Gib nicht auf, Isabell! - Britta Frey - E-Book

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Britta Frey

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Beschreibung

Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Die Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Dr. Hauser nahm die Hand vom Steuer seines Wagens und fuhr sich damit über das angespannte Gesicht, als ließe sich dadurch die Müdigkeit verscheuchen und der Blick für die Straße schärfen. Das Unwetter, das sich den ganzen Tag über mit einer drückenden Schwüle angekündigt hatte, lag jetzt mit einer tiefen bleiernen Schwärze über der Heidelandschaft. Blitze zerrissen die Dunkelheit, und der Donner hieb beängstigend in die Stille. Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte ihm, daß es bereits gegen elf Uhr abends war, und machte auch deutlich, wie lang der Tag wieder einmal für ihn gewesen war. Das Wetter hatte den Kreislauflabilen zugesetzt, das hatte ihm seine überfüllte Sprechstunde am Morgen gezeigt und die vielen Hausbesuche danach. Der vorläufig letzte Patient für heute war der Landwirt Behrend draußen in der Heide gewesen, und da der alte Mann zusätzlich an Asthma litt, hatte es eine Weile gedauert, bis er ihn ruhiggestellt hatte. Ein Notruf über Funk war inzwischen auch nicht mehr gekommen, und deshalb galt sein ganzes Wünschen nun einer ungestörten Nachtruhe. Als es zu regnen begann, nahm er das Gas weg und konzentrierte sich auf das nasse Band der Straße, welches unter dem Licht der Scheinwerfer mit spiegelnden Reflexen reagierte. Heftige Sturmböen kamen auf und beugten die Büsche an den Straßenrändern, entrissen ihnen lose Zweige und Blätter und nahmen sie wie auf einer wilden Flucht mit sich fort, während der Regen gegen die Windschutzscheibe schlug. Das Gewitter entlud sich nun mit seiner ganzen Kraft und verwandelte die stille Landschaft für Augenblicke in einen Hexenkessel, so daß der Wagen auf der menschenleeren Straße beinahe zum Stehen kam. Dr. Hauser ertrug die Anstrengungen, welche der Beruf des praktischen Arztes in einer ländlichen Gegend so mit sich brachte, mit Gelassenheit. Er hatte es so gewollt und akzeptierte die langen Tage. Seitlich von ihm tauchte jetzt die Kinderklinik Birkenhain auf. Die vielen Lichter ließen das ehemalige Schlößchen erscheinen wie eine feste Oase im Aufruhr des Wetters, während die Birken, die sie umstanden, in den wilden Wettertanz mit einbezogen schienen. Jetzt war es nicht mehr weit bis Ögela, und er atmete auf. Seit einem Jahr war er als niedergelassener Arzt in dem Heideort tätig und fühlte sich dort bereits sehr zu Hause. Die Bevölkerung hatte ihn gleich angenommen, obwohl sein Vorgänger in der Praxis sehr beliebt gewesen war, und es schon von daher für jeden Nachfolger schwierig sein mußte, das Vertrauen der Menschen auf sich zu ziehen. Der alte Dr.

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Kinderärztin Dr. Martens Classic – 16 –

Gib nicht auf, Isabell!

Alle bangen um ihr Leben

Britta Frey

Dr. Hauser nahm die Hand vom Steuer seines Wagens und fuhr sich damit über das angespannte Gesicht, als ließe sich dadurch die Müdigkeit verscheuchen und der Blick für die Straße schärfen.

Das Unwetter, das sich den ganzen Tag über mit einer drückenden Schwüle angekündigt hatte, lag jetzt mit einer tiefen bleiernen Schwärze über der Heidelandschaft. Blitze zerrissen die Dunkelheit, und der Donner hieb beängstigend in die Stille.

Ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett zeigte ihm, daß es bereits gegen elf Uhr abends war, und machte auch deutlich, wie lang der Tag wieder einmal für ihn gewesen war. Das Wetter hatte den Kreislauflabilen zugesetzt, das hatte ihm seine überfüllte Sprechstunde am Morgen gezeigt und die vielen Hausbesuche danach.

