Gewalt im öffentlichen Raum - Udo Behrendes - E-Book

Gewalt im öffentlichen Raum E-Book

Udo Behrendes

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Beschreibung

Die innere Sicherheit in Deutschland scheint in Gefahr. Prügelattacken, Messerstechereien, sexuelle Übergriffe, Amokläufe und Terroranschläge – fast täglich wird über derartige Gewalttaten im öffentlichen Raum berichtet und eine spürbare Verunsicherung, ja Angst vor ebendieser Gewalt ist bei einer Vielzahl von Bürgerinnen und Bürgern zu registrieren. Die Gewährleistung von Sicherheit vor Gewalt im öffentlichen Raum ist eine Kernfunktion des staatlichen Gewaltmonopols und damit eine Kernaufgabe der Polizei. Die Autoren dieses Buches greifen die sicherheitspolitisch relevanten Fragen dieses Themas auf und analysieren diese in drei Themenkomplexen. Sie bieten damit für Ausbildung, Arbeitsalltag und Führung in der Polizei dezidiert und praxisbezogen wichtige polizeifachliche Orientierung. Der erste Teil eröffnet mit einer Analyse und Bewertung der Kriminalitätsstatistiken im Hinblick auf die Entwicklung der Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum. Er beleuchtet auch das intensiv diskutierte Thema Gewalt im Zusammenhang mit Zuwanderung und Asyl. Auf die Phänomene und Erklärungsansätze von Gewaltdelikten im öffentlichen Raum geht der zweite Teil ein. Die Autoren stellen dar, was Tatgelegenheiten ermöglicht bzw. verhindert, wer Täter und wer Opfer sein kann. Es werden verschiedene Modelle vorgestellt, um Tatorte von Gewalthandlungen zu erklären. Zudem werden Mittel und Methoden der Polizeiarbeit, wie dem Problem begegnet werden kann, präsentiert und exemplarisch erläutert. Der dritte Teil beschäftigt sich einleitend mit dem statistischen Material zur Gewalt gegen Polizeibeamte. Weiterhin werden in dem Beitrag Maßnahmen diskutiert, wie Gewalt in der polizeilichen Praxis reduziert werden kann. Dies schließt u.a. die Diskussion um Bodycams und um eine Vertrauens- und Fehlerkultur ein, aber auch Empfehlungen, wie Teams zusammengestellt werden sollten.

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Seitenzahl: 193

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Lehr- und StudienbriefeKriminalistik / Kriminologie

Herausgegeben von

Horst Clages, Leitender Kriminaldirektor a.D.,Wolfgang Gatzke, Direktor LKA NRW a.D.

Band 23Gewalt im öffentlichen Raum

vonDetlef Averdiek-GrönerUdo BehrendesWolfgang GatzkeDaniela Pollich

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

E-Book1. Auflage 2017© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2017ISBN 978-3-8011-0803-8 (EPUB)ISBN 978-3-8011-0804-5 (Mobipocket)

Buch1. Auflage 2017© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2017Druck und Bindung: Druckerei Hubert & Co, GöttingenISBN 978-3-8011-0802-1

Alle Rechte vorbehaltenUnbefugte Nutzungen, wie Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.Satz und E-Book: VDP GMBH Buchvertrieb, Hilden

www.VDPolizei.de

E-Mail:[email protected] • www.VDPolizei.de

Vorwort der Herausgeber

Gewalt tritt als reales gesellschaftliches Phänomen in vielfältiger Art und in unterschiedlichem Ausmaß in Erscheinung. Das, was als Gewalt bezeichnet wird, bewegt sich in einem weiten Spektrum zwischen struktureller Gewalt, einer vorwiegend subjektiv empfundenen Gewalterfahrung, der Gewalt gegen Sachen, Aggression und psychischer Gewalteinwirkung bis hin zu schwersten Formen körperlicher Gewalt.

Mit Blick auf die soziale Sichtbarkeit finden sich Gewalthandlungen einerseits im engen sozialen Milieu, d.h. für Dritte im Wesentlichen unerkannt, andererseits in der Öffentlichkeit – im öffentlichen Raum – in seinen vielfältigen Facetten und für jedermann erlebbar. Prinzipiell ist jeder Bürger der Gefahr ausgesetzt, Opfer von Gewalthandlungen im öffentlichen Raum zu werden. Es ist ein hochgradig von Emotionen bestimmtes Thema. Gewaltdelikte im öffentlichen Raum prägen aus der Sicht des Bürgers das Bild der Kriminalität in einem Gemeinwesen und die Meinung breiter Bevölkerungsschichten über den Erfolg oder Misserfolg der institutionellen Kriminalitätskontrolle und der Kriminalpolitik. Gewaltdelikte sind damit hochaktuell, polarisieren und sind in ihrer gesamtgesellschaftlichen Auswirkung von besonderer kriminalpolitischer Relevanz.

