Goldbergs heiliges Fass - Thomas Lang - E-Book

Goldbergs heiliges Fass E-Book

Thomas Lang

0,0
8,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Zweitausend Jahre ging die Menschheit davon aus, dass Jesus und seine Jünger beim letzten Abendmahl ordentlich Wein gebechert hätten. Ihr kennt den Unsinn mit dem Heiligen Gral. Bullshit. Es war Cervisia, benannt nach der Feldgöttin Ceres. Neudeutsch? Bier. Und zwar mit ordentlich Bums drin. Die Kirche, der Weinpapst und die württembergische Weinmafia wollen das Heilige Fass ein für allemal zerstören. Klingt wie eine Mischung aus Monty Python und Da Vinci Code? Ist es nicht. Es ist ernst. Bierernst. Gibt nur einen, der das Ding noch retten kann. Sagen wir mal so, Bruce Willis ist es nicht. Minkins dritter Zufall. Scheitern. Aufstehen. Besser Scheitern. Um es mit Samuel Beckett zu sagen. Der ein gutes Getränk im Übrigen zu schätzen wusste.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thomas Lang

wurde 1968 im Kraichgau geboren. Nach Kindheit, Schule und Lehre bei einer landwirtschaftlichen Genossenschaft im Kraichgau studierte er in Tübingen Jura. Seit 15 Jahren arbeitet er als Anwalt in Stuttgart. Daneben ist er Autor und Ensemblemitglied beim Stuttgarter Juristenkabarett. Er schreibt regelmäßig im Stuttgartmagazin LIFT die kleine und feine Kolumne »Schräggastro – wir gehen dahin, wo Sie sich nicht hintrauen«. Für das Craftbeer-Magazin Hopfenhelden schreibt er über die Bier-Region Stuttgart. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.Mehr zum Buch, zum Autor und zu Lesungen unter:www.bier-krimi.deFacebook/goldbergsliste

Thomas Lang

Goldbergs Heiliges Fass

Ein Bierkrimi

Oertel+Spörer

Dieser Kriminalroman spielt an realen Schauplätzen. Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Sollten sich dennoch Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen ergeben, so sind diese rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© Oertel + Spörer Verlags-GmbH + Co. KG 2018Postfach 16 42 · 72706 ReutlingenAlle Rechte vorbehalten.Titelbild: © fotolia, magdal3naGestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-88627-592-2

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.oertel-spoerer.de

Prolog

Zweitausend Jahre lang ging die Menschheit davon aus, dass Jesus und seine Jünger beim letzten Abendmahl ordentlich Wein gebechert hätten. Ihr kennt den Unsinn mit dem Heiligen Gral. Alles Bullshit. Es war Cervisia, benannt nach der Feldgöttin Ceres. Neudeutsch? Bier. Und zwar mit ordentlich Bums. Da war der ganze Scheiß noch drin. Craftbeer, im Grunde. Die Kirche hat die Tatsache seitdem unter Verschluss gehalten. Das Fass, das die Truppe um den Zimmermann geleert hat, wurde von der Loge der Servezianer beschützt. Ein Geheimbund, den Anonymen Alkoholiker ähnlich. Die Kirche, die württembergischen Winzer und der Weinpapst wollen die Reliquie ein für alle Mal aus der Welt schaffen, das Heilige Fass zerstören. Klingt wie eine Mischung aus Monty Python und Da Vinci Code? Ist es nicht. Es ist ernst. Bierernst. Gibt nur einen, der das Ding noch retten kann. Und sagen wir mal so, Bruce Willis ist es nicht.

Minkins dritter Zufall. Scheitern. Aufstehen. Besser scheitern, um es mit Samuel Beckett zu sagen. Der ein gutes Getränk im Übrigen zu schätzen wusste.

Venice Beach

»Gott ist nicht mehr als eine Idee.«

Minkin öffnete die Augen. Dachte über das Gehörte nach. Was darauf antworten?

»Selbst wenn er nur eine Idee ist, dann ist er die beste Idee seit der Erfindung der Pilsner Brauart.«

Immerhin eine Replik.

»Minkin, bist du wach?«

»Geht so.«

Da stand er wieder. Goldberg. Der Danny DeVito für Arme. Mitten in Minkins Zimmer am Wilhelm-Geiger-Platz in Stuttgart-Feuerbach.

