Glück ist eine Frage der Haltung - Britta Heidemann - E-Book

Glück ist eine Frage der Haltung E-Book

Britta Heidemann

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Beschreibung

Für ein glückliches, erfülltes Leben müssen wir uns Herausforderungen stellen - und je mehr Spaß wir dabei haben, desto besser sind unsere Erfolgsaussichten. Olympiasiegerin Britta Heidemann hat gelernt, dass die innere Einstellung entscheidend für den Ausgang des Gefechts ist - und das nicht nur im Sport. Deshalb erklärt sie nun, wie wir Druck standhalten, wie wir nach Rückschlägen unser inneres Gleichgewicht wiedergewinnen und warum Freude an der eigenen Leistung der Schlüssel zu allem ist.

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Vorwort

Knapp, knapper, Qualifikation

1. Der Gang auf die Planche: Die Fechtbahn wartet

Stellschrauben zum Glück

Die Fechtbahn des Lebens

2. »En garde«: Die richtige Ausgangsposition entscheidet

Alles eine Frage der Einstellung

Die körperliche Basis

Das innere Gleichgewicht

3. »Allez«: Das Gefecht beginnt

Die ersten Treffer

Angriff und Verteidigung

Das richtige Tempo oder der passende Moment

Die richtige Mensur oder der optimale Abstand

4. Die Minutenpause: Wertvolle Auszeit

Durchatmen und Kraft tanken

Fehleranalyse und Taktikbesprechung

Erfolgsfaktor Zeiteinteilung

5. Die Abschlusstreffer: Mentale Stärke zeigen

Selbstsicher in die letzte Phase des Gefechts

Der Umgang mit Druck

Widrige Umstände als Herausforderung sehen

Die letzten Sekunden: die Entscheidung

6. »Touché«: Das Gefecht endet

Der Siegtreffer

Der Moment der Niederlage

7. Der Gang von der Fechtbahn: Das Gefecht verarbeiten

Sieg und Niederlage einordnen

Die Balance wiederfinden

Auf zu neuen Taten

Nach dem Gefecht ist vor dem Gefecht

Nachwort

Glossar

Danksagung

Bildteil

Bildnachweise

Über die Autorin

Britta Heidemann, Jahrgang 1982, ging mit fünfzehn Jahren in Peking zur Schule, studierte Regionalwissenschaften Chinas und spricht fließend Mandarin. Bei den Olympischen Spielen 2008 verwirklichte die Degenfechterin ihren Traum und holte in ihrer zweiten Heimat Peking Gold. Seitdem ist sie regelmäßig als Sonderbotschafterin u.a. bei Delegationsreisen im Reich der Mitte. Die Kölnerin arbeitet neben ihrer sportlichen Karriere als Referentin, Moderatorin und Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt China.

BRITTA HEIDEMANN

Glück ist eine Frageder Haltung

Stark durch die Gefechte des Lebens

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Dieses Buch ist 2011 als Hardcover im Ariston Verlag unter dem Titel »Erfolg ist eine Frage der Haltung« erschienen.

Für die Taschenbuchausgabe:Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Michael SchickerlingTitelbild: © Manfred Esser, Bergisch GladbachUmschlaggestaltung: Tanja ØstlyngenE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-2381-8

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Vorwort

»Meine Frau und ich sowie einige gute Freunde springen daheim im fernen Köln im Wohnzimmer hoch, jubeln, fallen uns um den Hals und sehen im Fernsehen, wie unser Sohn Gerrit mit einer Deutschlandfahne über die Absperrung springt, auf die Fechtbahn stürmt und seine Schwester umarmt. »Wahnsinn, Britta, Wahnsinn!«, können wir von seinen Lippen ablesen. Eine totale Anspannung fällt in diesem Moment auch von uns ab, doch bevor im Zeitraffer die Jahre bis zum Olympiasieg ablaufen können, klingeln schon die Telefone …«

So lauten die ersten Sätze des kurzen Manuskripts, das mein Vater zu tippen begonnen hatte. Er kam nämlich als Erster auf die Idee, über die Parallelen zwischen dem Fechten und dem wahren Leben zu schreiben. Über die Faktoren, die für mich auf dem Weg zum ganz großen Erfolg eine wichtige Rolle gespielt hatten.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass mir diese Zeilen in die Hände gefallen sind, denn dadurch habe ich die Motivation gewonnen, mich dem Schreiben zu widmen – und somit eine für mich ganz neue Art von Herausforderung anzugehen. Ich freue mich darauf, mit Ihnen gemeinsam die kleinen und großen Gefechte des Lebens zu durchlaufen und meine Begeisterung und Neugierde ebenso zu teilen wie das ganz alltägliche Kopfkino mit Ängsten, Sorgen und Stress, jenen typischen Situationen, die es auf der Fechtbahn wie im Leben zu bewältigen gilt. Ich lade Sie herzlich ein: Erleben Sie in Glück ist eine Frage der Haltung mit mir emotionale Höhenflüge ebenso wie Momente der totalen Verzweiflung.

Was Sie persönlich als Erfüllung oder Erfolg ansehen, weiß ich natürlich nicht, denn das ist bei jedem Menschen anders. Doch bei einer Sache bin ich mir ganz sicher: Die innere Haltung, wie man sich Herausforderungen stellt und auf Ziele hinarbeitet, ist im Fechten ebenso wie im wahren Leben entscheidend.