So haben Berichte über Gewaltattacken, die eine besondere Brutalität oder Menschenverachtung der meist jungen, männlichen Täter offenbaren, neue Gewaltphänomene und terroristische Anschläge im eigenen Land das gesellschaftliche Klima in Deutschland verändert. Die innere Sicherheit scheint in Gefahr. Damit stehen politische Forderungen und Vorhaben im Raum, etwa die Ausweitung der Videoüberwachung, das Anheben der Polizeistärke, die Schaffung weiter gehender polizeilicher Befugnisse, eine konsequente justizielle Ahndung von Straftaten sowie die Verschärfung ausländerrechtlicher Bestimmungen.

Deshalb ist zu fragen:

Wie steht es tatsächlich um die alltägliche Gewalt auf der Straße, in den U-Bahnhöfen, Parks und Vergnügungsvierteln? Wie steht es um die Gewaltausübung im Kontext der Zuwanderung von Flüchtlingen? Trifft der medial verbreitete Eindruck einer durchgängig wachsenden Gewalt zu?

Zu fragen ist aber auch:

Welche Faktoren beeinflussen diese Gewaltphänomene im öffentlichen Raum? Wie sind sie zu erklären, wo kommen sie in besonderem Maße vor? Gibt es spezifische Tatörtlichkeiten, soziale Problemräume, an denen sich Gewalttaten häufen? Welche Einwirkungsmöglichkeit hat die Polizei, welche Konzepte sind Erfolg versprechend? Was kann sozialraumorientierte Polizeiarbeit bewirken?

Ebenfalls im allgemeinen gesellschaftlichen Fokus steht aktuell das Wirken der Polizei und anderer staatlicher Organe, z.B. Feuerwehr und Rettungskräfte, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Es herrscht der Eindruck vor, dass sie wachsender Respektlosigkeit und Gewalttätigkeit ausgesetzt sind. In welcher Weise setzt die Polizei bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ihrerseits Gewalt ein? Sind Polizeibeamte befähigt und in der Lage, in eskalierenden Konfliktlagen angemessen zu reagieren? Welche rechtlichen Bedingungen gelten und welche Mechanismen wirken, wenn ein Polizeibeamter rechtswidrig Gewalt anwendet? Wie ist dem von vornherein entgegenzuwirken? Wie ist der Befund zu diesen Fragen und welche Antworten sind darauf zu geben – gesellschaftlich, in der Politik und polizeifachlich? Es bleibt festzuhalten: Die Gewährleistung von Sicherheit vor Gewalt im öffentlichen Raum ist eine Kernfunktion des staatlichen Gewaltmonopols und damit eine Kernaufgabe der Polizei. Diese ist dabei an rechtsstaatliches Handeln gebunden und unterliegt in diesem Rahmen dem Primat der Politik.

Die Autoren des vorliegenden Lehr- und Studienbriefs versuchen, in drei sehr unterschiedlichen, am Bedarf der Praxis ausgerichteten Beiträgen Antworten auf diese sicherheits- und gesellschaftspolitisch wichtigen Fragen zu geben und polizeifachlich Orientierung zu bieten.

So zeigt der Beitrag zur Entwicklung der Alltagsgewalt im öffentlichen Raum den deutlichen Rückgang der diesen Phänomenen zuzurechnenden Straftaten in den letzten zwanzig Jahren auf und nimmt dezidiert zu dem statistischen Anstieg von Gewaltdelikten im Kontext der Zuwanderung in den Jahren 2015/2016 Stellung.

Der weitere Beitrag zu Erscheinungsformen und Erklärungsansätzen von Alltagsgewalt im öffentlichen Raum greift empirische Befunde zu den damit verbundenen Fragestellungen auf und beschreibt unter Darlegung erfolgreicher Praxismodelle die Möglichkeiten einer proaktiven, sozialraumorientierten Polizeiarbeit.

Der dritte Beitrag setzt sich nach einer Beschreibung der Entwicklung von Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Polizeibeamten und den Grundmaximen der polizeilichen Anwendung von Gewalt im Schwerpunkt mit den äußerst schwierigen, für die polizeiliche Praxis aber um so bedeutsameren Fragen des Umgangs mit ungerechtfertigter Gewaltanwendung durch Polizeibeamte auseinander. Dies mag bei erster Betrachtung kontrovers aufgenommen werden. Doch verdienen die damit verbundenen rechtlichen, aber mehr noch die Aspekte eines ethisch fundierten polizeilichen Handelns auch in sehr herausfordernden polizeilichen Einsatzsituationen gerade für die Zielgruppe berufsjunger Polizeivollzugsbeamter und -beamtinnen besondere Beachtung. Hierzu werden Ansätze einer konstruktiven Fehlerkultur aufgezeigt.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge vermittelt dieser Lehr- und Studienbrief einen differenzierten Überblick über die Themenfelder, die aktuell zu spezifischen Entwicklungen der Alltagskriminalität, ihren Erklärungsansätzen und Interventionsmöglichkeiten und den damit korrespondierenden Handlungsfeldern diskutiert werden.

