Glaube fällt [nicht] vom Himmel -  - E-Book

Glaube fällt [nicht] vom Himmel E-Book

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Beschreibung

"Wie kommt es, dass du an Gott glaubst?" Antworten auf diese Frage erzählen von prägenden Menschen, Erlebnissen und Entscheidungen. Und von Veränderungen am eigenen Gottesbild und Glauben im Laufe des Lebens. Darum geht es in diesem Workbook: um deinen Glauben, deine Biografie und deine Theologie. Entdeckungsreise Du bist zu einer Entdeckungsreise eingeladen. Auf vier Touren lernst du deinen Glauben zusammen mit deiner Biografie besser verstehen: - Glaube und Theologie sind so dynamisch wie das Leben, weil Erfahrungen auch sie verändern. - Veränderungen im Glauben gehören zum Leben dazu, auch wenn sie herausfordernd sein können. - Reflexion von Biografie und Glaubensüberzeugungen macht den eigenen Glauben und den anderer nachvollziehbar. - Auf Basis des Glaubens an Jesus Christus gibt es nicht die eine christliche Theologie, sondern unterschiedliche. Glaube fällt [nicht] vom Himmel Biografie und Theologie sind untrennbar miteinander verwoben: Biografie prägt Theologie und Theologie prägt Biografie. Glaube fällt also nicht vom Himmel, er ist nicht einfach da, sondern geprägt von den Spuren des Lebens. Und doch fällt Glaube vom Himmel, weil er ein Geschenk Gottes ist. Dieses Workbook beschäftigt sich theoretisch und praktisch mit dem Thema Biografie und Theologie. Als Wegbegleiter lädt es zum Lesen, zur Auseinandersetzung und zur Reflexion ein. Ganz persönlich oder gemeinsam mit anderen. Mit Texten von Björn Büchert, Dirk Farr, Katharina Haubold, Josef John, Petra Lampe, Jason Liesendahl, Lena Niekler, Tabea Richardson, Jan Schickle, Göran Schmidt, Sarah Thys, Paulien Wagener, Tabea Wichern, Hanns Wolfsberger

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In unseren Veröffentlichungen bemühen wir uns, die Inhalte so zu formulieren, dass sie allen Menschen gerecht werden, dass sich alle Geschlechter angesprochen fühlen, wo alle gemeint sind, oder dass ein Geschlecht spezifisch genannt wird. Nicht immer gelingt dies auf eine Weise, dass der Text gut lesbar und leicht verständlich bleibt. In diesen Fällen geben wir der Lesbarkeit und Verständlichkeit des Textes den Vorrang. Dies ist ausdrücklich keine Benachteiligung einzelner Geschlechter.

Für in diesem Titel enthaltene Links auf Websites/Webangebote Dritter übernehmen wir keine Haftung, da wir uns deren Inhalt nicht zu eigen machen, sondern sie lediglich Verweise auf den Inhalt darstellen. Die Verweise beziehen sich auf den Inhalt zum Zeitpunkt des letzten Zugriffs: 20.02.2023.

Dieser Titel ist in Zusammenarbeit mit der CVJM-Hochschule (www.cvjm-hochschule.de), dem CVJM-Landesverband Baden e. V. (www.cvjmbaden.de), dem CVJM-Landesverband Württemberg e. V. (www.cvjm-wuerttemberg.de) und dem Evangelischen Jugendwerk in Württemberg (www.ejwue.de) entstanden.

Die Herstellung dieser Arbeitshilfe wurde gefördert aus Mitteln des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS).

Impressum

© 1. Auflage 2023Praxisverlag buch+musik bm gGmbH, Stuttgart 2023

All rights reserved.

