Goodbye Drama - Sasja Metz - E-Book
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Goodbye Drama E-Book

Sasja Metz

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Beschreibung

Raus aus der Drama-Falle

Kennst du das? Du stehst ständig unter Strom und irgendwas geht immer schief. Regelmäßig gibt’s Konflikte in der Familie oder im Job und auch dein Körper macht, was er will. Aber du bist weder verrückt noch krank! Dein Nervensystem ist einfach nicht reguliert – und die Lösung ist weniger kompliziert, als du denkst. In ihrem Ratgeber zeigt Coach und Therapeutin Sasja Metz humorvoll und verständlich, wie du dank einfacher Methoden aus dem Somatic Experiencing (SE) dein Leben in vollen Zügen auskosten und dem alltäglichen Wahnsinn mühelos begegnen kannst. Mit Körperübungen und anschaulichen Beispielen aus ihrer Praxis weist die Autorin den Weg aus einem Leben voller Dramen, das sich wie ein nicht endender Kampf anfühlt.

  • Mit wirksamen Körper- und Achtsamkeitsübungen zur Stabilisierung und Harmonisierung des Nervensystems
  • Mit Somatic Experiencing® nach Peter Levine das übererregte Nervensystem regulieren lernen
  • Die beliebte Instagram-Influencerin berichtet aus eigener Erfahrung und erläutert Beispiele aus ihrer Therapie-Praxis

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Seitenzahl: 359

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SASJA METZ

Selbstliebe, Resilienz und Ausgeglichenheit fördern

Die Informationen in diesem Buch sind von Autorin und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2023 by Irisiana Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Projektleitung: Inga Heckmann

Illustrationen: Adobe Stock: (Анна Богатырева), (elena3567, artinspriring, designua, Vipin)

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Herstellung: Timo Wenda

Lektorat: Martin Stiefenhofer

Korrektorat: Susanne Schneider

Bildredaktion: Sabine Kestler

Umschlaggestaltung: OH, JA! München, unter Verwendung eines Motivs von © shutterstock/Mary Long; Adobe Stock/Mary Long

ISBN: 978-3-641-30314-3V001

Inhalt

Die Grundlagen für ein reguliertes Nervensystem

Wie Somatic Experiencing meine Welt auf den Kopf stellte

Von den Vorteilen eines regulierten Nervensystems

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

Alles Trauma, oder was?

Was Trauma wirklich ist

Entscheidungsinstanz Nervensystem

Der Körper als Hüter des Traumas

Das Window of Tolerance – ein Konzept, das dein Leben verändert

Die drei Bereiche des Window of Tolerance

Fred und Hysteria – zwei, die unbewusst dein Leben steuern

Drei Gehirne – drei verschiedene Vorstellungen darüber, was für dein Leben gut ist

Sympathikus und Parasympathikus – die Steinzeit ist noch nicht vorbei

Die vier Stressreaktionen – Fluch und Segen zugleich

Entwicklungstrauma – das Trauma ohne Lobby

Abgrenzung Schocktrauma versus Entwicklungstrauma

Bindungsabbrüche – die unsichtbaren Stacheln

Die bittere Wahrheit über Kinder, die sich in den Schlaf schreien

Ein Trauma kommt selten allein

Das innere Kind – ein weiterer Untermieter

Wie sich ein Inneres-Kind-Anteil bildet

Wie die inneren Kinder heilen können

Ab ins Training: Goodbye, Drama!

Ein Leben auf der Überholspur

Die Übererregung – schaurig schön

Hurra! Ich bin gestresst – also lebe ich!

Die Ursachen der Stresssucht

Stress, lass nicht nach

Der Freeze-Modus – wenn Fred die Stopp-Taste drückt

Die Prokrastination

Der »Ich bin nur zur Hälfte da«-Zustand

Der »Ich bin gar nicht mehr da«-Zustand

Oh nein, Gefühle – schnell weg!

Gefühle über die Ratio lenken

Von der Gefühlsdenkerin zur souveränen Meisterin der Emotionen

Immer passiert mir das! Versinken im Drama-Dreieck

Das Drama-Dreieck

Beim nächsten Mann wird bestimmt alles anders!

Zeig mir deine Eltern und ich sage dir, wie deine Beziehungen aussehen

Lass uns lieb und nett miteinander sein: Die People-Pleaserin

Ständig Ebbe im Portemonnaie – Schuld der Eltern und des Nervensystems?

Erst die (fehlerfreie) Arbeit – und das Vergnügen schenke ich mir

Mein Körper, mein Feind – und das Entwicklungstrauma

So schaffst du es mit Leichtigkeit ins Ziel

Was, wenn sich keine Veränderungen zeigen?

Nachwort: Was dieses Buch mit meinem inneren Kind gemacht hat

Übungsregister

Literatur, Adressen und Quellen

Die Grundlagen für ein reguliertes Nervensystem

Wie Somatic Experiencing meine Welt auf den Kopf stellte

2017 erschien meine Welt ziemlich normal. Ich führte ein sehr durchschnittliches Leben: Ich hatte einen Job als Empfangsdame in einer Physiotherapiepraxis, war in Teilzeit selbstständig als Tierheilpraktikerin. Ich war seit elf Jahren glücklich liiert. Zu Kindern war es irgendwie nie gekommen, dafür bereicherten zwei Katzen und meine Hündin Lassie unser Leben. Wie gesagt, alles ziemlich normal. Auf die Frage, wie es mir geht, antwortete ich standardmäßig: gut! Denn in meinen Augen war das meiste gut.

Ehrlicherweise war ich ein wenig zwiegespalten. Auf der einen Seite gab es da eindeutig zu viele Dramen, auf der anderen Seite empfand ich mein Leben als seltsam leer und fad. Die Dramen, ha, die hätten der Stoff für spanische Telenovelas sein können. Kleine Kostprobe gefällig?

Ein Spätsommertag in Bremen im Jahr 2004. Die Sonne scheint mir ins Gesicht, junge Menschen flanieren um mich herum. Ich bin ein wenig knapp bei Kasse, denn ich lasse mich gerade von meinem Mann scheiden. Schweren Herzens rufe ich einen befreundeten Juwelier an, bei dem mein zukünftiger Ex-Mann mir gern Schmuck gekauft hatte. »Willst du nur die Perlenkette oder auch die Ohrringe und das Armband verkaufen?«, fragt mich der Juwelier. Mein Herz setzt für einen Moment aus, meine Welt bleibt stehen. Mein Ex-Mann hatte mir nie Ohrringe und ein Armband geschenkt. Mir wurde endgültig klar, was ich schon seit Jahren insgeheim wusste: Er hat eine andere. Später stellte sich heraus, dass mein Mann »vergessen« hatte, mir zu sagen, dass er schon seit Jahren ein Doppelleben mit einer weiteren Frau führte …

Neben filmreifen Dramen gab es viele kleine Eskapaden, die mein Leben anstrengend machten, wie diese hier: Ich sitze im Zug nach Hannover. Eigentlich wollte ich nach einem Fotoshooting zurück nach Bremen. Ich habe mal wieder nur husch, husch geschaut, auf welchem Gleis mein Zug abfährt – und sitze prompt im falschen. Der fährt 40 Minuten in die entgegengesetzte Richtung, bevor ich aussteigen, mir ein neues Ticket buchen und meinen Mann, der mich am Bahnhof in Bremen abholen möchte, informieren kann.