Wolfgang Gatzke

Horst Clages

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber

Wolfgang Gatzke

1Zur Entwicklung der Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum

1.1Alltagsgewalt im öffentlichen Raum

1.1.1Gesellschaftliche Wahrnehmung

1.1.2Erkenntnisquellen

1.1.2.1Polizeiliche Kriminalstatistik

1.1.2.2Gewaltprävalenz- und Viktimisierungsstudien

1.1.2.3Zusammenführung der Quellen

1.1.3Gewaltkriminalität

1.1.3.1Tötungsdelikte

1.1.3.2Sexualdelikte

1.1.3.3Raub

1.1.3.4Körperverletzung

1.1.3.5Tatverdächtige und Opfer

1.1.4Zusammenfassung und Bewertung

1.2Gewaltkriminalität im Kontext von Zuwanderung

1.2.1Erkenntnisquellen

1.2.2Zuwanderung

1.2.3Gewaltkriminalität

1.2.3.1Tötungsdelikte

1.2.3.2Sexualdelikte

1.2.3.3Raub

1.2.3.4Körperverletzung

1.2.4Zusammenfassung und Bewertung

1.2.5Politisch motivierte Gewalt

1.2.5.1Gewalttaten gegen Asylunterkünfte und Asylbewerber

1.2.5.2Politisch motivierte Ausländerkriminalität, Islamismus

1.2.6Handlungserfordernisse und Perspektiven

Literaturverzeichnis

Udo Behrendes/Daniela Pollich

2Erscheinungsformen und Erklärungsansätze von Alltagsgewalt im öffentlichen Raum und polizeiliche Interventionsmöglichkeiten

2.1Polizeiliches Aufgabenfeld

2.2Erscheinungsformen und Erklärungsansätze von Gewalt im öffentlichen Raum

2.2.1Gewalttäter im öffentlichen Raum

2.2.2Gewaltopfer im öffentlichen Raum

2.2.3Tatörtlichkeiten von Gewaltdelikten im öffentlichen Raum

Broken-Windows-Ansatz

Defensible-Space-Ansatz

Crime-Pattern-Theorie

2.2.4Raumbezogene Aspekte bei einzelnen Gewaltdelikten

Sexualdelikte

Raub

Körperverletzung

2.2.5Empirische Befunde zur räumlichen Verteilung von Gewaltdelikten

2.3Gestaltungsmöglichkeiten proaktiver Polizeiarbeit zur Minimierung von Gewalt im öffentlichen Raum

2.3.1Grundmodelle proaktiver Polizeiarbeit im öffentlichen Raum

2.3.2Unterschiedliche Philosophien proaktiver Polizeiarbeit

„Community Policing“

„Zero-Tolerance“-Doktrin

2.4Sozialraumorientierte Polizeiarbeit

2.4.1Gezielte Präsenz

2.4.2Dialogorientierung

2.4.3Bündnis- und Netzwerkorientierung

2.4.4Ganzheitliche Sicherheitsperspektive und lageangepasster Maßnahmen-Mix

2.5Praxismodelle sozialraumorientierter Polizeiarbeit

2.5.1„GABI-Modell“ Bonn

2.5.2„Bezirks- und Schwerpunktdienst“ in der Kölner Innenstadt

2.5.3Kölner Modell „Gewaltprävention an Schulen“

2.6Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Detlef Averdiek-Gröner/Udo Behrendes

3Polizei und Gewalt

3.1Erkenntnisquellen

3.1.1Polizeiliche Kriminalstatistik

3.1.2Polizeiliche Lagebilder

3.1.3Wissenschaftliche Studien

3.1.3.1KFN-Studie

3.1.3.2NRW-Studie

3.1.4Bewertung

3.2Maßnahmen der Politik

3.2.1Verschärfungen des Strafrechts

3.2.2Erweiterungen der polizeilichen Ausrüstung

3.2.2.1Körperkameras (Bodycams)

3.2.2.2Distanz-Elektroimpulsgeräte (Taser)