Daher möchte ich Sie ermutigen: Schreiten Sie stets mit erhobenem Kopf, mit Zuversicht und mit Elan durch die Achterbahn des Lebens. Nutzen Sie sich bietende Chancen, die Sie auf Ihrer persönlichen Planche, egal ob beruflich oder privat, voranbringen. Kämpfen Sie sich durch, auch wenn es mal hart und unbequem ist – aber verlieren Sie sich nicht in sinnlosen Gefechten. Legen Sie rechtzeitig Pausen ein, achten Sie auf Ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden, und erhöhen Sie so die Wahrscheinlichkeit, den letzten, den entscheidenden Treffer für ein glückliches und zufriedenes Leben zu landen.

Köln, im Februar 2016

Britta Heidemann

Knapp, knapper, Qualifikation

Beim Betreten der Fechtbahn habe ich einen dicken Kloß im Hals. Dieser Kampf ist unsere allerletzte Chance. Wenn ich jetzt versage, ist unser Traum von Olympia gestorben. Meine Kehle schnürt sich vor Anspannung und Aufregung zu, ich schlucke reflexartig. Meine italienische Gegnerin ist über die Maßen motiviert, eine richtige Furie auf der Planche. Und meine Bilanz aus den früheren Gefechten gegen sie? Die sieht alles andere als gut aus.

Die nächsten drei Minuten bringen zwangsläufig die Entscheidung. Entweder bringe ich meinen Vorsprung von fünf Treffern nach Hause, und wir sind bei Olympia 2012 in London dabei – oder ich verbocke es, und Olympia ade! Ich bin total nervös …

Bei diesem letzten und entscheidenden Wettkampf in Paris im Frühjahr 2012 glaubten viele nicht mehr an unser Comeback. Die Chancen dafür standen tatsächlich mehr als schlecht. Die Olympiaqualifikation für London 2012, die wir im Team zu bewältigen hatten, ist ein Paradebeispiel für die Aufs und Abs, die das Sportlerleben so mit sich bringt. Noch im Herbst 2011 hatten wir an der Spitze der Weltrangliste gestanden – und nach wenigen Monaten fanden wir uns, beinahe chancenlos abgeschlagen, auf Platz 14 wieder.

Wie hatte es so weit kommen können? Vor allen Dingen bescherte uns unsere Selbstsicherheit als Favorit den schnellen Abstieg. Wir waren alle überzeugt, das würde alles schon irgendwie laufen – kein Problem. Wir waren nicht darauf eingestellt, dass wir uns womöglich richtig anstrengen müssten, um diese Qualifikation zu meistern. Nicht dass wir die Turniere nicht ernst genommen hätten, im Gegenteil. Das Problem war eher, dass wir weder konsequent genug noch innerlich so gefestigt waren, wie es erforderlich gewesen wäre.

Denn einige Dinge hatten sich verändert: Unser Team war umgestaltet, der Bundestrainer neu, und es hatte einige für uns eher unvorteilhafte Regeländerungen gegeben. All das trug zu einer wachsenden Unsicherheit im Team bei. Wir hatten es schlichtweg versäumt, uns ausreichend auf die extreme nervliche Anspannung vorzubereiten, die mit einer solchen Olympiaqualifikation einhergeht. Alle waren nervös und fahrig. Das rächte sich schnell und bitter. Direkt den Auftakt beim Weltcup in Rio im Mai 2011 verpatzten wir gründlich mit einer völlig unerwarteten Niederlage gegen England. Die Stimmung im Team schlug schlagartig um, die Atmosphäre war – sagen wir mal – frostig. Kein Wunder, dass es in der Folge auf der Fechtbahn ebenfalls nicht klappte.

Ich fand mich zu jener Zeit allerdings nicht nur in dieser erbärmlich verlaufenden und an allen Ecken krankenden Teamqualifikation in einer Abwärtsspirale wieder, sondern auch in der Einzelkonkurrenz. Nichts wollte gelingen, und ein 126. Platz bei den Weltmeisterschaften 2011 in der Einzelwertung war gewissermaßen der traurige Tiefpunkt davon. Das zog mich alles ziemlich runter. Gute Motivationstipps kannte ich natürlich selbst, doch es war mir schlicht unmöglich, sie in die Praxis umzusetzen und mich auf mich selbst und meine Leistungsfähigkeit zu konzentrieren. Stattdessen mäkelte ich an allem und jedem herum, kritisierte schlechte Bedingungen bei den Wettkämpfen ebenso wie die offensichtlich schwierig zuzuordnenden Verantwortlichkeiten innerhalb des Verbands.

Zu meckern gab es tatsächlich genug. So kam es vor, dass wir eine Stunde vor Wettkampfbeginn vor einer verschlossenen Wettkampfhalle standen, es am Wettkampfort kein Wasser zu kaufen gab, die Kontrolle, ob unsere Kleidung auch wirklich den Sicherheitsstandards entsprach, stundenlanges Anstehen voraussetzte oder wir morgens einen Wettkampf ohne vorheriges Frühstück bestreiten mussten, weil einmal mehr die Absprache zwischen dem Organisator und dem offiziellen Hotel schiefgelaufen war. Und professionelle physiotherapeutische Betreuung war schon länger ein großer Diskussionspunkt zwischen den Athleten und dem Verband. Aber auch wenn meine Kritik in vielen Fällen berechtigt war, bleibt Fakt: Manche Dinge lassen sich nun einmal nicht ändern. Damit haderte ich jedoch, statt es als gegeben hinzunehmen und nach alternativen Lösungswegen zu suchen.