Oder ich sitze mutterseelenallein im Ferienhaus meines Vaters in Südspanien. Mein Partner hingegen sitzt im Flugzeug nach Bremen. Was war passiert? Ich hatte nach einem wunderschönen Urlaub meinen Pass im Ferienhaus liegen lassen. Leider bemerke ich dies erst, als wir in Malaga am Gate zum Einchecken stehen. Ohne Pass kein Flug für mich, zumindest nicht dieser.

Neben solchen Schusseligkeiten passieren mir ständig merkwürdige Sachen: Weinend sitzt meine bis eben beste Freundin vor mir und gesteht mir ihre Liebe. Ihre Liebe von Frau zu Frau – nicht als Freundin. Dumm nur, dass ich so gar nicht auf Frauen stehe und damit meine beste Freundin verliere. Oder die Chefin, die auf mich eifersüchtig ist und mir die Arbeit zur Hölle macht, weil ich angeblich etwas mit ihrer Partnerin habe, die gleichzeitig meine andere Chefin ist. Oder mein Stiefvater, der mir auf der Beerdigungsfeier meiner Mutter einen Schuldschein unter die Nase hält, weil mein Ex-Mann noch Schulden bei ihm hat. All das und noch viel mehr sind meine großen und kleinen Dramen, die mir den Eindruck vermitteln: Das Leben ist hart. Ich muss kämpfen. Einfach – das ist für Sasja nicht vorgesehen.

Viel Wind, wenig Bewegung

Du siehst, mit meinen Dramen konnte ich auf Partys locker die Gäste unterhalten. Manches klang so unglaubwürdig, dass selbst ich an den Geschichten zweifelte. War das wirklich mir passiert? Ja, das war mein Leben. Und auf der anderen Seite hatte ich diese Sehnsucht nach mehr, die Sehnsucht nach mehr Sinn, mehr Wert in meinem Leben. Hättest du mich allerdings gefragt: »Sasja, wovon willst du denn genau mehr?«, – ich hätte es dir nicht beantworten können. Aber gerade wenn ich allein war, mich kein Drama von mir selbst ablenkte, da spürte ich, dass mein Leben seltsam schal war. Sehnsucht brannte in meinem Herzen; es tat schon körperlich weh. Ich fühlte mich hilflos, verstand mich nicht, fand mich insgeheim ein wenig schräg. Okay, ich will ehrlich mit dir sein: Ich fand mich äußerst schräg. Aber ich hatte hervorragende Tools entwickelt, mit denen ich die anderen blenden konnte. Niemand sollte merken, wie schräg ich wirklich war. Oft lag ich nachts wach und fragte mich: »Wenn ich wüsste, dass ich morgen nicht mehr aufwache, welches Fazit würde ich dann über mein Leben ziehen? Hätte es sich ›gelohnt‹, wäre es ein gutes Leben gewesen?« – »Nein«, war meine ehrliche Antwort. Es hätte sich nicht gelohnt. Scherzhaft stellte ich mir vor, dass ich bei Gott an die Tür klopfe und er mich nicht einlassen würde, weil ich mein Leben vergeudet hätte. Autsch, das tat echt weh!

Zum Glück ist alles anders gekommen. Und ich bin mir sicher, heute würde Gott mich freudestrahlend dort oben begrüßen und herzlich willkommen heißen. Warum mein Leben eine solche Wendung hingelegt hat? Ich bin »zufällig« auf Somatic Experiencing® (SE) gestoßen.

Was ist heute so anders in meinem Leben?

Vieles. Ich bin pünktlich. Ich habe oft eine Sicherheitsreserve an Zeit und kann ganz entspannt meinem Termin entgegensehen. Ich stehe am richtigen Bahngleis. Ich sitze im gebuchten Zug. Mein Ausweis und ich – wir lieben uns, wir bleiben zusammen und er geht nicht mehr auf wundersame Weise verloren. Ich bin klar in meiner Kommunikation und verhindere so viele Konflikte, in die ich früher blindlings hineingestolpert bin. Ich habe genaue Vorstellungen darüber, was ich will und was ich nicht will. Ich traue mich, mich wichtig zu nehmen und das anderen gegenüber zu äußern. Ich setze Grenzen, ohne Angst zu haben, dass der andere mich deswegen verlässt. Das Allerwichtigste: Ich mag mich. Jeden Tag sogar ein Stückchen mehr. Ich finde mich nicht mehr alienmäßig oder schräg. Ja, ich bin anders – in vielen Aspekten. Und das ist gut so. In einem Satz lässt sich die Reise zu mir am besten so beschreiben: Ich wurde von meiner größten Feindin und Kritikerin zu meiner besten Freundin.

Und nein, mein Leben ist nun nicht 24 Stunden am Tag Friede, Freude, Eierkuchen. Natürlich nicht, es gibt in meinem Leben weiterhin Herausforderungen. Was sich aber um 180 Grad gedreht hat, ist, wie ich mit den Herausforderungen umgehe. Ich bin lösungsorientiert – jedoch ohne mich in toxischer Positivität zu verheddern. Ich habe Optionen. Ich kann agieren, anstatt wie früher ohnmächtig auf das Leben zu reagieren.

Das willst du auch, nicht wahr? Dann erzähle ich dir mehr über diese Wunderwaffe Somatic Experiencing (SE). SE ist ein körperorientiertes Traumatherapieverfahren und stellt das Lebenswerk des amerikanischen Traumatherapeuten Peter Levine dar. Hui, Trauma? Bei dem Wort sind die meisten Menschen sofort raus. »Ich habe doch gar kein Trauma!«, erklärst du vielleicht mit Vehemenz. Aber warte: Das ursprünglich griechische Wort »Trauma« bedeutet nichts anderes als »Wunde« oder »Verletzung«. Und diese passieren uns auf emotionaler Ebene besonders in der Kindheit häufig. Emotionale Verletzungen hinterlassen Spuren im Nervensystem, die, wenn sie überhandnehmen, negative Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben. Die Schäden im Nervensystem kann man nicht sehen. Es gibt auch (noch) keine Symptome-Fibel, anhand derer du feststellen kannst, ob dein Nervensystem geschädigt ist.

Von den Vorteilen eines regulierten Nervensystems

Ein Trauma ist die am meisten vermiedene, ignorierte, verleugnete, missverstandene und unbehandelte Ursache menschlichen Leidens.

