Gleichaltrigenprobleme im Jugendalter - Eva Dresbach - E-Book

Gleichaltrigenprobleme im Jugendalter E-Book

Eva Dresbach

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Beschreibung

SELBST ist ein Therapieprogramm zur Behandlung von Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren mit Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen. Der vorliegende Band 3 legt den Fokus auf die Behandlung von Jugendlichen mit Gleichaltrigenproblemen. Behandlungsrelevante Gleichaltrigenprobleme manifestieren sich vor allem in dysfunktionalen Verhaltensweisen in sozialen Situationen. So verhalten sich betroffene Jugendliche beispielsweise sozial ungeschickt oder aggressiv oder sie reagieren mit Rückzug und Vermeidung. Die Verhaltensweisen sind Ausdruck oder Folge unterschiedlicher Störungsbilder, sie belasten die psychische Gesundheit erheblich und schränken die weitere Entwicklung sozialer Kompetenzen ein. Das Manual stellt das diagnostische und therapeutische Vorgehen in den einzelnen Behandlungsphasen Schritt für Schritt dar und veranschaulicht es anhand zahlreicher Beispiele. SELBST-Gleichaltrigenprobleme basiert auf dem Selbstmanagementansatz. Im Zentrum stehen kognitive, emotionsaktivierende und verhaltensverändernde Interventionen. Die sieben problemspezifischen Therapiebausteine dienen der Schulung der sozialen Informationsverarbeitung, der Bearbeitung zugrunde liegender interpersonaler Schemata sowie dem Aufbau sozialer Kompetenzen bei den Jugendlichen. Eltern und Lehrkräfte werden aktiv in die Behandlung einbezogen. Für jede Behandlungsphase stehen zahlreiche Arbeitsmaterialien auf der beiliegenden CD-ROM zur Verfügung.

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Eva Dresbach

Manfred Döpfner

Gleichaltrigenprobleme im Jugendalter

SELBST − Therapieprogramm für Jugendliche mit Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen

Band 3

Dr. Eva Dresbach, geb. 1976. 1995–2001 Studium der Psychologie in Trier. 2003–2007 Stipendiatin der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie. 2007 Approbation zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. 2010 Promotion. 2008–2011 Leitung Psychosozialer Dienst der Kinderonkologischen Abteilung des Zentrums für Kinderheilkunde, Universitätsklinikum Bonn. Weiterbildung in Traumatherapie bei Kindern und Jugendlichen. Seit 2011 niedergelassen in eigener Praxis in Bonn. Dozentin und Supervisorin bei verschiedenen Ausbildungsinstituten. 2015 ISST-Anerkennung als Advanced Level Schematherapist and Supervisor-Trainer in Child-Adolescent Schema-Therapy.

Prof. Dr. Manfred Döpfner, geb. 1955. 1974–1981 Studium der Psychologie in Mannheim. 1990 Promotion. 1998 Habilitation. Seit 1989 Leitender Psychologe an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln und dort seit 1999 Professor für Psychotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seit 1999 Leiter des Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (AKiP) an der Universitätsklinik Köln und seit 2000 Wissenschaftlicher Leiter des Instituts Köln der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Tel. +49 551 999 50 0

Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Beate Hautsch, Göttingen

SELBST-Logo: Björn Mehnen, Berlin

Illustrationen: Klaus Gehrmann, Freiburg

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2234-3; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2234-4)

ISBN 978-3-8017-2234-0

http://doi.org/10.1026/02234-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Das Therapieprogramm SELBST

1.1 Übersicht über das Therapieprogramm SELBST

1.2 Entwicklungsrelevanz von Gleichaltrigenproblemen

1.3 Formen von Gleichaltrigenproblemen und Entstehungsmodell

1.3.1 Formen von Gleichaltrigenproblemen

1.3.2 Soziale Kompetenz und Schemata als Bedingungsfaktoren individueller Gleichaltrigenprobleme

1.3.3 Entstehungsmodell der Gleichaltrigenprobleme

1.4 Indikation und Kombination mit anderen Interventionsformen

1.4.1 Indikation und Kontraindikation

1.4.2 Kombination mit anderen Maßnahmen

1.5 Aufbau des Therapiemanuals SELBST-Gleichaltrigenprobleme

1.5.1 Übersicht über die Therapiebausteine

1.5.2 Handhabung der Therapiebausteine: Auswahl, Kombination, Schwerpunktsetzung

1.5.3 Setting und Strukturierung der Therapiesitzungen

1.6 Anwendung des Therapiemanuals bei den häufigsten psychischen Störungen im Jugendalter

1.6.1 Anwendung bei externalen Störungen: ADHS und Störungen des Sozialverhaltens

1.6.2 Internale Störungen: Angst, depressive Störungen und somatoforme Störungen

1.6.3 Anwendung bei anderen Störungsbildern

1.7 Wirksamkeit von SELBST-Gleichaltrigenprobleme

1.8 Diagnostik und Verlaufskontrolle

1.8.1 Instrumente zur Exploration und ersten Problemerfassung

1.8.2 Allgemeine Diagnostik

1.8.3 Problemspezifische Diagnostik

1.8.4 Ergänzende Verfahren

1.8.5 Diagnostik im Behandlungsverlauf

1.9 Therapeutische Beziehung

1.9.1 Beziehungsaufbau und -gestaltung

1.9.2 Therapeutische Beziehungsgestaltung und emotionale Grundbedürfnisse

1.9.3 Umgang mit schwierigen Therapiekonstellationen

Kapitel 2 Therapiemanual SELBST-Gleichaltrigenprobleme

2.1 Phase 1: Screening der Eingangsbeschwerden, Beziehungsaufbau und Informationsvermittlung

2.2  Phase 2: Multimodale Diagnostik – Erfassung individueller Probleme und Kompetenzen sowie von Belastungen und Ressourcen im Umfeld

2.3 Phase 3: Problemanalyse und Erarbeitung eines Störungskonzeptes

2.4 Phase 4: Zielanalyse, Stärkung der Änderungsmotivation, Interventionsplanung

2.5 Phase 5: Durchführung von Interventionen

2.5.1 Baustein 1 – Soziale Informationsverarbeitung und soziales Selbstbild

2.5.2 Baustein 2 – Kognitionen Jugendlicher

2.5.3 Baustein 3 – Kognitionen Eltern

2.5.4 Baustein 4 – Emotionsregulation

2.5.5 Baustein 5 – Soziales Problemlösen und soziale Fertigkeiten

2.5.6 Baustein 6 – Verstärkerbedingungen Eltern

2.5.7 Baustein 7 – Soziale Verstärkerbedingungen und Neuplatzierung

2.6 Phase 6: Zwischenevaluation und Zielerreichung

2.7  Phase 7: Stabilisierung und Rückfallprävention

Kapitel 3 Fallbeispiel

Leonie, 15 Jahre

Literatur

Anhang

Übersicht über die Materialien auf der CD-ROM

Materialien auf CD-ROM

|7|Vorwort

Gleichaltrigenprobleme im Jugendalter zeigen sich als sozialer Rückzug, soziale Unsicherheit und Angst sowie aggressives Verhalten und begrenzte Konfliktlösefähigkeit. Sie können sowohl Ursache als auch Folge psychischer Störungen sein. Betroffene Jugendliche zeigen häufig problematisches soziales Verhalten, das durch Kompetenzdefizite bedingt sein kann. Häufig wird die soziale Performanz auch bei ausreichenden Kompetenzen durch negative interpersonale Schemata, dysfunktionale Grundannahmen ungünstig beeinflusst. Diese wirken sich auf die soziale Informationsverarbeitung, die Emotionsregulation, das Problemlösen und die Auswahl von Handlungsalternativen aus. Gleichaltrigenprobleme einzelner Jugendlicher müssen zudem auch im Kontext von Gruppenprozessen, wie z. B. Vernachlässigung und Ablehnung, sowie Viktimisierung durch Gleichaltrige betrachtet werden. Jugendliche leiden meist deutlich unter anhaltenden Gleichaltrigenproblemen. Auch die Identitätsentwicklung und der weitere Aufbau sozialer Fertigkeiten werden durch erlebte Schwierigkeiten negativ beeinflusst.

Interpersonale Probleme gehören zu den häufigsten Gründen, die Erwachsene zur Aufnahme einer Psychotherapie bewegen. Möglichst frühe Interventionen sind bei diesem Problemschwerpunkt wünschenswert, um Jugendlichen die Entwicklung sozialer Kompetenzen und positiver interpersonaler Schemata zu ermöglichen.

Gleichaltrigenprobleme erfordern einen transdiagnostischen und multimodalen Behandlungsansatz unter Einbeziehung der Eltern und anderer Bezugspersonen. Beziehungserfahrungen in der Familie und unter Gleichaltrigen beeinflussen maßgeblich die Entstehung interpersonaler Schemata und dysfunktionaler Grundannahmen und prägen den Aufbau sozialer Kompetenzen im Jugendalter. Oft ist auch eine Zusammenarbeit mit der Schule indiziert, wenn dort negative Gruppen- und Verstärkerprozesse manifest werden.

Das modular aufgebaute Therapieprogramm SELBST ist als Behandlungsansatz für die Problemschwerpunkte Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen entwickelt worden. SELBST-Gleichaltrigenprobleme ist nach SELBST-Grundlagen (Walter et al., 2007) und SELBST-Leistungsprobleme (Walter et al., 2009), der dritte Band des Therapieprogramms und baut auf SELBST-Grundlagen auf. Dort werden die allgemeinen Strategien des Selbstmanagement-Ansatzes für Jugendliche mit den sieben Behandlungsphasen ausführlich vorgestellt. Der vorliegende Band kann zur transdiagnostischen und individualisierten Behandlung von Jugendlichen mit Gleichaltrigenproblemen eingesetzt werden, bei denen die psychische Symptomatik Ursache oder Folge der interpersonalen Probleme ist.

Die Anwendbarkeit und Wirksamkeit von Selbstmanagementtherapie konnte für verschiedene Störungsbilder und Patientengruppen bestätigt werden. Kanfer et al. (2012) befürworten explizit eine methodenoffene Anwendung ihres Ansatzes. Dadurch kann Selbstmanagementtherapie als ein im positiven Sinne konservativer Ansatz genutzt werden, der die Integration innovativer Methoden und Schwerpunktsetzungen in der therapeutischen Beziehungsgestaltung ermöglicht.

Wir möchten den Mitherausgebern des Therapieprogramms SELBST, Christiane Rademacher, Stephanie Schürmann und Daniel Walter an dieser Stelle ausdrücklich für ihre Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Therapiemanuals danken. Kollegen und Supervisanden möchten wir für Anregungen zu den Materialien danken. Nicht zuletzt gilt unser Dank den Jugendlichen und ihren Eltern, deren Vertrauen und Mitarbeit eine erste Evaluation, sowie die weitere klinische Erprobung und Ausarbeitung des Therapiemanuals SELSBT-Gleichaltrigenprobleme ermöglicht haben.

Köln, im Januar 2020

Eva Dresbach und

Manfred Döpfner

|9|Kapitel 1Das Therapieprogramm SELBST

1.1 Übersicht über das Therapieprogramm SELBST

Das SELBST-Programm (Walter et al., 2007) ist eine Adaptation der Selbstmanagementtherapie von Kanfer und Mitarbeitern (2000, 2012) für Jugendliche. Selbstwert-, Leistungs- und Beziehungsstörungen können mit dem problem- und ressourcenorientierten Therapieprogramm SELBST behandelt werden. Der Selbstmanagementtherapie liegt ein Menschenbild zugrunde, in dem das Streben nach Selbstbestimmung als zentrale Motivation betrachtet wird. Ziele sind der Aufbau von Selbstregulation und Selbstständigkeit sowie die Stärkung von Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit des Patienten. Dazu werden Selbstbeobachtung, Selbstverbalisation und Selbstverstärkung eingesetzt. Das daraus abgeleitete Vorgehen wird dem Bedürfnis jugendlicher Patienten nach Autonomie gerecht und unterstützt die Erfüllung von Entwicklungsaufgaben des Jugendalters.

