Goldberg und die Tränen der Madonna - Thomas Lang - E-Book

Goldberg und die Tränen der Madonna E-Book

Thomas Lang

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Beschreibung

Minkin geht baden. Bisschen Sport täte ihm ganz gut. Doch Minkin ist Nichtschwimmer. Ist deshalb eine bescheuerte Idee mit dem Schwimmen. Der Feuerbacher Privatermittler soll in seinem neuen Fall die Rote Madonna retten, die Mutter des Fränkischen Bierwunders und Schutzpatronin der Fränkischen Brauer. Denn in Bamberg will ein skrupelloser Immobilienhai eine Kapelle samt dazugehöriger Brauerei und jener Madonnenfigur abreißen, um auf dem Areal Luxusappartements zu bauen. Eine nicht ganz einfache Aufgabe für Minkin! Denn wie soll sich ein Stuttgarter allein schon sprachlich zurechtfinden im fremden Fränkischen? Am Ende springt Minkin in die Regnitz, um zwei Liebende vor dem Ertrinken zu retten. Gibt Sachen, die er besser kann. Aufgeben ist aber auch in Minkins fünftem Bierabenteuer keine Alternative. Scheitern. Aufstehen. Besser scheitern. Frei nach Samuel Beckett. Oder wie Minkin es sagen würde: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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Thomas Lang

Thomas Lang wurde 1968 im Kraichgau geboren. Nach einer Ausbildung bei einer Landwirtschaftlichen Genossenschaft in Eppingen/Kraichgau studierte er Jura in Tübingen. Daneben belegte er dort im Studio Literatur und Theater Kurse im Kreativen Schreiben und in Rhetorik.

Seit zwanzig Jahren lebt und arbeitet er in Stuttgart als Anwalt und Datenschutzbeauftragter. Daneben ist er seit vielen Jahren Autor und Ensemblemitglied beim Stuttgarter Juristenkabarett. Er schreibt im Stuttgartmagazin Lift die kleine und feine Kolumne »Schräggastro – wir gehen dahin, wo Sie sich nicht hintrauen!« Mit seinen Leseshows ist er regelmäßiger Gast bei den Stuttgarter Kriminächten.Goldberg und die Tränen der Madonna ist der fünfte Zufall in seiner Bierkrimi-Reihe.www.bier-krimi.de

facebook/goldbergsliste

facebook/Thomas Lang

www.datenschutzadvokat.de

Thomas Lang

Goldberg und die Tränen der Madonna

Ein Drama für Minkin

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2023

Postfach 16 42 · 72706 Reutlingen

Alle Rechte vorbehaltenTitelbild: © stock.adobe.com

Gestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, Reutlingen

Lektorat: Bernd Storz

Korrektorat: Sabine Tochtermann

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-96555-156-5

Besuchen Sie unsere Homepage und informierenSie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Stammpersonal:

Minkin, Privatermittler aus Stuttgart, Feuerbach, semi-erfolgreich, überlässt die Ermittlungen gern dem Zufall, hohe Affinität zu flüssigen Produkten auf Hopfen- und Malzbasis.

Goldberg, Agent, Auftraggeber, Mittler, hat eine nervöse Präsenz, erinnert an Danny DeVito, Spiritus Rector, weiß, wo es langgeht, ansonsten unklare Rolle.

Cop Schneider, Goldbergs Mann fürs Grobe, ein Cop, der sich nebenbei was dazuverdient, um seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren.

Sissi, Wirt der Botnanger Waldklause, eine Legende, die Klause ist Minkins Büro, die Tür zur Welt.

Der Saarländer, Minkins Sparringspartner, analysiert mit ihm hin und wieder die Fälle bei einem Corea.

Wim, der Holländer, Naturwissenschaftler, der klügste Kerl in Minkins Kosmos.

Die Bachmann, Anhängsel gegen Minkins Willen, alte Studienfreundin mit starkem Heilbronner Dialekt, nennt ihn »Mingibaby« – geht gar nicht!

In diesem Roman kommen dazu:

Die Rote Madonna, Schutzpatronin der fränkischen Brauer, eine Ikone.

Dietmar, Mitarbeiter im Bamberger Hotel Alt Wunderberg, Ratgeber, Unterstützer nach anfänglichem Zögern.

Baptist, Brauer und Inhaber des Mariabräu im Bamberger Ortsteil Wunderberg.

Vanessa, seine gerade mal volljährige Tochter, stark religiös, Anhängerin der Marienverehrung.

Altenburger Brauer, richtiger Name Franz Wildensorg der Jüngere, kann sich nur niemand merken, Erzfeind von Baptist.

Max, der Sohn des Altenburger Brauers, ein unschuldiger, liebenswerter Bursche.

Der Senator, Chef der Senator Immobilienentwicklung, skrupellos, ein Arschloch vor dem Herrn.

Linda, Assistentin des Senators, fleißig, entschlossen, räumt den Dreck weg, den der Senator hinterlässt. Minkin ist schwer beeindruckt.

Pater Johann, Vorsteher der Basilika in Gößweinstein, wurde von Papst Johannes Paul persönlich zum Priester geweiht.

Und einige andere mehr.

Minkin dachte, er wäre alt genug,um dem Dunkeln gegenüberzutreten.Das war ein gottverdammter Irrtum!

PROLOG: DIE WALLFAHRT

Die Menschenmenge machte sich am 8. Oktober des Jahres 1830 mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages in Vierzehnheiligen auf den Weg. Es waren Tausende. Die Mutter Oberin hatte aufgehört zu zählen. Junge, Alte, Gebrechliche, Starke, viele Gläubige waren gekommen, um die Rote Madonna um ihren Beistand zu bitten. Die Cholera stand vor den Toren Oberfrankens. Die Menschen fürchteten um ihr Leben.

