Gisol der Verzweifelte - Achim Mehnert - E-Book

Gisol der Verzweifelte E-Book

Achim Mehnert

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Beschreibung

Ren Dhark kehrt zurück in die Milchstraße und wird nicht nur mit einer völlig veränderten Lage konfrontiert, sondern auch mit einem unfassbaren Angebot. Zur gleichen Zeit geschehen in Orn, der Heimatgalaxis der Mysterious, unvorstellbare Dinge, und aus einem einst gnadenlosen Rächer wird Gisol der Verzweifelte...

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 25

Gisol der Verzweifelte

 

von

 

Jan Gardemann

(Kapitel 11 bis 14)

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 1 bis 5)

 

Achim Mehnert

(Kapitel 6 bis 10 und 15 bis 21)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

Der zweite Krieg der Welten: Ein Interview mit Wilko Lennart

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Impressum

Prolog

Ende des Jahres 2065 steht die Menschheit am Scheideweg: Auf der nach dem Krieg gegen die Roboter des »Volkes« zu einem Eisklumpen gewordenen Erde leben nur noch 20 Millionen Menschen. Relativ gut aushalten läßt es sich nur in der Hauptstadt Alamo Gordo, deren neuartiger Schutzschirm ihr nicht nur Sicherheit gibt, sondern auch für angenehm hohe Temperaturen sorgt.

Die restlichen 36 Milliarden Menschen wurden nach Babylon umgesiedelt und richten sich dort unter der Regierung Henner Trawisheims neu ein. So wäre auf der Erde eigentlich viel Platz – hätten nicht die Riiin oder Eisläufer ihren Lebensmittelpunkt nach Terra verlegt. Dieses Volk kann nur bei extrem niedrigen Temperaturen überleben – und ist so naturgemäß gegen jeden Versuch, der irdischen Sonne zu ihrer alten Kraft und dem Eisplaneten Terra zu neuer Wärme zu verhelfen.

Genau diesen Versuch aber hat Ren Dhark mit seiner Expedition in die Nachbargalaxis Andromeda unternommen. Denn es gibt nur einen Weg, um die Sonne wieder stark zu machen: Die Synties, tropfenförmige Energiewesen, die im freien All leben und seit vielen Jahren gute Freunde der Terraner sind, könnten interstellares Wasserstoffgas einfangen und in die Sonne stürzen lassen – so lange, bis sie ihre alte Masse und damit ihre alte Kraft zurückgewonnen hat.

Doch die Synties sind von den gefühllosen, eiskalten Echsenwesen des Glandarenvolks entführt und als Energiequelle mißbraucht worden. Zwar gelingt es Dhark, die Synties zu befreien, aber gewaltige Ringraumer des Geheimen Imperiums, einer noch skrupelloseren Macht, die schon vor mehr als tausend Jahren Krieg gegen die Worgun in Andromeda führte, löschen das Volk der Glandaren gnadenlos aus. Beim Versuch, wenigstens einige von ihnen zu retten, gerät die POINT OF in die sogenannte »Horizontverschiebung«, ein quantenphysikalisches Phänomen, das zahlreiche Welten bedroht. Als es endlich gelingt, die Horizontverschiebung zu vernichten, macht sich Ren Dhark auf den langen Heimweg in die Milchstraße…

Dort hat der Wächter Simon drei Menschen für das neue Wächterprogramm rekrutiert: Svante Steinsvig, Arlo Guthrie und – Doris Doorn! Die INSTANZ von ARKAN-12 schickt sie nach erfolgter Umwandlung in die Milchstraße. Ihre Aufgabe: Reparatur der defekten Station ERRON-2 und Überwindung der Schranke um Orn, die Heimatgalaxis der Mysterious oder Worgun…

1.

Einen Leerraum zu befahren war keine sonderlich aufregende Sache. Hier gab es nichts, deshalb hieß er ja so, aber manche Teilstrecken erschienen einem noch leerer als leer. Als Fahrer beziehungsweise Pilot fühlte man sich dabei wie ein Nichts im Nichts.

Der Flug eines Raumschiffs durchs Weltall war in etwa vergleichbar mit der Reise eines hochmodernen Kreuzfahrtriesen quer über den Ozean – in beiden Fällen kam man sich angesichts der unendlichen Weiten irgendwie verloren vor. Genaugenommen hieß es gar nicht Flug, sondern Fahrt, weil Schiffe weder flogen noch schwammen – sie fuhren. Doch die Anwendung des Begriffs »Fliegen« in Bezug auf Raumfahrzeuge aller Art hatte sich bei vielen raumfahrenden Völkern eingebürgert und wurde nur noch gelegentlich von vereinzelten Sprachpuritanern naserümpfend bemängelt.

Die POINT OF erweckte eher den Eindruck, lautlos durch den Weltraum zu schweben, als sie sich Mitte 2066 Bordzeit auf dem Weg von Andromeda zur Milchstraße befand.

Die Biographie des unitallblauen Ringraumers war mit Sicherheit genauso spannend zu lesen wie die eines historischen Gemäuers. Immens viele interessante Leute, darunter recht fremdartige Wesen, waren hier an Bord ein- und ausgegangen. Zudem war dieses außergewöhnliche Raumschiff bereits auf zahlreichen Planeten und sogar in fremden Galaxien zu Gast gewesen. Welches uralte Schloß konnte das schon von sich behaupten?

Lange Zeit hatte sich niemand um das Schiff gekümmert, bis es von Menschen in einer abgeschiedenen Höhle entdeckt und aufgrund seiner Rätselhaftigkeit auf den Namen POINT OF INTERROGATION getauft worden war. Das größte Rätsel war nach wie vor der etwas eigenwillige Bordrechner, der nicht nur über biologische Implantate seiner geheimnisvollen Erbauer Margun und Sola, sondern seit neuerer Zeit auch über Zellgewebe des jetzigen Besitzers Ren Dhark verfügte. Wenn er mit einem Befehl nicht einverstanden war, widersprach er und argumentierte dagegen. Und in Gefahrensituationen schreckte der Checkmaster, wie man ihn nannte, nicht einmal davor zurück, selbst das Kommando über die POINT OF zu übernehmen.

Solche und ähnlich seltsame Verhaltensweisen unterschieden ihn von gewöhnlichen Hyperkalkulatoren, was bei Experten mitunter die Frage aufwarf, ob es sich beim Checkmaster möglicherweise um eine völlig neuartige Rechnergattung handelte. Aber gab es auf diesem Gebiet überhaupt etwas wirklich Neues? War nicht jeder Hyperkalkulator im Grunde genommen nur die Weiterentwicklung früherer Taschenrechner?

Auch sonst löste der Checkmaster so manche hitzige Diskussion aus. Gerüchten zufolge hatten einst in Tokio mehrere Mitglieder eines wissenschaftlichen Spitzengremiums Harakiri begangen, weil sie sich als unfähig erwiesen hatten, die Problemstellung »Ist die POINT OF der Checkmaster, oder ist der Checkmaster die POINT OF?« zur Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten zu lösen. In einer anderen Legende war von betrunkenen Gästen eines polnischen Dorfgasthofs die Rede, die sich darüber gestritten hatten, ob der Checkmaster ein Lebewesen oder eine Maschine sei. Zum Schluß der Auseinandersetzung hatten sie sich dann gegenseitig mit Dreschflegeln totgeschlagen. (Sehr wahrscheinlich waren beide Vorfälle wohl eher der Phantasie eines versponnenen Geschichtenerzählers entsprungen.)

In Andromeda hatte der Checkmaster wieder einmal ganze Arbeit geleistet – natürlich nicht allein, ohne die vielfältig gestrickte Besatzung des Ringraumers und die mitunter recht waghalsigen Einfälle des Kommandanten hätte er nicht halb so viele Abenteuer erlebt. Die letzte großartige Teamleistung zwischen Mensch und Biomaschine war die Befreiung mehrerer Andromeda-Völker gewesen, die in einem Riesenplanetengebilde lebten, das man dort als Weltenring oder Allwelt bezeichnete. Ein mit dem Gebilde verwobener Tyrann – auch in diesem Fall waren biologische Bestandteile mit maschineller Technik vereint worden, allerdings in größerem Stil – hatte zahlreiche Angehörige verschiedener Völker gefangengehalten, angeblich, um eine bessere Welt zu erschaffen; in Wahrheit hatte er sich mit ihnen wie mit Spielzeugen vergnügt, ohne Rücksicht auf ihre eigenen Bedürfnisse. Den endgültigen Völkerbefreiungsschlag hatte allerdings kein Mensch geführt und auch nicht der Checkmaster, sondern einer der Unterdrückten selbst: eine kleine Echse mit einem scharfen Kampfschwert. Es war nur ein kleiner Schnitt für die Versklavten gewesen, aber ein großer Schicksalsschlag für den Tyrannen…

Darüber und über alle sonstigen Erlebnisse in der fremden Galaxis, wo man die POINT OF mittels einer heimtückischen Falle monatelang festgehalten hatte, dachte Kommandant Dhark ausgiebig nach, während er das Raumschiff langsamer als nötig durch den Leerraum zwischen Andromeda und der Milchstraße steuerte.

Ren Dhark hatte am 24. August 2028 das Licht der Welt erblickt. Mittlerweile war er zu einem schlanken Mann mit weißblonden Haaren, braunen Augen und markanten Gesichtszügen herangewachsen. Der Judomeister und Spezialist für Grundlagenforschung hatte in seinem noch verhältnismäßig jungen Leben ebenso viele Abenteuer bestanden wie der Checkmaster. Kein Wunder, schließlich war er bei der Entdeckung der POINT OF mit dabeigewesen, und seitdem waren Schiff und Eigner nahezu unzertrennlich. Nach seiner Wahl zum Commander der Planeten hatte Dhark zunächst nur wenig Zeit gehabt, um mit dem Schiff – das damals noch im Dienst der Terranischen Flotte gestanden hatte – auf Abenteuersuche zu gehen. Doch inzwischen hatte sich so einiges verändert.