3.3Weitere Professionalisierung des polizeilichen Interaktionsmanagements

3.3.1Eigensicherung

3.3.2Zusammenstellung von operativ arbeitenden Teams

3.3.3Umgang mit Respektlosigkeiten

3.3.4Einsatznachbereitung und Betreuung

3.4Polizeiliche Gewaltanwendung

3.4.1Rechtsgrundlagen

3.4.2Erkenntnisquellen

3.4.3Rechtswidrige Gewaltanwendung

3.4.3.1Körperverletzung im Amt und Legalitätsprinzip

3.4.3.2Rahmenbedingungen einer konstruktiven Fehlerkultur

3.4.3.3Kontroll- und Schlichtungsmechanismen

3.4.3.3.1Kennzeichnungspflicht

3.4.3.3.2Polizeibeauftragte

3.4.4Bausteine einer Fehler- und Vertrauenskultur

3.5Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Zu den Autoren

Wolfgang Gatzke

1Zur Entwicklung der Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum

Das Jahr 2016 war in vielen Teilen der Welt nachhaltig geprägt durch Krieg und Vertreibung, Flucht und Terror, verbunden mit dem vielfachen Tod unschuldiger Menschen. Mit den Anschlägen von Würzburg, Ansbach und Berlin hat der Terror auch in Deutschland Einzug gehalten. Dies hat im Kontext mit anderen durch Asylbewerber oder Flüchtlinge verübten schwerwiegenden Gewalttaten die politische Diskussion zum Jahreswechsel 2016/2017 dominiert und die Sorge vor einer damit in Zusammenhang stehenden Zunahme von Gewalt in Deutschland geschürt.

Die terroristischen Anschläge des letzten Jahres und die weiterhin bestehende Gefährdungslage sind dennoch nicht Thema dieses Beitrags, auch wenn sie gegenwärtig in der öffentlichen Wahrnehmung andere, schon länger bestehende Phänomene der Gewalt im öffentlichen Raum überlagern. Vielmehr sollen die generellen Aspekte und Facetten von gegen Personen gerichteter Delikte der Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum in ihren zum Teil langjährigen Entwicklungen und den neu auftretenden Ausprägungen beleuchtet werden.

Im Fokus stehen dabei die individuell verübten Delikte der Gewaltkriminalität auf der Straße in ihren alltäglichen Erscheinungsformen. Das betrifft vorrangig Tötungsdelikte, Sexualstraftaten, Körperverletzungsdelikte und Raubstraftaten. Auch diese Delikte finden besondere Aufmerksamkeit in Gesellschaft und Politik. Sie erfordern zudem zielgerichtete Präventions- und Interventionskonzepte der Polizei.

1.1Alltagsgewalt im öffentlichen Raum

1.1.1Gesellschaftliche Wahrnehmung

Gewalt ist in der medialen Berichterstattung alltäglich und allgegenwärtig. Fernsehbilder tragen brutale Gewaltattacken Einzelner in immer wiederkehrender Wiederholung in die Wohnzimmer – Schläge und Tritte auf eine ahnungs- und wehrlose Frau in einem U-Bahnhof in Berlin, Bilder von Tatverdächtigen nach dem Anzünden eines Obdachlosen, die Vergewaltigung einer betagten Frau am Rande der belebten Altstadt in Düsseldorf, der Mord an einer jungen Studentin auf dem Weg nach Hause in Freiburg. Dazu Schlägereien, Messerattacken und Raubüberfälle in Vergnügungsvierteln und Parks, mitunter ebenfalls mit tödlichem Ausgang.

Die Berichterstattung durch Bild- und Printmedien beeinflusst nachhaltig die Gewaltwahrnehmung und Kriminalitätsfurcht in der Gesellschaft. Schon 2006 war dem durch die Bundesregierung in Auftrag gegebenen Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht zu entnehmen, dass durch die öffentliche Darstellung der Kriminalität in den Massenmedien über Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Raub und schwere Körperverletzungen „ein hinsichtlich der Struktur und Entwicklung des Kriminalitätsgeschehens drastisch verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit“1 entstehe.

So überrascht es nicht, dass Unsicherheitsgefühle und die Furcht in der Bevölkerung, selbst Opfer einer Körperverletzung, eines Raubes oder einer sonstigen Gewalttat zu werden, deutlich größer sind als die reale Gefahr. Nach einer Bevölkerungsumfrage aus 2012 fühlen sich 17 % der Menschen in Deutschland nachts alleine außerhalb ihrer Wohnung unsicher.2 Ähnlich viele Menschen äußern deliktsspezifische Unsicherheitsgefühle, z.B. Opfer einer Körperverletzung zu werden.

Kriminalitätsfurcht, insbesondere die Furcht vor Gewalttaten, die einen selbst betreffen können, Furcht vor Terrorakten oder vor einer erwarteten Welle von Gewalt als Folge von als problematisch wahrgenommenen Veränderungen durch Zuwanderung kann die subjektive Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Sie kann die tatsächliche Gefahr einer Viktimisierung insbesondere dann verstärken, wenn sie zu übersteigerten Schutzvorkehrungen, Vermeidungsverhalten sowie der Reduzierung von Aktivitäten führt und damit die Lockerung sozialer Beziehungen bis hin zu einer zunehmenden Isolation bewirkt.3

Um übersteigerter Kriminalitätsfurcht zu begegnen, kommt daher einer realitätsbezogenen Wahrnehmung und Bewertung der Gewaltkriminalität in all ihren Phänomenen und Facetten besondere Bedeutung zu.