Der Tag war außergewöhnlich mild für einen Oktobertag. Der Oktober war ein launischer Geselle. Mal überraschte er die Menschen auf den Höhen der Fränkischen Schweiz und in Oberfranken in jenen Tagen mit dem ersten Schnee. Ein andermal stieg das Quecksilber im Thermometer auf über 70 Grad Fahrenheit. Den Menschen dieses Landstrichs waren derlei Wetterkapriolen gleichgültig. Ihr Tag bestand aus Arbeit. Von früh bis spät. Sie standen mit den Tieren im Stall auf und löschten das Licht der Kerzen selten nach acht Uhr abends.

Die Prozession von Vierzehnheiligen nach Gößweinstein in der Fränkischen Schweiz wurde angeführt von dem altehrwürdigen Bischof Bonifatius, der die Wundertaten der Roten Madonna als Teil der Kongregation begutachtet hatte.

Es war früher Nachmittag, als die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hatte und unbarmherzig auf die Pilger herabbrannte.

Die Kolonne musste eine Pause einlegen. Die Menschen suchten Schutz unter den Bäumen des Waldes. Die Wasservorräte waren aufgebraucht.

Die Pilger wandten sich an den Bischof.

»Vater, gib uns zu trinken!«

Der Bischof stieg von seinem Pferd herab, kniete nieder und fing mit ausgebreiteten Armen an, gen Himmel zu beten.

Und er wurde erhört.

Es war nicht der Bischof, der den Durst der Gläubigen stillte. Es waren die Madonna und ihre Tränen. Dies war der Beginn des Fränkischen Bierwunders.

JUNGE – UND WIE DU WIEDER AUSSIEHST!

Die Ärzte

Minkins von zu viel Bier und zu wenig Bewegung geformter Körper knallte wie ein nasser Sack auf die Holzplanken des Bootes, die nur vom fahlen Mondlicht erhellt wurden. Er keuchte schwer, rang nach Luft, zitterte am ganzen Leib.

Goldberg stand daneben und schüttelte verständnislos den Kopf. Sagte gereizt: »Was um alles in der Welt machst du auf dem See hier draußen?«

Minkin war noch zu schwach für eine Auskunft.

»Und wie du wieder aussiehst!«

Minkin dachte an die Ärzte. An den Song Junge. Er mochte die Ärzte nicht sonderlich, der Song hingegen gefiel ihm. Man wusste bei den Ärzten nie, was noch Punk war und was schon Helene Fischer. Bei den Toten Hosen war das an Tagen wie diesen inzwischen unstreitig.

»Minkin! Ich rede mit dir!« Goldberg konnte es nicht fassen. »Und was soll das denn sein? Was um alles in der Welt machst du in einem Neoprenanzug? Bist du jetzt völlig irre geworden?«

Goldberg sprach tatsächlich eine Sache an, die sich Minkin auch schon gefragt hatte. Es gab ziemlich eine Antwort darauf. Aber die war nicht sonderlich erfreulich.

Bei seinem letzten Fall, wenn wir das mal so nennen wollen, hatte Minkin Unterstützung von Desiree. Einer patenten Killesberg-Amazone in Yogaklamotten, die abgesehen davon einiges auf dem Kasten hatte. Sie hatte ihm nicht nur dabei geholfen, den alten Abbé Jean zu retten – wobei »retten« war so eine Sache, am Ende hat es ihn dann doch erwischt –, aber das war eine ganz andere Geschichte. Jedenfalls hatte Minkin Desirees Ehe mal eben wieder ans Laufen gebracht. Zum Dank wurde er nicht nur mit einigermaßen Kohle zugeschüttet, sondern es gab eine Typberatung obendrauf. Eine Anleitung, um mehr Schlag bei Frauen zu haben. Genauer gesagt, um überhaupt mal zum Zug zu kommen. Desiree riet Minkin zu Trendsport. Trend und Sport. Richtig gehört! Zwei Sachen, die Minkin so fremd waren wie dem Papst Verhütung.

Desiree hatte ihm einen Surfkurs für Anfänger am Stuttgarter Max-Eyth-See gebucht. Mal abgesehen davon, dass Minkin praktisch gesehen Nichtschwimmer war, war die Idee von Anfang an Mist. Minkin und ein Surfkurs, ich meine, wie abseitig war das denn? Wobei es nicht das Abseits war, das Minkin störte. Ganz im Gegenteil, dort im Abseits kannte sich Minkin bestens aus. Das Abseitige war praktisch Minkins Wohnzimmer. Aber Trendsport und Wasser, das waren die Zutaten, die das Fass zum Überlaufen brachten. Surfkurse waren im minkinschen Erfahrungskosmos definitiv fehl am Platz.

