Good News - Florian Vitello - E-Book

Good News E-Book

Florian Vitello

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Beschreibung

Kriege, Pandemien und Naturkatastrophen: Die Welt befindet sich seit Jahren im permanenten Krisenmodus. Und wir sind über unseren täglichen Nachrichtenkonsum mittendrin. Das hat Folgen: Immer mehr Menschen blicken hilflos auf die Welt, viele fühlen sich geradezu paralysiert, und psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Burn-out nehmen stark zu. Dabei ist das düstere Bild der aktuellen Lage unverhältnismäßig einseitig. Es gäbe so viel mehr Positives zu berichten. In diesem Buch erklärt Florian Vitello, wie wir uns gegen die verzerrte Wahrnehmung auf die Welt der medialen Berichterstattung zur Wehr setzen können, und wagt, ganz im Sinne Hans Roslings, einen faktenbasierten Blick auf das enorme Potenzial der Menschheit. Dazu gehört, neben einem grundlegenden Wandel der Medienlandschaft, wieder zu unserer Selbstwirksamkeit zurückzufinden und stärker das Gute und Gemeinsame zu sehen – ohne die Augen vor den großen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu verschließen.

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Florian Vitello

mit David Gaedt und Lucia Oiro

GOODNEWS

WIE WIR LERNEN, UNS GEGENDIE FLUT SCHLECHTER NACHRICHTENZU WEHREN

Alle Zitate in diesem Buch, die im Original in englischer, spanischer oder italienischer Sprache geäußert wurden, hat der Verfasser eigens übersetzt, nach bestem Wissen und Gewissen mit der ihm möglichen Fürsorge für die Wahrung des substanziellen Bedeutungsgehaltes des Zitierten.

1. Auflage 2022

Verlag Komplett-Media GmbH

2022, München

www.komplett-media.de

ISBN: 978-3-8312-0599-8

eISBN: 978-3-8312-7109-2

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Korrektorat & Lektorat Judith Bingel M.A.

Umschlaggestaltung: Favorit Büro, München

Grafiken: William Helmert, Pia Bergmann, Good News Magazin

Layout und Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

Quellen: S. 112: Urner, Maren (2019): Schluss mit dem täglichen Weltuntergang: Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren. Droemer, S. 197, Quelle: Geändert von Simon Wardley (CC3) / blog.gardeviance.org. S. 115: Geändert von Johnson, Joseph (09.02.2022): Google: global annual revenue 2002-2021 auf Statista: Annual revenue of Google from 2002 to 2021(in billion U.S. dollars) https://www.statista.com/statistics/266206/googles-annual-global-revenue/S. 168: Geänderte Karikatur von Hans Traxler (1975) aus dem Heft »betrifft erziehung«. S. 237: Screenshot von Google-Shopping-Suche nach »Glück«. »Kneipp No.4 Glücklichsein ab 10,40 IDEALO«: https://www.idealo.de/preisvergleich/OffersOfProduct/6877012_-no-4-glue-cklichsein-kneipp.html (18.03.2022). S. 269: Geänderte Karikatur von Malcolm Evans (07.01.2011)

»Bikini vs. Burqa’«, original veröffentlicht in Neuseeland, in The Christchurch Press, The Timaru Herald und The Manawatu Standard.

Für meine kleine Raupe Nimmersatt

INHALT

LEGENDE DER FACH- UND FREMDWÖRTER

VORBEMERKUNG

VORWORT

EINLEITUNG:WAS IST POSITIVER JOURNALISMUS?

Argument Nr. 1: »Journalisten mögen das nicht«

Argument Nr. 2: »Objektivität ist eine Fata Morgana«

Argument Nr. 3: »Das Anna-Karenina-Prinzip«

DÜMMER ALS EINE BANDE AFFEN:DER NEGATIVITÄTSEFFEKT

Die klebrigen Eigenschaften des Negativen

Was ein Hundeleben: Erlernte Hilflosigkeit

Die böhmischen Dörfer der Nachrichtenlandschaft: Medienmüdigkeit und Überforderung

Achtung, Wiederkäuer: Angst ist kein guter Berater

Früher war alles besser: Die rosarote Retrobrille

Das Blame Game: Es ist (nicht) deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist

DER MENSCH, DAS GEWOHNHEITSTIER:NEGATIVE DENKMUSTER AUFBRECHEN

Habemus Habits

Wider den Negativitätseffekt:Es lebe das Digitale Empowerment!

GUTER JOURNALISMUS – SCHLECHTER JOURNALISMUS

Hype, hyper, am hypesten:Aufmerksamkeitswirtschaft und die Logik der Quote

»Mann beißt Hund« – Wie Nachrichten entstehen

Wie es in den Medienwald hineinschallt:Wir basteln uns eine Wirklichkeit

Fake News und Querdenken: Der Wachhund der Demokratie ist ein Algorithmus

Die Entzauberung der Medienwelt: Authentizität, Diversität und Qualität im Journalismus

SELF-CARE:PASS AUF DICH AUF, GUTER MENSCH!

Wider die Analyse-Paralyse: Sei FÜR etwas!

Wunderschöner Ärger

Für eine neue Fehlerkultur

Digital Detox: Peter Lustig hat es immer gewusst

Gefährlicher Personenkult und Tugendprotzerei

Meckern, bis der Arzt kommt:Some good news a day keep the doctor away

POSITIVER JOURNALISMUS:VON EINEM HEILMITTEL GEGEN MALARIA UND DEM KLEINSTEN CHAMÄLEON DER WELT

Enthusiasmuskultur:Der Bedarf für positive Nachrichten ist da

Journalismus der Zukunft:Mehrwert durch Perspektive und Dialog

Das Glücksdiktat: Vor lauter Yoga komm ich gar nicht zum Entspannen

PERMAnent auf dem Prüfstand:Was sind gute Nachrichten?

Wir sind alle Mittelklasse: Lokal denken, global handeln

Wie nachhaltig ist unsere Umweltberichterstattung?

SCHLUSSWORT: NACHRICHTEN GANZ BOYKOTTIEREN?

BESONDERER DANK

ANMERKUNGEN

LEGENDE DER FACH- UND FREMDWÖRTER

Algorithmus

Mathematische Formeln, die Anweisungen enthalten, wie bestimmte Probleme gelöst werden sollen. Zum Beispiel Menschen, die häufig nach Sportkleidung suchen, Turnschuhe vorschlagen.

Ableismus

Das Reduzieren von (vor allem behinderten) Personen auf unrealistische und schädliche Erwartungen an ihre Gesundheit und bestimmte Fähigkeiten.

Ageismus

Diskriminierung aufgrund des Alters.

Analytics

Auch Data Analytics. Auswertung aller vorhandenen (Geschäfts-) Daten, um daraus zu lernen und die Strategie anzupassen.

Bad News

Zynische, problemfokussierte Nachrichten, die häufig aufgeblasen und aus dem Kontext gerissen sind.

Beauty-Industrie

Die Produktion und der Verkauf kosmetischer Produkte, zu dem insbesondere das Marketing über soziale Medien gehört, durch Influencerinnen und Influencer.

BIPoC

Menschen, die rein anhand körperlicher Merkmale als fremd wahrgenommen werden.

Buen Vivir

Indigenes Konzept des gesunden Zusammenlebens in Vielfalt und in Einklang mit der Natur.

Boomer

In Deutschland Menschen der Generation, die etwa Mitte der 1950er- bis Mitte der 1960er-Jahre eine starke Geburtenrate aufwies.

Black Mamba

Hier eine Achterbahn im Freizeitpark Phantasialand Brühl.

Bubble Charts

Ein Diagrammtyp, der drei Dimensionen von Daten anzeigt. Ola und Hans Rosling nutzten berühmterweise solche Blasendiagramme, um anschaulich zu machen, wie gut die Welt dasteht.

Changemanagement

Die Organisation und Durchführung umfassender Veränderungen (in einem Unternehmen).

Chunks

Bedeutet etwa »Brocken«, »Klumpen« oder »Stück« und meint hier »Informationsbündel«, dank derer das Gehirn Alltägliches energiesparend ausführen kann.

Cum-Ex

Ein internationaler Fall systematischen Steuerbetrugs, bei dem allein Deutschland um 31,8 Milliarden Euro betrogen wurde.