Ende des Jahres 2011 und nach einigen weiteren schlechten Ergebnissen hatten wir kaum noch Aussicht auf die Olympiateilnahme – und meine Fechtehre stand auf dem Spiel. Ich war ebenso wie meine Teamkolleginnen total schlecht drauf und schnitt auch im Einzel weiterhin miserabel ab – doch immer noch waren andere schuld an meinen Misserfolgen: die Trainer, die Gegner, die Uhrzeit, das Wetter, was auch immer. Kritische Reflexion, Fehlersuche und Ehrlichkeit mit mir selbst: Fehlanzeige. In solchen Situationen ist man schließlich selbst felsenfest davon überzeugt, man habe alles gegeben und alles richtig gemacht. Das ist im Grunde auch nur menschlich, denn für die eigene Psyche ist es bequemer, die Schuld erst einmal bei anderen zu suchen. Das Problem dabei: Man wird nicht dadurch besser, dass man andere schlechtmacht oder sich aus der Verantwortung zieht – egal ob im Sport oder in anderen Lebenslagen.

Ich hatte damals ehrliches Feedback dringend nötig. Es war mein Bruder, der mir, als ich mich mal wieder lang und breit über die Ungerechtigkeiten des Lebens ausließ, schonungslos den Spiegel vorhielt. Um ehrlich zu sein, platzte ihm regelrecht der Kragen. »Britta, jetzt reicht’s aber mal!«, sagte er klipp und klar zu mir. »Erinnere dich endlich wieder daran, weshalb du so erfolgreich bist. Konzentriere dich darauf, was du selbst steuern kannst. Schau nach vorne und nicht zurück! Du sagst doch immer, dass man unveränderbare Gegebenheiten hinnehmen muss. Ja, das Team arbeitet derzeit nicht gut zusammen. Und ja, ihr hattet auch etwas Pech. Das ist der Status quo, und damit musst du jetzt eben arbeiten. Handle endlich nach dem, was du immer predigst: Nimm die Herausforderung an und kämpfe!« Er konnte meine ständigen Entschuldigungen und Ausreden, das Abwälzen der Verantwortung auf andere und die alte Leier, dass alle anderen schuld seien, nicht mehr hören. Er redete Tacheles mit mir.

Nach einer kurzen Schmollphase – seine ehrliche Kritik schmeckte mir anfangs natürlich überhaupt nicht – sah ich ein, dass er recht hatte. Eigentlich genügte ein Blick in den Spiegel: Ich hatte abgenommen, war bleich wie ein Laken und hatte Ringe unter den Augen. Einen Powerausschlag an den Armen konnte ich auch nicht verleugnen. Ich dachte an die letzten Monate zurück, an die vielen Tränen, Wutanfälle, Ausraster und Zusammenbrüche. Meine Gedanken drehten sich nur noch im Kreis, ich konnte meinen Ärger und meine Wut nicht loslassen. Ich musste mir eingestehen: Ich war nervlich und körperlich am Ende. So nahm ich mir den Appell meines Bruders schließlich zu Herzen. Mir war klar, dass ich nun handeln musste, um mich aus dieser Misere zu befreien.

Aus heutiger Sicht sehe ich es geradezu als glückliche Fügung an, dass ich Ende 2011 starke Probleme mit dem Gelenk meiner Fechterhand hatte, sodass eine Operation früher oder später erforderlich war. Ich beratschlagte mich wochenlang mit den Ärzten und meinem Trainer Manfred Kaspar, ob ich die Operation noch vor Olympia wagen sollte. Das Risiko lag im wahrsten Sinne des Wortes auf der Hand: Im schlechtesten Fall wäre London 2012 für mich gestorben. Auf der anderen Seite bedeutete die Behandlung eine mehrmonatige Erholung für Kopf und Körper. Und die hatte ich – das war mir ja mittlerweile klar – bitter nötig. Außerdem sah ich in dieser Auszeit die einzige echte Chance, noch einmal von vorne zu beginnen und die Olympiaqualifikation womöglich doch noch zu meistern.

Also ging ich das Risiko ein. An meinem 29. Geburtstag lag ich auf dem OP-Tisch einer Klinik, statt zu feiern. Der Eingriff verlief problemfrei, und bald ging es auch mit meiner Stimmung wieder bergauf. Denn kaum war ich aus meinem täglichen Trainingsprogramm ausgestiegen, merkte ich, wie gut mir das tat. Durch diese Zwangspause löste sich der Knoten in meinem Kopf. Der Fokus auf die Heilung meiner Verletzung lenkte mich derart ab von allen anderen Problemen und gab mir einen solchen Energieschub, dass ich endlich wieder Spaß am Sport hatte. Jeden Tag verbrachte ich mehrere Stunden bei der Physiotherapie, und ich trainierte meine fechterische Beinarbeit so gut wie möglich. Bereits sieben Wochen nach der OP stand ich im Februar 2012 wieder im Wettkampf auf der Fechtbahn.

Die erstklassige Betreuung durch die Physiotherapeuten und Ärzte sowie das konsequente und abgestimmte Training gaben mir die nötige Sicherheit und Stabilität, um auch das Vertrauen in mich selbst wiederzugewinnen. All jene Faktoren, die ich nicht ändern konnte, etwa die Wettkampfbedingungen, würden mich ab sofort nicht mehr ablenken, nahm ich mir vor. Selbst meine bittere Einzel-Niederlage bei den Weltmeisterschaften vor einigen Monaten war nicht mehr so wichtig. Entscheidend war, was vor mir lag, erkannte ich. Ich war wieder voll einsatzbereit. Meine kurze Auszeit hatte viel mehr als nur mein Handgelenk geheilt.

Ende März 2012 stand schließlich der letzte Olympiaqualifikationswettbewerb in Paris an. Unsere Chancen lagen bei unter zehn Prozent, wir wussten, dass wir mindestens einen Podestplatz würden erreichen müssen, um die Qualifikation noch möglich zu machen. Ein schwieriges Unterfangen, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt – und wir hofften für unseren entscheidenden Wettkampf auf ein kleines Wunder. Zudem war ich gewappnet und gut vorbereitet.