1.1.2Erkenntnisquellen

1.1.2.1Polizeiliche Kriminalstatistik

Grundlage für die Bewertung von Ausmaß und Entwicklung der Kriminalität insgesamt sowie einzelner Deliktsarten ist regelmäßig die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Dies gilt auch für Gewaltdelikte. Die PKS sowie Strafrechtspflegestatistiken enthalten allerdings nur Daten zu den Straftaten, die den Strafverfolgungsbehörden bekannt geworden sind (Hellfeld). „Die nicht zur Anzeige gebrachten Vorfälle – das durch Bevölkerungsbefragungen ermittelbare sogenannte Dunkelfeld – können sie nicht abbilden. Darüber hinaus geben sie auch keinen Aufschluss zum Anzeigeverhalten der Bevölkerung.“4

Ob sich Delikte der Gewaltkriminalität5, d.h. im Wesentlichen Tötungsdelikte, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raubdelikte sowie gefährliche und schwere Körperverletzung6 im öffentlichen oder im nicht öffentlichen, privaten Raum ereignet haben, wird in der PKS nicht generell erfasst und ausgewiesen. Lediglich bei spezifischen Gewaltdelikten, die der Straßenkriminalität7 zugerechnet werden, ist eine entsprechende Auswertung grundsätzlich möglich.

Dabei handelt es sich insbesondere8 um

• Handtaschenraub9 und sonstige Raubüberfälle auf Straßen, Wegen oder Plätzen10 sowie Raubüberfälle auf Geld- und Werttransporte11,

• gefährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen12,

• überfallartige Vergewaltigung durch Einzeltäter oder Gruppen13.

Tötungsdelikte sowie weitere Gewaltdelikte, die sich im öffentlichen Raum ereignen, werden statistisch nicht gesondert ausgewiesen.

Exakte Aussagen zu Ausmaß und Entwicklung aller registrierten Gewaltstraftaten im öffentlichen Raum sind daher aus der PKS nicht sicher abzuleiten. Über die in der PKS registrierten Straftaten hinaus ist deliktspezifisch von einem unterschiedlich hohen Anteil an weiteren Straftaten auszugehen, die den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt werden (Dunkelfeld).

1.1.2.2Gewaltprävalenz- und Viktimisierungsstudien

Hinweise zum tatsächlichen Ausmaß der Kriminalität geben die Ergebnisse repräsentativer empirischer Dunkelfeldforschung, insbesondere von Gewaltprävalenz- und Viktimisierungsstudien. Diese geben auch Auskunft über Art und Umfang der nicht angezeigten Straftaten. Sie können ebenfalls aufzeigen, dass das Anzeigeverhalten der Bevölkerung „keineswegs konstant“ ist, sondern „je nach Deliktsart, zum Teil erheblichen Schwankungen unterworfen“14 sein kann.

In Dunkelfeldbefragungen wird ebenfalls nicht zwischen Gewalttaten im öffentlichen Raum und denen, die sich im privaten Raum ereignen, unterschieden. Eine gerade bei Sexual- und Körperverletzungsdelikten, die sich vielfach als Beziehungsdelikte im privaten Raum ereignen, erforderliche Differenzierung der Befragungsergebnisse ist daher nicht bzw. nur eingeschränkt möglich.

Auch decken die Fragestellungen in den Studien den jeweiligen Straftatbestand von Gewaltdelikten in der Regel nicht exakt ab, sodass eine eindeutige Zuordnung im Abgleich zu Deliktskategorien der PKS nicht immer gelingt.15 Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse von Studien untereinander kann zudem durch z.T. unterschiedliche Fragestellungen und Befragungszeitraume eingeschränkt sein. Nur wenn in wiederholten Befragungsdurchgängen identische Fragen gestellt werden, sind im Rahmen der Studien relevante Entwicklungen zum Kriminalitätsumfang und zum Anzeigeverhalten der Bevölkerung erkennbar.

Die Anzahl derartig werthaltiger Studien ist in Deutschland – anders als in anderen europäischen Ländern – gering.

So liegen lediglich von Seiten des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e.V. (KFN) Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Wiederholungsbefragung auf Bundesebene aus den Jahren 2004, 2006 und 2010 sowie Ergebnisse zweier weiterer Wiederholungsbefragungen auf Ebene der Länder Nordrhein-Westfahlen16 und Niedersachsen17 vor. Diese werden durch Einzelbefunde aus Langzeitbefragungen auf kommunaler Ebene, z.B. durch die Dunkelfeldstudie Bochum18, ergänzt.

