Getriggert? - Anouk Algermissen - E-Book

Getriggert? E-Book

Anouk Algermissen

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Beschreibung

Du möchtest nicht mehr streiten, sondern gelassener kommunizieren? Doch es fällt dir im Gespräch manchmal schwer, deine Gefühle zu beherrschen und für andere Perspektiven offen zu bleiben? Bemerkungen oder das Verhalten unseres Gegenübers können alte emotionale Wunden aufreißen, wir sind dann »Getriggert?«. Der Schlüssel für eine gelungene Kommunikation liegt darin, deine persönlichen Trigger zu erkennen und sie zu beruhigen. Die Psychologin und Podcasterin Anouk Algermissen (@paarpsychologie) zeigt dir anhand von erprobten Übungen aus der Paartherapie und wissenschaftlich fundierten Strategien, wie du Schritt für Schritt lernst, besser zu kommunizieren. So fühlst du dich endlich gesehen und die Leichtigkeit kehrt in deine Beziehung zurück.

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Seitenzahl: 320

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Anouk Algermissen

Getriggert?

Anouk Algermissen

Getriggert?

Wie wir unsere Beziehungen stärken, indem wir unsere Emotionen regulieren und gelassener kommunizieren

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

1. Auflage 2024

© 2024 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Redaktion: Ulrike Hollmann

Umschlaggestaltung: Maria Verdorfer

Abbildung S. 29, 118: Adobe Stock/joopie82

Satz und Grafiken: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0594-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-98922-000-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98922-001-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Erster Teil: Das Problem verstehen

Kapitel 1: Kommunikation ist das Problem

Kapitel 2: Was uns keiner beibringt

Kapitel 3: Warum kann es nicht einfach leicht sein?

Kapitel 4: Was kaum jemand über Kommunikation weiß

Kapitel 5: Und was ist die Lösung?

Zweiter Teil: Das Fundament aufbauen

Kapitel 6: Die alte Schutzstrategie erkennen

Kapitel 7: Die Erfahrungen, die uns gefangen halten

Kapitel 8: Wie die Vergangenheit uns beeinflusst

Kapitel 9: Eine neue Strategie für sich selbst finden

Kapitel 10: Die Verständnis-Formel

Dritter Teil: Zusammen wachsen

Kapitel 11: Reparieren, was kaputtgegangen ist

Kapitel 12: Der positive Kreislauf

Hannah und Timo

Elli und Francesca

Antonia und Yasin

Evelyn und Jannik

Torben und Emanuel

Kapitel 13: Sammlung – Typische Probleme und ihre Lösungen

Kapitel 14: Zum Abschluss

Über die Autorin

Quellen

Erster Teil:Das Problem verstehen

Kapitel 1:Kommunikation ist das Problem

»Kommunikation ist unser Problem! Wir sprechen einfach nicht die gleiche Sprache. Und dabei haben wir so vieles ausprobiert. Es ist, als würde man einfach alles vergessen in dem Moment!«, bricht es aus Hannah hervor. Sie schaut mich verzweifelt an.

Ich blicke rüber zu ihrem Freund Timo, der in sich gekehrt auf der anderen Seite der Couch sitzt und nachdenklich nickt. Bei diesem Thema sind sie sich einig.

Timo ergänzt: »Hannah ist eher der emotionale Part. Ich versuche, bei der Kommunikation immer rational zu bleiben.« Von Hannah kommt ein leises Schnauben.

»Ja, eure Kommunikation funktioniert nicht gut«, sage ich. »Doch das ist bloß ein Symptom eines viel größeren Problems. Es ist nicht so, als wüsstet ihr nicht, wie man passende Worte formuliert oder wie man zuhört. Am Anfang eurer Beziehung hat das ganz wunderbar geklappt. Ihr wisst also, wie es geht. Das Problem sind die Dinge, die eurer Kommunikation mittlerweile im Wege stehen. Die Dinge, die die Leichtigkeit und Nähe zwischen euch beiden blockieren und euch triggern. Da müssen wir ansetzen.«

Hannah runzelt die Stirn und schaut etwas verwundert zu ihrem Freund rüber. Dieser zuckt nur die Schultern und sagt: »Okay, aber was ist dann genau das Problem?«

Das Problem besteht darin, dass viele Menschen nicht wissen, warum es ihnen so verdammt schwerfällt, gut zu kommunizieren. Vielleicht kennst du das auch: Wenn du Freundinnen einen Rat gibst, kannst du dazu die schönsten Worte finden. Du weißt genau, was du sagen musst, um die andere Person aufzubauen. Auf der Arbeit bleibst du ruhig, auch wenn dein Kollege mal wieder einen miesen Tag hat und dich nervt. Wenn du jemanden neu kennenlernst, fällt es dir leicht, dich zu öffnen und über tiefgreifende Themen zu sprechen.

Doch dann bist du in einer Beziehung und eines Tages scheinen all diese Fähigkeiten einfach verschwunden zu sein. Plötzlich befindest du dich im Angriffsmodus, verteidigst dich nur noch oder verschließt dich und teilst kaum noch etwas. Wenn ihr miteinander redet, verpasst ihr euch. Streitigkeiten eskalieren und lassen eine Eiseskälte entstehen. Wir sprechen bei solchen heftigen emotionalen Reaktionen häufig davon, dass Menschen »getriggert« sind. Doch was heißt das eigentlich genau?