Peter Levine

Millionen von Menschen suchen auf alle erdenkliche Weise nach einem besseren Leben, trinken morgens ekligen Selleriesaft, journalen sich zu Tode und verzweifeln an der Meditation … Dabei ist die Lösung so einfach: Reguliere dein Nervensystem, und dein Leben wird in allen Bereichen besser. Lass uns den Begriff »Trauma« zunächst an der Seite parken, lies erst mal diesen Ratgeber. Ich bin mir sicher: Am Ende des Buches wirst du anders über Trauma und dein Nervensystem denken!

Okay, wie hat Somatic Experiencing nun mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt? Kehren wir in den Spätsommer 2017 zurück. Ein Jahr zuvor hatte ich erfolgreich die Prüfung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie bestanden. Um meine zumeist weiblichen Kundinnen besser und effektiver begleiten zu können, hatte ich mich für die dreijährige Ausbildung als Somatic-Experiencing-Therapeutin entschieden. Im August 2017 sitze ich also im ersten von insgesamt sechs Ausbildungsblöcken der besagten Körpertherapieform in Köln. Ehrlich gesagt, ich bin über die Maßen angepisst. Seit Tagen machen wir Übungen, um den Körper zu spüren. Besonders der Morgen ist absolut schrecklich; da komme ich lieber zu spät, damit ich diese dämlichen Körperübungen verpasse. Ich gebe dir einen kleinen Vorgeschmack und vielleicht machst du gleich mit, um meine Misere zu verstehen: Eines Morgens sollen wir uns auf den vorderen Rand des Stuhles setzen und intensiv in unsere Sitzbeinhöcker spüren. »Was zum Teufel sind Sitzbeinhöcker?!«, denke ich. Aha, irgendwelche kleine Knöchelchen im Gesäß. Dass ich Knochen spüren kann, ist mir neu. Dass ich sie tief in meinem Gesäß, versteckt unter Massen von Körperfett, spüren soll – haha, guter Scherz! Sehr langsam sollen wir unsere Körperhaltung verändern. »Verlagere dein Gewicht ganz achtsam nach links auf den linken Sitzbeinhöcker … und spüre nach. Was ändert sich dadurch, dass du dein Gewicht nach links verlagerst?«, säuselt die Yogalehrerin in einem Singsang, der bei mir nicht die erhoffte Beruhigung und Entspannung bewirkt, eher das Gegenteil. Wenn sie noch langsamer spricht, dann spricht die gute Frau rückwärts. Oh mein Gott, macht mich das wütend! Wenn ich noch einmal die Wörter »spüren«, »achtsam« oder »langsam« höre – dann muss ich durchdrehen. Denn, ich spüre NICHTS. Einfach nichts.

Wie ist es dir gerade ergangen? Hast du gerade deinen linken Sitzbeinhöcker gespürt? Wahrscheinlich nicht. Willkommen im Klub. Endlich folgt die rettende Mittagspause. Bloß weg von diesen Menschen mit ihrem kollektiven Honigkuchenpferd-Grinsen im Gesicht. Die dauernd mitfühlend nicken. Und quälend langsam sind. Meine Welt ist schnell – und das liebe ich! Ich hasse Langsamkeit! Gehetzt gehe ich zum Mittagessen in Richtung Rudolfplatz, hoffentlich begegne ich keinen anderen Teilnehmern. Mir kommt es vor, als sei dieses Spüren wie eine unsichtbare, ansteckende Krankheit. Menschen, die zu Beginn der Woche noch ähnlich gehetzt und unter Strom standen wie ich, sind plötzlich ganz anders. Sie sind laaaaangsam und grinsen deppert.

Und dann der Aha-Effekt

Ich kann auf eine lange Reihe von schlechten Entscheidungen zurückblicken. Aber mit der Entscheidung, mich für drei Jahre für diese Ausbildung einzuschreiben, deren Wert dem eines gut ausgestatteten Kleinwagens entspricht – habe ich den Vogel abgeschossen. Ich ärgere mich maßlos über mich selbst und frage mich, ob es noch eine Hintertür gibt, um auszusteigen. Ich hänge meinen Gedanken nach. Okay, nun erst einmal etwas Leckeres essen. Um die Probleme kann ich mich auch noch später kümmern.

Plötzlich – während ich meinen schweren Gedanken nachhänge und mich die Frage beschäftigt, ob ich wieder den leckeren Thai-Imbiss besuche – passiert mein magischer »Erweckungsmoment«: Ich spüre. Ich merke, wie sich jeder einzelne Knochen in meinem Fuß beim Gehen bewegt. Was passiert, wenn ich meinen Fuß anhebe, welche Muskeln arbeiten müssen, um ihn überhaupt anheben zu können. Ich schaue mich erschrocken um. Was ist bloß mit mir los? War in meinem letzten Kaffee irgendetwas drin? Eine Substanz, die mein Erleben verändert hat – so ähnlich wie Drogen? Ich habe so einige Drogenerfahrungen in meinem Leben gemacht, aber das hier – das ist einfach bombastisch gut! Und meines Wissens habe ich keine Drogen zu mir genommen. Wow!

Ich schaue mich um. Die Farben erscheinen mir intensiv, fast schmerzen sie ein wenig in meinen Augen. Plötzlich komme ich mir vor, als wäre ich ein vierjähriges Kleinkind, das einen Malkasten geschenkt bekommen hat und sich nun voller Freude allen Farben der Palette widmet. Krass, als ob man mit Photoshop die Sättigung aller Farben nach oben gedreht hätte! Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Auch die Geräusche – so nah, so lebendig, der absolute Wahnsinn. Verwirrt, belustigt und ein wenig erschrocken schaue ich mich um, schaue an meinem Körper herunter. Was ist bloß los mit mir?! Warum ist plötzlich die Welt so nah, so greifbar?

Essen ist in meiner Welt immer eine gute Lösung. So gehe ich zum Thai-Imbiss. Bestelle das gleiche Gericht wie gestern. Puh, erst einmal beruhigen – das war ziemlich merkwürdig, was gerade passiert ist. Mein duftendes, grünes Thai-Curry steht vor mir. Ich probiere es. Und es passiert schon wieder: Etwas in mir scheint zu explodieren. Dieser Geschmack – nicht von dieser Welt! Wow, ist das heute ein anderer Koch, der einfach ein wenig mehr Currypaste benutzt hat? Ich schaue hinter den Tresen. Nein, derselbe Koch wie gestern. Wie kann das Curry heute so anders schmecken? Auch hier ist es, als ob jemand die Geschmackssättigung bis an den Anschlag nach oben gedreht hätte. Ich frage mich, ob ich nun doch endlich verrückt bin oder – bessere Variante – bei der Ausbildung etwas mit mir geschehen ist.