Das SELBST-Programm zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

Ressourcenorientierung: Kompetenzen des Jugendlichen und Ressourcen des Umfeldes werden aktiviert, genutzt und im Laufe der Behandlung weiterentwickelt.

Störungsübergreifende Behandlung: Der Ansatz bezieht sich nicht auf einzelne Störungsbilder im Sinne der Klassifikationssysteme für psychische Störungen, sondern auf transdiagnostische Problemschwerpunkte.

Problemorientierung: Als konkrete Problembereiche werden Selbstwert-, Leistungs-, und Beziehungsstörungen definiert und behandelt.

Lösungsorientierung: Die Behandlung hat das Ziel, konkrete Lösungen mit dem Jugendlichen und den Bezugspersonen zu entwickeln.

Kasten 1:Regeln für das therapeutische Vorgehen nach Kanfer et al. (2012, S. 327)

Verhaltensorientiert denken (think behavior): Probleme und potenzielle Lösungen so konkret wie möglich beschreiben. Fokus auf das eigene, veränderbare Verhalten, nicht auf das nicht kontrollierbare Verhalten der Interaktionspartner.

Lösungsorientiert denken (think solution): Kleinste Schritte des Patienten in Richtung Lösung verstärken.

Positiv denken (think positive): Fokus auf positive Ergebnisse, auch kleine Schritte, auf Ressourcen und ungenutzte Potenziale richten.

In kleinen Schritten denken (think small steps): Ziele in erreichbare Teilziele und bewältigbare Schritte zerlegen.

Flexibel denken (think flexible): Therapieziele und Methoden flexibel an Ereignisse und Veränderungen anpassen.

Zukunftsorientiert denken (think future): Fokus auf die Ziele und die Zukunft. Verständnis vergangener Faktoren zur Umsetzung von aktuellen und zukünftigen Zielen nutzen.

Das problemübergreifende therapeutische Vorgehen mit dem Jugendlichen unter Einbeziehung der relevanten Bezugspersonen wurde in SELBST-Grundlagen (Walter et al., 2007) ausführlich beschrieben. Die übrigen vier Bände widmen sich spezifischen Problembereichen. In jedem Band findet sich eine Übersicht über das allgemeine Vorgehen, so dass jeder Band unabhängig von den anderen genutzt werden kann. Das SELBST-Programm umfasst die folgenden Bände:

Grundlagen der Selbstmanagementtherapie bei Jugendlichen (SELBST-Grundlagen, Walter et al., 2007): Einführung in die konzeptionellen Grundlagen und das Prozedere entsprechend der sieben |10|Phasen der Selbstmanagementtherapie nach Kanfer und Mitarbeitern (2000, 2012).

Leistungsprobleme im Jugendalter (SELBST-Leistungsprobleme, Walter & Döpfner, 2009): Die Behandlung von Jugendlichen mit Leistungsproblemen – in der Schule oder am Ausbildungsplatz wird beschrieben. Die hier fokussierten Leistungsstörungen sind nicht durch Begabungsdefizite zu erklären, sondern stehen in Zusammenhang mit dysfunktionalen Überzeugungen, Motivationsproblemen und Problemen in der Lernorganisation.

Gleichaltrigenprobleme im Jugendalter (SELBST-Gleichaltrigenprobleme): Der vorliegende Band dient der Behandlung von Gleichaltrigenproblemen. Diese resultieren aus Problemen der sozialen Informationsverarbeitung, aus dysfunktionalen Überzeugungen und interpersonalen Schemata, inadäquater Emotionsregulation oder einem Defizit an sozialen Fertigkeiten. Die Gleichaltrigenprobleme können sich als ausgeprägter sozialer Rückzug, soziale Ängstlichkeit, aggressives Verhalten, häufige Konflikte oder Beziehungsabbrüche manifestieren. Gruppenprozesse wie Vernachlässigung, Ablehnung oder Viktimisierung durch Gleichaltrige stehen häufig in Wechselwirkung mit den hier beschriebenen individuellen Problemen.

Familienprobleme im Jugendalter (SELBST-Familienprobleme, Rademacher & Döpfner, in Vorb.): In diesem Band wird die Behandlung ausgeprägter Beziehungsstörungen zwischen Jugendlichen und Eltern vorgestellt, die sich zumeist als chronifizierte Konflikte und Streitigkeiten zeigen.

Selbstwertprobleme im Jugendalter (SELBST-Selbstwertprobleme, Schreiter & Döpfner, in Vorb.): Der Band beschreibt die Behandlung von Jugendlichen mit Selbstwertstörungen, d. h. mit negativem Selbstbild und dysphorischem oder depressivem Affekt sowie einem reduzierten Niveau an Aktivitäten.

Das Therapieprogramm SELBST ist in sieben Behandlungsphasen unterteilt, die den Bereichen Problem- und Zielanalyse (Phasen 1 bis 4) sowie Intervention und Verlaufskontrolle (Phasen 5 bis 7) zugeordnet werden (vgl. Abbildung 1 sowie Walter et al., 2007). Die 7 Phasen werden in jedem Modul durchgeführt, dabei wird das in SELBST-Grundlagen beschriebene Vorgehen an die einzelnen Problemschwerpunkte angepasst.

Jedes Modul umfasst in Phase 5 die spezifischen Interventionen für den jeweiligen Problemschwerpunkt. Dazu stehen in jedem Modul verschiedene Bausteine zur Verfügung, die abhängig von der Indikation eingesetzt werden. So kann für jeden Jugendlichen eine individuell zugeschnittene Behandlung konzipiert werden. Dabei können auch Bausteine aus den verschiedenen Modulen des SELBST-Programms kombiniert werden. Jedes Modul umfasst Bausteine für Jugendliche, Eltern und Lehrer.

Abbildung 1: Die 7 Phasen des Behandlungsprogramms SELBST (aus Walter et al., 2007, S. 11)

Im Folgenden wird ein Überblick über die einzelnen Phasen und deren Anwendung bei Gleichaltrigenproblemen gegeben:

Phase 1 – Screening der Eingangsbeschwerden, Beziehungsaufbau, Informationsvermittlung. Die ersten Sitzungen werden zum Beziehungsaufbau und zur ersten Informationssammlung genutzt, um günstige Ausgangsbedingungen für die Therapie zu schaffen. Der Vorstellungsanlass aus Sicht aller Beteiligten wird erfasst und das Vorgehen bei der Behandlung erläutert. Dabei macht der Therapeut seine Arbeitsweise und seine Haltung transparent. Dem Jugendlichen wird vermittelt, dass die Behandlung auf Freiwilligkeit beruht. Voraussetzungen für eine tragfähige therapeutische Beziehung werden geschaffen. Bei allen Patienten sind die Therapieaufgaben von großer Bedeutung für den Behandlungserfolg. Diese werden ab Phase 1 kontinuierlich eingesetzt.

Phase 2 – Multimodale Diagnostik: Probleme und Kompetenzen, Belastungen und Ressourcen. Die nächste Phase dient dem Aufbau von Änderungsmotivation und einer vorläufigen Auswahl von Problembereichen. Dazu wird multimodale Diagnostik eingesetzt, die der Identifikation der |11|Hauptprobleme dient. Neben der Exploration der Beteiligten werden standardisierte Fragebögen genutzt sowie eine für das Modul entwickelte Checkliste. Dabei werden die soziale Integration, soziale Fertigkeiten und interpersonale Schemata erfasst. Der Fokus wird auf Ressourcen und Stärken sowie positive Aspekte von möglichen Veränderungen gelegt. Der Jugendliche wird beim Aufbau von Änderungsmotivation unterstützt.

Phase 3 – Problemanalyse, Erarbeitung eines Störungskonzeptes. Problembereiche werden definiert, in situativen und kontextuellen Verhaltensanalysen werden aufrechterhaltende Bedingungen erfasst. Mit dem Jugendlichen und den Bezugspersonen wird ein gemeinsames Störungsmodell entwickelt. Dabei wird zunächst mit dem Jugendlichen und den Bezugspersonen getrennt gearbeitet. Im Anschluss werden die einzelnen Perspektiven zusammengeführt. Die Vor- und Nachteile des Problemverhaltens werden erarbeitet. Die relevanten Verhaltensprobleme werden auf einer Problemliste zusammengefasst. Anschließend wird ausgehend von den subjektiven Modellen der Beteiligten ein gemeinsames Störungsmodell entwickelt. Therapeutische Ansatzpunkte zur Behandlungsplanung werden identifiziert.

Phase 4 – Zielanalyse, Stärkung der Änderungsmotivation, Interventionsplanung. Diese Phase ist von zentraler Bedeutung für ein Gelingen der Behandlung. Analog zum Vorgehen in Phase 3 werden die Veränderungsziele mit allen Beteiligten im Einzelsetting besprochen und im Weiteren zu gemeinsamen Behandlungszielen zusammengefasst. Bei Bearbeitung der Gleichaltrigenprobleme werden die Bedürfnisse und Wünsche des Jugendlichen bezogen auf aktuelle und zukünftige Freundschaftsbeziehungen erarbeitet und ausgehend davon realisierbare Ziele definiert. Auf Grundlage der gemeinsamen Zieldefinition können abschließend die konkreten Interventionen abgeleitet werden. Auf dieser Grundlage kann in Phase 5 aus dem Pool der Bausteine für jeden Patienten ein individuelles Behandlungspaket erstellt werden.

Phase 5 – Durchführung von Interventionen. Im nächsten Schritt werden die spezifischen Interventionen nach dem individuellen Behandlungsplan durchgeführt. Dazu werden für jeden Patienten relevante Therapiebausteine ausgewählt. Auch innerhalb der Bausteine wird für den Patienten eine Auswahl an Interventionen getroffen. Abhängig von den Problem- und Zieldefinitionen sowie vom individuellen Störungsmodell werden Schwerpunkte in der Durchführung der jeweiligen Bausteine gesetzt. Die Bausteine von SELBST-Gleichaltrigenprobleme umfassen:

GP-I-J Soziale Informationsverarbeitung und soziales Selbstbild,

GP-K-J Kognitionen Jugendlicher,

GP-K-E Kognitionen Eltern,

GP-E-J Emotionsregulation,

GP-F-J Soziales Problemlösen und soziale Fertigkeiten,

GP-V-E Verstärkerbedingungen Eltern,

GP-P-J Soziale Verstärkerbedingungen und Neuplatzierung.

Phase 6 – Zwischenevaluation, Zielerreichung. Im Therapieprozess werden Fortschritte evaluiert. Positive Veränderungen werden verstärkt. Wenn Prozesse nur sehr langsam vorangehen oder stagnieren, wird in der Zwischenevaluation geprüft, welche Faktoren dem Erfolg der Behandlung im Wege stehen. Dies erfolgt über eine Misserfolgs- oder Widerstandsanalyse. Hierbei können Barrieren und Selbstschutzstrategien identifiziert und bearbeitet werden, die eine Umsetzung der Behandlungsziele behindern. Bei Barrieren können Ziele angepasst oder neue Ziele definiert werden, so dass ein rekursiver Prozess zwischen den Behandlungsphasen stattfindet. Zum Umgang mit Selbstschutzverhalten und Widerstand werden spezifische Interventionen vorgestellt.