Hierfür müssen wir zwischen dem umgangssprachlichen und dem klinischen Gebrauch des Wortes Trigger unterscheiden. In der Alltagssprache kann man schnell von allem und jedem »getriggert« sein. Das bedeutet meistens nur, dass man genervt, frustriert oder wütend ist ‒ also ein stärkeres Gefühl in einem ausgelöst wird. Ursprünglich kommt der Begriff jedoch aus der klinischen Psychologie. Hier wird er meistens im Rahmen von posttraumatischen Belastungsstörungen verwendet. Trigger sind Reize, die zum Beispiel dazu führen, dass eine Person vergangene, traumatische Ereignisse noch einmal durchlebt. So wird durch einen Auslösereiz (den Trigger) ein Gefühl aus der Vergangenheit im Hier und Jetzt wieder aktiviert.1

Vielleicht hast du schon einmal von Krieg-Flashbacks gehört. Die traumatischen Erfahrungen des Krieges werden erneut erlebt, obwohl die Gefahr vorbei ist. Für die betroffenen Personen ist das natürlich eine enorme Belastung. Doch auch Menschen, die keine traumatischen Erlebnisse wie Krieg, Missbrauch oder Gewalt erleben mussten, können »getriggert« werden. Denn auch weniger gravierende Situationen hinterlassen manchmal emotionale Wunden und Verletzungen. Diese können in der Kindheit, in der Schule oder in Beziehungen entstanden sein und uns womöglich ein Leben lang begleiten. Hierzu ein paar Beispiele:

Einem Kind wird immer wieder indirekt gezeigt, dass es nur dann Liebe bekommt, wenn es Leistung zeigt. Die Eltern können trotzdem fürsorglich sein und sich um alle Belange des Kindes kümmern. Doch das Gefühl, nicht gut genug zu sein, zieht sich oft wie ein roter Faden durch sein Leben.

In der Schule gehänselt zu werden und sich oft allein zu fühlen, würden die meisten auch nicht per se als »traumatisch« bezeichnen. Doch auch diese wiederholten Erfahrungen können zu einer Belastung werden. Jeden Tag allein zu Mittag zu essen, während die anderen Kinder miteinander lachen, kann zum Beispiel den Glauben manifestieren, »merkwürdig« oder »fehlerhaft« zu sein.

Aber auch von einem Ex-Partner betrogen worden zu sein, beeinflusst uns oft später noch. Vielleicht haben wir Schwierigkeiten, uns zu öffnen oder spüren starke Verlustängste, sobald die Bindung zu jemandem enger wird. Wir werden »getriggert«, sobald unser aktueller Partner ausgeht, da wir den Betrug bereits antizipieren.

Diese Arten der Trigger sind weit verbreitet und lösen in den meisten Fällen einen geringeren Leidensdruck aus als die Trigger aus traumatischen Situationen. Trotzdem ist es wichtig, sie zu erkennen und zu beruhigen, denn sie haben einen massiven Effekt auf unsere Kommunikation und damit auch auf die Qualität unserer Beziehungen.

Vielleicht fragst du dich an dieser Stelle, ob es auch in deiner Beziehung wunde Punkte gibt, die der Kommunikation Schaden zufügen. Ein klassisches Indiz hierfür sind Streitgespräche, die durch Kleinigkeiten ausgelöst werden. Schauen wir uns dazu ein Beispiel von Hannah und Timo an:

Hannah möchte etwas in den Mülleimer werfen und bemerkt, dass dieser voll ist. Genervt dreht sie sich zu ihrem Freund um und sagt: »Du hast vergessen, den Müll rauszubringen.«

Timo: »Das mach ich nachher noch.«

Hannah: »Das hast du letztes Mal auch gesagt und dann hab ich es wieder gemacht.«

Timo: »Ich sage doch, dass ich es gleich erledige. Ist doch okay jetzt.«

Hannah: »Was soll das wieder heißen?«

Timo: »Nichts. Dieses Gespräch geht mir auf den Keks.«

Hannah: »Ja?! Und weißt du, was mir auf den Keks geht? Dass du dich nicht an unsere Absprachen hältst.«

Timo: »Was hat das denn jetzt wieder damit zu tun? Du übertreibst mal wieder total.«

Hannah: »Ich übertreibe? Muss ich dich daran erinnern, wer nach der Arbeit immer die Wohnung saugt und putzt und macht und tut?«

Aus einer Kleinigkeit wurde in Sekundenschnelle ein Streit, der beide verletzt und Distanz zwischen ihnen schafft. Hast du den Bruch in diesem Gespräch bemerkt? Bei den ersten Sätzen geht es noch darum, Informationen auszutauschen. Doch spätestens ab dem dritten Satz haben sich die beiden verloren. Sie verteidigen sich nur noch, sind genervt und das Gespräch eskaliert Schritt für Schritt.

Hier kommen plötzlich Emotionen hoch und alte Verletzungen mit ins Spiel. Hannah hat ihren Freund sicher nicht zum ersten Mal gebeten, etwas wegzuräumen, und sich darüber geärgert, dass er es dann doch nicht getan hat. Und Timo fühlt sich sicher nicht erst seit gestern bevormundet und überfordert.

Diese aufgestauten Gefühle erkennt man in ihrem Gespräch. Ab einem bestimmten Zeitpunkt geht es überhaupt nicht mehr darum, etwas zu klären, sondern nur noch darum, zu gewinnen. Muss ich mich gegen jemanden durchsetzen, heißt das, dass wir nicht im gleichen Team spielen. Wir sind Gegner. Und das ist natürlich ein großes Problem für eine Beziehung.

Wenn unsere Kommunikation immer wieder abreißt und wir uns wie Gegner fühlen, kann das mit der Zeit tiefe Wunden reißen. Habe ich oft das Gefühl, nicht verstanden zu werden, bin ich irgendwann davon überzeugt, dass mein Gegenüber mich nicht verstehen will. Und wenn ich mit jemandem zusammenlebe, der mich nicht verstehen will, dann zeige ich ihm irgendwann auch keine Nähe und Wertschätzung mehr. Mit der Person kuscheln, die mich immer wieder verletzt und eigentlich nicht auf meiner Seite steht? Sicher nicht!

So entsteht ein Kreislauf. Wahrscheinlich kränkt diese abweisende Haltung wiederum die andere Person. Und was passiert dann? Sie ist verletzt und geht vielleicht in den Angriff über, klammert oder kritisiert. Das Ende vom Lied: Beide entfernen sich mehr und mehr voneinander.

