Glaube, Hoffnung, Liebe - Henning Theißen - E-Book

Glaube, Hoffnung, Liebe E-Book

Henning Theißen

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Beschreibung

Glaube als Geisteshaltung

Was bringt der Glaube? Henning Theißen fragt nach dem Ertrag religiöser Orientierung für Menschen heute. Kann Glaube helfen, wenn man die ökologische Krise und den gesellschaftlichen Zusammenhalt als zentrale Lebensprobleme empfindet? Ausgehend vom Gottesbegriff und der trinitarischen Rede vom Vater, Sohn und Geist zeigt der Autor, wie christliches Denken Antworten auf Gegenwartsfragen bietet und bringt dabei die Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe neu ins Gespräch.

  • Was nützt der Glaube?
  • Inspirierende Antworten auf die Frage nach dem Wert religiöser Orientierung
  • Eine kompakte Darstellung der Inhalte des christlichen Glaubens

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Henning Theißen

Erträge der Theologiefür Menschen heute

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2021 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81 673 München

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-27345-3V001

www.gtvh.de

Gewidmetdem Andenken anJohann Leonhard Keller(1963–2020)

INHALT

VORWORT

KAP. 1 – THEOLOGIE

1.1 Der ontologische Gottesbeweis in Zeiten religiöser Indifferenz

1.2 Der kosmologische Gottesbeweis in Zeiten der ökologischen Krise

KAP. 2 – GLAUBE

2.1 Klarheit verbreiten! Glaube und Offenbarung heute

2.2 Menschlich von Gott reden! Glaube und Trinität heute

KAP. 3 – HOFFNUNG

3.1 Ostern: der Grund der Hoffnung

3.2 Der Sohn Gottes und die Kinder Gottes: der Inhalt der Hoffnung

3.3 Das Symbol des Gekreuzigten: die Form der Hoffnung

KAP. 4 – LIEBE

4.1 Geist und Gemeinschaft: die Symmetrie der Liebe

4.2 Mitleid und Vergebung: die Asymmetrie der Liebe

ANMERKUNGEN

REGISTER

Personenregister

Sachregister

VORWORT

Das vorliegende Buch geht auf eine theologische Vorlesung über die Grundlagen der Dogmatik zurück, die ich im Wintersemester 2019/20 am Institut für Ethik und Theologie der Leuphana Universität Lüneburg gehalten habe. Folgte die Darbietung der dogmatischen Inhalte in Anlehnung an die traditionelle Einteilung der christlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe im Anschluss an die Bibelstelle 1. Korintherbrief 13,13 zunächst den Erfordernissen des Semesterbetriebs, so entwickelte sich daraus im Verlauf der Vorbereitung ein eigener Zugang zum Stoff, der schließlich in den Vordergrund des Ganzen trat. Erträge der Theologie für Menschen heute zu benennen ist eine christliche Aufgabe der Gegenwart, die aber nur im Rückgriff auf die Quellen des Glaubens und im Gespräch mit der Tradition der Kirchen ausgefüllt werden kann. Gleichzeitig verlangt sie jederzeit die Bereitschaft, christliche Glaubensüberzeugungen in einer Weise darzustellen, die nicht nur denen zugänglich ist, die diesen Glauben teilen. Diese notwendige Explikationsbereitschaft verbindet die Dogmatik mit ihren theologischen Erkenntnisgrundlagen in der Fundamentaltheologie, der ich vor einigen Jahren ein Buch gewidmet habe, auf das ich in den Anmerkungen des vorliegenden Werkes wiederholt zurückgreife (Einführung in die Dogmatik. Eine kleine Fundamentaltheologie, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015).