Goldberg hatte Cop Schneider dabei auf dem Boot. So viel konnte Minkin trotz des wenigen Lichts in der Dunkelheit erkennen. Cop Schneider kam mehr über die Physis. Ein Kriminaler aus Stuttgart-Freiberg. War kein weiter Weg zum Max-Eyth-See. Hatte es vom einfachen Streifenpolizisten zum Kommissar gebracht. Wodurch? Er hatte vor ein paar Jahren am Stuttgarter Ostendplatz einen Unschuldigen erschossen, der mit einer Schreckschusswaffe herumfuchtelte und es offensichtlich drauf anlegte, sich eine Kugel einzufangen. Was er prompt auch tat. »Suicide by Cops«. Cop Schneider kam mit einem Disziplinarverfahren und einer Verwarnung davon. Und einem Schaden. Der bestand darin, dass er sich seither nur noch mit »Cop Schneider« anreden ließ. Also, wenn das mal keine veritable Berufskrankheit war, was dann? Cop Schneider war immer kurz vor davor, die Dienstmarke zu verlieren. Half Goldberg gelegentlich aus, wenn Geberqualitäten gefragt waren. Bedeutet: Er konnte austeilen. Besserte seine Bezüge ein wenig damit auf. War auch nötig. Sein Lebensmotto hatte Cop Schneider den späteren Lebensjahren des irischen Fußballers Goerge Best entlehnt. Er gab sein Geld für Frauen, Alkohol und schnelle Autos aus. Den Rest verprasste er.

Minkin hatte keinen blassen Schimmer, in welcher dunklen Ecke der Stadt Goldberg Cop Schneider begegnet war. Generell aus Goldberg schlau zu werden, war so gut wie unmöglich. Weshalb es Minkin gar nicht erst versuchte.

Jedenfalls war Minkin wieder hier. Eindeutig nicht sein Revier. Diesmal stand er auf den Planken eines Bootes mitten auf dem Max-Eyth-See. Das Boot war eine Riva Aquamarina. Vermutlich das schönste Motorboot der Welt. Ein eleganter Holzkörper mit tiefrotem Mahagoni beplankt. Die Sessel mit feinstem Leder bezogen. Große Panoramascheibe mit viel Chrom und einem klassischen Armaturenbrett mit weißem Steuerrad. Ein Boot, mit dem George Clooney über den Lago di Como cruiste. Keines, dass man im Stuttgarter Nordosten mit Blick auf die schwach erleuchteten Freiberger Betonhochhäuser erwartete. Aber das war eben Goldberg. Es mangelte ihm weder an Stil noch an finanziellen Möglichkeiten.

Minkin war diesmal nicht komplett unfroh darüber, Goldberg zu sehen.

Goldberg tanzte mit hektischem Gezappel auf dem Deck umher und schüttelte ununterbrochen den Kopf.

»Tzztzz, ich fasse es nicht, Minkin! Was hast du dir nur dabei gedacht?«

Goldberg war nicht eben groß gewachsen. Erinnerte an den mittelalten Danny DeVito. Wie immer trug er einen teuren Anzug und lacklederne Schuhe, die auch in der Dunkelheit glänzten. So viel konnte Minkin bei dem fahlen Mondlicht erkennen.

Seit mehr als fünf Jahren war Goldberg Minkins Partner in unbehaglicher, widerstrebender Allianz. Er tauchte in unregelmäßigen Abständen bei Minkin auf, um ihn mit Jobs zu beauftragen. Jobs, die vermutlich kein anderer haben wollte. Ging immer um Bier. Das war auch schon das einzig Gute daran. Goldberg gab den Spiritus Rector. Er war der Pate, wenn man so wollte. Wusste, wo es langgeht. Ging Minkin damit gelegentlich auf den Sack. Goldberg gehörte praktisch zum Gründungsmythos von Minkins privater Ermittlerkarriere.

»Privatermittler«, so hatte ihn ein Kunde in seinem letzten Fall genannt. Konnte man sich dran gewöhnen. Würde sich irgendwann Visitenkarten drucken lassen. Minkin. Private Ermittlungen aller Art. Dann war die Messe praktisch gelesen. Würde er so was von durchstarten.

Vorerst hielt sich Minkin an die Jobs, die Goldberg anbrachte. Bei seinem letzten Engagement musste er einen alten Abbé aus einem belgischen Kloster vor Nazihäschern retten. Der Abbé hatte im Zweiten Weltkrieg als junger Novize das Bier der Wehrmacht sabotiert. Hatte unter Einsatz seines Lebens Bakterien in die Brauerei im Elsass eingeschleust, die das Bier für die Wehrmacht braute. Hatte damit einen nicht eben unwesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Landung der Alliierten in der Normandie geleistet. Das mit der Rettung des Abbés hätte fast hingehauen. Wenn man mal davon absieht, dass sich der Abbé am Ende praktisch selbst in die Luft gejagt hatte. Die Sache mit dem Abbé war noch nicht allzu lange her, vielleicht ein gutes Jahr.

Die Abstände, in denen Goldberg in Minkins Leben auftauchte, wurden kürzer. Ob das ein gutes Zeichen war? Darauf wetten sollte man besser nicht. War ohnehin so, dass die Einschläge näherkamen.

Goldberg kriegte sich auf dem schwankenden Boot immer noch kaum ein. Wurde hysterisch: »Sagst du mir jetzt endlich, was ein Penner wie du, der nicht einmal schwimmen kann, draußen auf diesem See will?«

Darauf gab es keine passende Antwort, dachte Minkin. Er sagte: »Es gibt keine plausible Erklärung. So sehr ich mich auch anstrenge.«

Goldberg sah Minkin mit weit aufgerissenen Augen an. Wollte vermutlich irgendetwas Grobes loswerden. Ließ es stecken. Nickte stattdessen. Fast schon emphatisch. »Gut, das wollte ich hören. Dumme Ausreden hätte ich nicht akzeptiert.«

Minkin war fast für alles zu haben. Aber dumme Ausreden gehörten nicht dazu. Hatte er nicht in der Auslage, im Portfolio, wie die Berater das gerne nannten.