Zu Hause hatte ich schon vor unserer Abreise eine Liste mit den Dingen erstellt, die ich alternativ zum Fechten machen könnte, falls das hier schiefgehen sollte. Mein persönlicher Plan B sozusagen. Nie hätte ich gedacht, dass mir so viele Möglichkeiten einfallen würden, was ich mit meinem Leben – abseits vom Sport – noch alles anfangen könnte. Ich hatte geschrieben und geschrieben und nach einer halben Stunde festgestellt, dass ich mehr als genug zu tun haben würde, auch wenn es mit dem Fechten vorbei wäre. In dem Moment überkam mich eine merkwürdige Erleichterung, eine große psychische Last fiel von mir ab. Denn diese Liste machte mir bewusst: Das Leben geht weiter. Es gibt immer neue Möglichkeiten, neue Optionen, neue Wege, neue Ziele. Es hat keinen Sinn, sich verrückt zu machen. Ein weiterer Lichtblick vor dem Turnier war, dass wir uns endlich im Team ausgesprochen hatten. Wir hielten anschließend Kriegsrat: Wohin wollen wir und was ist unser konkretes Ziel? Die klare und einstimmige Antwort lautete: die Olympiaqualifikation schaffen. Darin waren wir uns einig. Und auch darin, dass wir, um unser Ziel zu erreichen, an einem Strang ziehen mussten. Wir hatten den Traum Olympia noch nicht aufgegeben, und das machte uns allen Mut. Für die Erfüllung unseres Traums würden wir in Paris kämpfen! »Solange der Wettkampftag nicht vorbei ist, haben wir eine Chance«, beschlossen wir.

Und um ganz ehrlich zu sein: Am Wettkampftag interessierte mich mein Plan B nicht im Geringsten. Ich wollte zu Olympia, unbedingt sogar. Dieses Ziel hatte ich klar vor Augen. Und so war es wohl kein Zufall, dass es so kam: Gefestigt und konzentriert wie lange nicht mehr gewannen wir tatsächlich Mannschaftskampf um Mannschaftskampf. Wir hatten uns bis zum Bronzematch durchgekämpft, als uns die Erkenntnis wie ein greller Blitz durchzuckte: Platz drei würde für die Qualifikation reichen!

Wir hatten also noch eine Chance. Aber wir mussten uns gegen die italienische Mannschaft durchsetzen – die damaligen Weltranglistenersten. Und ich würde die Schlussfechterin sein, also die, die den Staffelstab ins Ziel bringen muss. So aufgeregt war ich selten zuvor in meinem Leben. Ich hatte regelrecht Angst, mir war fast schlecht, denn hier und heute würde eine folgenschwere Entscheidung fallen. Entweder qualifizierten wir uns für Olympia, oder meine Fechtkarriere wäre zu Ende, so viel war mir klar. Es hing nun einzig und allein von mir ab. Ich suchte mir eine ruhige Ecke, um mich vor dem Mannschaftskampf zu sammeln.

Noch wenige Sekunden. Mein Vorsprung ist weiterhin komfortabel. Mit fünf Treffern Vorsprung bin ich in dieses entscheidende Gefecht gegangen, die Italienerinnen haben gegen uns nicht gut ausgesehen. Zu Beginn dieses Gefechts habe ich kurz gewackelt, habe mich gefragt, ob ich dem Druck standhalten kann. Erst nachdem meine ungeliebte italienische Gegnerin in weniger als einer Minute bereits zwei Treffer aufgeholt hatte, habe ich wieder zu mir gefunden und mir gut zugeredet, dass es schließlich nicht das erste Mal wäre, dass ich einen Vorsprung verwalten und Nervenstärke beweisen kann. Also, warum nicht auch heute?

Ich schiele auf die Zeitanzeige, während die Italienerin ihren letzten fulminanten Angriff unternimmt. Und jetzt ist es vorbei – die Zeit ist um! Ich schreie wie verrückt, meine Mädels rennen zu mir auf die Fechtbahn, wir fallen uns gegenseitig in die Arme, hüpfen überglücklich herum, Freudentränen fließen in Strömen. Unser Glück kennt in diesem Moment keine Grenzen.

Am Rande nehme ich verschwommen die verwirrten Gesichter einiger Fechterinnen anderer Nationen wahr. Sie haben wohl noch nicht richtig begriffen, was uns soeben im letzten Moment gelungen ist, warum wir uns so maßlos freuen. Mit 112 zu 111 Punkten, also mit nur einem einzigen Punkt Vorsprung vor Estland, haben wir den letzten von acht Olympiaplätzen ergattert. Wir haben – im wahrsten Sinne des Wortes – eine Punktlandung für die Qualifikation für die Olympischen Spiele in London 2012 hingelegt!

Knapper hätte es kaum ausgehen können. Eine riesige Last fiel mir von den Schultern. Ich kann mich nicht erinnern, in meinem Leben jemals so erleichtert gewesen zu sein – vielleicht mit der Ausnahme jenes Tages, an dem ich erfuhr, dass ich für das Abitur in Mathe nicht in die Nachprüfung musste. Ich konnte es kaum fassen, dass wir in letzter Sekunde dem Olympia-Aus von der Schippe gesprungen waren. Das ehrliche Feedback meines Bruders hatte zumindest bei mir den Stein ins Rollen gebracht, doch den Ausschlag gaben letztlich der Mannschaftszusammenhalt und unser phänomenaler gemeinsamer Endspurt. Das war eine wahre Teamleistung mit unheimlich viel Elan und Herzblut! Diese Olympiaqualifikation bestärkte meinen Glauben daran, dass eiserner Wille und ein klares Ziel gepaart mit positiver Einstellung das Zünglein an der Waage sind. Sie beweist, dass man immer eine Chance hat, zu gewinnen, und zwar so lange, bis der letzte Kampf entschieden ist. Es lohnt sich, alles in die Waagschale zu werfen!