Crowd Journalism/Engaged Journalism

Formen des Journalismus, bei dem das Publikum aktiv einbezogen wird, indem es etwa Hinweise oder Quellen für die Nachrichten liefert oder Themen mitbestimmt.

Community

Im Internetjargon eine Gruppe mit ähnlichen Interessen, die einem Kanal oder einer Seite folgt. Hier die Gemeinschaft der Menschen, die dem Good News Magazin folgen, dieses ggf. abonniert haben und die sich mit anderen und der Redaktion austauschen.

Cover

Hier die Titelseite eines Magazins.

Crowdfunding-Kampagne

Bemühungen, ein Projekt durch Schwarmfinanzierung möglich zu machen.

Digitales Empowerment

Englisch für »digitale Ermächtigung«. Form der Medienbildung, die Menschen ein selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe im analogen und digitalen Raum ermöglicht.

Digital Natives

Menschen, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind und daher mit ihnen vertraut sind.

Design Thinking

Systematische Herangehensweise zum Schmieden von Ideen und Lösen von Problemen.

Fake-Profil/Fake News

Fake bedeutet »falsch«. Ein Fake-Profil ist etwa ein künstlich erstelltes oder trügerisches Profil.

Friction

Das englische Wort für »Reibung«. Gemeint ist hier eine außergewöhnliche Information, die das Gehirn gesondert bearbeiten muss, was Energie kostet.

Fettphobie/Fatphobia

Diskriminierung und Anfeindung aufgrund von Übergewicht. Zum Beispiel ärztliche Neigung, nahezu alle medizinischen Symptome auf das Körpergewicht zurückzuführen.

Fixed Mindset

Die Erfahrung und daraus resultierend die Überzeugung, das eigene Verhalten habe keinerlei Wirkkraft. Fatalistische Grundhaltung.

FOMO

Steht für »Fear Of Missing Out«, die starke Angst, etwas zu verpassen, und das Grundgefühl, andere Menschen hätten ein besseres, erfüllteres Leben.

Games/Gamification

Das englische Wort für »Spiele«. Der Gamification-Ansatz ist die Bemühung, meist schwere, seriöse Themen über spielerische Elemente aufzulockern und so die Aufmerksamkeit der Nutzenden hochzuhalten oder diese von anderen Elementen abzulenken.

Gaslighting

Form der psychischen Gewalt. Gezielte Verunsicherung und Infragestellung der Wahrnehmung einer vertrauten Person.

Generation X

In den gängigsten Definitionen Menschen, die zwischen 1965 und 1980 geboren wurden.

Generation Y

In den gängigsten Definitionen Menschen, die zwischen den frühen 1980er-Jahren und dem Ende der 1990er geboren wurden. Auch Millennials nach der Jahrtausendwende genannt.

Generation Z

Menschen, die je nach Definition ab 1997 oder nach der Jahrtausendwende geboren wurden. Aufgrund der Pandemie und der vermehrten digitalen Kommunikation über Zoom auch Zoomer in Anspielung auf Boomer genannt. Eine Begrenzung mit anschließender »Generation Alpha« ab etwa 2011 wird diskutiert.

Good News

Nachrichten, die informieren, bestärken und inspirieren und sich bewusst auf Lösungsansätze fokussieren.

Good News Magazin

Erstes crossmediales Magazin für Positiven Journalismus in Deutschland, gegründet von David Gaedt, Lucia Oiro und Florian Vitello. Gute Nachrichten über Website (www.GoodNews-Magazin.de), Social Media (@goodnewsmagazin), Weltaufgang – der Good News Podcast und Print.

Growth Mindset

Die Erfahrung und daraus resultierend die Überzeugung, das eigene Verhalten habe Wirkkraft. Eine Grundhaltung des Selbstvertrauens, die Probleme eher als Herausforderungen sieht.

Hate Speech

Hassrede (im Netz), bei der Feindschaft und Abneigung gegenüber Personen(-gruppen) zum Ausdruck kommt.

Impact

Schwammiges Konzept von Wirkmacht. Häufig soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine Handlung ökologisch nachhaltig und sinnstiftend ist.

Influencer

Vom englischen Wort für »beeinflussen«. Gemeint ist eine Person des öffentlichen Lebens, die ihre (Nischen-)Bekanntheit nutzt, um für ein bestimmtes Thema oder Produkt zu werben.

Instant Gratification

Eine sofortige und anstrengungslose Belohnung.

Joystick

Steuerungselement für Spiele in Form eines Stabs oder Knüppels.

Konstruktiver Journalismus

Journalismus, der öfter auf Lösungen schaut als auf Probleme, und verstärkt Kontext liefert.

Kroppspress

Norwegisch für »Körperdruck«. Bezieht sich auf toxische Erwartungshaltungen an das Aussehen vor allem von Mädchen und Frauen.

Level-Up

Das Erreichen einer nächsthöheren Ebene in Spielen.

Lifestyle(-Magazin)

Populäre Magazine, die sich meist in konfliktfreier, harmonischer Sprechart an Menschen (oft nach Geschlecht) mit bestimmten Lebensstilen wie Gesundheit oder Reisen richten.

Meinungs-Bot/Social Bot

Meinungsroboter, die menschliche Nutzerinnen und Nutzer online simulieren und so Diskussionen beeinflussen.

Millennials

Siehe Generation Y.

Newsroom/Newsdesk

Raum innerhalb einer Redaktion, in der aktuelle Meldungen eintreffen und diese aufbereitet werden.

No-Carb-Diät

Eine Ernährung mit totalem Verzicht auf Kohlenhydrate.

NGO/NRO

Eine Non-Governmental Organization (NGO) oder auf Deutsch Nichtregierungsorganisation (NRO) vertritt zivilgesellschaftliche Interessen und finanziert sich dabei eigenständig.

Panama Papers

Große Enthüllung von Kriminal- und Steuerdelikten, Geldwäsche und Steuervermeidung von Kundinnen und Kunden der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca, zu denen Firmen wie Mercedes und Personen des öffentlichen Lebens wie Jean-Claude Juncker zählen.

Paradise Papers

Große Enthüllung von Finanzkriminalität und Steuervermeidung durch Kundinnen und Kunden der Anwaltskanzlei Appleby sowie Asiaciti Trust, zu denen Firmen wie Apple, acebook und Nike und 120 Staats- und Regierungschefs und Politikerinnen und Politiker aus 47 Ländern zählen.

Pandora Papers

Große Enthüllungen von Begünstigten durch Offshore-Finanz-produkte, darunter 35 amtierende und ehemalige Staatsoberhäupter oder Regierungschefs wie Silvio Berlusconi und David Cameron, mindestens 330 Politikerinnen, Politiker und Beamte aus 91 Ländern sowie 130 Milliardärinnen und Milliardäre oder Personen des öffentlichen Lebens wie Pep Guardiola, Claudia Schiffer oder Swedish House Mafia.

Periodismo de Paz/Peace Journalism

Journalismus, der besonders sorgsam über Konflikte berichtet und dabei Deeskalation in den Vordergrund stellt.

Pinyin

Die offizielle Umschrift der chinesischen Schriftzeichen in lateinische Buchstaben.

Positiver Journalismus/Positive Journalism

Journalismus, der bewusst bestärkende, motivierende und inspirierende Themen auf die Agenda setzt als Gegengewicht zu dominierenden Bad News.

Personal Branding

Menschen machen sich selbst zur Marke, die sie verkaufen.

Poverty Porn

Medien, die die Lage armer Personen sowie menschliche niedere Instinkte ausnutzen, um (privilegierte) Personen zum Spenden zu bewegen oder zu unterhalten.

Scrollen/Scrolling

Bildlauf mithilfe der Finger, eines Schiebereglers oder eines Mausrads.

Slow Journalism

Entschleunigter Journalismus, bei dem Qualität für Produzierende und Publikum wichtiger ist als Quantität.

Solution Journalism

Siehe Konstruktiver Journalismus.

Stacking

Hierbei schleicht sich eine neue Gewohnheit auf dem Rücken einer alten Gewohnheit in unser Leben.

Smartphone/Smartwatch

Der Wortteil »Smart« zeigt an, dass eine Technologie mit dem Internet verbunden ist und sich mit anderen Dingen verbinden kann.

Timeline

Die Zeitleiste in den sozialen Medien beinhaltet erstellte und geteilte Beiträge, häufig chronologisch sortiert.