»Du schläfst am helllichten Tag?«

Ein Vorwurf. Kam als Frage verpackt.

»Und wie geht’s Ihnen so, Goldberg?«

»Weißt du, wie spät es ist, Minkin?«

Das wusste Minkin nicht.

»Kurz nach vier.«

»Uhrzeiten, Goldberg, werden überschätzt.«

»Wüsste keiner besser als du.«

Sollte das Lob sein? Wäre ein Novum bei Goldberg.

»Was wollen Sie, Goldberg?«

»Was ich will, ist nicht die Frage.«

Fing das wieder an. Kryptisch bis zum Anschlag.

»Was die andern wollen, das ist der Punkt.«

Goldberg wartete auf eine Nachfrage. Alte Rhetorikschule. Tat Minkin ihm den Gefallen? Tat er, sonst wäre die Geschichte an dieser Stelle zu Ende.

»Was ist es diesmal?«

»Das Heilige Fass.«

Minkin wollte loslachen, aber er konnte sich bremsen. Mühsam.

»Das Heilige was?«

»Das Heilige Fass.«

Das war fast schon Lyrik, fast schon Gernhardt.

»Verarschen Sie mich?«

»Hab ich das jemals?«

Hatte er nicht. Wurde Zeit, damit anzufangen.

»Das Heilige Fass. Sorry, Goldberg, klingt nach Monty Python oder Indiana Jones.«

Goldberg suchte nach einer Antwort. »Harrison Ford, Minkin. War mal ein Guter, war mal einer von uns.«

»Was ist passiert?«

»Was immer passiert. Hat sich eine junge Schauspielerin geangelt, sich von seiner Frau getrennt. Will nur noch Filme machen mit Steven.«

Goldberg zog das erste »e« des Namens in die Länge. Steeeven. Sollte verächtlich klingen. Tat es auch.

»Steven?«

»Spielberg.«

»Sie duzen ihn?«

»Vergiss ihn, Minkin.«

Schwang ordentlich Galle mit.

»Gab es Probleme?«

»Ich kann ihn nicht mehr ernst nehmen.« Goldberg schüttelte den Kopf. »Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels. Was sollte das denn sein?«

Minkin hatte keine Antwort parat.

»Die Sache ist die, Minkin, lass beim Kristall die Zitrone weg und du hast keinen Schädel am nächsten Tag. Machen die so ein Gewese drum. Pressen daraus einen ganzen Film. Spielen damit achthundert Millionen Dollar ein. Das ist so erbärmlich.«

Das war es. Definitiv. Im Sommer gerne mal ein Kristall, sicher. Würde Minkin nicht von der Tischkante stoßen. Die Zitrone allerdings, die Zitrone war tabu. Das kleine Einmaleins des Weizentrinkers.

»Bruce Willis? Was ist mit dem, Goldberg?«

Minkin hakte nach. Mehr aus Gewohnheit.

»Müssen wir das erörtern?«, fragte Goldberg.

»Müssen wir nicht.«

Bruce Willis. War schon bei Minkins erstem Zufall keine ernsthafte Hilfe mehr gewesen. Erst die bescheuerte Werbung für Veltins. Dann Stirb langsam 5. Der Mann war so was von am Ende.

»Du musst nach Venedig, Minkin!«

»Venedig?«

»Venedig.«

»Italien?«

»Kennst du ein anderes Venedig?«

Kannte er nicht, obwohl eine Menge Städte mit ihrem Klein-Venedig angaben. Warben nicht selbst die Cannstatter Tourismusmanager mit Gondelfahrten auf einem Neckarkanal?

»Das liegt auf dem Meer, oder?«

»Es ist Wasser drum herum, ja.«

»Dann liegt es auf dem Meer.«

»Nicht im offenen Meer, Minkin. In einer flachen Lagune. Mit einer Brücke verbunden.«

»Vier Kilometer? Das nennen Sie nicht das offene Meer?«

»Das offene Meer ist zwei Kilometer entfernt.«

»Beruhigend.«

Minkin versuchte, ordentlich Ironie in das Wort zu legen. Gelang ihm aber nicht.