Ich spanne dich nicht länger auf die Folter, was an diesem denkwürdigen Tag, der noch bis heute nachhallt, passiert ist: Nein, es waren keine Drogen im Spiel. Nein, ich war nicht verrückt geworden. Aber zum allerersten Mal in meinem Leben bewohnte ich meinen Körper und begann eine Ahnung davon zu bekommen, was es heißt, zu spüren. Das war mein Erweckungsmoment: Zum ersten Mal in meinem Leben, mit 43 Jahren, spürte ich.

Spüren: Anwesend sein im eigenen Leben

Spüren ist eines der Kernelemente von Somatic Experiencing. Was so läppisch klingt und aussieht (und was ich aufgrund seiner vermeintlichen Banalität die ganze Woche nicht tun wollte), war der gute Boden, in dem der Samen von wahrer Lebendigkeit aufgehen konnte. Ich darf dir an dieser Stelle schon verraten: Nicht-Spüren war das, was mein Leben so fad gemacht hatte. Durch das Nicht-Spüren war ich nie wirklich hier, nie im Moment anwesend. Deswegen fühlte sich mein Leben wie schaler, abgestandener Kaffee an. Ich hätte noch 1037 Dinge ausprobieren können, um mein Leben gehaltvoller und sinnvoller machen zu wollen. All das hätte nichts genutzt. Denn ich war bis zu diesem ersten Spürmoment nie wirklich in mir zu Hause. Wie kann sich das Leben prall und lebendig anfühlen, wenn man gar nicht dabei ist? Darin liegt der wichtigste Perspektivenwechsel, den ich dir mit diesem Buch vermitteln möchte: Ich kreierte Dramen – unbewusst –, um mein Leben ein wenig aufzupeppen. Es ein wenig schärfer zu machen. Weil es auf der anderen Seite so leer war.

Ich möchte dich mit diesem Buch einladen zu spüren, um dein Leben gehaltvoller zu machen. Ich möchte dich einladen, nicht länger unbewusst Dramen zu kreieren und dein Leben vorbeiziehen zu lassen. Ich möchte dich einladen, es in ein Leben mit Prädikat »geil!« zu verwandeln. Ich weiß, du bist eine kluge Frau und hast bereits geschlussfolgert: Oh mein Gott, dann führt wohl kein Weg am Spüren vorbei. Genau, du hast es erfasst. Ich habe dir versprochen, dass du am Ende des Buches anders über Trauma denken wirst. Ebenso verspreche ich dir: Auch über das Spüren wirst du – sofern du die Körperübungen machst (oh ja!), anders denken. Ich verspreche dir: Du wirst das Spüren lieben. Und all das wird dein Leben nachhaltig verändern. Es wird dich glücklicher machen. Es wird dich erfüllte Beziehungen führen lassen.

Warum ich den Mund so voll nehme? Die Erfahrung mit über 500 Kundinnen, deren Lebensgeschichten extrem vielfältig sind, hat mir das gezeigt. Meine eigene Geschichte hat es mir gezeigt. Ja, es gibt sie noch, die Dramen in meinem Leben. Allerdings keine Dramen mehr, die ich unbewusst provoziert habe.

Die letzten Jahre haben mir sehr deutlich gezeigt, was durch Somatic Experiencing in mir gereift ist: 2019 verstarb mein Stiefvater. Dies gipfelte in einem wahnsinnig heftigen Streit mit meiner Schwester. Dann starb meine über alles geliebte Omi, nur Wochen später mein Onkel. Ende 2019 war ich plötzlich auf der Mutterlinie die älteste Überlebende – alle Älteren waren von jetzt auf gleich tot, meine Mutter war bereits vor neun Jahren verstorben. Früher hätte mir das den Boden unter den Füßen weggezogen und mich wahrhaftig straucheln lassen. Tat es nicht. Denn durch SE hatte ich so tiefes Vertrauen in mich gewonnen, dass ich mir sicher war: Hier komme ich durch. Vielleicht mit einem blauen Auge – aber ich komme durch. Ich habe mir Resilienz erarbeitet. Somatic Experiencing hat das Potenzial, auch dein Leben positiv und grundlegend umzukrempeln.

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

Nimm die blaue Pille: Die Geschichte endet, du wachst in deinem Bett auf und glaubst, was du auch immer glauben willst. Nimm die rote Pille: Du bleibst hier im Wunderland und ich werde dir zeigen, wie tief das Kaninchenloch reicht.

Zitat aus dem Film Matrix (1999)

Hast du den Film Matrix gesehen? Dort geht es darum, dass die Welt eine Fiktion ist. Dem Helden Neo wird eine blaue oder eine rote Pille angeboten; mithilfe der blauen Pille endet die Fiktion, mit der roten Pille wird er die Fiktion weiterleben. So ähnlich ist es mit diesem Buch: An dieser Stelle muss ich dich davor warnen, dass du nach dem Lesen dieses Buches die Welt eventuell mit anderen Augen sehen wirst. Die Welt durch die Brille des Nervensystems und des Traumabegriffs zu sehen – wie ihn Peter Levine geprägt hat –, wird deine Welt verändern. Du wirst sehen, dass wir in einer zutiefst traumatisierten Welt leben. Das wird dir mit Sicherheit am Anfang Angst machen. Hat es mir auch. Es wird dich ein wenig verzweifeln lassen. Zunächst. Aber dann wird es dir das Potenzial eröffnen, deine Welt anders zu gestalten. Liebevoller. Empathischer. Mit starken Grenzen. Selbstbewusster. Und vor allen Dingen traumainformierter.

Ich brauche dich, ich brauche dich als Leserin.

Ich brauche dich, damit auch du Teil einer stillen Revolution wirst, die sich als »traumainformiert« bezeichnet und so Traumata nicht unbewusst weiter füttert.

Ich brauche dich, damit du anders, vielleicht liebevoller mit deinem Partner umgehst.

Ich brauche dich als mitfühlende Mama, die ihr Kind durch Gefühlsstürme begleitet.

Ich brauche dich als gute Schwester und Tochter, die endlich eine neue, empathische Kultur in ihre Familie bringt und die erste Cycle-Breakerin in ihrer Familie ist.

Ich brauche dich als traumasensible Mitarbeiterin, die weiß, dass auch Wörter verletzen können.

Lass uns die Welt zu einem besseren Ort machen. Ich danke dir aus tiefstem Herzen! Ebenso muss ich dich vor der Nebenwirkung warnen, dass dein Leben echt gut werden könnte. Und ich sage dir: Glück kann manchmal verdammt anstrengend sein.