Textpectation

Mischung aus Text und Erwartung, beschreibt Hoffnung und Druck, dass eine andere Person (zurück-)schreiben möge.

Trolle

Person (oder Roboter > siehe Meinungs-Bot), die absichtlich Konflikte provoziert.

Tweet

Bis zu 280 Zeichen lange Nachricht auf Twitter.

Virtue Signalling

Das Mitteilen einer zustimmungsfähigen Einstellung oder Meinung (vor allem im Internet), die Tugend signalisiert, aber hinter der oft keine konkrete Tat steckt. Eine wertende Übersetzung im Deutschen lautet Tugendprotzerei.

White Saviourism

Weißes Ritter- oder Heldinnentum. Sarkastische Bezeichnung für weiße Personen, die in andere Länder reisen und sich dort, häufig ohne nennenswerte Qualifikationen, als Helfer, Retterinnen oder Befreier inszenieren.

ZDF-Staatsvertrag

Teil des Medienstaatsvertrages. Bundeseinheitliche Regelungen für das Rundfunkrecht.

Zoomer

Siehe Generation Z.

VORBEMERKUNG

Wir müssen reden.Und zwar über Geschlecht und Gender und Sprache.

Wir haben uns sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie wir in diesem Buch adressieren, da die deutsche Sprache traditionell generisch maskulin geprägt ist. Das vereinfacht das sonst so komplexe Deutsch zwar einerseits ungemein, andererseits werden sprachliche Formen so häufig zum Problem. Nämlich immer dann:

1. Wenn diese Form uns daran hindert, etwas zu sehen oder wahrzunehmen. Wenn wir beispielsweise sprachlich wieder »beim Arzt« waren, obwohl wir von der Hausärztin untersucht wurden, oder »der mündige Bürger« eine informierte Entscheidung getroffen hat und die Bürgerin sich eingeschlossen fühlen soll. Systematisch. Immer. Ihr Leben lang.

2. Wenn die Sprachform positive oder negative Vorurteile vermittelt. Zum Beispiel wenn wir einen »herrlichen« Tag hatten, uns dann aber »dämlich« angestellt haben beim Einparken.

3. Wenn Sprache uns dazu verführt, uns falsch zu verhalten, oder daran hindert, etwas anzuerkennen, das ganz offensichtlich der Fall ist. Wie etwa, dass es nicht nur die Binarität zwischen männlich und weiblich gibt, sondern auch Menschen, die sich zu keiner der beiden Kategorien zugehörig fühlen.

Da wir drei Autoren zwei Autoren und eine Autorin drei Autor*innen drei Autor_innen drei Autor:innen drei uns viele Gedanken dazu gemacht haben, wie wir nicht binären Personen in diesem Buch sprachlich mit demselben Respekt begegnen wie jedem anderen Menschen auch, haben wir viele Formen ausprobiert. Häufig hat das sehr gut funktioniert. Beim Good News Magazin gendern wir unsere »Leser:innen«, und in 95 Prozent der Fälle klappt das für journalistische Texte reibungslos. Meinungsverschiedenheiten beschränken sich auf kleinere, sachliche Debatten. Etwa darüber, ob »Mitglied« vom männlichen Glied kommt und deshalb besser ein bedeutungsgleiches Wort eingesetzt werden soll (je nach Kontext gar nicht so leicht) oder ob »man« von Mann kommt und deshalb vermieden werden sollte und ob das auch für »jemand« oder »niemand« gilt und »jemensch« beziehungsweise »niemensch« besser sind. Nach dem Austausch machen dann in der Redaktion alle persönlich, was sie für richtig halten, solange sie Worte bedacht anwenden.

Doch im Buch wurde es komplexer, persönlicher, und es gab andere Ansprachen. So sind wir gestolpert (wie es ja zuweilen bei gendersensibler Sprache auch sein soll) über vorurteilsbehaftete Wörter, aber auch über äußerst umständliche Konstruktionen, immer länger werdende Sätze und nicht enden wollende Passivkonstruktionen. Wir wandelten auf Eierschalen und scharwenzelten so lange um das eigentlich Gemeinte herum, bis der Sinn vollends verloren ging.

Letztlich wurde kein Lösungsversuch der Vielfalt menschlicher Identitäten gerecht. »Journalist_innen« wurde kritisiert als Form, die nonbinäre Menschen zu einer Leerstelle degradiert. »JournalistInnen«, »Journalist/-innen«, »Journalist:innen« und »Journalist*innen« wurde kritisiert, weil es nonbinäre Menschen nicht wirklich einbezieht und sprachlich eher zum Vorschein kommt, dass nahezu alle weiblichen Personenbezeichnungen von der männlichen Form herrühren. Zusätzlich wurde »Journalist:innen« vom Deutschen Blindenverband kritisiert, der auf die mangelnde Barrierefreiheit hinwies, da elektronische Programme gewisse Zeichen nicht im Wortfluss lesen können. Außerhalb von isolierten Nomen wurden Sätze ohnehin ultimativ unleserlich. Zum Beispiel mit dem Gendersternchen: »Der*die intelligent*e Journalist*in, der*die über den*die ungarische*n Köch*in schreibt, muss auch nach dem Einfluss der Rezepte seiner*ihrer Mutter fragen.« Im Singular gibt es hier keine gegenderte Form von Profis des Kochhandwerks, außer es wird wie gerade umschrieben oder stets in den Plural gesetzt, was wiederum dauernd in den Ausdruck eingreift, und auch das Wort »Mutter« ist klar binär, könnte also nur durch das weniger spezifische Wort »Eltern« ersetzt werden. Hinzu kommt, viele nonbinäre Personen fühlen sich auch beim Wort »Zeug:innen« nicht angesprochen, das für sie binäre Kategorien hervorhebt, die sie jedoch gänzlich überwinden möchten. Daher bevorzugen sie völlig geschlechtsneutrale Begriffe.

Also haben wir noch einmal im GNM-Team gefragt. Da gab es sehr unterschiedliche Meinungen. Die einen möchten weiterhin das generische Maskulinum verwenden und es umdeuten, die anderen lehnen jede Binarität ab, haben aber keine Lösung für das Problem, wieder andere möchten zumindest Mann und Frau sowie binäre Transpersonen gleichgerecht behandeln.

Am Ende entschieden wir uns für Letzteres, auch um die Schreibund Lesefreude zu erhalten. So verwenden wir, wo es geht, bei Gruppen geschlechtsneutrale Begriffe wie »Teilnehmende« oder »Forschende« und nutzen ansonsten abwechselnd das generische Maskulinum und Femininum, außer bei Zitaten, die wir unverändert ließen, oder bei Übersetzungen aus dem Englischen, wo Geschlecht und Gender meist nicht deutlich werden und wir deshalb das generische Maskulinum verwenden, um die Intention der Verfassenden nicht zu suggerieren.

Der Wechsel von generischem Femininum und Maskulinum soll ein klares Zeichen gegen Sexismus sein und nicht binären Menschen signalisieren, dass wir uns Gedanken machen um Sprache und Gender. Wir stehen für eine offene Gesellschaft, die sich vorwärtsirrt, aber sich dadurch nichtsdestotrotz weiterentwickelt. Vielleicht sehen wir unsere Entscheidung in zehn Jahren anders und haben geeignetere Lösungen. Bis dahin sehen wir sie nicht als generelle Kapitulation, sondern als taktischen Rückzug; als Kompromiss im Kampf um eine wahrhaft gerechte Sprache, die möglichst alle Menschen einbezieht und möglichst keine Person bewusst verletzt.

VORWORT

Ich bin kein positiver Mensch. Zumindest würde ich mich gar nicht vorrangig so beschreiben. Ich bin politisch interessiert, sehe viel Unrecht in der Welt, beschäftige mich mal in der Nüchternheit wissenschaftlicher Analyse, mal bei einem Bier in geselliger Runde mit den Missständen der Welt. Ich nörgle gerne und hasse gleichzeitig (meine) Nörgelei. Der allumfassende Kulturpessimismus und die bodenlose Unzufriedenheit in diesem Land schüren in mir blanken Hass, gleichzeitig bin ich Teil des Problems.