Einen umfassenden Gesamtüberblick über den Stand der Dunkelfeldforschung in Deutschland vermittelt ein 2015 durch das Bundeskriminalamt herausgegebener Übersichtsband.19

1.1.2.3Zusammenführung der Quellen

Trotz aller Unschärfen in den statistischen Daten und den Ergebnissen der Bevölkerungsbefragungen ist die Zusammenführung und gemeinsame Betrachtung der Erkenntnisse aus den Hellfelddaten der PKS und den Ergebnissen der Dunkelfeldforschung eine geeignete Grundlage für eine realistischere Einschätzung von Struktur und Entwicklung auch von Gewalttaten im öffentlichen Raum.

Wesentliche Erkenntnisse zur Gewaltkriminalität insgesamt, zu den relevanten Deliktsfeldern sowie zu Tatverdächtigen und Opfern werden daher nachfolgend unter Einbeziehung von Hell- und Dunkelfelddaten für den Zeitraum von 199320 bis 2016 skizziert.

1.1.3Gewaltkriminalität

Delikte der Gewaltkriminalität machten in Deutschland im Jahr 2015 mit gut 180.000 Fällen etwa 3 % aller in der PKS registrierten Straftaten aus.21 Mehr als zwei Drittel davon sind Fälle der gefährlichen und schweren Körperverletzung, knapp ein Viertel Raubstraftaten. Sexual- und Tötungsdelikte kommen hinzu. Im Jahr 2016 ist die Zahl der Gewaltdelikte um 6,7 % auf mehr als 193.000 gestiegen.22

Im Jahr 1993 lag der Anteil der Gewaltdelikte mit etwa 160.000 Straftaten23 noch bei 2,4 % des gesamten Straftatenaufkommens. Ihr Anteil wuchs bis 2007 mit einer Zahl von annähernd 220.000 Straftaten auf ca. 3,5 % der Gesamtkriminalität. Ausschlaggebend dafür waren vor allem der spürbare Anstieg von Raubstraftaten bis 199724 sowie die Verdoppelung der Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung bis 2007.25 Danach sank die Zahl der Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung sowie von Raubdelikten bis zum Jahr 2014 wieder spürbar.

Im Jahr 2016 setzte sich der abnehmende Trend bei den Raubdelikten fort; die Zahl der gefährlichen und schweren Körperverletzungen wuchs allerdings im Jahr 2016 um annähernd 10 % an.26

Bereits 2006 kamen die Autoren des von der Bundesregierung veröffentlichten Zweiten Periodischen Sicherheitsberichts unter Hinweis auf nationale und ausländische Befunde zu der Einschätzung, „dass insbesondere bei der Gewaltkriminalität die Anzeigebereitschaft zugenommen hat, weshalb ein – möglicherweise erheblicher – Teil des Anstiegs registrierter Gewaltkriminalität auf einer bloßen Veränderung des Anzeigeverhaltens beruhen dürfte“27. Mit Blick auf bundesweit nicht repräsentative Schülerbefragungen konstatierten die Autoren bis Ende der 1990er Jahre zwar eine „Zunahme von Jugenddelinquenz, und zwar auch von Aggressionsdelikten“, sahen aber seit Ende der 1990er Jahre Anzeichen für eine Trendwende.

Diese Einschätzung aus dem Jahr 2006 findet durch die weitere Entwicklung der statistisch registrierten Straftaten bis 2015 sowie weitere Befunde der Dunkelfeldforschung der letzten zehn Jahre ihre Bestätigung.28Ungeachtet dessen ist nach dem Anstieg der registrierten Gewaltdelinquenz im Jahr 2016 nach Erklärungsansätzen und möglichen weiteren Perspektiven zu fragen. So ist neben den langfristigen Tendenzen gerade die aktuelle Entwicklung der unter dem Begriff Gewaltkriminalität zusammengefassten Delikte, die sich nach Fallzahl, aber auch nach Schweregrad, Tatörtlichkeiten, Tatmotivation sowie der Entwicklung von Tatverdächtigen- und Opferzahlen in erheblicher Weise unterscheiden, differenziert und deliktspezifisch zu beleuchten.

1.1.3.1Tötungsdelikte

Tötungsdelikte sind die gravierendste Form von Gewalt gegen Personen. Sie sind in ihrer überwiegenden Anzahl Beziehungsdelikte,29 die sich im privaten Raum ereignen. Eine nicht unerhebliche Zahl von Tötungsdelikten wird allerdings auch im öffentlichen Raum verübt oder nimmt dort zumindest ihren Ausgang.