Ich widme dieses Buch dem Andenken an Johann Leonhard Keller. Meine ersten Gehversuche auf den mit der eben genannten Aufgabe bezeichneten Wegen – zunächst als Helfer im Kindergottesdienst im niederrheinischen Rheydt und dann als Studienanfänger der Evangelischen Theologie in Tübingen – hat er freundschaftlich begleitet und mit angestoßen. Ich verdanke ihm neben vielem anderen die Begegnung mit der Formensprache des oberschwäbischen Barock in der Klosterkirche Zwiefalten, die für meine an der Rheydter reformierten Sachlichkeit geschulte Kirchenästhetik eine fremde Welt war. Die Darstellung der christlichen Tugenden auf der dortigen Kanzel hatte ich freilich schon vergessen, als mir bei der Suche nach Sinnbildern jener theologischen Erträge die Symbole Kreuz und Anker wieder ins Gedächtnis kamen, dazu der Pelikan. Natürlich weisen alle drei als Maß des Glaubens, als Fixstern der Hoffnung und als Beispiel schenkender Liebe auf Jesus Christus hin. Reformierter Glaube an Gottes Offenbarungswort könnte sich damit zufriedengeben. Mir liegt aber mit diesem Buch daran, Entfaltungen dessen für heutiges Leben und Denken zu suchen. Ob das gelungen ist, muss meine Leserschaft beurteilen.

Da ich meiner Darstellung bewusst eine schlanke und auf das Notwendige beschränkte Gestalt geben wollte, finden sich kaum Diskussionen mit der theologischen Forschungsliteratur. Zumindest an dieser Stelle will ich aber das gediegene Werk erwähnen, das Christophe Chalamet, Professor für Systematische Theologie der Uni Genf, vor einigen Jahren über Glaube, Hoffnung und Liebe unter dem ebenfalls an 1. Korintherbrief 13 angelehnten Titel »Une voie infiniment supérieure« (Genf: Labor et Fides, 2016) vorgelegt hat. Während er in den christlichen Tugenden Gottes Eigenschaften der Treue, der Gerechtigkeit und der Liebe gespiegelt sieht, habe ich meinem Buch einen trinitarischen Aufriss zugrunde gelegt, in dem Glaube, Hoffnung und Liebe mit Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist korrespondieren. So scheinen sich unsere Zugangsweisen gegenseitig zu ergänzen. Gewiss lassen sich viele der heute wichtigen theologischen Einzelfragen nach dem im Leid an- oder abwesenden Gott, nach dem Weg der Hoffnung bei den Menschen oder nach der Möglichkeit, ohne Eigeninteresse zu lieben, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

Mein Dank gilt den Hörerinnen und Hörern der zugrunde liegenden Vorlesung für Rückfragen und Diskussion. Ich danke Christian-Hubertus Peters für wichtige redaktionelle Hilfen und ganz besonders Tanja Trebchen für ihre Durchsicht des Manuskripts und manchen Verbesserungsvorschlag. Dem Gütersloher Verlagshaus bin ich sehr dankbar für die Aufnahme ins Verlagsprogramm.

Lüneburg, den 15. August 2020

KAP. 1 – THEOLOGIE

Theologie ist menschliches Nachdenken über Gott. Damit nimmt sie sich nach gängiger Einschätzung das Größte vor, das Menschen überhaupt zu denken versuchen können. Freilich leistet diese knappe Definition nicht mehr, als dass sie den Gegenstand der Theologie mit Namen nennt; irgendwelche inhaltlichen Auskünfte über Gott sind damit noch nicht verbunden. Doch die namentliche Nennung scheint für denjenigen Gegenstand, dem die Theologie nachdenkt, eine sehr angemessene Redeweise zu sein. Denn wer etwas oder jemanden mit Namen nennt, befindet sich dadurch in einer Anredesituation, die klar zwischen dem Redenden und dem Angeredeten zu unterscheiden erlaubt und verlangt. Denn das ist die Kehrseite des Satzes, dass Theologie menschliches Nachdenken über Gott ist: Es sind Menschen, die sich in der Theologie ihre Gedanken machen. Was immer Theologie über Gott zu sagen hat, ist nicht Gottes eigene Rede, sondern menschliches, also von Erfahrungen geprägtes und gefärbtes, höchst subjektives Nachdenken bei aller Objektivität, um die die Theologie sich wie jede Wissenschaft zu bemühen hat. Zwischen dem Gegenstand der Theologie und den Subjekten, die Theologie treiben, muss also grundsätzlich unterschieden werden.1 In der Theologie »haben« die Menschen Gott nicht. Das ist das Allererste, was zur Einleitung in die Theologie gesagt werden muss.

