Gezeitenstürme - Marlies Folkens - E-Book
SONDERANGEBOT

Gezeitenstürme E-Book

Marlies Folkens

4,9
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Herbst 1944 findet die 15-jährige Elli auf dem Heuboden des elterlichen Hofs einen völlig entkräfteten Soldaten. Georg ist kaum älter als sie selbst und während eines Bombenangriffs desertiert. Ellis Vater willigt ein, ihn bis Kriegsende zu verstecken. Zwischen Elli und Georg entwickelt sich eine zarte Liebe, doch über seine Vergangenheit schweigt Georg hartnäckig. Lediglich die Musik lässt ihn aufleben. Nach dem Krieg muss er sich zwischen der Liebe zu Elli und der Liebe zur Musik entscheiden ...

Dieser Roman ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Von Schwalben und Mauerseglern" erschienen.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 872

Veröffentlichungsjahr: 2016

Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
15
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

Über Gulfhäuser und Gropengänge – ein kurzer Abriss

Danke

ÜBER DIE AUTORIN

Marlies Folkens wurde 1961 in Stollhamm-Ahndeich, einem kleinen Dorf an der Nordseeküste, geboren und wuchs als jüngstes von vier Geschwistern auf einem Bauernhof auf. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Oldenburg. Schon früh entdeckte sie das Schreiben für sich. Ihr erster Roman, Gezeitenstürme, ist von Erzählungen ihrer Mutter über die Kriegs- und Nachkriegszeit inspiriert.

MARLIES FOLKENS

Gezeitenstürme

NORDSEE-SAGA

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, KölnLektorat: Lena SchäferUmschlaggestaltung: www.buerosued.de, unter Verwendung von Motiven von © Arcangel Images/Rekha Arcangel; © www.buerosued.de; © Mauritius ImagesE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-2322-1

www.luebbe.dewww.lesejury.de

Für meine Mutter – Für meine Töchter

1

JANUAR 1949

So also fühlt es sich an, wenn man stirbt, dachte Elli, schloss die Augen, horchte in sich hinein und wartete auf den Tod.

Seit sie denken konnte, hatte sie sich vor diesem Moment gefürchtet. Nicht etwa davor, tot zu sein, denn sie glaubte, nur samtene Stille würde sie dann umgeben. Nein, was sie ängstigte, war das Sterben selbst. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich ausgemalt, wie es wohl war, wenn das letzte bisschen Leben aus dem Körper entweicht. Ob es wehtat, hatte sie sich gefragt, und ob das Sterben eine Qual war, gegen die man mit letzter Kraft ankämpfen würde.

Wenn man vorher lange Zeit krank gewesen war, so wie ihr Großvater, der reiche Diekmann, dann war es sicherlich ein qualvoller Kampf. Er habe sich so sehr ans Leben geklammert, dass es Tage gedauert habe, bis er endlich eingeschlafen sei, hatte Mutter erzählt.

»Ruhig und friedlich ist er eingeschlafen«, hatte der Pastor in der Beerdigungspredigt gesagt.

Und Elli hatte flüsternd gefragt, was daran so ungewöhnlich sei, dass jemand einschlafe, schließlich gehe sie ja auch jeden Abend ins Bett und würde doch am nächsten Morgen wieder aufwachen.

Papa, der sie auf dem Weg von der Kirche zum Friedhof an die Hand genommen hatte, war stehen geblieben, hatte sich zu ihr heruntergebeugt und ihr Gesicht in seine rauen Hände genommen. Sie sah jetzt noch vor sich, wie seine Augen lächelten, auch wenn sein Gesicht ernst war.

»Er wacht aber nicht mehr auf, Elli, er ist gestorben. Er ist von uns gegangen. Er wird nie wieder aufwachen.«

»Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt«, murmelte Elli.

Das hatte Georg immer gesungen. Georg, Georg, Georg!

Nein, nicht weiterdenken!

Wie immer, wenn sie sich dabei ertappte, die Erinnerung zu nah an sich heranzulassen, verbot sie sich sofort jeden Gedanken an ihn. Aber diesmal war es anders. Schlimmer konnte die Sehnsucht nicht mehr werden. Und so ließ sie zum ersten Mal seit Monaten die Erinnerung an Georg zu.

Elli hörte hölzerne Wagenräder knarren, sie spürte den warmen Wind in ihrem Haar, roch den Duft des frischen Heus. Goldene Lichtflecken tanzten hinter ihren geschlossenen Augenlidern. Hoch über ihr sangen Lerchen ihr endloses Lied, und Schwalben jagten zwitschernd nach Fliegen.

Nein, hör auf damit!, warnte etwas in ihr, aber Elli ließ sich in die Vergangenheit fallen.

»Morgen früh, wenn Gott will …« Sie konnte noch immer Georgs Stimme hören. Wie er gesungen hatte, ganz leise, den Arm um ihre Schultern, die Lippen an ihrem Ohr. Nur für sie.

Auf dem Nachhauseweg vom Heufahren war das gewesen. Sie hatten dicht aneinandergedrängt oben auf dem Leiterwagen gesessen, auf dem sonnenwarmen Heu, das sie den ganzen Nachmittag aufgeladen hatten. Alle hatten geholfen, Hannes, Sigi, Martha, sogar der kleine Bernie, der vor Müdigkeit vom Wagen gefallen wäre, wenn ihn Sigi nicht festgehalten hätte. Er hielt die Zügel fest umklammert, aber sein Kopf sackte immer wieder auf die Brust oder fiel nach hinten gegen das hölzerne Gatter am Wagen. Kein Wunder, dass er so müde war, sie waren den ganzen Nachmittag auf der Wiese gewesen, und er hatte mitgearbeitet wie ein Großer, dabei war er damals erst zwölf oder dreizehn.

Vorn, neben den Pferden, die gemächlich den Feldweg entlangtrotteten, ging der alte Hinnerk, der vom Bauern den Auftrag bekommen hatte, die jungen Leute ein bisschen im Auge zu behalten. Seine Mütze hatte er in den Nacken geschoben, und er kaute zufrieden auf seiner kalten Pfeife herum.

Noch immer fühlte Elli Georgs Arm um ihre Schultern und seine braun gebrannte Hand auf ihrem Oberarm. Sie sah ihn deutlich vor sich, erinnerte sich an jede Kleinigkeit, jedes Detail. Die schwarzen Locken, die ihm in die Stirn fielen, waren voller Heu, die dunkelbraunen Augen wurden von langen, tiefschwarzen Wimpern beschattet. Die Nase war ein wenig zu lang, der Mund mit den vollen Lippen verbarg ein Gebiss, in dem die Zähne nicht genug Platz zu haben schienen. Sein Gesicht war staubig und noch dunkler als sonst, durchzogen von hellen Streifen, wo der Schweiß den Heustaub mitgerissen hatte, bis er sich in der kleinen Kuhle unterhalb seines Adamsapfels sammelte. Das alte blaue Hemd von Hannes hatte er aufgeknöpft und die Ärmel hochgekrempelt wegen der Hitze, und die graue Hose von Papa wurde von Hosenträgern gehalten, weil sie ihm viel zu weit war.

»Schlaf nun selig und süß, schau im Traum ’s Paradies …«, hatte er gesungen mit seiner warmen, weichen Stimme. Nur für sie. Und dann hatte er sie geküsst.

Elli wusste noch genau, dass ihr Herz in der Brust vor Glück wehgetan hatte und das Atmen ihr schwergefallen war, aber an das Glücksgefühl selbst hatte sie keine Erinnerung mehr. Nur der Schmerz war noch immer da. Er saß jetzt in ihrer Kehle und schnürte sie zu.

Elli lag mit angezogenen Beinen auf der Seite, die Arme fest um den Bauch geschlungen, den Blick zum Fenster gerichtet. Die kahlen Äste der Kastanie vor dem Haus begannen sich gegen den Himmel abzuzeichnen. Die nächtlichen Schatten verkrochen sich in den Ecken des Zimmers, und ein Sammelsurium von Möbeln war zu erahnen: der Kleiderschrank mit den gedrechselten Säulen und einem Aufsatz mit geschnitzten Ornamenten, daneben die Frisierkommode mit dem gesprungenen Spiegel, auf deren Marmorplatte eine Waschschüssel und ein Krug mit Wasser standen. Vor dem Sekretär aus Mutters Aussteuer, dessen Furnier inzwischen überall abplatzte, stand ein Stuhl mit geflochtener Sitzfläche. Über der Lehne hing das Kleid, das Elli gestern Abend hastig ausgezogen hatte, ehe sie ins Bett gekrochen war. Gestern Abend erst. Das schien so nah und war doch Ewigkeiten entfernt. Zeit hatte alle Bedeutung verloren in Ellis Welt aus Angst und Schmerz, Erbrochenem und Blut.

Aber jetzt schien es vorbei zu sein. Sie fühlte sich ganz leicht, und es tat nicht mehr weh. Vielleicht war sie aber auch schon über die Schmerzen hinaus. War das das Geheimnis des Sterbens, dass man, kurz bevor es so weit war, alles hinter sich ließ und einen Moment der Klarheit hatte, in dem man auf sein Leben zurückblicken konnte?