»Hören Sie Goldberg, Wasser, wie soll ich sagen, ist nicht mein Element.«

»Warum?«

»Nehmen Sie es einfach zur Kenntnis.«

»Du kannst nicht schwimmen, oder?«

»Nicht direkt.«

Minkin hatte nicht nur Flugangst, weshalb er Reisetätigkeiten tendenziell ablehnte. Er hatte auch Angst vor Wasser, vor Brücken und vor Tunneln. Panikattacken, der ganze Mist holte ihn ein.

»Wirst du nicht müssen. Nicht mal Boot fahren. Die Insel ist über eine Brücke gut erreichbar.«

Das beruhigte Minkin nicht gerade.

»Hören Sie, Goldberg, Sie wissen, wenn ich was tun kann, helfe ich gerne. Aber ich habe die Bücher von Donna Leon gelesen, die Filme gesehen. Zumindest ein, zwei davon.«

»Miserabel, ich weiß.«

Die ARD hatte es hinbekommen, die Bücher von Donna Leon auf das Niveau einer deutschen Vorabendserie zu dimmen. Selbst den großen Joachim Król haben sie dabei ruiniert. Muss man erst mal hinbekommen mit Millionen von Gebührengeldern.

»Das auch.«

»Was noch, Minkin?«

»Wasser, überall Wasser.«

»Minkin, du weißt nicht, um was es geht.«

Richtig, er hatte keinen blassen Schimmer.

»Das Heilige Fass.«

»Sagten Sie bereits. Und?«

»Die Reliquie aller Biertrinker.«

Was sollte das denn sein? Hatte er nicht eben die Weltformel des Bieres in Sicherheit gebracht? Vor den Bösen, dem weltgrößten Braukonzern, der im Grunde ein brasilianischer Finanzinvestor war? Aus Pilsen überführt. In den sicheren Hafen der Waldklause. Dort stand sie jetzt, neben der Theorie des Dartspiels und einem Bildband über die Stuttgarter Kickers.

»Reliquie von was?«

»Du erinnerst dich an das letzte Abendmahl Christi?«

»Nicht persönlich.«

Wie Pocher war das denn? Minkin, immer noch den Hang zum billigen Witz. Zur Stand-up-Comedy. Ohne Aussicht auf Besserung.

»Dummkopf. Jesus saß, bevor er geschnappt wurde, mit seinen Jüngern beim Abendessen. Er wusste, was kommen würde. Von wegen Judas, Verrat, Gefangennahme, Kreuzigung. Und das war der gute Teil.«

Üble Geschichte, das. Davon hatte Minkin gehört. Für dreißig Silberlinge. Judas war der Primark unter den Verrätern.

»Soweit klar, ja.«

»Der Herr wusste, dass es sein letztes Mahl sein würde. Da ließen er und die Jünger es noch mal richtig krachen.«

»Krachen? Auf den Bildern sieht das ziemlich, wie soll ich sagen, gesittet aus.«

»Minkin, Mann, das letzte Abendmahl von Da Vinci ist in einem anderen Jahrtausend entstanden. Das Original hatte nichts mit dem zu tun, was wir heute in den christlichen Kirchen als Abendmahl kennen. Die Jungs haben ordentlich Gas gegeben. Na ja, und waren wohl auch nicht nur Jungs anwesend.«

Es gab Gerüchte, Jesus hätte was mit dieser Maria Magdalena gehabt. Muss wohl eine ziemliche Granate gewesen sein, die Kleine.

»Soweit kenne ich die Geschichte, Goldberg.«

»Was du vermutlich nicht weißt, Jesus und seine Jünger tranken an dem Abend keinen Wein.«

Jetzt endlich kam er auf den Punkt.

»Sondern?«

»Cervisia. Benannt nach der griechischen Feldgöttin Ceres.«

»Bier?«

Goldberg nickte.