Das Gesagte soll im weiteren Verlauf dieses Einleitungsparagraphen an dem schlechthin klassischen Themenbereich der Theologie verdeutlicht werden. Das Paradebeispiel menschlichen Nachdenkens über Gott sind die sog. Gottesbeweise,mit denen Menschen sich denkerisch über Gottes Dasein Gewissheit zu verschaffen versuchen. Wie sehr das gelungen oder nicht gelungen ist, lässt sich am besten beurteilen, wenn man sich die beiden Hauptformen dieser Beweise vor Augen führt, die gewöhnlich als ontologischer und als kosmologischer Gottesbeweis bezeichnet werden. Ich werde beide aber nicht einfach als denkerische Erkenntnisse präsentieren, sondern als exemplarische Gestalten dessen, was Theologie generell tut: Sie denkt mit menschlichen Mitteln über Gott nach und enthüllt damit wesentlich, was Gott Menschen bedeutet. Der Fokus meiner Ausführungen zu den Gottesbeweisen liegt also auf dem Beweisziel, das diese für den menschlichen Glauben an Gott oder die an Gott glaubenden Menschen erfüllen.

Mit dieser Zielsetzung wird die notorische Streitfrage überflüssig, ob die Theologie angesichts der Größe ihres Gegenstands, die jedes menschliche Vorstellungsvermögen sprengt, nicht eigentlich von Gott selbst ausgehen müsste, um wahr sein zu können – oder ob die Wahrheit der Theologie vielmehr darin besteht, eine Deutungsleistung menschlicher Vernunftsubjekte zu sein. Die Grundfrage all meiner Darlegungen nicht nur in diesem, sondern auch den folgenden Kapiteln wird vielmehr lauten: Was bringt die Theologie heutigen Menschen?

Mit der Frage nach dem heutigen Ertrag der Theologie ist nicht ihre Funktionalisierung für menschliche Bedürfnisse gemeint. Insbesondere ist die Theologie nicht – um nur ihre wohl verbreitetste Funktionalisierung zu nennen – ein Mechanismus zur Sinnstiftung, der es Menschen erlaubt, Antwort auf die großen Fragen des Lebens nach Anfang und Ziel, Werden und Vergehen, Diesseits und Jenseits zu geben. Zu fragen, was Theologie den Menschen bringt, impliziert vielmehr, dass Menschen derartige Antworten nicht geben, sondern empfangen. Es schließt auf der anderen Seite auch ein, dass Theologie nicht allein zur größeren Ehre Gottes oder – was angesichts seiner Unvorstellbarkeit auf dasselbe hinausliefe – zum Selbstzweck geschehen kann. Theologie hat einen höchst lebenspraktischen Nutzen, aber ihre Nutzer sind nicht die Menschen schlechthin, sondern Menschen mit ihren religiösen und weltanschaulichen Orientierungen. Hier liegt gewissermaßen der Anwendungsbereich jeder theologischen Wissenschaft, mögen auch historische Gründe dazu geführt haben, dass es vor allem die christliche Religion war, die eine wissenschaftliche Reflexionsform namens Theologie ausgebildet hat.