Diese Straftaten finden vielfach die besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Dabei handelt es sich insbesondere um Tötungsdelikte im Zusammenhang mit Sexualstraftaten oder Raubüberfällen30 sowie um Tötungsdelikte an Kindern. Hinzu kommen Tötungsdelikte im Zuge von gewalttätigen Auseinandersetzungen in Vergnügungsvierteln oder zwischen rivalisierenden Gruppen, wenn sie sich unter dem Einsatz von Waffen vor den Augen der Öffentlichkeit ereignen.

Die registrierte Zahl von Tötungsdelikten ist nach den Daten der PKS im wiedervereinigten Deutschland31 seit mehr als zwei Jahrzehnten bis 2015 deutlich rückläufig:

• „Im Jahr 1993 gab es demnach 666 Fälle des vollendeten Mordes in Deutschland. Für dieses Delikt ist bis 2010 ein kontinuierlicher Rückgang auf 293 Fälle zu beobachten.“32 Der rückläufige Trend setzte sich bis 2015 auf noch 281 Fälle fort.33 Damit hat sich die Zahl der vollendeten Morde in dieser Zeit mehr als halbiert.

• Bei den registrierten Fällen von vollendetem Totschlag und Tötung auf Verlangen sank die Zahl von 802 Fällen34 in 1993 bis zum Jahr 2015 um etwa zwei Drittel auf 284 Fälle.35

Noch stärker rückläufig haben sich die Fallzahlen beim vollendeten Raubmord und ähnlich deutlich beim vollendeten Mord im Zusammenhang mit Sexualdelikten, die sich zum guten Teil im öffentlichen Raum ereignen, entwickelt.36 So sank die Zahl vollendeter Morde im Zusammenhang mit Raubstraftaten von 96 Fällen im Jahr 1993 auf 15 Fälle im Jahr 2015, die Zahl der Fälle im Zusammenhang mit Sexualstraftaten von 32 auf 8 Fälle.37

Im Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht 2006 wird unter Hinweis auf die deutlichen Rückgänge der registrierten Tötungsdelikte ausgeführt, dass in Deutschland „im gesamteuropäischen Vergleich die Rate an Todesfällen, die auf Totschlag, Mord oder Körperverletzungsdelikte zurückzuführen sind, am niedrigsten“38 sei. Auch hätten „die besonders brisanten sexuell motivierten Tötungen von Kindern“ in Deutschland „langfristig deutlich abgenommen“ und seien „aktuell – entgegen bisweilen entstehenden Eindrücken – erfreulicherweise extrem selten und auf einem sehr niedrigen Niveau“39. Diese Feststellung hat auch heute noch Gültigkeit.

Für das Jahr 2016 weist der durch den Bundesinnenminister der Öffentlichkeit vorgestellte „Bericht zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2016“ für die versuchten und vollendeten Fälle von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen zweistellige Zuwachsraten aus.40

In der Tat zeigt die Auswertung der zugrunde liegenden Falltabellen41 für vollendete vorsätzliche Tötungsdelikte im Jahr 2016 einen Anstieg um 96 Fälle auf 661 Taten. Doch sind darin 72 Fälle der tödlichen Verabreichung von Medikamenten durch einen Krankenpfleger in Niedersachsen aus vorwiegend zurückliegenden Jahren sowie 17 Fälle aus dem Amoklauf im Olympiazentrum München enthalten42, sodass – bezieht man diese besonderen Fälle nicht ein – lediglich ein Anstieg um neun vollendete Tötungsdelikte bleibt. Die Zahl der vollendeten Raubmorde blieb unverändert bei 15 Taten, die Zahl der vollendeten Tötungen im Zusammenhang mit Sexualstraftaten sank um einen auf 7 Fälle.

Auch die in der PKS ausgewiesene enorme Steigerung der Zahl der Opfer vollendeter Tötungsdelikte von 589 Personen im Jahr 2015 auf 876 getötete Personen im Jahr 201643 bedarf einer deutlichen Relativierung. Denn in die statistische Erfassung der PKS 2016 sind neben den bereits o.a. 72 Opfern der tödlichen Verabreichung von Medikamenten durch einen Krankenpfleger ebenfalls 149 Opfer des Germanwings-Absturzes vom März 2015 eingeflossen.44

Die Zahl der versuchten vorsätzlichen Tötungsdelikte, die regelmäßig bei Mord mehr als die Hälfte und bei Totschlagsdelikten mehr als drei Viertel der Delikte insgesamt ausmachen, ist im Jahr 2016 gegenüber dem Vorjahr um 206 Taten gestiegen.

Insgesamt bleibt festzustellen, dass sich die Zahl der vollendeten Tötungsdelikte in Deutschland in den letzten nahezu 25 Jahren bis 2016 mehr als halbiert hat. Damit ist auch die Zahl der Tötungsdelikte im öffentlichen Raum – wenn auch in der Größenordnung nicht exakt feststellbar – in dieser Zeit deutlich zurückgegangen. Auch im Jahr 2016 ist die Zahl der vollendeten Tötungsdelikte nicht spürbar gestiegen.