Der vorläufig letzte Patient für heute war der Landwirt Behrend draußen in der Heide gewesen, und da der alte Mann zusätzlich an Asthma litt, hatte es eine Weile gedauert, bis er ihn ruhiggestellt hatte. Ein Notruf über Funk war inzwischen auch nicht mehr gekommen, und deshalb galt sein ganzes Wünschen nun einer ungestörten Nachtruhe.

Als es zu regnen begann, nahm er das Gas weg und konzentrierte sich auf das nasse Band der Straße, welches unter dem Licht der Scheinwerfer mit spiegelnden Reflexen reagierte.

Heftige Sturmböen kamen auf und beugten die Büsche an den Straßenrändern, entrissen ihnen lose Zweige und Blätter und nahmen sie wie auf einer wilden Flucht mit sich fort, während der Regen gegen die Windschutzscheibe schlug.

Das Gewitter entlud sich nun mit seiner ganzen Kraft und verwandelte die stille Landschaft für Augenblicke in einen Hexenkessel, so daß der Wagen auf der menschenleeren Straße beinahe zum Stehen kam.

Dr. Hauser ertrug die Anstrengungen, welche der Beruf des praktischen Arztes in einer ländlichen Gegend so mit sich brachte, mit Gelassenheit. Er hatte es so gewollt und akzeptierte die langen Tage.

Seitlich von ihm tauchte jetzt die Kinderklinik Birkenhain auf. Die vielen Lichter ließen das ehemalige Schlößchen erscheinen wie eine feste Oase im Aufruhr des Wetters, während die Birken, die sie umstanden, in den wilden Wettertanz mit einbezogen schienen.

Jetzt war es nicht mehr weit bis Ögela, und er atmete auf. Seit einem Jahr war er als niedergelassener Arzt in dem Heideort tätig und fühlte sich dort bereits sehr zu Hause. Die Bevölkerung hatte ihn gleich angenommen, obwohl sein Vorgänger in der Praxis sehr beliebt gewesen war, und es schon von daher für jeden Nachfolger schwierig sein mußte, das Vertrauen der Menschen auf sich zu ziehen. Der alte Dr. Bruns, der sich zur Ruhe gesetzt hatte nach einem langen Landarztleben, hatte ihn als jüngeren Nachfolger über einige Monate eingeführt und ihm zu jedem Patienten auch eine gewisse Lebensbeschreibung mitgeliefert.

»Den Hintergrund kennen, und den Patienten nehmen können, ist bereits die halbe ärztliche Kunst«, hatte der alte erfahrene Arzt ihm mit auf den Weg gegeben, und Dr. Hauser hatte es auf Grund seiner gelassenen Mentalität nicht schwer, den Rat zu beherzigen und so bei den Patienten gleich den richtigen Ton zu finden. Trotzdem wußte er, daß man bei der ländlichen Bevölkerung erst nach einigen Jahren dazugehörte, da der Landmensch sich schwerer tat mit dem Vertrauen zu fremden Gesichtern.

Ein heftiger Blitz riß ihn aus seinen Gedanken, beleuchtete für einen Sekundenschlag alles mit seinem grellen Licht, bevor die Schwärze wieder da war und die Scheinwerfer den Weg wie durch einen Tunnel wiesen.

Die ersten Seitenwege tauchten rechts und links der schmalen Fahrbahn auf. Sie waren unbeleuchtet und führten zu den vereinzelt liegenden Häusern am Ortsrand. Schwache Lichtpunkte blinkten hier und da und verstärkten sich schließlich, als Ögela in Sicht kam.

Das Wetter hatte sich ebenso plötzlich beruhigt, wie es heftig zugeschlagen hatte, und Dr. Hauser beschleunigte das Tempo seines Wagens wieder. Der Wunsch nach einigen Stunden Schlaf war im Moment das einzige, was ihn beherrschte.

Er sah nach links, wohin das Wetter abzog, und hatte doch mit halbem Auge den plötzlichen schwarzen Schatten auf der Fahrbahnseite mitbekommen, als er auch schon den Schlag gegen den Wagen spürte.

Ein Radfahrer! Er wußte es sofort, obwohl kein Licht ihn gewarnt hatte.

Sein Wagen stand nach einigen Metern, und er eilte die kurze Strecke mit langen Schritten zurück, um sich gleich darauf über das dunkle Bündel zu beugen. Es lag vollkommen regungslos am rechten Rand der Straße gleich neben dem Rad, wie ein Mantel, der verlorengegangen war.