Henner Trawisheim war jetzt der Weltpräsident, Ren Dhark hingegen »nur noch« Commander der POINT OF, die dank einer großzügigen Stiftung, welche auch die Gehälter der Raumfahrer zahlte, in sein Eigentum übergegangen war. Nun hatte Ren endlich genügend Zeit für sich – im Gegensatz zu Trawisheim, der auf dem Planeten Babylon, auf den sich die Menschheit nach der Vereisung der Erde fast vollständig zurückgezogen hatte, rund um die Uhr schaltete und waltete. Zu den letzten auf Terra noch verbliebenen Bewohnern hielt der neue Commander der Planeten kaum mehr Kontakt als unbedingt nötig, und es ärgerte ihn, daß eine wichtige Persönlichkeit wie Dhark die Erde hartnäckig weiterhin als die eigentliche Heimat der Menschen bezeichnete.

Nur zu gern hätte er die POINT OF wieder wie früher in militärische Dienste gestellt.

Doch Ren Dhark rückte das ungewöhnlichste Schiff des Universums nicht mehr heraus und wurde dabei von Terence Wallis, dem einst reichsten Mann der Erde und nunmehr Regierungsoberhaupt des »abtrünnigen« Planeten Eden, politisch und finanziell unterstützt. Wallis und Dhark waren enge Freunde, was Trawisheim zusätzlich wurmte.

»Gibt es überhaupt irgend etwas, über das sich dieser frustrierte Cyborg nicht ärgert?« murmelte Dhark nachdenklich, während er in der Zentrale auf seinem Kommandosessel saß und die immer gleichbleibenden Kontrollanzeigen beobachtete.

Henner Trawisheim war der einzige bisher existierende Cyborg auf geistiger Basis, sein Intelligenzquotient lag bei (theoretischen, da nicht mehr meßbaren) 276 Punkten. Oft kam es Dhark so vor, als glaube Trawisheim daran, ganz allein zu wissen, was gut für die Menschen sei. Widerspruch wollte er nicht gelten lassen, und die Abspaltung Edens von Terra hatte er nur unter dem Druck der Umstände hingenommen.

Trawisheim mochte es ganz und gar nicht, daß Terence Wallis mit seinem eigenen kleinen Reich so etwas wie einen Gegenpol zur Regierung des Cyborgs aufgebaut hatte, aber: »An Eden dürfte er sich die Zähne ausbeißen«, kam es kaum hörbar über Dharks Lippen, und er grinste breit.

*

Hen Falluta, dem Ersten Offizier an Bord der POINT OF, entging nicht, daß seinen Kommandanten etwas beschäftigte. Das war, so schätzte Falluta, wohl auch der wahre Grund dafür, daß der Ringraumer im »Bummeltempo« durchs All schlich. Zwar behauptete Dhark lediglich, er wolle nicht die Aggregate überlasten, um keine Havarie im Leerraum zu riskieren, doch in Wirklichkeit benötigte er wohl noch etwas Zeit zum gedanklichen Sortieren der Ereignisse in Andromeda. Hinzu kam, daß er sich um die politische Lage in der Milchstraße sorgte und… ja, und um was?

Falluta, der direkt neben Ren Dhark saß, spürte, daß den Commander noch mehr belastete, er kam jedoch nicht darauf, was es sein könnte. Täuschte er sich, oder zögerte Dhark die Ankunft absichtlich hinaus, weil er sich vor etwas ganz Bestimmtem fürchtete?

Nur wer fragt, gewinnt, dachte der Erste Offizier und riskierte einen Einwand. »Wie lange soll die POINT OF noch wie eine Schnecke durch die Finsternis des Leerraums kriechen? Wenn wir nicht mehr auf die Tube drücken, sind wir erst Ende August wieder daheim.«

Der Mittvierziger, den Dhark nach dem Weggang von Dan Riker zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, war ein hochintelligenter Mann mit dem nötigen Fingerspitzengefühl, so daß er stets wußte, wie weit er gehen durfte.

»Wie ich schon sagte«, erwiderte Dhark geistesabwesend, »sorge ich mich um die Aggregate.«

»Sicher, sicher«, entgegnete Hen. »Um die Aggregate, um Trawisheims Politik…«

Dhark blickte ihn an. »Bin ich so leicht durchschaubar?«

»Nein, aber ich habe gute Ohren«, antwortete der I.O. lächelnd. »Manchmal murmeln Sie leise etwas Verräterisches vor sich hin, Commander. Vorhin riefen Sie sich einige unserer vergangenen Erlebnisse ins Gedächtnis zurück, beispielsweise die Entführung unserer beiden Kameraden durch das Geheime Imperium, die Zerstörung des einstmals mächtigen Glandarenreiches, die Allergielüge der Imperatorenschwuchtel…«

»Imperatorenschwuchtel?« unterbrach ihn Dhark. »Solche Ausdrücke gebrauche ich nie – nicht einmal dahingemurmelt.«

»… Kucks’ Seelenpartnerin Ssirkssrii, seine neuen Fähigkeiten als Gedankenleser, das Abenteuer im Weltenring, die Horizontverschiebung«, zählte Falluta ungerührt weiter auf. »Auch ich denke oft daran zurück, schaue aber viel lieber nach vorn. Wie wir alle sehne ich mich nach unserer guten alten Erde, und es ist mir egal, wie eisig kalt es dort ist. Aufwärmen können wir uns ja auf Eden oder Babylon.«

»Babylon«, wiederholte Dhark. »Allein die Erwähnung bereitet mir Unbehagen. Wissen Sie noch, auf welch schäbige Weise Henner Trawisheim seinerzeit die Macht auf Babylon übernommen hat? Die seit 2057 dort lebenden Kolonisten, die gerade dabei waren, dem Planeten zu neuer Blüte zu verhelfen, wurden von ihm sieben Jahre später rücksichtslos überfahren, kaum daß die Evakuierung der abgekühlten Erde abgeschlossen war. Weil die Mehrheit auf Babylon nun aus den Evakuierten bestand, wählte man den amtierenden, äußerst fähigen Staatschef Daniel Appeldoorn kurzerhand ab und ersetzte ihn durch das neue Oberhaupt.

Begleitet von dem werbewirksamen Slogan ›Keine Experimente‹ – den man der Bevölkerung solange um die Ohren schlug, bis ihn jeder auswendig daherbeten konnte – wurde das gut funktionierende steuerfreie System, das Appeldoorns Parlament entwickelt hatte, gnadenlos gekippt und gegen den üblichen komplizierten Steuerwust ausgetauscht, den die wenigsten Bürger wirklich begreifen. Anstelle von Steuern hatte Appeldoorn hohe Mieten von den Bewohnern der mächtigen, im Staatsbesitz befindlichen Pyramiden gefordert. Somit wußte jeder Bürger, woran er war. Trawisheim erlag jedoch dem Privatisierungswahn und verscherbelte die prächtigen Gebäude an Investoren aller Art. Das machte es für den einzelnen wesentlich schwieriger, seine eigene finanzielle Lebensplanung zu koordinieren.

Henner schlug einen politischen Kurs ein, der Babylon als Zentralwelt der Menschen hervorheben sollte. Unseren einstigen Heimatplaneten, die Erde, wollte er wie einen verschlissenen Mantel ablegen.

Das war zumindest der Stand der Dinge vor unserem Start nach Andromeda. Ich befürchte, daß er dieses Ziel auch weiterhin entgegen aller Vernunft unbeirrt verfolgt hat. Möglicherweise hat er es während unserer Abwesenheit bereits erreicht – und Terra existiert nur noch als unbedeutende Randerscheinung, als lästiger Wurmfortsatz der Milchstraße.«

Falluta schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Sie sehen zu schwarz, Commander. Die Menschen auf Babylon wissen, daß sich die von den Eisläufern verschandelte Erde allmählich erholt. Sehr, sehr viele der Evakuierten wollen eines Tages wieder heimkehren oder zumindest ihren Nachwuchs in die alte Heimat schicken. Terras Kurator Bruder Lambert dürfte alle Hände voll zu tun haben, um eine unkontrollierte Massenrückkehr zu verhindern. Babylon als Zentralplanet – dieser Kuchen ist sicherlich bald gegessen. Befürwortete Trawisheim zuletzt nicht sogar selbst die Rücksiedlung eines gehörigen Teils der babylonischen Bevölkerung?«

Dhark nickte, er erinnerte sich noch gut an sein Streitgespräch mit dem störrischen Commander der Planeten. »Die Absichtsbekundung einer möglichen Teilrücksiedlung war ein raffinierter politischer Schachzug von Trawisheim. Ist Bruder Lambert damit einverstanden, wird die Erde zum Kolonialplaneten herabgestuft, und er muß mit einer ähnlich feindlichen Übernahme wie seinerzeit auf Babylon rechnen, als plötzlich die Evakuierten die Machtverhältnisse bestimmten. Lehnt der Kurator das Ansinnen des babylonischen Staatschefs jedoch strikt ab, wird Henner ihn als uneinsichtigen Buhmann darstellen, den die Belange der Menschheit nicht die Bohne interessieren. Nicht wenige Bewohner von Babylon werden daraufhin fordern, Terra mit Gewalt zurückzuerobern.«

»Millionen von Erdbewohnern werden sich mit allen Mitteln gegen einen Angriff von Babylon zur Wehr setzen.«

»Genau das bereitet mir die größte Sorge, Hen. Es könnte zum Krieg Menschen gegen Menschen kommen – wie in den barbarischen Zeiten früherer Jahrhunderte. Über Marschall Bulton kontrolliert Trawisheim die Terranische Flotte, außerdem hat er den Oberbefehl über die Cyborgs. Einen massiven Überraschungsangriff würde auf der Erde kaum jemand überleben. Als nächstes schielt er dann vermutlich nach Eden. Daß Wallis damals die Erde verlassen und einen eigenen Planetenstaat gegründet hat, hat Trawisheim garantiert noch nicht verdaut.«

»Am 6. Januar 2060 hat er die ›Vereinigten Systeme von Eden und Achmed‹ mit seiner Unterschrift als eigenständiges Sternenreich anerkannt.«

»Ja und? Seit wann lassen sich machthungrige Despoten von einem Stück Papier beeindrucken, das sie unterzeichnet haben?«

Falluta seufzte. »Sie haben ziemlich erschreckende Phantasien, Commander, das zieht einen ja richtig runter. Ich bezweifle, daß sich die Cyborgs bei einem Krieg gegen die Erde auf Trawisheims Seite stellen würden. Schließlich liegt das Brana-Tal unverrückbar auf Terra.«

»Als Hoheitsgebiet Babylons«, ergänzte Ren Dhark.