Zu guter Letzt darf ich dich davor warnen, dass ich Dinge gerne anders mache. Ich bin nicht das, was man von einer klassischen Therapeutin erwartet, das »leere weiße Blatt«, das du als meine Klientin und Kundin beschreiben darfst. Auch in der Therapiebeziehung bin ich in allererster Linie eines: ein Mensch aus Fleisch und Blut. Der sich nicht davor scheut, dich nah an sich heranzulassen. Ich benutze Wörter, die sich nicht für eine Therapeutin ziemen, erst recht nicht für eine Traumatherapeutin. Ich mache die Dinge so, wie ich sie für richtig halte. Das ist noch eine Nebenwirkung von SE: Endlich du selbst zu sein und dadurch für andere herrlich unbequem zu werden. Ich bin mir nicht zu schade, über mich selbst zu lachen und mich durch den Kakao zu ziehen. Ich traue mich, Leichtigkeit in psychologische, sogar in Traumathemen hineinzubringen.

Wenn du bis hierher gelesen hast, dann habe ich dich anscheinend mit meinem Style nicht verschreckt und bin guter Hoffnung, dich bis zum Ende des Ratgebers mitnehmen zu können.

Wie du das Buch am besten für dich nutzt

Dieser Ratgeber ist in zwei Teile gegliedert, den theoretischen und den praxisnahen Teil. Im Theorieteil erhältst du die Grundlagen, um das Buch verstehen zu können, entsprechend nachvollziehbar ist dieser Teil gestaltet.

Im praxisnahen Teil stelle ich in den einzelnen Kapiteln die typischen Probleme und Herausforderungen anhand der fiktiven Nicole in nachgestellten Geschichte dar. Natürlich sind diese Geschichten den wahren Geschichten meiner Kundinnen nachempfunden. Und an so mancher Stelle erzähle ich einfach meine Geschichte. Du erfährst zum Beispiel, warum Gefühle eine Herausforderung für dich sind, warum du immer wieder an den falschen Typ Mann oder so oft finanziell ins Straucheln gerätst. Und was all das mit deinem Nervensystem zu tun hat. Jede Geschichte betrachten wir anschließend mit der Nervensystem- und/oder Traumabrille. So erschließt sich für dich, warum es bestimmte wiederkehrende Probleme in deinem Leben gibt. Mit diesen Brillen lassen sich viele Herausforderungen überraschend simpel und logisch herleiten. Du zahlst in jedem Kapitel ein wenig mehr auf dein Nervensystem-Konto ein und stellst fest: Ich bin doch nicht verrückt – mein Nervensystem ist nur nicht reguliert. In einigen Kapiteln gibt es einen kleinen Test für dich, um zu überprüfen, wie es zum Beispiel gerade um dein Nervensystem bestellt ist.

So schaffst du dir die Grundlagen

Ich empfehle dir, das Buch chronologisch zu lesen (sagt die, die Bücher grundsätzlich nicht chronologisch liest). Gerade zu Beginn erkläre ich dir einige Grundlagen des Nervensystems und der Traumadynamik. Sollten dich einzelne, spätere Kapitel anziehen und du hast die ersten Kapitel nicht gelesen, fehlen dir die wichtigen Grundlagen. Und versprochen: Es bleibt alles in diesem humorigen und leicht verständlichen Stil. Das ist kein Buch, das du am Schreibtisch mit Zettel und Stift lesen musst. Nein, es ist ein Buch, das durchaus auf dem stillen Örtchen gelesen werden kann. Was nicht mit seinem Gehalt zu tun hat – ich sage dir: Das Buch hat Wumms!

Triggerwarnungen: Nein, danke!

Innerhalb der Psychobubble hat sich aus meiner Sicht die Unart eingeschlichen, jeden Text mit einer Triggerwarnung zu versehen. Ja, ich spreche über Trauma, über Gewalt und sogar offen über sexuellen Missbrauch. Wäre auch merkwürdig, wenn die Wörter in dem Kontext nicht vorkommen würden. Es ist ein bisschen wie bei Harry Potter: Niemand traut sich, den Namen von Lord Voldemort auszusprechen, weil er so schrecklich ist. Harry Potter ist der mutige Junge, der keine Scheu hat, seinen Namen laut auszusprechen. So führt er einen Paradigmenwechsel herbei und der unheimliche Lord Voldemort verliert ein wenig von seinem Schrecken. Genau das wünsche ich mir für das Thema Trauma und psychische Erkrankungen. Daher verzichte ich komplett auf Triggerwarnungen. Grundsätzlich könnte nämlich alles triggerauslösend für dich sein. Wie soll ich ausschließen können, dich nicht zu triggern? Ich kann nicht zu 100 Prozent die Gefahr ausschließen, dass ich durch einen Satz, die Art, wie ich schreibe, mein Coverfoto oder was auch immer etwas in dir auslöse. Dann dürfte ich das Buch gar nicht veröffentlichen. Was ich aber machen kann, ist, dir auf Augenhöhe zu begegnen: Du bist ein mächtiges Wesen und genau so möchte ich dich behandeln. Du bist erwachsen und kannst dich gut um dich selbst kümmern. Dessen bin ich mir sicher! Daher meine Einladung an dich: Sei achtsam und liebevoll mit dir beim Lesen des Buches.

Ein letzter Hinweis: Das Buch richtet sich an »normal neurotische« Menschen. Solltest du an einer ernsthaften psychischen Erkrankung leiden, sind die Übungen für dich unter Umständen nicht geeignet. Bitte besprich mit deinem behandelnden Arzt oder Therapeuten, ob die Übungen für dich passen.

Das Genderthema

Gendern – ja oder nein? Diese Frage stellte sich ziemlich schnell. Der Übersichtlichkeit halber habe ich meist die männliche Anredeform gewählt.

Ein weiteres mögliches Fettnäpfchen, das sich beim Schreiben ergab, ist die Beschreibung der Familienform. Auch hier habe ich der Einfachheit halber die »klassische« Familienform von Mutter, Vater und Kind gewählt und nicht explizit »Mutter, Mutter und Kind« oder »Vater, Vater und Kind« erwähnt. Aber natürlich sind auch diese Familienformen mit gemeint.

Mein Geschenk an dich

Dies wäre kein Ratgeber, würde ich dir nicht Tools mitgeben, mit denen du dir selbst helfen kannst. Er ist also gespickt mit vielen tollen Übungen für dein Nervensystem und deinen Körper. Daneben gibt es zahlreiche Reflexionsübungen, eine geführte Fantasiereise und Trainingspläne, um deine bisherigen Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Am Ende findest du ein Übungsregister, in dem alle Übungen aufgelistet und verlinkt sind.

Als Bonus habe ich mir etwas ganz Tolles einfallen lassen: Die meisten Übungen habe ich eingesprochen und du kannst dich von mir anleiten lassen. Scanne dazu den QR-Code im Anhang und du kannst auf alle vertonten Übungen zugreifen.

Klingt gut, oder? Dann viel Spaß und bahnbrechende, lebensverändernde Momente bei der weiteren Lektüre. Auf in dein neues Leben!