Phase 7 – Stabilisierung, Rückfallprävention. Wenn Behandlungsziele zumindest größtenteils erreicht werden konnten und der Patient, die Bezugspersonen und der Therapeut eine hinreichende Verbesserung feststellen können, werden abschließend Interventionen zur Erfolgsoptimierung und Rückfallprophylaxe durchgeführt. Die Frequenz der Sitzungen wird schrittweise reduziert, so dass der Jugendliche und die Eltern erproben können, wie Selbstmanagementkompetenzen und spezifische Fertigkeiten auch ohne intensive Unterstützung des Therapeuten umgesetzt werden können. In dieser Phase sollten auch mögliche zukünftige Herausforderungen vorweggenommen und Bewältigungsstrategien entwickelt werden. Zum Abschluss der Behandlung finden im Abstand von 3 bis 6 Monaten Sitzungen zur Auffrischung statt.

SELBST-Gleichaltrigenprobleme nutzt kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken zur Veränderung sozialer Informationsverarbeitung und sozialer Kompetenzen, die Anwendbarkeit und Wirksamkeit des Vorgehens wurde überprüft (Schmitt, 2010). In die Weiterentwicklung des Manuals sind innovative Techniken aus der dritten Welle der Verhaltenstherapie integriert worden, die sich in der klinischen Praxis als wirksam erwiesen haben und die klassischen kognitiv-behavioralen Methoden mit einer gezielten Ressourcenaktivierung, der Erleichterung motiva|12|tionaler Klärung und vor allem der Problemaktualisierung ergänzen. Beim Beziehungsaufbau und bei der Beziehungsgestaltung wird eine Orientierung an den emotionalen Grundbedürfnissen des Jugendlichen empfohlen (vgl. Grawe, 2004). Die Grundstruktur des Therapiemanuals ist beibehalten worden.

Der Anwender hat die Möglichkeit, Bausteine und Schwerpunkte flexibel zu wählen und für jeden Jugendlichen ein individualisiertes Behandlungskonzept zu erstellen. Auch wenn der größte Teil der Sitzungen mit dem Jugendlichen stattfindet, werden die Bezugspersonen – Eltern und Lehrer – in der Regel in allen Behandlungsphasen mit einbezogen. Niedergelassene Therapeuten können die Behandlungsphasen im Rahmen einer Kurz- oder Langzeittherapie durchführen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass während der Probatorik die Phasen 1, 2 und 3 durchgeführt werden. Bei einem großen Teil der Patienten wird die Phase 3 (Problemanalyse und Erarbeitung eines Störungskonzeptes) auch über den Umfang der Probatorik hinausgehen.

In der Regel werden die Behandlungsphasen aufeinander aufbauend durchgeführt. Dabei können im Behandlungsprozess immer wieder Situationen entstehen, die ein erneutes Aufgreifen der Inhalte vorheriger Phasen erforderlich machen. Auch nach erfolgreicher Durchführung von Interventionen kann eine erneute Zieldefinition erforderlich sein, wenn zusätzliche Problembereiche zuvor verdeckt waren. Die Phasen des Selbstmanagementansatzes stellen einen rekursiven Prozess dar, in dem der Therapeut den Patienten immer besser kennenlernt. Die klare Abfolge der Phasen führt zu einem strukturierten Vorgehen, der rekursive Charakter ermöglicht, flexibel auf neue Informationen und veränderte Bedingungen in der Lebenssituation des Patienten einzugehen.

1.2 Entwicklungsrelevanz von Gleichaltrigenproblemen

Freundschaften mit Gleichaltrigen wirken als protektive Faktoren und als Katalysatoren der Entwicklung Jugendlicher (Seiffge-Krenke, 2008). Gleichaltrige geben in der Adoleszenz zunehmend emotionale Unterstützung, Bestätigung des Selbstwertes oder Orientierung durch Normen der Gruppe. Die sukzessive Ablösung von den Eltern wird durch die soziale Einbindung in die Peergroup erleichtert. Selbstoffenbarung in engen Freundschaften und Identitätsentwicklung bedingen sich gegenseitig (Buhrmester, 1990). Die für das Erwachsenenalter notwendigen sozialen Fertigkeiten werden im Kontakt mit den Gleichaltrigen entwickelt und verfeinert. Positive Gleichaltrigenbeziehungen bilden somit die Basis für die Bewältigung einiger Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz. Anerkennung und Akzeptanz durch Gleichaltrige sind den meisten Jugendlichen starke Bedürfnisse (Brechwald & Prinstein, 2011) und wirken als soziale Verstärker.

Interpersonale Probleme mit Gleichaltrigen stellen demgegenüber eine deutliche Belastung für Jugendliche sowie einen Risikofaktor für deren weitere Entwicklung dar. Sie können Ausdruck, Folge aber auch Ursache verschiedener psychischer Störungen und Verhaltensprobleme sein. Sie manifestieren sich als sozialer Rückzug, Vermeidung oder aggressives Verhalten oder auch in Form der Einnahme von Opfer- und Täterrollen bei Viktimisierung (Cole et al., 2010; Olweus et al., 1999; Salmivalli et al., 1996).

Gleichaltrigenprobleme treten vor dem Hintergrund verschiedener internaler und externaler psychischer Störungen im Jugendalter auf, vor allem bei Depression (Abel & Hautzinger, 2013), sozialer Angst (Melfsen, 2002) oder in Zusammenhang mit Störungen des Sozialverhaltens (Görtz-Dorten & Döpfner, 2019). Bei Persönlichkeitsakzentuierungen und beginnenden Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter stellen dysfunktionale Interaktionsmuster Kernsymptome dar (Schmeck & Schlüter-Müller, 2008). Jugendliche, die unter einer Störung des autistischen Formenkreises leiden, sind durch die komplexer werdenden sozialen Situationen und das wachsende Bewusstsein um die eigenen Schwierigkeiten häufig von sozialen und emotionalen Problemen betroffen. Darüber hinaus leiden viele Jugendliche mit anderen psychischen Störungen an Gleichaltrigenproblemen, auch wenn diese nicht zu den Kernkriterien der entsprechenden Diagnose zu zählen sind, beispielsweise bei ADHS, Angst- oder Zwangsstörungen sowie bei belastenden Lebenssituationen.

Kasten 2:Rollenverteilung bei Bullying

12 % üben als Täter eine Form von Bullying aus.

8 % sind als Opfer von Bullying betroffen.

17 % nehmen die Rolle potenzieller Verteidiger ein und stehen den betroffenen Mitschülern zur Seite.

20 % treten als Verstärker der Täter auf und beteiligen sich indirekt an Viktimisierung.

7 % sind Assistenten und unterstützen die Täter aktiv.

24 % tun als Außenstehende nichts gegen die Täter und „schauen weg“.

|13|Die Belastung Jugendlicher durch Gleichaltrigenprobleme wird auch durch die Bullyingforschung verdeutlicht. Initiale Untersuchungen zur Rolle von Jugendlichen bei Bullying finden eine recht hohe direkte Beteiligung von Jugendlichen und stabile Rollen (Salmivalli et al., 1996; Olweus, 1999; vgl. Kasten 2). In neueren Untersuchungen werden diese Rollen ebenfalls gefunden, dabei nimmt ein Teil der Schüler im Wechsel die Rolle als Opfer oder als Täter ein (Scheithauer et al., 2006; Lester, Cross, Shaw & Dooley, 2012).

Auch bezogen auf Cybermobbing werden ähnliche Rollenverteilungen und Häufigkeiten gefunden (Schultze-Krumbholz et al., 2016) sowie Überschneidungen zwischen Bullying und Cybermobbing (Wachs & Wolf, 2011). In einer aktuellen Befragung jugendlicher Internetnutzer zwischen 12 und 19 Jahren geben 8 % an, selbst Opfer von Cybermobbing geworden zu sein. 34 % der Jugendlichen beschreiben, dass ein Jugendlicher aus dem Bekanntenkreis Opfer von Cybermobbing geworden ist (JIM, 2018). Auch wenn in den Untersuchungen unterschiedliche Erhebungsmethoden angewandt werden, zeigen die Ergebnisse der Bullying-Forschung, dass ein bedeutsamer Anteil der Jugendlichen in dysfunktionale Gruppenprozesse mit Gleichaltrigen involviert ist. In diesen Erhebungen bleiben andere Gleichaltrigenprobleme wie Vernachlässigung, Ablehnung, häufige Konflikte, Vermeidung und sozialer Rückzug noch unberücksichtigt.

Bezüglich psychischer Störungen werden 10 bis 20 % der Kinder und Jugendlichen als belastete Gruppe oder als Risikogruppe beschrieben (KIGGS-Studie, 2014) und haben damit auch ein höheres Risiko, von Gleichaltrigenproblemen betroffen zu sein.

Gleichaltrigenprobleme belasten die soziale und emotionale Entwicklung und erhöhen das Risiko weiterer psychosozialer Probleme und psychischer Störungen, auch im Erwachsenenalter (Allen et al., 2006; Calvete, 2014). Insbesondere bei Jugendlichen, die Viktimisierung erfahren, besteht ein höheres Risiko für Verhaltensprobleme wie Schulabsentismus oder Mediensucht, Selbstgefährdung durch Verletzungen und Suizidalität sowie Fremdgefährdung (McDougall & Vaillancourt, 2015). Auch eine Einbindung in eine dissoziale Peergroup kann mit gravierenden Entwicklungsbelastungen verbunden sein. Somit können durch Gleichaltrigenprobleme im Jugendalter langfristig hohe persönliche und gesellschaftliche Kosten entstehen. Gleichaltrigenprobleme stellen im Jugendalter einen bedeutsamen Problembereich dar, dem durch Prävention und therapeutische Interventionen begegnet werden sollte.

Nicht zuletzt sind die anhaltenden Veränderungen der Lebenswelt Jugendlicher zu berücksichtigen, die sich negativ auf Gleichaltrigenbeziehungen auswirken können. Jugendliche verbringen einen zunehmenden Anteil ihrer Freizeit mit Mediennutzung (JIM, 2018). Diese dient einerseits dem Aufbau und der Festigung von Kontakten, andererseits verringert sich dadurch der Freizeitanteil, in der direkte Kontakte mit Freunden oder Gruppen stattfinden, so dass sich bei einigen Jugendlichen weniger direkte „Übungsmöglichkeiten“ zum Aufbau und zur Differenzierung sozialer Fertigkeiten ergeben. Das Medienverhalten erzeugt eigene Lernerfahrungen und kann sich auch auf Gleichaltrigenbeziehungen auswirken, indem z. B. persönliche Normen für den Umgang mit Aggression, Sexualität, Emotionsausdruck oder Privatsphäre beeinflusst werden. Daher wird empfohlen, den Aufbau von Medienkompetenz mit einer Förderung sozialer Kompetenzen zu verknüpfen (Schultze-Krumbholz et al., 2012).