Im in 3200 Metern Höhe gelegenen Brana-Tal befand sich, im tibetischen Teil des Himalaja, Terras wichtigstes Forschungs- und Medizinzentrum, mitsamt der Cyborgstation – unter der Leitung des Genetikers Echri Ezbal. Über dem Tal konnte jederzeit ein Schutzschirm aktiviert werden, der von innen sogar beheizbar war. Bislang hatte sich Ezbal erfolgreich einer Verlagerung seiner Einrichtung nach Babylon widersetzt, ebenso den kriegerischen Attacken der Eisläufer, denen es während ihrer zeitweisen Besetzung der Erde nie gelungen war, den für sie undurchdringlichen Schirm zu knacken.

Das Brana-Tal gehörte zwar offiziell zu Babylon, verblieb aber, da man es ja schlecht verlegen konnte, auf der Erde, es war also in weitestem Sinne eine Art Botschaftsgelände, babylonisches Gebiet auf terranischem Terrain.

»Echri Ezbal wird niemals zulassen, daß sich Trawisheim der Cyborgstation bemächtigt«, war Falluta überzeugt.

»Was kann ein weit über Hundertjähriger schon groß gegen die Regierung ausrichten?« fragte Dhark mit skeptischer Miene. »Zum Glück sind sich Politiker aller Couleur nie wirklich einig, daher hoffe ich, daß sich die Mehrheit des babylonischen Parlaments eventuellen diktatorischen Plänen massiv widersetzen wird.«

»Eben, letzten Endes siegt immer die Vernunft«, versuchte Hen Falluta, die düsteren Gedankengänge des Commanders abzuwürgen – denn er wollte sich gar nicht vorstellen, was ihn daheim erwartete, falls Dharks Befürchtungen zutrafen. »Henner Trawisheim hat sich in jüngster Vergangenheit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, doch vielleicht denken wir zu schlecht von ihm. Der Mann hat auch seine guten Seiten.«

»Die er in letzter Zeit geschickt verbirgt. Früher habe ich einmal große Stücke auf ihn gehalten, doch irgendwann fing er an, sich negativ zu verändern. Dafür habe ich keine Erklärung – und kein Verständnis.«

»Vielleicht hört er auf die falschen Ratgeber.«

»Sein teilorganisches Memoryimplantat verleiht ihm einen theoretischen Intelligenzquotienten von 276 Punkten«, sagte Ren Dhark. »Solch ein Mann braucht keine Ratgeber, er weiß ganz genau, was er tut. Immer, zu jeder Zeit.«

*

Obwohl die POINT OF ein privat geführtes Raumschiff war, wurde eine gewisse militärische Rangordnung nach wie vor eingehalten – immerhin hatten fast alle an Bord früher der Terranischen Flotte angehört. Der Ortungsoffizier Tino Grappa war seinerzeit Leutnant gewesen; mittlerweile bekleidete er einen Posten als leitender Angestellter, der in etwa der gleichen Position entsprach. Der einzige Unterschied: Früher hatte man ihn mit »Herr Leutnant« angesprochen, heute nannte man ihn entweder Tino oder Mister Grappa. Die Anrede »Herr Leitender Angestellter« hätte sich auch zu albern angehört.

Selbst in heiklen Situationen hatte Tino stets die Ruhe weg, aber auch für ihn gab es Zeiten, in denen es ihm viel zu ruhig war. Die »langsame« Fahrt durch den Leerraum zerrte allmählich an seinen stählernen Nerven. Grappa galt als »Klaviervirtuose des Kontrollpults«, doch wie jeder gute Musiker brauchte er außer einem Instrument zusätzlich die passenden Noten, und da draußen gab es nichts, das ihn zu einer Komposition anregte.

Ein wenig neidisch schaute er zu den beiden Kommandosesseln, von denen meistens nur einer besetzt war. Entweder saß der Erste Offizier vor den wichtigsten Kontrollinstrumenten oder der Commander. Daß beide dort gemeinsam Platz nahmen – Dhark steuerte heute sogar das Schiff selber –, hatte fast schon Seltenheitswert. Um der Langeweile zu entgehen, unterhielten sie sich miteinander, ausgiebiger denn je. Gern hätte Tino ihnen ein bißchen zugehört, aber sie sprachen nicht sonderlich laut, so daß er sich wohl nach einem eigenen Gesprächspartner umschauen mußte.

»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Hen«, sagte derweil der Commander zu seinem Ersten Offizier. »Ich habe persönlich nichts gegen Trawisheim, obwohl ich es ihm natürlich übelnehme, daß er die Erde beim Kampf gegen die Eisläufer im Stich gelassen und mir jede Hilfe bei der Suche nach unseren in Andromeda verschollenen Kameraden verweigert hat. Dennoch habe ich mich immer seiner Regierung zugehörig gefühlt, sowohl als Terraner als auch als Babylonier.«

»Wieso werde ich das Gefühl nicht los, daß Trawisheims Politik nicht alles ist, was Sie beschäftigt?« wechselte Falluta kurzerhand das Thema – er hatte keine Lust, die bisherige Unterhaltung fortzusetzen. »Sie befassen sich noch mit weiteren schlimmen Vorahnungen, richtig?«

»Richtig, Sie haben mich auch in diesem Punkt durchschaut«, räumte Dhark ein. »Mir kam vorhin unser zweiter Drakhon-Aufenthalt in den Sinn – als wir plötzlich feststellten, daß sich alles verändert hatte, weil dort die Zeit vierzigmal schneller abläuft als in der Milchstraße und immer weiter beschleunigt.Plötzlich hatten wir es mit einer völlig anderen Generation von Nomaden zu tun. Auch sonst trafen wir stets mit den Nachfahren derjenigen zusammen, die wir von der ersten Expedition her kannten. Zu den Ausnahmen gehörten lediglich die Weisen Toten des Nareidums, beispielsweise Shodonn.«

»Und Sie denken, etwas Ähnliches könnte uns erneut zustoßen?« entgegnete Hen Falluta entsetzt. »Unmöglich. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß die Zeit in Andromeda wesentlich schneller oder langsamer abläuft als in der Milchstraße.«

»Schneller wäre kein Problem«, meinte Dhark. »Dann würde man uns daheim mit den Worten begrüßen: ›Oh, ihr seid schon wieder da?‹ Falls aber, verglichen mit unserer eigenen Galaxis, die Vorgänge in Andromeda quälend langsam vonstatten gehen, sind während unserer Abwesenheit in der Milchstraße möglicherweise viele Jahrzehnte vergangen, vielleicht sogar einhundert, zweihundert Jahre – sprich: Auf den von Menschen besiedelten Planeten lebt niemand mehr, der uns persönlich kennt, und die POINT OF ist allen nur noch aus den Geschichtsbüchern ein Begriff.«

»Und warum haben wir bei unserer ersten Andromedareise nichts von derart krassen Zeitverschiebungen mitbekommen?«

»Weil jener Flug verhältnismäßig normal verlief. Das ist diesmal nicht der Fall.«

Falluta ahnte, worauf der Commander anspielte: auf die Horizontverschiebung, eine merkwürdige Energiefront, welche die Schwärze des Weltalls optisch zum Pulsieren gebracht hatte, als ob sich ein beweglicher Filter davorgeschoben hätte. Die unberechenbare Front hatte sich immer weiter ausgedehnt und die Rückkehr der POINT OF in die Milchstraße verhindert. Später hatte sich dann herausgestellt, daß die Horizontverschiebung von einem bestens getarnten Quantenquellenerzeuger erschaffen worden war, und man war dem Maschinenmonstrum mit Hy-Kon und Wuchtkanonen auf den Metalleib gerückt…

Die Gefahr war zwar gebannt, aber nachhaltige Nebenwirkungen und Risiken für beide Galaxien waren nicht auszuschließen.

Hen Falluta hatte seinen Kommandanten seelisch aufrichten und ihn von seinen ständigen Grübeleien ablenken wollen – statt dessen war es Ren Dhark nun gelungen, ihn in seine düstere Gedankenwelt hineinzuziehen.

»Sie sind eine echte Stimmungskanone, Commander«, merkte er sarkastisch an. »Leute wie Sie sprengen jede fröhliche Party.«

Im Gegensatz zu seinem Ersten Offizier ging es Ren Dhark jetzt wieder merklich besser. Die Reise durch den Leerraum schlug auch ihm aufs Gemüt, doch seit er offen über seine Grübeleien geredet hatte, schienen sie wie weggeblasen zu sein. Daß sich nun Falluta an seiner Stelle damit herumschlug, war ihm gar nicht bewußt.