Alles, alles Liebe, deine Sasja

Alles Trauma, oder was?

Was Trauma wirklich ist

Wenn ich auf einer Party bin und keine Lust auf den Small Talk der Gäste habe, wende ich einen lustigen und effektiven Trick an. Auf die Frage, was ich beruflich mache, antworte ich wahrheitsgemäß: »Ich bin Traumatherapeutin.« Dabei grinse ich mein Gegenüber an. In neun von zehn Fällen muss mein Gesprächspartner plötzlich überaus dringend auf die Toilette, sich etwas zu trinken holen oder zu Hause den Husten des Hamsters endlich in den Griff bekommen.

Das Wort »Trauma« verschreckt die meisten Menschen. »Man« möchte mit Trauma nichts zu tun haben. Trauma ist wie eine schlimme, schmierige und ansteckende Krankheit, von der man selbst verschont bleiben möchte. Also, bloß weg von dem Thema! Das kann ich nur allzu gut nachvollziehen. Ich frage dich und bitte um deine ehrliche Antwort: Was war dein erster Impuls beim Wort »Trauma«? Hast du an die schlimmen Nachrichten aus dem TV gedacht, wie zum Beispiel den großen Missbrauchsfall in Lügde? Oder denkst du an die Menschen in der Ukraine, die alles hinter sich lassen mussten, um ihr Leben zu retten? Ja, das ist natürlich Trauma. Trauma ist in Wahrheit aber so viel mehr als die schlimmen Katastrophen wie schwere Naturphänomene, das Erleben von massiver Gewalt, tragische Unfälle oder Vergewaltigung.

Wenn wir uns das Wort »Trauma« näher anschauen, dann verliert es schon seinen ersten Schrecken. In der griechischen Wortherkunft bedeutet »Trauma« nichts weiter als »Wunde«. Darüber sollte man in der Lage sein, sprechen zu können. Warum wird dann so ein großer Bogen um dieses Thema gemacht, als sei es ein gemeines Virus, das einen hinterrücks anfällt? Tja, wir Menschen sind schon merkwürdig. Auf der einen Seite wollen wir das Thema Trauma unbedingt meiden, auf der anderen Seite benutzen wir das Wort inflationär. Hier einige Beispiele zum nicht korrekten Wortumgang mit Trauma: »Der Haarschnitt bei meiner Frisörin ging voll in die Hose. Jetzt habe ich ein Friseur-Trauma!« Oder: »Als Kind haben meine Eltern mir verboten, Cola zu trinken. Das hat mich echt traumatisiert!« Da hat sich das Wort »Trauma« also in unseren allgemeinen Sprachgebrauch eingeschlichen. In der Regel – Ausnahmen bestätigen diese – verdienen solche Begebenheiten nicht das Prädikat »Trauma«. Okay, was aber ist dann Trauma?

Entscheidungsinstanz Nervensystem

Die »offizielle« Somatic-Experiencing-Definition von Trauma ist simpel:

Trauma ist zu viel.

Trauma ist zu schnell.

Trauma ist zu plötzlich.

Was bedeutet das genau? Es heißt, dass grundsätzlich alles Trauma auslösen könnte. Alles, was von einer Person zum Zeitpunkt des Ereignisses als zu viel, zu schnell oder zu plötzlich erlebt wird. Ja, du hast richtig gelesen. Theoretisch könnte es also bedeuten, dass der obige Satz über den verpatzten Friseurbesuch bei der betreffenden Person ein Trauma ausgelöst hat. Theoretisch könnte es auch sein, dass die entgangene Cola in der Kindheit einen nachhaltigen Schaden bei jemandem verursacht hat. Warum? Weil wir nicht sehen können, was für eine Person eben zu schnell, zu viel oder zu plötzlich ist. Menschen sind individuell, Trauma ist es auch. Wir dürfen lernen, achtsam und sensibel mit dem Wort »Trauma« umzugehen. Wir dürfen uns selbst im Griff haben, dass wir uns nicht anmaßen zu bewerten und zu beurteilen, was für einen anderen Menschen traumawürdig ist. Das kann und muss nur die Person selbst entscheiden.

Und bevor du nun denkst: »Ich entscheide mich dafür, was mein Trauma ist und was nicht« – du kannst ein Trauma nicht mit bloßer Willenskraft oder gar Disziplin bekämpfen. Im Grunde genommen »entscheidet« dein Nervensystem darüber, was für es zu viel, zu schnell oder zu plötzlich ist. Gerade von renommierten Traumakollegen wurde ich zu Beginn der Öffentlichmachung der Traumadefinition mit dem übelsten Shitstorm auf den sozialen Medien bedacht. »Es kann doch nicht alles Trauma sein!« Oder: »Was für eine Respektlosigkeit den Menschen gegenüber, die echtes Trauma überlebt haben, mit einer solchen Traumadefinition daherzukommen!« Auf den ersten Blick mögen meine Kollegen recht haben. Aber: Man darf sich die Symptome der Menschen anschauen. Man darf sehr genau dem Körper lauschen, der fortwährend eine Geschichte erzählt. Und diese Geschichte hat den Titel: »Ich bin traumatisiert und mein Nervensystem ist aus dem Takt geraten.« Das ist für mein Verständnis genug Erklärung.

Trauma ist relativ

Ein schwerwiegendes Ereignis kann bei Person A also ein Trauma auslösen, bei Person B hingegen nicht. Noch spannender: Eine Sache, die Person A als Kleinigkeit und nicht der Rede wert einstufen würde, kann bei Person B ein massives Trauma auslösen. Das Kausalitätsprinzip gilt im Traumabereich nicht: Dieses Prinzip besagt, dass eine bestimmte Ursache eine bestimmte Wirkung erzeugt. Wenn es regnet, dann wird die Straße nass. Dasist immer so. Es kann nicht sein, dass bei Regen die Straße nicht nass wird. Was hingegen ein Trauma in einem Menschen heraufbeschwört, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab:

Gibt es frühere Traumata?Wie ist es um die Resilienz der Person bestellt? (Zur Resilienz mehr ab hier)Wie sieht das Window of Tolerance und der Zustand des Nervensystems der betreffenden Person aus? (Zum Window of Tolerance mehr ab hier)Gab es in der möglichen Traumasituation ein gut reguliertes Gegenüber, das eine Verbindung zur betreffenden Person herstellen konnte und so äußerst beruhigend einwirkte?Hatte die betroffene Person nach dem Ereignis ein unterstützendes Umfeld?