ISBN Buch 978-3-86687-359-9ISBN E-Book 978-3-86687-360-5

Lektorat: Punkt.Landung, Mirja Wagner, MarburgCovergestaltung: buch+musik – Daniela Buess, StuttgartUmschlaggestaltung, Satz Downloads: buch+musik – Toby Wolf, StuttgartSatzprogrammierung: X1-Publishing, StuttgartBildrechte Umschlag, Inhalt: iStock: asmakar, chronicler101, DamienGesoBildrechte Autorenfotos: bei den Autorinnen und Autoren; Büchert: Peter Kögler, Tübingen; Haubold: Jason Liesendahl, Offenbach a. M.; Niekler: CVJM-Westbund e. V., Wuppertal; Thys: Philipp Dickreuter, Ammerbuch; Wagener: Viviana Pardes, Stuttgart; Wichern: Anna Voelske, Butzbach

www.praxisverlag-bm.de

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Check-in

Tour 1

Story: Eine Glaubensgeschichte in Kapiteln

Glaube entwickelt sich – und das ist ganz normal

Tool: Glaube entwickelt sich

Blackout

Die Geschichten, die wir uns erzählen

Tool: Mein Glaube, mein Leben

Tour 2

Story: Zwischen zwei Polen spannt sich ein Raum auf

Die Macht der Lieder

Tool: Lieder meines Herzens finden

Cartoon

Mit anderen Augen

Tool: Erkundungen in einem „Achtsamen Gespräch“

Dein spiritueller Zugang

Tour 3

Story: Glaube, Leid und Zweifel

Vom Hinterfragen und der Dekonstruktion

Tool: Entscheidungsbaum

Raus vor die Tür

Story: Die kleine flackernde Flamme

Neu begeistert – Wege zu einer zweiten Naivität

Tool: Glaube ich. Glaube ich nicht [mehr]. Glaube ich wieder [anders].

Mit den Fuck-ups leben lernen

Tour 4

Story: Vom Wunsch, gesehen zu werden

Orte, die helfen, ehrlich zu glauben

Tool: Wie üben wir einen Safe Space beim Bibellesen ein?

Story: Die bunte christliche Welt – und ich

Neue Zugänge zu einer alten Sehnsucht

Herzensgebet

Check-out – Meine Entdeckungen

Check-out – Was wir mitnehmen

Anhang

Die Herausgebenden

Die Autorinnen und Autoren

TheoLab: Kooperationspartner

Check-in

Entdeckungsreise zwischen Theologie und Biografie

„Wie kommt es, dass du an Gott glaubst?“ ist eine Frage, die in christlichen Gruppen immer wieder zum Austausch anregt. Vielleicht klingt sie auch ein bisschen anders: „Wie bist du zum Glauben an Jesus gekommen?“ Oder: „Wie kommt es, dass du glaubst, was du glaubst?“ Meist werden als Antwort Geschichten erzählt. Davon, wie man in Familien oder bei Menschen aufgewachsen ist, in denen der christliche Glaube eine große Rolle gespielt hat. Wie man Gottesdienste, Kinder- und Jugendgruppen besucht hat, wie beim Zubettgehen gebetet wurde. Manche berichten von einschneidenden Erlebnissen, die ihr bisheriges Denken oder ihren bisherigen Glauben auf den Kopf gestellt haben, wie z. B. Jugendfreizeiten oder Auslandsaufenthalte. Es wird davon erzählt, wie man sich Gott als Kind vorgestellt und wie sich das Bild mit den Jahren verändert hat. Es wird von Lebensentscheidungen erzählt, die aufgrund des eigenen Glaubens an Gott getroffen wurden, und es wird von Lebensentscheidungen und -ereignissen erzählt, die den eigenen Glauben an Gott begründet, geformt und verändert haben.

Glaube fällt [nicht] vom Himmel

„Theologie ist Biografie“ sagen deshalb einige und betonen damit, dass theologische Überzeugungen nicht lediglich auf biblischen oder abstrakten Begründungen beruhen, sondern auch darauf, wie ein Mensch (theologisch) geprägt worden ist, wo und wie er glauben gelernt hat und durch welche „Brille“ er biblische Geschichten und Aussagen sowie Gott sieht. Gleichzeitig sind Theologie und Biografie nicht identisch.

Darum sagen wir: Theologie und Biografie sind untrennbar miteinander verwoben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir anders glauben würden, wenn wir in anderen Familien groß geworden wären oder in der gleichen Familie, aber in einer anderen Kultur oder zu einer anderen Zeit. Vermutlich würden wir Gott anders sehen, wenn wir bestimmten Menschen in unserem Leben nicht oder zu anderen Zeiten begegnet wären. Oder wenn wir manche weichenstellende Entscheidung anders getroffen hätten.