All die Männer aus der Nachbarschaft, ihr Onkel, die Jungs aus ihrer Schule; all jene, die im Krieg gefallen waren, erschossen, erschlagen, verblutet, in den Städten von Bomben zerfetzt, verbrannt oder auf der Flucht verhungert und verdurstet: Ob sie alle wohl noch die Zeit gehabt hatten, innezuhalten und zu fühlen, wie sie starben?

Aber wenn jemand einen Unfall hatte, ging dann nicht alles so schnell, dass er gar nicht merkte, wie er starb? Wenn jemand aus großer Höhe abstürzte, zum Beispiel. Wenn der Boden auf ihn zuschoss, bis er endlich mit einem Schlag auf den Pflastersteinen aufprallte. Und wenn er dann zwischen den Trümmern lag und nach Luft ringend mit weit geöffneten Augen in den Himmel starrte und die Mauersegler sehen konnte, die zwischen den hohen Hauswänden hin und her schossen. Und wenn das Letzte, was er hörte, ihre schrillen Schreie waren. Vielleicht war es dann gar nicht so schlimm, zu sterben.

Der Himmel hinter den Fensterscheiben nahm allmählich ein samtenes Blau an, das die Sterne einen nach dem anderen in sich aufsog. Nicht mehr lange bis zum Tagesanbruch.

Elli fühlte, wie der Schmerz zurückkam und sie von Neuem überrollte.

2

»Ich bin wieder da!«, rief Elli, während sie das alte Damenfahrrad durch das offene Tor in die Dreschdiele schob. Sie zwängte sich vorsichtig an dem hölzernen Leiterwagen vorbei und lehnte es neben der Tür zum Vorflur an die Wand.

»Papa?«, rief sie, den Blick nach oben zum Heuboden gerichtet, und noch einmal: »Papa? Ich bin wieder da!«

Niemand antwortete.

Elli nahm die alte Lederschultasche vom Gepäckträger und betrat den schmalen, düsteren Vorflur, der die Dreschdiele mit dem Stall und dem Wohnhaus verband. Dort zog sie die Galoschen von den Schuhen und stellte sie neben die lange Reihe von Gummistiefeln und Holzschuhen. Sie ging an der zweiflügligen Tür zum Wohnflur vorbei, durch deren bunte Glasscheiben ein wenig Licht fiel, und öffnete die Küchentür.

»Ich bin wieder da«, sagte Elli noch einmal.

Ihre Mutter saß am Küchentisch und schälte Äpfel. Zwischen der Tischkante und ihrem Schoß klemmte eine alte Emailleschüssel, in die sie die Schalen in langen Spiralen fallen ließ. Dann nahm sie den fertig geschälten Apfel, viertelte ihn und schnitt das Kerngehäuse heraus.

»Du bist spät dran, Elli. Ich habe schon auf dich gewartet«, sagte ihre Mutter scharf und warf einen schnellen Blick auf die Wanduhr über dem Herd, während sie die Apfelstücke in feine Blätter schnitt. »Zieh dir schnell den Mantel aus, dann kannst du mir helfen.«

»Tut mir leid, Mutter«, entschuldigte sich Elli. »Ich bin noch ein Stück mit Martha mitgefahren.«

»War irgendetwas?«

»Nein, heute war alles ruhig. Keine Tiefflieger zu sehen. Martha und ich haben nur getratscht und die Zeit dabei vergessen.«

Seit sie und ihre Freundin Martha vor ein paar Wochen auf dem Nachhauseweg von einem amerikanischen Flugzeug beschossen worden waren, bestanden ihre Eltern darauf, dass die Mädchen den zehn Kilometer langen Schulweg so schnell wie möglich hinter sich brachten und nicht trödelten.

»Darf ich einen?« Elli zeigte auf die geschnittenen Äpfel. Ihre Mutter nickte nur. Elli nahm sich aus der großen braunen Keramikschüssel auf dem Tisch ein Apfelstück heraus und biss hinein.

»Bah, sind die sauer!«, sagte sie und verzog das Gesicht.

»Das sind grüne Boskop. Kochäpfel. Die müssen so sauer sein. Das solltet ihr doch eigentlich auf dieser Haushaltsschule lernen!« Willa Bruns schnaubte verächtlich.

Elli wandte sich ab, um ihr Lächeln zu verbergen, und trat durch die zweite Küchentür in den großen Wohnflur, von dem die Türen in die beiden Stuben und die Schlafkammer ihrer Eltern abgingen. Sie hängte ihren Mantel an die Garderobe und nahm ihr Kopftuch ab. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel griff sie nach dem Kamm, der auf der Ablage darunter lag, und fuhr sich damit ein paar Mal energisch durch die Haare.

Martha hat es gut mit ihren dunkelroten Zöpfen, dachte sie neidisch. Ich hab dieses blöde Allerweltsbraun und nur so ein paar dünne Fusseln auf dem Kopf. Sie beugte sich vor und unterzog ihr Kinn und die Stirn einer genauen Musterung. »Aber dafür hab ich wenigstens keine Pickel«, murmelte sie und lächelte ihrem Spiegelbild aufmunternd zu.

»Die kommen sicher noch!«, rief eine helle Stimme von oben. Ihr kleiner Bruder Bernhard, den alle immer nur Bernie nannten, saß auf der obersten Treppenstufe und schaute durch das Geländer zu ihr herunter. »Dann rufen dich alle nur Pickelfratze Bruns.« Er lachte schallend.

Elli verdrehte die Augen. »Du bist so blöd, dass es wehtut!«

»Pickelfratze, Pickelfratze!«, tönte es hinter ihr her, als Elli sich umdrehte und in die Küche zurückging.

»Bernie ärgert mich schon wieder«, sagte sie zu ihrer Mutter, die gerade nach einem weiteren Apfel griff, ihn in der Hand drehte und mit einem schnellen Schnitt eine braune Stelle entfernte.

Sie begann zu schälen: ssssst wat wat, ssssst wat wat, im Walzertakt. Immer ein langer Schnitt, dem zwei kurze folgten: sssst wat wat, sssst wat wat. Dann innehalten, den Apfel teilen, vierteln, das Kerngehäuse entfernen und das Fleisch in dünne Scheiben schneiden, immer derselbe Ablauf mit immer denselben knappen Handbewegungen.

»Du solltest mittlerweile alt und vernünftig genug sein, um dich nicht mehr von ihm ärgern zu lassen«, erwiderte ihre Mutter, ohne den Blick zu heben. »Habt ihr in der Schule etwas gegessen?«

»Nein, heute nicht. Wir waren den ganzen Tag im Garten.«

»Auf dem Herd stehen noch Dicke Bohnen vom Mittagessen für dich.«

Elli verzog das Gesicht. Bohneneintopf konnte sie nicht ausstehen.

»Darf ich mir nicht bitte einfach nur ein Brot machen? Ich hab gar nicht so viel Hunger.«

»Iss die Suppe! Wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag braucht der Körper.«

Elli verdrehte die Augen und bewegte lautlos die Lippen zu den Worten ihrer Mutter. Dieses Lied konnte sie mitsingen.

»Werd bloß nicht unverschämt, mein Fräulein!« Willa hatte die Grimasse offenbar bemerkt, und der Blick, den sie ihrer Tochter aus hellen Raubvogelaugen über den drohenden Zeigefinger hinweg zuwarf, war eisig. »Sei lieber froh, dass du überhaupt zu essen hast. Andere Kinder …«

Den Rest des Vortrags ließ Elli an sich vorüberrauschen, während sie den Suppentopf vom Feuer zog, eine halbe Kelle von der graubraunen Pampe in einen Teller füllte und diesen zum Tisch hinübertrug. Sie wusste aus Erfahrung, dass es einfacher war, einzulenken, als sich auf Diskussionen mit ihrer Mutter einzulassen.

»Ist Papa gar nicht da?«, fragte Elli, als Willa endlich wieder schwieg, und öffnete das Brotfach im Küchenschrank. »Nein, er ist mit Hinnerk bei Gerdes drüben.« Die Lippen ihrer Mutter wurden schmal. »Eine von den Stuten fohlt, und Onkel Gerdes hat gefragt, ob Hinnerk mal nachschauen kann.«

Hinnerk, der alte Knecht vom Brunshof, galt in der Nachbarschaft als Pferdeexperte und wurde in schwierigen Fällen immer gerufen, weil es im Moment so gut wie keine Tierärzte gab.

»Oh, dann lauf ich auch gleich mal rüber.«

Elli hatte etwas von der selbst gemachten Butter auf eine Scheibe Graubrot geschmiert und eine Prise Salz darübergestreut. Sie klappte die Stulle zusammen und biss hinein. Danach schaufelte sie sich einen großen Löffel Suppe in den Mund und versuchte ihn, ohne zu kauen, hinunterzuwürgen.