»Jesus und die Jünger haben Bier beim letzten Abendmahl getrunken?«

»Nicht irgendein Bier. Keine Fernsehplörre, Minkin. Kein Beck’s Gold. Ein Naturtrübes. Hatte die Feldgöttin Ceres noch selbst mit angerührt. War der ganze Rotz noch drin.«

Klang nach dem Naturtrüben von Schönbuch. Minkin hatte Durst. Erwog, der Roten Kapelle einen Besuch abzustatten. Der beste Ort in der Stadt für das Getränk. Sieht man mal von den Wartezeiten ab. Am geschicktesten platzierte man sich für die Erstversorgung direkt am Tresen. In der Roten Kapelle wurde das Naturtrübe in dünnwandigen Willybechern ausgeschenkt. Besser konnte man das nicht machen.

Minkin dachte darüber nach, was Goldberg gesagt hatte.

»Schöne Vorstellung, das mit Jesus und seinen Jüngern.«

»War ein Dreißig-Liter-Fass.«

Minkin rechnete laut.

»Okay, sie waren dreizehn Jungs. Knapp fünf Halbe für jeden.« Minkin dachte darüber nach.

»Das geht okay.«

»Was?«

»Ich meine, es waren keine Iren, keine Tschechen, keine Franken. Da gehen fünf Halbe durch, kann man nicht mehr erwarten vom Orientalen.«

»Hast du verstanden, was ich dir gerade erzählt habe?«

Goldberg brachte das Gespräch in Richtung Fass.

»Das Fass war gefertigt aus Eiche. Das Holz stammte aus dem Libanon.«

»Was ist mit dem Fass, Goldberg?«

»Hat die Zeit überdauert.«

Die komplette Geschichte war Minkin neu.

»Wieso hat man davon nie etwas gehört?«

»Die Kirche hat die Sache unter Verschluss gehalten.«

»Und jetzt?«

»Kriegen sie das nicht mehr länger hin. Du weißt, wie die Zeiten sind.«

Wusste Minkin nicht.

»Wie sind die Zeiten, Goldberg?«

»Internet, Social Media, Snowden, Beer-Leaks«, antwortete Goldberg.

Minkin hatte keinen Snowden.

»Klar.«

In welche Richtung würde dieses Gespräch gehen?

»Deshalb wollen sie diese Reliquie endgültig zerstören, Minkin.«

»Hängen Sie das nicht etwas hoch? Ich meine, es ist ein Fass, mehr nicht.«

»So nennst du das, nicht mehr als ein Fass? Was hätte ich von dir auch anderes erwarten sollen.«

Goldberg geriet in Rage. War eher ungewöhnlich. Offensichtlich nahm er die Angelegenheit ernst. Minkin versuchte es mit Beschwichtigung.

»Mit der Kirche anlegen, weiß nicht, bringt Unglück. Ich meine, denken Sie an Jan Hus, böhmischer Reformator, wusste ein dunkles Chodovar aus dem Böhmerwald zu schätzen. Hat sich dem Konzil gestellt, seine Lehren nicht widerrufen. Sie wissen, was passiert ist.«

»Ich weiß es.«

»Schluss mit dem Chodenbräu. Wurde in Konstanz auf dem Scheiterhaufen verbrannt.«

»Minkin, das ist sechshundert Jahre her.«

»Eben, da war die Welt noch zivilisiert.«

»Magst du recht haben.«

»Sie stimmen mir zu? Was ist los, Goldberg. Fangen Sie jetzt nicht mit dem Schleimen an.«

»Minkin, wir haben keinen anderen, den wir da runter schicken können.«

Goldbergs Überredungsversuche wurden von Mal zu Mal lahmer.

»Mit der Kirche, Goldberg. Sie wissen, die haben ein langes Gedächtnis. Dicke Bücher. Mit Namen darin.«

»Wenn es dich tröstet: Es ist nicht nur die Kirche. Auch der Weinpapst will das Fass haben. Die weinproduzierende Industrie. Alle, die damit ihr Geld verdienen.«

Von allen dreien hatte die Kirche sicher das mit Abstand größte Zerstörungspotenzial. Sieht man mal vom Tod durch Trollinger ab.