Obwohl sich sein Gemütszustand gebessert hatte, behielt er das gemächliche Reisetempo bei. Fallutas Vermutung, Dhark habe die Rücksichtnahme auf die Aggregate nur vorgeschoben, traf nämlich nicht zu, er hielt diese Maßnahme für zwingend notwendig. Eine Havarie irgendwo im Weltall war schon schlimm genug, doch hier, im galaktischen Leerraum, würde es sie ungleich härter treffen. Niemand würde sie in dieser »Festung der Einsamkeit« jemals finden, geschweige denn überhaupt nach ihnen suchen. Unnötige Eile – es schwebte schließlich keines seiner Besatzungsmitglieder mehr in Gefahr – hielt Ren Dhark daher für fehl am Platze.

Während er sich erneut auf das Nichts konzentrierte, das die POINT OF auf dieser besonders öden Strecke umgab, lehnte sich sein Erster Offizier zurück, schloß die Augenlider und versuchte, sich ein wenig zu entspannen.

Schon bald zeigte sein autogenes Training Wirkung.

*

Am 2. August des Jahres 2066 Bordzeit landete die POINT OF auf der Erde. Von seiner Vereisung war dem einstigen Hauptplaneten der Menschheit nichts mehr anzumerken – alles grünte und blühte wie in einem unberührten Dschungel.

Zwischen dem unkontrolliert wuchernden Grün waren unverkennbar die Spuren schwerer Verwüstungen zu sehen. An zahlreichen Stellen lugte noch die verbrannte Erde hervor. Hier hatte ganz offensichtlich ein Krieg stattgefunden.

Ren Dhark stand schweigend vor der Bildkugel, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Seit die Mitarbeiter der Astronomischen Abteilung anhand der veränderten Sternenkonstellationen festgestellt hatten, daß ihre Abreise knapp vierhundert Jahre zurücklag, hatte der Commander kein Wort mehr gesprochen. Seine schlimmsten Befürchtungen wurden von der Wirklichkeit noch übertroffen.

Auf der Erde schrieb man das Jahr 2450.

Die bedrückte Stimmung, die viele Besatzungsmitglieder beim gemächlichen Durchqueren des intergalaktischen Leerraums befallen hatte, war nichts gegen die Depressionen, die sich jetzt an Bord der POINT OF bis in den letzten Gemütswinkel ausbreiteten. Jeder einzelne war sich darüber im klaren, daß er seine Angehörigen und Freunde nie mehr wiedersehen würde, sie waren schon seit langem tot. Manch einer wünschte sich in diesem Augenblick, in Andromeda ebenfalls gestorben zu sein – denn nur als Toter fühlte man keine Trauer und keinen seelischen Schmerz.

Nicht einmal mit den Nachfahren ihrer Familien konnten die Heimkehrer reden, denn auf ihrem einstigen Heimatplaneten existierte kein intelligentes Leben mehr. Flora und Fauna hatten die Regentschaft über die Erde übernommen.

Als nächstes flog die POINT OF Babylon an – zumindest versuchte sie es. Commander Dhark wurde von der Raumfahrtkontrollstelle jedoch die Landeerlaubnis verweigert. Eine Begründung lieferte man ihm nicht, allerdings wurden ihm über Funk schwere Konsequenzen angedroht, falls er es wagen sollte, illegal auf Trawis-Terra zu landen.

»Trawis-Terra?« wunderte sich Hen Falluta. »Ist Henner Trawisheim etwa noch am Leben?«

»Wohl kaum«, meinte Ren Dhark. »Ich schätze, er hat zu Lebzeiten seine größenwahnsinnigen Pläne wahrgemacht und Babylon umbenannt, um sich selbst ein ewigwährendes Denkmal zu setzen.«

»Aber warum hat er die Erde nach der brutalen Ausrottung der Einheimischen nicht wieder neu besiedelt?«

»Das werden wir seinen Nachfolger selbst fragen«, erwiderte Dhark und deutete auf die Ortungsanzeigen. »Allerdings sollten wir das auf später verschieben, wir bekommen gleich unliebsamen Besuch.«

Von Babylon alias Trawis-Terra startete eine Flotte der größten Ringraumer, die Ren Dhark je gesehen hatte. Ihr Durchmesser übertraf die neuesten Modelle des Geheimen Imperiums um circa 50 Meter. Dagegen nahm sich die POINT OFwie ein Zwerg aus. Eine Auseinandersetzung mit solch einer Übermacht konnte selbst der Checkmaster nicht gewinnen, weshalb er vorschlug, sich taktisch zurückzuziehen – was sich mit der Absicht des Commanders deckte. Dhark war ein mutiger, aber kein lebensmüder Mann.

Sein Fluchtziel war der Planetenstaat Eden, dessen Regent sein Freund Terence Wallis war – vielmehr: gewesen war, denn auch ein reicher Mann wie Wallis konnte sich mit all seinen Milliarden nicht das ewige Leben kaufen.

Vielleicht hat er ja geheiratet und einen Stall voller Nachkommen hinterlassen, überlegte Ren.

Diesmal wurde ihm die Landeerlaubnis problemlos erteilt. Offensichtlich gehörte dieser Planet nicht zum Trawisheim-Imperium.

Dhark war total perplex, als man ihn auf dem Raumhafen mit einem Schweber abholte und ihm mitteilte, der Staatschef Terence Wallis könne es kaum erwarten, seinen totgeglaubten guten Freund wiederzusehen.

»Terence lebt?« staunte Ren. »Wie ist das möglich? Er müßte vor einer halben Ewigkeit gestorben sein.«

Der uniformierte Fahrer schwieg sich darüber aus und bat lediglich um etwas Geduld. Dhark war sichtlich aufgeregt, als er in Begleitung von Hen Falluta den Schweber bestieg. Auf weitere Begleiter verzichtete er vorerst, schließlich befand er sich auf Eden unter Freunden, so daß mit keiner Gefahr zu rechnen war.

Vor einer großen Villa stiegen die beiden Männer aus. Der Fahrer hielt ihnen die Schwebertür auf und fuhr anschließend weiter. Ein Butler in Livree begrüßte die Besucher und führte sie ums Haus herum auf die Terrasse.

Terence Wallis empfing seine Gäste in unkonventioneller Manier: Er saß in einer rundum geschlossenen würfelförmigen Heimsauna. Nur sein Kopf schaute oben aus dem Kubus, der aus einem faltbaren Plastikmaterial gefertigt war, heraus. Solche Billigmodelle waren eigentlich schon zu früheren Zeiten aus der Mode gekommen, weil sie sich als zu unpraktisch erwiesen hatten.

Auf Anhieb schossen Falluta zwei Fragen durch den Kopf: Warum leistete sich ein reicher Mann wie Wallis keinen eigenen Saunabereich und begnügte sich statt dessen mit einem derartigen Notbehelf? Und wieso schwitzte er kein bißchen? Zumindest waren keine Schweißperlen auf seiner Stirn zu sehen.

Vom Kubus aus führte ein dickes bewegliches Plastikrohr durch ein offenstehendes Fenster in den Kellerbereich des Hauses. Falluta vermutete, daß von dort aus heißer Dampf in den Saunawürfel gepumpt wurde. Die Primitivität dieser Apparatur war einer Persönlichkeit wie Wallis im Grunde genommen unwürdig. Hen erinnerte sich, daß der Milliardär früher mehr Stil gehabt hatte. Was war inzwischen geschehen? War Wallis Industries pleite? Für diese Annahme sprach, daß außer dem Butler kein weiteres Hauspersonal zu sehen war.

Natürlich hatte Ren Dhark jede Menge Fragen an seinen Freund. Die beiden wichtigsten stellte er zuerst:

»Was ist während unserer Abwesenheit mit der Erde passiert? Und weshalb leben Sie überhaupt noch?«

Terence grinste. »Das ist mein Freund Ren, wie ich ihn von früher her kenne. Anscheinend stürmen Sie noch immer geradewegs aufs Ziel zu. Na schön, direkte Fragen verdienen direkte Antworten: Henner Trawisheim hat sich als tyrannischer Diktator entpuppt und Terra überfallen – zu einem Zeitpunkt, als die Erde neu zu erblühen begann. Sämtliche Einheimischen wurden bei den Angriffen getötet. Danach überließ er den Planeten sich selbst.«

»Und welchen Grund gab er für diesen barbarischen kriegerischen Akt an?«

»Ich erinnere mich nicht mehr genau, Ren, es ist alles schon so lange her. Es war irgendwas mit ›Verrat‹ und ›Dissidenten‹ oder so, das übliche Blabla halt, das Politiker schwafeln, kurz bevor sie den Befehl zum Massenmord geben. Natürlich hat Henner auch versucht, sich an Eden zu vergreifen, aber wir haben ihn mehrfach siegreich zurückgeschlagen. Leider konnte ich nicht verhindern, daß seine Agenten aus unseren Labors Unterlagen stahlen, die das größte Geheimnis unseres Planeten beinhalteten: das Mysterium der Unsterblichkeit.«

Dhark schluckte. »Unsterblichkeit? So etwas… gibt es nicht.«

»O doch!« widersprach ihm Wallis. »Ich selbst bin der lebende Beweis. Möchten Sie einen Blick auf mein Innenleben werfen?« Mit einer Kopfbewegung gab er dem Butler ein Zeichen.

Der hagere Angestellte begab sich zu der vermeintlichen Heimsauna und öffnete an der linken Seite eine Klapptür. Voller Staunen schauten Falluta und Dhark hinein. Innerhalb des Würfels sah es aus wie in einer großen Uhr. Zahlreiche Zahnräder drehten sich in einem fort und sorgten für ständige Bewegung im »Uhrwerk«.