Glaube fällt insofern nicht vom Himmel. Er ist nicht einfach da, unabhängig von Lebensumständen und -erfahrungen. Er ist durchzogen von Spuren anderer Menschen und von Zusammenhängen, die für das eigene Werden und die eigene Persönlichkeit entscheidend waren und sind. Gleichzeitig fällt Glaube doch vom Himmel, insofern, als dass Menschen ihn nicht „machen“ können, sondern er ein Geschenk Gottes ist. Der Heilige Geist wirkt den Glauben an Jesus Christus. Diese Spannung drückt nicht nur der Titel dieses Workbooks aus, sondern auch die Inhalte und Tools wurden durch sie geprägt.

Als Menschen empfangen wir den Glauben als Geschenk, das sich durch die Geschichte unseres Lebens entfaltet. Das bedeutet, dass man seine eigene Theologie genauso wenig losgelöst von seiner Biografie verstehen kann wie die Theologie anderer. Gerade im theologischen Austausch, im Ringen um unser Verständnis von Wahrheit, aber auch in den Umbruchphasen eigener Überzeugungen erleben wir es deshalb als entscheidend, diesen Aspekt mit einzubeziehen und die eigene Theologie auch anhand der Biografie zu reflektieren. Genauso erhellend ist der Blick auf die eigene Biografie anhand von Glaubensüberzeugungen. Wie wäre das eigene Leben verlaufen, wenn der Glaube oder das Gottesbild anders gewesen wäre? Welche Entscheidungen wurden durch den eigenen Glauben beeinflusst und wie beurteilt man diese im Nachhinein?

Unsere Grundannahme für dieses Buch lautet: Biografie prägt Theologie prägt Biografie prägt Theologie ... Wir stellen uns das wie eine Helix vor, in der Biografie und Theologie eigenständige Stränge sind, die aber eng umschlungen und miteinander verwoben sind.

Theologie und Biografie sind also nicht voneinander zu trennen und losgelöst zu betrachten. Dennoch hilft die Unterscheidung, um sich über den eigenen Glauben und die eigene Identität stärker bewusst zu werden, sprachfähiger zu sein und besser einordnen zu können, warum einem manches zu bestimmten Zeiten wichtig war und ist und anderen vielleicht nicht. Sie hilft auch, mit Veränderungssituationen im Glauben umzugehen. Zeiten des Hinterfragens bisheriger Überzeugungen können anstrengend und herausfordernd sein. Manchmal fühlen sie sich so an, als würde man ins Bodenlose stürzen oder sein ganzes bisheriges Leben infrage stellen. Theologie und Biografie zu betrachten, kann einem aber helfen, Prozesse einzuordnen. Gleichzeitig wird es für einen nachvollziehbarer, warum man manches Hinterfragen als besonders herausfordernd empfindet.

Außerdem wird deutlich, dass Glaube und Theologie dynamisch und nicht statisch sind. Da das Leben aus neuen Erfahrungen und Veränderung besteht, ist es normal, dass sich der eigene Glaube verändert. Neue Erkenntnisse und Erfahrungen, Fragen, Zweifel, Verwunderung, neue Ideen und das Kennenlernen anderer theologischer Ansichten gehören zum Glauben dazu und tragen dazu bei, dass der eigene Glaube authentisch bleibt und man zu einem mündigen, reflektierten Glauben findet. Uns erscheint es eher schwierig, wenn Glaube und die mit ihm verbundenen Überzeugungen keinen Raum zulassen zum Lernen, Neu-Entdecken, zur Korrektur und zum Staunen darüber, dass Gott sich überraschend anders als bisher erwartet zeigt.

Zudem hilft es, den Zusammenhang von Theologie und Biografie zu reflektieren, um zu verstehen, dass es nicht die eine christliche Theologie gibt. Vielmehr müssen wir von Theologien in der Mehrzahl sprechen. Denn so wie Biografien sehr unterschiedlich verlaufen, so unterscheiden sich auch die Glaubensreisen verschiedener Menschen.