»Wir haben uns erlaubt, dir ein Zugticket zu buchen. Wir haben von deinen Schwierigkeiten beim Fahrkartenkauf gehört.«

Schwierigkeiten? Maßlos untertrieben. Fahrkartenkauf war kein Kinderspiel. Generell war der Stuttgarter Hauptbahnhof kein Zuckerschlecken. Hatten ordentlich Probleme da. Finanziell lief das Ding komplett aus dem Ruder, was niemanden ernsthaft überraschte. Inzwischen war die Situation derart verfahren, dass man darüber nachdachte, die Sache umzukehren. Nicht den Bahnhof tiefer legen, sondern die Stuttgarter Innenstadt höher. Käme billiger. Wäre einfacher, als die Gleise in der Erde zu versenken. War ein Ansatz. Sie suchten noch einen Investor für die Höherlegung. Breuninger hatte Interesse.

»Du musst den Übersetzer finden.«

»Wer ist der Übersetzer?«

»Geh zum Standesamt in Venedig. Er übersetzt dort bei Trauungen. Vom Italienischen ins Deutsche. Halt dich an ihn. Er wird weiterhelfen, sofern er das noch kann.«

Da war er wieder, dieser laienhaft kaschierte Druck, den Goldberg ausübte. Auszuüben versuchte. War Minkin dafür empfänglich? Er redete sich ein, er wäre es nicht. Es ging also wieder los. Alles auf Anfang. Wie immer gab es nur eine einzige Möglichkeit. Sieg. Unentschieden. Niederlage. Um es mit Franz Beckenbauer, dem gebrochenen Fußballweisen im Vorruhestand, zu sagen.

Olgaeck

Goldberg hatte den Zug für den darauffolgenden Morgen gebucht. Blieb also noch Zeit, um den Saarländer zu treffen. Das Bier-Eck am Olgaeck war an der Reihe. Wurde reichlich vernachlässigt in letzter Zeit. Der Saarländer saß beim zweiten Schoppen.

»Geht es wieder los?«

»Sieht so aus.«

»Wohin?«

»Venedig.«

»Aha.«

War alles, was der Saarländer zu sagen hatte.

»Willst du wissen, worum es geht?«

»Willst du es loswerden?«

»Wirst du nicht umhinkommen.«

»Habe ich befürchtet.«

Minkin erzählte dem Saarländer von der Reliquie, die in Venedig lagerte. Das Heiligtum der Biertrinker. Der Saarländer hörte zu wie immer. Das bedeutete im Wesentlichen überhaupt nicht.

»Korea, wir sollten diesmal Korea in Angriff nehmen.«

Rotwein-Cola. Heldengetränk im Kraichgau in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts.

Das Thema Venedig war durch beim Saarländer. Reliquien? War da was?

Bei Minkins erstem Zufall hatten die beiden auf der Karte Korea entdeckt, Rotwein-Cola. Beim letzten Besuch musste Minkin nach zehn Kölsch überhastet nach Sevilla aufbrechen. So was würde ihm diesmal nicht passieren. Der Zug nach Venedig ging erst am nächsten Morgen. Zeit war da.

»Den Wasen wollen sie fluten, Minkin. Schon gehört?«

»Was?«

»Den Wasen …«

Der Wasen war die meiste Zeit des Jahres eine Betonwüste. Ein unwirtlicher Platz, ähnlich dem Pilsner Marktplatz. Bisschen größer vielleicht. Wenn er nicht betonal vor sich hindämmerte, fanden dort kollektive Besäufnisse statt. Bierfeste. Konnte man im Grunde wenig dagegen sagen. Teil unserer Leitkultur. Auch wenn Minkin es zeitlebens vermied, zweistellige Eurobeträge für mittelmäßig temperiertes Bier in überfüllten Zelten auszugeben. Das kollektive Besäufnis war nicht nach seinem Gusto.

»… wollen sie fluten.«

»Hab schon dümmere Sachen gehört.«

Minkin meinte das ernst.

»Einen Scheiß hast du. Was wollen die damit? Die Stadt aufhübschen. Näher an den Fluss bringen. Eine Badeanstalt womöglich, oder eine Austernbar, damit es sich anfühlt wie Sylt am Neckar?

Der Gedanke war in der Tat grotesk.

»Hübsch will hier niemand, Minkin. Immer wollen sie es hübscher machen und am Ende sieht es aus wie das Europaviertel hinterm Hauptbahnhof. Wie ein bei Ikea gekauftes Pforzheim.« Der Saarländer gab gerne den kritischen Großstädter. Und meistens hatte er recht damit. Aber Pforzheim?