»Das kommt ja gar nicht infrage. Du wirst schön hierbleiben und mir beim Apfelschälen helfen, Fräulein! Und wir müssen die Einweckgläser noch auswaschen.«

»Ach, Mutter, bitte. Nur fünf Minuten!«

»Deine fünf Minuten kenne ich. Wenn du zu Gerdes rübergehst, sehe ich dich vor dem Melken überhaupt nicht mehr. Außerdem können sie jetzt im Pferdestall nicht noch jemanden gebrauchen, der dumm im Weg herumsteht.«

»Aber …«

»Nichts aber! Und nun tu nicht so, als hättest du noch nie ein Fohlen gesehen.«

»Ach, bitte!« Elli verlegte sich aufs Betteln. »Kann Oma dir nicht vielleicht helfen?«

»Keine Widerrede, Mädchen. Iss auf, und dann hol dir eine Schüssel für die Apfelschalen. Und was Oma angeht, die kann mit ihren steifen Fingern nicht mehr sauber genug schälen.«

Und du bist ganz froh, wenn sie nicht hier bei dir in der Küche herumsitzt und an allem etwas herumzumäkeln hat, schoss es Elli durch den Kopf, während sie einen weiteren Löffel Eintopf hinunterschluckte. Manchmal fragte sie sich, wo ihre Mutter wohl in Gedanken war, wenn zwischen den hellen Augenbrauen diese steile Falte auf ihrer Stirn auftauchte. Willas Augen waren fest auf den nächsten Apfel gerichtet, den sie in der Hand drehte, doch ihr Blick schien durch ihn hindurchzugehen.

Ssssst wat wat, ssssst wat wat machte das Messer, das im Dreivierteltakt die Schale von dem blassen Fruchtfleisch trennte. Ssssst wat wat, ssssst wat wat, ssssst wat wat.

Elli kaute an ihrem Brot und schaute der Schalenspirale zu, die sich auf die anderen in der Schüssel legte. Sie wusste, wann sie verloren hatte.

»Ich zieh mich um, und dann komm ich dir helfen«, sagte sie. »Aber ich hab Papa versprochen, vor dem Melken noch Heu abzuwerfen.«

»An dir ist ein Bauer verloren gegangen«, sagte Anton Bruns oft zu seiner Tochter, und er hatte recht damit. Im Gegensatz zu ihrem großen Bruder Hannes, der die Nase viel lieber in seine Bücher steckte, als auf dem Hof zu helfen, lebte Elli im Stall förmlich auf. Sie liebte es, die Kälber zu füttern oder die Kühe zu melken, unterhielt sich stundenlang mit dem Vater über Gott und die Welt, während sie neben ihm her über die Feldwege marschierte oder gemeinsam mit ihm die Kühe von der Weide zum Melkwagen trieb. Jetzt, Ende Oktober, waren die Kühe bereits seit einer Woche im Stall. Es war in den letzten Tagen kühl geworden, und das Gras auf den Weiden wuchs nicht mehr. Nur die Jungrinder und Bullen blieben noch bis zum ersten Schnee draußen.

Bekleidet mit ihrem Stallzeug, ihrem ältesten Rock und einer geflickten Bluse, der grauen Schürze und einem dunklen Kopftuch, ging Elli über die Dreschdiele, griff nach einer zweizinkigen Forke, die neben der Leiter bereitstand, und kletterte zum Heuboden über der Viehdiele hinauf. Seit sie nur noch einen einzigen Fremdarbeiter, den russischen Kriegsgefangenen Victor, auf dem Hof hatten, war es Ellis Aufgabe, abends das Heu durch die Luke in die Viehdiele zu werfen und danach vor den Kühen zu verteilen.

Durch die breiten Sprossenfenster an der Giebelseite warf die tief stehende Herbstsonne goldenes Licht auf das Heu, das sich noch immer den Duft des Sommers bewahrt hatte. Staub wirbelte unter Ellis Schuhen auf und tanzte dem Licht entgegen.

Elli war gern hier oben. Früher hatte sie stundenlang mit Hannes und Bernie im Heu gespielt, sie hatten Burgen und Häuser aus Brettern gebaut, die sie aus der Remise stibitzt hatten, und Tunnel ins Heu gegraben, auch wenn das streng verboten war, weil angeblich irgendwann einmal ein Kind in so einem Tunnel erstickt war. Oder sie waren von den Dachbalken in die locker aufgeschichteten Heubulten gesprungen und lachend bis zu den Armen darin versunken.

Aber das schien Ewigkeiten her zu sein. Hannes war jetzt bei der Wehrmacht, irgendwo in Belgien. Seit der große Bruder weg war, hatte Bernie sich zu einer furchtbaren Nervensäge entwickelt, und mit ihm war nichts mehr anzufangen. Und Elli selbst saß ihr Jahr in dieser blöden Haushaltsschule in Brake ab.

Missmutig nahm sie die Forke, stach in ein Bündel Heu und hob es hoch, um es zur Heuluke zu tragen, als sie plötzlich ein Geräusch hörte. Es kam aus der hintersten Ecke des Heubodens, die tief im Schatten lag, und es klang, als versuchte jemand krampfhaft, ein Husten zu unterdrücken.

Elli blieb stocksteif stehen und hielt den Atem an. Ihr Herz schlug bis zum Hals, während sie lauschte.

Jetzt war wieder alles still.

Vermutlich nur eine der Katzen, beruhigte sie sich und schüttelte den Kopf über ihre eigene Schreckhaftigkeit. Doch gerade, als sie weitergehen wollte, hörte sie es wieder. Diesmal war es eindeutig. Dahinten, in der Dunkelheit unter dem Dach, war jemand.

»Hallo?«, rief sie heiser, legte das Bündel Heu vor sich auf den Holzboden, packte die Heugabel fest mit beiden Händen und hielt sie wie eine Waffe vor sich. »Ist da jemand?«

Keine Antwort. Kein Geräusch.

»Bernie?«

Immer noch Stille.

»Bernie, bist du das?« Elli horchte einen Augenblick angestrengt. »Komm schon, sag was! Wenn du mich erschrecken wolltest, herzlichen Glückwunsch, das hast du geschafft, du blöde kleine Pestbeule!«

Aber es kam keine Antwort, nur ein unterdrücktes Keuchen war zu hören.

»Hallo? Wer ist da?« Zögernd ging sie zwei Schritte auf die dunkle Ecke zu, aus der das Geräusch gekommen war. Von dieser Position aus konnte sie vage eine Gestalt erkennen, die sich im hintersten, dunkelsten Winkel im Heu zusammengekauert hatte.

»Los! Rauskommen da! Aber sofort, sonst rufe ich die Hunde!« Sie versuchte, mutiger zu klingen, als sie sich fühlte. Dass der alte Flocki, der einzige Hund auf dem Brunshof, vor Fremden immer sofort Reißaus nahm, sagte sie wohlweislich nicht. »Und mein Vater ist unten im Stall. Und die Knechte! Ich muss nur einmal rufen, und dann …«

»Bitte«, ächzte eine männliche Stimme. »Bitte, nicht …« Ein kehliges Geräusch folgte, etwas zwischen Husten und Schluchzen, dann ein Rascheln, als die Gestalt sich langsam ein Stück auf sie zubewegte. »Ich komme ja schon.«

Elli hielt die Heugabel immer noch fest umklammert und streckte die spitzen Zinken dem Fremden entgegen, der sich aus dem Dunkel vor ihr löste. Er kroch Stück für Stück auf sie zu, erhob sich auf die Knie und legte die Hände hinter den Kopf.

»Ich geb auf …«, stieß er hervor. Er holte zitternd Luft, und ein würgendes Geräusch entrang sich seiner Kehle, während ihm die Tränen in die Augen schossen.

Einen endlosen Augenblick lang starrten die beiden sich an, dann ließ Elli die Forke langsam sinken. Trotz des trüben Lichtes erkannte sie deutlich, dass das kein Erwachsener war. Vor Elli kniete ein Junge, vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Über seiner blauen Matrosenuniform trug er einen dunklen Wollmantel, der vorn offen stand und ihm mindestens zwei Nummern zu groß war. Seine Kleidung war über und über mit Kleierde beschmiert, die zu hellgrauen Streifen getrocknet war.

»Was machst du denn hier?«

Ihn zu siezen kam Elli gar nicht erst in den Sinn. Der Junge sah sie nur wortlos an. Dann krümmte er sich von Schluchzern geschüttelt zusammen und verbarg sein Gesicht hinter den Ellenbogen, ohne die Hände vom Hinterkopf zu nehmen.

Ellis Angst war verschwunden. Noch nie in ihrem Leben hatte sie jemanden so verzweifelt weinen sehen. Ihr Innerstes zog sich vor Mitleid schmerzhaft zusammen.

Sie stach die Forke in den Heuhaufen neben sich und begann, ihre Schürzentaschen zu durchwühlen. Schließlich zog sie ihr Taschentuch heraus und streckte es ihm entgegen. Der Junge nahm es gar nicht wahr. Erst als Elli sich neben ihm auf die Knie niederließ und ihn an der Schulter berührte, drehte er sich zu ihr herum.

»Na, komm schon, nimm die Hände runter! Ich tu dir nichts.«

Zögernd senkte er die Arme, sah zu Elli auf und holte tief und zitternd Luft. Er ergriff das Taschentuch, das sie ihm noch immer hinhielt, wischte sich damit die Augen und putzte sich gehorsam die Nase. Einen Moment schien er unschlüssig, was er jetzt damit machen sollte, dann steckte er es in seine Manteltasche.

»Besser?« Elli lächelte ihm zu, erhob sich und streckte ihm eine Hand entgegen.