Das geschieht viel zu oft. Und es sind genau diese negativen Muster, die Paare auseinanderbringen. Natürlich trennen sich Paare auch, weil sie nicht mehr die gleichen Zukunftsvorstellungen haben oder Vertrauensbrüche zwischen ihnen entstanden sind. Aber die meisten sind irgendwo in diesen Kreisläufen gefangen und finden einfach nicht mehr zueinander. Sie sind verschlossener, haben eine kürzere Zündschnur oder werden grob zueinander.

Bei Hannah und Timo konnten wir das eben feststellen. Eigentlich ging es nur um eine Kleinigkeit, aber beide haben die Aussagen des anderen in den falschen Hals bekommen und deutlich genervt reagiert. Sie schaffen es nicht mehr, offen zu kommunizieren und die andere Person zu verstehen, denn die wiederholten Verletzungen sind mit der Zeit zu Triggerpunkten geworden.

Leider ist diese Entwicklung keine Seltenheit. Viele Paare erleben eine Veränderung in ihrer Kommunikation, die sie unglücklich macht und frustriert zurücklässt. Das bedeutet aber auch, dass du nicht allein mit diesem Problem bist. Ich sehe jeden Tag Menschen in meiner Praxis, denen es ganz genauso geht und die sich fragen, wie sie wieder zueinanderfinden können.

Was dabei immer wieder an Kommunikationsproblemen sichtbar wird, ist zum Beispiel,

dass man in einem Kreislauf aus Schuldzuweisungen gefangen ist. Sobald eine Person Kritik äußert oder ein Problem anspricht, werden die Fehler des anderen mit in den Ring geworfen. Damit spielt man so lange Pingpong, bis die Situation eskaliert.

dass man Probleme passiv-aggressiv austrägt, indem man meckert oder Seitenhiebe verteilt. Diese emotionalen Sticheleien fühlen sich wie viele kleine Messerstiche an.

dass man nicht mehr wirklich miteinander spricht. Der Alltag ist geregelt, doch man fühlt sich mit den eigenen Problemen und Emotionen alleingelassen.

All diesen Problemen ist gemein, dass Kommunikation nicht mehr länger positive Gefühle wie Verbundenheit und Nähe herstellt, sondern negative Emotionen wie Frustration, Wut oder Traurigkeit fördert. Je weiter diese Entwicklung fortschreitet, desto mehr wird Kommunikation zu einer Waffe, anstatt dass sie eine Brücke zwischen uns schlägt.

Jetzt könnte man sagen: »Hannah und Timo müssen einfach netter zueinander sein. Dann haben sie das Problem gelöst.« Was meinst du, wie die beiden reagieren würden, wenn ihnen jemand gesagt hätte: »Seid einfach etwas netter zueinander«?

Nicht so gut, oder?

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber wenn ich genervt oder frustriert bin, dann wäre meine erste Reaktion darauf sicherlich nicht: »Ach, super, danke, dass du mich daran erinnerst. Ja, klar, dann bin ich jetzt mal nett.« Das wäre vielleicht die »richtige« Reaktion, aber die Wahrscheinlichkeit ist doch deutlich höher, dass ich sogar noch genervter werde, als ich es ohnehin schon bin. Doch es ist nicht so, als würden die Paare, die in einer derart negativen Dynamik gefangen sind, nicht versuchen, etwas an ihr zu verändern.

Hannah und Timo ärgern sich über sich selbst. Wenn sie nach einem Streit auf die Situation zurückschauen, denken sie meist: »Das war doch wirklich unnötig. Das hätte man sicherlich auch anders regeln können.« Und doch stehen sie beim nächsten Mal wieder an genau der gleichen Stelle, nur mit noch einer emotionalen Verletzung mehr auf dem Buckel und einer etwas größeren Distanz zwischen sich.

Als Paartherapeutin ist es mir möglich, von außen auf diese Situationen zu schauen. Wenn man ein geschultes Auge hat, kann man schnell erkennen, wann ein Gespräch zu kippen droht. Gerne stoppe ich das Paar dann und versuche, das Geschehene in meinen Worten zusammenzufassen.

Bei dem Beispiel von Hannah und Timo wäre das vielleicht so etwas gewesen wie:

»Hannah, du bist wahrscheinlich gerade genervt, weil dein Freund dich nicht unterstützt. Womöglich fühlst du dich im Stich gelassen und hast das Gefühl, alles bliebe an dir hängen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es dir auf der anderen Seite auf die Nerven geht, ihn immer wieder an dieselben Dinge erinnern zu müssen, und dass du vielleicht auch gar nicht diese Person sein willst, die ständig meckert.«

Hannah: »Ganz genau!«

Ich: »Timo, ich kann mir vorstellen, dass du dich gerade sehr unter Druck gesetzt fühlst. Vielleicht möchtest du endlich einmal ruhigere Gespräche mit Hannah führen, und es strengt dich an, dass schnell Emotionen mit ins Spiel kommen. Du möchtest wahrscheinlich mehr gehört werden, ohne dass das Gespräch sofort eskaliert.«

Timo: »Ja, absolut. Das will ich schon lange.«

Ich: »Viel von dem, was in euch abläuft, kommt in eurer Kommunikation überhaupt nicht vor. Ist euch das aufgefallen? Die Sätze, die ich gerade formuliert habe, waren der Subtext eurer Unterhaltung.«

Hannah: »Ja, schon. Aber wie zum Teufel soll ich das so schön ruhig formulieren, solange ich noch in dieser angespannten Lage bin? Ich kann das doch nicht einfach auswendig lernen und aufsagen.«

Es gibt genau zweieinhalb Gründe, warum ich diese Sätze formulieren kann, meine KlientInnen aber häufig nicht.

Grund Nummer 1: Emotionen. Da ich kein Teil der Paarbeziehung bin, fällt es mir viel leichter, nicht emotional in die Geschehnisse verwickelt zu werden. Ich kann ganz bei mir bleiben, weil ich nicht involviert bin. So habe ich die nötige Ruhe und Distanz, um mich nicht mitreißen zu lassen.