Minkin mochte Pforzheim seit seinem Aufenthalt dort. War im besten Zwei-Sterne-Hotel der Pforzheimer Nordstadt untergebracht worden. Der Saarländer war im Unrecht, was Pforzheim anbelangte.

»Pforzheim hat schöne Ecken.«

»Wenn du nüchtern bist, kaum.«

»Habe ich was anderes behauptet?«

Paar Ketterer rein und die Stadt war eine Insel zwischen Enz und Nagold.

»Nüchtern, Minkin, ist es das Göppingen für Gescheiterte.«

Minkin hatte genug vom Pforzheim-Bashing.

»Dein Cannstatt, mal ehrlich, da ist auch nicht alles Gold.«

»Cannstatt fluten, Minkin. Das wollen die im Grunde.«

Der Saarländer hatte sich festgebissen.

»Jetzt hör auf«, murmelte Minkin.

Sicher, Cannstatt, von hiesigen Tourismusmanagern als Neckarflorenz verkauft, war hie und da grotesk. Aber deshalb fluten? Minkin war kein Freund der Extreme.

Das Gespräch, ohnehin relativ sinnlos, drohte zu entgleisen.

»Soll ich uns noch zwei Korea holen?«

»Ich hasse Korea, Minkin.«

»Ich auch.«

»Dann hol uns zwei.«

Die Treffen mit dem Saarländer erreichten mitunter eine Dialektik, die für Außenstehende schwierig zu verstehen war. Und für Beteiligte? Komplett unverständlich. Trinkerdialektik eben.

Hannibal ante portas

Wie war Minkin nach Hause gekommen? Ein Rätsel. Goldberg hatte ihm den späten Zug gebucht. Aufwachen war nicht das Problem. Mit dem Saarländer war schwerlich etwas anderes möglich, als zu trinken. Überhaupt kannte Minkin kaum einen Menschen, mit dem man nicht ernsthaft trinken konnte. Und wenn Minkin ernsthaft trank, dann wachte er immer früh auf, meist gegen sieben Uhr, was für einen Menschen ohne geregelte Arbeit früh war. Aufwachen war nicht das Thema. Das Problem waren die hämmernden Kopfschmerzen. Korea, nix gut. Stand ungefähr auf einer Stufe mit dem Ouzo beim Griechen in der Silberburgstraße. Minkins Stammgrieche, den er seit zehn Jahren nicht mehr besucht hatte. Eine Schande war das.

Minkin klaubte sich ein paar Wechselklamotten zusammen, Socken, Unterhosen und dergleichen. Richtig frisch war das Wenigste davon. Minkin hatte mit der Vermieterin einen Deal. Er durfte die Waschmaschine im Keller mitbenutzen, allerdings nur an ungeraden Tagen und nur zwischen 10 und 12 oder zwischen 15 und 17 Uhr. Es war ein »oder«, kein »und«. Das waren die Regeln. Konnte keiner sagen, dass er von nichts gewusst hatte.

Abstrakt gerechnet ein guter Deal. Gab aufs Jahr gesehen mehr ungerade Tage als gerade Tage. Minkin verpasste trotzdem die meisten davon.

Minkin nahm die U-Bahn vom Wilhelm-Geiger-Platz zum Hauptbahnhof. Der Zug nach Venedig fuhr um 9.16 Uhr ab. Kurzer Aufenthalt in München. Dann über die Alpen gondeln und kurz nach 18 Uhr den ersten Spritz am Bahnhof Santa Lucia bestellen. Soweit der Plan. Den Übersetzer zu finden müsste eine Kleinigkeit sein. Er arbeitete am Standesamt und übersetzte dort die italienischen Trauungen ins Deutsche. Vor Kurzem hatte er vermutlich dort auch den Schweinsteiger getraut. Hatte sich diese serbische Tennisspielerin geschnappt. Nicht das Schlechteste, sofern man das von außen sagen konnte. Schweinsteiger war jahrelang mit einer Spielerfrau liiert gewesen. Nachdem sich Schweinsteiger von ihr getrennt hatte, war sie beruflich in eine Sackgasse geraten. Spielerfrau, was willst du danach noch machen? Trainerfrau? Für Lothar Matthäus war sie mit dreißig vermutlich schon zu alt.