»Ja«, antwortete er heiser. »Besser, danke.« Er griff nach ihrer Hand und zog sich mühsam hoch. »Mir ist nur schwindlig.«

Als er schwankend vor ihr stand, stellte sie fest, dass er nicht viel größer war als sie selbst und dünn wie ein Kleiderhaken. Seine Wangen mit den dunklen Bartstoppeln waren eingefallen, sodass die Wangenknochen deutlich hervortraten, und bläuliche Ringe lagen unter seinen dunklen Augen. Ein paar Mal holte er tief Luft.

»Ich glaube, ich setze mich lieber wieder«, sagte er dann und ließ sich auf den Boden sinken.

»Alles in Ordnung?«, fragte Elli.

Der Fremde nickte. »Ja. Geht schon wieder.« Einen Moment lang schloss er die Augen und atmete tief ein und aus. »Ich hab nur so furchtbaren Durst.«

Ellis Entschluss war sofort gefasst.

»Warte hier, ich hol dir was zu trinken«, sagte sie entschieden.

So schnell und leise sie konnte, stieg sie die Leiter hinunter und lief über die Dreschdiele. Sie hatte Glück, noch war niemand zu sehen, weder im Kälberstall noch in der Milchkammer. Sachte zog sie die Tür zum Kuhstall ein Stückchen auf. Dort war nur Victor, der hinter den Kühen ausmistete. Der alte Hinnerk und Papa waren vermutlich immer noch bei den Nachbarn. Elli schlüpfte in die Milchkammer, griff nach einer der kleinen Literkannen, die zum Trocknen an der Wand hingen, und stellte sie unter den Wasserhahn.

Einen Augenblick lang überlegte sie, dem fremden Jungen auch noch etwas zu essen zu besorgen, aber in der Küche war ihre Mutter vermutlich noch immer mit den Äpfeln beschäftigt.

Später. Nach dem Abendessen.

Die kleine Milchkanne war rasch gefüllt, und Elli kehrte damit, so schnell sie konnte, zu dem Jungen auf dem Heuboden zurück.

Der Fremde lag lang ausgestreckt auf dem Rücken, die Augen geschlossen, doch als er sie kommen hörte, richtete er sich auf.

»Ich hab dir Wasser geholt«, sagte sie und reichte ihm die Kanne. »Es schmeckt vielleicht ein bisschen komisch, weil es aus dem Brunnen kommt.«

Er griff danach und begann gierig zu trinken, wobei ihm ein schmales Rinnsal den Hals hinunter in den Kragen lief.

»Langsam!«, warnte Elli. »Sonst kommt dir gleich alles wieder hoch.« Aber er setzte die Kanne nicht ab, ehe sie nicht leer war. Dann stellte er sie neben sich und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Das hat gutgetan«, flüsterte er. »Danke!«

Seine Augen suchten ihre, und eine kleine Ewigkeit hielten sich ihre Blicke aneinander fest.

»Also sag schon, wo kommst du her?«, fragte Elli schließlich in die Stille hinein. Sie setzte sich neben ihn auf den heubedeckten Boden.

»Aus Wilhelmshaven. Eigentlich aus Köln. In Wilhelmshaven war ich als Marinehelfer bei der Flak.«

Als sie begriff, wurden Ellis Augen groß vor Entsetzen.

»O Gott, du bist doch nicht etwa desertiert?«, stieß sie hervor.

Das Gesicht des jungen Mannes verzerrte sich, und er drehte sich weg.

Elli wartete geduldig, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er stockend und leise erzählen konnte. Davon, dass er seit fast einem Jahr zusammen mit anderen Hitlerjungen an einer Flakstellung der Marine in Wilhelmshaven stationiert gewesen war, wo sie eine der schweren Flugabwehrkanonen bedient hatten, die den Hafen vor den Luftangriffen der Alliierten verteidigen sollten. Seine Zeit sei so gut wie vorbei gewesen. Er habe eigentlich jeden Tag mit seinem Marschbefehl an die Front gerechnet. Und dann sei dieser Angriff gekommen. Flieger über Flieger, Bomben über Bomben. So viele wie nie zuvor. Die halbe Nacht lang, bis die ganze Stadt lichterloh gebrannt habe. Das hätten sie von ihrer Stellung aus genau sehen können, er und die vier anderen Flakhelfer. Der ganze Himmel voller Rauch und Feuer. Und darüber glitzernd und funkelnd lauter Weihnachtsbäume. So hatten sie die Zielmarkierungen genannt, die den Bombern den Weg weisen sollten. Und dann, ganz plötzlich, ein Sirren und Pfeifen, so hoch und schrill, dass es in den Ohren wehgetan habe, gefolgt von einem gewaltigen Krachen.

»Es hat mich einfach von den Füßen gerissen. Bin durch die Luft geflogen, die Arme hoch über dem Kopf. Irgendwo aufs Pflaster aufgeschlagen. Lauter Steine prasselten auf mich runter. Meine Ohren dröhnten, und ich sah nur noch weiße Flecken. Keine Ahnung, wie lange ich da gelegen habe. Irgendwann hab ich mich aufgerappelt und bin zu den anderen zurückgekrochen. Das Geschütz war umgefallen. Nur noch verbogenes Blech, von der Bombe zerfetzt. Und dann sah ich Ewald. Er lag in einer Pfütze neben dem Geschütz. Sein Kopf … o Gott, sein Kopf … seine Augen …«

Der Junge hielt sich den Mund zu und atmete ein paar Mal tief ein und aus.

»Seine Stirn, seine Haare … alles weg. Ein blutiges Loch. Nur seine Augen … die Augen, die waren noch da. Starrten mich an … Ich seh den Blick noch …«

Wieder brauchte er einen Moment, ehe er weiterreden konnte. »Ich sehe immerzu seine Augen, die mich anstarren. Dann weiß ich nur noch, dass ich gerannt bin. Immer weiter und weiter, nur gerannt. Stundenlang.«

Er brach ab, zog Ellis Taschentuch aus der Manteltasche und benutzte es erneut. Elli konnte sehen, dass seine Schultern zuckten.

»Und dann?«

»Irgendwann, als meine Beine nicht mehr wollten, hab ich mich in einem Schuppen versteckt. Dann wieder weiter. Immer querfeldein oder über Feldwege. Wenn ich nicht mehr konnte, hab ich mich verkrochen und gehofft und gebetet, dass mich niemand findet. Vier Tage lang ging das so, und seit gestern Abend bin ich hier.« Er zeigte auf sein Versteck in der hintersten Ecke des Heubodens.

»Und was soll jetzt werden?«, fragte Elli nach einer Weile leise.

»Keine Ahnung, ich weiß es nicht.« Der junge Mann zog hilflos die Schultern hoch. »Wenn die Feldjäger mich erwischen, stellen sie mich sofort an die Wand, so viel ist sicher.« Er fuhr sich mit der Rechten durch die strähnigen schwarzen Locken, die ihm tief in die Stirn fielen, und biss sich auf die aufgeplatzten Lippen. »Da reden sie bei der Hitlerjugend immer davon, wie ruhmreich es wäre, für Volk und Vaterland sein Leben zu opfern. Schwachsinn!« Er spuckte die Worte förmlich aus. »Was ist denn so ruhmreich daran, wenn dein Schädel aufplatzt und das Hirn über die Pflastersteine spritzt? Niemand sagt dir, wie es wirklich ist, wenn um dich herum die Hölle losbricht.«

Elli holte tief Luft. »Ja, wenn die Hölle losbricht …«

Sie spürte, wie plötzlich wieder die Bilder in ihr hochschossen, die sie nachts in ihre Träume verfolgten. Sie sah die schmale Klinkerstraße kurz hinter Ovelgönne, sah Martha auf dem Rad neben sich, wie sie lachend den Kopf schüttelte, dass ihre roten Zöpfe flogen. Hörte das Motorengeräusch, das immer lauter und lauter wurde. Blickte in das verzerrte Gesicht ihrer Freundin, die etwas schrie, was Elli nicht verstehen konnte. Links von ihr wurden Grassoden von peitschenden Geschossen hochgerissen und flogen durch die Luft. Martha sprang vom Fahrrad, das scheppernd umfiel, und ließ sich kopfüber in den nächsten Graben fallen. Wie sie selber vom Rad gekommen war, wusste Elli nicht. Plötzlich stand sie stocksteif mitten auf der Straße. Ihre Knie schlotterten, die Zähne schlugen aufeinander, aber sie konnte sich nicht bewegen. Kugeln schlugen neben ihr in die Klinker, die Splitter flogen um ihre nackten Beine. Elli hörte Martha schreien, immer lauter und immer schriller, aber sie war wie gelähmt, konnte keinen Muskel rühren, starrte nur nach oben auf das Flugzeug. Sie fühlte, wie eine Hand ihren Arm packte und an ihr zerrte. Marthas Stimme gellte in ihren Ohren. »Tiefflieger! Tiefflieger!« Sie sah die Freundin neben sich, triefnass und schmutzig bis zu den Haarspitzen. Las die Todesangst in ihren Augen und ließ sich endlich von ihr in den Graben ziehen.

Dann war der Flieger so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. Eng aneinandergeklammert hatten die beiden Mädchen zitternd in dem Graben gekauert, bis zu den Schultern im schlammigen, eiskalten Wasser. Sie hatten kaum zu atmen gewagt und mit gesenkten Köpfen gelauscht, ob das Motorengeräusch vielleicht zurückkäme. Es hatte Stunden gedauert, bis sie sich getraut hatten, nach Hause zu fahren.