Grund Nummer 2: Verständnis. In der Sitzung versuche ich, mich in die jeweilige Person hineinzuversetzen und sie wirklich zu verstehen. Das bedeutet, dass ich offen bin für das Erleben und die Geschichte jedes Menschen. Ich habe keine Vorbelastung (zum Beispiel durch emotionale Verletzungen) und kann mein Verständnis für die Situation so ohne Barriere ausdrücken.

Und der halbe Grund: Ich habe Psychologie studiert und arbeite jeden Tag mit diesen Themen.

Emotionen zu regulieren und Verständnis aufzubauen – das sind zwei wichtige Themen, die du in dem vorliegenden Buch immer wieder finden wirst. Wir werden daran arbeiten, dass die Emotionen dich nicht vom Kurs abbringen, dass du Verständnis für dich selbst und dein Gegenüber aufbringen kannst. Dabei wirst du das nötige Wissen und die richtigen Übungen an die Hand bekommst, um all dies auch in die Praxis umzusetzen. Du wirst eure Trigger erkennen und beruhigen können, sodass der Umgang miteinander wieder gelassener wird.

Am Ende des Buches wirst du in der Lage sein, Kommunikation als Brücke zwischen euch zu nutzen, sodass wieder Nähe und Verständnis hergestellt werden können. Du wirst lernen, aus destruktiven Kreisläufen auszubrechen und neue Strategien anzuwenden, um Probleme wirklich zu lösen. Wir arbeiten gemeinsam daran, dass du:

weißt, wann und wie man problematische Kommunikationsmuster verlässt;

deine eigenen Trigger erkennst und aus ihnen ausbrechen kannst;

gelassener gegenüber der anderen Person wirst und sie besser verstehst.

Wirklich gute Kommunikation braucht zum einen eine gewisse Ruhe, sodass man nicht von seinen Emotionen überschwemmt wird, zum anderen die richtigen Informationen über sich selbst und die andere Person. Das sind keine Informationen im Sinne von Mitteilungen über das Datum des Jahrestages oder darüber, was man mittags gegessen hat. Nein, es sind Informationen, die Auskunft über die großen emotionalen Themen eines Menschen geben. Diese müssen wir zunächst einmal kennenlernen und uns damit beschäftigen.

Du merkst vielleicht: Gute Kommunikation ist das Produkt eines längeren Prozesses. Wenn Kommunikation nicht funktioniert, brauchst du keine besseren Wörter, sondern die Möglichkeit, den Ablauf aus Emotionsregulation und Verständnis füreinander zu verbessern. Was wäre zum Beispiel geschehen, wenn Hannah ihre Emotionen gezielt reguliert oder Timo seiner Freundin mehr Verständnis entgegengebracht hätte? Die beiden hätten sicher ein ganz anderes Gespräch geführt.

Ich erinnere mich an ein Paar – Elli und Francesca –, die am Ende des therapeutischen Prozesses zu mir sagten: »Als wir mit der Paartherapie angefangen haben, schien eine Veränderung so weit weg. Wir waren total in unseren Mustern und negativen Gefühlen gefangen. Die Beziehung war fade geworden und es gab kaum noch emotionale Nähe. Jetzt schauen wir manchmal zurück und erkennen uns selbst nicht wieder. Wir mussten Stück für Stück lernen, diese alte Beziehung hinter uns zu lassen und neue Verhaltensweisen zu entwickeln. Inzwischen sind wir an einem ganz anderen Punkt angelangt.«

Dieses Paar war zwar nicht in eskalativen Dynamiken gefangen, doch eine gesunde Kommunikation fand trotzdem nicht statt. Es gibt auch Konstellationen, die wenig eskalativ sind und dennoch ein problematisches Muster bedienen.

Schauen wir uns dazu die Situation zwischen Elli und ihrer Partnerin Francesca genauer an. Die beiden sind schon seit einigen Jahren ein Paar und streiten so gut wie nie. In ihrem Freundeskreis gelten sie als das Vorzeigepaar. Vielen ist es ein Rätsel, dass die beiden bei der Dauer ihrer Beziehung noch nie aneinandergeraten sind und eine konstant harmonische Beziehung aufrechterhalten. Doch ihre FreundInnen wissen nicht, dass die beiden kaum miteinander sprechen. Beide erleben Konflikte als sehr unangenehm und vermeiden die Konfrontation schwieriger Themen. Dies hat mit der Zeit dazu geführt, dass keine der beiden sich wirklich öffnet. Sie sprechen über den alltäglichen Kleinkram, das Wetter, ihre Jobs. Doch Francesca weiß nicht, dass Elli oft einsam ist. Und Elli hat keine Ahnung davon, dass Francesca sich manchmal von ihren Routinen eingeengt fühlt und sich mehr Abwechslung in der Beziehung wünscht.

Zusammen managen sie ihren Alltag; dabei ging mit der Zeit die Leidenschaft und Neugier auf ein gemeinsames Leben verloren. Keine traut sich an die gemeinsamen Probleme heran. So bleiben ihre Gespräche stets an der Oberfläche, wodurch auch die Intensität ihrer positiven Gefühle weiter abnimmt.

Hier und dort brechen kleine Hinweise aus ihnen heraus, anhand derer man erahnen könnte, was in ihnen vorgeht. Als Francesca eines Abends mal wieder später als vereinbart nach Hause kommt, sagt Elli, den Tränen nahe: »Du machst eh, was du willst. Was ich fühle, ist dir vollkommen egal.«

Man erkennt, wie verletzt sie durch das Wegbleiben ihrer Freundin ist. Mit der Zeit hat sich eine große emotionale Wunde gebildet, doch beide versäumen, offen und ehrlich darüber zu sprechen. So auch, als Francesca genervt reagiert und deutlich macht: »Ich brauche das jetzt für mich, Elli. Lass mich doch einfach mal machen.« Da es überhaupt keinen Austausch über ihre tieferen Gefühle gibt, fühlen sich beide konstant missverstanden und frustriert durch die Handlungen der anderen.