„Je nach Biografie, Herkunft und Zeitalter deuteten und deuten Menschen die heiligen Schriften der Bibel und ihre Lebensgeschichte schon immer unterschiedlich. Theologie ist kontextgebunden und fordert deshalb heraus, theologische Entscheidungen zu treffen.“1

Wir wünschen uns, dass dieses Buch eine Hilfe ist, sich allein oder gemeinsam auf eine Entdeckungsreise zu machen. Vielleicht kann es dir zum Wegbegleiter in Zeiten von Glaubensveränderungen werden oder diese anstoßen, sodass du durch das Lesen und Anwenden der Inhalte besser verstehen kannst, warum du Gott und deinen Glauben so wahrnimmst, wie du es aktuell tust. Um dir verschiedene Zugänge zu ermöglichen, werden dir im Buch immer wieder vier Elemente begegnen:

Story:

persönliche Geschichte

Beiträge:

grundlegende Themen

Tool:

praktische Anregung zur Reflexion

Spiritueller Zugang:

Idee, (neue) Form, den Glauben auszuprobieren

Wir hoffen und wünschen uns, dass du aus den persönlichen Geschichten und Beiträgen anderer etwas Hilfreiches für dich mitnehmen kannst. An dieser Stelle kommen bewusst Autorinnen und Autoren zu Wort, die ganz unterschiedliche Biografien haben und verschiedene theologische Ansichten vertreten.Die Tools wiederum können dir Anregungen geben, wie du allein, aber auch gemeinsam mit anderen in die Reflexion einsteigen kannst. Und vielleicht liefern dir die spirituellen Zugänge Ideen, Formen des Glaubens nicht nur neu zu erproben, sondern auch so manche in Vergessenheit geratene Form wiederzuentdecken.

Warum Workbook?

Dieses Buch soll sich nicht lediglich theoretisch mit dem Thema Theologie und Biografie auseinandersetzen, sondern lädt zur persönlichen Reflexion und Beschäftigung ein – allein oder in der Gruppe. Es soll um dich und deinen Glauben gehen. Deine Theologie und deine Biografie. Auch wenn die Form dieses Buches aufeinanderfolgende Kapitel sind, die einer inneren Logik folgen, musst du es nicht unbedingt in dieser Reihenfolge lesen. Vielleicht sprechen dich einige Themen gerade mehr an als andere oder du suchst aktuell eher ein Tool, das du mit einer Gruppe umsetzen kannst. Vielleicht bleibst du auch einfach an einer Grafik hängen. Dann kannst du dieses Buch genauso intuitiv nutzen und zur entsprechenden Stelle springen.

Wir Herausgebenden befinden uns alle auf einer Reise im Glauben und sind dankbar für andere, die uns auf diesem Weg bereits begleitet haben und noch begleiten. Vielleicht tut es auch dir gut, dieses Buch mit einer anderen Person oder in einer Gruppe zu lesen und darüber ins Gespräch zu kommen. Dieses Workbook zu konzipieren und zu entwickeln hat uns selbst wieder neu mit unseren Glaubensreisen in Berührung gebracht und Neues lernen lassen. Wir danken allen Autorinnen und Autoren, die ihre Gedanken, Erlebnisse und ihr Fachwissen beigetragen haben. Wir danken Claudia Siebert für die unterstützende Begleitung, Mirja Wagner für das kompetente Lektorat sowie Daniela Buess und Toby Wolf für die gelungene grafische Gestaltung. Wir danken denen, die bereit sind, andere in Lebens- und Glaubensprozessen zu begleiten, die keine Angst haben, sich hinterfragen zu lassen, und neugierig bleiben, wie Gott sich – vielleicht auch ganz anders – im Leben zeigen wird. Ihr seid uns ein großes Vorbild!

Viel Freude bei deiner Reise!

Björn Büchert, Katharina Haubold, Jan Schickle

Downloads

Unter download.praxisverlag-bm.de können die in diesem Buch enthaltenen Tool-Vorlagen als digitale Daten heruntergeladen werden. Der Kauf des Buches berechtigt zum Downloaden, Ausdrucken, Kopieren und Verwenden dieser Daten, sofern sie zur Vorbereitung und Durchführung der Inhalte dieses Buches verwendet werden. Eine Vervielfältigung, Verwendung oder Weitergabe darüber hinaus ist ohne Erlaubnis ausdrücklich nicht gestattet.