Elli schaute den Jungen an, der neben ihr auf dem Heuboden saß. Oh ja, sie wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn die Hölle losbrach.

Unten in der Dreschdiele klappte eine Tür.

»Muschen? Bist du noch da oben?«, rief die Stimme ihres Vaters.

Elli legte einen Zeigefinger an ihre Lippen und warf dem Fremden einen eindringlichen Blick zu. Dann stand sie auf und nahm die Forke zur Hand. »Ja, Papa, ich bin hier! Ich muss nur noch eben Heu abwerfen, ich komme gleich zum Melken runter!«

»Beeil dich, es wird doch schon dunkel. Siehst du da oben überhaupt noch was?«

»Ja, Papa, das geht schon noch. Ich mach schnell.«

Die Tür schlug wieder zu.

»Versteck dich lieber wieder!«, flüsterte Elli. »Ich muss jetzt die Bodenluke aufmachen.«

So schnell sie konnte, schaufelte sie das Heu durch die Luke in die Viehdiele hinunter. Dann verschloss sie die Holzklappe wieder sorgfältig.

»Ich muss jetzt runter und beim Melken helfen«, sagte sie in das Halbdunkel, wo sie den jungen Mann vermutete. »Aber ich komm später noch mal wieder und bringe dir was zu essen und zu trinken.«

Sie konnte seine Gegenwart spüren, noch ehe er sie berührte. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest.

»Warum tust du das?«, fragte er.

Weil ich auch weiß, wie sich die Hölle anfühlt, wollte sie sagen, aber sie brachte den Satz nicht heraus. Verlegen zog sie die Schultern hoch und lächelte.

Einen Moment lang herrschte Stille, aber sie spürte, wie seine Hand die ihre drückte.

»Ich kenne nicht einmal deinen Namen«, flüsterte er.

»Ich heiße Elli.«

»Und mein Name ist Georg, Georg Weber.«

3

Jemanden aus einer plötzlichen Gefühlsregung heraus retten zu wollen, war die eine Sache. Es dann auch wirklich in die Tat umzusetzen, war etwas völlig anderes. Das musste Elli noch am selben Abend feststellen.

Während des Melkens dachte sie fieberhaft darüber nach, wie sie unauffällig etwas zu essen und zu trinken und ein paar Decken für Georg beschaffen könnte.

Fürs Erste musste es reichen, ihm Brote zu machen. Das würde am schnellsten und einfachsten gehen. Schwarzbrot mit Leberwurst oder der fetten Dauerwurst vielleicht. Davon würde er wenigstens satt werden.

Und zu trinken? Vielleicht könnte sie aus dem Keller eine Flasche Johannisbeersaft holen. Sie wusste genau, wo Mutter ihn versteckt hatte. Es waren nur noch wenige Flaschen übrig. Seit der Zucker so knapp war, hatten sie keinen mehr einkochen können. Aber wenn Georg das Brunnenwasser mit dem Saft vermischte, wäre der Geschmack nach Eisen vielleicht nicht mehr so schlimm. Das Wasser schmeckte, als hätte man sich auf die Zunge gebissen und der ganze Mund wäre voller Blut, sagte Hannes immer.

Tief in Gedanken versunken kraulte Elli der schwarzen Färse neben sich die Schwanzwurzel. Die junge Kuh drückte das Kreuz durch und hob den Schwanz ein wenig an. Elli klopfte gegen ihren Schenkel. »Nun geh doch mal einen Schritt zur Seite!«

Vom schmalen Gropengang, der hinter den Kühen entlangführte, holte sie einen dreibeinigen Melkschemel, stellte ihn zwischen die Färse und die alte Liese und setzte sich. Mit einem Tuch wischte sie der alten Liese die Zitzen ab, ehe sie zu melken begann. Elli genoss die Wärme, die das Tier ausströmte, und lehnte ihre Stirn an das kurze weiße Fell von Lieses Bauch, während sie sich den Zinkeimer zwischen die Beine klemmte und nach dem Euter griff.

Eigentlich hatten die Kühe keine Namen, aber die alte Liese war eine Ausnahme. Sie war genauso alt wie Elli selbst, fünfzehn Jahre, sechzehn im März, aber weil sie so lammfromm war und immer noch jedes Jahr ein gesundes Kalb auf die Welt brachte, blieb sie auf dem Brunshof, auch wenn sie nicht mehr so viel Milch gab wie früher.

Georg brauchte etwas zum Anziehen, überlegte Elli, während sie nach den Zitzen der Kuh griff und die Milch in scharfem Strahl in den Eimer schoss. Die Uniform musste weg. Vermutlich würden ihm Hannes’ Sachen einigermaßen passen, aber die lagen im Kleiderschrank in seiner Kammer, in der jetzt Bernie schlief. Wie sollte sie da nur hineinkommen, ohne dass er etwas mitbekommen und sofort zu Mutter laufen und petzen würde?

Elli stöhnte. Bernie! Was, wenn der kleine Schnüffler auf den Heuboden ging?

Sowieso, der Heuboden! Dort konnte Georg nicht bleiben. Ständig musste jemand dort hinauf, und im Winter würde es da oben, direkt unter dem Dach, bitterkalt werden. Nur, wo sollte er dann hin? Elli kaute auf ihrer Unterlippe und schloss die Augen, während sie weiter mechanisch die Hände bewegte.

»Du wirst ihr noch die Zitzen abreißen.« Die Stimme ihres Vaters riss sie aus ihren Gedanken. »Da kommt doch schon gar nichts mehr!«

Anton Bruns stand hinter der alten Liese und schubberte mit den Fingernägeln über die Haut an den Hüftknochen, woraufhin die alte Kuh den Kopf nach hinten drehte, so weit es die Kette zuließ, und zufrieden durch die Nüstern schnaubte.

»Was macht sie nur mit dir, Liese?«, fragte der Bauer und lachte leise.

Ellis Vater war jetzt fast dreiundvierzig Jahre alt und noch immer ein gut aussehender Mann. In die dichten dunklen Haare, die er jeden Morgen mit Brillantine sorgfältig nach hinten frisierte, mischten sich inzwischen silberne Fäden, besonders an den schmalen Schläfen wurde er grau. Aber seine klugen himmelblauen Augen waren hellwach, und sein Lächeln hatte trotz des gestutzten Bärtchens über der Oberlippe etwas Jungenhaftes.

Er führte den Brunshof seit mittlerweile vier Jahren, seit sein jüngerer Bruder Johann gefallen war und der Familienbetrieb keinen Erben mehr hatte. Damals war Anton mit seiner Familie von Schwei, wo er einen Hof gepachtet hatte, nach Frieschenmoor zurückgekehrt. Ein halbes Jahr später hatte sich sein Vater aufs Altenteil zurückgezogen und half seitdem nur noch gelegentlich im Stall. Jetzt war Anton Bruns der Bauer, und sein Vater Gustav hatte versprochen, ihm freie Hand zu lassen und sich nicht einzumischen, als er ihm den Hof übergeben hatte.

»Wo bist du heute bloß mit deinen Gedanken, Muschen?«, fragte Ellis Vater, holte seinen Tabaksbeutel aus der Hosentasche und nahm ein Zigarettenpapier heraus. Geschickt drehte er sich eine dünne Zigarette, die er mit einem Sturmfeuerzeug anzündete, und zog den Rauch tief in die Lunge. Mit den Fingerspitzen zog er einen Tabakfaden von seiner Zunge, während die Zigarette fest zwischen den gelb verfärbten Fingern klemmte. »Wir müssen sehen, dass wir fertig werden. In einer halben Stunde kommt der Milchwagen.«

Elli senkte den Kopf. »Ja, Papa. Ich beeil mich.«

Sie nahm den Milcheimer am Henkel und erhob sich hastig. Um ein Haar hätte sie ihn umgestoßen.

Anton warf ihr einen kurzen prüfenden Blick zu. »Ist etwas?«

»Nein, was soll denn sein?«, antworte sie leichthin, trat auf den Gropengang und schob sich an ihrem Vater vorbei, wobei sie seinem Blick auswich.

In der Milchkammer schüttete Elli die warme Milch langsam durch einen großen Filter in eine der Milchkannen.

»Du musst lernen, entschieden besser zu lügen, und zwar ganz schnell«, sagte sie zu sich selbst, während sie zusah, wie der Spiegel der Flüssigkeit immer weiter sank und schließlich nur ein kleiner Rest Milchschaum auf dem Filter stehen blieb.

Die letzten vier Kühe ließ Elli ihren Vater und Victor allein melken. Sie ging in die Küche, um zusammen mit ihrer Mutter das Abendbrot vorzubereiten.

Elli legte eine Torfsode auf die Glut im Küchenofen, stellte die große gusseiserne Pfanne auf die Kochstelle, gab Schmalz hinein und begann, kalte Kartoffeln vom Vortag hineinzuschneiden. Auf die zweite Kochstelle kam der gefüllte Wasserkessel. Ihre Mutter schnitt in der Zwischenzeit Graubrot und Schwarzbrot in Scheiben und stellte Dauerwurst und Käse auf den Tisch.

»Was meinst du, soll ich noch ein Glas Gurken aus dem Keller holen?«, fragte Elli, ohne aufzusehen, und versuchte dabei, so beiläufig wie möglich zu klingen.