Noch bevor der Schrecken ihm zusetzte, reagierte der Art in ihm, und er tastete automatisch nach der Halsschlagader. Dabei geriet ihm langes helles Haar zwischen die Finger, und er registrierte unbewußt, daß es sich um ein Mädchen handeln mußte. Und dieses Mädchen lag besinnungslos auf der schwarzen nassen Fahrbahn.

Dr. Hauser richtete sich auf und lief zu seinem Wagen zurück, um die Arzttasche zu holen. Eine erste schnelle Untersuchung war auf der Stelle notwendig. All das wußte er und tat es doch unter dem Schock, daß er einen Menschen angefahren hatte.

Seine Taschenlampe beleuchtete, kurz darauf das stille zarte Gesicht eines Mädchens von etwa zwölf Jahren. Ihr Kopf mußte das Pflaster getroffen haben, was die Bewußtlosigkeit herbeigeführt hatte. Das Vorderrad des Fahrrades war völlig verbogen, und während er das sah, hoffte er, daß ihre Beine in Ordnung waren.

Es war eine Gewissensfrage, die Ambulanz der Kinderklinik über Funk zu rufen oder die Kleine in seinem Wagen in das Krankenhaus zu fahren. Da es wieder stark zu regnen begann, entschloß er sich, das Kind persönlich dorthin zu bringen.

Vorsichtig hob er das Mädchen hoch und trug es zu seinem Wagen, um es auf die Hintersitze zu betten. Dann eilte er zurück und schob das beschädigte Fahrrad an den Grabenrand, damit es nicht nachfolgende Autofahrer in Gefahr brachte. Und während er wenig später über Funk die Polizei von dem Unfall in Kenntnis setzte, startete er bereits das Fahrzeug, wendete und fuhr den Weg zur Kinderklinik Birkenhain zurück.

Der helle Schein der Blitze leuchtete noch über dem Horizont, als das Gewitter bereits abgezogen war. Die Spannung, die sich entladen hatte, befreite Mensch und Tier.

Dr. Hauser war nun hellwach, die Müdigkeit durch den Schrecken besiegt, wußte er, daß der Tag noch lange nicht zu Ende war. Das blonde Mädchen im Fond seines Wagens machte deutlich, was geschehen war, während die Pendelbewegungen der Scheibenwischer wie die Pendel einer Uhr jede Sekunde festhielten, die er jetzt voller Entsetzen durchlebte.

*

Vor dem Birkenschlößchen, in dem vor Jahren die Kinderklinik eingerichtet worden war, bewegten sich die Birken immer noch im Wind, nur lang­samer jetzt, naß und wie tränenschwer.

Das Haus war schon auf Nachtbetrieb gegangen, und in der Aufnahme tat der Assistenzarzt Hartmut Frerichs Dienst, als Dr. Hauser mit dem Mädchen auf den Armen durch die Tür ins Licht trat. Der Arzt war mit den Gegebenheiten der Klinik vertraut, da er des öfteren Kinder aus seiner Praxis hier einweisen mußte, bei denen eine stationäre Behandlung notwendig war.

»Oh, Doktor, ein Unfall?« fragte darum auch gleich der junge Assistenzarzt und war dem Berufskollegen behilflich, das Kind auf den Untersuchungstisch zu legen.

Dr. Hauser nickte. »Wer hat Bereitschaft?« fragte er, und seine Stimme klang rauh.

»Frau Dr. Martens – ich werde sie herunterbitten!« Der schlanke junge Arzt eilte zum Haustelefon, während Dr. Hauser das stille blonde Mädchen mit geübten Griffen für die Untersuchung zu entkleiden begann. Sie hatte das Bewußtsein bis jetzt nicht wiedererlangt und wirkte blaß und fern.

Kurz darauf erschien Dr. Hanna Martens in der Tür und trat mit raschen Schritten an den Tisch heran.

»Herr Kollege – wen bringen Sie so spät?« fragte sie mit ihrer warmen freundlichen Stimme und reichte Dr. Hauser kurz die Hand, bevor ihre aufmerksamen Augen sich dem Kind zuwandten.