Bevor die Reise losgeht

Das Ziel einer Entdeckungsreise kann sich unterwegs durch Begegnungen, Überraschungen oder unvorhergesehene Ereignisse ändern. Der Ausgangspunkt lässt sich jedoch vor Beginn der Reise definieren.

Die folgenden Anregungen zur Standortbestimmung können dir dabei helfen, wahrzunehmen, von wo aus du startest und welches Reisegepäck du dabeihast.

1 Büchert, Björn / Haubold, Katharina / Karcher, Florian: TheoLab. Theologie für Nichttheologen. Gott. Mensch. Welt, buch+musik ejw-service gmbh, Stuttgart 2020, S. 9–10.

Tour 1

Story: Eine Glaubensgeschichte in Kapiteln

von Hanns Wolfsberger

Wie bist du zum Glauben gekommen?

Diese Frage wurde mir schon oft gestellt, und wie viele andere mit einem ähnlichen Hintergrund verweise ich dann meistens auf meine Familie und meine christliche Erziehung. Mir selbst kommt das alles wahnsinnig unspektakulär vor. Dann sage ich: „Hmm, keine Ahnung, hat halt immer dazugehört.“Der Vorteil dieser Antwort: Wenn man keine Lust auf das Gespräch hat, endet die Unterhaltung meist ziemlich schnell. Der Nachteil dieser Antwort: Ich glaube inzwischen, sie stimmt nicht. Am ehesten stimmt noch der Ausdruck „Keine Ahnung“. Aber je älter ich werde, desto mehr ahne ich, dass der Glaube an Gott erstens nicht einfach „dazugehört“ und zweitens definitiv nicht „immer“. Warum glaube ich noch? Es hätte auch anders kommen können, oder? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Ich lade dich ein, gemeinsam mit mir auf einzelne Stationen meiner Glaubensbiografie zurückzublicken und selbst zu überlegen, ob das alles so kommen musste.

Kindheit: Die Kirchenbank

Ich bin in einer Pfarrfamilie aufgewachsen. Das Kirchengebäude, das Gemeindeleben, das Kommen und Gehen unzähliger Menschen in unserem Haus, Kinderkirche, Jungscharen, Gottesdienste – das war unsere Welt, meine Welt. Wie könnte es dort draußen noch etwas anderes geben? Ich kannte sie, diese Welt. Und ja, ich liebte sie. Ich bewegte mich unbeschwert darin, spielerisch. Quasi nebenbei – unabsichtlich – lernte ich Vaterunser, Glaubensbekenntnis, Psalmen, liturgische Gesänge, Gebete und unzählige Lieder auswendig. Sie umgaben mich einfach und waren Bestandteil meiner Wirklichkeit.

Mein Vater nahm mich im Grundschulalter oft mit zu den Abendgottesdiensten, die sehr regelmäßig stattfanden. Die Kirche stand ja direkt nebenan, und meistens hatte ich schon meinen Schlafanzug an, wenn wir hinübergingen – das war damals für niemanden ein Problem. Der Chor sang seine Lobpreislieder, meine Schwester spielte Klavier, draußen wurde es dunkel und ich war mittendrin. Solche Gottesdienste endeten für mich immer gleich: schlafend. Auf einer Kirchenbank. Aus irgendeinem Grund ist die Erinnerung an diese Kirchenbank besonders intensiv. Lange, beige Polsterstreifen waren darauf festgeklebt. Noch jetzt spüre ich, wie es sich anfühlt, dort auf dem Bauch zu liegen, meine Wange auf dem festen Polster, meine Hände unter dem Polster an den Klebestreifen pulend. Was für ein guter Platz zum Sein. Raum, Klang, irgendwann Schlaf. Heute staune ich, wie viel ich in diesem jungen Alter aufgenommen habe, ohne jemals darüber zu reflektieren.

Teenagerzeit: Die Familie

Leider wurde diese wunderbare Phase unterbrochen. Wir zogen um, mein Vater hatte eine neue Stelle angenommen. Das Abschiednehmen mit neun Jahren fiel mir unendlich schwer, das Ankommen war noch schwerer. Viel Leichtigkeit ging damals verloren.