Cop Schneider stand bis dato wortlos neben Goldberg auf den schwankenden Planken. Er reichte Minkin ein Badetuch und ein paar trockene Klamotten: »Hier, Minkin.«

»Danke, Cop Schneider.«

Immer schön höflich bleiben, dachte Minkin. Wer weiß, welche Helferlein Cop Schneider gerade wieder einwirft. Ein falsches Wort bei Cop Schneider und du warst im Arsch.

Cop Schneider fischte das Surfboard aus dem Wasser, auf dem sich Minkin soeben noch festgekrallt hatte, und steuerte das Boot durch die Dunkelheit in Richtung des Ufers. Dauerte ein paar Minuten, bis sie die Anlegestelle am Max-Eyth-See erreicht hatten.

Minkin hatte sich zwischenzeitlich aus dem Neoprenanzug befreit und die trockenen Klamotten übergezogen. Es war ein zitronengelber Trainingsanzug der Marke Kappa. Sah Bombe aus. Wäre in den Achtzigern in Minkins alter Heimat, dem Kraichgau, ernsthaft hip gewesen. Obwohl das Attribut »hip« noch gar nicht im Umlauf war.

TREFFPUNKT AM SEE

Alles, was mal wichtig war,steht falsch auf Wikipedia.

Fortuna Ehrenfeld

Eine halbe Stunde später saßen Minkin, Goldberg und Cop Schneider im Treffpunkt am See. Kein sonderlich origineller Name, dachte Minkin. Bierauswahl passte immerhin. Hatten dort ein Hochdorfer. Konnte einen übler erwischen in der Region.

Minkin sagte als Erster etwas. War nicht viel.

»Danke.«

Cop Schneider nickte.

Goldberg verdrehte die Augen, zog die Brauen hoch. Was so viel bedeutete wie: »Du Vollidiot. Du schuldest mir was.«

Dagegen konnte man nicht mal was sagen.

»Sie haben was gut bei mir«, sagte Minkin.

Würde nicht lange auf sich warten lassen, bis Goldberg den Gefallen einfordern würde. Ziemlich genau einen Augenblick.

»Warst du schon mal in Franken, Minkin?«, fragte Goldberg.

Fragte er nicht wirklich? Kam einem Foul verdammt nahe.

»Ihr Ernst jetzt?«, erwiderte Minkin.

»Ja. Wieso?«

»Im Herzen bin ich Franke.« Eher in der Leber, dachte Minkin. Oder wie es der Fuchs im Kleinen Prinzen formulierte: Man sieht nur mit der Leber gut.

»Dann sollte es diesmal ein Kinderspiel werden für dich, Minkin.«

Ein Kinderspiel, soso. Hört, hört!

Die Sache mit Minkin und Goldberg ging schon ein paar Jahre. Minkin hatte vor einigen Jahren den Dienst bei der Staatsanwaltschaft quittiert. Vielleicht war es auch umgekehrt. Man hatte ihm quittiert. Jedenfalls war Minkin für einige Zeit beschäftigungslos. Goldberg holte ihn praktisch von der Straße, gab ihm einen Job. Er sollte eine Liste mit Brauereien aufspüren, die Bier panschten. Goldbergs Liste. Gelang ihm mehr oder weniger. Das war der Beginn von Minkins privater Ermittlerkarriere. Danach kam die Sache mit der Weltformel des Bieres, die Minkin im Pilsner Untergrund fand. Das dritte Artefakt war das Heilige Fass. Ein Bierfass, das Minkin ausfindig machte. Nicht irgendein Bierfass. Es war das Fass, das Jesus und seine Jünger beim letzten Abendmahl geleert hatten. Es waren schräge Aufträge, klar. Aber hey, für den normalen Privatermittleralltag war Minkin eben auch nur semi-geeignet. Minkins Fälle waren nicht nur Kriminalfälle, sondern vor allem Brau- und Bierabenteuergeschichten.

»Was genau soll ich in Franken?«

»Die Rote Madonna finden.«

»Die Rote Madonna? Nie gehört.« Rote Madonna? Klang politisch links. Nach Rosa Luxemburg, Sahra Wagenknecht, der Roten Zora. Nicht gerade Minkins Spezialfach.

Goldberg machte seine üblichen Kunstpausen. Wie immer zu Beginn einer neuen Geschichte. Er wollte, dass Minkin nachfragte. Wie immer tat Minkin ihm den Gefallen.

»Und? Kommt noch was, Goldberg?«

Jetzt konnte es langatmig werden, wenn Goldberg zum Monolog ansetzte. Minkin lechzte einen großen Schluck Hochdorfer. Gutes Getränk, dachte Minkin. High drinkability. Hohe Durchtrinkbarkeit, wie der Bierreisende und Gerstengelehrte Volker R. Quante das gerne mal nannte. Schöner Binnenreim, musste man mitnehmen. Minkin orderte ein zweites Hochdorfer. Auf einem Bein konnte man nicht stehen.

»Die Rote Madonna ist die Schutzpatronin der fränkischen Brauer.«

Schutzpatronin für fränkische Brauer! Ernsthaft? War sicher kein leichter Job für eine Frau. Das Brauhandwerk dürfte nach wie vor ziemlich von Männern dominiert sein. Wie die Vorstände der DAX-Unternehmen oder die Führungsriege beim DFB. Aber Frauenquote hin oder her. Man kann sich seine Jobs nicht immer aussuchen. Manchmal musste man nehmen, was man kriegen konnte. War bei Schutzpatronaten sicher nicht anders als im privaten Ermittlergewerbe. Lagen die Einsätze nicht auf der Straße. Hätte die Rote Madonna andererseits übler erwischen können. Als Schutzpatronin der Tunnelbauer etwa. Man stelle sich das mal vor. Nachdem so ein Tunnel fertiggebaut war, stand man ein Leben lang in einer dunklen Nische in einem Erdloch herum. Konnte nicht gut sein für die Psyche. Als Schutzpatronin der Bierbrauer hingegen feierte man die eine oder andere »Kärwa«, das fränkische Kirchweihfest. Gab einen ordentlichen Haustrunk dazu. Deshalb galt auch bei Schutzpatronaten: Augen auf bei der Berufswahl!