»Ja, mach das«, antwortete ihre Mutter, während sie den Tisch deckte.

Elli ging in den Wohnflur und öffnete die Kellertür, drehte den Lichtschalter und stieg die steile Treppe hinunter. Auf langen Holzborden standen hier dicht an dicht die Gläser, in denen ihre Mutter und sie Obst und Gemüse einweckt hatten: Erbsen, Möhren, süßsaure Gurken und Kürbisstücke und jede Menge Bohnen. Weiter hinten waren die Gläser mit Äpfeln, Pflaumen und Birnen. Neben dem hintersten Regal standen zwei große Steinguttöpfe mit Sauerkraut auf dem Boden, hinter denen ihre Mutter die letzten Flaschen Johannisbeersaft versteckt hatte.

Ein Anflug von schlechtem Gewissen ließ Elli kurz zögern, dann nahm sie eine der Flaschen und ein Glas süßsaure Gurken und stieg eilig die Treppe wieder hinauf.

Aber wohin jetzt damit? Elli brauchte einen Platz, um die Flasche zu verstecken. Später, wenn sie zu dem Jungen auf dem Heuboden zurückkehren würde, musste sie sie unauffällig an sich nehmen können. Ihr Blick wanderte suchend über das Möbelsammelsurium im Wohnflur, wo ein Teil der Schränke stand, die ihre Mutter als Mitgift mit in die Ehe gebracht hatte.

Der alte Wäscheschrank neben der Tür zur guten Stube? Nein, da quietschten die Türen. Bei der schwarzen Vitrine, die zwischen der Stuben- und der Schlafzimmertür stand, klemmte das Schloss und ließ sich nur schwer öffnen.

Ellis Blick fiel auf das alte Klavier neben der Kellertür, das Mutter von ihrem Vater geerbt hatte, ein nussbaumfurniertes Monstrum mit geschnitzten Ornamenten und Kerzenhaltern aus Messing. Niemand im Haus konnte darauf spielen. Das Klavier war seit Jahren nicht mehr gestimmt worden und hatte beim Umzug von Schwei hierher sehr gelitten. An einigen Stellen hob sich das Furnier in Wellen vom darunterliegenden Holz ab. Eigentlich war es nichts als ein nutzloser Staubfänger, aber Willa Bruns schien sehr daran zu hängen. Die Flasche mit dem Johannisbeersaft passte jedenfalls genau in die Lücke zwischen dem Klavier und der Wand dahinter.

Eilig brachte Elli die Gurken in die Küche, rührte die Bratkartoffeln noch einmal um und warf einen Blick auf die Uhr.

»Soll ich Oma und Opa schon zum Essen rufen?«, fragte sie. »Die Männer müssten ja auch gleich reinkommen.«

Ihre Mutter war damit beschäftigt, Schinken in feine Würfel zu schneiden. »Ja, mach nur!«, sagte sie, ohne aufzuschauen. »Und sag auch gleich Bernie Bescheid. Der sitzt in der Stube und hört Radio.«

Elli verdrehte die Augen. Das war wieder mal typisch. Egal, was es zu tun gab, Bernie fand einen Weg, sich zu drücken, und kam immer irgendwie damit durch. Aber sie hätte es nie gewagt, sich bei ihrer Mutter darüber zu beklagen, dass Bernie bevorzugt wurde. Mutter würde vermutlich in scharfem Ton darauf hinweisen, dass Elli ja schon beinahe erwachsen und Bernie noch ein Kind von gerade mal zehn Jahren sei. Das wäre also überhaupt nicht vergleichbar. Und dann würde Mutter eine ganze Liste mit Dingen aufzählen, die Elli noch zu erledigen hatte.

Wortlos ging sie zurück in den Wohnflur und steckte den Kopf durch die Tür zur kleinen Stube, die der Küchentür gegenüberlag. Auf der Anrichte neben dem Volksempfänger brannte eine kleine Lampe, sonst war der Raum völlig dunkel. Von ihrem Bruder war nichts zu sehen. Das Radio knisterte und rauschte.

»Bernie! Hast du schon wieder daran herumgedreht?«, rief Elli. »Du weißt doch, dass du den Volksempfänger nicht anfassen sollst, weil der sonst kaputtgeht!«

Sie betrat die Stube und schaltete das Radio aus. Helles Lachen kam unter dem Tisch hervor.

»Ach, da bist du«, sagte Elli. »Na, komm schon, es gibt Abendbrot!«

Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ die Wohnstube. Eiligen Schrittes lief sie die Treppe hinauf, wo ihre Großeltern zwei Zimmer als Altenteil bewohnten. Elli klopfte an die Tür zu ihrer kleinen Wohnküche und öffnete sie.

»Ach, Elli«, sagte ihre Großmutter, die auf dem Sofa neben dem verdunkelten Fenster saß und im Schein der Stehlampe strickte, während ihr Großvater in der Zeitung las. »Ich dachte, du kommst wohl heute Nachmittag zum Teetrinken herauf.«

»Tut mir leid, Oma, aber wir haben den Rest Äpfel eingemacht. Und danach …« Elli stockte kurz, als sie an den Jungen auf dem Heuboden dachte. »Danach bin ich im Stall gewesen.«

Mathilde Bruns, die von allen nur Tilly gerufen wurde, schüttelte missbilligend den Kopf. »Wenn sie mir Bescheid gesagt hätte, wäre ich runtergekommen. Ich hätte doch helfen können.«

Mit sie meinte Tilly Ellis Mutter Willa. Tilly Bruns nannte nie ihren Namen, sagte immer nur sie, wenn sie von ihrer Schwiegertochter sprach.

»Ach, Mutter hat es bestimmt nicht böse gemeint. Sie wollte nur nicht, dass du dich extra die Treppe hinunterquälst.« Elli bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall und fragte sich gleichzeitig, warum sie ihre Mutter eigentlich immer wieder in Schutz nahm. »Es waren ja nur ein paar Gläser, die wir eingekocht haben. Das hätte sich gar nicht gelohnt.«

»Komm, lass gut sein, Tilly.« Gustav Bruns griff über den Tisch und legte seine Hand auf die seiner Frau. »Die Deern kann doch nichts dafür.«

»Nein, Elli ist ein gutes Mädchen.« Tilly Bruns lächelte und streckte ihre Hand der Enkeltochter entgegen.

Elli ergriff sie und lächelte zurück. »Ich soll Bescheid sagen, dass das Essen auf dem Tisch steht«, sagte sie. »Kommt ihr runter?«

Gustav warf seiner Frau einen schnellen Blick zu. »Sag deiner Mutter, dass wir gleich kommen«, sagte er.

Elli nickte und ging hinaus.

Gegenüber von Omas und Opas Wohnküche war die Tür zu Bernies und Hannes’ Zimmer.

Jetzt oder nie!, dachte Elli, holte tief Luft, drückte die Klinke hinunter und machte die Tür vorsichtig auf. Sie knarrte etwas, wenn man sie zu schnell öffnete. Elli schlüpfte ins Zimmer, zog die Tür hinter sich zu und tastete nach der Nachttischlampe neben Bernies Bett. Sie hoffte, dass niemand den Lichtschein bemerken würde, der durchs Fenster nach draußen fiel. Ihr blieb keine Zeit, die Rollos herunterzulassen. Hastig öffnete sie Hannes’ Schrank, zog wahllos ein paar Kleidungsstücke heraus und warf sie auf Hannes’ Bett. Eines der Hemden wickelte sie um das Kleiderbündel und verknotete die Ärmel. Einen Moment lang dachte sie daran, auch den Bettüberwurf als Decke für Georg mitzunehmen, verwarf die Idee aber gleich wieder. Wenn der weg wäre, würde das ja sofort auffallen. Sie war schon im Begriff, den Raum wieder zu verlassen, als ihr etwas einfiel und sie Hannes’ Schrank erneut zu durchwühlen begann. Hier irgendwo musste Hannes’ letztes Weihnachtsgeschenk sein. Endlich fand sie unter seinen Socken das Ledermäppchen mit der kleinen Dynamo-Taschenlampe und stopfte es in das Bündel unter ihrem Arm. Hannes würde verstehen, warum sie die Lampe nehmen musste. Zumindest hoffte sie das.

Sie löschte das Licht und lauschte angestrengt an der Tür. Alles war still. Vorsichtig drückte sie die Klinke hinunter und schob die Tür einen Spaltbreit auf. In diesem Moment wurde die Tür gegenüber geöffnet, und Ellis Großeltern kamen heraus.

Elli wagte nicht zu atmen und hielt die Klinke fest umklammert. Aber Gustav und Tilly unterhielten sich leise miteinander und bemerkten offensichtlich weder den Türspalt noch ihre Enkeltochter dahinter.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die beiden alten Leute die steile Treppe hinuntergestiegen waren. Ellis Herzschlag dröhnte in ihren Ohren. Hastig verließ sie das Zimmer der Brüder und lief zu ihrer eigenen Kammer hinüber, wo sie das Kleiderbündel von der Tür aus aufs Bett warf, um dann, so schnell sie konnte, die Treppe nach unten zu hetzen.

Als sie die Küche betrat, hatten sich bereits alle bis auf ihre Mutter um den großen Küchentisch versammelt. Willa stand neben Hinnerks Stuhl und goss ihm Tee ein.