»Ein Unfall?« fragte nun auch sie und sah zu dem hochgewachsenen Arzt auf. Sein männliches Gesicht wirkte angespannt und schien eine Müdigkeit zu verdrängen, die von einem langen anstrengenden Tag sprach.

Die Ärztin für Kinderheilkunde ahnte, welches Tagesprogramm hinter diesem ernsthaften blonden Kollegen lag, der sich in der Gegend großer Beliebtheit erfreute, und Sympathie lag in ihren blauen Augen.

»Ich habe das Mädchen angefahren…«, sagte da Dr. Hauser seltsam schleppend in ihre Überlegungen hinein, als könne er es selbst noch nicht glauben. »Sie saß auf einem unbeleuchteten Fahrrad – es war Augenblickssache.«

Hanna Martens ahnte, wie dem korrekten Kollegen zumute sein mußte.

»Was tut ein Kind bei dem Wetter und zu so später Stunde allein auf der Straße?« fragte sie und wandte den blonden Kopf nachdenklich dem zarten Geschöpf zu, während sie sich hinabbeugte, um das Stethoskop anzusetzen.

»Ich weiß es nicht!« Dr. Hauser schüttelte den Kopf und untersuchte, assistiert von dem jungen Arzt, die Gliedmaßen der Verunglückten.

»Kein Bruch!« sagte Hartmut Frerichs.

»Der Blutdruck ist den Umständen entsprechend – ich denke, sie wird bald wieder wach werden.« Die Kinderärztin wirkte optimistisch, als sie dem Landarzt in die dunklen besorgten Augen sah.

»Das muß mir passieren!« rief er plötzlich, sich selbst nicht verstehend.

»Aber, Doktor, das kann jedem passieren!« beruhigte Hanna Martens den praktischen Arzt. »Das unbeleuchtete Rad, das Wetter, Ihr langer Tag…«

»Sie sagen es, Frau Kollegin, es war meine Unachtsamkeit nach einem langen Tag.«

»Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint!« protestierte Hanna Martens. »Ein unbeleuchtetes Rad ist Erklärung genug!«

»Das wäre als Entschuldigung zu einfach.« Dr. Hauser sah auf das blonde Kind.

»Kennen Sie die Kleine?« fragte die junge Klinikärztin.

Der große blonde Arzt schüttelte den Kopf. Er trug noch seine Wetterjacke und Stiefel von seinem Besuch bei dem Heidebauern. Und mit diesen Stiefeln begann er jetzt auf dem glänzenden Klinikfußboden hin und her zu gehen und ihm das hygienische Aussehen zu nehmen.

»In den Kleidern findet sich kein Hinweis«, meldete sich der Assistenzarzt, der inzwischen mit flinken Gesten die Sachen des Mädchens durchsucht hatte.

»Ich habe von unterwegs die Polizei verständigt«, sagte Dr. Hauser, »vielleicht weiß sie, die Angehörigen zu finden.«

Hanna Martens zog eine erste Bilanz der Untersuchung: »Außer einer Gehirnerschütterung mit Bewußtseinsverlust scheint keine Verletzung vorzuliegen, von den kleinen Platz­wunden am Kopf einmal abgesehen.« Ihre Stimme klang ruhig, und sie schickte sich an, die Wunden zu reinigen und zu verkleben. »Wir werden gleich Aufnahmen machen und sie dann auf die Intensivstation legen…«

»Ich möchte, daß Ihr Bruder als Chirurg sich das Mädchen ansieht und auch der Kollege Mettner als Neurologe!« Die Stimme Dr. Hausers klang ungewohnt förmlich, zu förmlich für das freundschaftliche Verhältnis, das er zu den meisten Klinikärzten und zu Hanna Martens ganz besonders unterhielt.

»Ja, natürlich.« Die Kinderärztin sah nur einen Moment erstaunt auf. Der Arzt verlor doch jetzt hoffentlich nicht die Nerven.

»Wollen Sie die Röntgenaufnahmen abwarten?« fragte sie gleichbleibend freundlich und schickte sich an, das Mädchen hinauszufahren.