Goldberg sah, dass Minkin gedanklich abdriftete, noch bevor er überhaupt angefangen hatte, gedanklich einzusteigen. »Minkin, hörst du mir überhaupt zu?«

Minkin nickte.

»Du sollst die Rote Madonna aus Bamberg holen, Minkin, mehr ist es nicht.«

»Geht es noch ein wenig konkreter, Goldberg? Wer ist die Lady in Red?« Alter Hit von Chris de Burgh. Bei dem Song hatte Chris seine beste Phase bereits hinter sich gehabt. Hätte er den Ferryman mal ordentlich bezahlt, wäre vielleicht noch der eine oder andere veritable Song rumgekommen. Anstatt dessen reichte es nur noch für die »Nokia Night oft the Proms – Klassik trifft Pop«. Mit Tim Bendzko mal eben noch kurz die Welt retten. Chris war inzwischen jedenfalls weit davon entfernt, rauschende Flüsse zu überqueren. Was schade war. Minkin mochte die frühen Sachen.

Goldberg holte ein wenig aus: »Die Rote Madonna hat eine lange Geschichte. Erstmals taucht sie um das Jahr 1830 auf. Als damals die Cholera vor den Toren Oberfrankens wütete, flehten die Gläubigen in einer zunehmend säkularisierten Welt die Rote Madonna um Beistand an. Die Madonna ließ sich davon offenbar beeindrucken. Jedenfalls hat es funktioniert. Sie stoppte die Cholera an der Grenze Oberfrankens, so die Legende.

Zum Dank stifteten die Gläubigen Kapellen und Brauereien. Kapellen in den Brauereien. Brauereien in den Kapellen. In dem Jahr, in dem die Madonna die Cholera aufgehalten hatte, trugen die Gläubigen die Rote Madonna auf einer Prozession von Vierzehnheiligen durch Oberfranken durch die Fränkische Schweiz über Gößweinstein bis ins Kloster Weißenohe.«

Soll es früher hin und wieder gegeben haben, solche Ereignisse, Pilgerreisen, Wallfahrten. Waren aus der Mode gekommen, bis Hape Kerkeling meinte, ein Buch darüber schreiben zu müssen.

»Die Rote Madonna war offensichtlich so angefasst von den vielen Brauereikapellen auf dem Weg, dass ihr damals vor Rührung die Tränen kamen«, ergänzte Goldberg und wartete auf Minkins Reaktion.

»Eine weinende Madonna?«, fragte Minkin. »Nicht ganz neu, das Motiv.« Gab es da nicht sogar schon einen Tatort drüber? Spätestens dann war das Thema verbrannt. »Glauben Sie an den Spuk?«

»Na ja«, antwortete Goldberg vage.

»Das heißt?«

»Ganz abtun würde ich es nicht. Immer wieder sollen Marienbilder oder Madonnenstatuen Tränen vergießen oder Blut weinen. Die Gläubigen sehen darin ein Zeichen Gottes oder der Jungfrau Maria, meist verbunden mit einer Warnung an die Menschen. Einem Aufruf zur Umkehr. Wenn man die Wissenschaft fragt, behaupten die, es gibt für diese Phänomene entweder eine natürliche Erklärung oder ein Schwindler hat sie künstlich erzeugt.«

»Überzeugt mich, was die Wissenschaft sagt. Nicht erst seit Drosten.«

»Nun ja, gibt Menschen, die sagen, Wissenschaft sei auch nur eine Meinung. Und es war auch die Wissenschaft, die die Atombombe erfunden hat. Man sollte ihr nicht bedingungslos vertrauen.«

Das war jetzt eines dieser Totschlagargumente, gegen die im Prinzip kein Kraut gewachsen war. Fehlte nur noch das Naziargument, dass der Führer ein Förderer der Wissenschaften war. Damit war die Wissenschaft dann praktisch moralisch erledigt.

»Vielleicht hast du von dem italienischen Städtchen Civitavecchia gehört. Es wurde 2005 schlagartig berühmt, als eine dreiundvierzig Zentimeter große Madonna aus Gips Bluttränen weinte. Dutzende Zeugen sahen die Tränen, auch der zuständige Bischof. Er erklärte im Fernsehen, es handele sich um ein Wunder.«

Minkin hatte nichts davon gehört. »Und dann?«

»Der Vatikan zwang ihn, die Behauptung zurückzunehmen. Die Tränen wurden untersucht, es handelte sich tatsächlich um Blut. Allerdings von einem Menschen, von einem Mann. Aufgelöst wurde die Sache nie. Berichte über solche Wunder gibt es von überall. Im Jahre 1727 soll sich in der kleinen Ortskapelle Glosberg bei Kronach ein Wunder ereignet haben. Die Muttergottes weinte blutige Tränen. Noch an zwei weiteren Tagen soll es so gewesen sein. Für die gläubige Bevölkerung war dies ein übernatürliches Zeichen. Eine Untersuchungskommission des fürstbischöflichen Ordinariats in Bamberg fand zwar für dieses ›Wunder von Glosberg‹ keine natürliche Erklärung. Dennoch versagte sie die kirchliche Anerkennung der Wallfahrt. Hatte aber keinen Einfluss auf den Zulauf der Leute. Es ist und bleibt eine Frage des Glaubens, Minkin.«