Soziale Interaktionen zwischen Jugendlichen finden bislang hauptsächlich in Präventionsprogrammen oder Sozialtrainings für Gruppen und einzelne Jugendliche Berücksichtigung (Jürgens & Lübben, 2014; Petermann & Petermann, 2017; Scheithauer & Bull, 2007, 2010; Spröber et al., 2008; vgl. Tabelle 1). Präventionsprogramme und Gruppentrainings sind, trotz guter Wirksamkeit, bei bereits chronifizierten Schwierigkeiten eines einzelnen Jugendlichen nicht als wirksame Behandlungsmöglichkeiten interpersonaler Probleme zu betrachten, da die soziale Gruppe im Fokus der Interventionen steht, die Interventionen nicht individualisiert eingesetzt werden oder keine intensive Behandlung zugrunde liegender dysfunktionaler Überzeugungen oder emotionaler Barrieren ermöglicht wird. Zur Behandlung im Einzel- oder Gruppensetting liegen störungsspezifische Therapieprogramme vor (Abel & Hautzinger, 2013; Büch & Döpfner, 2012; Görtz-Dorten & Döpfner, 2019). Hier zeigt sich eine gute und sehr gute Wirksamkeit bei individualisierter und multimodaler Behandlung. Einige Programme dienen der Behandlung von Grundschulkindern und jüngeren Jugendlichen und sind für ältere Jugendliche nicht geeignet. Zudem ermöglichen die Ansätze keine individualisierte störungsübergreifende Behandlung, die bei Jugendlichen meist indiziert ist (Walter et al., 2007). Da interpersonale Probleme häufig durch transdiagnostische Faktoren bedingt sind (McKay et al., 2013), ist ein störungsübergreifender Ansatz für diesen Problemschwerpunkt besonders sinnvoll.

|14|Tabelle 1: Übersicht über relevante deutschsprachige Therapie- und Präventionsprogramme

Programm

Beschreibung

Kognitive Verhaltenstherapie bei Depressionen im Kindes- und Jugendalter (Abel & Hautzinger, 2013)

Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren

Einzel- oder Gruppenpsychotherapie im ambulanten oder stationären Setting

Einbezug der Bezugspersonen

Kognitive Interventionen, Übungen zur Aktivierung, Aufbau sozialer Fertigkeiten, Strategien zum Problemlösen mit und innerhalb der Familie des betroffenen Jugendlichen

Signifikanter Abfall depressiver Symptomatik; große Effekte bezüglich komorbider sozialer Probleme und sozialen Rückzugs

Soziale Ängste – Therapieprogramm für Kinder und Jugendliche mit Angst- und Zwangsstörungen (THAZ) (Büch & Döpfner, 2012)

Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 14 Jahren

Einzelpsychotherapie und Kleingruppen ambulant

Multimodale Therapie sozialer Angst

Individualisiertes Vorgehen

Kognitive Interventionen, Soziales Fertigkeitentraining mit Rollenspielen zu individuellen Problemsituationen, Konfrontation in vivo

Reduktion vermeidungsverstärkenden Erziehungsverhaltens der Bezugspersonen

Gute Anwendbarkeit; gute Wirksamkeit in einer Pilotstudie

Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV) (Görtz-Dorten & Döpfner, 2019)

Kinder zwischen 6 und 12 Jahren

Einzelpsychotherapie und Kleingruppen ambulant

Multimodale Therapie aggressiven und oppositionellen Verhaltens

Individualisiertes Vorgehen

Schulung sozial-kognitiver Informationsverarbeitung, Impulskontrolltraining, soziales Problemlöse- und Fertigkeitentraining, Förderung von Empathie, Vermittlung der Konsequenzen von aggressivem Verhalten

Abbau von aggressionsverstärkendem Erziehungsverhalten der Bezugspersonen

Mehrere Wirksamkeitsstudien (Eigenkontrollgruppendesign Einzeltherapie, Kontrollgruppendesign Einzeltherapie, Eigenkontrollgruppendesign Gruppe), signifikante Effekte, auch über das Behandlungsende stabil

Gruppentraining sozialer Kompetenzen für Kinder und Jugendliche (GSK-KJ) (Jürgens & Lübben, 2014)

Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren

Prävention oder störungsübergreifende, begleitende therapeutische Intervention bei Jugendlichen mit emotionaler oder Verhaltensstörung

Gruppentraining

Manual für ein Training zum Aufbau selbstsicheren Verhaltens in den Situationsklassen Recht/Beziehung/Sympathie

Psychoedukation zu Situationstypen und selbstsicherem Verhalten; Diskriminationstraining; Soziales Problemlöse- und Fertigkeitentraining mit Rollenspielen zum Einüben der Fertigkeiten in der jeweiligen Situationsklasse, Entspannungstraining, In-vivo-Training, Alltagstransfer

In zwei Studien zur Wirksamkeit als präventives Training bei Jugendlichen wurden jeweils positive Veränderungen der Kompetenzen im Selbsturteil gefunden.

Training mit Jugendlichen – Aufbau von Arbeits- und Sozialverhalten (Petermann & Petermann, 2017)

Jugendliche zwischen 13 und 20 Jahren

Universelle Prävention; stationäre Behandlung, auch im ambulanten Setting einsetzbar

Gruppen in Kombination mit Einzelsitzungen

Aufbau von Arbeits- und Sozialverhalten

Training von Selbst- und Fremdwahrnehmung; Arbeit am Selbstbild; Definition privater und beruflicher Ziele; Soziales Fertigkeitentraining

Wirksamkeitsuntersuchung in Kontrollgruppendesign über Fragenbogenurteil (Jugendliche und Lehrer) sowie Verhaltensbeobachtung. Interventionsgruppe zeigt gegenüber Kontrollgruppe positive Veränderungen im Verhaltensrating und in der Selbsteinschätzung

|15|Unterrichtsbegleitende Förderung sozialer Kompetenzen und Prävention von Bullying im Jugendalter – das fairplayer.manual (Scheithauer & Bull, 2010)

Schüler zwischen 11 und 15 Jahren

Lehrer als Multiplikatoren, Eltern werden einbezogen

Präventionsprogramm zur Förderung sozialer Kompetenz und Zivilcourage

Psychoedukation zu dissozialem Verhalten/Mobbing & prosozialem Verhalten/Zivilcourage; Förderung Eigenverantwortung & Handlungsbereitschaft; Training sozialer-emotionaler Kompetenzen: prosoziales, faires Verhalten; Gewalt vorbeugen; überlegtes Eingreifen; Unterstützung aktivieren

Mehrere Wirksamkeitsstudien: Deutlicher Rückgang von Mobbing/Intensität von Mobbing, relationaler Aggression; Prosozialität signifikant verbessert; signifikanter Rückgang der Gewaltlegitimation

Medienhelden: Unterrichts-Manual zur Förderung von Medienkompetenz und Prävention von Cybermobbing (Schultze-Krumbholz, Zagorscak, Siebenbrock & Scheithauer, 2012)

Sekundarschüler der 7. bis 10. Klasse

Präventionsprogramm

Lehrer als Multiplikatoren, Eltern werden einbezogen

Prävention und Eindämmung von Cybermobbing sowie Förderung von Sozial- und Internetkompetenz und Wissen im Umgang mit „Neuen Medien“ (z. B. soziale Netzwerke)

Psychoedukation zu Gefahren von „Neuen Medien“; Cybermobbing: Definitionen & Konsequenzen, Sensibilisierung & Edukation, Gefühle & Perspektiven, Empathietraining; Participant-Role-Ansatz & Aufbau von Handlungsmöglichkeiten, Rollenspiele

Wirksamkeit für die Langversion des Trainings (mehrere Termine) bestätigt, Reduktion der Bereitschaft zu Cybermobbing; Langzeiteffekte sowohl auf das Verhalten als auch auf zugrunde liegende Risikofaktoren

Bullying in der Schule: Das Präventions- und Interventionsprogramm ProACT + E (Spröber et al., 2008)

Schüler der 5. Klasse (Entwicklungsübergang Beginn weiterführende Schule)

Prävention und Intervention

Schulklasse, Lehrerberatung und Elterntraining

Universelles multimodales Schul-Programm zur Reduktion von Bullying und zur Förderung des positiven Sozialverhaltens

Psychoedukation zu Bullying, Diskrimination von sozial-kompetentem Verhalten und Bullying; Förderung von Perspektivenübernahme und Empathie; kognitive Modellierungen und Aufbau von Selbstverbalisation in Konfliktsituationen, Problemlösetraining und Rollenspiele zum Umgang mit Konflikten

Wirksamkeitsprüfung im Kontrollgruppendesign; signifikante und stabile Reduktion verbaler Aggression und der Gewaltbereitschaft der Schüler, wenn Eltern in das Programm mit einbezogen werden

Sowohl die Gruppenprogramme zum Aufbau sozialer Kompetenzen und zur Prävention von Bullying als auch soziale Fertigkeitentrainings im Rahmen störungsspezifischer Programme haben sich in der Regel als wirksam erwiesen. Dabei zeigt sich, dass es vor allem bei Kindern und jüngeren Jugendlichen relevant ist, die Eltern einzubeziehen. Bei nicht individualisierten Gruppenprogrammen können Probleme bei der Stabilisierung von Effekten auftreten. Die Interventionen zum Aufbau sozialer Kompetenzen sollten individuelle Problemsituationen fokussieren und aufrechterhaltende Bedingungen berücksichtigen.

Der Großteil der beschriebenen Behandlungsansätze ist für Gruppen konzipiert. Folgende Punkte sprechen aus unserer Sicht für die einzeltherapeutische Behandlung interpersonaler Probleme bei Jugendlichen:

Individuelle Entstehungsbedingungen und aufrechterhaltende Faktoren können differenzierter erarbeitet werden.

Die individuelle soziale Informationsverarbeitung und zugrunde liegende dysfunktionale Grundannahmen und Schemata können berücksichtigt werden, so dass der Aufbau von Strategien zur Emotionsregulation und das Fertigkeitentraining darauf abgestimmt werden können.

Weiterhin können im Einzelsetting in der therapeutischen Beziehung interpersonale Probleme aktiviert und bearbeitet werden. Bei Gruppeninterventionen werden sie durch die Beziehungen zu den Gruppenmitgliedern deutlich. Die Einzeltherapie mit SELBST-Gleichaltrigenprobleme kann grundsätzlich mit einigen Gruppensitzungen im Rahmen des Fertigkeitentrainings kombiniert werden, so dass die Vorteile beider Ansätze genutzt werden können.

Bisher liegen kaum transdiagnostische, multimodale Therapieansätze vor, welche interpersonale Probleme bei Jugendlichen als zentralen Schwerpunkt behandeln. Dies ist unser Ziel mit dem Manual SELBST-Gleichaltrigenprobleme.

|16|1.3 Formen von Gleichaltrigenproblemen und Entstehungsmodell

1.3.1 Formen von Gleichaltrigenproblemen

Gleichaltrigenprobleme können zum einen als individuelle Schwierigkeiten eines Jugendlichen verstanden werden, zum anderen können sie als Prozess beschrieben werden, der innerhalb der sozialen Gruppe stattfindet. Entsprechend dieser beiden Perspektiven werden im Folgenden verschiedene Gleichaltrigenprobleme anhand kurzer Fallbeispiele dargestellt.

Gleichaltrigenprobleme als Resultat von Verhaltensproblemen des Jugendlichen

Gleichaltrigenprobleme resultieren aus Problemen des Jugendlichen, sich sozial kompetent und angemessen zu verhalten. Diese können in Zusammenhang mit unterschiedlichen Störungsbildern auftreten.

Beispiel: Marie – Vermeidung

Marie, 15 Jahre, hat in der Grundschule und nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule Abbrüche von Freundschaften erfahren, die sie nicht einordnen konnte. Sie bemüht sich sehr, es anderen recht zu machen und vermeidet Konflikte. Beide Eltern beschreiben das eigene Verhalten als „zurückhaltend“. Wenn Marie den Eindruck hat, nicht gemocht zu werden, vermeidet sie es, mit den Gleichaltrigen zu sprechen. In Gruppen fühlt sie sich sehr unwohl, möchte auf keinen Fall im Mittelpunkt stehen. Sie ist dabei, aber meist still. Auch hat sie Angst, sich zu blamieren und vermeidet Kontakt zu fremden Gleichaltrigen.

Bei verschiedenen internalen Störungen stellt Vermeidung sozialer Interaktionen ein zentrales Problem dar. Als ein Hauptsymptom der Sozialen Phobie dient sie der Reduktion von Angst vor negativer Bewertung. Vermeidungsverhalten kann sich auf bestimmte Interaktionen oder Situationen beziehen und dazu führen, dass soziale Fertigkeiten nicht genutzt werden (Hinsch & Pfingsten, 2002; Plück et al., 2000). Das Vermeidungsverhalten kann mit erheblichen Funktionseinschränkungen einhergehen, wie beispielsweise bei einer vollständigen Vermeidung des Schulbesuchs.