»Das Wichtigste, das man zum Leben braucht, ist der Kopf«, erklärte Terence Wallis seinen verdutzten Besuchern, »denn dort sitzt die Schaltzentrale eines jeden Menschen: das Gehirn. Alles andere läßt sich maschinell ersetzen – vorausgesetzt, die Überlebensmaschine wurde von einem so klugen Mann wie Robert Saam entwickelt, der damals leider ums Leben kam, als er vergebens versuchte, den Diebstahl seiner Pläne zu verhindern. Ich hatte gehofft, daß Trawisheims Wissenschaftler und Techniker es nicht schaffen würden, die Konstruktionspläne zu entschlüsseln, aber ich habe sie unterschätzt. Es ist ihnen gelungen, diesen komplizierten Apparat nachzubauen, so daß Henner Trawisheim jetzt genauso unsterblich ist wie ich.«

Hen Falluta deutete auf das dicke, in den Keller führende Rohr.

»Es ist vollgestopft mit langen Kabeln«, kam Wallis seiner Frage zuvor, »welche mit einer monströsen Batterie verbunden sind, die so voluminös ist, daß sie das gesamte Untergeschoß meines Hauses ausfüllt. Die Villa steht quasi auf der Batterie.«

»Heißt das, Sie können nicht von hier weg?« fragte Falluta.

»Nur so weit die Kabel reichen«, entgegnete Wallis. »Alles hat halt seinen Preis, auch die Unsterblichkeit.«

Falluta wandte sich Dhark zu. »Möchten Sie unter diesen Umständen ewig leben?«

»Möchte ich… was?« stellte ihm der Commander, der direkt neben ihm saß, die Gegenfrage. »Geht es Ihnen nicht gut, Hen? Sie wirken ein wenig konfus. Wollen Sie sich in Ihrer Unterkunft für ein paar Stunden aufs Ohr legen?«

Erst jetzt fiel Falluta auf, daß er in seinem Kommandosessel saß. Anhand der Kontrollanzeigen erkannte er, daß sich die POINT OF noch immer auf dem Flug durch den Leerraum befand. Auch in der Bildkugel gab es nichts wirklich Interessantes zu sehen.

»Ich… ich muß wohl während des autogenen Trainings eingeschlafen sein«, stammelte der Erste Offizier. »Ihre Grübeleien haben offenbar auf mich abgefärbt, Commander, jedenfalls habe ich lauter wirres Zeug geträumt: Die Erde war verwüstet, und Terence Wallis wurde unsterblich.«

Dhark lächelte verständnisvoll. »Unsterblichkeit ist wohl der am meisten geträumte Wunsch der Menschen. Willkommen in der Wirklichkeit, Hen! Träumen kann man, was man will, aber in der Realität schenkt einem keiner ewiges Leben. Damit müssen wir uns alle abfinden, ob uns das nun gefällt oder nicht.«

*

Am 22. August des Jahres 2066, zwei Tage vor Ren Dharks 38. Geburtstag, traf die POINT OF tatsächlich und wahrhaftig am Rand der Milchstraße ein. Alle Sonnen und Planeten standen noch am vorberechneten Platz. Eine Zeitverschiebung wie einst in Drakhon hatte es nicht gegeben.

Alles schien in bester Ordnung zu sein…

2.

Aus Sicherheitsgründen blieb die POINT OF unter Tarnschutz. Ren Dhark verbot vorerst jede Kontaktaufnahme. Statt dessen wies er Glenn Morris an, den Funkverkehr von Babylon abzuhören.

Der Erste Funker Morris war zwei Jahre jünger als Dhark, von schmaler Gestalt und hatte hellblonde Haare. Mit dem Checkmaster hatte er gemeinsam, daß auch er manchmal Rückfrage hielt, wenn ihm eine Anweisung nicht einleuchtete. So etwas passierte natürlich nicht mitten im Kampfgeschehen. Wenn es brenzlig wurde, verließ er sich wie alle anderen auf seinen Kommandanten, der über einen messerscharfen Verstand verfügte und (meistens) nichts Unüberlegtes tat.

Morris klinkte sich in die Galaxiswelle von Terra-Press ein, dort würde er sicherlich einen guten Querschnitt von nützlichen und unnützen Meldungen auffangen. Die wichtigsten Informationen wollte er dann Ren Dhark in einer Zusammenfassung präsentieren.

Doch dazu kam es erst gar nicht.

»Ich kann kaum glauben, was ich gerade empfange«, teilte er dem Commander mit, während er die Regler herunterdrehte. »Eine Sendeschleife mit einem sich ständig wiederholenden Text, der unterschwellig wie eine Kampfansage an die ganze Welt klingt. Die Sendung ist dermaßen stark, daß sie alles auf dieser Frequenz überlagert.«

»Öffnen Sie die Empfänger, so daß jeder in der Zentrale mithören kann«, ordnete Dhark an und fügte hinzu: »Terra-Press ist doch immer wieder für eine Überraschung gut. Ich bin schon gespannt, mit wem Patterson sich diesmal angelegt.«

Sam Patterson war der Besitzer des größten Medienkonzerns des Sol-Systems. Der Geschäftssitz von Terra-Press sowie eine Redaktionszweigstelle lagen zwar auf Eden, weil es Sam dort ausnehmend gut gefiel, doch die terranische Redaktionszentrale befand sich nach wie vor in Terras Hauptstadt Alamo Gordo, die in zwei Kilometern Höhe von einem riesigen Kompaktfeldschirm überspannt wurde, der den Ort schützte und zugleich wärmte. Starreporter Bert Stranger leitete dort als Chefredakteur die Geschicke des Konzerns – zumindest offiziell. Die meiste Zeit über hielt er sich aus privaten Gründen auf Eden auf; von dort aus konnte er seine Arbeit ebensogut koordinieren, so daß die Büroräume auf der Erde momentan nur von unteren Chargen, Stellvertretern sowie Stellvertretern der Stellvertreter besetzt waren.

Auf Babylon gab es eine weitere Hauptfiliale von Terra-Press. Der dortige Chefredakteur war nicht nur der Boß, er hieß auch so: Henry Jefferson Boss, mit Doppel-S. Sein Büro befand sich in der obersten Etage einer mittelgroßen Pyramide in Babylon-Stadt. Von dort aus sorgte der Vierzigjährige dafür, daß sich seine Journalisten nicht an ihren Schreibtischen ausruhten, sondern möglichst viel und oft draußen unterwegs waren – weil Sensationen nun einmal auf der Straße lagen und nicht in miefigen Büros. Außerdem war frische Luft gesund.

Ren Dhark hörte sich die Sendeschleife an und begriff allmählich, daß weder Sam Patterson noch Henry Jefferson Boss hinter der Dauermeldung steckten. Verschachtelte Drohgebärden zwecks Einschüchterung – das war nicht der Stil von H.J.B., er kämpfte lieber mit offenem Visier.

»Die Revolution der Vernunft wurde nicht von unseren Machthabern ausgelöst, es war das Volk selbst, das sie gewollt hat! Angesichts der großen Herausforderungen, denen sich die Menschheit stellen muß, gab es keine Alternative! Die Regierung Trawisheim und die für sie tätigen Cyborgs durften sich nicht länger von interessengesteuerten Parlamentariern in ihre Arbeit hineinreden lassen! Das strikte Befolgen der Regierungsentscheidungen ist für das Überleben der Menschen auf allen Planeten unabdingbar! Wer das nicht einsieht, ist ein Feind Babylons – und somit ein Feind der gesamten Menschheit!«

In diesem Stil ging es eine Zeitlang weiter, mal mit mehr, mal mit weniger versteckten Drohungen gegen »den Feind« – womit vermutlich jeder gemeint war, der nicht mit der neuen Ausrichtung der Trawisheim-Regierung einverstanden war, frei nach dem Motto: »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns«.

Zu Ren Dharks Leidwesen ging aus dem Text der Dauermeldung, die nichts Gutes verhieß, nicht genau hervor, was hier während seiner Abwesenheit geschehen war. Der Sprecher hielt sich eher vage. Dhark vermutete, daß die Sendung über den Goldenen auf Babylon ausgestrahlt wurde, damit sie möglichst viele Zuhörer erreichte.

»Suchen Sie weitere lokale Frequenzen von Terra-Press ab, Glenn«, wies er den Ersten Funker an. »Ich muß wissen, ob die TP-Medien geschlossen hinter dem Treiben von Trawisheim stehen.«

Das war Gott sei Dank nicht der Fall, wie sich herausstellte, als Morris eine kombinierte Ausstrahlung auf den Wellen von Terra-Press Erde und Terra-Press Eden empfing, die er aufzeichnete, wie er es bereits mit der babylonischen Dauersendung getan hatte. Auf den freien TP-Kanälen lief eine Ansprache von Sam Patterson, der die dramatischen Vorgänge auf Babylon aufs schärfste verurteilte.

*

Der 67jährige Patterson war geschieden, hatte aber eine Dauerfreundin: Peggy Lane, die er als Fan der unsterblichen Beatles auch schon mal »Penny Lane« nannte. Mit seiner Exfrau hatte er zwei Kinder, kurz Jo und Jo genannt, obwohl sie eigentlich Joanne und Joseph hießen. Beide hatten selbst eigene Familien und verstanden sich bestens mit ihren Eltern.

Gelegentlich traf sich Sam mit seiner Geschiedenen Jennifer auf eine Tasse Kaffee. Böse Zungen munkelten, daß sie bei jedem ihrer seltenen Treffen ihren leidenschaftlichen Trieben ungeniert freien Lauf ließen. Peggy konnte über derlei Gerüchte nur schmunzeln, schließlich saßen die beiden meistens in Cafés zusammen – die Gäste und das Servierpersonal hätten sich über solch ein ungebührliches Verhalten bestimmt mächtig gewundert.

Auf seine Altersfalten und sein weißes Haar, das er in langen Koteletten an den Seiten herunterwachsen ließ, war der bartlose Medienmogul sehr stolz, denn jede Falte zeugte von seiner großen Lebenserfahrung. Wäre er Offizier auf einem Kriegsschiff gewesen, hätte er all seine Narben genauso offen gezeigt. Sam hielt nichts von Menschen, die ständig versuchten, etwas zu verbergen. Er war aufrichtig, geradeheraus – das hatte er mit Henry J. Boss gemeinsam –, und er haßte es, belogen zu werden.