Okay, dachte Minkin, weinende Madonnen. Waren schöne, alte Geschichten, immer ein bisschen spooky, war aber natürlich kompletter Unfug. Gipsfiguren, die Tränen weinten? Ernsthaft? War so unwahrscheinlich wie ein guter Handyempfang auf der Schwäbischen Alb oder in den Seitentälern der Fränkischen Schweiz. Würde auch der neue, eng geschnittene Digitalminister und Tempofetischist der FDP nichts daran ändern am Handyempfang. Nicht, dass das für Minkin irgendeine Rolle spielen würde, welcher Minister das mit dem Handyempfang auf der Alb vermasselte. Minkin war ein Verfechter des Grundrechts auf eine analoge Existenz. Ohne, dass er das so hätte artikulieren können. Minkin hatte kein Vertrauen in dieses Internet, in Facebook und was es sonst noch so gab. Traute dem nicht, was dort stand. Die Hälfte davon war gelogen, die andere Hälfte frei erfunden. Alles, was mal wichtig war, steht falsch auf Wikipedia. Minkin hatte bei seinen Jobs eine Sache gelernt: Besser, man hielt seine sieben Sinne beieinander und verließ sich auf die Sachen, die man in der analogen Welt gelernt hatte. Minkin nickte Goldberg zu.

»Weiß nicht, Goldberg, bisschen lahm, die Geschichte mit der Madonna.«

»Mag sein, Minkin, aber hör dir erst an, was die Madonna geweint hat.«

»Sie machen es heute wieder spannend. Geht ja fast schon in RichtungCliffhanger.«

Goldberg ließ sich nicht beirren von Minkins Spott: »Die Rote Madonna weinte keine gewöhnlichen Tränen.«

»Das mit dem Blut ist auch nicht gerade komplett neu, Goldberg.«

»Sie weinte auch kein Blut, Minkin.«

»Jetzt bin ich gespannt?«

»Sie weinte Bier.«

»Bier?«

»Bier.«

Das war stark, dachte Minkin. Eine fränkische Madonna, die Bier weinte. Klar, dem Franken an sich drang das Bier aus jeder Pore seines von Hopfen und Malz gestählten Körpers. Aber jetzt weinten sogar die Heiligenfiguren in Franken Bier, das war wirklich stark! War kompletter Unfug, aber eine geile Geschichte. Geschichten waren Teil des Marketings. Und für Marketing und Merchandising hatte die Kirche schon ganz früh ein Händchen. Stieg groß in den Devotionalienhandel ein, lange bevor Christiano Ronaldo das CR7 Merchandise auf den Markt brachte.

»Sie soll Bier geweint haben, damit die Pilger auf der Prozession nach Weißenohe nicht verdursteten.«

Minkin lachte. »Oh Mann, Goldberg, ich mag Ihre Geschichten, wirklich. Werden immer skurriler.« Er schüttelte den Kopf. »Was für ein Bier hat die Lady geweint?«

Goldberg machte es auf die theatralische Art. »Nicht irgendeine kastrierte Fernsehbierplörre, kein Heineken, kein Bud Light. Sie weinte ein Bier, das farblich ziemlich nah an Blut herankam. Sie weinte ein Rotbier.«

Heiliger Strohsack! Das war doch mal was Sinnvolles, dachte Minkin. Eine Madonna, die Bier weinte! Noch dazu ein anständiges. Kein Wunder, dass die Kirchen bei dem Angebot damals voll waren. In jederlei Hinsicht. Ein Krug Rotbier und ’nen ordentlichen Schmaucher Weihrauch in der Kapelle konsumiert, ich meine, das konnte schon ziemlich in Richtung Erlösung gehen. Das war Rock ’n’ Roll! White Metal.

Minkin schüttelte den Kopf. »Sie überraschen mich immer wieder, Goldberg, mit dem, was Sie an Aufträgen akquirieren.«

»Muss an dir liegen. Dein Ruf hat sich zu festigen begonnen.«

»Danke.«

»Gegründet allerdings auf falschen Voraussetzungen.«

Konnte man mit viel gutem Willenals Lob durchgehen lassen. »Was ist mit der Madonna? Wer um Himmels willen, könnte dem alten Mädchen was Böses tun?«

»Jemand, der dumm ist. Oder gierig«, antwortete Goldberg.

Oder beides. Minkin dachte an die FIFA. Aber die hatte damit ausnahmsweise nichts zu tun. Obwohl man das nie so genau sagen konnte, bei dem Italo-Schweizer mit Zweitwohnsitz in Katar.

»Gegen wen spielen wir dieses Mal?«

»Gegen die Karthäuser.«

»Karthäuser, hm, klingelt jetzt nichts bei mir«, sagte Minkin.

Goldberg setzte zu einer langatmigen Erklärung an.