1.1.3.2Sexualdelikte

Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die unter Gewaltanwendung verübt werden, sind ähnlich wie Tötungsdelikte überwiegend Beziehungsdelikte. Auch nach der PKS 2016 wurde wie in den Jahren zuvor mehr als jede zweite erfasste Tat (58,1 %) von Verwandten oder näheren Bekannten verübt.45

Nur zu einem – zahlenmäßig geringeren – Teil werden sexuell motivierte Gewalttaten von Tätern ohne Vorbeziehung zum Opfer im öffentlichen Raum verübt. Als derartige sexuelle Gewaltdelikte gelten insbesondere die überfallartige Vergewaltigung durch Einzeltäter sowie die überfallartige Vergewaltigung durch Gruppen.

In der langfristigen Betrachtung zeigt sich bei den in der PKS registrierten Delikten der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung von 200046 bis zum Jahr 2004 zunächst ein Anstieg der registrierten Fallzahlen von etwa 7.500 Fällen auf knapp 9.000 Taten. Danach ist die Zahl der Fälle bis 2015 um etwa 20 % auf ca. 7.000 Fälle zurückgegangen.47

Für das Jahr 2016 weist die PKS mit gut 7.900 registrierten Fällen einen beachtlichen Anstieg um 12,8 % aus.48

Die Fallzahlen der überfallartigen bzw. durch Gruppen verübten Vergewaltigung weisen im Vergleich zu der Gesamtzahl der sexuellen Gewaltdelikte eine bis zum Jahr 2015 in ihrer Ausprägung noch stärker absinkende Entwicklung auf. Im Jahr 2016 wurden in bestimmten Deliktsbereichen sodann erhebliche Anstiege registriert.

• Die Zahl der überfallartigen Vergewaltigungen durch Einzeltäter halbierte sich nach einem Anstieg auf mehr als 2.500 Fälle im Jahr 2004 kontinuierlich auf 1.134 Fälle im Jahr 2015.49 Im Jahr 2016 wurden zwei Fälle weniger registriert.50

• Die Zahl überfallartiger Vergewaltigungen durch Gruppen reduzierte sich bis 2015 ebenfalls deutlich. Ihre Zahl lag 2015 bei 150 Fällen.51 Im Jahr 2016 wurden 225 Fälle erfasst.

• Die ebenfalls über Jahre rückläufige Zahl der nicht überfallartig verübten Vergewaltigung durch Gruppen verdoppelte sich von 254 Fällen im Jahr 2015 auf 524 Fälle im Jahr 2016.

Zweifelsfrei steht der statistische Anstieg der Fälle mit den zahlreichen sexuellen Übergriffen durch Personengruppen auf Frauen in der Silvesternacht 2015/2016 insbesondere in Köln, aber auch in anderen Großstädten wie z.B. Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und Stuttgart in Zusammenhang. Hierauf wird am Ende dieses Abschnitts näher eingegangen.

Der Anstieg der registrierten sexuellen Gewalttaten bis 2004 wird in der langfristigen Betrachtung unter Hinweis auf repräsentative Dunkelfeldbefragungen überwiegend auf eine gestiegene Anzeigebereitschaft der Betroffenen gegenüber Tätern aus dem sozialen Nahbereich zurückgeführt, ohne dass eine tatsächliche Zunahme des Fallpotenzials angenommen wird.52 Dies korrespondiert mit der Auswertung der Daten zur Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung bei den Sexualdelikten in der PKS.

• So stieg die Zahl der Betroffenen, die als Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen durch Verwandte oder enge Bekannte registriert wurden, von weniger als 4.300 im Jahre 2000 auf mehr als 5.500 im Jahr 2004.53 Die Zahl der Opfer ohne eine Vorbeziehung zum Täter reduzierte sich demgegenüber um gut 10 % auf etwas weniger als 1.500 im Jahr 2004.

• Der Anteil der Betroffenen, die bei vollendeten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Gewaltanwendung54 Opfer von Verwandten oder engen Bekannten geworden sind, ist von etwa 41 % im Jahr 199455 bis zum Jahr 2004 sprunghaft auf 62,5 %56 angestiegen. 2015 lag der Anteil bei 65,2 %,57 im Jahr 2016 bei 60,4 %.58

Ergebnisse von Dunkelfeldbefragungen weisen korrespondierend dazu – bei einem weiterhin hohen Dunkelfeld – ebenfalls eine wachsende Anzeigebereitschaft insbesondere bei Delikten im sozialen Nahbereich aus. Schaltete nach einer bundesweiten repräsentativen Prävalenzstudie aus dem Jahr 2004 nur eine von zwölf Frauen (8 %), die sexuelle Gewalt erlebt haben, die Polizei ein,59