Daß er seinen Wohn- und Geschäftssitz auf Eden eingerichtet hatte, hing mit seiner Liebe zu diesem paradiesischen Planeten zusammen – und mit seiner engen Freundschaft zu Terence Wallis.

Der Staatschef, der längst nicht jedem Proleten eine Einreiseerlaubnis erteilte, hatte ihn regelrecht angebettelt, sein Lebensumfeld nach hier zu verlegen.

In seiner weltweiten Ansprache lehnte Sam Patterson Trawisheims Vorgehensweise strikt ab. Er warf ihm vor, den guten Namen von Terra-Press in den Schmutz zu ziehen, seit man TP Babylon verstaatlicht hatte, um nur noch stümperhaften Mist auszustrahlen, der dem politischen Gusto der Regierung entsprach.

»Sämtliche qualifizierten Mitarbeiter haben geschlossen gekündigt, weil sie sich die Unterdrückung der freien Presse nicht bieten lassen wollten. Daraufhin hat Trawisheim ihnen und ihren Familien Konsequenzen angedroht. Sie sollten dienstverpflichtet werden, haben es aber vorgezogen, unter der Führerschaft ihres Chefredakteurs Henry J. Boss in den Untergrund abzutauchen. Daß sie dort nicht untätig sind, dürften mittlerweile viele Menschen festgestellt haben. Die überall auf Babylon und auch im planetenübergreifenden Netz auftauchenden Flugschriften sind das Werk dieser unermüdlichen Untergrundaktivisten. Wie man beim Lesen ihrer Meldungen unschwer erkennen kann, sind hier Schreibprofis am Werk – und nicht Trawisheims unfähige Bonbontruppe, die zwar unter dem Namen ›Terra-Press Babylon‹ auftritt, aber absolut nichts mehr mit meinem bisherigen Unternehmen gemein hat.

Mit Enteignung allein ist es halt nicht getan, man braucht auch das nötige Know-how, um einen Großbetrieb zu leiten. An diesem Problem scheiterte einst weltweit der Kommunismus, und auch dem Trawisheimismus wird garantiert keine große Zukunft beschieden sein.«

Man merkte Pattersons Tonlage an, daß er es regelrecht genoß, öffentlich über den Despoten von Babylon herzuziehen. Dhark hatte dafür vollstes Verständnis, immerhin hatte sich die Regierung von Babylon einen erheblichen Teil seines Informationskonzerns illegal unter den Nagel gerissen. Diplomatie war bei derart dreisten Dieben fehl am Platze.

Ren Dhark war jetzt noch erpichter darauf, Einzelheiten zu erfahren. Er mußte unbedingt mit Terence Wallis reden. Vorher informierte er seine Besatzung per Bordsprech über die prekäre Lage, indem er zunächst die Sendungsschleife, natürlich in gedämpfter Lautstärke, und anschließend die Ansprache von Sam Patterson abspielte.

Im Anschluß daran gab Ren eine eigene Stellungnahme ab, in welcher er seinen Leuten versicherte, daß er sich immer als Mensch, Terraner und Babylonier gesehen habe, aber…

»… aber ich bin nicht bereit, mich einem machtgeilen Diktator zu beugen. Bevor ich jedoch endgültig den Stab über Mister Trawisheim breche, will ich auf diplomatischem Weg versuchen, herauszufinden, was mit ihm nicht in Ordnung ist, und ihm klarmachen, daß ich mich niemals einem Tyrannen unterwerfen werde. Ich setze voraus, daß das für die gesamte Besatzung der POINT OF gilt – zumindest für die Privatleute.

Die Kadetten der Terranischen Flotte werde ich selbstverständlich aus allem heraushalten, um nicht ihre militärischen Karrieren zu gefährden. In absehbarer Zeit werden wir sie vertragsgemäß auf Babylon absetzen und sie offiziell ihrem obersten Dienstherren unterstellen, damit sie keine unnötigen Schwierigkeiten bekommen. Neue Kadetten nehme ich allerdings keine mehr an Bord, nicht solange die Terranische Flotte einem gewissenlosen Diktator untersteht – jedenfalls unseren bisherigen Erkenntnissen zufolge. Um mir darüber eine eigene Meinung zu bilden, möchte ich erst einmal Eden anfliegen. Dort werden wir bestimmt Näheres über die aktuelle Situation in Erfahrung bringen.«

Die POINT OF nahm Kurs auf den Kugelsternhaufen M53.

*

M53 war ein etwa 40 000 Lichtjahre über der galaktischen Hauptebene gelegener, 200 Lichtjahre durchmessender Kugelsternhaufen, mit geschätzt 1,3 Millionen Sonnenmassen; der Abstand zum galaktischen Zentrum betrug 60 000, der zum Sol-System rund 56 000 Lichtjahre. Auf der der Milchstraße abgewandten Seite lag Eden.

Eden hieß nicht von ungefähr so – der Planet mit seinen acht Kontinenten war das reinste Urlaubsparadies, obwohl ihm ein Mond fehlte, der den Aufenthalt für Touristen sicherlich noch romantischer gestaltet hätte. Um den paradiesischen Charakter für die Zukunft zu erhalten, hatte von Anfang an festgestanden, daß insgesamt nicht mehr als 300 Millionen Menschen Eden besiedeln würden. Die erste Million war bereits 2062, drei Jahre nach der Staatsgründung, erreicht worden, weil die fähigsten Köpfe der Erde sich darum gerissen hatten, in der wirtschaftlich aufblühenden Plutokratischen Republik wohnen und arbeiten zu dürfen.

Um eine zu starke Umweltbelastung zu verhindern, wurde nur sanfter Tourismus betrieben, und die Industrie hatte man, bis auf eine Ausnahme, unter dem Erdboden angesiedelt. Jene Ausnahme betraf das Hauptwerk von Wallis Industries, mit dem Terence Wallis seinerzeit quer durchs Weltall hierhergeflogen war. Weitere oberirdische Fabrikanlagen gab es nicht.

Die POINT OF landete auf dem großen Raumhafen vor dem alten Werksgelände, natürlich erst, nachdem Ren Dhark eine Landeerlaubnis eingeholt hatte. Die THOMAS, das Flaggschiff von General Thomas J. Jackson, dem militärischen Leiter der Streitkräfte von Eden, stand bereits auf dem weiträumigen Landefeld. Dhark setzte sein Einhundertachtzigmeterschiff direkt neben den 190 Meter durchmessenden Ovoid-Ringraumer. Beide Männer stiegen aus, und Jackson begrüßte den Commander auf seine gewohnt herzliche, aber wenig zartbesaitete Art.

»Da wir die POINT OFmitsamt Besatzung nach mehr als einem halben Jahr Funkstille bereits abgeschrieben hatten, müssen Sie ein Fremder sein. Keine Sorge, man ist Ihnen auf Eden dennoch wohlgesinnt, schließlich steht im Buch Esra: ›Wer noch übrig ist an allen Orten, da er Fremdling ist, dem sollen helfen die Leute seines Ortes mit Silber und Gold, Gut und Vieh.‹ Im Klartext: Fühlen Sie sich hier wie zu Hause, wir erfüllen Ihnen und Ihrer Mannschaft jeden Wunsch.«

Noch bevor Dhark erwidern konnte, daß er über genügend Besitz verfüge und mit Viehzeug aller Art sowieso nichts anfangen könne, stieg eine weitere ihm gut bekannte Person aus der THOMAS: Terence Wallis.

»Wirklich jeden Wunsch!« rief Terence seinem Freund Ren zu. »Sogar bevor Sie ihn aussprechen!« Beide schüttelten sich auf dem Flugfeld die Hände, und Wallis fuhr fort: »Nach der langen Reise durchs All braucht ihr vor allem drei Dinge: Erholung, Erholung und nochmals Erholung. Deshalb habe ich der gesamten Besatzung auf die Schnelle eine Woche Urlaub im Luxusresort der Hookers gebucht. Wenn ihr gleich wieder abfliegt, könnt ihr noch heute am Strand faulenzen und ausspannen.«

Art und Jane Hooker waren die Entdecker von Eden. Zur Belohnung hatten sie sich als erste ein gehöriges Stück vom Planetenkuchen aussuchen dürfen: den traumhaft schönen subtropischen Inselkontinent Aloha.

»Fast könnte man meinen, Sie wollten mich loswerden, Terence«, bemerkte Dhark.

Wallis schüttelte sein schütteres, zu einem Pferdeschwanz gebundenes dunkelblondes Haar, das irgendwie voller wirkte als früher. »Sie bleiben selbstverständlich bei mir. In meiner Berghütte steht bereits das Gästezimmer für Sie bereit.«

Der vermögende Besitzer von Wallis Industries war schlank, sportlich und schien besser auszusehen denn je.

Wie macht er das bloß? dachte Ren Dhark, der sich in Gegenwart des Dreiundfünfzigjährigen älter vorkam, als er war. Bei jedem Zusammentreffen erweckte Wallis den Eindruck, wieder einmal ein Stück jünger geworden zu sein. Wenigstens ist meine Kleidung stilvoller als seine.

Darüber ließ sich allerdings trefflich streiten. Der Commander trug meistens seine rote Raumfahreruniform, die ihm zwar ausgezeichnet stand, aber freilich nicht sonderlich originell daherkam. Wallis hingegen bevorzugte konservativ-elegante Anzüge, die er gewagt mit grellbunten Westen kombinierte – quasi als Ersatz für kreischend bunte Krawatten, wie sie sich manche Männer unter den Hemdkragen banden. Terence verzichtete auf derlei Galgenstricke und bewies auch bei seinen Krawatten einen ebenso edlen wie teuren Geschmack.