Trotzdem gründete ich vor ein paar Jahren gemeinsam mit David Gaedt und Lucia Oiro das Good News Magazin, Deutschlands erstes Medium für Positiven Journalismus. Warum? Zum einen, weil ich aus erster Hand weiß, wie unbarmherzig Weltschmerz und die Maxime der Negativität auf einem Menschen lasten. Zum anderen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Fatalismus wie ein dunkler Strudel funktioniert, der mich immer tiefer hinabzieht in die Überzeugung, die Welt drehe sich nur für mich und habe es auf mich abgesehen, wenn das Duschwasser am Morgen nicht warm werden will. Und dann, weil mich grenzenloser Pessimismus nicht weiterbringt. Ich verharre auf der Stelle und warte auf den Weltuntergang.

Und tatsächlich, das Ende ist nahe. In der Astrophysik gelten heute die folgenden zwei Dinge als bewiesen: Erstens, wäre nicht zufällig ein sehr schwerer Stern neben einer Gaswolke explodiert und hätte diese Explosion nicht zufällig dem Riesenstern einen Drehimpuls verliehen, dann gäbe es unser Sonnensystem mit unserer Erde darin heute gar nicht. Zweitens, unsere Sonne wird in etwa acht Milliarden Jahren zu einem roten Riesen anwachsen. Da schwere Sterne, genau wie derjenige, der unserem Sonnensystem erst den nötigen Spin verliehen hat, zeitnah explodieren, dürfte spätestens dann – vorausgesetzt wir besiedeln bis dahin kein anderes Sonnensystem – also Schluss sein mit dem Zeitalter der Menschheit.1

Wer bisher apokalyptisch dachte, hatte also recht! Die Welt geht tatsächlich unter, nämlich in etwa acht Milliarden Jahren. Diese Zahl ist im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar. Versuchte ich, acht Milliarden annäherungsweise fassbar zu machen, könnte ich sagen: Acht Milliarden, das ist ziemlich genau die Zahl der Menschen, die gerade auf der Welt leben. Acht Milliarden, so viel verdient Jeff Bezos in Euro aktuell etwa in einem Monat.2 Würde Bezos ein Monatsgehalt spenden und auf alle Bewohnerinnen und Bewohner der Erde gleich aufteilen, könnten acht Milliarden Menschen, je nachdem, ob sie in der Nähe von Deutschland oder eher Burundi wohnen, sich eine Kugel Eis kaufen oder einen Tag lang ihre Grundbedürfnisse decken.3 Acht Milliarden, diese Ziffer hat drei Nullen mehr als acht Millionen und drei weniger als acht Billionen, aber wer würde das schon merken, wenn mal eine Null fehlt? Ohne lange nachzugrübeln, wie wird die Zahl 800000000 ausgesprochen? Antwort: achthundert Millionen. Achthundert Millionen, das sind etwa ein Transfer von Cristiano Ronaldo4 plus 45 brandneue F-18-Kampfjets der Bundeswehr5 zu wenig, um auf acht Milliarden zu kommen. Weil eine Null fehlt. Acht Milliarden Jahre, so lange dauert es noch bis zur Apokalypse. Bis dahin soll ich mich aufs Sofa setzen, das Schlimmste erwarten und mir jede Aussicht auf ein schönes und selbstbestimmtes Leben verwehren?

Rhetorische Frage, klar. Doch wenn ich auf mein Handy schaue, fällt es mir schwer, nicht in den Sog der schlechten Nachrichten gezogen zu werden: Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher, das Gesundheitssystem ist überarbeitet, die Pflege unterbezahlt, die Bildungspolitik, der ein veraltetes preußisches System zugrunde liegt, ist ein Flickenteppich, die Digitalisierung schläft in den Kinderschuhen, und von Medienbildung kann nicht die Rede sein. Individualismus wird mit Einbildung und Narzissmus verwechselt, Überforderung und Ignoranz treiben Scharen zum Nationalismus und zur Realitätsverweigerung, aufgeheizt von sensationsgeilen Medien, eingesperrt in der Einsamkeit und Isolation der Echokammern sozialer Medien. Außerdem hat mein Fußballclub verloren, die Wirtschaft schwächelt, mit dem Klima geht es bergab, und jetzt ist auch noch Krieg in Europa!

Lege ich das Handy aber beiseite, bricht die Filterblase auf, und ich merke sofort, wie mein Stresspegel sinkt. Treffe ich mich mit guten Freunden, lese ein Buch oder mache einen Spaziergang im Wald, fühle ich mich wieder wie der kleine Junge, der um Mitternacht unter dem wachenden Auge seiner Mutter in der Schlange der Buchhandlung anstand, um den neuen Harry Potter sofort zu verschlingen. Genau wie damals tauche ich dann tief ein in eine andere Welt, vergesse alles um mich herum und erwische mich dabei, wie meine Gedanken wandern.

In diesen Momenten wird mir häufig bewusst, was ich alles am Leben schätze, für was ich dankbar bin und dass die Welt im Grunde gut ist für mich. Mir ist auch bewusst, dass diese Rahmenbedingungen im Vergleich zur Situation anderer Menschen oder früherer Generationen ein großes Privileg sind, und umso stärker nehme ich wahr, dass das Schlechte nur einen kleinen Teil der Realität ausmacht. Ich sehe dann plötzlich glasklar die unzähligen Menschen da draußen, die sich jeden Tag für ihre Nachbarschaft einsetzen, die Gutes tun für andere und damit für sich selbst und für eine starke Zivilgesellschaft. Ich sehe dann, dass die Demokratie, die mir so viel Freiheit und Sicherheit gibt, stark ist. Wenn sie angegriffen wird, gehen Abertausende auf die Straße, Stimmen werden laut gegen rechts – das war traurigerweise längst nicht immer so! Es gibt zumindest in der Öffentlichkeit einen Konsens darüber, dass Diskriminierung keinen Platz hat in der Gesellschaft. Die Unterhaltungsbranche und die meisten Massenmedien bilden bewusst Diversität ab; noch vor zehn, fünfzehn Jahren war das nicht selbstverständlich! Es gibt Parteien, Verbände, Organisationen da draußen, die sich für ein alternatives Gesundheitssystem und für bessere und zeitgerechte Bildung einsetzen; kreative Menschen, die die Welt mit ihrer Kunst verschönern und Bewusstsein schaffen für drängende Fragen. Es gibt die verrücktesten Ideen, die brillantesten Köpfe, die tagtäglich forschen, erfinden und aufklären; Heldinnen und Helden des Alltags, die einfach da sind, wenn sie gebraucht werden.

Der Positive Journalismus ist der unermüdliche Einsatz, das Gute sichtbar zu machen. In der tiefen Überzeugung, dass sich das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken, mehren wird. Es geht also nicht darum, die Welt rosarot zu malen, sondern um einen komplementären Kontrast zur Schwarzmalerei der anderen. Vor allem geht es darum, all den schönen Farben, die in der Welt natürlich vorkommen, eine Leinwand zu geben.

Dieses Buch möchte zeigen, warum das für jede und jeden persönlich wichtig ist (nicht nur für Medienschaffende, die das neue Genre interessiert), und wir wollen Mut machen und praktische Tipps geben, um sich im Alltag erfolgreich gegen die Flut schlechter Nachrichten zu wehren.

EINLEITUNG: WAS IST POSITIVER JOURNALISMUS?

»Warum ist für euch die Entdeckung des kleinsten Chamäleons der Welt eine wichtigere Nachricht als der Arbeitsplatzverlust Tausender Menschen?«

Diese Frage stellte mir neulich Izabelė, eine gute Freundin, die als Journalistin beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Litauens arbeitet. Ihre Skepsis gegenüber Good News kommt nicht von ungefähr: 2017 reichen drei Abgeordnete der Seimas, dem Parlament, in Vilnius einen Gesetzesentwurf ein, den die Öffentlichkeit 50-50-Gesetz tauft.6 Im Kern steht die Forderung, dass von nun an die Hälfte aller Nachrichtenbeiträge »positiver Natur« sein möge. Außerdem sollten positive Nachrichten im TV, Radio und auf den Titelseiten der Zeitungen zuerst gezeigt werden. Das kleine baltische Land ist gespalten und diskutiert heftig. Einerseits wären gute Nachrichten eine willkommene Abwechslung zur Tristesse der alltäglichen Berichterstattung, andererseits mutet ein solcher Eingriff in die Pressefreiheit an wie die Propagandamethoden der Sowjets, an die viele Menschen sich noch mit Schrecken erinnern. Das 50-50-Gesetz wird folgerichtig abgeschmettert. Doch selbst seine ärgsten Kritikerinnen erkennen öffentlich an, dass dem inakzeptablen Lösungsvorschlag ein sehr ernstes Problem zugrunde liegt:7 Die Nachrichten werden immer blutrünstiger, effektheischender und deprimierender.