Es sind also nicht immer die großen Streits, die Hinweise auf eine schlechte Kommunikation geben. Auch in scheinbar harmonischen Beziehungen kann die Interaktion zu wünschen übrig lassen. Die Frage ist demnach: Wie viel von den emotional wichtigen Themen und Problemen teilen wir miteinander? Geben wir der anderen Person die Chance, zu verstehen, was uns wirklich bewegt oder belastet?

Veränderungen kamen auch für die beiden nicht über Nacht. Sie benötigten einiges an Geduld und auch die Möglichkeit, Fehler zu machen. Denn diese sind Teil des Prozesses. Besonders in stressigen Situationen verabschiedet sich das »richtige« Verhalten in Windeseile. Hannah kann davon ein Lied singen. Immer wenn auf der Arbeit eine Projektabgabe ansteht, ist ihre Zündschnur noch kürzer als gewöhnlich. Dann fällt es ihr besonders schwer, ruhig zu bleiben und ihre unguten Verhaltensweisen zu reflektieren.

Vielleicht geht es dir ja wie Hannah und Timo. Du möchtest lernen, wie man nicht mehr in die immer gleiche Falle tappt, wie man Gespräche lenken kann und sich nicht in ihnen verliert. Womöglich hast du selbst schon erlebt, wie es ist, sich von einem geliebten Menschen mehr und mehr zu distanzieren – und wahrscheinlich hast du es satt. Sicher sagst du dir: »So kann es nicht weitergehen! Ich will einen Weg finden, der unsere Kommunikation zum Besseren wendet.«

Dazu möchte ich dir erst einmal gratulieren. Die meisten Menschen machen diesen ersten wichtigen Schritt nämlich nicht. Sie bleiben in ihren Mustern stecken, auch wenn ihnen das nicht guttut. Indem du dieses Buch liest und dir die Zeit nimmst, dich mit dir selbst und deiner Beziehung zu beschäftigen, investierst du in deine Zukunft. Das klingt womöglich etwas abgedroschen, à la Fitnessguru oder Mindset Coach, aber es beinhaltet einen wahren Kern. Denn wer Veränderung möchte, muss bereit sein, etwas dafür zu tun.

An diesem Punkt möchte ich gar nicht erst falsche Hoffnungen aufkommen lassen. Das ist kein Buch, bei dem du schnell ein, zwei Tipps abgreifen kannst, mit deren Hilfe sich dein Leben wie von Zauberhand verändert. Es ist kein Buch, das dir eine lange Liste mit Techniken an die Hand gibt, die du bloß einmal anzuschauen – aber nicht einzuüben – brauchst, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Kein Buch, das dir eine wirkmächtige Formel verspricht, mit deren Hilfe ihr nie wieder streitet, sondern einträchtig in den Sonnenuntergang reitet.

Dieses spezielle Buch ist für Menschen, die sich selbst und ihre Beziehungen ganzheitlich und nachhaltig weiterentwickeln möchten. Für Menschen, denen es wichtig ist, das Problem an der Wurzel zu packen und nicht bloß ein wenig Symptombekämpfung zu betreiben. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass dieses Buch vor allem für diejenigen ist, die sich trauen, genauer auf sich selbst zu schauen, die gewillt sind, neue Dinge auszuprobieren, und die genug Motivation haben, dranzubleiben.

Sollte das auf dich zutreffen, dann wird dir dieses Buch helfen, zu verstehen, welche elementaren Muster deinem Verhalten zugrunde liegen. Es wird dich dabei unterstützen, deine persönlichen »Schwachstellen« zu identifizieren und dir verschiedene Möglichkeiten bieten, an ihnen zu arbeiten. Du wirst in diesem Buch immer wieder kleine und größere Übungen finden, um das Gelernte in die Tat umzusetzen. Die schlechte Nachricht lautet allerdings: Du musst sie auch wirklich machen, um Veränderungen zu erzielen. Ich wünschte, es würde ausreichen, die Problematik auf einer theoretischen Ebene abzuhandeln. Aber leider funktioniert es so nicht.

Das Gute wiederum ist: Die Übungen sind so konzipiert, dass sie leicht in deinen Alltag zu integrieren sind. Sie werden dir helfen, deinem Ziel einer offenen und gesunden Kommunikation Schritt für Schritt näher zu kommen. In diesem Prozess wirst du dich selbst und dein Gegenüber besser kennenlernen.

Das Buch ist so aufgebaut, dass du sofort anfangen kannst, damit zu arbeiten. Du musst es nicht komplett durchgelesen haben, um erste Veränderungen zu erzielen. Es ist sogar sehr ratsam, sofort loszulegen. Ich habe die Übungen an deinen jeweiligen Wissensstand angepasst. Dieses Verfahren ist an den Paartherapieprozess angelehnt. Hierbei arbeiten sich die Paare stückchenweise voran. Ich empfehle dir, die Übungen, so wie sie auftauchen, auch mitzumachen, um schnell Veränderungen und Entwicklungen anzustoßen.

Da du das Buch bis jetzt noch nicht weggelegt hast, freue ich mich darauf, dich auf diesem Weg begleiten zu dürfen. Und das nicht nur über diesen geschriebenen Text, sondern auch live und in Farbe via Social Media. Wenn du Lust hast, dich mit mir und anderen LeserInnen auszutauschen und zusammen die Übungen und Geschichten dieses Buches zu besprechen, dann mach bitte Folgendes: Teile ein Foto dieses Buches in deiner Instagram-Story und verlinke meinen Account @paarpsychologie. Ich werde dich dann zu einer geheimen Instagramgruppe hinzufügen, in der wir uns austauschen können. Stelle dich dort gerne kurz vor oder teile einige deiner Fragen mit der Gruppe. Ich freue mich auf dich!