Das neue Umfeld war zwar auch geprägt von glaubenden Menschen, aber anders, ernsthafter, richtiger. Ich war nicht der Einzige in meiner Familie, dem der Neuanfang schwerfiel. Der Unterschied war, dass ich eigentlich nicht verstand, was um mich herum geschah. Ich fühlte einfach weniger Selbstverständlichkeit. Trotz der christlichen Subkultur, in der wir uns befanden, war ich mit meinem kindlichen Glauben nicht länger Teil der großen Gemeinschaft, in der ich mich frei bewegen konnte – es war einfach nicht meine Gemeinschaft.

In dieser Phase reduzierte sich der praktizierte Glaube mehr und mehr auf meine Familie. Die Trennung der Bereiche, in denen Glauben stattfand oder eben nicht, verstärkte sich noch, als ich auf die weiterführende Schule kam. Schnell lernte ich, dass es keineswegs gesetzt war, geschweige denn cool, an Gott zu glauben. Weil ich Freunde brauchte und mit elf Jahren nicht als „Märtyrer“ zugrunde gehen wollte, klammerte ich mein Glaubensleben ziemlich aus meinem Schul- und Freundesalltag aus. In meiner Familie dagegen blieb für mich alles beim Alten. Dort wurde gebetet und gesungen. Ich vermute, meine Eltern ahnten, zwischen welchen Polen ich mich bewegte. Aber sie waren zu klug, um zu intervenieren oder gar Druck aufzubauen. Sie forderten nichts, waren einfach da, glaubten ihren Glauben und ja, vertrauten, dass schon alles gut gehen würde. Für diese Haltung bin ich ihnen heute unendlich dankbar.

Jugendzeit: Zwei Welten

Die Welten klafften weiter auseinander. Ich wurde älter, verbrachte naturgemäß immer weniger Zeit zu Hause. Mit vierzehn wurde ich konfirmiert, ohne mit der Wimper zu zucken. Mein Konfirmandenunterricht war aus heutiger Sicht ein einziges Trauerspiel. Meine Identifikation mit der Institution Kirche erreichte einen dramatischen Tiefpunkt. Weil ich an meiner Konfirmation nicht einen Pfennig für schicke Klamotten ausgeben wollte, fragte ich den Vater eines Schulfreundes nach einem alten Jackett – optisch ein totales Desaster, aber das war mir egal. Eine Zeit lang besuchte ich einen christlichen Jugendkreis in unserem Ort. Nach einem guten Jahr fragte mich der Gruppenleiter, ob ich am Freitagabend nicht lieber etwas anderes tun wolle. Er meinte, ich interessiere mich doch gar nicht für die Inhalte, sondern hätte nur Blödsinn im Kopf. In anderen Worten: Ich flog raus. Damals ärgerte ich mich. Im Rückblick denke ich: Wie geduldig und liebevoll war der Typ eigentlich, dass er ein ganzes Jahr lang damit gewartet hat?

Meine weitere Jugendzeit bis zum Abitur spielte sich im Grunde außerhalb jeder christlichen Szene ab. Ich wäre in dieser Phase der Letzte (!) gewesen, den man in einem Schülerbibelkreis hätte treffen können. Immerhin reichten Respekt und Solidarität aus, mich – im Gegensatz zu meinen Freunden – nicht lustig zu machen über das arme Häuflein, das sich immer in der Mittagspause zum Bibellesen traf. Vielleicht wusste ich insgeheim, dass ich einer von ihnen war. Das hätte ich nur niemals zugegeben.

FSJ: Die Seeumrundung

Nach dem Abi wollte ich weg. Raus aus dem engen Schwarzwaldtal. Raus aus der Schule, raus aus den zwei Welten. Ich begann ein FSJ in Toronto, Kanada, und arbeitete mit Jugendlichen in Brennpunktbezirken der Großstadt. Der Abstand tat gut. Im Nachhinein war er sogar entscheidend. Von diesem neutralen, weit entfernten Ort aus erhielt ich zum ersten Mal die Möglichkeit, wie von außen auf mein bisheriges Leben – und meinen Glauben – zu blicken.