Dr. Hauser bemerkte an sich selbst, daß er in eine gewisse Panik geriet, aber die Vorwürfe, die er sich machte, und seine Angst um dieses Kind, das so still dalag, setzten ihm sehr zu.

Er nickte und setzte sich auf einen Stuhl. Sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht wies Linien auf, die sich in dieser Nacht verstärken würden.

»Einen Kaffee, Herr Doktor?« fragte eine Schwester, die hereinkam und sah, daß der Mann sich kaum noch aufrechthalten konnte.

»Ja – danke.«

Hartmut Frerichs, der junge Arzt, hatte längst begriffen, daß das Leben eines Arztes kein leichtes Leben war. Und während er jetzt nach einem entspannenden Gesprächsstoff suchte, fühlte auch er ein wenig die Ohnmacht, die einen treffen konnte, wenn man nicht weiter wußte.

Sollte er vielleicht den Chefarzt herbitten, der mit seiner Schwester Hanna diese Klinik leitete? Vielleicht vermochte er als erfahrener Mann seinem Berufskollegen besser zu helfen…

Aus dem Nachbarraum rief er schließlich den Chefarzt an und schilderte ihm kurz, was für ein Problem anstand.

»Ich komme sofort!« Dr. Kay Martens konnte sich die Situation Dr. Hausers gut vorstellen. Ein Arzt, der sich die Kranken selbst schuf, war schlicht undenkbar. Da konnte leicht die Leistung, welche dieser Mann Tag für Tag vollbrachte, ihren Wert verlieren.

Auf dem Flur zur Aufnahme traf er wenig später den Polizeibeamten Helmut Gerns, welcher das Rad sichergestellt hatte und auch die Unfallstelle inspiziert hatte.

»Ist der Doktor noch in der Klinik?« fragte er nun, weil »der Doktor« nun mal »sein Doktor« war.

Dr. Martens lächelte. »Sie meinen Dr. Hauser?«

»Ja, den meine ich…«

»Kommen Sie mit!« Helmut Gerns hielt die Mütze unter dem Arm, nahm sie dann aber in die Hand und folgte dem Chef der Klinik über den langen Flur.

»So ein Pech«, sagte er und meinte wohl hauptsächlich »seinen Doktor«. Dr. Martens nickte.

»Die Kleinen schlafen wohl alle?« fragte Helmut Gerns und versuchte leise zu gehen, während er an seine kleine Tochter dachte, welche oft die Nacht zum Tag machte.

Der Chefarzt lächelte. »Das ist nicht immer so. Es gibt die unterschiedlichsten Ursachen, sich weinend Luft zu machen. Da spielen Heimweh, Angst und natürlich auch das Befinden eine Rolle. Man muß tagsüber schon sehr verständig und lieb zu den Kindern sein, um die nächtlichen Ängste zu überbrücken.«

»Herr Kollege!« Dr. Kay Martens öffnete die Tür zur Aufnahme und warf dem Landarzt einen prüfenden Blick zu. Der Mann war todmüde, das sah er, und er konnte im Interesse dieses aufopfernden Mannes nur hoffen, daß das Rad wirklich nicht beleuchtet gewesen war. Die Tatsache des Unfalls war schon schlimm genug, wie schlimm aber erst, wenn er vielleicht das Licht übersehen hatte bei dem Wetter…!

Die beiden Ärzte begrüßten einander, und während der eine die Verantwortung für die Kinderklinik trug, lag auf den Schultern des anderen eine breitgefächerte Verantwortung für die Menschen des weiten Umlandes, die sich ihm als Patienten anvertrauten.

Jeder von ihnen wußte um die Leistung des anderen, und es bedurfte nicht vieler Worte, um das erneut deutlich zu machen. Ihre Hochachtung voreinander war eine selbstverständliche Hochachtung.

Man sprach über den Unfall, und der Beamte Gerns nahm die Aussage Dr. Hausers zu Protokoll, und als das Mädchen aus dem Röntgenraum zurückgefahren wurde, sahen sich alle gemeinsam die Röntgenbilder an.