1 | Der Gang auf die Planche:Die Fechtbahn wartet

Mit einem Degen bewaffnet warte ich auf meinen Auftritt. Doch heute gehe ich nicht auf die Planche, sondern trete vor ein anderes Publikum. Bei einer Unternehmensveranstaltung soll ich einen Vortrag halten. Ich werde dem Publikum von meinen Erlebnissen aus der Welt des Spitzensports berichten, von Erfolgen und Niederlagen, von Triumph und Verzweiflung, von Rückschlägen und neuer Motivation. Denn all das habe ich in meiner sportlichen Karriere durchlebt.

Die schönste Erinnerung ist sicherlich die an meinen Olympiasieg in Peking 2008, zu dem eine Videoaufzeichnung abgespielt werden soll. Danach soll ich »dynamisch auf die Bühne joggen«, so die Regieanweisung. Während ich mich noch frage, wie ich das in meinen Highheels bewerkstelligen soll, sehe ich schon die emotionalen Momente meines größten sportlichen Erfolgs auf der großen Leinwand noch einmal ablaufen und höre die aufgeregte Stimme von ARD-Reporter Michael Drevenstedt aus dem Lautsprecher: »14 zu 10 … Einer fehlt noch zum Olympiasieg – und das ist er! Mit einem Doppeltreffer gewinnt Britta Heidemann dieses Gefecht mit 15 zu 11! Sie hat gesagt: ›Das sind meine Olympischen Spiele‹, und es sind ihre Olympischen Spiele. Gold für Britta Heidemann!«

Diese Sätze habe ich mittlerweile wohl Hunderte Male gehört, überlege ich, während ich zügigen Schrittes auf die Bühne gehe. Es sind die Aufnahmen vom Olympischen Finale im Damendegen in Peking am 13. August 2008, als ich mich gegen die Rumänin Ana Maria Brânză durchsetzte. Wie jedes Mal, wenn ich diese Filmsequenz sehe, kann ich auch jetzt kaum fassen, dass wirklich ich es bin, die dort oben auf der Fechtbahn steht, die sich – so scheint es zumindest – kaum richtig freuen kann, die die Arme in die Höhe streckt und dabei ziemlich fertig aussieht. Die lange Zeit der Vorbereitung fand an diesem Moment ihren Höhepunkt, und ich war einfach nur platt, aber auch unsagbar zufrieden.

Ich blinzle noch einmal bei der Erinnerung an diese Achterbahnfahrt der Gefühle, sammle mich kurz und begrüße strahlend das Publikum.

Der Weg zum Olympiasieg in Peking hat sich in jeder Hinsicht gelohnt, und zwar nicht nur wegen des krönenden Abschlusses. Es war der berühmte »Weg zum Ziel«, der mich glücklich und zufrieden gemacht, der mich erfüllt hat. Es war harte, disziplinierte Arbeit nötig, aber dennoch hat es auch unheimlich viel Spaß gemacht, für dieses Ziel zu trainieren, mit einem motivierten Team aus Trainern, Physiotherapeuten und vielen anderen, die mich begleiteten, zu arbeiten und an Verbesserungsmöglichkeiten zu feilen. Peking war ein Projekt, das auch ohne die Goldmedaille für immer in meinem Gedächtnis geblieben wäre.

Natürlich habe ich nicht nur die ganz großen Erfolge gefeiert wie den Olympiasieg. Ich weiß aus eigener leidiger Erfahrung, dass jahrelange disziplinierte Arbeit nicht immer mit einem Sieg endet und dass selbst ein Triumph nicht bedeutet, dass man immerzu auf der Erfolgswelle schwimmen wird. Das Leben eines Topathleten ist wie das Alltagsleben durchsetzt von Rückschlägen, Enttäuschungen und Durststrecken, von denen ich mich nicht unterkriegen lassen darf. Im täglichen Umgang mit Sieg und Niederlage muss ich mich in Frustrationstoleranz üben, mit Druck umgehen können und mentale Stärke beweisen, um den entscheidenden Treffer zu setzen. Vor allem lernen wir Fechter, uns bei jedem Gefecht dem Gegner zu stellen, die Herausforderung anzunehmen, uns zu überwinden. Und: Wir haben Freude daran!

Stellschrauben zum Glück

Ich spaziere durch das olympische Dorf und kann es kaum glauben, dass jetzt tatsächlich Olympische Spiele in Peking anstehen. Dass ich mich als Weltranglistenerste für dieses Ereignis qualifiziert habe. Dass ich überhaupt dabei bin. Jeden Tag ergreift mich hier das Erlebnis Olympia von Neuem, und es nimmt mich gefangen.

Ich setze mich in einen der vielen Pavillons und sinniere über meine Chancen am Finaltag. Es gefällt mir überhaupt nicht, dass trotz meiner guten Vorleistungen gar nichts klar ist und mir niemand eine Garantie dafür geben kann, dass ich ins Halbfinale oder sogar ins Finale kommen werde. Gerade als ich zum Telefon greifen und dieses Dilemma mit einer Teamkollegin, die alles von zu Hause aus verfolgt, besprechen will, radelt meine frühere Mannschaftskollegin, die jetzt als Offizielle mit dabei ist, vorbei. Sie bleibt stehen und fragt mich, ob ich auf den morgigen Wettkampf gut eingestimmt sei. »Ja, das bin ich«, antworte ich ihr. Daraufhin erwidert sie, dass ihr das bisher alle gesagt hätten. »Na, klasse!«, denke ich. Aber sie hat recht: Es ist wirklich alles offen. Ich traue mich kaum, wieder aufzustehen und weiterzugehen.

