfters Fliegergebrumm. Hoffentlich hören diese Aufregungen bald wieder auf!

GEISLINGEN, DEN 24. NOVEMBER 1940

Heute ist der Totensonntag. Der Heilige Vater hat für die ganze katholische Welt einen Bittag angesetzt und zwar nach dreifacher Meinung: erstens um für alle Gefallenen das Heil zu erlangen, zweitens um für alle schwer Betroffenen übernatürliche Kraft und Tröstung zu erhalten und drittens für einen dauerhaften, gerechten Frieden. Die ganze Welt betete zu Gott.

»Schrecklich, diese Kälte im Keller!«

 

Heute ist auch der letzte Sonntag im Kirchenjahr. Dieses Jahr war eines meiner schönsten im Leben, denn ich habe zu Gott zurückgefunden. Gott hat mich zu sich geführt.

GEISLINGEN, DEN 2. DEZEMBER 1940

Wir müssen Ordnung in unser Leben bringen. Alles und in allem sollen wir uns Gott anvertrauen. Wir sollten es soweit bringen, daß jede Arbeit mit Gott als festem Grund verrichtet wird.

GEISLINGEN, DEN 22. DEZEMBER 1940, NACHTS 0.45 UHR

Es ist jetzt gerade Fliegeralarm. Schrecklich, diese Kälte im Keller! Hoffentlich ist der Alarm bald vorüber. Es dauert schon eine Stunde lang.

GEISLINGEN, DEN 22. DEZEMBER 1940

Heute war eine Weihnachtfeier im Kindergarten. Ich wirkte auch mit und spielte Geige und Zither. Wenn man so ein Kind betrachtet, wie unschuldig es dasteht und seine Gedanken sich nur nach dem, was gerade vor sich geht, richten, so überkommt uns ein Verlangen, auch so leben zu dürfen. Dabei steigen unsere eigenen Kindheitsjahre wieder vor uns auf. So ein Kind ist doch ein ganz großes Geheimnis.

»Das ist einzig und allein Weihnachten!«

KRIEGSWEIHNACHT 1940

Auch im zweiten Kriegsjahr dürfen wir Weihnachten feiern. Doch wie viele Menschen feiern dieses Fest mit einem Druck auf dem Herzen, den ihnen der Krieg versetzt. Wir müssen unserem Gott danken. Ehre sei Gott und Friede den Menschen … Hoffentlich schenkt er uns bald einen rechten und dauerhaften Frieden! Im Engelamt spielte ich mit Orgelbegleitung auf der Violine das »Stille Nacht«. Es ist ein ganz besonderes Weihnachten, denn kurz vor der Kommunion schoß mir der Gedanke in den Kopf: Werde Priester! Ich bat Gott, er solle mir Klarheit schenken. Am Heiligen Abend zu Hause sagte mein Vater so ganz nebenbei: »Hans wird einmal ein Pfarrer!« Diese Worte berührten mich eigenartig. Hilf mir, Gott, und führe Du mich den rechten Weg!

NEUJAHR 1941