»Die Karthäuser ist im Grunde ein Immobilieninvestor aus dem Ausland. Aus Bayern, genauer gesagt aus München, der sich als Brauerei verkleidet hat. Das Karthäuser Bräu. Sie macht Bier, ja, das auch, aber ihr Geld verdient sie damit, angeschlagene Brauereien in attraktiven Lagen aufzukaufen, um damit möglichst viel Rendite zu machen. Die Karthäuser ködert die Brauereibesitzer damit, dass die Brautradition fortgeführt wird. Was in gewisser Weise stimmt. Sie verschachert die Markenrechte oder lässt die Biere im Lohnbrauverfahren noch ein paar Jahre weiterbrauen, wickelt die Brauerei dann ab. Holt sich einen Immobilienentwickler vor Ort mit ins Boot und wandelt die Brauereiareale in Luxusappartements um. In Lofts mit Industriecharme. Bevorzugt bewohnt von Kreativen, die damit ihren Status klarmachen: gehobene Mittelschicht. Da ist eine Menge Profit drin.«

»Kann ich mir vorstellen«, sagte Minkin. »Distinktion lassen sich die Leute etwas kosten. Man will sich unterscheiden von der Masse.«

Goldberg war immer wieder überrascht, welche Fremdwörter Minkin verwendete. Ein Rest an Bildung schien bei ihm immerhin vorhanden zu sein.

»Die Karthäuser wird das Mariabräu in Bamberg aufkaufen, um dort ihr übliches Prozedere abzuspulen. Sie hat einen Projektentwickler vor Ort als Partner. Die Senator Immobilienentwicklung.«

Minkin kannte von einem früheren Bambergaufenthalt die eine oder andere Brauerei. Das Mariabräu gehörte nicht dazu.

Goldberg fuhr fort: »Das Mariabräu musste den Betrieb vor Kurzem einstellen. Der Besitzer ist gezwungen zu verkaufen. Retten, was noch zu retten ist.«

»Was hat das mit der Madonna zu tun?«

»Die Rote Madonna steht seit fast 200 Jahren in der hauseigenen Brauereikapelle des Mariabräu.«

»Mein Teil in der Geschichte?«, fragte Minkin.

»Du musst die Madonna dort rausholen, bevor die Karthäuser, genauer gesagt die Senator Immobilienentwicklung, das Grundstück erworben hat. Danach ist der Zug abgefahren.«

Minkin wollte nicht überheblich klingen, aber eine Gipsfigur aus einer Kapelle holen? Klang nicht gerade nach der größten sportlichen Herausforderung, nach einer ermittlungstechnischen Meisterleistung. Nach Oceans Eleven. Selbst ein gealterter, gesundheitlich angeschlagener Bruce Willis hätte den Job durchziehen können. Obwohl Bruce nicht mehr erwähnt werden wollte in diesem Kontext. Hatte er Minkin deutlich zu verstehen gegeben in seinem letzten Abenteuer. Und Minkin hatte es ihm versprochen. Also vergesst das mit Bruce.

»Hören Sie, Goldberg, ich helfe gerne, wo ich kann. Aber ist das nicht ein bisschen viel Gewese um die Sache? Wieso machen die fränkischen Brauer das nicht selbst? Hinfahren, mit dem Besitzer reden. Kohle in die Hand nehmen, Bares für Rares sozusagen. Dann sollte das Ding doch laufen?«

»Glauben Sie, das hätten die Brauer nicht versucht? Aber der Besitzer jagt jeden Brauerkollegen vom Hof. Er gibt ihnen die Schuld an seiner Pleite. Es gab einige, wie soll man sagen, Vorkommnisse. Anschläge, wie er es nennt. Sabotageakte auf die Brauerei. Der Besitzer hat die Konkurrenz im Verdacht. Wittert eine Verschwörung, ist man ja schnell dabei heutzutage. Die Konkurrenz hat sich wohl auch nicht gerade solidarisch gezeigt mit ihm.«

Goldberg legte eine ältere Ausgabe des Fränkischen Tags auf den Tisch.

Laugenattentat der fränkischen Biermafia?

Bamberg. Vor sechs Monaten war in zwei Flaschen des Bamberger Mariabräu Lauge nachgewiesen worden. In einem Gutachten, das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben wurde, hieß es, die Flüssigkeit der in Bamberg beim Landratsamt abgegebenen Flasche habe zu etwa 86 Prozent aus Waschmaschinenlauge und nur zu etwa 14 Prozent aus Bier bestanden. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, gleichzeitig erstattete der Geschäftsführer des Mariabräu Anzeige wegen des Verdachts der Manipulation. Grund für die Vermutung ist, dass wenige Monate zuvor in die Brauerei eingebrochen worden sei, wie er sagt. Unbekannte hätten Verschraubungen der Enthärtungsanlage aufgedreht, sodass Wasser auslief. Auch auf der Sandkärwa, dem größten Volksfest der Region, habe es bewusste Manipulation an seinen Ständen gegeben, sagte der Geschäftsführer. Unter anderem seien die Kohlensäurezufuhr für die Zapfhähne abgedreht und Stecker für die Kühlung gezogen worden.

Die Ermittlungen ergaben, dass die gefundene Lauge nicht der Brauerei zugeordnet werden konnte. Wie die Laugenrückstände in die Flaschen gelangten, konnte allerdings durch die Ermittler nicht geklärt werden. Die Ermittler hätten keine Anhaltspunkte für eine Manipulation gefunden, hieß es von der Staatsanwaltschaft. Ohne Ergebnis wurden die Ermittlungen schließlich eingestellt.

Im Zuge der Verunreinigung soll die Brauerei insgesamt drei Millionen Flaschen zurückgerufen haben. Ein Imageverlust sei allerdings geblieben. Zusammen mit fehlender finanzieller Unterstützung durch die Politik in der Corona-Krise habe das schließlich zur Betriebsaufgabe geführt. Es gibt bereits mehrere Interessenten für das Brauereiareal am Rande der Bamberger Innenstadt.