»Das Schädeldach ist in Ordnung«, stellte Dr. Martens fest und wandte sich dann dem Kind zu, um es ebenfalls zu untersuchen. »Eine starke Gehirn­erschütterung – mehr scheint nicht vorzuliegen«, war seine Diagnose. »Glück gehabt, die Kleine!«

Hanna Martens fuhr das stille Kind nun auf die Intensivstation, wo neben einem ständig anwesenden Arzt die technischen Hilfsmittel die Kontrollfunktionen übernahmen. Die Meßdaten aber gehörten zu einem Menschen, der noch unter »Unbekannt« lief.

Chefarzt Dr. Martens begleitete Dr. Hauser und den Beamten Gerns zum Ausgang.

»Haben Sie eine Ahnung, Herr Gerns, wohin das Mädchen gehören könnte?« fragte er als verantwortlicher Leiter der Klinik nun den Polizeibeamten. Sollten wider Erwarten Komplikationen auftreten, die einen operativen Eingriff bei der unbekannten Kleinen erforderlich machte, so war es gut, die Eltern zu kennen.

Helmut Gerns zog die Schultern hoch. »Bedaure – aber ich werde nachforschen.« Er setzte die Dienstmütze auf und verabschiedete sich dann von den beiden Ärzten.

Dr. Martens, hochgewachsen wie Dr. Hauser, wandte sich nun dem Kollegen zu.

»Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen, Herr Hauser, aber bedenken Sie, daß wir eben auch nur Menschen sind und keine Übermenschen, denen so etwas nicht passiert.«

Dr. Hauser schüttelte den Kopf. »Ich will das für mich nicht gelten lassen, auch wenn ich müde war, das Wetter anstrengend und das Rad unbeleuchtet!« Verzweiflung lag in seiner Stimme.

Dr. Martens legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Das Mädchen ist hier in guten Händen, die Bewußtlosigkeit wird vergehen – aber Sie sollten jetzt unbedingt schlafen…«

»Jaja«, murmelte der Landarzt und reichte dem verständnisvollen Kollegen die Hand. »Tut mir leid, daß ich Ihren Abend gestört habe…«

»Mein Leben gehört ohnehin der Klinik, deshalb wohne ich auch gleich nebenan«, lächelte Dr. Martens und sah dann dem abfahrenden Auto nach. Er wußte, der Kollege steckte in keiner angenehmen Situation, auch wenn er an dem Unfall unschuldig war.

Die Luft war jetzt still und klar, und die Birken standen unbewegt unter dem sternklaren Himmel. Der Friede über der Heide schien greifbar und war doch voller Unruhe.

*

Jutta Arnold kam an diesem Abend von einem Lehrerinnen-Seminar aus Lüneburg zurück und hörte schon beim Verlassen ihres Wagens das jämmerliche Heulen des Foxterriers.

»Oje, das Gewitter!« rief sie und eilte den Gartenweg entlang. Der arme Fox würde es zur Not mit jedem Einbrecher aufnehmen, nicht aber mit Blitz- und Donnerschlag. Da konnte kein Sofaschatten tief genug sein, um ihn zu beruhigen.

Eilig schloß sie die Haustür auf und rief nach ihm. Und während er winselnd auf sie zugeschossen kam, bückte sie sich bereits, um ihn auf den Arm zu nehmen.

»Hat das böse Gewitter dich erschreckt, du Armer?« Sie streichelte sein krauses helles Fell und sprach beruhigend auf ihn ein, während sie dachte, daß sie selbst sich auf der Heimfahrt in dem Wetter auch nicht ganz so wohl gefühlt hatte.

Fox war der Hund ihrer jüngeren Schwester Isabell, welche heute nacht bei einer Freundin am Ortsrand von Ögela schlafen würde, und ganz sicher hatte sie in Gedanken mit ihrem kleinen Hund gelitten, ohne etwas tun zu können.

Als das Tier sich beruhigt hatte, entließ sie es aus ihren Armen und zog die Jacke aus. Und während sie in die Küche ging und der Hund ihr folgte, fragte sie: »Wie wäre es mit einem späten gemütlichen Stündchen? Ich entschließe mich zu Tee, und du?«

Fox legte den Kopf schräg, als er zu ihr aufsah, und schien mit allem einverstanden, wenn sie nur bei ihm blieb. So wich er dann auch nicht von ihrer Seite, bis sie den Tee bereitet hatte, das Licht in der Küche wieder löschte und in den Wohnraum hinüberging.