Eine große Rolle spielte dabei das Weihnachtsfest 2003. Ich verbrachte die Feiertage zum ersten Mal nicht im vertrauten Zuhause mit gewohntem Ablauf, sondern im Familienkreis eines kanadischen Arbeitskollegen. Weil mir ein Herr-der-Ringe-Filmmarathon als Programm am Heiligabend doch zu wenig war, entschied ich mich, eine Tageswanderung zu machen. Ich nahm mir die Umrundung eines nahe gelegenen Sees vor.Das Wetter war kalt und ungemütlich, und ich traf den ganzen Tag lang keinen einzigen Menschen. Ich wurde schwermütig, während ich durch die graue Landschaft lief. Ich vermisste Weihnachten, wie ich es kannte, und begann deshalb, deutsche Weihnachtslieder zu singen. Erst leise, dann immer lauter, irgendwann schreiend – es war ja niemand sonst da. Ich sang Lobpreislieder, Choräle, Strophe für Strophe, Lied für Lied, über eine Stunde ging das so. Ich war ziemlich verblüfft, wie viel Musik, wie viel Text da in mir war. Jetzt ließ ich alles raus. Mit jedem Lied wurde mir leichter. Und so kitschig das auch klingen mag: Nach einer Weile sang nicht nur mein Mund, sondern mein Herz, mein ganzer Körper. Eine Stunde lang gab es nur Gott und mich. Und es war gut.

An diesem Heiligabend spürte ich zum ersten Mal, was für einen Schatz ich da bei mir trug, jahrelang schon. Da gab es eine Verbindung zu etwas Großem, etwas Heiligem. Wie ein dünner Faden, der all die Jahre nie abgerissen war. Jetzt sah ich ihn. Und ich war dankbar für alles, was irgendwann einmal in mich hineingelegt worden war. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt.

Die frühen Zwanziger: Überzeugt

Ich war kein anderer Mensch, als ich nach Deutschland zurückkehrte, aber ja, mein Christsein war mir wichtiger geworden. Ich sprach jetzt darüber, las theologische Bücher, beschäftigte mich mit Biografien von Glaubensvorbildern und bildete mir eine Meinung, wie ein Leben als Christin bzw. Christ aussehen könnte oder müsste. In diesen Jahren lebte und arbeitete ich in einem christlichen Projekt für straffällige Jugendliche und wurde dort mit der Erwartung konfrontiert, jetzt selbst ein Vorbild zu sein. Ob mir das gelang, weiß ich nicht. Aber ich fühlte mich sicherer, sprach überzeugter und fasste irgendwann den Entschluss, Theologie zu studieren. Auf einmal konnte ich mir vorstellen, Pfarrer zu werden. Etwas, das ich den Großteil meines bisherigen Lebens komplett ausgeschlossen hatte.

Studienzeit: Nicht überzeugt

In der Zeit des Theologiestudiums stellte ich dann fest, dass so ziemlich jede Glaubensaussage, die ich mir zu eigen gemacht hatte, von irgendeiner Person nicht geteilt wurde. Alles konnte auch anders gedeutet werden, je nachdem, welche Perspektive, welche Vorannahmen und vor allem welche Prägungen und Erfahrungen eine Person gemacht hatte. Diese Relativierbarkeit ging nicht spurlos an mir vorüber. Mein Eifer wurde kleiner. Zweifel wurden größer – an meiner Berufswahl, an der Kirche, an meinen eigenen Überzeugungen. Zweifel, die bis heute kommen und gehen.

Aber etwas anderes, etwas Neues entstand dabei auch: Demut. Die Ahnung, dass das Geheimnis, dass Gott selbst größer ist als ich und meine Meinung, größer ist als alle Meinungen. Und ja, Vertrauen. Vertrauen darauf, dass der Faden in mir auch in Zukunft nicht abreißen wird. Jemand hält ihn zusammen, und das gibt mir Hoffnung für morgen.

Fortsetzung folgt in der Story: „Die kleine flackernde Flamme“.

Glaube entwickelt sich – und das ist ganz normal

von Katharina Haubold

Ordnung – Unordnung – Neuordnung

Glaube bleibt nicht ein Leben lang gleich – das wird in den Storys dieses Buches deutlich. Es wird auch da spürbar, wo man mit Menschen darüber ins Gespräch kommt, was sie zu unterschiedlichen Zeiten ihres Lebens über Gott gedacht haben. Mit den Veränderungen im Leben kommen auch Veränderungen im Glauben – Biografie und Theologie bedingen sich gegenseitig.