Das Phänomen ist längst nicht nur auf Litauen beschränkt. Weltweit mehren sich die Stimmen medienmüder Menschen. Immer mehr neue Studien8 belegen das Ausmaß an Stress, das klassische Nachrichten verursachen. Eine extreme Themenauswahl und Meldungen in Echtzeit rund um die Uhr über alle Kanäle überfordern einige so sehr, dass sie News sogar ganz boykottieren. In vielen Ländern verliert Journalismus als Handwerk, als Wissenschaft und als demokratische Säule stark an Ansehen. Aus diesem Grund gründen sich global diverse Gegenbewegungen:

In den USA schrumpft in den Neunzigern die Mordrate landesweit um beinahe die Hälfte. Im kompletten Kontrast dazu nimmt die Berichterstattung über Morde in den abendlichen TV-Nachrichtenformaten laut einer Studie des Center for Media and Public Affairs um 700 Prozent zu. Beiträge über Verbrechen insgesamt verdreifachen ihren Programmanteil.9 Dieses Missverhältnis bewegt Geri Weis-Corbley 1997 dazu, das Good News Network zu gründen.10

Mitte der 2000er-Jahre etabliert sich von Norwegen aus der Friedensjournalismus im Kontrast zum Kriegsjournalismus.11 Schon im Jahr 1965 hatten Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge untersucht, welche Faktoren Redaktionen dazu bewegen, über Nachrichten aus dem Ausland zu berichten.12 Galtung, der als Gründer der Friedens- und Konfliktforschung gilt,13 kritisiert gemeinsam mit seinem australischen Kollegen Jake Lynch eine einseitige Berichterstattung aus Kriegsgebieten,14 bei der Kategorien von Gut und Böse aufgemacht werden und der Krieg an sich als notwendig oder gegeben betrachtet wird.

Inspiriert von Johan Galtungs Arbeiten entfaltet sich auch in Mexiko der Periodismo de Paz. Cristina Judith Ávila-Zesatti, die bereits international für CNN, NBC und als Chefkorrespondentin für Telemundo Internacional tätig gewesen war, gründet 2009 das mexikanische Mediennetzwerk Corresponsal de Paz, und der Bericht über die Dekade für eine Kultur des Friedens der Vereinten Nationen betont die Verbreitung und den Austausch von Informationen über Friedenskultur durch Organisationen wie die italienische Good News Agency und das UN-Netzwerk Education for Peace Globalnet.15

Im Jahr 2003 gründet Christian de Boisredon in Frankreich mit Gleichgesinnten die Reporters d’Espoirs, die Reporter der Hoffnung, und wirbt bei der UNESCO in Paris vor Fachpublikum für eine stärker lösungsorientierte Berichterstattung. Heute bildet die wohl bekannteste Organisation für lösungsorientierten Journalismus, das Solutions Journalism Network, Menschen, Redaktionen und Verlage weltweit aus und betreibt eine Datenbank mit aktuell 13.100 Beispielartikeln von 1600 Medienhäusern aus 187 Ländern.16 Zu ihren Gründungsmitgliedern zählt die Pulitzer-Preisträgerin Tina Rosenberg.

In Skandinavien, den Benelux-Ländern und im Vereinigten Königreich schreiben sich Ende der 2000er die ersten etablierten Medien dank Pionieren wie Ulrik Haagerup Formate des Konstruktiven Journalismus auf die Fahne. Die dänische Journalistin Cathrine Gyldensted führt 2011 in Pennsylvania ein Experiment mit 710 Teilnehmenden durch, die klassische und gute Nachrichten vorgesetzt bekommen. Gyldensted fasst das Ergebnis so zusammen: »Das Konsumieren und das Produzieren von Nachrichtenmeldungen hat einen erheblichen negativen emotionalen Einfluss auf sowohl das Publikum als auch die journalistischen Fachkräfte.«17 Aus diesem Grund sieht sie großes Potenzial darin, den Journalismus mit Elementen der Positiven Psychologie innovativer zu machen.

Am 22. Juni 2013 findet der erste weltweite Impact Journalism Day statt. 20 Tageszeitungen aus 19 Ländern, darunter China, Indien, Mexiko, Brasilien, Italien und Polen, berichten auf Sonderseiten ausschließlich über gute Nachrichten.18

In Deutschland rufen Maren Urner und Han Langeslag 2016 mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne Perspective Daily ins Leben. Als Forschende der Neurowissenschaften untersuchen sie die gesundheitlichen Auswirkungen extremer Berichterstattung und wollen dieser etwas entgegensetzen. Mit ihrem Online-Magazin verschreiben sie sich dem Konstruktiven Journalismus.

Heute hat unter anderem der wissenschaftliche Konsens über die negativen Folgen schlechter Nachrichten zu einer Akzeptanz lösungsorientierter Medienformate geführt. Das war jedoch längst nicht von Beginn an der Fall. Der erste Chefredakteur, den Christian de Boisredon bei seiner Rede vor der UNESCO überzeugen wollte, habe entgegnet: »Sie werden mir nicht erzählen, wie ich meine Arbeit machen soll.« Die Antwort des Hoffnungsreporters: »Das hat mich geärgert, aber ich verstand, dass ich meine Vision anders erklären musste. Ich hörte auf, von ›Positivem Journalismus‹ zu sprechen, denn Journalisten mögen das nicht.«

Maren Urner berichtet davon, wie sie bei Vorträgen vor Fachpublikum in aller Regelmäßigkeit für ihren konstruktiven Ansatz kritisiert wird.19 Journalisten seien schließlich nicht dafür zuständig, Lösungen zu finden, sondern Probleme lediglich objektiv zu benennen.20

Als das Good News Magazin 2016 als kleines Social-Media-Projekt mit der Verbreitung erfreulicher Nachrichten begann, hätte ich mir niemals erträumen können, eines Tages von einem Mitglied der Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW für meinen »blödsinnigen« Ansatz angefeindet zu werden. Schlechte Nachrichten würden nicht krank oder traurig machen, sondern die schlechten Ereignisse dahinter. Wenn Menschen traurig werden von einem Bericht über Enthauptungen durch die Taliban in Afghanistan, dann sei das nicht die Schuld der Nachrichten, sondern die der Taliban.

Alle drei Negativ-Argumente zeigen interessanterweise im Gegenteil, warum es Positiven Journalismus besonders braucht. Gleichzeitig beantworten sie die Frage meiner Freundin Izabelė über die Wichtigkeit von Mini-Chamäleons und Massenentlassungen.

Argument Nr. 1:»Journalisten mögen das nicht«

Nicht nur obwohl, sondern gerade weil einige Medienschaffende den Begriff »Positiver Journalismus« ablehnen, gewinnt er an Bedeutung. Er provoziert insbesondere Journalistinnen und Journalisten, ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft und im globalen Netzwerk zu überdenken. Viele von ihnen haben ein Selbstbild von ihrem Berufsstand, das scheinbar unumstößliche Prinzipien beinhaltet, aber mit der Realität kollidiert.

Eines davon ist die sogenannte Wachhund-Funktion für die Demokratie. Nach diesem Verständnis ist die Presse innerhalb des Systems die »vierte Gewalt«21 im Staat. Als solche beobachten ihre Vertreterinnen die Handlungen einflussreicher Menschen aus Politik und Wirtschaft und ziehen diese zur Verantwortung. Auch wenn dies auf einen ganz bestimmten Kreis investigativer Journalisten unverändert zutrifft, wie beispielsweise beim Aufarbeiten der Panama, Paradise und Pandora Papers, ist die Wachhund-Funktion der Medien insgesamt heutzutage jedoch stark aufgeweicht.