Zur Erläuterung ein Beispiel: Peter und seine Frau Annemarie geraten in ein schweres Erdbeben. Beide entkommen nur haarscharf dem Tod und liegen wochenlang auf der Intensivstation. Glücklicherweise genesen beide von ihren Erkrankungen. Etwa 18 Monate nach dem Vorfall entwickelt Peter eine massive Panikstörung. Annemarie hingegen hat die Naturkatastrophe als Wink des Schicksals empfunden. Sie hat ihr komplettes Leben positiv auf den Kopf gestellt und ist förmlich aufgeblüht. Wie kann es sein, dass Peter anscheinend aufgrund des Erdbebens traumatisiert ist, Annemarie hingegen nicht? Ist Peter ein Weichei, seine Frau Annemarie hingegen eine Heldin, die nichts so leicht aus der Bahn wirft? Nein. Wahrscheinlich hatte – aus welchen Gründen auch immer – Peter weniger Ressourcen, also Quellen der Resilienz, zur Verfügung, um der Situation adäquat begegnen zu können.

Die medizinische Traumadefinition als Sackgasse

Wie wir Trauma bisher sehen, ist durch unser Gesundheitssystem und insbesondere den ICD geprägt. Der ICD ist die Fibel für Ärzte und Therapeuten, die festlegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit man an einer bestimmten Erkrankung leidet.

Okay, für die Definition von Trauma musst du gut sitzen. Du sitzt also gut, ja? Laut ICD lautet sie: »… eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes (…), die fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Hierzu gehören (…) eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder Zeuge eines gewaltsamen Todes oder selbst Opfer von Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderen schweren Verbrechen zu sein (…)« (Quelle: ICD-10, internationale Klassifikationpsychischer Störungen). Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich kenne nicht so viele Menschen, die gefoltert wurden, im Krieg oder Zeuge eines gewaltsamen Todes waren. Um ganz genau zu sein: niemanden. Dennoch kenne ich sehr viele Menschen, die traumatisiert sind.

Der bisherige Umgang mit Traumata in unserem Gesundheitssystem ist, selbst wenn ich beide Augen zudrücke und alle fünfe gerade sein lasse, nur eines: ganz großer, fataler Bullshit. Seit dem 1. Januar 2022 ist immerhin offiziell der ICD-11 in Kraft, der die komplexe posttraumatische Belastungsstörung enthält und so ein paar mehr Menschen als möglich traumatisiert einstuft. Erfüllt man die in der Definition genannten Kriterien nicht, gibt es in den meisten Fällen keine Diagnose. Oder, noch schlimmer, die Verlegenheitsdiagnose »psychosomatische oder idiopathische Erkrankung« muss herhalten. Beides heißt nichts anderes, als dass die Medizin mit dem heutigen Wissensstand keine Erklärung für deine Erkrankung hat. Und wenn es keine Erklärung gibt, dann hast du es halt am Kopf oder mit den Nerven. Das Problem dabei ist, dass ohne Diagnose eine Behandlung oftmals nicht möglich ist. Wenn du ein kaputtes Auto in die Werkstatt bringst und der Kfz-Meister findet nichts – ja, dann bleibt das Auto halt kaputt. Du kannst dann dein Glück in der nächsten Werkstatt probieren, in der nächsten und in der nächsten. Und darauf hoffen, dass irgendjemand entdeckt, was an deinem Auto kaputt ist. Denn es lässt sich meist reparieren – wenn man eine Diagnose stellen kann. In unserem Trauma-Fall sieht es ähnlich aus: Ohne Diagnose ist nicht nur eine Behandlung oft nicht möglich. Nein, oft werden ohne Diagnose eine Kostenübernahme oder Reha-Maßnahme von den Krankenkassen verweigert.

Die Unzulänglichkeit des Systems

Warum mache ich den Schlenker in unser Gesundheitssystem, um dir Trauma näher zu erklären? Du darfst verstehen, dass unser Gesundheitssystem – noch – so aufgebaut ist, dass wir als Menschen durch Kategorisierungen in Schubladen passen müssen. Das ist auf der einen Seite äußerst sinnvoll, weil es die Arbeit vereinfacht und gleiche Regeln für alle schafft. Auf der anderen Seite berücksichtigt es nicht, dass wir Menschen höchst individuelle und einzigartige Wesen sind, für die es in der Regel keinen One-size-fits-all-Plan gibt. In meiner Praxis begleite ich hauptsächlich Menschen, die nach den Regeln des ICD kein Trauma haben können. Dennoch sind massive Störungen am Nervensystem mit den dadurch verbundenen Schwierigkeiten in fast allen Lebensbereichen zu sehen. Spinnen diese Leute? Spinne ich, weil ich sage, sie sind traumatisiert? Nein! Aus meiner Sicht ist der Traumabegriff zu eng formuliert und zu konkret definiert. Es entsteht der Eindruck, dass ein kausales Ereignis zwangsläufig zu einem Trauma führen muss. Was gleichzeitig im Umkehrschluss heißt: Es gibt viele Situationen, die von der Medizin bisher nicht so eingestuft werden, dass sie traumaauslösend sind. Pech gehabt! Dann bist du halt nur ein Weichei oder ein Simulant. Diese Sichtweise ist aus meiner Sicht der Ursprung viel unnötigen Leids und – sorry für meine Wortwahl – einfach nur Bockmist. Es macht mich wirklich rasend vor Wut! Nicht zu sprechen von den Kosten, die für die Allgemeinheit entstehen, wenn wir weiter am bisherigen Traumabegriff festhalten.

Der Körper als Hüter des Traumas

Trauma liegt nicht im Ereignis, sondern im Nervensystem.

Peter Levine

Wir denken, dass es sich bei einem Trauma um ein Ereignis handelt, das in erster Linie die Psyche betrifft, vielleicht noch zusätzlich so etwas wie die Seele. Durch die Forschung wissen wir mittlerweile, dass Traumata Schäden im ganzen Körper hervorrufen können. Bei Erwachsenen, die frühkindliche Traumata überlebt haben, sind zum Beispiel Veränderungen an der Amygdala festzustellen. Die Amygdala ist ein kleiner Teil im Gehirn, der für Emotionen, insbesondere Angst, zuständig ist. Sie ist in der Regel überaktiv und entdeckt auch dort Gefahren, wo keine sind. Außerdem arbeitet der Hippocampus, ein Bereich im Gehirn, der die Brücke von Kurzzeit- zu Langzeiterinnerungen ist, nicht korrekt. Vergangenheit und Gegenwart werden verwebt, sodass die Vergangenheit ständig präsent ist. Aus der Osteopathie wissen wir mittlerweile, dass Trauma im Gewebe, insbesondere in den Faszien, gespeichert wird. Das sind nur einige Beispiele dafür, dass Trauma auch im Körper stattfindet. Dort – je nach Intensität und Länge des Traumas – kommt es eventuell zu Schäden. Im Körper wird Trauma so lange gespeichert, bis die Traumastressenergie durch auflösende Traumatechniken aus dem Körper entlassen wird. So manch eine nimmt den aus der Kindheit entstandenen Stress mit ins Grab und hat ihn nie aus dem Körper entlassen.