»Wo bleibst du denn, Mädchen?«, schimpfte sie. »Jetzt sind die Bratkartoffeln angebrannt!«

»Entschuldigung«, sagte Elli betreten. »Ich hab mir nur noch schnell ein Taschentuch geholt.«

»Und es dauert so lange, bis du Taschentücher findest?« Willa schüttelte den Kopf.

Elli antwortete nicht, sondern zog mit hochrotem Kopf ihren Stuhl zurück und setzte sich. Sie nahm sich einen Löffel von den angebrannten Bratkartoffeln, stocherte darin herum und gab sich alle Mühe, wenigstens ein paar Bissen herunterzubekommen. Von der Unterhaltung am Abendbrottisch bekam sie nichts mit. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, zu überlegen, wie sie es anstellen sollte, Brote zu schmieren und die Sachen für Georg unauffällig auf den Heuboden zu bringen.

Ungeduldig wartete sie darauf, dass ihr Vater seinen Tabak herausholte, um sich eine Zigarette zu drehen. Das war für alle das Zeichen, dass das Abendessen beendet war. Victor und Hinnerk erhoben sich, wünschten eine gute Nacht und gingen durch die Küchentür zum Vorflur hinaus in die Viehdiele. Sie würden jetzt noch einen letzten Rundgang durch die Ställe machen und schauen, ob alles in Ordnung war, um danach in der Knechtekammer neben dem Pferdestall zu Bett zu gehen.

Auch Ellis Vater stand auf.

»So, Bernie! Abmarsch!«, sagte er zu seinem Jüngsten. »Kannst noch eine halbe Stunde lesen, aber dann wird geschlafen. Morgen ist auch noch ein Tag.«

Bernie zog eine Flunsch. »Ich will aber noch mit euch Radio hören!«

»Kinder mit ’nem Willen kriegen was auf die Brillen«, sagte Anton Bruns, aber er lachte dabei. »Nichts da, morgen ist Schule! Los, ab nach oben!«

Maulend erhob sich Bernie von seinem Stuhl und schlich betont langsam aus der Küche.

»Kommt ihr noch mit rüber in die Stube?«, fragte Anton in Richtung seiner Eltern, aber sein Vater winkte ab. »Nein, lass mal, min Jung. Ich muss meine Zeitung noch zu Ende lesen, und dann gehen wir früh ins Bett, nicht wahr, Tilly?«

Tilly schob ihre dünne Nickelbrille hoch und nickte.

Elli hatte begonnen, den Tisch abzuräumen. »Ich geh auch gleich nach oben, wenn ich hier fertig bin, Papa«, sagte sie. »Ich hab den ganzen Tag schon ein bisschen Kopfschmerzen gehabt und gehe heute lieber früh ins Bett.«

»Nanu, wirst du krank?«

»Nein! Ich glaub nicht. Morgen ist es bestimmt wieder weg.«

Elli wich dem fragenden Blick ihres Vaters aus, nahm die Teller und trug sie zum Spülstein hinüber. »Lass nur, Mutter«, sagte sie. »Ich mach hier schon alles fertig.«

Ihre Mutter, die gerade heißes Wasser aus dem Kessel in den Spülstein goss, warf ihr unter hochgezogenen Augenbrauen einen fragenden Blick zu. Sie schien eine spitze Bemerkung auf den Lippen zu haben, dann aber lächelte sie, nahm die Schürze ab und hängte sie an den Haken neben dem Herd. Mit einer schnellen Bewegung fuhr sie über ihr farblos-blondes Haar und prüfte, ob der kleine Knoten in ihrem Nacken sich nicht auflöste, ehe sie sich in der Tür noch einmal umwandte.

»Vielleicht solltest du dich zum Schlafen mit dem Kopf auf eine Wolljacke legen. Das hilft gegen Kopfschmerzen.«

Eine halbe Stunde später hatte Elli alles Geschirr abgewaschen, abgetrocknet und in den Küchenschrank geräumt. Der Packen Butterbrote, den sie geschmiert hatte, war in Pergamentpapier eingeschlagen und lag auf dem Küchentisch.

Wenn das mal bis morgen Mittag reicht!, dachte sie zweifelnd, während sie das Paket musterte. Vor der Schule würde sie es nicht schaffen, dem Jungen noch etwas zu essen zu bringen.

Sie löschte das Licht in der Küche, steckte noch kurz den Kopf in die kleine Stube und sagte den Eltern Gute Nacht. Auf dem Weg zur Treppe holte sie die Saftflasche aus dem Versteck, ging dann geräuschvoll hinauf, damit es auch jeder hörte, und verschwand in ihrer Schlafkammer.

Reglos saß Elli auf ihrem Bett und versuchte, trotz des wilden Herzklopfens, das ihr in den Ohren dröhnte, in die Dunkelheit zu lauschen. Schließlich holte sie tief Luft, steckte Saftflasche und Brotpaket mit in das Kleiderbündel, das sie sich unter den Arm klemmte, und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.

Alles war ruhig.

Elli wusste genau, welche Treppenstufe immer etwas knarrte, wenn man darauftrat, und überging sie wohlweislich. Aus der Stube unten schallte leise Musik, ihre Eltern hörten das Wunschkonzert. Elli glaubte, Zarah Leanders Stimme zu erkennen, als sie an der Wohnstube vorbeischlich und die Küchentür öffnete. Es war stockdunkel, aber sie wagte es nicht, Licht zu machen, sondern ertastete ihren Weg durch die Küche, dann durch den Vorflur und von da aus weiter in den Kälberstall. Erst hier schaltete sie das Licht ein.

Der alte Flocki, der es sich im Stroh in einem der leeren Kälberkofen gemütlich gemacht hatte, hob den Kopf, als sie vorbeiging. Er winselte leise, sein Schweif klopfte auf den Boden, und er machte Anstalten, aufzustehen. Elli beugte sich über die hölzerne Wand des Verschlags und tätschelte ihm den Kopf.

»Nein«, flüsterte Elli. »Du bleibst schön liegen! Mach Platz, Flocki!«

Der alte Hund ließ sich schwerfällig wieder im Stroh nieder und legte seinen Kopf auf die Vorderpfoten.

Elli lief weiter zur Milchkammer, wo sie eine der kleinen Milchkannen mit Wasser füllte und mitnahm. Im dunklen Vorflur blieb sie einen Moment lang stehen und lauschte an der Tür zur Küche, aber alles war still. Das Bündel fest unter den Arm geklemmt, den Holzgriff der Kanne in der Linken, tastete sie sich mit der Rechten an der Wand entlang bis zur Dreschdiele. Der Schein der kleinen Glühbirne neben der Tür reichte kaum bis zur Heubodenleiter. Vorsichtig tastete sich Elli im Dunkeln die Leiter hinauf, erst oben zog sie die Taschenlampe aus dem Bündel und begann an der kleinen Kurbel zu drehen.

Bis sie Georg gefunden hatte, verging eine Weile. Er lag ganz hinten im Heu, zusammengerollt auf der Seite. Seine Augen waren einen kleinen Spalt weit geöffnet und glitzerten im schwachen Schein der Taschenlampe. Eine Schrecksekunde lang glaubte Elli, er sei tot. Aber dann sah sie, dass sich sein Brustkorb hob und senkte. Er schlief tief und fest.

Sie ließ sich neben ihm auf die Knie nieder, berührte ihn an der Schulter und rief leise seinen Namen. Es dauerte einen Moment, bis er wach wurde. Elli drehte erneut die kleine Kurbel an der Taschenlampe, und das Licht, das schon fast erloschen war, flammte wieder auf.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie.

Georg räusperte sich und hustete.

»Ich weiß nicht«, sagte er mit rauer Stimme. »Sobald ich mich hinlege, schlafe ich ein. Keine Ahnung, warum.«

»Iss erst mal was, dann geht es dir bald besser.«

Sie packte die Brote aus und reichte sie ihm. Während er gierig darüber herfiel, goss sie einen Teil des Saftes in die Kanne mit dem Wasser und hielt sie ihm hin. Dann setzte sie sich neben ihn, umschlang die Knie mit den Armen und sah ihm beim Essen zu. Immer wenn die Taschenlampe auszugehen drohte, kurbelte sie ein paar Mal.

»Ich gehe jetzt besser wieder nach unten«, meinte sie schließlich und stand auf. »Du solltest zum Schlafen hinter den großen Heuhaufen kriechen, da wird dich niemand finden. Morgen ist Sonnabend. Ich muss zur Schule, aber ich bin mittags wieder da. Sobald meine Eltern Mittagsstunde machen, komme ich wieder und bring dir was Warmes zu essen und vor allem ein paar Decken. Ich hoffe, das geht heute Nacht auch so.«

Sie wartete nicht darauf, dass Georg antwortete. »Du musst nur weit genug ins Heu hineinkriechen und dich gut damit zudecken, dann wird dir nicht kalt. Ich hab dir ein paar Sachen zum Anziehen mitgebracht, die sind von meinem Bruder. Ich hoffe, sie passen dir einigermaßen. Du musst aus der Uniform raus. Und die Taschenlampe lass ich dir auch hier. Vielleicht brauchst du sie ja, wenn du … na ja … neben dem Schweinestall ist jedenfalls das Plumpsklo … Hauptsache, es sieht dich niemand!«

Sie streckte ihm die Hand mit der Taschenlampe entgegen.