Beispiel: Max – Sozialer Rückzug

Max, 13 Jahre, leidet seit einiger Zeit unter bedrückter Stimmung. In seiner Familie erlebt er Spannungen der Eltern, die durch Stress im Beruf und einen Umbau des Hauses sehr gefordert sind. Max fehlt die Motivation, etwas für die Schule zu tun und sich zu verabreden. Das führt immer wieder zu Konflikten mit seiner Mutter. Seine Mitschüler ärgern ihn manchmal, weil er so oft schlechte Laune hat. Er hat mittlerweile den Eindruck, es niemandem recht machen zu können und zieht sich zurück. In der Schule verbringt er die Pausen seltener in der Gruppe, in seiner Freizeit beschäftigt er sich meistens mit Online-Spielen.

Bei depressiven Störungen oder als Reaktion auf Belastungen, aber auch bei Störungen des autistischen Formenkreises und Persönlichkeitsakzentuierungen zeigen Jugendliche Rückzug von Interaktionen mit Gleichaltrigen (Rubin, 1993; Sautter et al., 2012; Schmeck & Schlüter-Müller, 2008). Der Jugendliche kann dabei Kontaktangebote ablehnen, selbst keine Initiative ergreifen oder Aktivitäten mit Gleichaltrigen abbrechen. Häufig treten Wechselwirkungen zwischen dem Rückzug des Jugendlichen und Gruppenprozessen wie Vernachlässigung oder Ablehnung auf.

Beispiel: Linus – Impulsives oder aggressives Verhalten

Linus, 17 Jahre, lebt in einer Wohngruppe und gerät wiederholt in Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen. Er fühlt sich rasch provoziert und reagiert darauf impulsiv. Schon in der Grundschulzeit hatte Linus oft Wutausbrüche und Konflikte. Andere Kinder haben sich daher oft von ihm zurückgezogen. Bis heute ist er sich oft nicht sicher, ob ihn jemand mag. Anschluss findet er an Jugendliche, die selbst häufiger aggressiv reagieren oder Probleme mit Regeln haben.

Jugendliche mit ADHS erleben als Folge der Primärsymptomatik häufig soziale Probleme. Eine komorbide Störung des Sozialverhaltens oder komorbide internalisierende Symptomatik, z. B. Selbstwertprobleme und soziale Unsicherheit (Döpfner et al., 2013; Petermann et al., 2007), können ebenfalls die Interaktionen mit Gleichaltrigen belasten, auch wenn keine emotionale Störung manifest wird. Jugendliche mit externalen Verhaltensproblemen reagieren im Kontakt mit Gleichaltrigen häufig impulsiv und aggressiv (Görtz-Dorten & Döpfner, 2019). Auch in Zusammenhang mit narzisstischer oder emotional-instabiler Persönlichkeitsentwicklung treten häufiger impulsive |17|oder aggressive Reaktionen auf (Schmeck & Schlüter-Müller, 2008). Diese werden von Gleichaltrigen mit Ablehnung beantwortet und erschweren die Integration in prosoziale Gruppen.

Beispiel: Nick – Manipulatives, abwertendes oder abhängiges Verhalten

Nick, 15 Jahre, ist in der Schule mehrfach wegen seines abwertenden und manipulativen Verhaltens gegenüber Gleichaltrigen aufgefallen. Er kann sehr schnell erkennen, wenn andere Schüler unsicher sind und schikaniert diese. Das gibt ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Nick hat in den letzten Jahren eine komplizierte Trennung seiner Eltern erlebt. Einerseits bewundert Nick seinen Vater für dessen Berufserfolg und Durchsetzungsvermögen. Andererseits hat er selten den Eindruck, dass der Vater sich wirklich für ihn interessiert. Wegen seines dominanten Verhaltens sind viele Mitschüler Nick gegenüber misstrauisch, er hat eine Clique, aber keinen besten Freund. Um nicht verlassen zu werden, hat Nick mehrere Beziehungen sehr früh beendet.

Bei Persönlichkeitsakzentuierungen oder Persönlichkeitsstörungen werden dysfunktionale Interaktionsstile gezeigt (Schmeck & Schlüter-Müller, 2008). Die betroffenen Jugendlichen lassen unbalancierte Beziehungen zu oder stellen diese her. Dies kann mit häufigen Konflikten, Kränkungen und Beziehungsabbrüchen einhergehen. Dabei werden die dysfunktionalen Interaktionsmuster meist kurzfristig verstärkt, verhindern aber langfristig den Aufbau zufriedenstellender Beziehungen.

Beispiel: Emma – Ineffektives, inkompetentes Verhalten in sozialen Situationen

Emma, 14 Jahre, hat nur einen Freund in ihrer Klasse. Beide werden von den meisten Mitschülern abgelehnt. Emma und ihr bester Freund wollen sich beide nicht „anpassen“. Vor allem ist es Emma wichtig, dass sie immer ihre Meinung offen vertritt. Ihre Eltern bestärken sie darin, „gegen den Strom zu schwimmen“. Emma hatte bereits im Kindergarten nur wenige Freunde, weil sie immer bestimmen wollte, was die anderen mit ihr spielen. Emma verbringt viel Zeit zu Hause mit ihrer Mutter und ihrer Schwester.

Nahezu alle Jugendlichen mit Gleichaltrigenproblemen zeigen ineffektives Verhalten in sozialen Situationen. Dies kann durch soziale Fertigkeitendefizite begründet sein, die u. a. durch geringe Übungsmöglichkeiten bei frühen Integrationsproblemen entstehen können. Das ineffektive Verhalten kann auch durch eine Störung der Performanz bedingt sein, wenn der Jugendliche zwar über ein Repertoire sozialer Fertigkeiten verfügt, er diese aber nicht nutzt, weil Wahrnehmungsverzerrungen oder starke Emotionen wie Angst oder Wut ineffektive Reaktionen auslösen (Crick & Dodge, 1996).

Gleichaltrigenprobleme als Gruppenprozesse

Gruppenprozesse unter Gleichaltrigen, in der Schulklasse oder in anderen Gruppen betreffen überdauernde Reaktionen der Interaktionspartner und die Integration des Jugendlichen. Sie stellen die soziale Realität des Jugendlichen dar und beeinflussen sein soziales Selbstbild, interpersonale Schemata und seine sozialen Reaktionen.

Beispiel: Emma – Ablehnung durch Gleichaltrige

In ihrer Klasse hat Emma den Ruf, zu nerven und komisch zu sein. Bei der Abstimmung über die Klassenfahrt hat Emma als Einzige gegen Segeln gestimmt, obwohl sie wusste, dass der Vorschlag von allen angenommen werden muss. Seither hat niemand Lust, sich mit ihr zu unterhalten, wenn sie in der Pause zu einer Gruppe kommt.

Die Zurückweisung eines Einzelnen durch eine Gruppe kann sich sowohl in aktiver Ablehnung als auch in einer negativen Einstellung der Gruppe gegenüber dem Jugendlichen ausdrücken (Lopez & DuBois, 2005). Der Einzelne ist bei den Gleichaltrigen unbeliebt, wird offen oder verdeckt abgelehnt, jedoch nicht schikaniert. Zuweilen verletzen die abgelehnten Jugendlichen bewusst oder unbewusst explizite und implizite Gruppenregeln. Aufgrund der Ablehnung durch Gleichaltrige gerät der Jugendliche in eine Außenseiterposition. Die Ablehnung ist häufig mit Selbstwertproblemen des Jugendlichen assoziiert (Bierman, 2004). Langfristig kann sich eine erhöhte Ablehnungssensitivität entwickeln (Marston et al., 2010).

Beispiel: Marie – Vernachlässigung durch Gleichaltrige

Die meisten Mitschüler wissen nicht, wie es Marie geht. Niemand macht sich Gedanken um Marie. Sie ist einfach da und redet nicht viel mit den anderen. Marie wird nur selten zu Geburtstagen oder Partys eingeladen. Wenn die Mitschüler überlegen, mit wem sie Spaß haben können, fällt |18|ihnen Marie meistens nicht ein. Aber viele kommen auf die Idee, Marie zu schreiben, wenn sie die Hausaufgaben brauchen.

Die betroffenen Jugendlichen werden aufgrund bestimmter Eigenschaften oder Verhaltensweisen von den Gleichaltrigen „übersehen“ und daher nicht in soziale Aktivitäten der Gruppe integriert. Dabei handelt es sich nicht um eine absichtliche Aktion. Es können durchaus Kontakte zu Gleichaltrigen bestehen, jedoch nicht im Sinne einer stabilen Integration oder naher Freundschaften. Häufig sind Jugendliche betroffen, die unter Stimmungsproblemen leiden und denen geringere soziale Attraktivität zugeschrieben wird (LaGreca & Moore-Harrison, 2005; Prinstein, Cheah & Guyer, 2005).

Beispiel: Lea – Viktimisierung

Viele in der Schule finden Lea, 16 Jahre, sehr hübsch. Sie selbst ist aber mit ihrem Aussehen gar nicht zufrieden und nicht sehr selbstbewusst. Isabels Freund hat Lea vor ein paar Monaten ein paarmal angeschrieben und wollte sich mit ihr treffen. Obwohl Lea kein Interesse hatte, behauptet Isabel, sie hätte ihr den Freund wegnehmen wollen. Isabel lästert über Lea und sorgt dafür, dass Lea von den Mitschülerinnen ignoriert wird. Lea fühlt sich sehr schlecht und hat mittlerweile jeden Morgen Angst, zur Schule zu gehen.

Viktimisierung durch Gleichaltrige liegt vor, wenn ein einzelner Jugendlicher wiederholt Opfer negativer Verhaltensweisen einer Gruppe wird (Lopez & DuBois, 2005). Dabei besteht ein signifikanter Unterschied in der sozialen Position des Opfers und der Täter. Kennzeichen des Opfers ist meist ein geringerer Grad an sozialer Integration, d. h. weniger Kontakte mit Gleichaltrigen, wodurch ihm auch weniger soziale Unterstützung zur Verfügung steht. Nicht selten werden bei Opfern von Viktimisierung auch Selbstwertprobleme, Depression, Ängste und bei einem Teil auch Suizidgedanken beobachtet (Mohr, 2000; Smith & Ananiadou, 2003). Weiterhin kann zwischen offener (Drohungen, verbale oder körperliche Aggression) und verdeckter Viktimisierung (Zurückweisung und Ausschluss von Aktivitäten oder Informationen) unterschieden werden (LaGreca & Moore-Harrison, 2005). Bei männlichen Jugendlichen dominiert offene, bei Mädchen vor allem verdeckte, relationale Viktimisierung (Shute et al., 2002). Bei der relationalen Viktimisierung wird das Gefühl von Zugehörigkeit des Jugendlichen verletzt, indem der Jugendliche intentional ignoriert wird oder negativ über diesen gesprochen wird. Dabei werden auch andere Gruppenmitglieder direkt oder subtil dazu aufgefordert, den Jugendlichen zu ignorieren. Emotionale und Verhaltensprobleme werden sowohl bei den Opfern als auch bei den Tätern gefunden (Owens et al., 2000; Crick & Dodge, 1996). Gleichzeitig zeigen Befunde, dass Täter in Viktimisierungsprozessen nicht selten über hohe soziale Intelligenz und Perspektivenübernahmefähigkeit verfügen, diese Kompetenz jedoch nicht in prosoziales Verhalten umsetzen und scheinbar weniger Mitgefühl empfinden (Scheithauer & Bull, 2007, 2010).