Zusammenfassung

Wir alle wissen, dass Schuldzuweisungen, Kritik oder Schweigen nicht förderlich für eine erfolgreiche Kommunikation sind, doch leider kommt es in den meisten Beziehungen früher oder später dazu. Als Konsequenz leiden unsere Gespräche, aber auch die Qualität der Partnerschaft. Bist du wie Hannah und Timo in einem Muster aus Angriffen und Rückzug gefangen oder leidet deine Beziehung eher unter dem Muster des Vermeidens wie bei Elli und Francesca? Du wirst in diesem Buch Techniken kennenlernen, um aus solchen und weiteren Mustern auszusteigen und wieder mehr Nähe aufzubauen. Hierbei werden wir deinen individuellen Triggern auf den Grund gehen und herausfinden, was es braucht, um diese zu beruhigen und mehr Gelassenheit in dein Leben zu bringen.

Doch lass uns zunächst einmal über all jene Dinge sprechen, die man uns für gewöhnlich nicht beibringt. Unsere blinden Flecken in Beziehungen. Denn nur das, was wir kennen, können wir auch verändern.

Kapitel 2:Was uns keiner beibringt

Lass uns das gleich zu Beginn klären: Es ist nicht deine Schuld, dass du Schwierigkeiten mit der Kommunikation hast, denn gute Kommunikation ist nicht einfach. Sie besteht eben nicht nur aus aneinandergereihten Worten, sondern ist deutlich mehr als das. Wir kommunizieren häufig auf mehreren Ebenen gleichzeitig miteinander. Auf den ersten Blick geht es dabei um irgendeine Kleinigkeit. Aber wenn man sich die Zeit nimmt, die Situation genauer auseinanderzunehmen, sind wir sehr schnell bei den wirklich großen Themen. Leider übersehen wir diese sehr häufig und verfehlen uns dementsprechend schnell.

Das Problem besteht darin, dass uns niemand beibringt, gut zu kommunizieren.

Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Stell dir vor, dein Traumjob ist die Herzchirurgie. Du hast dich fürs Medizinstudium eingeschrieben, um alles dafür zu lernen. An deinem ersten Tag bist du überrascht, dass man dich sofort in den OP führt. Dir werden die Instrumente vorgelegt und der Patient wird reingebracht. Entgeistert schaust du die Umstehenden an: »Aber ich weiß doch gar nicht, wie das geht!«, rufst du aus. »Ich sollte erst lernen und üben, bevor ich an ein echtes Herz gelassen werde.«

Was hier so vollkommen absurd wirkt, ist in Beziehungen Realität. Wer bringt uns bei, richtig zu kommunizieren, bevor wir Beziehungen führen? Zwar geht es bei der Kommunikation meist nicht um Leben oder Tod – geschenkt. Doch wie die Paartherapeutin Esther Perel es bereits so schön auf den Punkt gebracht hat: »Die Qualität unserer Beziehungen bestimmt die Qualität unseres Lebens.«2 Die Art, wie wir unsere Beziehungen gestalten, hat einen großen Einfluss auf unser Sein. Und doch überlassen wir die Ausgestaltung dieses wichtigen Teils unseres Lebens häufig dem Zufall. Entweder es klappt und wir führen eine glückliche Beziehung mit guter Kommunikation oder eben nicht.

Infobox Studie: Beziehungen und mentale Gesundheit3

In einer Metaanalyse wurden unterschiedliche Studienergebnisse zum Thema Beziehungen und zu ihrem Einfluss auf unsere mentale Gesundheit untersucht. Es wurde deutlich, dass die Arbeit an unseren Beziehungen auch eine Investition in unser eigenes Wohlbefinden ist. Lernen wir, Beziehungen besser zu gestalten – zum Beispiel durch eine offene Kommunikation –, hat das weitreichende positive Einflüsse auf unser gesamtes Leben.

Doch wer sagt uns, worauf wir achten sollten und was wir erst noch üben müssen? Wenn wir Glück haben, geben die Menschen in unserem Umfeld uns mehr oder weniger gute Ratschläge. Oder wir holen uns Informationen aus dem Internet und hoffen auf das Beste. Ist es nicht verrückt, dass wir für so viele Dinge, die uns wichtig sind, spezielle Ausbildungen, Anleitungen, Abläufe oder Techniken zur Verfügung haben, aber wenn es um unsere Beziehungen geht, hoffen müssen, dass alles schon irgendwie klappt?

Es geht sogar noch weiter: Für viele Menschen ist es ein schlechtes Zeichen, wenn die Beziehung nicht einfach so läuft, sondern man Arbeit in sie investieren muss. Wer würde von einer Ärztin verlangen, dass sie instinktiv weiß, was sie tut, ohne sich jemals mit dem Thema Anatomie beschäftigt zu haben? Ich würde mich bei ihr ganz sicher nicht unters Messer legen.

Wenn Beziehungen also einfach nur laufen müssen, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass wir keine Ahnung haben, was geschehen soll, sobald es mal nicht mehr so gut läuft. Wenn unsere Kommunikation den Bach runtergeht, merken wir das zwar an den negativen Konsequenzen, wissen aber nicht, worauf wir jetzt unsere Energie richten sollen. Wir operieren quasi blind. Und das am offenen Herzen. Daraus ergeben sich häufig Missverständnisse, Kritik und Anschuldigungen.

Wie das typischerweise aussehen kann, schauen wir uns jetzt noch einmal am Beispiel von Hannah und Timo an.

Die beiden planen gerade einen gemeinsamen Urlaub. Hannah hat enorm viel auf der Arbeit zu tun und wartet ungeduldig auf die freie Zeit, um mal abzuschalten. Timo ist etwas angespannt, da er weiß, dass Hannah unter Stress steht und sich die beiden dann schnell streiten. Der Urlaub rückt näher und sie müssen noch ihre Unterkunft buchen. Also setzt sich Hannah eines Abends an den Küchentisch und recherchiert. Als Timo in die Küche kommt, um sich ein Getränk zu holen, fragt sie ihn:

Hannah: »Du, sag mal, wir müssen ja noch unsere Unterkunft für den Urlaub aussuchen. Ich habe hier etwas gefunden, das ich dann buchen würde.«

Timo: »Bitte noch nicht. Ich will selbst erst noch schauen.«

Hannah: »Dann mach es aber auch direkt.«

Timo: »Ich mach’s die Tage.«

Hannah (genervt): »Nee, so langsam müssen wir mal zu Potte kommen. Das wird sonst immer teurer.«

Timo: »Es ist doch noch Zeit bis dahin. Warum machst du schon wieder so einen Druck?«

Hannah (wird lauter): »Na ja, im Gegensatz zu dir kümmere ich mich wenigstens darum. Manchmal frage ich mich, was passieren würde, wenn ich nicht immer alles übernähme.«

Timo: »Du gibst mir überhaupt keine Chance, mich einzubringen. Du entscheidest einfach.«

Timo geht aus dem Raum, Hannah ihm nach.