Zwar teilten der Commander und der Unternehmer nicht ihren Kleidungsstil, dafür hatten sie einige andere Gemeinsamkeiten. Eine davon war beider Vorliebe für guten schottischen Single Malt und nicht minder gute kubanische Zigarren. Dhark freute sich schon darauf, mit seinem Freund in dessen Berghütte zusammenzusitzen und am Whiskyglas zu nippen, während dicke Qualmwolken den Raum erfüllten. Morgen würde er dann den anderen in den Urlaub folgen.

Er rechnete mit Protest seitens seiner Lebensgefährtin Amy Stewart und seines zuverlässigen Kampfgefährten Artus, dem einzigen rauchenden Roboter des Universums – aber zu seinem Erstaunen waren beide sofort damit einverstanden, mit dem Rest der Besatzung nach Aloha zu fliegen. Dhark erahnte den Grund dafür…

Nicht schon wieder! stöhnte er innerlich auf. Jedes Jahr das gleiche Theater! Ich bin nun einmal kein Typ zum Feiern, Amy, wann begreifst du das endlich? Erst kürzlich bemerkte mein Erster Offizier, mit mir könne man jede Party sprengen.

Amy war 1,75 Meter groß, schlank, muskulös – und der erste weibliche Cyborg, den man auf Terra erschaffen hatte. Cyborgs waren keine Maschinenmenschen, die zur Hälfte aus Technik bestanden wie in so manchem Gruselfilm, sondern ganz normale Männer und Frauen, deren natürliche Körperkräfte mittels bionischer Implantate gesteigert wurden. Dadurch erfolgte auch eine Steigerung ihrer Lebenserwartung, die zwischen 400 und 500 Jahren lag. Davon war Dharks knapp dreißigjährige blonde und blauäugige Lebensgefährtin allerdings noch weit entfernt.

Sobald ein Cyborg ins sogenannte Zweite System umschaltete, war er zwar nicht unbesiegbar, aber ein überaus reaktionsschneller und kampfstarker Gegner, der selbst größte Schmerzen ertrug und dessen Wunden überaus schnell heilten. Sein Programmhirn übernahm dann das Handeln für ihn, konnte aber jederzeit überstimmt werden, so daß jeder Cyborg für sein Tun die eigene Verantwortung trug.

Wenn Amy nicht gerade im Dienst der Menschheit stand, war sie eine ganz normale Frau wie jede andere – und Frauen pflegten nun einmal ihre Liebsten zu überraschen. Deshalb war es ihr nur recht, daß Ren die erste Nacht auf Eden nicht gemeinsam mit ihr auf Aloha, sondern in Wallis’ Berghütte verbrachte. Dadurch hatte sie Gelegenheit, mit den anderen eine große Geburtstagsüberraschungsparty vorzubereiten. Sie wußte doch, wie sehr sich ihr Lebensgefährte für fröhliche Feste begeisterte, auch wenn er das nie zugab.

Terence Wallis und sein General atmeten fast gleichzeitig erleichtert auf, als sie von Ren Dhark erfuhren, daß Harold Kucks und Pjetr Wonzeff, die verschollenen Kameraden, in Andromeda aus den Klauen des Geheimen Imperiums befreit worden waren. Thomas J. Jackson hatte auf beider Leben keinen Pfifferling gegeben. Für ihre Rettung wider Erwarten hatte er erneut einen Bibelspruch – mit denen er tagtäglich nur so um sich warf – auf Lager: »Ich bin die Auferstehung und das Leben!« zitierte der vollbärtige große Mann, der dichtes braunes Haar und ein kantiges Gesicht sein eigen nannte. »Die beiden fühlen sich bestimmt wie neugeboren, wie seinerzeit Lazarus bei seiner Auferweckung.«

Der bibelfeste Jackson, der einer Methodistenfamilie entstammte, deren Vorfahren bis zu den Gründervätern Amerikas zurückreichten, war verheiratet und hatte eine Tochter. Privat mangelte es ihm an nichts, und seit er bei den Streitkräften von Eden die Anerkennung gefunden hatte, die ihm bei der Terranischen Flotte ständig verweigert worden war, war er auch beruflich überaus zufrieden. Schließlich war er einst Soldat geworden, um etwas für die Menschheit zu tun, und nicht, um mit anderen Offizieren um wichtige Posten zu schachern.

Diese ehrgeizlose Einstellung war einigen terranischen Lamettaträgern nicht geheuer gewesen, weil jemand, der nicht ständig auf seine Karriere schielte, sich nur schwer kontrollieren ließ. Zudem neigten solche Menschen dazu, offen ihre Meinung zu äußern. Deshalb war man zunächst froh gewesen, ihn loszusein. Erst nach seinem Weggang war den Verantwortlichen klargeworden, was für einen wertvollen Strategen sie hatten ziehen lassen.

Nun profitierte Eden von seinem Wissen und Können. General Thomas J. Jackson hatte es nie für notwendig gehalten, sich bei seinen Untergebenen und Vorgesetzten einzuschleimen – und hatte trotzdem eine steile Karriere hingelegt.

*

Das luxuriöse Landhaus von Terence Wallis eine Berghütte zu nennen war eine maßlose Untertreibung. Schon auf der Erde hatte er das in den Rocky Mountains gelegene Wallis Manor stets locker als Blockhütte bezeichnet. Sein neues Privatdomizil Wallis Castle übertraf jene »Hütte« noch um Längen. Man fühlte sich dort wie auf einem Schloß – ein Gefühl, das einen schon beim Durchschreiten des zweiflügeligen schweren Edelholzportals, das mit kunstvollen Schnitzereien versehen war, erfüllte und drinnen erst recht nicht mehr losließ.

Im weitläufigen Foyer flankierten zwei hohe Spiegel an einer Natursteinwand die Flügeltür zum Salon. Den Kamin säumte eine Sitzgruppe aus rostbraunem Wildleder. Zu beiden Seiten des Raumes schwangen zwei aus Mahagoni gefertigte Treppen ins Obergeschoß, wo sich die Gemäldegalerie befand.

Ren Dhark und Terence Wallis nahmen im Salon, der dominiert wurde von mit Hartholzbalken durchzogenen Natursteinmauern, ein phantastisches mehrgängiges Menü ein. Anschließend setzten sie sich an eine Theke, die sich entlang einer verspiegelten Barschrankwand erstreckte. Sowohl die Theke als auch der Schrank waren aus feinstgebeiztem Edelholz. Dhark saß vor dem Tresen, Wallis, der persönlich einschenkte, dahinter. Sonst war niemand mehr anwesend.

Während des Essens hatte das Personal den Hausherrn und seinen Gast dermaßen dezent bedient, daß Ren all die guten Geister gar nicht bemerkt hatte. Terence leistete sich noch den Luxus, echtes Hauspersonal zu beschäftigen. Sein Besucher konnte jedoch nicht ausschließen, daß bei Tisch auch ein Großserienroboter vom Artus-Typ mit dabeigewesen war, so genau hatte er nicht hingeschaut, weil die vielen teuren Speisen auf den Tellern seine ganze Aufmerksamkeit erfordert hatten; das Auge aß schließlich mit.

Inzwischen hatte sich das Personal so leise und nebelhaft verzogen, wie es das Menü serviert hatte. Weitere Gäste beherbergte Wallis derzeit nicht. Seine Freundin Heather Sheridan befand sich wegen einer Reportage auf Terra, erfuhr Dhark, als er sich nach ihr erkundigte. Er hakte nicht weiter nach, denn es gab Wichtigeres zu besprechen.

Der Putsch auf Babylon war das Thema des Abends. Da Ren Dhark so gut wie nichts darüber wußte, oblag es Terence Wallis, die Gesprächsführung zu übernehmen.

»Schauen Sie in den Spiegel«, forderte er seinen Besucher auf.

»Warum?« entgegnete Ren verwundert und blickte zur verspiegelten Schrankwand. »Sitzt meine Frisur nicht richtig?«

Terence lachte und betätigte einen geheimen Meßfühler. Ein in der Schrankwand verborgener Holoerzeuger trat in Kraft. Das Spiegelbild verschwand und machte Platz für eine gänzlich andere Art von Bildern.

Wallis fügte dem vor der abgedunkelten Barschrankwand dargestellten Geschehen die nötigen Informationen hinzu…

3.

Nachdem er auf Babylon mit überwältigender Mehrheit zum Commander der Planeten gewählt worden war – seine Wähler hatte er sich ja selbst in Massen von der Erde mitgebracht –, hatte Henner Trawisheim die bereits geplante Transmitterstrecke zwischen Babylon und Terra kurzerhand aus der Planung gestrichen.

Später war dieses Projekt dann wieder ins Programm genommen worden. Mittlerweile stand die Verbindung zwischen beiden Planeten – dank der Intervention und den Finanzen des Staatsoberhaupts von Eden.

Terence Wallis legte großen Wert auf freie Handelswege in alle nur erdenklichen Richtungen.

Sowohl der etwas außerhalb von Neu-Alamo gelegene Transmitterbahnhof auf Babylon als auch der auf Terra, in Alamo Gordo, galten als exterritoriales Hoheitsgebiet von Eden. Wie beim Brana-Tal, das offiziell babylonisches Terrain war, paßte auch hier der Vergleich mit einer Botschaft. Allerdings wurden auf den Bahnhöfen keine diplomatischen Gespräche geführt; die Tätigkeit der dortigen »Eden-Botschafter« beschränkte sich ausschließlich auf die Abwicklung des Handels- und Reiseverkehrs.