Beispiel: Tom – Bullying

Tom, 14 Jahre, geht in Nicks Klasse und wird von Nick und seiner Clique immer wieder fertig gemacht. Meistens mit Worten, aber manchmal nehmen die anderen ihm auch Sachen weg oder drohen, ihn zu verprügeln. Tom hatte in der Grundschule eine Klasse übersprungen. Er wehrt sich kaum gegen die Schikane. Einige Mitschüler, vor allem einige Mädchen finden es gemein, dass Tom immer wieder fertiggemacht wird, sie trauen sich aber nicht, was dagegen zu machen. Die meisten denken, dass es sie selbst treffen könnte. Einige Schüler in der Klasse finden es spannend, wenn Nick Tom fertigmacht und machen manchmal Videos davon. Tom kann seit Wochen nicht mehr gut schlafen und hat regelmäßig morgens vor der Schule Bauchschmerzen. Wenn er nicht zur Schule kommt, erhält er Nachrichten, in denen Nick und die Clique ihn beleidigen.

Bullying mit Schikanieren und tätlich aggressivem Verhalten (Olweus, 2002) ist durch hohe Stabilität der Rollen im Gruppenprozess gekennzeichnet. Dabei wird zwischen Tätern, Opfern, Assistenten, Verteidigern und Außenstehenden unterschieden (Scheithauer & Bull 2007, 2010). Für die Entstehung einer Opferrolle konnten einige Risikofaktoren identifiziert werden (Scheithauer & Bull, 2010): geringe Zahl an Freunden, vor allem solche, die nicht selbst Opfer sind, Ablehnung durch Gleichaltrige bei soziometrischer Befragung und überbehütendes Verhalten der Eltern. Unter Grundschulkindern werden eher instabile Opferrollen, jedoch relativ stabile Täterrollen gefunden. Im Jugendalter werden auch Opferrollen stabiler. Aufgrund der komplexeren sozialen Strukturen im Jugendalter steht den Mitgliedern eines sozialen Netzwerkes mehr Information über den Status anderer zur Verfügung. So können unterlegene Jugendliche besser als potenzielle Opfer identifiziert werden. Olweus (1993) beschreibt, dass Kinder und Jugendliche mit internalisierenden Verhaltensproblemen „einfache Ziele“ für Gleichaltrige sind. Sowohl bei Opfern als auch bei den Tätern im Mobbingprozess finden sich emotionale und Verhaltensprobleme, |19|dabei sind Opfer und Täter in gleichem Ausmaß betroffen (Brunstein et al., 2007).

Cyberbullying tritt als vergleichsweise neue Form unter Nutzung von Smartphones und sozialen Medien auf. Cyberbullying wird von den Betroffenen als mindestens ebenso belastend empfunden wie Erfahrungen im direkten Kontakt. Dabei können weiterhin auch die oben beschriebenen Rollenverteilungen im Viktimisierungsprozess identifiziert werden (Brighi et al., 2012; Raskauskas & Stoltz, 2007; Scheithauer & Schultze-Krumbholz, 2015). Problematischer sind im Vergleich zum direkten Bullying für viele Betroffene mehrere Punkte: Cyberbullying kann überall und zu jeder Zeit stattfinden. Ein Rückzug ist nur möglich, wenn die Täter in sozialen Medien geblockt werden oder das Smartphone nicht benutzt wird. Vor direkten tätlichen Angriffen durch Gleichaltrige ist der Jugendliche zu Hause geschützt. Bei Cyberbullying kann der Jugendliche überall, auch in seinem Zimmer in seinem Bett mit Angriffen konfrontiert sein. Weiterhin ermöglichen gefälschte Profile in sozialen Medien oder das Benutzen fremder Profile den Tätern oder ihren Unterstützern anonym zu bleiben. Einerseits kann durch Cyberbullying eine größere Öffentlichkeit hergestellt werden, andererseits werden die Probleme des Betroffenen nicht direkt bekannt, so dass direkte Unterstützung selten ist (Scheithauer & Schultze- Krumbholz, 2015). Zudem ist ein Problem, dass soziale Medien nicht „vergessen“ und Inhalte auch zu späteren Zeitpunkten noch gesehen werden können, auch wenn der Jugendliche das schulische Setting gewechselt hat.

Abbildung 2: Ineffektives Sozialverhalten und negative Gruppenprozesse

Wechselwirkungen zwischen individuellem Sozialverhalten und Gruppenprozessen

Wir verstehen Gleichaltrigenprobleme als Wechselwirkung zwischen dem sozialen Verhalten des Jugendlichen und den Reaktionen der Interaktionspartner, welche die Integration in die Gleichaltrigengruppe bestimmen. Abbildung 2 zeigt die Wechselwirkung zwischen individuellem ineffektivem Verhalten und negativen Gruppenprozessen.

Das Reciprocal Influence Model von Parker et al. (1996) erklärt soziales Verhalten als Ergebnis der Interaktion intrapsychischer Prozesse des Kindes mit den erlebten Reaktionen der Gleichaltrigen. Wissensstrukturen des Kindes, soziale Schemata, Selbstrepräsentationen und Repräsentationen bekannter Interaktionspartner werden durch soziale Situationen aktiviert. Erwartungen und Ziele bezogen auf die Interaktion werden generiert. Diese umfassen auch Selbstwirksamkeitserwartungen und die Einschätzung der eigenen sozialen Fertigkeiten. Die Autoren postulieren, dass die aktivierten Wissensstrukturen und Erwartungen die Informationsverarbeitung des Kindes beeinflussen. Wenn das Kind über positive soziale Schemata, Selbst- und Fremdrepräsentationen verfügt, kann es die sozialen Informationen angemessen verarbeiten. Bei dysfunktionalen sozialen Schemata oder Selbst- und Fremdrepräsentationen können Verzerrungen entstehen, welche problematische Reaktionen, Vermeidung oder impulsive, aggressive Reaktionen begünstigen. Das Kind und die Interaktionspartner bilden vom ersten Kennenlernen an Repräsentationen voneinander, welche die Wahrnehmung und die Auswahl der Reaktionen beeinflussen. Dabei kann eine verzerrte Wahrnehmung auch dazu dienen, die Repräsentationen voneinander zu bestätigen. Nur bei deutlichen Diskrepanzen können die sozialen Repräsentationen und Schemata überprüft werden. Dies kann erklären, warum sich Beziehungen und soziale Rollen trotz einer Verhaltensänderung eines Einzelnen oft nur schwer verändern lassen. Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen kann beobachtet werden, dass sich Personen entsprechend ihrer sozialen Rolle und den damit verbundenen Erwartungen der Interaktionspartner verhalten. Die Wechselwirkung aus den Kognitionen des Kindes, dem Verhalten des Kindes, den Kognitionen der Gleichaltrigen und dem Verhalten der Gleichaltrigen kann sich abhängig von den initialen Repräsentationen und Schemata beziehungs- und kompetenzstärkend auswirken oder einen Teufelskreis dysfunktionaler gegenseitiger Bewertungen und negativer Reaktionen verfestigen.

|20|1.3.2 Soziale Kompetenz und Schemata als Bedingungsfaktoren individueller Gleichaltrigenprobleme

Bei den unterschiedlichen Gleichaltrigenproblemen zeigen die betroffenen Jugendlichen Probleme in der sozialen Kompetenz oder der sozialen Performanz.

Soziale Kompetenz

Soziale Kompetenz wird hier in Anlehnung an Pfingsten (2009) als Oberbegriff für Kognitive Kompetenz (Soziale Informationsverarbeitung, Theory of Mind, kognitive Empathie), Emotionale Kompetenz (Emotionsregulation, emotionale Empathie, emotionaler Ausdruck) sowie Verhaltenskompetenz (Verhaltensrepertoire in verschiedenen Situationsklassen) benutzt. Dabei besteht Verhaltenskompetenz nicht nur aus einem Repertoire von Verhaltensfertigkeiten, wie z. B. „Nein“ sagen können. Vielmehr wird soziale Kompetenz als Fähigkeit verstanden, die einzelnen Fertigkeiten so zu nutzen, dass die Anforderungen verschiedener Situationsklassen „zielführend und bedürfnisgerecht“ bewältigt werden können (Pfingsten, 2009, S. 159). Die verschiedenen Fertigkeiten müssen, wie Hinsch und Pfingsten (2015) betonen, nicht nur als Repertoire zur Verfügung stehen, sondern auch in verschiedenen sozialen Situationen angemessen angewandt werden. Die Autoren unterscheiden drei Typen sozialer Situationen mit unterschiedlichen Zielen:

Um Sympathie werben, d. h. andere für sich zu gewinnen und Kontakte aufzubauen.

Rechte durchsetzen, d. h. selbst berechtigte Forderungen zu stellen und unberechtigte Forderungen anderer abzulehnen.

Beziehungen führen, d. h. eigene Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche äußern, mit Kritik umgehen und Kompromisse schließen können.

In einer häufig zitierten Definition beschreiben Döpfner et al. (1981) soziale Kompetenz als die „Verfügbarkeit und angemessene Anwendung von motorischen, kognitiven und emotionalen Verhaltensweisen zur effektiven sozialen Interaktion in einem spezifischen sozialen Kontext, so dass dieses Verhalten kurz- und langfristig ein Maximum an positiven und ein Minimum an negativen Konsequenzen für ein Individuum hat und von der sozialen Umwelt als positiv, zumindest aber als akzeptabel bewertet wird“ (S. 234).

Bezüglich der Konsequenzen bleibt die Definition von Döpfner et al. (1981) relativistisch. Andere Autoren betonen den Aspekt der Balance zwischen dem Verfolgen eigener Ziele und dem angemessenen sozialen Handeln (Jansen, Melchers & Kleinmann, 2012). Wir möchten an dieser Stelle die Definition von Döpfner et al. (1981) um folgende Punkte ergänzen:

Das soziale Verhalten dient dem Aufbau und der Festigung balancierter sozialer Beziehungen. Nach der oben genannten Definition könnte auch manipulatives, dominierendes oder grenzüberschreitendes Verhalten, beispielsweise vor dem Hintergrund einer narzisstischen oder dissozialen Akzentuierung als sozial kompetent bewertet werden, solange es von schwächeren oder abhängigen Interaktionspartnern akzeptiert wird (Sachse et al., 2011). Dadurch werden die Interessen oder Grenzen der anderen Person missachtet und verletzt. Die Stabilität der Beziehung wird durch die Duldung durch einen schwächeren Interaktionspartner gesichert. In funktionalen Beziehungen wird die Stabilität durch ein balanciertes Verfolgen der Interessen und Bedürfnisse beider Interaktionspartner ermöglicht.

Das soziale Verhalten dient dem Aufbau und der Festigung eines gesunden Selbstwertgefühls. Nach der oben genannten Definition könnte auch devotes, abhängiges oder selbstausbeuterisches Verhalten als sozial effektiv eingeordnet werden. Menschen mit unsicherem Bindungsstil, abhängigen oder selbstunsicheren Reaktionstendenzen können in dysbalancierten Beziehungen ein soziales Verhalten als maximal effektiv erleben, das aber ihr Selbstwertgefühl belastet oder ein negatives Selbstbild weiter bestätigt. Indem sie sich unterordnen, anbiedern oder ausnutzen lassen, wird die Beziehung stabilisiert. Dabei werden die eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Interessen nicht ausreichend beachtet (Sachse et al., 2011).