In erster Linie tragen soziale Medien dazu bei, dass unsere Umwelt unweigerlich transparenter und partizipativer geworden ist. Kaum noch ein Mensch, geschweige denn eine Person des öffentlichen Lebens kann vor die Tür gehen, ein Gespräch führen oder Geschäfte machen, ohne die ständige Möglichkeit zu bedenken, dass seine Taten aufgenommen und sogar live übertragen werden könnten. Jede geschriebene E-Mail, jede Laufrunde mit dem Fitness-Armband am Handgelenk hinterlässt digitale Spuren. Jeder Mensch mit einem Smartphone in der Tasche könnte die nächste große Meldung des Jahres filmen. Dafür muss er nicht einmal politisch interessiert sein. Mit einem Klick auf »posten« verbreitet sich die Nachricht dann vielleicht millionenfach in den sozialen Netzwerken, ehe sie je einen Newsroom von innen gesehen hat. Aus diesem Grund experimentiert die BBC beispielsweise bereits seit vielen Jahren mit Nachrichtenformaten, bei denen die Zuschauerinnen und Zuschauer aktiv einbezogen werden. So werden Handyvideos des Publikums etwa auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft und dann als Bildmaterial für BBC News verwendet. Zeuginnen-Berichte werden (schon lange bevor die Pandemie uns an den Anblick müder Prominenter im Schlabber-Look gewöhnte) per Skype aus dem heimischen Wohnzimmer übertragen, und das Publikum stellt seine eigenen Fragen in der Sendung Question Time.22

Auch viele Formate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland machen sich Techniken des sogenannten Engaged Journalism zunutze und beziehen die Konsumenten bei der Erstellung der Nachrichten mit ein. So verschiebt sich die Rolle des Journalismus vom Hüter und Verteiler der Informationen hin zum professionellen Beobachter, der mündigen Bürgerinnen bei der Einordnung von Informationen behilflich ist. So zum Beispiel bei Interviews und Talkshows, wo einflussreiche Menschen, je nach Reichweite des Formats, persönlicher Agenda und Beziehung zu der fragenden Person, noch immer einen gewissen Wahrnehmungsdruck verspüren. Im Wahlkampf etwa sind viele hochrangige Politiker bereit, sich den Fragen der Öffentlichkeit zu stellen und sogar in die direkte Konfrontation mit anderen Parteien zu gehen; außerhalb des Wahlkampfes ist ein Interview mit der Kanzlerin eine Rarität.

Hinzu kommt, dass der Einfluss von NGOs als De-facto-Wachhunde wächst. Während Journalisten häufig für Medienhäuser arbeiten, deren Budget wenig Zeit für die Selbstkontrolle der Gesellschaft erlaubt, etablieren sich immer neue Organisationen mit der alleinigen Aufgabe, einen bestimmten Gesellschaftsbereich zu kontrollieren. So kritisiert Amnesty International etwa die Bundesregierung für den Kauf der Spionagesoftware Pegasus.23Sea-Watch protokolliert dezidiert jeden Verstoß gegen Menschenrechte an den europäischen Außengrenzen24 und hilft, wo möglich, Menschen in Seenot. Die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace drängen deutsche Automobilhersteller mit juristischen Mitteln zu mehr Klimaschutz.25Abgeordnetenwatch, Lobby Control und Transparency International machen auf Korruptionsfälle im Deutschen Bundestag aufmerksam, überwachen Abgeordnete wie Karin Strenz, Philipp Amthor oder Georg Nüßlein im Zuge von Bestechungsvorwürfen, setzen sich für ein Lobbyregister ein und bieten eine Plattform für Bürgerinnen, ihren Abgeordneten Fragen zu stellen.

Argument Nr. 2:»Objektivität ist eine Fata Morgana«

Positiver Journalismus provoziert aber noch weiter, denn der Begriff allein greift das vielleicht wichtigste und hartnäckigste Prinzip des Textbuch-Journalismus an – die Objektivität. Maren Urner schimpft sie eine »Fata Morgana«,26 da sie in Form des ZDF-Staatsvertrags oder durch ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat des verstorbenen Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs noch immer am Horizont geistert.

Friedrichs hatte gesagt: »Ein guter Journalist darf sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten!«, bezog sich dabei jedoch auf einen Selbstschutz-Mechanismus für Nachrichtenmoderatoren beim unaufgeregten Vortragen von Meldungen. Er selbst zeigte Haltung bei sozialen Notständen und dem Thema Umweltschutz. Die zugrunde liegenden Werte, hält Urner ihren Kritikerinnen vor, sind es, die Urteile überhaupt erst ermöglichen und uns handlungsfähig machen. Wir können das Auffliegen von Cum-Ex durch Investigativjournalisten oder die Politik der nordkoreanischen Regierung nur von unserem subjektiven Wertestandpunkt aus einordnen. In dem Moment, wo die ZEIT Cum-Ex »den größten Steuerraub in der deutschen Geschichte«27 nennt, zeigt die Zeitung Haltung gegenüber Finanzkriminalität. Wenn der SPIEGEL titelt: »Kein Wort über Kims Kilos: Nordkorea verbietet Tratsch über sein Gewicht«,28 dann verrät die Auswahl der Meldung und der Blickwinkel darauf unweigerlich etwas über die Einstellung der Redaktion zu Rede- und Pressefreiheit.

Als ich in der Vorweihnachtszeit 2016 an einer Ringvorlesung zum Thema Lügenpresse an der Uni Hamburg teilnehme, hält Kai Gniffke, der heutige Intendant des SWR, seinerzeit Chefredakteur der Tagesschau und der Tagesthemen, einen Vortrag. Ich bin sehr gespannt, denn zum einen hatte ich zuvor noch als Student beim NDR gearbeitet und immer wieder sehnsüchtig in das wohl bekannteste Nachrichtenstudio Deutschlands geschielt, zum anderen steht die Tagesschau zu diesem Zeitpunkt stark in der Kritik für ihre fehlende Berichterstattung im Mordfall einer Freiburger Medizinstudentin. Die junge Frau war auf dem Heimweg von einer Uni-Party, als sie ein junger Mann, der zuvor bereits mehrere Menschen unter Drogeneinfluss drangsaliert hatte, brutal vergewaltigt und anschließend ermordet. Der Vorwurf an die Tagesschau lautet, es sei bewusst nicht über die Tat berichtet worden, da der – damals noch mutmaßliche – Täter im Vorfeld aus Afghanistan nach Deutschland geflohen war. Die Stimmung im Land ist aufgeheizt. Die AfD trennt sich gerade von ihrem euroskeptischen Flügel, der rechtspopulistische Teil der Partei übernimmt die Führung, Pegida läuft zur Höchstform auf und skandiert: »Halt die Fresse, Lügenpresse.«

»Wer fand unsere Entscheidung richtig?«, eröffnet Gniffke den Vortrag. Die Mehrheit der Hände schnellt nach oben. Auch ich hebe meine Hand. Die Redaktion habe den Fall bewusst ausgelassen, da es sich um eine Einzeltat handle und diese keine nationale Relevanz habe, rechtfertigt Gniffke seine Entscheidung. Die Begründung reicht mir nicht, denn zu oft werden Einzeltaten in den großen Nachrichtensendungen thematisiert.

»Haben wir uns mit Flüchtlingen gemeingemacht?«, fragt Gniffke später. »Oder haben wir richtig die positive Stimmung großer Bevölkerungsteile im Jahr 2015 gegenüber Flüchtlingen abgebildet?«

Die Fragen halte ich für falsch gestellt, aus meiner Sicht hat die Tagesschau keine PR gemacht für Geflüchtete, sondern Haltung bewiesen gegen rechte Hetze und Pauschalisierungen. Wer sich entscheidet, in dem politischen Pulverfass Deutschland 2015 über kriminelle Einzeltaten Geflüchteter im nationalen Fernsehen zu berichten, trägt dazu bei, dass alle Geflüchteten unter Generalverdacht stehen, und spielt Rechtspopulisten in die Hände.