Hannah: »Timo, ich will das jetzt klären.«

Timo: »Ja, dann buch doch einfach. Es läuft am Ende eh immer nur nach deinen Vorstellungen.«

Hannah: »Wenn du so drauf bist, müssen wir auch gar nicht in Urlaub fahren. Da hab ich echt keinen Bock drauf!«

Timo: »Dann halt nicht. Ist mir egal.«

Hannah: »Klasse!«

In diesem Gespräch geht es um so viel mehr als nur um die Unterkunft. Hier werden – ohne dass sie konkret benannt werden – große Themen zwischen den beiden ausgefochten, doch eben blind, also ohne dass ihnen bewusst ist, was genau geschieht. Nehmen wir das Ganze einmal auseinander.

Das Einstiegsthema ist die Buchung der Unterkunft. Hiermit beginnt das Gespräch. In diesem Kontext tauchen bald weit wichtigere Themen auf. Bei Timo kann man bei genauerem Hinsehen Folgendes identifizieren: Druck in der Beziehung, Bevormundung und fehlendes Verständnis vonseiten Hannahs.

Übung

Geh noch einmal Timos Sätze durch und schau, ob du diese Themen erkennst. Frag dich, was wohl hinter seinen Aussagen steckt und ihn wirklich beschäftigt.

Auflösung: Timos Sätze

»Bitte noch nicht. Ich will selbst erst noch schauen.«

Hier ist Timo relativ gelassen. Man spürt noch keinen starken Druck in der Konversation.

»Ich mach’s die Tage.«

Die Knappheit des Satzes zeigt, dass Timos innere Anspannung steigt. Er hätte auch ausführen können, warum er die Unterkunft erst in den kommenden Tagen buchen will. Doch der aufkommende innere Druck lässt ihn wortkarg werden.

»Es ist doch noch Zeit bis dahin. Warum machst du schon wieder so einen Druck?«

Timo zeigt seine Verärgerung deutlicher. Er benennt seinen inneren Druck, doch auf eine anklagende Art und Weise, die seine Freundin verletzt.

»Du gibst mir überhaupt keine Chance, mich einzubringen. Du entscheidest einfach.«

An diesem Punkt fühlt sich Timo nicht verstanden und ist entsprechend frustriert. Für ihn scheint sich hier ein Phänomen zu wiederholen: Er fühlt sich von Hannah bevormundet. An der verallgemeinernden Formulierung merken wir, dass dies für ihn nicht zum ersten Mal geschieht.

»Ja, dann buch doch einfach. Es läuft am Ende immer nur nach deinen Vorstellungen.«

Timo wird immer frustrierter und trotziger. Er hat das Gefühl, nicht gesehen zu werden.

»Dann halt nicht. Ist mir egal.«

An diesem Punkt ist Timo endgültig aus dem Gespräch ausgestiegen. Trotz, Widerstand und Rückzug bestimmen seine Kommunikation.

Man merkt in dem Gespräch, wie Timo immer wortkarger und passiv-aggressiv wird. Seine Sätze scheinen flapsig und unterkühlt. Sähe man genauer hin, würde man erkennen, dass er eigentlich verletzt und gestresst ist. Das wird besonders deutlich daran, dass er während des Gesprächs den Raum verlässt. Er fühlt sich unwohl und will sich der Situation entziehen. Dies zeigt, wie angespannt er ist, auch wenn er nach außen hin kühl und unemotional wirkt.

Doch woher kommt diese Anspannung bei ihm? Er sagt zu Hannah: »Warum machst du schon wieder so einen Druck?« Hier wird deutlich, dass er die Situation als sehr angespannt erlebt. Als Hannah nicht auf seine Idee, sich die Unterkunft später noch einmal anzusehen, eingeht, kommt noch ein weiteres heikles Thema zum Vorschein. Er hat das Gefühl, dass über seinen Kopf hinweg entschieden wird (»Du entscheidest einfach«).

Außerdem zeigen generalisierte Aussagen wie: »Es läuft am Ende immer nur nach deinen Vorstellungen«, dass sich für Timo hier eine bestimmte Situation wiederholt. Für ihn ist klar: »Meine Freundin zeigt mir mal wieder, dass ihr egal ist, was ich denke, und dann setzt sie mich auch noch unter Druck.« Das ist ein schwerwiegendes Thema, denn es greift die Grundfesten ihrer Partnerschaft an. Wer will schon in einer Beziehung leben, in der man nicht gehört wird?

Der Subtext zu Timos Kommunikation lautet also in etwa so: »Ich fühle mich von dir übergangen und unter Druck gesetzt. Wenn du laut wirst, fühle ich mich in die Ecke gedrängt und klein gemacht. Ich habe den Eindruck, dass ich überhaupt nicht stattfinde in unserer Beziehung.«

Dieser Subtext beschreibt das eigentliche Problem, über das Timo spricht, ohne es explizit zu benennen. Die Urlaubsunterkunft an sich ist nicht entscheidend. Wichtig ist, wofür sie steht. Wenn wir uns eines grundlegenden Problems nicht wirklich bewusst sind, gibt es keine Chance, es zu lösen. Dann streiten wir weiter über Kleinigkeiten und merken nicht, dass es uns eigentlich um etwas ganz anderes geht.

Schauen wir uns nun Hannahs Seite an.