Der Stoff der folgenden Darlegungen verteilt sich vor diesem Hintergrund auf Bereiche, die üblicherweise als religiöse, genauer: christliche Tugenden zu klassifizieren sind. Ich werde die Themen der christlichen Theologie – Gottes Offenbarung, seine Dreieinigkeit, die Heilsbedeutung Jesu Christi, die Wirklichkeit des Christentums in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes – in einer Gliederung präsentieren, die meist zur Strukturierung von Haltungen und Praktiken dient, die Menschen aufgrund ihrer Religion und Spiritualität pflegen. Ich stelle die Grundlagen der Theologie in Anlehnung an die biblische Äußerung des Apostels Paulus (1. Korintherbrief 13,13) am Leitfaden von Glaube (Kap. 2), Hoffnung (Kap. 3) und Liebe (Kap. 4) und unter der Leitfrage vor, was die Theologie den Menschen bringt. Sollte die hier gegebene Darstellung überzeugend sein, so sind Glaube, Hoffnung und Liebe die Antwort auf diese Frage.

Gottesbeweise werden – meist an mittelalterlichen Quellen – bis heute studiert als obligater Teil der Theologiestudiums (und Philosophiestudiums), aber was ist das nach der Aufklärung mehr als Respekt vor ihrer Tradition? M. a. W.: In welcher Hinsicht sind sie beweiskräftig, wenn sie nicht das Dasein eines höchsten Wesens in einer selbst für den theoretischen Atheisten unwidersprechlichen Evidenz beweisen? Wenn aber ihr Beweisziel nicht die Widerlegung des Atheismus ist, sondern dem Glauben selbst gilt, wozu braucht dieser Beweise? Was bringen Gottesbeweise gläubigen Menschen?

Die Antwort lautet: Gottesbeweise decken Lebenslügen auf und machen stattdessen die vertrauenswürdigen Grundlagen der Existenz sichtbar. Das ist gemeint, wenn der Glaube als Beweisziel der Gottesbeweise angegeben wird. Damit ergibt sich ein doppeltes, kritisch-konstruktives Beweisverfahren. Die Gottesbeweise fungieren kritisch als Aufdeckung (im Sinne der Destruktion) von Lebenslügen – das ist vornehmlich die Sache des ontologischen Beweises; sie fungieren aber auch konstruktiv als Aufdeckung (im Sinne der Bewusstmachung) dessen, was stattdessen im Leben vertrauenswürdig ist – das ist besonders die Sache des kosmologischen Beweises.

Folgen wir dem doppelten Verfahren! Beide Beweise werden wir in mehr oder weniger ausdrücklicher Anlehnung an ihre klassischen Gestalten aus der Philosophiegeschichte betrachten, aber auch die tiefgreifende Transformation ins Auge fassen müssen, die beide gegenwärtig in Zeiten religiöser Indifferenz und eines wachsenden, vor allem ökologisch motivierten Krisenbewusstseins durchmachen.

1.1 Der ontologische Gottesbeweis in Zeiten religiöser Indifferenz

Wie kann der ontologische Gottesbeweis Lebenslügen aufdecken, wo doch dieser Beweis bei Anselm von Canterbury im 11. oder bei René Descartes im 17. Jahrhundert und bei anderen späterer Zeit anscheinend eine rein begriffliche Überlegung, eine Art bloßes Gedankenexperiment ist? Das klassische ontologische Argument ist eine Schlussfolgerung vom Begriff Gottes auf seine Existenz und bezieht seine Schlagkraft aus der Umkehrung, also dem Beweis, dass bestimmte Dinge aus rein begrifflichen Gründen nicht existieren können. Ich leihe mir zwei in vielen philosophischen Seminaren zitierte Beispiele: Alle Welt weiß, dass es keine Einhörner gibt, aber der Begriff des Einhorns schließt nicht aus, dass es welche geben könnte. Der Begriff des verheirateten Junggesellen hingegen ist in sich selbst widersprüchlich; verheiratete Junggesellen kann es schon dem Begriff nach nicht geben, und deshalb gibt es sie auch in Wirklichkeit nicht.