Gniffke formuliert es so: »Wir wollen antidemokratische Entwicklungen wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus aufzeigen und darüber aufklären.«

Mir wird nicht klar, wie ich über Diskriminierungsformen aufklären kann, ohne ein subjektives Urteil über sie zu fällen und diese als moralische Leitlinie für meine Argumentation zu benutzen. Etwa wenn ich im Fernsehen über das Arbeitsklima für Frauen in einem Dax-Konzern berichten möchte, dann treffe ich doch als redaktionell Verantwortliche vorher die Entscheidung, dass etwas im Argen liegt. Selbst wenn ich das Thema nur aufgreife, weil die Gesellschaft vielleicht gerade darüber spricht, bilde ich mir eine Meinung, spreche vielleicht mit verschiedenen Personen darüber und entscheide, ob es meine Zeit und den Sendeplatz wert ist. Wenn mir Mitarbeiterinnen erzählen, dass ihre männlichen Kollegen mehr Geld verdienen oder dass ihr Chef sie auf einer Konferenz vor allen anderen »Mäuschen« genannt hat, dann bewerte ich dieses Verhalten. Und wenn ich zu dem Schluss komme, das ist ungerecht, herablassend oder respektlos, dann möchte ich als Journalist darüber berichten, die Probleme offenlegen.

Gniffke sagt dazu weiter: »(…) aber es ist nicht unsere Aufgabe, diese Tendenzen zu verurteilen, zu verdammen oder zu entlarven. Wir wollen die Zuschauer dazu befähigen, selbst zu einer angemessenen Einschätzung zu gelangen. Und deshalb (…) bleiben wir eine kritisch-aufklärerische Redaktion.«

Das widerspricht sich aus meiner Sicht. Ich kann nicht über antidemokratische Handlungen sprechen, ohne sie vorher als eben antidemokratisch zu verurteilen, mindestens als solche zu bewerten. Und der Wunsch, das Publikum ferner zu einer »angemessenen Einschätzung« zu befähigen, wirft die Frage auf, was denn angemessen ist und wer das eigentlich beurteilt. Wenn die Erzieherin im Kindergarten ihre Gruppe fragt, wie sie es findet, wenn Anna Serdar das Butterbrot wegnimmt, würde niemand sagen, die Erzieherin sei objektiv und habe eine neutrale Frage aufgeworfen. Offensichtlich sollen die Kinder dazu bewegt werden, einen moralischen Kompass aufzubauen, der den Butterbrotklau ablehnt. Wenn Journalisten über den Butterbrotklau berichten, dann haben sie das Thema bewusst ausgewählt. Sie wählen Format, Länge, Tiefe und Ausdrucksweise der Nachricht, nehmen einen bestimmten Blickwinkel ein, haben sich im besten Fall Gedanken über ihre Zielgruppe gemacht, und nicht selten steht das Medienhaus, für das sie arbeiten, offen einem Teil des politischen Spektrums nahe. Vor diesem Hintergrund kann es bevormundend oder gar täuschend auf das Publikum wirken, sich selbst eine Unbefangenheit zu attestieren.

Der Positive Journalismus hat daher keinerlei Objektivitätsanspruch, sondern strebt vielmehr nach Authentizität und Transparenz. Dazu gehört zuallererst ein Verständnis der eigenen Perspektiven. Journalistinnen und Journalisten sind, wie alle anderen Menschen auch, durch ihre Erfahrungen, ihre politische Gesinnung, ihre Bildung, Herkunft, Geschlecht und andere Faktoren geprägt und nehmen die Realität dementsprechend wahr. Freimachen von dieser individuellen Brille, durch die wir alle unweigerlich schauen, kann sich niemand komplett, weder die Journalistin noch der Blogger, die Youtuberin, der Bäcker, die Bürgermeisterin oder die Sprechstundenhilfe. Aber es ist ein guter Anfang, sich dieser Brille bewusst zu werden, den eigenen Blickwinkel zu kommunizieren und Quellen offenzulegen. So können sich Standpunkte auch im Austausch mit der Community weiterentwickeln.

Ein Aufbrechen des Objektivitätsbegriffs bedeutet aber auf keinen Fall eine Abkehr von journalistischen Qualitätsstandards. Ganz so wie es der Medienkodex des Netzwerks Recherche29 formuliert, unterscheidet auch der Positive Journalismus erkennbar zwischen Fakten und Meinung, recherchiert umfassend und handwerklich sauber, stellt Sorgfalt über Schnelligkeit und achtet die Menschenwürde sowie Persönlichkeitsrechte. Hier ist die Tagesschau wie wohl alle Nachrichtenformate ein großes Vorbild.

Argument Nr. 3:»Das Anna-Karenina-Prinzip«

»Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.«

So beginnt einer der bekanntesten Romane Tolstois über die adelige Anna Karenina, die eine verhängnisvolle Liebesaffäre mit einem Grafen eingeht. Der Ehebruch und die daraus resultierende Schwangerschaft katapultieren Anna so weit ins gesellschaftliche Abseits, dass sie zunehmend Wahnvorstellungen entwickelt und schließlich Selbstmord begeht.

Der erste Satz von Anna Karenina steht heute beispielhaft für ein Kausalitätsprinzip, das nach dem Hauptcharakter des Romans benannt ist. Es umschreibt, dass mehrere Faktoren erfüllt sein müssen, damit eine Sache gelingt, jedoch das Fehlen eines einzigen Faktors ausreicht, damit sich ein Misserfolg einstellt. Dabei kann der entscheidende fehlende Faktor bei jedem Misserfolg ein völlig unterschiedlicher sein.

Der Grund, warum Nachrichtenkonsumenten unglücklich werden, sei nicht die Berichterstattung über Gräueltaten, sondern die Gräueltaten selbst, konstatiert ein sich zunehmend in Rage redender Vertreter der Medienkommission der Landesanstalt für Medien NRW. Seine Worte schreibe ich mir kurz nach der Begegnung möglichst inhaltsgetreu auf, denn ich ahne, sie werden mich noch lange Zeit beschäftigen:

»Ihr bedient euch beim Good News Magazin des Anna-Karenina-Prinzips – das verstehe ich, ihr wollt natürlich verkaufen. Aber wenn in Afghanistan die Taliban Menschen enthauptet, dann sind nicht die Nachrichten schuld daran, dass die Zuschauer traurig werden, sondern die Taliban.«

Ich bin ziemlich verdutzt, denn zum einen habe ich das Argument noch nie gehört, zum anderen hatte ich speziell zu diesem Anlass (Lucia Oiro, David Gaedt und ich wurden um den Gefallen gebeten, für unsere Förderanstalt einen Kurzvortrag vor der Medienkommission zu halten) weder Rückfragen, geschweige denn einen solchen Angriff erwartet. Noch bevor ich über sein Argument nachdenken kann, teilt das Kommissionsmitglied weiter aus. Schlechte Nachrichten würden nicht krank machen, das sei psychomedizinischer Unfug. Jetzt wird es mir zu bunt, zum Glück ist er fertig mit seinem als Rückfrage getarnten Monolog. Ich atme tief durch und antworte auf die einzige Weise, die mir in dieser Situation einfällt, merkelesk, etwa so:

»Auch wenn ich Ihre Kritik gehört habe, sie deckt sich nicht mit dem aktuellen Stand der Forschung. Es herrscht ein wissenschaftlicher Konsens über die Kausalität zwischen Medienkonsum und einem erhöhten Adrenalin- beziehungsweise Cortisolspiegel sowie den daraus resultierenden signifikant zunehmenden medizinischen Risikofaktoren. Ich lasse Ihnen gerne weiterführende Lektüre zukommen.«

Tatsächlich untersucht eine ganze Heerschar an Forschenden aus den Bereichen Neurobiologie, Verhaltensforschung, Medienwissenschaften und Psychologie die Wechselwirkungen zwischen Nachrichten und der menschlichen Gesundheit. Und die Ergebnisse zeigen deutlich, Nachrichten verursachen einen Stress, der vergleichbar ist mit der Flucht vor einem Raubtier.30 Wer ständig und regelmäßig Nachrichten konsumiert, wer also ständig und regelmäßig vor einem Raubtier flüchten muss, kann langfristig unglücklich und sogar sehr krank von dieser Dauerbelastung werden.

Nun sind die Gründe dafür, dass Menschen unglücklich werden, zweifelsohne mannigfaltig. Oder um es in Tolstois Sprache zu formulieren: »Jeder unglückliche Mensch ist auf seine eigene Weise unglücklich.« Und es stimmt sicher ebenso, dass nur ein Faktor in meinem Leben schieflaufen muss, damit ich unglücklich werden kann. Aber in welcher Welt sprechen diese Argumente dagegen, Bad News etwas entgegenzusetzen? In welcher Welt würden wir sagen, bei dem von Armut gebeutelten Menschen kommt es auch nicht mehr darauf an, ob wir ihm alle Hoffnung nehmen und das Herzinfarktrisiko steigern?!