Die Tage bis zum Wettkampf sind irgendwie verflogen, morgen ist es so weit. Ich weiß, dass diese Konfrontation unausweichlich ist. Trotzdem belastet mich das – zum Glück begegnet mir Sylvia Henn, die Physiotherapeutin unseres Fechtteams, und fragt mich, ob wir zur Mensa schlendern und uns einen Kaffee holen wollen. Gut, dass sie da ist und mich noch einmal ablenkt …

Es ist jetzt schon nach 22 Uhr, aber ich kann noch nicht schlafen – zum Glück fängt der Wettkampf morgen erst um 15 Uhr nachmittags an. Ich beschließe, noch einige Telefonate zu führen, mit meinem Freund, meiner Teamkollegin, meiner besten Freundin, meinem Bruder Gerrit. Alle leisten ihren Beitrag dazu, dass ich mich in einem mental guten Zustand halte. Da es so warm ist und es im Apartment ziemlich hallt, gehe ich nach draußen vor das Gebäude der deutschen Mannschaft. Dabei treffe ich meinen Turnfreund Fabi Hambüchen, der mir viel Glück für den Wettkampf wünscht, mich umarmt und sagt: »Hau rein, Große, mach se platt!« Der Bundestrainer der Florettfechter, die morgen parallel mit uns ihren Wettkampf haben, sitzt vor dem Eingang auf einer Bank und zwinkert mir zu: »Das machste morgen, Britta!«

Während ich telefoniere, nicke ich immer wieder vorbeilaufenden deutschen Teamkollegen zu, die jetzt alle nach und nach zu Bett gehen. Viele schieben den guten Wünschen für den Wettkampf und einem Schulterklopfen kleine Bemerkungen hinterher, die auf meinen Telefonmarathon abzielen. Offensichtlich sieht man mich hier ständig mit dem Handy in der Hand herumlaufen. Egal, ich gehe auf mein Zimmer und fange an zu lesen. Ken Folletts Buch Die Säulen der Erde gehören die letzten Stunden meiner Wettkampfvorbereitung.

Weit nach Mitternacht erst schalte ich das Licht aus und träume von Tom Builder, der Hauptfigur des Romans, von mittelalterlichen Märkten, meiner ersten Gegnerin und klirrenden Degen.

Beim Fechten spricht man sowohl von »Kampfsport« als auch von »Fechtkunst« – und die Vereinbarkeit dieser Elemente fasziniert mich. In Berührung damit kam ich aber erst nach einem Umweg über viele andere Sportarten. Wasser war von Beginn an mein Element, und so war es kein Zufall, dass ich als Kind jahrelang mehrfach die Woche beim Schwimmtraining eifrig »Kacheln zählte«. Später bewog mich unter anderem eine Allergie dazu, mich sportlich umzuorientieren. Da ich neben dem Schwimmen im Leichtathletikverein war und ich die sportliche Vielfältigkeit liebte, fiel meine Wahl schnell auf den Modernen Fünfkampf, eine Kombination aus Reiten, Fechten, Schießen, Schwimmen und Laufen. Schon nach kurzer Zeit beschloss ich aber, mich vollständig dem Fechtsport zu widmen. Nicht, dass ich den Modernen Fünfkampf nicht gemocht hätte, im Gegenteil: Es war eine intensive Zeit, in der ich viele Freundschaften geschlossen habe und die mir meine erste internationale Medaille bei unvergesslichen Jugendweltmeisterschaften in Florida eingebracht hatte. Ein Teil der Wettkämpfe fand im SeaWorld direkt neben dem Orca-Becken statt. Während des Fechtens und Schießens konnten wir das Platschen der Killerwale und die Stimmen der begeisterten Zuschauer hören. Jedoch zogen mich vor allem die psychischen Herausforderungen und die große Bedeutung von strategischem Geschick und technischen Fertigkeiten beim Fechten in ihren Bann. Denn hier lernte ich zum ersten Mal den Kampf gegen die eigene Psyche kennen. Beim Laufen oder Schwimmen kämpfte ich im Grunde gegen meine körperlichen Grenzen, eine schlechte Leistung machte sich vor allem auf der Stoppuhr bemerkbar. Doch beim Fechtsport weiß nur der Athlet selbst, ob er sein Potenzial vollends ausgeschöpft hat oder nicht, das merkte ich schon bald. Wie im richtigen Leben hängt es ausschließlich von einem selbst ab, wie man sich verhält und was man aus seinen Chancen macht.

Wenn Sie beispielsweise Ihren Freunden von Ihrer Jobsuche erzählen – wer könnte schon überprüfen, wie groß Ihr Einsatz tatsächlich war? Nur Sie selbst wissen mit Sicherheit, ob Sie überdurchschnittlich viele Bewerbungen geschrieben, sich vor dem Vorstellungsgespräch ausführlich vorbereitet und sich eingehend über das Unternehmen informiert haben. Das ist beim Fechten nicht anders. Vor allem im Training ist man nicht immer hundertprozentig bei der Sache. Dann verliert sich so ein Gefecht ziemlich schnell. Manchmal ärgert mich das so sehr, dass ich versucht bin, gar nicht mehr um Punkte zu fechten, sondern meinen Trainingspartner davon zu überzeugen, dass wir »einfach so« vor uns hinfechten und Techniktraining machen. Auf diese Weise drücke auch ich mich ab und zu mal vor der Entscheidung »Sieg oder Niederlage«.