Eine lustige Anekdote dazu: In der SE-Ausbildung durften wir Schüler miteinander unter Aufsicht üben. Ein Ausbildungsblock behandelte das Thema Unfälle und Stürze. Ich meldete mich in meiner Gruppe als »Klientin« an. Jahre zuvor hatte ich einen Reitunfall erlebt. Der war glimpflich ausgegangen und ich kam lediglich mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma für eine Nacht ins Krankenhaus. Ich persönlich hatte den Unfall zu 100 Prozent als positiv abgespeichert. Als der Unfall passierte, war ich als Restaurantleiterin eingestellt. Ich hatte eine nette Chefin und ein tolles Team – aber wie so oft: Ich war nicht glücklich. Als ich nun vormittags mit meiner Freundin und den Pferden ausritt, sagte ich zu ihr scherzhaft: »Ach, wenn ich jetzt vom Pferd fallen würde, dann käme ich ins Krankenhaus und müsste nicht zur Arbeit.« Drei Stunden später wachte ich im Krankenhaus auf. Als ich wieder ein wenig bei Sinnen war, bat ich meinen Partner, mir die Ausbildungsunterlagen zur Tierheilpraktikerin mitzubringen: Ich würde meinen festen Job kündigen und Tierheilpraktikerin werden. Das war mir nun absolut klar. Als wir in der Übungsgruppe den Unfall nach einem bestimmten Protokoll durcharbeiteten, bemerkte ich plötzlich, wie mein rechter Arm zunehmend taub wurde. Erschrocken starrte ich auf den Arm. Er war wenig durchblutet, eiskalt und kalkweiß – und ließ sich partout nicht bewegen. »Julia, mach etwas! Ich kann meinen Arm nicht mehr bewegen!«, schrie ich meine Übungskollegin an. Glücklicherweise kam einer der Ausbilder und konnte die Situation auflösen.

Was war passiert? Mein Körper erinnerte sich daran, dass mir in dem Moment zu wenig Zeit blieb, um das Pferd nach rechts zu korrigieren und zu verhindern, dass es mich buckelnd abwarf. Er hatte die Erinnerung gespeichert, dass ich auf den rechten Arm fiel und mir tüchtig wehgetan hatte. Auch wenn ich den Unfall äußerst positiv verknüpft hatte, weil er ein gänzlich neues und besseres Lebenskapitel für mich einläutete – mein Körper hatte das Unfalltrauma 13 Jahre lang ohne mein Wissen in meinen Zellen gespeichert.

Stressenergie, die wir nicht loswerden

Meine Hündin Lassie muss glücklicherweise nicht auf die Therapeutencouch, auch wenn sie täglich mit ihrem Todfeind konfrontiert wird. Warum? Weil ich ehemals Tierheilpraktikerin wurde und sie gut versorge? Wie kann ich sagen, dass alles Trauma auslösen kann? Wie kann es aber sein, dass einst wilde Tiere auch als Haustiere anscheinend nicht von Trauma betroffen sind? Wie kann es sein, dass ein Eisbär, der irgendwann fast ertrunken wäre, keine Panikstörung gegenüber arktischem Wasser entwickelt, sodass er keine Lachse mehr fangen geht? Sind Eisbären schlauer als die Krone der Schöpfung? Hier scheint es einen Widerspruch zu geben.

Aber nur scheinbar. Im SE verstehen wir eine Traumafolgestörung als die im Körper verbliebene Stressenergie. Diese Energie hat der Körper ursprünglich instinktiv zur Verfügung gestellt, um in einer (lebens-)bedrohlichen Situation den Kampf-oder-Flucht-Reflex auszulösen. An anderer Stelle gehen wir noch intensiv auf die Stressreaktionen ein (siehe ab hier). Die Lösung – im wahrsten Sinne des Wortes – ist der Körper: In unzähligen Videos auf YouTube kannst du Wildtiere sehen, die sich nach einer belastenden Situation den Stress einfach aus dem Körper schütteln. In Grundzügen findet man das noch bei Hunden. Meine Hündin Lassie ist nicht besonders verträglich im Umgang mit Artgenossen und hat auf den täglichen Spaziergängen ihre »Lieblingsfeinde«. Nachdem wir einen der Kandidaten passiert haben, wird sich erst einmal ordentlich geschüttelt. Schütteln, schwups, ist der mit Cortisol und Adrenalin gespickte Körper dessen entledigt. Darum sind Tiere in der Regel nicht von Trauma betroffen – weil sie an ihrem effektiven Raus-aus-dem-Körper-Schütteln festhalten. Clever, nicht wahr?

Eine kleine Einschränkung noch an dieser Stelle: Ich denke sehr wohl, dass auch unsere Haustiere zunehmend traumatisiert sind und an Traumafolgestörungen leiden, weil wir Menschen vermehrt unsere Tiere als Partner- oder Familienersatz ansehen und sie vermenschlichen. Wir nehmen den Tieren so immer mehr ihre angeborenen instinktiven Fähigkeiten, mit deren Hilfe sie gar nicht in einen Traumastrudel geraten würden.

Fehlende Empathie: Der Nährboden für Traumata

Trauma ist nicht das, was uns widerfährt, sondern das, was wir in der Abwesenheit eines empathischen Zeugen in uns tragen.

Peter Levine

Ein letzter, abschließender Blick auf Trauma: Wir Menschen sind absolute Bindungswesen. Die vergangene Corona-Zeit, die von Isolation geprägt war, hat uns deutlich gezeigt, wie stark wir darunter leiden, nicht mit anderen Menschen in Kontakt, in Verbindung zu sein. In meiner Praxis werden naturgemäß häufig schwere Themen besprochen. Doch je mehr ich in einer Situation mit den Klientinnen in wahrer Verbindung sein kann, desto einfacher fällt es, sich gemeinsam durch die schweren Themen hindurchzunavigieren. Ich bin dann die empathische Zeugin, die den Prozess begleitet und so eine mögliche Retraumatisierung verhindert. Auch das Gegenteil beweist diesen Satz: Die meisten Traumatisierungen geschehen durch das Fehlen von Empathie des Gegenübers in schwierigen Situationen.

Ein trauriges Beispiel aus der Praxis: Eine junge Frau hat sehr früh ihre Mutter durch Brustkrebs mit der Veränderung am BRCA1-Gen verloren. Dieses Gen wird häufig an die Kinder weitervererbt und erhöht bei den Töchtern das Risiko, ebenfalls an Brustkrebs zu erkranken, um 50 Prozent. Eines Tages entdeckt die junge Frau beim Duschen einen kleinen Knoten an ihrer rechten Brust. Bereits mittags sitzt sie bei ihrem Frauenarzt, um dort eine Ultraschalluntersuchung durchführen zu lassen. Der Arzt pocht auf eine MRT-Untersuchung zur weiteren Abklärung. Zwei Tage später hat sie in der hiesigen Klinik einen MRT