Ein Großteil der Kritik am Positiven Journalismus lässt sich herunterbrechen auf den Vorwurf: »Ihr könnt doch nicht nur das Positive zeigen?! Ihr müsst bei den Fakten bleiben, egal ob die schön sind oder nicht!« Im Verlauf des Buches wird deutlich werden, dass wir nicht nur verstärkt auf das Positive schauen können, sondern als Menschheit überlebenswichtigerweise vermehrt Bestärkendes und Lösungsansätze in den Blick nehmen müssen.

Des Weiteren werden wir zeigen, dass wir eben genau weil wir die Fakten im Blick haben, ein Gegengewicht zur negativ verzerrten Berichterstattung brauchen. Wir werden sehen, dass wir als Menschen ein genetisches und kulturelles Erbe mit uns herumtragen, das alles Negative attraktiv wirken lässt und den Blick auf das Positive oft trübt. Oder wie die Redakteurinnen und Redakteure der ältesten italienischen Good-News-Seite in ihrem Buch sagen: Berührende Geschichten, »zusammen mit den außergewöhnlichsten und positivsten Fakten des letzten Jahres (…), stellen die andere Wirklichkeit dar, die leiser vorübergegangen ist als der Lärm von Bomben, Anschlägen, Verbrechensmeldungen und Skandalen.«31

Wir werden uns anschauen, wie wir dennoch gesündere (Medien-)Gewohnheiten aufbauen, die auch im Angesicht der Medienwirtschaft, welche wir kritisch unter die Lupe nehmen, dabei helfen, uns gegen unbegründeten Missmut und die Flut schlechter Nachrichten zu wehren.

Wir werden deutlich machen, wie ein Journalismus der Zukunft aussieht und wie wir in einer hyperschnellen, teils toxischen digitalen Welt auf uns achtgeben.

Wir werden prüfen, ob gute Nachrichten gesund sind, und wir werden besprechen, warum Small Talk einen großen Stellenwert für eine Gesellschaft ohne übersteigerte Angst hat und damit dem kleinsten Chamäleon der Welt eine sehr große Aufgabe zukommt.

Wir werden aber auch darüber sprechen, weshalb zynismusfreie Bad News wie die Massenentlassungen vom Anfang dieser Einleitung friedlich neben Good News existieren können, ja unbedingt müssen.

Und natürlich erklären wir, was gute Nachrichten genau ausmachen; warum Positiver Journalismus keine Wachhund-Funktion einnehmen und nicht objektiv sein kann und warum es ein großes Bedürfnis nach guten Nachrichten gibt.

Und schließlich schauen wir uns im Detail an, inwiefern Medien unsere Wirklichkeit mitgestalten und wie der Positive Journalismus vor diesem Hintergrund seinen eigenen Teil dazu beitragen möchte, eine in jeder Hinsicht lebenswerte Welt zu erschaffen, in der alle Platz haben.

DÜMMER ALS EINE BANDE AFFEN:DER NEGATIVITÄTSEFFEKT

»Eine Bande Affen ist schlauer als wir.« Diese Kernaussage des inzwischen verstorbenen schwedischen Professors Hans Rosling beruht auf den Ergebnissen von Befragungen, die er bis 2017 mit 12 000 Menschen aus allen Einkommens- und Bildungsschichten aus 14 Ländern der Erde durchführte.32 Rosling befragte die Teilnehmenden nach ihrer Einschätzung, wie sich die Welt entwickeln würde:

•»Wie viel Prozent der Mädchen in allen Niedriglohnländern der Welt schließen heute die Grundschule ab?«

•»Wie hoch ist die weltweite Lebenserwartung inzwischen?«

•»Die Anzahl der Todesfälle durch Naturkatastrophen hat sich im Vergleich zu den letzten 100 Jahren A: mehr als verdoppelt, B: kaum verändert, C: um mehr als die Hälfte reduziert.«

•»Die UN prognostiziert, dass die Weltbevölkerung bis 2100 um 4 Milliarden Menschen anwächst. Was ist der Hauptgrund dafür?«

•»Wie viele Menschen auf der Erde haben Zugang zu Elektrizität?«

Obwohl die Fragen klar formuliert sind und obwohl die meisten Antworten nur den Minimalaufwand einer einzigen Google- oder Ecosia-Suche bedürfen, tappen selbst einflussreiche Menschen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft im Dunkeln. Der Professor für Internationale Gesundheit befragt seinerzeit Funktionärinnen der Vereinten Nationen, namhafte Journalisten und Geschäftsführerinnen beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Sie sitzen an der Quelle; sie beziehen und erheben die aktuellsten Statistiken zu menschlicher Entwicklung. Insbesondere sie schneiden bei dem Quiz katastrophal ab. Sie gehen nämlich alle davon aus, dass die Welt viel schlechter sein müsse, als sie tatsächlich ist. Selbst wenn sie beruflich darüber gestolpert sind, dass sich die Armut überall halbiert hat, dass Frauen in 193 von 195 Ländern weltweit wählen dürfen, dass international 90 Prozent aller Mädchen die Grundschule besuchen, dass 85 Prozent der Weltbevölkerung Zugang haben zu Elektrizität und 88 Prozent zu Wasser aus geschützten Quellen oder dass die Kindersterblichkeit ebenso wie der Hunger weltweit drastisch zurückgegangen sind33 – kaum sind sie mit den Fragen konfrontiert, kommen ihnen Zweifel, ob das Bild, das sie im Kopf haben, nicht doch zu rosig sei.

Eine Bande Schimpansen im Zoo hätte willkürlich Bananen mit Buchstaben aussuchen können und die Ergebnisse wären statistisch akkurater gewesen als bei uns systematisch desillusionierten Wesen, wettert Rosling.34

Die klebrigen Eigenschaften des Negativen

Auch wenn die Worte sehr hart klingen, Rosling wirft nicht blindlings mit Kritik um sich. In seinem unermüdlichen Kampf gegen Ignoranz, Populismus und Pessimismus machte er sich zeitlebens für eine faktenbasierte Welt stark. Und diese beinhaltet eben auch eine selbstkritische Auseinandersetzung.

An deren Anfang steht die Erkenntnis: Wir alle sind systematisch desillusionierte Wesen. Die Sozialpsychologin und Verhaltensforscherin Alison Ledgerwood führte dazu folgendes Experiment durch: Zwei Versuchsgruppen, A und B, erfahren jeweils von einer neuen Operationsmethode. A erhält die Information, dass die Erfolgsrate bei 70 Prozent liegt. B hingegen bekommt gesagt, dass sich in etwa 30 Prozent der Operationen kein Erfolg einstellt oder sogar etwas schiefgeht. Im Anschluss ist Gruppe A, die die Erfolgschancen kennt, angetan von der neuen Methode. Gruppe B, die nur über die Risiken und Ineffizienzen aufgeklärt wurde, lehnt das Verfahren ab. Nun gibt es eine zweite Runde Nachrichten-Input. A bekommt jetzt nachgereicht, dass die Misserfolgsquote bei 30 Prozent liegt, und lehnt die Methode plötzlich ab. Obwohl B umgekehrt von der 70-prozentigen Erfolgsaussicht erfährt, ändert die Gruppe ihre negative Meinung nicht und lehnt die Operationsmethode weiterhin ab.

Der Blickwinkel auf ein Thema ist essenziell. Ein Fokus auf negative Informationen beeinflusst zum Beispiel unsere Entscheidungen.

Schuld ist der sogenannte Negativitätseffekt oder auch Negativity Bias. Gemeint ist, dass wir Negatives in der Welt viel intensiver wahrnehmen als Positives.35 Negative Informationen erzeugen in der Großhirnrinde die stärkeren Reize als neutrale oder positive Informationen.

Der Sozialpsychologe und Marketingprofessor Dr. Jonah Berger gibt in seinem Buch Ansteckend ein anschauliches Beispiel für eine wahre Geschichte, die viral ging, weil sie besonders starke negative Emotionen anregt:36

Der kanadische Musiker Dave Carroll machte sich mit seinem Bruder Don im März 2008 auf den Weg nach Omaha, Nebraska. Anlass war eine kleine Tournee ihrer Band Sons of Maxwell. Bei einem Zwischenstopp in Chicago beobachtete Dave, dass die