Übung

Geh noch einmal durch den Text und versuche, ihre zentralen Themen zwischen den Zeilen zu erkennen. Hier geht es nicht darum, die perfekte oder richtige Antwort zu geben, sondern dich zunächst einmal darin zu schulen, auf den Subtext eines Gesprächs zu achten und diesen zu identifizieren.

Hannahs eigentliche Anliegen in dem Gespräch könnten zum Beispiel folgende sein: zu wenig Verantwortungsübernahme von Timos Seite, fehlende Augenhöhe zu ihrem Partner sowie dessen Kälte ihr gegenüber.

Auflösung: Hannahs Sätze

»Du, sag mal, wir müssen ja noch unsere Unterkunft für den Urlaub aussuchen. Ich habe hier etwas gefunden, das ich dann buchen würde.«

Man spürt, dass Hannah die Situation klären möchte. Sie ist noch ruhig, aber bestimmt.

»Dann mach es aber auch direkt.«

Hannahs Kommunikation verändert sich innerhalb von Sekunden. Sie wird knapper und angespannter.

»Nee, so langsam müssen wir mal zu Potte kommen. Das wird sonst immer teurer.«

Hannah versucht die Kontrolle zu behalten, ist aber auch schon sichtlich genervt.

»Na ja, im Gegensatz zu dir kümmer ich mich wenigstens darum. Manchmal frag ich mich, was passieren würde, wenn ich nicht immer alles übernähme.«

Hier kommt nun das große Thema der Verantwortungsübernahme mit ins Spiel. Hannah fühlt sich mit den Aufgaben im Stich gelassen.

»Timo, ich will das jetzt klären.«

Hannah bemerkt, dass sich ihr Partner distanziert. Sie versucht, ihn im Gespräch zu halten.

»Wenn du so drauf bist, müssen wir auch gar nicht in den Urlaub fahren. Da hab ich echt keinen Bock drauf!«

Timos Rückzug und seine Kälte machen sie wütend. Hannah reagiert trotzig und abweisend.

Schon zu Beginn des Gesprächs ist sie angespannt und will die Aufgabe schnell erledigen. Da ihr Freund die Entscheidung lieber vertagen möchte, macht sie das ungeduldig und noch gestresster. Als er sie kritisiert, dass sie ihn unter Druck setzt, erreicht das Gespräch eine problematische Ebene. Sie schießt zurück und öffnet damit ein neues Konfliktfeld: »Im Gegensatz zu dir kümmere ich mich um die Angelegenheit.« Hannah spricht wie Timo auch sehr verallgemeinernd, als sie behauptet, »immer alles« selbst machen zu müssen. Daran kann man erkennen, dass sie sich häufiger mit den Aufgaben alleingelassen fühlt und sich mehr Verantwortung und Unterstützung von ihrem Partner wünscht. Doch genau wie Timo auch, spricht sie diese gravierenden Probleme nicht direkt an.

Hier sind wir wieder bei elementaren Inhalten. Wenn ich mich zunehmend weniger auf Augenhöhe mit meinem Partner erlebe, fange ich wahrscheinlich irgendwann an, mich zu fragen, ob diese Beziehung noch die richtige für mich ist. Als Timo sich dann aus der Situation herauszieht, ist Hannah nur noch wütend und geht auf Konfrontationskurs. Seine Kälte hat sie verletzt, doch nach außen hin zeigt sie nur ihre Wut.

Der Subtext von Hannahs Kommunikation lautet: »Ich habe das Gefühl, dass die gesamte Verantwortung bei mir liegt. Ich muss alles selbst regeln und werde damit alleingelassen. Wenn du dich so zurückziehst, ist das ein Schlag ins Gesicht für mich.«

Wir haben also in dieser kurzen Interaktion ein Gespräch über:

Die Unterkunft

Druck

Gesehen werden

Augenhöhe

Verständnis

Verantwortung

Das Gefühl, alleingelassen zu werden

Bevormundung

Verlorene Nähe zueinander

Infobox Kommunikationsmodelle

Hier kommt eine kleine Sammlung an interessanten Fakten zu verschiedenen Kommunikationsmodellen (so interessant, wie Fakten zu Kommunikationsmodellen halt sein können):

Der Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick benannte als eine Grundregel der Kommunikation, dass sie einen Beziehungsaspekt und einen Inhaltsaspekt hat.4 Bei Hannah und Timo können wir beobachten, was passiert, wenn man den Beziehungsaspekt außer Acht lässt und sich nur auf den Inhaltsaspekt konzentriert. Das bedeutet konkret: Sie sprechen nur über die Unterkunft und ignorieren, wie sie sich dabei miteinander fühlen.

Das Sender-Empfänger-Modell nach Shannon und Weaver5 zeigt uns, dass die Inhalte, die man senden will, nicht auch unbedingt bei der anderen Person so ankommen müssen. Unsere Kommunikation ist anfällig für Störungen, was dazu führen kann, dass wir einander verpassen und uns missverstehen. Wenn Timo sagt: »Warum machst du so einen Druck?«, will er damit senden, dass er angespannt ist und sich ein ruhigeres Gespräch wünscht. Doch Hannah empfängt wahrscheinlich eher: »Du gehst mir auf den Keks.«

Eine meiner liebsten Metaphern ist das Eisbergmodell. Das, was wir aktiv kommunizieren, sind nur die oberen paar Prozent eines Eisbergs, der Teil also, den wir sehen beziehungsweise hören können. Die Dinge, die wir nicht oder nur indirekt kommunizieren, liegen dagegen unterhalb der Wasseroberfläche und machen den viel größeren Teil der Kommunikation aus. Da wir diese Dinge nicht so leicht erkennen können, fällt es uns schwer, darauf zu reagieren.

Das Wesentliche ist also nicht sichtbar. Bei Hannah und Timo erkennt man die unterschwelligen Problematiken erst auf den zweiten Blick. Sie ragen nicht über die Oberfläche hinaus, werden also nicht aktiv angesprochen, und dennoch beeinflussen sie das Gespräch maßgeblich.