Glaube, Liebe und ein Universum aus Dingen und Sachen - Ulrich R. Rohmer - E-Book

Glaube, Liebe und ein Universum aus Dingen und Sachen E-Book

Ulrich R. Rohmer

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Beschreibung

Freilich ist mir äußerst lebhaft bewusst, dass andere Menschen andere Erfahrungen haben, die es ihnen erlauben, als starke Anwälte für ein verdinglichtes Universum aufzutreten, und diese würden mir zweifellos und zudem nonchalant voller Verachtung für meine Zeilen entgegen treten können. Allein, mir ist jeglicher Verachtungsreflex für Dingphilosophen fremd und erscheint mir unangemessen angesichts meiner eben beschriebenen Erfahrung des Wunderns beim Blick in mich selbst und in die Welt um mich. Ich kann mich nur nicht so einfach abfinden mit einer Strategie der Begriffe und Definitionen, die zudem ein Tun präferieren, um mein – wenn ich es so sagen soll – Geworfensein in diese Welt meiner Einsicht nach angemessen zu bezeugen. Ich bezeuge nicht nur mit meiner Fähigkeit zu Sprache, Begriffen, Verdinglichungen und Modellierungen als Abbildungen (denn das sind sie – nicht ein Original selbst, sondern wirklich nur Abbilder) mein Sein in diesem Universum, sondern eben so, wie ich mich erfahre als Seiender, und das umfasst auch mein Denken, Fühlen, Ahnen, meine Unmittelbarkeit ohne Umwege über Dinge und Sachen, mein Glaube und meine Liebe. Mein Zeugnis meines Seins in dieser Welt nimmt zumindest meine Erfahrung, dass neben der äußeren Welt der Erscheinungen und Dinge auch eine innere Welt wirkt und sich entfaltet, sehr ernst, auch wenn Verhältnis und Bezogenheit zwischen beiden wohl niemals so recht klar werden für mich. Mein Verhältnis zu anderen Menschen aber, das sich für mich in einer gewichtigeren Weise offenbart als durch reinen Zufall einer Koinzidenz, betrachte ich als klaren und unmittelbaren Hinweis darauf, dass meine innere Welt und die äußere Welt um mich miteinander interagieren und irgendwie zusammenhängen. Ich weigere mich vorerst, in mich fallende Erscheinungen vorschnell als Dinge zu betrachten in der mir gelehrten Weise, dass es mit Begrifflichkeit, Definition, Objektivierung und Vehältnisklärung nun getan sei – schon dieser sehr gebräuchliche Ausdruck spricht Bände. Mir ist die Erfahrung als Achtjähriger noch ganz nahe, als ich ein kleines Transistorradio in meinen Händen hielt und mich ernsthaft fragte, wo denn der Mann im Radio sei...

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Ulrich R. Rohmer

Glaube, Liebe und ein Universum aus Dingen und Sachen

Vom Irrsinn der Verdinglichung und Digitalisierung unserer Welt

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Eins

Moby, Walk with me, Lord

 

Walk with me, Lord

Walk with me, Lord, all alone

This tedious journey

Won't You walk with me?

 

Walk with me, Lord

Walk with me all alone

This tedious journey

Won't You walk with me?

 

Take my hand, Lord

Take my hand, Lord, all alone

This tedious journey

Won't You take my hand?

 

Let me sleep, Lord

Let me sleep, Lord, let me in

This tedious journey

Won't You let me sleep?

 

https://www.youtube.com/watch?v=AKgQQ7SuxxE

 

Während meines Studiums nahm mich einmal ein Dozent zur Seite, den ich sehr oft nach der Vorlesung mit Fragen löcherte nach bestimmten Zusammenhängen. Irgendwie merkte ich sehr schnell, das er keine Lust hatte, mir zu antworten, und er meinte statt dessen, „das würde später noch kommen, und ich solle mich doch bitteschön gedulden“.

 

Ziemlich unsanft blaffte er mich an diesem Tage an und forderte mich auf, Platz zu nehmen neben seinem Tisch. Wir beide hatten am gleichen Tage Geburtstag und waren möglicherweise aus ähnlichem Holz geschnitzt, vielleicht kam das noch erschwerend hinzu. Jedenfalls schaute er mich mit blitzenden Augen an und bewegte sich ob seiner geringen Körpergröße wie ein unruhiger, von einer Tarantel gestochener Kobold vor mir hin und her, offensichtlich nach richtigen Worten ringend. Noch heute erinnere ich mich genau an sein kariertes Hemd und den Geruch seines Atems vor meinem Gesicht.