Das soziale Verhalten kann von der Person selbst und von Interaktionspartnern als authentisch bewertet werden. Nach der oben genannten Definition könnte auch ein unauthentisches Verhalten als sozial kompetent eingeordnet werden, wenn dieses von der sozialen Gruppe maximal verstärkt und ein authentisches Verhalten bestraft würde. Dabei könnte sich die Person entgegen der eigenen Überzeugungen und Werte oder entgegen der eigenen Gefühle verhalten, wodurch adäquater Selbstausdruck und die Stärkung des Selbstwertgefühls verhindert würden. Authentischer Selbstausdruck ermöglicht demgegenüber eine angemessene Emotionsregulation, Selbstbehauptung und Aktivierung von Unterstützung. Authentizität ist ein Schlüssel zu sozialer Akzeptanz und, durch Selbstoffenbarung, zum Aufbau von emotionaler Verbundenheit (Cuddy, 2016).

|21|Bei der Konzeption der Interventionen in SELBST-Gleichaltrigenprobleme haben wird uns an den beschriebenen Definitionen und ergänzenden Überlegungen orientiert. Ziel ist der Aufbau sozialer Kompetenz bei Jugendlichen mit Gleichaltrigenproblemen durch die Entwicklung von Fertigkeiten auf kognitiver, emotionaler und auf Verhaltensebene.

Soziale Kompetenzen können bei den betroffenen Jugendlichen aufgrund mangelnder Lernerfahrungen nicht adäquat entwickelt sein („Aneignungsdefizit“, Jürgens & Lübben, 2014, S. 17). Abhängig von Lernerfahrungen mit relevanten Bezugspersonen und Gleichaltrigen entwickeln und differenzieren sich die sozialen Fertigkeiten von Kindern und Jugendlichen. Im Übergang zum Jugendalter verändern sich Aktivitäten und soziale Interaktionen mit Gleichaltrigen und die Adoleszenten erwerben eine Vielzahl neuer sozialer Skripte (Buhrmester, 1990). Wenn Jugendliche wenig intensiven Kontakt mit Gleichaltrigen haben, fehlen Übungsmöglichkeiten zur Differenzierung sozialer Fertigkeiten. Dabei orientieren sich Jugendliche unter Umständen an sozialen Skripten, die bei Interaktionen von Kindern oder Erwachsenen angemessen wären, jedoch den spezifischen Anforderungen der Interaktionen mit anderen Jugendlichen nicht gerecht werden. Obwohl sie über Fertigkeiten verfügen, setzten sie diese nicht angemessen ein („Gewandtheitsdefizit“, Jürgens & Lübben, 2014, S. 17). Auch können Emotionen oder Grundannahmen dazu führen, dass vorhandene Kompetenzen nicht genutzt werden („Durchführungsdefizit“, Jürgens & Lübben, 2014, S. 17). Insgesamt können soziale Kompetenzen jedoch durch kognitiv-behaviorale Interventionen aufgebaut und differenziert werden.

Im Modell der sozial kognitiven Informationsverarbeitung nach Crick und Dodge (1994) wird ein zyklischer Prozess beschrieben. Der Verarbeitungsprozess wird in sechs Schritte unterteilt: Enkodieren, Interpretation der Schlüsselreize, Zielbestimmung, Suche nach Verhaltensreaktionen anhand vorhandener Handlungsskripte, Reaktionsentscheidung und Verhaltensausführungen. Bei jedem Schritt erfolgt ein stetiger Abgleich sozialer Informationen mit sozialen Schemata, Fremd- und Selbstrepräsentationen. Dabei wird angenommen, dass die Prozesse auch parallel oder ungeordnet ablaufen können und zudem nicht zwangsläufig bewusst sein müssen. Sowohl bei aggressiven als auch bei unsicher-zurückgezogenen Kindern konnten Fehler auf verschiedenen Stufen des Informationsverarbeitungsprozesses gefunden werden (Crick & Dodge, 1996).

Dysfunktionale Schemata oder ineffektive Handlungsskripte können zu sozial inkompetenten Reaktionen führen. Ebenso kann ein chaotisches Ablaufen des Informationsverarbeitungsprozesses zu sozial inkompetenten Reaktionen führen. Letzteres kann durch eine selektive Wahrnehmung oder starke emotionale Reaktionen begünstigt werden (z. B., wenn sich ein Jugendlicher mit ADHS gegen eine vermeintliche Provokation wehrt). Diese verschiedenen Störungen der sozialen Informationsverarbeitung können in Zusammenhang mit internaler und externaler Symptomatik auftreten.

Soziale Performanz

Ein weiteres Ziel von SELBST-Gleichaltrigenprobleme ist der Aufbau von sozial adäquater Performanz. Damit wird das beobachtbare soziale Verhalten beschrieben (Fydrich, 2002). Das Modell der sozialen Informationsverarbeitung (Crick & Dodge, 1994) beschreibt, dass die soziale Performanz trotz Kompetenz ineffektiv sein kann. Die soziale Performanz wird sowohl von Schemata, von Selbst- und Fremdrepräsentationen, als auch von Verstärkerbedingungen beeinflusst (vgl. Abbildung 3). Sozial inkompetente Reaktionen können auch durch eine Auswahl von Handlungszielen entstehen, die eher der – dysfunktionalen – Selbstregulation dienen als zu einem positiven Ergebnis der sozialen Interaktion führen (z. B. Rückzug, wenn eine unsichere Jugendliche vermutet, dass die Mitschülerinnen sie nicht mögen). Dabei ist die Verhaltensflexibilität eingeschränkt. Das Verhalten ist nicht an die Ziele der sozialen Situationen angepasst, sondern dient der Selbstregulation oder dem Erreichen problemerhaltender Verstärker. Im Folgenden werden mögliche transdiagnostische Einflüsse auf die soziale Performanz betrachtet.

Schemata

Das Konzept dysfunktionaler Schemata wird aus der Sicht verschiedener Autoren skizziert. Daran schließt sich eine Arbeitsdefinition des Schemabegriffs an, den wir für das Modell der Gleichaltrigenprobleme nutzen:

Kognitive Schemata:Beck (1979) definiert Schemata als kognitive Muster, welche der Verarbeitung von Reizen und Erfahrungen zu Kognitionen dienen. Schemata sind in der Regel nicht bewusst, änderungsresistent und beeinflussen die Informationsverarbeitung. Dysfunktionale Schemata führen zu verzerrter Wahrnehmung, Denkfehlern, dysfunktionalen Annahmen und unrealistischen Erwartung an sich selbst und die Umwelt. Unterschiedliche Schemata sind ein Grund, warum Menschen die gleichen Reize und Situationen unterschiedlich |22|bewerten und darauf verschieden reagieren. Kognitive Schemata werden in diversen pathogenetischen Modellen, u. a. der sozialen Angst (Fydrich, 2002), berücksichtigt.

Schemata entstehen durch Lernerfahrungen (Beck et al., 2015). Durch wiederholte, verdichtete Lernerfahrungen und Schlussfolgerungen entstehen zentrale Grundannahmen. Dies sind globale und absolute Annahmen über sich selbst oder andere (core beliefs). Die zentralen Annahmen bilden dabei die subjektive Wahrnehmung der Erfahrungen ab. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Schemas waren die zentralen Grundannahmen die Realität desjenigen, der die Erfahrung gemacht hat. Zum Beispiel kann die zentrale Annahme „Meine Bedürfnisse sind nicht wichtig!“ für ein Kind, das Parentifizierung erfährt, die absolute Wahrheit darstellen. Auch wenn sich die Situation oder die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten verändern, bleiben die Grundannahmen weiter bestehen und werden durch verzerrte Informationsverarbeitung aufrechterhalten. Schemata werden durch Stimuli aktiviert und steuern die Informationsverarbeitung. Die zentralen Grundannahmen sind in der Regel nicht bewusst. Demgegenüber werden daraus resultierende bedingte Annahmen (intermediate beliefs) von den Patienten verbalisiert. Diese beziehen sich auf „Gesetzte“ oder „Regeln“, die der Patient für sich selbst und andere Menschen aufstellt (z. B. „Ich darf nicht ‚Nein‘ sagen, wenn mich jemand um Hilfe bittet, egal, wie es mir selbst geht!“). Diese bedingten Annahmen führen zu inadäquaten Problemlösungen oder Reaktionen, wodurch die zentralen Grundannahmen in der Regel bestätigt werden. Automatische Gedanken werden ebenfalls verbalisiert. Dies sind automatische Bewertungen der eigenen Person, anderer Personen, der Beziehungen oder der Handlungsmöglichkeit, die durch Aktivierung der Schemata entstehen (z. B. „Lea macht nichts für die Präsentation. Jetzt muss ich alles allein machen …“).

Kognitive Interventionen zielen auf die Veränderungen aller drei Stufen ab, wobei eine Veränderung der zentralen Grundannahmen am effektivsten ist. Dazu werden neben der Disputation vor allem auch Verhaltensexperimente eingesetzt. Ziel ist, korrigierende Erfahrungen zu machen, welche zu einem Aufbau alternativer Grundannahmen führen.

Abbildung 3: Soziale Kompetenzen und Schemata

Motivationale Schemata:Grawe (2004) beschreibt die universellen emotionalen Grundbedürfnisse Bindung, Orientierung und Kontrolle, Selbstwerterhöhung/-schutz, Lustgewinn/Unlustvermeidung, deren ausreichende Erfüllung die Basis für psychische Gesundheit darstellt. Zudem benennt Grawe (2004) ein „Streben nach Konsistenz“ (S. 186), das er als „Übereinstimmung oder Vereinbarkeit der gleichzeitig ablaufenden neuronalen Prozesse“ (S. 186) definiert. Konsistenz wird als Regulationsprinzip beschrieben, um eine Balance von Bedürfnissen und motivationalen Impulsen sowie den Wahrnehmungen und Erfahrungen zu erreichen. Wenn dies nicht gelingt und sich gleichzeitig aktivierte Prozesse gegenseitig behindern, entsteht Inkonsistenz, die mit negativen Emotionen und Stresszuständen verbunden ist. Des Weiteren wird Kongruenz als tatsächliche „Übereinstimmung zwischen aktuellen motivationalen Zielen und realen Wahrnehmungen“ (S. 187) definiert.

Nach Grawe (2004) entwickeln Menschen im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte motivationale |23|Schemata, die der Erfüllung emotionaler Grundbedürfnisse dienen. Dabei unterscheidet er zwischen Annäherungsschemata und Vermeidungsschemata. Annäherungsschemata entstehen nach Grawe durch Erfahrungen von Grundbedürfniserfüllung durch wichtige Bezugspersonen. Die Entstehung der Schemata wird durch Temperament, Bindungsverhalten der Bezugspersonen und Verstärkerprozesse beeinflusst. Sind Annäherungsschemata entwickelt, tragen sie langfristig zur aktiven Bedürfniserfüllung bei. Die Person entwickelt Mittel, wie sie selbst ihre Bedürfnisse erfüllen und für ihr psychisches Wohlbefinden sorgen kann. Als Entstehungsbedingungen für Vermeidungsschemata beschreibt Grawe (2004) demgegenüber Erfahrungen, dass Grundbedürfnisse durch die Bezugspersonen „verletzt, bedroht oder enttäuscht“ (S. 188) wurden. Grawe versteht eine erste Beschreibung der Frühen maladaptiven Schemata nach Young (Young 1994, in Grawe, 2004) als Resultat der frühen Erfahrungen in der Beziehung mit den wichtigsten Bezugspersonen, wobei er vor allem einen Zusammenhang mit Erfüllung oder Frustration des Bindungsbedürfnisses sieht.