Der Geist ist eben erfinderisch, wenn es um Ausreden geht, egal ob es sich um eine Gefechtssituation handelt oder um die Frage, ob man sich zur nächsten Prüfung anmeldet oder den Wechsel in einen neuen Job wagt. Im Ernstfall zu bestehen und die Nerven zu behalten gelingt aber nur, wenn man sich auch beim Training überwindet, sich der anfangs immer etwas unangenehmen Situation zu stellen. Und einmal mittendrin, läuft es meist von selbst.

Anstehende Prüfungen, näher rückende Deadlines bei der Arbeit, klärende Gespräche mit dem Chef, dem Kollegen oder dem Partner können ebenso stressig und fordernd sein wie die Suche nach der Antwort darauf, welchen Karriereweg man einschlagen oder wie man sein Leben planen und gestalten soll. Gleichzeitig sind dies alles tolle Herausforderungen, Chancen, die man ergreifen und nutzen kann. Und Chancen multiplizieren sich häufig, wenn man sie ergreift.

Dabei muss jeder von uns seine eigene Herangehensweise, sein eigenes Portfolio an Maßnahmen finden, um für sich persönlich Glück zu definieren und sich dementsprechend Ziele zu stecken. Während der eine Spaß an einem Projekt oder insgesamt mehr Freiheiten haben muss, um motiviert zu sein, braucht der Nächste das Gefühl, sich ganz und gar auf dieses eine Ziel ausgerichtet zu haben, um erfolgreich arbeiten zu können. Das liegt unter anderem daran, dass wir alle unterschiedliche Grundvoraussetzungen und Fähigkeiten mitbringen. Das ist im Übrigen auch beim Fechten so, denn es ist eine der wenigen Sportarten, bei denen man die Athleten nicht zwingend am Körperbau erkennen kann: Es gibt kleine und große, kräftigere und schlankere Athleten. Der eine ist flinker, der andere strategisch besser, der Nächste setzt seine mentale Stärke ein, um zu gewinnen. Mit ganz unterschiedlichen Mitteln gelangen sie zum Erfolg.

Dennoch gelten einige Grundregeln für alle. Ein Ziel zu erreichen ist immer mit Arbeit und Disziplin verbunden. »Von nichts kommt nichts!«, heißt es doch so schön. Auf der anderen Seite muss man sich auch auf sein Bauchgefühl verlassen. Nicht selten gilt nämlich das Motto: »Weniger ist mehr!« Das Abwägen verschiedener Faktoren, wohlüberlegte Entscheidungen und Intuition spielen auch im Fechtsport eine große Rolle.

In sich hineinzuhören und zu erspüren, was einem guttut, fällt nicht jedem leicht. Viele Menschen, alte wie junge, fühlen sich überfordert, von Arbeit überlastet und wissen überhaupt nicht mehr, was für sie das Richtige ist. Sie fragen sich: »Wie soll ich diesem Druck nur standhalten? Wie viel halte ich noch aus – und was traue ich mir überhaupt zu? Wie finde ich den Mut, meinen eigenen Weg zu gehen? Werde ich mich motivieren können, mich durchzukämpfen, auch wenn es unbequem wird? Darf ich mir Pausen gönnen, wenn mir alles zu viel wird? Darf ich überhaupt Spaß an einer Herausforderung haben? Und wie gehe ich die Aufgaben des Lebens an?« Ich glaube, dass es ein paar einfache, grundsätzliche Stellschrauben gibt, die zu einem erfüllten Leben führen können. Daher möchte ich Ihnen nahebringen, was für mich persönlich der Schlüssel zum Glück und zur Zufriedenheit ist.

Die Fechtbahn des Lebens

Fechten ist eine traditionelle Form der Auseinandersetzung mit einem Gegner. Ob mit Säbeln, Degen oder Schwertern – seit der Antike ziehen Menschen auf diese Weise in den Kampf, um sich mit ihren Kontrahenten zu messen. Neben dem Ringen und dem Boxen gehört das Fechten zu den Sportarten, die auch Teil der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896 in Athen waren.

Doch was macht die Faszination der Fechtkunst aus? Warum begeistern uns die Helden aus Mantel-und-Degen-Filmen wie Zorro, Die drei Musketiere oder Fluch der Karibik, die sich mit geschickten Paraden und Ausweichmanövern am Ende immer gegen ihre Widersacher durchsetzen? Nicht selten hüpfen gestandene Männer im Anzug und Krawatte auf Abendveranstaltungen in vermeintlicher Fechtposition vor mir herum und schwenken den imaginären Degen, wenn das Gespräch aufs Fechten kommt. Auch wenn für mich ein Gefecht im Hollywood-Film natürlich kein »echtes« Fechten ist, wird die Kernbotschaft der historischen Auseinandersetzungen dahinter durchaus transportiert: Wer im Duell den Gegner als Erster traf, hatte ihn verletzt oder entscheidend geschwächt – er hatte den Punkt gemacht.

Auch im heutigen Degenfechtsport, daneben gibt es noch Florett und Säbel mit jeweils eigenen Regeln, gilt der komplette Körper von Kopf bis Fuß als Trefferfläche. Diese Form des Fechtens erfordert den höchsten Grad an Konzentration. Die vermeintlich simple Regel »Wer trifft, der trifft« spiegelt zwar die reale Duellsituation am besten wider, ermöglicht aber auch Zufallstreffer des schwächeren Gegners, sobald der stärkere Fechter einen Fehler begeht. Genauso kann es ein sogenanntes Double, also einen Doppeltreffer geben, wenn beide Kontrahenten gleichzeitig punkten.