Echri Ezbal war einer der ersten, die die neue Transmitterverbindung benutzten. Erst vor kurzem war er von Külá zurückgekehrt, wo er Verhandlungen geführt hatte, die Biotechnik der Gorm betreffend. Nach einem gründlichen Erfahrungsaustausch plante Ezbal, die großartigen Ideen dieses außergewöhnlichen Volkes in sein Cyborgprogramm zu integrieren – doch dafür benötigte er von seiner Regierung weitere finanzielle Mittel. Trawisheim hatte ihn daraufhin zu einem persönlichen Gespräch nach Neu-Alamo beordert.

Der Brahmane Echri Ezbal maß von Kopf bis Fuß knapp zwei Meter und war von dürrer, fast schon schlotteriger Gestalt. Sein schlohweißes Haar trug er schulterlang. Beim Formen seiner Nase und der Ohren hatten es seine indischen Götter offenbar ein wenig zu gut gemeint, was er ihnen aber nicht übelnahm. Ein verschönernder Eingriff in seinen eigenen Labors wäre zwar nur eine Kleinigkeit gewesen, doch das lehnte er strikt ab. Ein Mann in seiner Position hatte es nicht nötig, sich dem Aussehen der Mittelmäßigen anzupassen.

Nachdem er in Kollegenkreisen überall angeeckt war, hatte sich der Nobelpreisträger 2021 in die Einsamkeit des Brana-Tals zurückgezogen. Dort hatte er die Grundlagen für das geheime Cyborgprogramm entwickelt und es letztlich, nach diversen Fehlschlägen, zum Erfolg geführt. Gut dreißig Jahre nach seinem Rückzug aus der akademischen Welt hatte ihn die Fachwelt als den wichtigsten lebenden Mediziner der Erde bezeichnet, und seine früheren Spötter hätten ihren rechten Arm dafür gegeben, für ihn als Assistent arbeiten zu dürfen.

Seit einiger Zeit beschäftigte Echri einen dreißigjährigen Assistenten namens Michael W. Bieker, der zwar recht übergewichtig und ziemlich unsympathisch daherkam, aber gute Arbeit leistete, und darauf kam es dem Inder in erster Linie an. Bieker, der schon bei der kleinsten Anstrengung zu schnaufen anfing, trug sein Haar raspelkurz. Gern hätte er sich einen so herrlichen Bart wie Ezbal wachsen lassen, doch in seinem Gesicht zeigte sich nicht das kleinste Stoppelchen. Als Reklamefigur für Rasierklingen hätte er ein Vermögen verdienen können, als Forschungsassistent wurde er aber auch nicht schlecht bezahlt.

Echri Ezbal vertraute Bieker voll und ganz, immerhin war der nach der Evakuierung auf die Erde zurückgekommen, um sich bei ihm zu bewerben – trotz der unsicheren Situation. Auch die Eisläufer hatten ihn nicht von seinem Entschluß abbringen können, unter Ezbals Anleitung weiterzuforschen. Loyalität war dem Leiter des Cyborgprogramms wichtiger als gutes Benehmen, deshalb sah er über Biekers Kratzbürstigkeit und seine Rechthaberei genauso großzügig hinweg wie über den Umstand, daß ihm nach jedem Toilettengang hinten ein Hemdzipfel aus der Hose hing – ein Problem, mit dem sich Echri, der stets eine lange, weiße bestickte Kutte trug, nicht herumschlagen mußte. Biekers Fauxpas war ohnehin nur zu sehen, wenn er seinen Laborkittel ablegte.

Nach reiflicher Überlegung hatte sich Ezbal dafür entschieden, seinen jungen, dicklichen Forschungsassistenten mit nach Babylon zu nehmen. Bieker verfügte über ein enormes, fast schon fotografisches Gedächtnis und ersetzte dadurch locker jedes Aufnahmegerät, das Trawisheim bei dem vertraulichen Gespräch ohnehin nicht zugelassen hätte. Der Hundertachtjährige konnte sich nicht mehr jedes Detail so gut merken wie früher, daher brauchte er Menschen in seiner Nähe, die ein bißchen für ihn mitdachten.

Das bedeutete jedoch nicht, daß der Forschungsleiter senil war. Noch vor ein paar Jahrzehnten hätte man ihn längst ins Altenheim abgeschoben, und das Personal hätte Wetten darauf abgeschlossen, wann man ihn mit den Füßen voran wieder zur Tür hinaustragen würde (ein beliebter Zeitvertreib unter gestreßten Pflegern), doch mittlerweile lag die allgemeine Lebenserwartung bei circa 140 Jahren, so daß ernst zu nehmende Alterserscheinungen frühestens ab 130 einsetzten.

Auf dem babylonischen Transmitterbahnhof wurde Echri Ezbal empfangen wie ein Star. Das Personal stammte samt und sonders von Eden, Babylonier waren nicht mit darunter. Zwei Hilfsarbeiter und ein Techniker wollten sogar Autogramme von dem betagten Wissenschaftler und bekamen sie auch.

Bieker, zu dessen negativen Eigenschaften übersteigerter Ehrgeiz gehörte, bat niemand um eine Signatur. Je angestrengter er so tat, als würde ihm das nichts ausmachen, desto mehr merkte man ihm seinen Groll an. Einem Wachmann fiel das auf, und weil ihm der vernachlässigte Assistent leid tat, zückte er rasch Block und Bleistift und fragte ihn ebenfalls nach einem Autogramm. Michael W. Bieker schrieb seinen Namen quer über die erste Seite des Notizblocks, gab dem Mann aber hochnäsig zu verstehen, daß er derlei Belästigungen eigentlich nicht schätzte. Daraufhin zerknüllte der Gemaßregelte das Stück Papier und schnippte es vor Biekers Augen in einen Papierkorb.

Ezbal beobachtete den Vorfall schmunzelnd. Ihm war nichts Menschliches fremd. Das Universum bot vielen unterschiedlichen Lebewesen Platz, daher mußte man auch Unsympathen wie Bieker eine gewisse Lebensberechtigung zusprechen.

»Was ist eigentlich meine Aufgabe bei unserer Unterredung mit Mister Trawisheim?« erkundigte sich der Assistent auf dem Weg zu einem weiteren Transmitter, der den Bahnhof exklusiv mit der Regierungspyramide im Stadtkern verband.

»Stillsitzen und zuhören«, antwortete ihm sein Chef offen. »Und Daumen drücken, damit ich meine Forschungsgelder bewilligt bekomme.«

*

Babylon war der sechzehnte von achtunddreißig Planeten, welche die blaue Sonne Eschunna umkreisten. Begleitet wurde die ehemalige Welt der Mysterious beziehungsweise Worgun von fünf Monden.

Gigantische, teilweise mehr als zwei Kilometer hohe Ringpyramiden, mit einer Grundfläche von drei bis vier Kilometern, prägten die globale Planetenlandschaft, die man ohne Übertreibung als ein Wunderwerk bezeichnen konnte. Die Fensterflächen der Pyramiden waren verspiegelt, die verglasten Schrägen der Wände leiteten das Sonnenlicht über großzügige Lichtfallen ins Gebäudeinnere. Auf den abgeflachten Pyramidenspitzen konnten Beiboote und Gleiter landen, und die seitlichen Ringterrassen waren mit Start- und Landeplattformen für kleinere Fluggeräte ausgestattet.

Die größten Gebäude boten theoretisch einer Million Bewohner Platz und wurden nur noch vom Goldenen Menschen – kurz »der Goldene« genannt – überragt. Jene gigantische Statue reckte sich mehr als acht Kilometer gen Himmel und stand auf einem mächtigen Sockel in einem fünfzig Kilometer durchmessenden freien Areal aus violettblauem Unitall.

Da konnte selbst das Regierungsgebäude nicht mithalten, obwohl es das größte von Neu-Alamo war. Im Gegensatz zu den meist rein funktionell ausgestatteten Pyramiden war diese hier zumindest im Eingangsbereich pompös gestaltet worden: In einer weiten, domartigen Halle mit poliertem Marmorboden schmückten bemerkenswerte Reliefs die Wände. Skulpturen unbekannter Geschöpfe, geschaffen von nicht minder unbekannten Künstlern, und imposante Säulen teilten verschiedene Bereiche ab, die von wartenden Besuchern als angenehme Ruheoasen genutzt wurden – manche von ihnen wollten gar nicht mehr von hier weg.

Echri Ezbal und Michael W. Bieker mußten nicht warten, sie wurden sofort zu Henner Trawisheim vorgelassen.

Der oberste Regent von Babylon hatte breite Schultern, die den Eindruck erweckten, man könne viel auf ihnen abladen. Auch sein ansonsten eher bescheiden ausgestattetes Büro ging ziemlich in die Breite und bot nicht nur einem großen Wandbildschirm, sondern auch einer gemütlichen Sitzecke und sogar einem Konferenztisch Platz. Henners Lieblingsplatz war sein Schreibtisch. Der war natürlich ebenfalls breit. Mit einem Schlafsack hätte Trawisheim darauf problemlos nächtigen können, allerdings war die Tischplatte vollgestellt mit allerlei Nützlichem und Nippes.

Die beiden Besucher wurden aufgefordert, in der Sitzecke Platz zu nehmen. Trawisheim hockte wie ein Buddha hinter seinem Schreibtisch und machte keine Anstalten aufzustehen. Ezbal fragte sich im Spaß, ob Henners Hintern und der breite Stuhl bereits ein eigenes Biotop gebildet hatten.

Bieker und er blieben in der Sitzecke nicht lange allein. Die Tür öffnete sich, und ein etwas bläßlich wirkender, etwa fünfzigjähriger Mann betrat den Raum. Der leicht Angegraute strahlte die Aura der Eigenschaftslosigkeit aus, weshalb Echri ihn zunächst für den Kaffee- und Teeholer hielt. Ezbal wunderte sich, daß man diese Aufgabe keinem Roboter zugeteilt hatte, als sich der Bläßliche zu ihnen gesellte und sich vorstellte.