Minkin schüttelte den Kopf. Großer Lokaljournalismus mit einem ordentlichen Schuss Regiokrimi. Lauge in einer Bierflasche. Ernsthaft? Wenn Minkin der nächste James Bond werden wollte, dann musste es schon eine Nummer größer sein. Irgendwas mit gestohlenen Codes für Atomsprengköpfe oder zumindest ein ordentliches Attentat auf einen amtierenden Kanzler. Sonst konnte es eng werden mit Minkins Ermittlerkarriere. Mit dem ganzen Ruhm, dem Applaus. Dem »fame«, wie die Jungen das nannten. Andererseits, scheiß drauf, wenn an der Sache mit der Lauge in der Bierflasche was dran war, dann war es eine ziemliche Sauerei, die man nicht durchgehen lassen konnte.

Jemand würde dafür bezahlen.

Minkin wandte sich an Goldberg: »Ich soll also nur dahinfahren, die Madonna rausholen und das war es?«

»Rein, das Paket schnappen und wieder verschwinden.«

Klang einfach. Zu einfach.

»Wann soll es losgehen?«, fragte Minkin.

Goldberg antwortete: »Was meinst du, warum wir dich gerade aus dem See gefischt haben?«

»Weil Sie mich mögen. Weil ich der verlorene Sohn bin, den Sie nie hatten? Sie eine Adoption erwägen?«

Goldberg schüttelte den Kopf. Entlockte ihm nicht mal ein müdes Grinsen.

»In acht Tagen ist die notarielle Beurkundung des Kaufvertrages über das Brauereigrundstück. Danach dürfte es vorbei sein mit dem Zugriff auf die Madonna.«

Die Antwort war wenig überraschend für Minkin.

»So was hatte ich mir schon gedacht, Goldberg. Obwohl Sie über das mit der Adoption noch mal nachdenken sollten.« Minkin machte eine kurze Pause. »Ich will nicht als das materialistische Schwein rüberkommen, das ich nicht bin, Goldberg. Aber was ist für mich drin?«

»Die Auftraggeber sind nicht kleinlich. Die Franconia zahlt 10.000 Euro als Vorschuss und noch mal 10.000, wenn du die Rote Madonna in Sicherheit bringst.«

»Die Franconia?«

»Die Franconia ist eine Brauerloge, eine Art Geheimbund der fränkischen Brauer.«

»Sowas wie die Freimaurer?«

»Machst du Witze?«

Die Replik konnte man so oder so verstehen. Minkin fragte besser nicht nach.

»Sie wollen diese Madonna haben. Sie hat einen ideellen Wert für die fränkischen Brauer, eine spirituelle Bedeutung für sie.«

»Das ist ein Haufen Kohle!«, entgegnete Minkin.

»Für dich auf jeden Fall.«

Goldberg versuchte, witzig zu sein. Immer auf Minkins Kosten. Minkin machte diesmal keine Sache daraus. Goldberg war der Boss.

»Diese Madonnenfigur ist eine Art Ikone für die fränkischen Brauer. Sie bezeugt das Wunder der Biervermehrung auf der Wallfahrt im Jahre 1830. Und die fränkischen Brauer glauben, dass die Rote Madonna die Mutter des Fränkischen Bierwunders ist. Der Vielzahl an Brauereien, der Vielfalt an Biersorten. Die Brauer haben Angst, all das zu verlieren. Sie glauben, wenn die Madonna verschwindet, endet auch das Fränkische Bierwunder.«

»Ernsthaft? Klingt nach den Galliern, die Angst haben, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.«

»Mag sein, aber es sind Franken!«

Minkin nickte.

»Die Region hat eine Menge kultureller Eigenheiten. Die Eingeborenen dort sind schrullig, verschroben. Mythen, Sagen, skurrile Geschichten haben sich dort länger gehalten als anderswo. Mag daran liegen, dass die Region Jahrzehnte lang ab vom Schuss war. Zonenrandgebiet. Jedenfalls nehmen sie das mit der Roten Madonna äußerst ernst. Also mach du das auch!«

Überflüssige Bemerkung. Vielleicht ordnete er nicht immer alles richtig ein, übersah Entwicklungen, die dann fatale Auswirkungen hatten. Ernst nahm er die Aufträge jedenfalls stets.

»Das Mariabräu, die insolvente Brauerei, ist der Franconia wurscht?«

»Richtig, sie wollen nur die Rote Madonna, mehr nicht.«

Minkin war kein Freund von großer Aufregung, mochte es, wenn sich die Sachen entwickelten. Meistens kam Bruder Zufall Minkin zur Hilfe. Das hier klang nach einer Fingerübung. Gab keinen ernsthaften Gegner, keinen Antagonisten, der ihm in die Quere kommen konnte. Die Absenz eines Widersachers würde den Fall für ihn nicht eben spannender machen, dachte Minkin. Seinen Job würde es deutlich vereinfachen.

»Wo gebe ich die Madonnenfigur ab, wenn ich sie habe?«, fragte Minkin.

»Du kannst die Brauerloge nicht kontaktieren, sie kontaktieren dich.«

Klang kryptisch.

»Sie sind auf mich zugekommen, haben mit mir Kontakt aufgenommen, weil sie unbedingt dich wollten, Minkin.«

»Mich?«, fragte Minkin erstaunt nach.

»Mir auch ein Rätsel, Minkin.«

Dem würde Minkin bei Gelegenheit auf den Grund gehen müssen. Was soll’s, ich bin wieder im Geschäft, dachte er. Mehr musste er nicht wissen.

Besser wäre es gewesen.