Dieser Umstand lässt das Fechten mit dem Degen zu einer spannenden Nervenprobe werden, bei der ich mich als Fechterin gegen jeden noch so schwachen Gegner aufs Höchste motivieren und extrem konzentriert ans Werk gehen muss, um den nächsten Treffer zu setzen und zu gewinnen. Ich habe schon so manches Gefecht an schwächere Gegner verloren, weil ich nicht ganz bei der Sache war und sich in der Folge schnell eine Situation entwickeln konnte, in der David gegen Goliath gewinnt.

Um sich in diese emotionale Situation einfühlen zu können, nutze ich gerne die Gelegenheit, blutige Anfänger, etwa meine Freunde, Bekannte oder Geschäftspartner, auf der Fechtbahn aufeinander »loszulassen«. Anfangs verläuft das Gefecht in der Regel fröhlich scherzend und herumalbernd, aber irgendwann wird es ernst. Klare Sache: Niemand verliert gerne oder möchte eine hohe Führung verspielen. In der Summe haben alle Spaß daran, einmal im Leben tatsächlich einen echten Degen in der Hand zu halten. Die Erkenntnis, dass man sich aufs Äußerste konzentrieren muss, um den Siegtreffer zu setzen, nehmen aber auch alle mit nach Hause. Stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie bei einem Gefecht – wir fechten auf fünfzehn Treffer – mit einem letzten Treffer beim Stande von 14 zu 14 alles gewinnen oder verlieren. Oder auf eine andere Sportart übertragen: Sie sind der letzte Elfmeterschütze, und mit Ihrem Torschuss entscheidet sich die Partie.

Im Training üben wir solche Situationen ständig. Das schult den Umgang mit Druck ebenso wie mit Sieg und Niederlage. Doch das allein versetzt natürlich niemanden in die Lage, jedes beliebige Gefecht zu gewinnen. Es geht vielmehr darum, die Chancen dafür zu erhöhen, dass man den letzten, den entscheidenden Treffer setzen kann.

Die Uhr zeigt zehn Sekunden an. »Durchatmen, Spannung aufbauen, auf geht’s!«, sporne ich mich an. Ich starte einen Angriff, es fällt ein Doppeltreffer. Ein paar Sekunden später strecke ich mich erneut, um meine koreanische Gegnerin Shin A Lam zu treffen. Wieder ein Doppeltreffer – das gibt es doch gar nicht! »Komm schon«, feuere ich mich innerlich an, »noch ein wenig schneller und direkt starten!« Direkt nach dem Signal starte ich meinen Sturmangriff. Doppeltreffer! Langsam werde ich unruhig mit einem Blick auf die verbleibende Zeit. Nur noch vier Sekunden. Ich kann es gar nicht fassen, dass kein Einzeltreffer fällt, wahrscheinlich genauso wenig wie meine koreanische Gegnerin. Ich nehme noch einmal alle Konzentration zusammen, denn ich weiß: Mir rennt die Zeit davon.

Ich muss nämlich unbedingt den letzten Treffer setzen. Nach neun Minuten regulärer Gefechtszeit sind wir mit einem Gleichstand in die Verlängerungsminute gegangen. Bei Gleichstand nach Ablauf der Verlängerung wäre Shin A Lam die Siegerin, denn sie hatte eben das Losglück zugeteilt bekommen. Fällt also kein Einzeltreffer, verliere ich und verpasse – per Losentscheid! – den Einzug ins Finale der Olympischen Spiele. Unvorstellbar!

Schon fällt der nächste Doppeltreffer. Auf der Uhr leuchtet in Rot die Anzeige 0:01. Panik kriecht in mir hoch. Meine Gegnerin steht am Ende der 14 Meter langen Fechtbahn und kann keinen Schritt mehr zurückweichen. Ich muss mir noch einmal mein Training in Erinnerung rufen, wir haben viele Sprints trainiert. Komm, komm, komm. Ich weiß, dass ich schnell bin. Doppeltreffer! Die Uhr zeigt noch immer eine Sekunde an, denn Zehntel- oder gar Hundertstelsekunden sind hier nicht darstellbar. Wieder Start bei einer Sekunde: Doppeltreffer. Hat überhaupt jemand auf die Uhr gedrückt? Mir scheint, dass es dem Zeitnehmer einfach zu schnell geht. Also noch einmal. Während wir auf Aufruf der Kampfrichterin in Position gehen, springt die Uhr auf 0:00, doch die Schiedsrichterin entscheidet, dass die Uhr noch einmal auf eine Sekunde gestellt wird. Das ist meine letzte Chance! Der koreanische Trainer diskutiert mit dem Kampfgericht auf der Fechtbahn. Währenddessen gehe ich auf und ab, gehe in mich, konzentriere mich. Die Obfrau bittet uns beide an die Startlinie.

Jetzt geht es um alles oder nichts, in dieser letzten der letzten Sekunden!

Diese dramatische Situation werde ich nie vergessen: Der Wettkampftag der Olympischen Spiele 2012 in London ging genauso aufregend weiter wie die Qualifikationsphase. Beinahe alle Gefechte gewann ich mit einem Treffer. Besonders dramatisch war wohl mein Halbfinalgefecht gegen die Koreanerin Shin A Lam, gegen die ich in der »längsten Sekunde der Welt«, wie später einige Zeitungen titelten, in der wortwörtlich letzten Hundertstelsekunde, zum Siegtreffer traf.

»Was ist denn daaaaas, was ist denn daaaas? War das die rote Lampe? Warten wir auf die Entscheidung, wir brauchen sie noch. Wir brauchen jetzt noch die Entscheidung des Kampfgerichts. Es gibt einen Videobeweis. Das halten wir aber jetzt schon fest: Britta Heidemann hat alles