 

Siehe, sagte er, du bist wie ein Wanderer auf einem langen Weg, und anstatt nach vorn zu blicken, geradeaus zum Ziel hin, schaust du am Wegrand nach den Pflanzen und Blumen und kümmerst dich um das Umfeld. Deine Aufgabe, so insistierte er, ist nicht das Umfeld, sondern der gerade und unabgelenkte Blick nach vorn zur Prüfung und zum guten Abschneiden derselben! Damit schickte er mich weg und prägte in mir den Eindruck, dass wir nicht auf gleicher Wellenlänge schwingen würden. Ich habe ihn erst viele Jahre später in einem Brief noch einmal um sein Urteil gefragt, und er hat mir freundlich und zuvorkommend geantwortet. Und vor nicht allzu langer Zeit habe ich an seinem Grab gestanden und habe lachend und leise mit ihm gesprochen: nicht wahr, mein alter Freund, du weißt, das du mir mehr als ähnlich und auch ein Mann des Umfeldes warst! Auch du hast die Pflanzen und Blumen und Steine am Rande des Weges gesehen und hast dich hingehockt und verwundert innegehalten, anstatt immer geradeaus auf das Ende des Weges zu schauen! Ja, mein Lieber, ich bin ein Mann des Anhaltens und des Umfeldes, und ich habe Schwierigkeiten, immer geradeaus zu blicken wie der Bauer beim Pflügen seiner Furche!

 

Heute bin ich über ein halbes Jahrhundert auf dieser Welt und hocke mich immer noch auf meinem Wege hin, um nach einer Blume oder einem Stein zu sehen, mitunter auch nach einer Libelle oder einem grünen Frosch. Ich schaue mich auch immer noch gerne um, gucke nach oben und atme tief ein und aus. Und in einem kurzen Gebet versunken, spüre ich die Macht meines Geistes, von den realen Dingen dieser mir im Außen erscheinenden Welt abzudriften und sie, wenn auch nur für Augenblicke, hinter mir zu lassen.

 

Wahrscheinlich – wenn ich schon das Wort verwende – gehört es zum Schicksal des Menschen, als älterer Typ die Heranwachsenden vor bestimmten Erfahrungen bewahren zu wollen aus einer Art Unwohlsein heraus, auf dass die Jüngeren bloß nicht noch einmal vor Augen führen, was im Älteren als Scham oder Belastung hängen blieb. Abgesehen davon, dass der Jüngere eh kaum auf den Älteren hört, weil er seine eigenen Erfahrungen machen will und der Ältere das auch genau weiß, entspinnt sich so immerzu ein Spannungsbogen, der den Jüngeren vom Älteren regelmäßig fort treibt, während der Ältere ob seiner längeren Lebenszeit durchaus in der Lage zu sein scheint, die Spannung in eine Narration hinein zu nehmen, denn aus Spannungen können immer gute Geschichten entstehen: eine gute Narration besteht generell aus einem interessanten Spannungsbogen.

 

Wohl dem, der seine Sprache kennt und liebt! Gerade das Empfinden von Spannungen erlaubt dem Sprachgewandten nicht nur die Schöpfung von leichten und tiefen Geschichten, die doch den geliebten Geschichtenerzähler ausmachen, es gestattet auch ein bewusstes Umfassen einer Gabe, die den Älteren vom Jüngeren unterscheidet: er muss nicht mehr explizit wie ein Bauer beim Pflügen seiner Furche auf das Ende schauen, wie es mein Dozent von mir forderte. Er darf das, was an mir als junger Student beanstandet wurde: sich umschauen, stehen bleiben, am Wegrand verweilen und statt auf ein Ziel zu schauen alles drum herum in seinen Blick einschließen. Während der Jüngere noch Geschichten vom Ziel, vom Erreichen und von Bestrebung gleichsam natürlich präferiert, kann sich der Ältere schon in die Spannungen seines längeren Weges versenken und daraus seine Narrationen entwickeln. Der Jüngere spiegelt dem Älteren seine Triumpfe und Torheiten vor, wovor sich dieser mehr oder weniger fürchtet, ohne etwas daran ändern zu können, denn es war immer so; der Ältere jedoch spiegelt dem Jüngeren Elend und Mut vor, wovon sich dieser mehr oder weniger ekelt oder ermutigt fühlt, wobei er manche seiner Wege noch zu wählen in der Lage scheint und noch nichts wie in Stein gemeiselt ist.

 

Der Ältere kann den Jüngeren nicht vor Wegen und Erfahrungen bewahren, nur weil seine schwierigen Erinnerungen im Anblick des jüngeren Spiegels aufbrechen und einen Wiedergutmachungsmechanismus in Gang setzen, der Vergangenes ungeschehen zu mache wünscht, und der Jüngere vermag den Älteren noch nicht vollständig zu verstehen, geschweige denn sich selber. Der Vorteil des Älteren ist kein anderer, als dass er sich länger auf dem Weg befindet und der Jüngere ihm neben seiner Lebenslust und seinen Triumpfen auch seine Torheiten widerspiegelt. Dies jedoch verstärkt im erfahrenerem Älteren die Spannungen zu Geschichten, die er erzählen könnte, denn ganz so weit ist der Jüngere noch nicht. Es ist im Älterwerden darauf angelegt, allgemein die spannenderen Geschichten zu erzählen, tiefgreifendere Narrationen eines längeren Weges. Dem Jüngeren aber ist es vorerst noch vorbehalten, gleichsam an den Elementen zukünftig möglicher Geschichten ihren Mut zu kühlen und die Beschränkung ihrer ungezügelten Lebenslust zu erfahren.