Den ontologischen Gottesbeweis versteht man vielleicht am einfachsten als den Versuch, diese Schlussfolgerung vom Begriff auf die Nichtexistenz, die im Beispiel des verheirateten Junggesellen so hervorragend funktioniert, ins Positive zu wenden. Könnte es nicht einen Begriff Gottes geben, aus dem, wenn er nur schlau genug konstruiert ist, folgt, dass Gott notwendigerweise existiert? Die klassischen Formen des ontologischen Gottesbeweises enthalten solche Begriffe: Gott als »das, über dem nichts Höheres gedacht werden kann« (Anselm), als »vollkommenstes Wesen« (Descartes) usw. Immer lautet hier das Argument, dass der so begriffene Gott notwendigerweise existieren muss, weil sich in Widersprüche verstrickt, wer die Existenz einer Sache leugnet, deren Begriff die Existenz schon einschließt. Doch positiv kommt dabei nicht mehr als ein denknotwendiger Gott heraus, kein notwendig existierender Gott. Gottes Existenz kann begrifflich nie so zwingend sein wie die Nichtexistenz des verheirateten Junggesellen. Denn der selbstwidersprüchliche Begriff einer Sache reicht aus, um ihre Existenz auszuschließen, während umgekehrt ihr widerspruchsfreier Begriff keine hinreichende Bedingung (sog. conditio per quam) ihrer Existenz ist (siehe das Beispiel des Einhorns!), sondern nur eine notwendige Bedingung (sog. conditio sine qua non).

Das Positivste, was der klassische ontologische Beweis zustande bringt, ist der Nachweis, dass, wer immer Gott denkt, ihn als existent denken, also Gottes Existenz voraussetzen muss. Und wer Gottes Existenz voraussetzt, der nimmt Gott real in Anspruch. Das kommt scheinbar nahe an einen regelrechten Beweis heran. Aber niemand muss Gott denken. Wer es einfach unterlässt zu denken, den kann auch der denknotwendige Begriff Gottes nicht beeindrucken. Denkabstinenz mag zwar keine erstrebenswerte Haltung sein; sie ist aber noch lange keine Lebenslüge. Was also ist gemeint, wenn wir sagten, der ontologische Beweis decke Lebenslügen auf?

Ich halte an dieser Stelle kurz inne und bilanziere. Das klassische ontologische Argument ist ein Kind des christlichen Mittelalters. Es hat seine Grenze im denknotwendigen Begriff Gottes. Wer Gott denkt, muss seine Existenz voraussetzen. Gott nicht zu denken war im christlichen Mittelalter keine Option. Unter den Bedingungen des Mittelalters war das ontologische Argument also durchaus ein Beweis. Das ändert sich endgültig mit der Aufklärung. Unter den Bedingungen aufgeklärter Rationalität muss kein Mensch Gott denken; man kann ihn leugnen oder ihm indifferent und gleichgültig gegenüberstehen. Damit verliert der ontologische Gottesbeweis einerseits seine Beweiskraft. Andererseits verleiht dieselbe aufgeklärte Rationalität dem ontologischen Argument aber auch neuen Schwung. Wie das?

Im Zeichen der Aufklärung ist Denken mehr als nur der Vorgang, dass Menschen durch begriffliche Abstraktion Erkenntnis gewinnen. Unter der Voraussetzung aufgeklärter Rationalität ist Denken ein Lebensinhalt, ein ganzer Existenzvollzug – nicht weil wir alle so verkopfte Verstandesmenschen wären, die den ganzen Tag Denksport treiben und Gedankenexperimente anstellen würden, sondern weil unsere ganze Existenz unter Einschluss der Sinnlichkeit des Leibes eine eigene Rationalität besitzt, weil es emotionale Intelligenz gibt und noch viele andere mit dem Denken erschließbare sinnstiftende Zusammenhänge. Dass das Denken diese weitreichende Bedeutung bekommt, ist eine Frucht der Aufklärung. Unter diesen Umständen dem Denken gegenüber abstinent zu sein ist weit mehr als der Verzicht darauf, seine grauen Zellen zu verschleißen. Sich der eigenen Denkfähigkeit nicht zu bedienen heißt nun, sich dem Menschsein zu verschließen. In den Worten von I. Kant: »Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«!2