Vermeidungsschemata dienen später dem Schutz vor weiterer Frustration oder Verletzung emotionaler Bedürfnisse. Sie sind kurzfristig adaptiv, das resultierende Verhalten ist aber langfristig mit negativen Konsequenzen verbunden. Da bei starken Vermeidungsschemata die Tendenzen zur Vermeidung von Bedürfnisfrustration stärker gebahnt sind und schneller aktiviert werden, ist das Verhalten auch in späteren Situationen häufig an Vermeidungszielen orientiert. Bestehende Möglichkeiten zur Bedürfniserfüllung werden nicht genutzt, was zu weiterer Inkongruenz führt. Grawe (2004) beschreibt weiterhin, dass traumatische Erfahrungen von Inkongruenz – wenn Bedürfnisse auf traumatische Weise vernachlässigt, missachtet oder verletzt werden – dazu führen, dass die Person mehr Vermeidungsschemata als Annährungsschemata entwickelt. Dies hat die langfristige Folge, dass Möglichkeiten zur Bedürfniserfüllung blockiert werden und anhaltend weitere Inkongruenz erlebt wird. Neben strukturellen Folgeschäden kann dies später zur Ausprägung psychischer Störungen führen, wenn weitere Inkonsistenz erlebt wird und keine ausreichenden Mittel zu deren Regulation zur Verfügung stehen. Im Unterschied zu Beck (1979) geht Grawe (2004) davon aus, dass die Schemata selbst auf motivationale Inhalte ausgerichtet sind und der Annäherung an Bedürfniserfüllung oder der Vermeidung von Bedürfnisfrustration dienen.

Tabelle 2: Emotionale Grundbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nach Young et al. (2008)

Bindung

Sicherheit, Zuwendung, Liebe, Akzeptanz, verlässliche Beziehungen, Zugehörigkeit zu Gruppen

Autonomie und Selbstständigkeit

Selbstbestimmung, Selbstwirksamkeit

Struktur, Orientierung und Grenzen

Klare Struktur, Vorhersehbarkeit, angemessene Grenzen, Orientierung an Regeln und Werten, Anleitung von Erwachsenen

Selbstausdruck und Selbstwert

Wertschätzung (Person) und Anerkennung (Leistungen)

Spontaneität, Spaß, Spiel

Authentizität, Freiheit, Kreativität

Frühe maladaptive Schemata:Young et al. (2008) beschreiben frühe maladaptive Schemata als Ergebnis intensiver oder anhaltender Lernerfahrungen, die mit starken Emotionen verbunden sind. Sie entstehen durch chronische Frustrationen der emotionalen Bedürfnisse (vgl. Tabelle 2) durch die relevanten frühen Bezugspersonen, z. B. durch Parentifizierung, Traumatisierung (Young et al., 2008), durch chronische Ablehnung, Vernachlässigung oder Viktimisierung durch Gleichaltrige (Calvete, 2014). Dabei besteht eine Wechselwirkung mit biologischen und sozialen Vulnerabilitätsfaktoren. Da ein Großteil dieser Lernerfahrungen in der Kindheit und Jugend gemacht wird, wählen die Autoren die Bezeichnung frühe maladaptive Schemata. Das Konzept ist als Erklärungsmodell für Persönlichkeitsstörungen entwickelt worden. Young et al. (2008) erklären die Entstehung der Schemata mit Grundbedürfnisfrustration durch massive oder wiederholte emotionale Erfahrungen.

Bei Aktivierung maladaptiver Schemata werden automatische Reaktionen ausgelöst, die als Coping-Verhalten beschrieben werden. Das Coping-Verhalten basiert auf pathogenen Überzeugungen und ist unflexibel (McKay et al., 2013). Das Coping-Verhalten wird als Versuch verstanden, eine erneute Grundbedürfnisfrustration mit den entsprechenden Emotionen, wie z. B. Angst, Wut oder Scham, zu vermeiden.

Young et al. (2008) ordnen das Bewältigungsverhalten den Clustern Unterordnung, Vermeidung oder Überkompensation zu. Frühe maladaptive Schemata wirken wie „Feuermelder“, wenn aktuelle Situationen den frühen schmerzhaften Erfah|24|rungen ähneln. Das Schema und entsprechende Bewältigungsreaktionen werden aktiviert, es läuft sozusagen ein „Notfallprogramm“ ab, auch wenn die Person mittlerweile alternative Bewältigungsmöglichkeiten hätte oder in anderen Situationen kompetentere Strategien anwenden kann.

Wenn Schemata aktiviert sind, werden Modi erfahrbar. Diese können als State mit physiologischer Aktivierung, Emotionen und typischem Bewältigungsverhalten („Notfallprogramm“) verstanden werden. Im schematherapeutischen Modusmodell können verschiedene Modi theoriegeleitet zusammengefasst und erfahrbar gemacht werden.

Interpersonale Schemata:Grawe (2004) beschreibt Zusammenhänge zwischen Bindungserfahrungen, motivationalen Schemata und interpersonalen Problemen. Durch Bedürfnisfrustration und nicht sichere Bindungserfahrungen entstehen häufiger motivationale Vermeidungsschemata. Aufgrund ihrer Vermeidungsschemata und entsprechendem Verhalten tragen die betroffenen Kinder später selbst zu weiteren ungünstigen Erfahrungen in Peer-Beziehungen oder in der Schule bei. „Die frühkindlichen Lebenserfahrungen bestimmen also über die motivationalen Schemata, die sich im Kleinkindalter entwickeln, in hohem Maße die Erfahrungen, die die betreffenden Kinder in den nachfolgenden Lebensabschnitten machen.“ (S. 361)

Sachse et al. (2011) unterscheiden zwei Arten dysfunktionaler Schemata, Selbstschemata und Beziehungsschemata. Selbstschemata bilden dysfunktionale Annahmen der Person über sich selbst (z. B. „Ich bin nicht liebenswert.“) ab, während Beziehungsschemata dysfunktionale Annahmen über Beziehungen (z. B. „Von anderen wird man fast immer enttäuscht.“) abbilden. Sachse et al. (2011) beschreiben weiterhin, dass kompensatorische Schemata entwickelt werden, um die negativen Effekte der dysfunktionalen Schemata zu reduzieren oder diese abzuschwächen. Hierzu zählen die Autoren Normative Schemata und Regel-Schemata. Normative Schemata stellen Normen dar, die sich die Person selbst auferlegt (z. B. „Ich muss mit allen gut zurechtkommen, ich darf nicht ‚Nein‘ sagen.“ oder „Ich darf mir nichts gefallen lassen.“). Hierbei liegen Vermeidungsziele zugrunde. Demgegenüber sind Regelschemata die Erwartungen, die die Person an andere richtet, also welche „Regeln“ diese in den Augen der Person befolgen sollen (z. B. „Meine beste Freundin muss immer für mich da sein!“; „Niemand darf mich kritisieren!“). Regelschemata dienen der – vermeintlichen – Kontrolle sozialer Interaktionen, wodurch eine Wiederholung negativer Erfahrungen in Interaktionen verhindert werden soll.

Es werden Zusammenhänge zwischen allen frühen maladaptiven Schemata nach Young et al. (2008) und verschiedenen ineffektiven interpersonalen Verhaltensweisen gefunden (Thimm, 2013). Young et al. (2008) sowie McKay et al. (2013) beschreiben auch den Zusammenhang zwischen frühen maladaptiven Schemata und chronischen interpersonalen Problemen. McKay et al. (2013) schreiben zehn der von Young definierten Schemata besondere Relevanz bei interpersonalen Problemen zu: Verlassenheit/Instabilität; Misstrauen/Missbrauch; Emotionale Entbehrung; Unzulänglichkeit/Scham; Soziale Isolation/Entfremdung; Abhängigkeit/Inkompetenz; Versagen; Anspruchshaltung; Unterwerfung; Überhöhte Standards/Übertrieben kritische Haltung. Diese Schemata werden als Kernüberzeugungen über sich selbst und über soziale Beziehungen beschrieben, die mit negativen Emotionen, motivationalen Impulsen und unflexiblen Reaktionstendenzen verknüpft sind. Dabei werden schädigende Botschaften, die das Kind oder der Jugendliche von signifikanten Bezugspersonen übernommen hat, im Sinne einer Selbststigmatisierung zu stabilen dysfunktionalen Überzeugungen über die eigene Person. Weiterhin werden dysfunktionale Überzeugungen über Beziehungen zu anderen Menschen gebildet. Aus den interpersonalen Schemata des Jugendlichen resultieren spezifische Informationsverarbeitungsstile, die das soziale Verhalten beeinflussen und mit belastenden Emotionen (Schemaaffekten) wie Furcht, Scham, Schuld, Wut verbunden sind. Bei Aktivierung werden Verhaltensweisen gezeigt, die einer Reduktion der Schemaaffekte und einer Vermeidung weiterer Frustration oder Verletzung dienen, aber häufig sozial ineffektiv oder inkompetent sind und langfristig nicht zu einem positiven Ausgang von Interaktionen oder einer Verbesserung der Beziehungen führen. Die soziale Performanz kann bei Schemaaktivierung deutlich ungünstiger sein, als aufgrund der sozialen Kompetenzen zu erwarten wäre.

Adaptive Schemata: Positive oder adaptive Schemata entstehen, wenn wiederholte positive Erfahrungen von Bedürfniserfüllung gemacht werden. Adaptive Schemata steuern die Auswahl kompetenter Bewältigungsreaktionen. Sie entstehen sowohl in der Kindheit und Jugend als auch im Erwachsenenalter. Dabei spielen auch Wechselwirkungen mit Resilienzfaktoren eine Rolle (Noeker & Petermann, 2008). Grawe (2004) beschreibt Annäherungsschemata als Resultat ausreichender Bedürfniserfüllung in den Beziehungen mit den Bindungspersonen. Sachse et al. (2011) beschreiben den Aufbau funktionaler Schemata als eines der Ziele ihres the|25|rapeutischen Ansatzes. Auch nach Young et al. (2008) entwickeln sich adaptive Schemata, wenn ein Mensch wiederholt die Erfahrung macht, dass seine emotionalen Grundbedürfnisse ausreichend erfüllt sind. Mithilfe adaptiver Schemata kann die Person u. a. eine positive Selbstsicht, Vertrauen und Optimismus aufbauen. Auch in der Schematherapie nach Young et al. (2008) werden adaptive Schemata aktuell stärker fokussiert, wozu die Validierung des ersten englischsprachigen Fragebogens zu positiven Schemata (Louis et al., 2017) einen Beitrag leistet. Grawe (2004) schildert, dass korrigierende Erfahrungen und eine Veränderung der Struktur motivationaler Schemata auch im Erwachsenenalter möglich sind.

Zusammenfassende Überlegungen zum Schemabegriff in Zusammenhang mit Gleichaltrigenproblemen: Beim Vergleich der verschiedenen Definitionen des Begriffs Schema werden Parallelen und Unterschiede deutlich. Gemeinsam ist den hier skizzierten Schemakonzepten, dass Schemata im Kontext von Interaktionen gesehen werden. Es wird einerseits beschrieben, dass Schemata durch Erfahrungen in Beziehungen mit anderen Menschen entstehen und andererseits das Verhalten in sozialen Situationen und Beziehungen beeinflussen.

Wir nehmen daher neben einem Defizit sozialer Kompetenzen auch dysfunktionale interpersonale Schemata als Bedingungsfaktor in das Modell zur Entstehung von Gleichaltrigenproblemen auf. Den Jugendlichen bieten wir in der Psychoedukation den Begriff „Beziehungsprogramme“ an, die Erklärungen orientieren sich an folgender Arbeitsdefinition. Dysfunktionale interpersonale Schemata:

sind dysfunktionale Überzeugungen über die eigene Person und Beziehungen im Sinne von Schlussfolgerungen aus Erfahrungen mit Bezugspersonen und Gleichaltrigen.

entstehen durch negative Erfahrungen mit Frustration emotionaler Bedürfnisse und starken Emotionen.

werden durch Stimuli in sozialen Situationen aktiviert.

lösen bei Aktivierung automatische Kognitionen, Emotionen und Handlungsimpulse aus.