Georg zögerte, ehe er danach griff, und erhob sich ebenfalls.

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, murmelte er.

»Dann sag am besten gar nichts. Oder einfach Danke!«

»Danke! Danke, Elli. Ich mach es wieder gut. Eines Tages werde ich es wiedergutmachen.«

Einen Moment lang war Elli so verlegen, dass sie nichts zu erwidern wusste.

»Kannst du mir vielleicht Licht machen, damit ich die Leiter finde?«, fragte sie leise.

Georg drehte an der kleinen Kurbel der Taschenlampe, während er neben ihr her zur Leiter ging, die über den Rand des Heubodens ragte.

»Und sei morgen früh ganz leise!«, schärfte sie ihm noch ein. »Ich weiß nicht, wer dann raufkommt, um Heu abzuwerfen. Gute Nacht! Bis morgen!«

Einen Augenblick schien es Elli, als wolle Georg sie umarmen, aber dann zögerte er und gab ihr stattdessen die Hand. »Gute Nacht, Elli!«

Sie lächelte ihm zu und kletterte zur Dreschdiele hinunter.

Als sie sich an der Tür zum Vorflur noch einmal umsah, glaubte sie, Georgs Silhouette noch immer oben an der Leiter stehen zu sehen.

Elli schlief schlecht in dieser Nacht. Immer wieder schreckte sie aus Albträumen voller Tiefflieger und Bombenexplosionen hoch. Als um sechs Uhr ihr Wecker klingelte, fühlte sie sich wie gerädert.

Beim Frühstück war sie so gereizt, dass sie sich mit Bernie wegen irgendeiner dummen Bemerkung stritt, die sie normalerweise mit einem Achselzucken abgetan hätte.

Während sie mit dem Rad zur Schule fuhren, hatte sie große Mühe, dem Geplapper ihrer Freundin Martha zu folgen, die sich lang und breit über einen Jungen aus der Nachbarschaft ausließ, auf den sie anscheinend ein Auge geworfen hatte. Elli antwortete einsilbig und ausweichend, bis Martha irgendwann fragte, was denn nur heute mit ihr los sei.

»Gar nichts!«, schnappte Elli. »Ich hab nur Kopfschmerzen. Und ganz schlecht geschlafen.«

Nein, Martha konnte sie unmöglich in ihr Geheimnis einweihen. Sie war sicherlich ein nettes Mädchen und kam für Elli dem, was man eine Freundin nannte, am nächsten. Aber Martha konnte einfach nie ihren Mund halten. Wenn doch nur Hannes da wäre!

Dass Elli in der Hauswirtschaftsschule nicht aufpasste, war nicht ungewöhnlich, aber an diesem Samstag war sie so unaufmerksam, dass es sogar der Lehrerin auffiel. In Gedanken war sie die ganze Zeit bei Georg auf dem Heuboden und malte sich in immer lebhafteren Farben aus, was in der Zwischenzeit alles passiert sein könnte, während sie untätig in Brake in der Schule herumsaß und zwei Stunden lang zuhören musste, weshalb Arier so viel wertvoller seien als alle anderen Rassen.

Als die Schule endlich vorbei war, trat Elli trotz des Regens, der ihr von einem kalten Gegenwind ins Gesicht gepeitscht wurde, so fest in die Pedale ihres Fahrrades, dass Martha kaum hinterherkam. In Frieschenmoor angekommen, rief sie der Freundin ein flüchtiges »Wir sehen uns Montag!« über die Schulter zu und bog dann in die Hofeinfahrt ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

Sie wich den Pfützen auf dem gepflasterten Hof aus, fuhr durch das weit geöffnete Tor direkt in die Dreschdiele hinein und sprang vom Rad.

»Ich bin wieder da!«, rief sie viel lauter als sonst. Ihr Blick wanderte zum Heuboden hinauf, aber dort oben rührte sich nichts. Trotzdem hoffte sie, dass Georg sie gehört hatte.

Die Tür zum Pferdestall öffnete sich, und der alte Hinnerk steckte seinen Kopf mit der unvermeidlichen Prinz-Heinrich-Mütze heraus.

»Was hast du denn zu bölken?«, fragte er und nahm seine kurze Pfeife aus dem Mund. »Machst ja die ganzen Viecher scheu!«

»Gar nichts«, antwortete Elli. »Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich wieder da bin.«

»Guck mal besser, ob es nicht bald Mittag gibt, Deern!«, brummte der Knecht kopfschüttelnd und verschwand wieder im Pferdestall.

»Ich sag dir Bescheid, wenn es Essen gibt«, erwiderte Elli erleichtert.

Georg war nicht gefunden worden, sonst hätte der Knecht anders reagiert. Die Anspannung der letzten Stunden fiel mit einem Schlag von ihr ab. Eilig stellte sie ihr Rad ab und lief in die Küche.

»Was gibt es denn heute Leckeres?«, fragte sie gut gelaunt, hob den Deckel von dem großen schwarzen Topf an und sah hinein.

»Wurzeldick«, erwiderte Willa Bruns, die in einem zweiten Topf rührte. »Ich mache gerade Apfelmus dazu. Hilf mir schnell, den Tisch zu decken, und dann kannst du alle zum Mittagessen rufen.«

Nach dem Essen, als sich die Erwachsenen zur Mittagsstunde hingelegt hatten, füllte Elli eilig einen Henkelmann mit Eintopf und goss Milch in eine der Steingutflaschen. Zusammen mit ein paar Scheiben Brot, die sie schnell noch vom Graubrotlaib abschnitt, packte sie beides in einen Korb und ging hinaus in die Dreschdiele.

Eine der Pferdedecken musste erst einmal für Georg reichen, hatte sie sich in der Schule überlegt. Und davon lag ein ganzer Stapel gleich vorne im Pferdestall auf der Futterkiste.

Den Korb in der linken Hand und die Decke über die Schulter geworfen, kletterte sie vorsichtig die Leiter zum Heuboden hinauf. Im trüben Licht, das durch die Fenster fiel, sah sie eine Gestalt im Heu sitzen und ging darauf zu.

Aber es war nicht Georg, es war ihr Vater.

Als er Elli sah, griff er neben sich, stand auf und kam ihr entgegen. In der Hand hielt er die kleine Milchkanne, in der Elli das Brunnenwasser geholt hatte, und ein Stück Pergamentpapier.

In Ellis Magen bildete sich ein dicker Knoten.

»Eigentlich hatte ich Bernie erwartet, nicht dich«, sagte Anton Bruns. »Ich wollte ihn fragen, was er sich dabei denkt, heimlich Brot und Saft und Gott weiß was sonst noch für Zeug hier raufzuschleppen, und ob er glaubt, dass keinem auffällt, wenn so viel Brot fehlt. Aber ganz so einfach scheint die Sache ja nicht zu sein. Und jetzt wirst du mir erzählen, was hier vor sich geht! Was ist in dem Korb, und wofür soll die Decke gut sein?«

Elli spürte ihre Knie weich werden.

»Also? Ich höre!« Antons Ton wurde schärfer.

»Ich … ich …« Elli schluckte. »Ich hab jemanden auf dem Heuboden versteckt.«

Jetzt war es heraus. Elli fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, aber sie wollte auf keinen Fall weinen und blinzelte mehrmals.

Ihr Vater zog die Augenbrauen zusammen. »Du hast was?!«

»Ich hab ihn gestern hier oben gefunden, halb verdurstet und verhungert. Er tat mir so leid«, stammelte Elli.

»Wer tat dir so leid?« Anton schien nicht zu verstehen.

»Warte, ich hol ihn!«, rief Elli. Jetzt, wo es kein Zurück mehr gab, wo sie sich jemandem anvertraut hatte, fühlte sie sich grenzenlos erleichtert.

Es dauerte eine Weile, bis sie Georg gefunden hatte. Er saß zusammengekauert in der hintersten Ecke des Heubodens, mit dem Rücken an der Wand zum Wohnhaus. Obwohl er die Arme vor der Brust verschränkt hatte, konnte Elli sehen, dass er eines von Hannes’ Hemden trug.

»Komm, Georg!«, sagte sie leise. »Es wird uns schon keiner den Kopf abreißen.«

Er starrte sie nur aus verständnislosen Augen an, schien sie gar nicht zu erkennen. Die Kiefermuskeln zuckten und mahlten, aber er sagte kein Wort. Er zitterte am ganzen Körper. Erst als sie seine Hand nahm, ließ das Zittern nach, er stand auf und ließ sich von ihr aus seinem Versteck ziehen.

»Papa, das ist Georg!«

Elli hielt noch immer Georgs Hand, als sie bei ihrem Vater ankamen.

Antons Blick wanderte von Georg zu Elli und wieder zu Georg zurück. »Ach du lieber Gott! Jetzt sag mir bitte, dass das nicht wahr ist!« Er schlug sich die Hand vor den Mund und schüttelte ungläubig den Kopf, während er Georg anstarrte. Schließlich rieb er sich das Kinn und seufzte laut.

»Bist du Jude?«, fragte er.

Georg schüttelte nur den Kopf und schwieg.

»Er ist bei den Flakhelfern in Wilhelmshaven gewesen und desertiert«, erklärte Elli.