 

So ist der Jüngere im Wesen ein Elementesammler möglicher Geschichten in der Zukunft und der Ältere ein Elementeverarbeiter wirklicher Geschichten in der Gegenwart. Der Jüngere soll aus Sicht der Älteren nach vorn schauen auf ein Ziel, verharrt aber am Weg und schaut sich lieber um nach Pflanzen und Tieren und Steinen. Der Ältere soll aus Sicht der Jüngeren den Überblick haben, versenkt sich aber lieber in seinen Geist und findet Geschichten, von denen er hofft, der Jüngere würde zuhören und sie mögen. Als Spiegel ruft der Jüngere im Älteren Wehmut und Lehrertum hervor und der Ältere im Jüngeren Auflehnung und Profilierungsbestreben.

 

In Wirklichkeit geschieht hier allzeit ein gegenseitiges Agieren in Spannungen und Stimulieren für Narrationen, falls sie denn erzählt werden. Der Austausch zwischen Jüngeren und Älteren ist selbst eine spannende Geschichte und lebt als solche zwischen Elementesammlung und Elementeverarbeitung, zusätzlich angeregt durch die Unsicherheit gegenseitigen Verstehens. Geschieht dieses nicht, wird der Jüngere auch älter und der Ältere verharrt womöglich in Wehleidigkeit, geschieht es aber, dann führt die Schönheit des Verstehens beide ins Zuhören und auch ganz sicher in ihr eigenes Wesen: der Jüngere versteht besser sein Sein im Werden, der Ältere sein Werden im Sein. Der eine muss die Elemente suchen, der andere kann damit spielen. Der Jüngere muss Miltons Verlorenes Paradies nachempfinden, der Ältere blickt bereits auf Offenbarung, Kapitel 21.

 

Studientexte

Inhalt:

 

I. Milton, Verlorenes Paradies, 12. Gesang, Ende

 

II. Offenbarung 21, Luther 1984

 

 

I. Milton, Verlorenes Paradies, 12. Gesang, Ende

Adam ging in den Hain, wo Eva schlief.

 

Er fand sie schon erwacht, und sie empfing

 

Mit Worten ihn, die nicht von Trauer zeugten:

 

 

»Ich weiß, woher Du kommst, wohin Du gehst,

 

Denn Gott ist bei uns auch im Traum und Schlummer,

 

Er sandte jetzt mir einen günst'gen Traum,

 

Der Glück mir prophezeite, da ich just

 

Mit tiefem Gram dem Schlaf mich überließ.

 

Nun führe mich, ich folge sonder Zaudern;

 

Mit Dir zu gehn, ist süßes Hierverweilen,

 

Doch ohne Dich hier bleiben, ärgste Pein.

 

Du bist mein Alles unterm weiten Himmel,

 

Der Du ob meiner Schuld verbannt von hier.[312]

 

Den einen Trost empfind' ich sicher doch,

 

Daß, ob auch jetzt das Glück verloren ist,

 

Ich doch gewürdigt bin, durch eignen Samen

 

Einst das Verlorne wieder zu gewinnen.«

 

 

So sprach der Menschen Mutter. Adam hörte

 

Sie wohlgefällig, ohn' ihr zu erwidern;

 

Denn näher trat der Engel, gegenüber

 

Stieg auch die Cherubschaar vom Berge nieder,

 

In Strahlenreihen glänzend wunderbar,

 

Wie Meteore schwebten sie dahin,

 

Wie oft der Abendnebel aus dem Fluß

 

Sich über Sümpfe schwingt und an die Ferse

 

Des Hirten, welcher heimwärts wandert, hängt;

 

Vor ihnen loderte das Flammenschwert

 

Des Herrn und Gottes wie ein Glutkomet,

 

Und sengte, Libyens heißen Lüften gleich,

 

Der milden Zone wunderreiche Flur.

 

Da nahm der Engel eilig ihre Hand,

 

Und führte rasch die Zaudernden zum Thor

 

In Osten, und die Klippe dann hinab

 

Auf eb'ne Flur, – dann schwand er ihrem Blick.

 

Sie wandten sich und sahn des Paradieses

 

Oestlichen Theil, noch jüngst ihr sel'ger Sitz,

 

Von Flammengluten furchtbar überwallt,

 

Die Pforte selbst von riesigen Gestalten,

 

Mit Feuerwaffen in der Hand, umschaart.

 

Sie fühlten langsam Thränen niederperlen,

 

Jedoch sie trockneten die Wangen bald;

 

Vor ihnen lag die große weite Welt,

 

Wo sie den Ruheplatz sich wählen konnten,

 

Die Vorsehung des Herrn als Führerin.

 

Sie wanderten mit langsam zagem Schritt

 

Und Hand in Hand aus Eden ihres Wegs.

 

http://www.zeno.org/Literatur/M/Milton,+John/Epos/Das+verlorene+Paradies/Zw%C3%B6lfter+Gesang