Die existenzielle Ausweitung dessen, was seit der Aufklärung unter Denken verstanden wird, kommt dem ontologischen Gottesbeweis entgegen, obwohl er als strenger Beweis seit derselben Aufklärung ausgedient hat. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. Denn auch der Begriff Gottes erfährt eine ähnliche Ausweitung wie das Denken selbst. Das zeigt die Wiederentdeckung des ontologischen Gottesbeweises im 20. Jahrhundert. Der Ausdruck »Gott« bezeichnet jetzt nicht mehr ein höchstes jenseitiges Wesen, dessen Existenz mit der Vernunft eingesehen werden kann, sondern Gott ist (mit einer Formulierung von Rudolf Bultmann gesprochen) »die Alles bestimmende Wirklichkeit«.3 Bewusst wird hier nicht auf den Gottesbegriff des christlichen Mittelalters zurückgegriffen, sondern auf die Alltagssprache und ihr Wort »Gott«.

Im Begriff des Denkens und im Begriff Gottes zeigt sich also die gleiche Ausweitung; es handelt sich um eine Verschiebung in der Sprache selbst, auf die die Sprachphilosophie seit dem frühen 20. Jahrhundert aufmerksam gemacht hat. Viel deutlicher als frühere Generationen erleben wir heute im digitalen Zeitalter diese Verschiebung. Sprache geht in Zeiten von Facebook und Instagram längst nicht mehr darin auf, dass sie Bedeutung transportiert (›Semantik‹), vielmehr schafft sie auch selbst Wirklichkeit (man nennt das seit Charles W. Morris, Philosoph und Semiotiker (1901–1979), die ›Pragmatik‹ der Sprache). Wer sich vor Augen führt, welche Auswirkungen Hasskommentare (›hate speech‹) aus der virtuellen Welt in der Wirklichkeit offline entfalten können oder wie aus einem Internetaufruf ein Flashmob hervorgehen kann, wird an dieser pragmatischen Wucht der Sprache nicht zweifeln.

Neuauflagen des ontologischen Gottesbeweises machen sich das Phänomen der Sprachpragmatik zunutze. Das ontologische Argument dient jetzt dazu, Widersprüche aufzudecken, in die sich Menschen nicht in ihrem Denken, sondern pragmatisch verstricken, d. h. im Vollzug ihrer eigenen Existenz als sprachbegabte Wesen. Ist doch die worthafte Sprache die maßgebliche Humanressource, die Menschen von nichtmenschlichen Lebewesen unterscheidet. Sich selbst zu widersprechen ist also nicht einfach ein logisches Problem, sondern konterkariert die Grundidee des Menschseins als Sprachwesen. Solche Selbstwidersprüche sind das, was man landläufig Lebenslügen nennt: eine Lebenshaltung, die sich über das hinwegtäuscht, was sie zu ihrer Umsetzung in Anspruch nehmen muss.

Nicht erst, wer Gott denkt, nimmt Gottes Existenz in Anspruch. Ingolf Ulrich Dalferth, Religionsphilosoph und ev. Theologe (* 1948), geht in seiner Aneignung des ontologischen Arguments so weit zu behaupten, dass, wer überhaupt nur denkt, schon damit Gott, »die Alles bestimmende Wirklichkeit« (Bultmann), beansprucht. Heißt doch denken, dass ich meine eigene Sprachbegabtheit weniger im Austausch mit anderen – das wäre sprechen –, sondern an mir selbst verwirkliche und so meinen Ort als Sprachwesen in der Wirklichkeit der Welt bestimme; dazu aber muss ich mich selbst durch das Ganze dieser Wirklichkeit bestimmen lassen.4